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VORWÄRTS/676: Kultur im Raum - und im Freiraum


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34/2010 vom 10. September 2010

Kultur im Raum - und im Freiraum


ANS. Die Reitschule ist ein Experimentierfeld, ein kultureller Raum, ein heissgeliebter Schandfleck, ein Politzentrum und Schulungsraum - und besteht jenseits von kommerziellen Logiken seit 23 Jahren. Nichts desto trotz widerspiegelt sie fast alle gesellschaftlichen Entwicklungen und ist immer wieder auch deren Reibungsfläche. Und ab und zu wird in der Stadt Bern basisdemokratisch über sie abgestimmt...


Die Reitschule macht Kultur. Veranstalten, arbeiten und politisieren in der Reitschule heisst, sich in einer Art eigenen "Zivilisation", einem speziellen Kulturraum zu bewegen. Und sich darin mit den anderen BewohnerInnen respektive BetreiberInnen auseinanderzusetzen. Dazu noch mit der Stadt, welche die Burg umgibt und mit der Restwelt. Kultur sei die Gesamtheit der menschlichen Leistungen, welche über die Gewährleistung des Grundbedarfs hinausgehen, definiert Wikipedia. Ist Kulturraum dann dort, wo Träume und Utopien gelebt, wo gesellschaftliche Chancen und Risiken geprobt oder (gefahrlos?) angeprangert werden können? Oder versüsst Kultur uns einfach das harte Leben? Dancing in the night...

Wer in der Reitschule arbeitet, lernt rasch, dass die eigene Aktivität, der eigene Inhalt nur im Kontext des gesamten Betriebs stattfinden kann. Und dass es gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen gibt. Ganz praktisch: Theater kann nicht stattfinden, wenn im Stock höher trainiert wird. Kino kann nicht stattfinden, wenn es im Frauenraum zu sehr beatet. Kultur kann nur erschwert vor Gästen stattfinden, wenn sich die gefühlte ganze Berner Drogenszene auf dem Vorplatz tummelt.


Kollektive Arbeitsweise

Natürlich kennt jeder Jugend- oder Quartiertreff ähnliche Probleme, sagen die einen. Und die anderen sagen, dass die Dimensionen der Reitschule aber doch weiter reichen. Hier finden pro Woche zwischen zehn bis 20 Veranstaltungen statt, mit zuweilen über alle Räume verteilt 1000, 2000 Gästen und hunderten von BetreiberInnen.

In der Reitschule gibt es Kultur im einzigartigen, von den BetreiberInnen immer wieder neu und selber definierten und hinterfragten Kulturraum (oder Biotop?). Mehr Leute übernehmen eben auch mehr Verantwortung - und das ist schliesslich auch das Spezielle und vor allem auch das Politische an der Reitschule. Weil es "anders" organisiert ist, weil die BetreiberInnen nach Reitschule-Regeln in kollektiver Arbeitsweise arbeiten, die ständig auch hinterfragt wird. Weil sie beim Veranstalten über ihren Gartenzaun gucken und auch die Aktivitäten der Politgruppen mitkriegen und mitdiskutieren. Und weil die Entscheide zum Erstaunen der Restwelt immer noch basisdemokratisch gefällt werden. Wenn's dann toll ist, ist es richtig toll und gross - und umgekehrt.

Die Reitschule ist seit 23 Jahren immer auch der Ausdruck der Arbeit der aktuellen BetreiberInnen und der Gesellschaft. Eine "Institution" der Bewegungen für Häuserkampf und Wohnungsnot, Emanzipation und Selbstbestimmung, Jugendbewegung, Kampf für kulturelle Freiräume, Antisexismus und Frauenkämpfe, Antiglobalisierungskämpfe, Antirassismus, Antifaschismus, Antikapitalismus - und deren Musik, Theater, Filme und Perspektiven.

Gerade weil die Reitschule nie fertig ist, bleibt sie attraktiv für neue, junge, aktive und engagierte Menschen, für diejenigen, die etwas ausprobieren und sich auseinandersetzen wollen. Sei es als Antifa-Aktivist oder bei einer der veranstaltenden Arbeitsgruppen. Später wünschen sich einzelne mehr eigenes oder ein weniger krasses Umfeld oder mehr Berechenbarkeit, und dann war die Reitschule das Sprungbrett oder die Schule oder das Experimentierfeld - an das man gerne zurückdenkt und bei Jubiläen und Abstimmungskampagnen solidarisch unterstützt.

AUSZUG AUS DEM ARTIKEL DER NEUEN AUSGABE DES "MEGAFONS" VON SEPTEMBER 2010 ENTNOMMEN. ZU BESTELLEN UNTER:
MEGAFON@REITSCHULE.CH


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34/2010 - 66. Jahrgang - 10. September 2010, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2010