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VORWÄRTS/662: Blickpunkt Palästina - "Es ist klar, daß man Tote wollte"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 24/25/2010 vom 25. Juni 2010

Blickpunkt Palästina
"Es ist klar, dass man Tote wollte"

Von Jan Meier


Der Ethnologe Nikola Kosmatopoulos betrieb Feldforschung auf einem Schiff der Gaza-Hilfsflotte, als diese von der israelischen Armee angegriffen und neun Aktivisten ermordet wurden. Der vorwärts sprach mit Kosmatopoulos.


VORWÄRTS: Was waren die verschiedenen politischen Hintergründe der AktivistInnen?

NIKOLA KOSMATOPOULOS: Ich kann vom griechisch-schwedischen Schiff erzählen, auf dem ich war. Es gab im Vorfeld in Griechenland und in Schweden eine Kampagne, die etwa ein Jahr dauerte, mit vielen Veranstaltungen in verschiedenen Städten. Man hat immer wieder Leute mobilisieren können und es gab auch institutionelle Hilfe, da es mehr als einige Stadträte gab, die mitgemacht hatten. Deswegen ist es schwierig zu sagen, ob sich die Leute konkret einer Partei zuordnen lassen, obwohl es schon einige gab, die in linken Parteien tätig sind. Es gab auch viele andere Leute, die auf lokaler Ebene politisch aktiv sind. Es gab aber aus Schweden und Griechenland auch einige Parlamentarier, die teils von ihrer Partei geschickt wurden. Einige Parlamentarier, darunter auch EU-Parlamentarier, wollten auf die Flotte, doch wurde ihnen die Teilnahme von ihrer Regierung verboten. Sie wurden zum Beispiel in Zypern gestoppt und durften nicht aufs Schiff.

VORWÄRTS: Die Israelis behaupten, der Angriff sei nicht geplant gewesen. Wie ist deine Einschätzung?

NIKOLA KOSMATOPOULOS: Es ist klar, dass der Angriff nicht nur gewollt war, sondern auch, dass man Tote wollte. Wir dachten am Anfang, dass wir nicht angegriffen werden würden. Die Fracht wurde vor der Abfahrt von Behörden kontrolliert. Es gab nichts "Illegales" darauf und das türkische Schiff hatte eh keine Fracht an Bord. Wir dachten weiter, dass unser Schiff, die Mavi Marmara, nicht angegriffen werden würde, da es eigentlich zum "Basiswissen" der Polizei gehört, dass wenn man 500 Personen mitten in der Nacht und auf offener See angreift, es Tote geben wird, ja Tote geben muss, alleine aus dem Chaos und dem Stress, der entsteht. Sie haben das Schiff als erstes angegriffen und für mich ist es klar, dass das eine militärische Lösung für ein viel komplexeres Problem war. Die israelische Regierung bevorzugte eine militärische Lösung bei einer humanitären Mission. Sie setzte somit die Messlatte für die Konfrontation so hoch, dass der Gegner auf dieser Ebene nicht antworten kann - und zwar auf die Ebene des Mordes. Der israelische Staat trägt eine militärische Brille und betrachtet alles durch diese Brille, auch nicht-militärische Angelegenheiten. Sie konnten nicht sehen, dass wir keine Armee, keine Soldaten waren. Durch diese militärische Perspektive schaffte es die israelische Armee Leute umzubringen und es war für sie ein Sieg. Ich denke, die Israelis haben das Schiff angegriffen, um ein Zeichen zu setzen.

VORWÄRTS: Was werden die Auswirkungen auf die Solidaritätsbewegung sein? Ist die Wut noch grösser geworden oder wird es abschreckend wirken?

NIKOLA KOSMATOPOULOS: Nein, abschrecken wird es auf keinen Fall. Soviel ich weiss, gibt es schon Anfragen von Leuten, die beim nächsten Mal mitkommen wollen. Ich denke, schlussendlich hat die Solidaritätsbewegung gewonnen. Abgesehen von den ganzen problematischen Darstellungen in den Medien kann niemand von der Tatsache die Augen verschliessen, dass die israelische Regierung immer wieder versucht, auf komplexere Probleme militärisch zu antworten. Ich glaube, das ist ein grosser Gewinn für die Solidaritätsbewegung. Und das gilt auch für die Anti-Kriegsbewegung innerhalb Israels. Es ist wichtig, dass die Zivilgesellschaft sich gegen diese Militarisierung wendet. Wenn ein militärischer Staat zivilgesellschaftliche Initiativen nur mit Gewalt beantwortet, dann wird das irgendwann nicht mehr funktionieren. Ich hoffe, dass solche Aktionen weitere Aspekte des Problems beleuchten. Man muss Bedingungen in diesem Konflikt schaffen, die erlauben, ein besseres Verständnis zu bekommen und nicht nur Interessen in den Vordergrund zu stellen, die eine Lösung verhindern. Hoffentlich wird das realisiert werden können. Ich glaube die Aktionen der Israelis haben auch ein wenig dazu beigetragen.

Die nächsten Missionen werden auf jeden Fall grösser sein. Auch in der Schweiz gehen die Aktionen weiter, es soll sogar ein schweizerisches Schiff geben.

VORWÄRTS: Israel will jetzt eine Untersuchungskommission mit David Trimble, der schon mehrere Male Sympathien für Israel bekundete, und einem ehemaligen kanadischen General einsetzen. Was denkst du zu dieser Untersuchungskommission?

NIKOLA KOSMATOPOULOS: Es wäre naiv zu glauben, dass sie die Vorfälle wirklich überprüfen werden. Ich hege jedenfalls keine Hoffnung, weil die Israelis jegliches Material, auch von JournalistInnen, beschlagnahmt haben. Es gibt von unserer Seite keine Möglichkeit, irgendwelche Beweise einzubringen. Das ist für mich ein Indiz dafür, dass die Israelis nicht an einer wirklichen Aufklärung des Geschehens interessiert sind - es geht einfach um einen Propagandakrieg.

Man sollte eine internationale Kommission einberufen, nicht zuletzt weil es sich um einen Angriff auf internationalem Gewässer auf Bürger verschiedener Nationen handelt. Es ist keine interne Angelegenheit Israels und das muss man klarstellen. Es ist eine globale Angelegenheit und soll so behandelt werden.

VORWÄRTS: Was denkst du, kann man in der Schweiz machen?

NIKOLA KOSMATOPOULOS: Es ist ein Konflikt, der viele Seiten hat und es ist ein sehr aufgeladener Konflikt. Man muss mindestens versuchen, sich selber ein Bild zu machen und nach Israel und Palästina zu gehen. Es hat sich auch in diesem Fall gezeigt, dass Zeitungen nicht die besten Berater sind. Die Selbsterfahrung ist immer besser. Man soll mal dorthin reisen, um sich vor Ort zu informieren. Oder viel Ethnologie lesen!


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 24/25/2010 - 66. Jahrgang - 25. Juni 2010, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2010