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VORWÄRTS/573: Bleiberecht für IrakerInnen!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 45/46/08 vom 19. Dezember 2008

Bleiberecht für IrakerInnen!


luk. Ende November fand in Luzern eine Demonstration für ein Bleiberecht irakischer Flüchtlinge statt. Immer mehr IrakerInnen verlieren ihre Aufenthaltsbewilligung und werden in ihr Heimatland ausgeschafft - ein Land, in dem nach wie vor Krieg und Gewalt herrscht.


Etwa 90 Personen versammeln sich am Freitag, 28. November, auf dem Helvetiaplatz in Luzern. Sie tragen ein Transparent - "Bleiberecht für alle irakischen Flüchtlinge!" - und zahlreiche Schilder mit Parolen wie "Das irakische Kurdistan hat keine Sicherheit!". Die meisten der Demonstrierenden sind Iraker, aber auch Schweizer Aktivisten nehmen an der Kundgebung teil. Ihr Ziel ist das Amt für Migration des Kantons Luzern. Sie rufen Parolen: "No border, no nation, stop deportation!", "Ausschaffung stop!" und "Freiheit für Schamal!". - Ahmad Schamal sitzt in Luzern in Ausschaffungshaft. Wie viele andere Iraker soll er in den Irak zurückgeschickt werden - denn das Bundesamt für Migration hat den kurdischen Nordirak zu einem sicheren Gebiet erklärt. Etwa 7000 irakische Flüchtlinge leben in der Schweiz. Sie sind geflüchtet, weil es in ihrer Heimat unsicher war, sie verfolgt wurden: Unter dem Regime Saddam Husseins, im Krieg, während der Besatzung. Während die Menge vor dem Amt für Migration warten, betreten zwei irakische Männer das Gebäude. Einer davon: Ahmad Muhammed, Sekretär der Internationalen Föderation irakischer Flüchtlinge (IFIR), welche die Demonstration organisiert hat. Während die anderen vor dem Amt warten, reden die beiden mit den Behörden - natürlich ohne Ergebnis: Sie werden darauf verwiesen, dass das kantonale Amt nicht zuständig sei.


Keine Sicherheit

"Schamal ist nur ein Beispiel. Fast täglich erreichen uns Nachrichten von Irakern, welche die Aufenthaltsbewilligung verlieren oder ausgeschafft werden sollen. Der Nordirak wird von den Behörden für eine Rückkehr als genug sicher eingestuft", erklärt Ahmad später. Als Beispiele führt er an: "Gerade letzte Woche sind im irakischen Kurdistan 75 Menschen bei einem Attentat ums Leben gekommen. Über 100 wurden verletzt. Und es fanden Bombardements im irakischen Kurdistan statt von der Türkei und vom Iran." Ahmad gehört der Arbeiterkommunistischen Partei im Irak an. Unter Saddam Hussein war sie verboten - heute ist sie verboten. Die beiden regierenden Parteien im Nordirak, die Patriotische Union Kurdistans PUK und die Kurdische Demokratische Partei KDP, sind gegen die Kommunisten gnadenlos vorgegangen. "Viele wurden getötet. Die Gefängnisse sind voll von politischen Gefangenen! Und an jeder Kundgebung werden Menschen getötet. Menschen die für Wasser, Brot oder Arbeit demonstrierten!" Aber nicht nur die Regierung, auch die islamistischen Gruppierungen seien eine Katastrophe: "Wo die Islamisten an der Macht sind, haben Frauen keine Rechte. Musik und Theater sind verboten." Während aber die Kommunisten verboten und verfolgt werden, wird gegen die Islamisten faktisch nichts unternommen. "Terroristen haben mehr Freiheiten als wir!", klagt Ahmad. Auch die ethnischen Konflikte die manchmal bürgerkriegsähnliche Ausmasse annehmend, sind für die miserable Lage der irakischen Bevölkerung verantwortlich. "In Kirkuk zum Beispiel leben irakische Türken, irakische Kurden und irakische Araber. Da gibt es Auseinandersetzungen, in denen sie sich alle gegenseitig töten. Und überall im Land bestehen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten", erzählt er und bringt auf den Punkt, was die Schweiz verneint und verleugnet: "Im Nordirak haben die Menschen keine Freiheit und keine Sicherheit."


Situation immer schlimmer

Schon unter dem Regime Saddam Husseins sind viele Menschen, politisch oder ethisch Verfolgte, aus dem Irak geflohen. Doch bereits 1999 wurde das irakische Kurdistan von den Schweizer Migrationsbehörden zum sicheren Gebiet erklärt - das Gebiet, auf dem Saddam ein paar Jahre zuvor im ersten Golfkrieg Gifgasangriffe gegen die Bevölkerung durchgeführt hatte. Die Schweiz nahm nur noch in Ausnahmefällen irakische Flüchtlinge auf. Meistens gab es einen negativen Asylentscheid. Viele Flüchtlinge blieben aber illegal weiter in der Schweiz. Heute leben hier etwa 1800 Iraker ohne Aufenthaltsbewilligung.

Das Jahr 2003, der Beginn der US-Invasion im Irak sei aber eine Zäsur gewesen. Ganz Irak war offensichtlich Kriegsgebiet, es wurden Aufenthaltsbewilligungen erteilt. Die meisten vom Typ F notabene. Das heisst, dass die Behörden die Bewilligung jedes Jahr wieder erneuern müssen. Und genau dies wollen heute die Migrationsämter nicht mehr tun: "In diesem Jahr wurden F-Bewilligungen nicht mehr verlängert. Im April 2007 und September 2008 war eine schweizerische Delegation bei der Regierung im Nordirak, und dieses Gebiet wurde als sicher erklärt", erklärt Ahmad. "Vor zwei Wochen sollte Ari Rubati von Sion nach Kurdistan ausgeschafft werden. Er war in der Schweiz mit einer Türkin verheiratet. Doch diese Ehe wurde kurzerhand zur Scheinehe erklärt, sodass die Ausschaffung möglich wurde. Er weigerte sich Jedoch, zurück in den Irak zu fliegen, weshalb man ihn in Ausschaffungshaft versetzte. Es gibt täglich solche Geschichten", betont Ahmad. "Ich weiss von Jemandem, Ali Muhammed, der freiwillig in den Irak zurückgegangen ist und doch getötet wurde. Letzte Woche haben zwei Iraker in Auslieferungshaft in Grossbritannien Suizid begangen."

Die Situation für die irakischen Flüchtlinge werde immer schlimmer, sagt Ahmad. Die IFIR versucht, auf die irakischen Flüchtlinge aufmerksam zu machen. "Die Demonstration in Luzern ist keine nationale Demo. Wir planen, eine grosse Demonstration in Bern", sagt Ahmad. Und dafür sei Hilfe notwendig, von Menschenrechtsgruppen und von anderen, "um Druck auf die Regierung zu machen".


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46/2008 - 64. Jahrgang - 19. Dezember 2008, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2009