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VORWÄRTS/640: Der "vorwärts"


vorwärts - die sozialistische zeitung, 1.-Mai-Ausgabe vom 29.04.2010

Der "vorwärts"

Von Tristan P. Dzikowski


Der "vorwärts" hat Geschichte. Sie ist wechselvoll und eng verknüpft mit der Geschichte der Arbeiterbewegung. Anlässlich des 100. Geburtstages des Vorwärts, 1993, erschien von Simon Spengler die Jubiläums-Schrift "100 Jahre Vorwärts". Aus dieser einige historische Stationen jenes Blattes, das Sie gerade lesen ...


Die Vor- und Frühgeschichte des "Vorwärts" beginnt infolge der Gründung des zweiten Arbeiterbundes Basels im April 1886. Der Zusammenschluss vieler kleiner Organisationen ist stark genug, um eine eigene Zeitung zu tragen. Die ersten zwei Probenummern erschienen im Sommer 1886. Damals nannte sich die Zeitung "Basler Arbeiterfreund" und erschien wöchentlich. Als erster Redaktor zeichnet Wilhelm Arnold. Dessen Sohn Emil wird ab 1926 ebenfalls der Redaktion des dann schon kommunistischen Vorwärts angehören. Der Arbeiterfreund hat eine Auflage von 1200 Exemplaren. Verbreitung findet er im zahlenmässig noch geringen Industrieproletariat und in Kreisen der Handwerker und Kleingewerbler. Ab April 1887 erscheint der Arbeiterfreund schon zweimal wöchentlich, ab dem 27. Dezember gar dreimal. Inzwischen ist Arnold zurückgetreten und ersetzt durch Eugen Wullschleger.

Das dreimalige Erscheinen überfordert die Trägerschaft. Ab 1. Oktober 1888 erscheint der Arbeiterfreund wieder zweimal die Woche. Doch selbst das wird zu teuer. Die Schulden bei der Druckerei sind massiv angestiegen. Neben Spendenkampagnen organisieren die Mitglieder des Arbeiterbundes Feste, Abendveranstaltungen und Tombolas, um mit dem Erlös die Zeitung zu sichern. Diese aufwendige Form der Geldbeschaffung wird die gesamte Geschichte des Arbeiterfreundes und des nachfolgenden Vorwärts begleiten. Permanente Geldknappheit, Schulden bei den jeweiligen Druckereien, fehlendes Budget für Personal und Werbung werden mit dem Vorwärts untrennbar verbunden bleiben. (Auch, wenn er aktuell keine Schulden bei Druckereien hat. Anm. d. Red.).


Tageszeitung

Neue Herausgeberin wird 1890 die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, Sektion Basel. Wullschleger als Redaktor ist zugleich Präsident der Basler SP. 1892 gründet sich zur Unterstützung des Arbeiterfreundes ein "Presseverein", heute würde man sagen "Förderverein". Dieser arbeitet sehr effektiv, so dass im Herbst 1893 aus dem Arbeiterfreund eine Tageszeitung wird - der Vorwärts. Er trägt den Untertitel: "Für die Interessen des arbeitenden Volkes." Herausgeber ist der Arbeiterbund und die SP Basel.

Die tägliche Erscheinungweise macht einen zusätzlichen Redaktor notwendig. Wer dies werden soll, darüber wird zwischen Gemässigten und Radikalen gestritten. 1894 schreitet der Presseverein ein und gründet eine Genossenschaft, in welche Eigentumsrecht und Betrieb des Vorwärts übergehen. Die radikalere Strömung unterliegt, die zweite Stelle wird gestrichen. Zu dieser Zeit hat der Vorwärts eine Auflage von 2500. Er ist die einzige Tageszeitung der Schweizer Arbeiterbewegung.

1897 verlässt Wullschleger den Vorwärts und stürzt ihn damit in eine tiefe Krise. Im gleichen Jahr wird aus dem Vorwärts der "Basler Vorwärts". Durch das Engagement Einzelner gelingt die Konsolidierung. Was folgt, ist der Aufschwung der Arbeiterbewegung, die SP gewinnt immer mehr an Einfluss. Wichtig in den Folgejahren werden die Burgfriedenpolitik und der Generalstreik. Mit zunehmender Not in den Kriegsjahren (1914-1918) wird innerhalb des linken SP-Flügels und in den Gewerkschaften die Kritik an der Burgfriedenpolitik immer lauter. Die europäische Sozialdemokratie hatte für die Aufstockung des Militärbudgets gestimmt. Der Vorwärts veröffentlicht zwar Kritik, nimmt aber keine klare Position ein. Und mit dem Scheitern des landesweiten Generalstreiks 1918 kommt die einheitlich organisierte Arbeiterbewegung an ihr Ende.

Die Oktoberrevolution und der Gründungskongress der Dritten Internationalen in Moskau stellen 1919 auch die Schweizer SP vor die Frage, ob sie sich der Komintern anschliessen solle. Der Vorwärts liegt strikt auf Beitrittskurs. 1920 fällt der Entscheid: kein Beitritt. Zunehmend grenzt sich ein revolutionärer Flügel ab. Schon 1919 vereinigen sich an verschiedenen Orten der Schweiz linksradikale Gruppen zur "Kommunistischen Partei der Schweiz", die so genannten "Altkommunisten". Gemeinsam mit der Parteilinken der SP gründen sie 1921 die KPS. Der Vorwärts wird ihr offizielles Organ.


Vom Zweiten Weltkrieg bis heute

Mit dem aufkommenden Faschismus in Europa kommt es in den 30er Jahren zur offenen Verfolgung von Kommunisten durch den bürgerlichen Staat. Die KPS wird 1940 verboten. In der Illegalität wird weitergearbeitet. 1944 kommt es zum Gründungskongress der Partei der Arbeit (PdA). Diese versteht sich nicht als ungebrochene Fortsetzung der noch verbotenen KPS; vielmehr ist sie als linke Partei neuen Stils zu beschreiben. Sie versteht sich als Organisation, die alle Kräfte links der SP vereinen will. 1945 erscheint der neu gegründete Vorwärts wöchentlich mit jeweils 16 Seiten. Die Auflage steigt immens, auf 30000 Exemplare, finanziert allerdings auf Pump. Ab Dezember 1945 erscheint er täglich. Im Spätsommer 1946 dann folgt der Finanzkrach. Die Partei kann die Druckkosten nicht mehr bezahlen. Der Vorwärts kann nicht mehr erscheinen.


Weltoffen und antikapitalistisch

Doch 1947 ist das Wiedergeburtsjahr, allerdings mit nur mehr 8000 Abos 1948. Vor allem der Kalte Krieg setzt dem Blatt zu. Aber auch die Ereignisse dieser Zeit in den Ländern des sozialistischen Lagers. Im Jahr 1956 bleiben noch 3000 Abos. Der Vorwärts ist gezwungen, seine tägliche Erscheinungsweise aufzugeben. Ab 1957 erscheint er wöchentlich. Und heute? Herausgeberin des Vorwärts bleibt die PdA, die Redaktion hingegen setzt sich aus Angehörigen der verschiedensten linken Strömungen zusammen. Dies macht den Vorwärts zu einer weltoffenen, antikapitalistischen Zeitung. Er erscheint alle 14 Tage - das Projekt "Wochenzeitung" bleibt Wunsch und Ziel der Redaktion. Aktuelle Abozahl: etwa 1200.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
1.-Mai-Ausgabe - 66. Jahrgang - 29. April 2010, S. 10
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-
reduziert (AHV, Studenten): Fr. 110.-


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2010