Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/718: Ein linkes Ja zur militärischen Intervention?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14/2011 vom 8. April 2011

Ein linkes Ja zur militärischen Intervention?


mgb. Am 23. März gab das Schweizerische Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) der Allianz gegen Gaddafi grünes Licht für militärische Überflüge. Bereits zwei Tage zuvor bewilligte der Bundesrat einen Truppen- und Gütertransport der britischen Armee durch die Schweiz. Welche Haltung kann die Schweizer Linke zu diesen Massnahmen einnehmen?


Die Ereignisse, welche seit Anfang dieses Jahres im nordafrikanischen und arabischen Raum ihren Lauf nehmen, lassen sich bisher nur schwer in unseren althergebrachten Deutungsmuster verorten. Entsprechend fällt auch die Reaktion innerhalb der Linken betreffend der militärischen Intervention in Libyen und der Schweizer Unterstützung derselben aus. Während einige schweigen, flüchten sich andere in unverständliches Geschwurbel und leere Worthülsen. Man flüchtet sich in - für uns als Linke - offensichtliche Allgemeinplätze und druckst sich so um die entscheidende Frage herum: Ist die militärische Intervention in Libyen als legitim zu betrachten?


Fünf vor zwölf

So liegt es natürlich auf der Hand, dass die so genannte "Koalition der Willigen" und die NATO nicht aus reiner Menschenliebe Angriffe gegen die Stellungen Gaddafis fliegen. Handfeste wirtschaftliche Eigeninteressen spielen dabei ebenso eine Rolle, wie innenpolitisches Machtkalkül. Insbesondere Nicolas Sarkozy konnte vom so genannten "Raily around the flag"-Effekt profitieren: Befindet der Machthaber eines Landes sich in einem internationalen Konflikt, neigt die Bevölkerung dieses Landes oftmals dazu, sich grossmehrheitlich hinter diesen Machthaber zu stellen. Man tritt geeint nach aussen auf gegen den gemeinsamen Feind. Innere Widersprüche und Konflikte werden übertüncht. Kritik gilt schnell als Verrat. Klar ist auch, dass Libyen durch die militärische Intervention nicht zu einem demokratischen Staat wird. Die imperialistischen Interventionisten haben ebenso wenig Interesse an einer wahren Demokratie in Libyen, wie sie es in Afghanistan oder im Irak hatten.

Genauso korrekt wie offensichtlich ist die Kritik, dass der Westen zum Zeitpunkt der Intervention nicht alle zivilen Handlungsmöglichkeiten gegenüber Gaddafi ausgeschöpft hatte. So hätte man sich bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt viel intensiver um Vermittlungen bemühen sollen. Zudem wäre auch denkbar gewesen, das Regime stärker wirtschaftlich unter Druck zu setzen. Beides haben westliche Regierungen (vorsätzlich?) unterlassen.

Der springende Punkt, der bei dieser Kritik vergessen wird, ist aber: In dem Moment, in welchem mit der UNO-Resolution 1973 über die militärische Intervention entschieden wurde, gab es keine zivilen Handlungsalternativen mehr. Die Uhr stand auf fünf vor zwölf. Die Truppen Gaddafis standen vor den Toren Bengasis und die Rebellen waren militärisch zu schwach, um ihren Widerstand aufrechtzuerhalten. Die Aufstände in Libyen wären in Blut ertränkt worden. Keine zivile Handlungsmöglichkeit hätte dies zu jenem Zeitpunkt verhindern können. Folgerichtig forderten auch die Widerständischen selbst Luftangriffe durch fremde Streitkräfte gegen die Stellungen Gaddafis.


Intervention akzeptieren

Aus Sicht westlicher Linker gibt es meiner Meinung nach nur eine legitime Position: sich hinter die Befreiungsbewegungen in den arabischen Staaten zu stellen, solange diese für eine wirkliche Emanzipation aus Unterdrückung und Ausbeutung kämpfen. Deshalb gilt es im Kontext der Situation vorliegende Intervention zu akzeptieren und ein Stück weit - insofern damit ein massives Massaker an der Zivilbevölkerung vermutlich verhindert werden konnte - sogar zu begrüssen. Damit einher geht die Akzeptanz von Überflügen durch fremde Streitkräfte über Schweizer Territorium, solange diese im Rahmen der UNO-Resolution 1973 geschehen. Nicht, weil die UNO aus linker Sicht ein unbedenklicher und neutraler Akteur wäre, sondern weil vermutlich nur dies das Überleben der Aufständischen gegen Gaddafi sichert.

Dies muss aber im vollen Bewusstsein darüber geschehen, dass sich die westlichen Interventionsmächte - sollten sie Erfolg haben - in nicht allzu ferner Zukunft ebenfalls gegen die Interessen der Aufständischen wenden werden. Die Interessenkongruenz zwischen westlichen Regierungen und den Aufständischen dürfte spätestens mit dem Sturz Gaddafis enden. Für diesen Moment müssen wir uns strategisch und argumentativ wappnen. Genauso müssen wir die Arbeit der Interventionsmächte stets kritisch beleuchten und durch sie begangenes Unrecht in der westlichen Öffentlichkeit denunzieren. Unsere Unterstützung gilt nicht der NATO oder dem Bundesrat. Das Mass aller Dinge müssen für uns die Befreiungsbewegungen in den arabischen Staaten sein. Auch dies ist eine offensichtliche Tatsache - die aber nur allzu gerne vergessen geht.


*


Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14/2011 - 67. Jahrgang - 8. April 2011
Sonderbeilage Ökologie, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77, Fax: 0041-(0)44/242 08 58
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2011