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VORWÄRTS/646: Rückblick - Ein bunter Strauß an Ideen zum 1. Mai 2010


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 18/19 vom 14. Mai 2010

Ein bunter Strauss an Ideen

Von Marco Geissbühler


Der Tag der Arbeit ist nicht nur ein innerlinkes Familientreffen, sondern auch ein politisches Fest. Mit etwas zeitlichem Abstand wollen wir deshalb nochmals die Inhalte der diesjährigen Feierlichkeiten Revue passieren lassen. Ein Überblick auf einen - erstaunlich visionären - 1. Mai anhand dreier Festansprachen aus dem Raum Zürich/Schaffhausen.


Erwartungsgemäss stand der Tag der Arbeit dieses Jahr ganz im Zeichen der Krise: In Reden und Flugblättern prangerten VertreterInnen jeglicher linker Couleur das üble Gebaren der Mächtigen in Wirtschaft und Politik an. Die Herren Merz, Grübel und Dougan kriegten ebenso ihr Fett ab wie die grauen Eminenzen unseres Wirtschaftssystems (auch bekannt als Aktionäre). Speziell bemängelt wurde allerorts, dass dank der bürgerlichen Politik die arbeitende Bevölkerung die Zeche für die Wirtschaftskrise bezahlen muss. Rentenkürzungen, Sparmassnahmen bei der Arbeitslosenversicherung und Massenentlassungen stünden auf dem Programm der Herrschenden. Währenddessen würden die ganz oben - die eigentlichen Verantwortlichen - bereits wieder kräftig abkassieren. "Arbeit, Lohn und Renten statt Profit und Gier", lautete folgerichtig das Motto der Gewerkschaften für den diesjährigen Tag der Arbeit.


Mehr als nur Aktionärsdemokratie

Unia-Gewerkschafterin Vania Alleva illustrierte dieses Thema in ihrer Rede auf dem Zürcher Bürkliplatz am Beispiel der Kartonfabrik Deisswil. Trotz hervorragendem Betriebsergebnis und enormer Renditen habe der weltweit führende Kartonhersteller Meyr-Melnhof beschlossen, den Betrieb in Deisswil stillzulegen. "Zukunftsfähige Produktionsstandorte werden im Interesse immer noch höherer Renditen geopfert", so Alleva. Sie rief dazu auf, sich mit den Arbeitern der Kartonfabrik zu solidarisieren. (Wie weit die Solidarität der Unia allerdings tatsächlich geht, wird sich zeigen, falls die Arbeiter gegen den Willen der Gewerkschaft beschliessen sollten, ihre Kartonfabrik in Eigenregie weiter zu betreiben.) Ansonsten entsprach die Rede dem - freilich sehr wichtigen - realpolitischen Programm der Gewerkschaften für 2010: Kampf gegen den Abbau bei der Arbeitslosenversicherung als defensive, sowie ein gesetzlich verankerter Mindestlohn als offensive Forderung.

Eine erfreulich beherzte Rede hielt die Zürcher SP-Kantonsrätin Hedi Strahm in Winterthur. Sie gemahnte, bei aller populistischen Empörung über Abzocker nicht Entscheidendes zu verdrängen: "Nun sind wir wütend und regen uns über einzelne unverbesserlich gierige Exponenten à la UBS-Ospel, CS-Dougan und Novartis-Vasella auf. Dabei vergessen wir aber oft das Wichtigste: Nicht diese vereinzelten Personen, sondern das gesamte kapitalistische System ist Schuld an diesem Desaster." Die Abzocker hätten nur getan, was unser heutiges Wirtschaftssystem zulasse. Um dem entgegenzuwirken, forderte sie die Anwesenden auf, die Internationale nicht nur zu singen, sondern auch ernst zu nehmen: "Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!" Es gelte, gemeinsam für eine bessere und gerechtere Zukunft zu kämpfen.

Mögliche Auswege aus dem kapitalistischen Elend sieht Strahm in einer konsequenten Demokratisierung der Wirtschaft: "Die Forderung nach Wirtschaftsdemokratie geht weit über Aktionärsdemokratie hinaus. Echte Wirtschaftsdemokratie erlaubt die Mitbestimmung der Angestellten. Wirtschaftsdemokratie bedeutet Mitsprache bei der Ausrichtung der Firma, Teilhabe an Gewinnen und Mitverantwortung bei Verlusten." Dies verhindere kurzfristige, hochspekulative Beteiligungen und die daraus folgende Vernichtung von Firmen, Werten und Arbeitsplätzen.


Weniger Arbeit bei gleichem Lohn

Den Schwerpunkt auf einen anderen Aspekt legte Matthias Frick, seines Zeichens Schaffhauser AL-Kantonsrat, bei seiner Ansprache auf dem Schaffhauser Fronwagplatz. Er kritisierte, dass die Gewerkschaften allzu oft einem bürgerlichen Begriff des Wachstums frönten: Einerseits werde damit Produktivitätswachstum gefordert. Schnellere Maschinen sollen beispielsweise mehr Güter in weniger Zeit produzieren. Diese Form von Wachstum könnte für die arbeitende Bevölkerung immerhin eine Chance sein. Andererseits gehe mit dem Ruf nach Wachstum aber stets einher, dass der sinkende Bedarf an Arbeitskraft durch einen Mehrverkauf von Waren und Dienstleistungen wettgemacht werden soll: "Wachstum durch Steigerung der Produktion. Immer mehr soll konsumiert und gekauft werden. Und das jedes Jahr. Egal, ob wir mehr brauchen oder nicht."

Einen möglichen Ausweg aus dieser Interpretation von Wachstum, die vor allem den Arbeitgebern dient, sieht Frick in einer Arbeitszeitverkürzung bei gleich bleibendem Lohn: "Wir dürfen nicht länger akzeptieren, dass die Einsparung an Arbeitsaufwand ausgeglichen wird durch Mehrproduktion und so nur den Vermögenden zu Gute kommt. Wir wollen die Einsparungen durch Produktivitätswachstum der breiten Masse von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zukommen lassen."


Faire Steuern

Rechtzeitig auf den 1. Mai begann der Berner Gewerkschaftsbund mit der Sammlung für die kantonale Volksinitiative "Faire Steuern - Für Familien". Mit Sammelaktivitäten an allen Maifeiern legte er den Grundstein, damit möglichst rasch die notwendigen Unterschriften beisammen kommen. Die Vorlage beinhaltet drei Elemente: Die Abschaffung der Pauschalsteuer, von der im Kanton Bern rund 200 Personen vor allem in der Gemeinde Saanen profitieren. Die Erhöhung der Kinderabzüge von 6300 auf 8000 Franken, was sich für alle Familien in tieferen Steuern niederschlägt. Und die teilweise Korrektur der Steuersenkungen, die der Grosse Rat im März beschlossen hat. Die GewerkschafterInnen sind überzeugt, dass dieser Vorschlag im Sinne einer Mehrheit der Kantonsbevölkerung ist, die weder Vorzugsbedingungen bei den Steuern erhält, noch ein Interesse hat, dass der Service Public verludert.

Unterschriftenbögen unter www.gkb-gsb.ch.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 18/19 - 66. Jahrgang - 14. Mai 2010, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-
reduziert (AHV, Studenten): Fr. 110.-


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010