Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/683: Taschenspielertricks im Kanton Zürich


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 35/36 vom 24. Sept. 2010

Taschenspielertricks im Kanton Zürich

Von Marco Geissbühler


Verkehrte Welt im Kanton Zürich: Trotz Ertragsüberschuss will der bürgerlich dominierte Regierungsrat ein Sparpaket im Umfang von 1.5 Milliarden Franken durchboxen. Kürzen will er vor allem bei sozialen Massnahmen, beim Personal und bei den Hochschulen. Geld für Steuergeschenke an Wohlhabende scheint jedoch nach wie vor vorhanden zu sein.


Der Kanton Zürich steht finanziell besser da, als angenommen. Ging man ursprünglich für 2010 von einem Defizit von 685 Millionen Franken aus, steht nun plötzlich ein Plus von bis zu 250 Millionen Franken zu Buche. Bereits für 2009 fiel die Rechnung deutlich besser aus, als budgetiert. Statt einer schwarzen Null resultierte ein Überschuss von fast 200 Millionen Franken. Kein Wunder verfügte der Kanton per Ende 2009 über ein rekordhohes Eigenkapital von 9.4 Milliarden Franken. Dessen ungeachtet will der bürgerlich dominierte Regierungsrat am eingeschlagenen Sparkurs festhalten. Er geht von einem so genannten "strukturellen Defizit" bei den Kantonsfinanzen aus. Dieses gelte es um jeden Preis zu bekämpfen, denn ansonsten drohe ein Fass ohne Boden.


Das "strukturelle Defizit"

Was bedeutet dieses Management-Vokabular vom "strukturellen Defizit" auf gut Deutsch übersetzt? Ganz einfach: In den vergangenen Jahren haben die bürgerlichen Parteien im Kanton mehrere Steuersenkungen lanciert, welche vor allem Superreiche entlasten. So ist geplant, bei den Einkommenssteuern die oberste Progressionsstufe (den so genannten "13er") zu streichen. Das heisst, Verheiratete mit einem steuerbaren Einkommen von über 352.500 Franken und Ledige ab einem Einkommen von 253.700 Franken müssten neu nicht mehr prozentual mehr bezahlen, als Leute unter dieser Einkommensgrenze. Zudem befindet sich eine faktische Teilabschaffung der Kapitalsteuer in der Pipeline. Geht es nach dem Willen des Kantonsrats, sollen künftig alle Firmen die auf ihrem Ertrag entrichtete Gewinnsteuer mit der geschuldeten Kapitalsteuer verrechnen können.

Kommen diese projektierten Steuergeschenke durch, verliert Zürich jährlich 450 Millionen Franken an Einnahmen. Nicht zu vergessen, dass bereits in früheren Jahren die Steuern massiv zugunsten der oberen Zehntausend gesenkt wurden. Seit 1998 entzogen die Steuersenkungen der Bürgerlichen dem Kanton alljährlich rund eine Milliarde Franken. All diese Steuergeschenke und die resultierenden Einkommensverluste sind eigentlich gemeint, wenn der Regierungsrat beschönigend von einem "strukturellen Defizit" spricht.

Um dieses Defizit zu bekämpfen, reagiert der Regierungsrat wie üblich mit einschneidenden Sparmassnahmen. Unter dem Titel "San 10" soll das schleichende Aushungern des Kantons weiter vorangetrieben werden. Kürzen will die Zürcher Regierung vor allem beim Personal, im Bildungsbereich und bei sozialen Errungenschaften. So soll 2012 der Teuerungsausgleich der kantonalen Angestellten ausgesetzt werden. Die Folge davon: all jene Menschen, die uns im Spital pflegen, die unsere Kinder unterrichten und unsere Strassen putzen, verdienen real weniger Lohn. Auch für die Universitäten und Fachhochschulen sind einschneidende Kürzungen vorgesehen. Der resultierende Abbau an Professorenstellen und im akademischen Mittelbau wird die ohnehin schon prekären Betreuungsverhältnisse weiter verschlechtern. Hauptleidtragende dieser Massnahme sind die Studierenden, deren Ausbildung der Regierungsrat durch seine Massnahmen verschlechtert. Besonders asozial nehmen sich jedoch die Einsparungen bei den Prämienverbilligungen aus. Menschen, deren finanzielle Situation durch die Krankenkassenprämien übermässig belastet würden, erhalten heute im Kanton Zürich (wie überall in der Schweiz) Prämienverbilligungen. Nun will der Regierungsrat diese Verbilligungen um 20 Prozent kürzen. Dies betrifft 400.000 Personen im Kanton. Menschen aus der Unter- und Mittelschicht müssen wieder einmal dafür bluten, dass einige Superreiche Steuergeschenke erhalten.


Das letzte Wort fällt an der Urne

Dass die bürgerliche Politik darauf aus ist, über die staatliche Steuerpolitik Mittel von der Allgemeinheit zu einigen wenigen Superreichen umzuverteilen, ist nichts Neues. Erstaunlich an der Situation im Kanton Zürich ist die Unverfrorenheit, mit der sie vorgeht. Das Schema bleibt dabei stets gleich. Zuerst wird gejammert, wie schlecht es der öffentlichen Hand gehe -, und dass schmerzhafte und einschneidende Sparmassnahmen nötig seien. ("Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen und Opfer bringen!") Gespart wird vor allem bei den sozial Schwächsten. Fällt dann die Rechnung positiver aus, als erwartet, schreiben sie sich diesen Erfolg auf die eigene Fahne: "Nur dank unserer vorausschauenden Sparpolitik war es möglich, die Finanzen zu konsolidieren!" Die erreichten Ertragsüberschüsse verschwenden sie sodann für Steuersenkungen an diejenigen, die ganz oben sitzen. ("Wir müssen nun, da es uns besser geht, endlich auch mal den Leistungsträgern unserer Gesellschaft etwas zukommen lassen!") Und das Spiel geht von vorne los...

Doch es ist nicht gesagt, dass dieser Taschenspielertrick der bürgerlichen Parteien diesmal aufgeht. In der Schweiz hat zum Glück immer noch das Volk das letzte Wort. So sind denn im Kanton Zürich derzeit verschiedene Referenden und Initiativen hängig, welche dem bürgerlichen Sparwahnsinn Einhalt gebieten könnten. Dass über die geplanten Steuergeschenke an der Urne entschieden wird, ist bereits klar. Sowohl gegen die Abschaffung der 13. Progressionsstufe, als auch gegen die geplante Abschaffung der Kapitalsteuer kamen Referenden von links zustande. Auch gegen das Sparpaket "San 10" hat eine breite Allianz von linken Parteien, Gewerkschaften und Studierendenverbänden das Referendum angedroht. Und die Alternative Liste des Kantons fordert mit einer anfangs 2010 eingereichten Initiative "Tragbare Krankenkassen für alle" einen massvollen Ausbau der Prämienverbilligungen, statt einer Kürzung. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Bevölkerung im Kanton nicht mehr länger von den bürgerlichen Parteien über den Tisch ziehen lässt.


*


Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 35/36 - 66. Jahrgang - 24. September 2010, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-
reduziert (AHV, Studenten): Fr. 110.-


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2010