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VORWÄRTS/661: Autonome Schule Zürich öffnet die Türen im Güterbahnhof-Areal


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 24/25/2010 vom 25. Juni 2010

Autonome Schule Zürich öffnet die Türen im Güterbahnhof-Areal


ASZ. Nach zwei Monaten Besetzung der Baracke an der Hohlstrasse 170 im Güterbahnhof-Areal trafen sich mehr als 300 Menschen, um das neue Zuhause der Autonomen Schule Zürich (ASZ) zu feiern. Ein vielfältiges Programm führte Leute aus verschiedenen Ecken der Stadt zusammen.


Angefangen hat das Fest mit einer Vernissage an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. In Zusammenarbeit mit der ZHdK hat sich in der ASZ eine Gruppe von Flüchtlingen gebildet, die ihr Erleben der Stadt in einem Buch weitergeben. Fünf Monate lang haben sie sich wöchentlich getroffen und an diesem Buch gearbeitet. Entstanden ist dabei der "Bleibeführer". Im Gegensatz zu einem Reiseführer, der Zürich als Stadt mit einer der höchsten Lebensqualität darstellt, zeigt der Bleibeführer eine andere Realität: eine gefährliche Stadt, in der Menschen ohne eine Aufenthaltsbewilligung täglich auf der Strasse mit willkürlichen Personenkontrollen und Verhaftungen rechnen müssen. Eine Stadt, in der Menschen mit 8.70 Franken pro Tag in Form von Migrosgutscheinen überleben müssen. Dieses Buch gibt Überlebensstrategien weiter, die aus ihren eigenen Erfahrungen gesammelt sind und die sie mit anderen Menschen in einer ähnlichen Situation teilen möchten.


Weiter geht's, im "aufgewerteten" Kreis 4

Ein Tag nach der Vernissage konnte das Fest im Güterbahnhof weitergehen. Viele Menschen fanden den Weg zur ASZ, es duftete nach Grill und Musikboxen beschauten den Platz. Wo vielleicht schon bald der neue Bullenpalast steht, ist ein Ort für Austausch und Ideen entstanden. Kurdische Tänze und Zürcher DJ's, drei Bands, Bio Gin und das gute Wetter sorgten dafür, dass der Alltagsstress über Bord geworfen wurde. Es wurde getanzt, gesprochen und kennengelernt. Dies in einem Quartier, in dem zurzeit "aufgewertet" wird. Öffentliche Räume sind durch ständige Polizeipräsenz geprägt, wie auf der Bäckeranlage. Bezahlbare Wohnungen werden in unerschwingliche Yuppie-Lofts umgewandelt. Wer nicht ins saubere Stadtbild passt, wird vertrieben. Es reiht sich daher logisch in die Liste der Absurditäten ein, dass der Güterbahnhof, ein Areal mit grossem historischen Wert, platt gemacht werden und dem neuen Polizei- und Justizpalast weichen soll.

Im Gegensatz dazu zeigte der Tag der offenen Tür in der ASZ ein anderes Bild der Stadt. Hunderte Fahrräder häuften sich auf dem Güterbahnhof-Areal, und nicht wie üblich fette Landwagen. Es ging um das Zusammenkommen von Menschen und nicht darum, möglichst fett Kohle zu scheffeln. Das Fest hat einen selbstverwalteten Bildungs- und Begegnungs-Ort gefeiert. In der ASZ sind alle Räume eingerichtet, Drucker und Kopierer funktionieren und das Wasser fliesst wieder. Es wird gekocht, gelehrt und gelernt, gestritten, getrunken und viel gearbeitet. Mittlerweile gibt es fünf verschiedene Klassen, die Deutsch und mehr lernen. Die Theatergruppe hat die Première ihrer Kurzfilme hinter sich und steckt in den Schlussproben für ihre Aufführung an der 30-Jahre-Gessnerallee-Feier "Wir retten Zürich". Und neu grünt und blüht es auch ausserhalb der eigenen vier Wände: Die Gartengruppe - eine Kooperation mit dem Selbstversorgungsprojekt "ortolocco", pflanzt und erntet Gemüse, welches dann an den VoKüs gegessen wird. Die erste Ausgabe der "Papierlosenzeitung" ist gedruckt und beinahe vergriffen, und während des Schreibens dieses Textes entsteht gerade das hauseigene Kino.


Auf nach Panama!

Die ASZ ist auch das neue Zuhause des Bleiberechtkollektivs Zürich. Diese Menschen engagieren sich seit langem für eine kollektive Regularisierung aller Menschen in der Schweiz. Dass es hier und heute möglich ist, Menschen zu illegalisieren, dass es möglich ist, Menschen zu entrechteten, dass es möglich ist, Menschen in den Tod zu treiben, ist eigentlich mehr als ein Weckruf - ein Weckruf, dessen Lautstärke nicht zu überhören ist. Zeit also, aufzuwachen. Zeit, um aus der Versenkung aufzutauchen. Denn eigentlich wüssten wir, dass da was nicht stimmen kann. Eigentlich wissen wir, dass da was gewaltig schief läuft. Es ist höchste Zeit, laut und deutlich zu sagen: So nicht, nicht mit uns, nicht mit irgendwem.

Das Fest hatte darum noch ein weiteres Ziel: Geld zu sammeln für ein starkes Zeichen an der Demonstration am 26. Juni 2010 in Bern. An diesem Tag werden sich viele Menschen treffen, um gegen die Asyl- und Migrationspolitik der Schweiz zu demonstrieren. Die ASZ und das Bleiberechtkollektiv sind mit dabei, man darf gespannt sein.

Die Baracke im Güterbahnhof ist inzwischen Panama getauft worden. Die Suche nach dem idealen Land ohne Ausgrenzung, ohne Repression, ohne Hierarchien, die in der berühmten Kindergeschichte von Janosch vorkommt, wurde als Metapher für unseren Kampf genommen. Panama ist ein Ort der Selbstbestimmung und des Selber-Schaffen, ein Ort der Vernetzung, ein offener Raum, der für alternative politische und kulturelle Anlässe genutzt werden kann.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 24/25/2010 - 66. Jahrgang - 25. Juni 2010, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2010