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STREIFZÜGE/043: Zeitschrift des Kritischen Kreises, Nr. 70, Sommer 2017


Streifzüge Nummer 70, Sommer 2017
Magazinierte Transformationslust

Zeitschrift des Kritischen Kreises - Verein für gesellschaftliche Transformationskunde


INHALTSVERZEICHNIS

Franz Schandl: Einlauf - Gebrauchswert

Emmerich Nyikos: Vorwand und Rache
Der Gebrauchswert in der bürgerlichen Gesellschaft

Roman Rosdolsky: Der Gebrauchswert bei Karl Marx.
Eine Kritik der bisherigen Marx-Interpretation

KASTEN
Roman Rosdolsky: Der esoterische und der exoterische Marx.
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen. Er ist zu finden unter:
http://www.streifzuege.org/2017/der-esoterische-und-der-exoterische-marx#more-20439

Marlene Radl und Verena Rauch: Weiblich, nützlich, gut?
Marxistisch-feministische Überlegungen zum Gebrauchswert

Franz Schandl: Das unschuldige Ding
Facetten und Tücken des Gebrauchswerts

Lorenz Glatz: Anmerkung zu "Gebrauch"

Lars Distelhorst: Nützlichkeit verdummt!

Knut Hüller: Wider den Gebrauchswert(begriff)

Peter Samol: Der "beruhigende" Terror des Geldes

Marianne Gronemeyer: Diktatur des Effizienzdenkens

Kolumnen
Immaterial World: Stefan Meretz
Dead Men Working: Maria Wölflingseder
Rückkopplungen: Roger Behrens

Rubrik 2000 Zeichen abwärts
Karl Marx: Gepfropfte Bedeutung oder: Das Wort Wert
Karl Kollmann: So wird's nichts werden ...
Lorenz Glatz: Frühstückslektüre

*

Einlauf

von Franz Schandl

Es könnte schon sein, dass das eigentlich fad ist, das mit dem Gebrauchswert. Schon einen solchen Titel auf das Cover zu drucken, lässt einen altvaterisch erscheinen. Das sind wir zweifelsohne und gerade deswegen wiederum auch nicht.

Wir sind unbelehrbar. Das Dechiffrierungsprogramm aller gesellschaftlichen Werte und ihrer fetischistischen Selbstverständlichkeiten hat nach wie vor seinen Reiz. Die Geilheit scholastischer Exegese, die nichts anderes ist als Transformationskunde in den Eingeweiden, möge man uns nicht nur nachsehen. Ab und zu brauchen wir das, und den geschätzten Leserinnen und Lesern sollten die seltsamen Ergebnisse nicht vorenthalten werden. Sie sollten sich vielmehr durchaus darauf einlassen. Nachher geht es ihnen zwar nicht besser, aber die Ahnung über die gesellschaftlichen Zustände und das Staunen über deren Verrücktheit wird größer. Die Dosis ist heftig, aber erst sie bringt das Delirium so richtig in Schwung.

Diese Nummer könnte durchaus Roman Rosdolsky (1898-1967) gewidmet sein. Wir haben ihm einiges zu verdanken, nicht nur die Differenzierung in einen exoterischen und einen esoterischen Marx. Seinen wegweisenden Aufsatz zu unserem Thema haben wir hier (erstmals nach vielen Jahren) wieder publiziert. Ohne Rosdolsky wäre die Ausgabe nicht so geworden wie sie ist.

Die Dynamik der Frage jedenfalls war keineswegs zu unterschätzen. "Es gibt keine Landstraße für die Wissenschaft, und nur diejenigen haben Aussicht, ihre lichten Höhen zu erreichen, die die Mühe nicht scheuen, ihre steilen Pfade zu erklimmen." (MEW 23, S. 31) Zu Marx planen wir übrigens im nächsten Sommer einen eigenen Schwerpunkt und sind schon gespannt, was dabei rauskommt. Ausgereizt ist der noch lange nicht.

Das nächste Mal wird es dafür wieder um eine Spur profaner, da geht es um die Arbeit und wie wir sie loswerden könnten, ohne in der kapitalen Arbeitslosigkeit zu landen.

PS: Beachtung verlangt wie immer die vorvorletzte Seite. Da geht es um unsere Fütterung, die nicht vernachlässigt werden darf.

*

Vorwand und Rache
Der Gebrauchswert in der bürgerlichen Gesellschaft

von Emmerich Nyikos


Mensch und Sache

Während der Wert einer Ware eine Relation zwischen Mensch und Mensch reflektiert, ein gesellschaftliches Verhältnis, das Verhältnis mithin zwischen Privatproduzenten, die nichtsdestotrotz, obgleich unbewusst (und deswegen auch planlos), kollaborieren, der Tauschwert dagegen eine Relation zwischen den Sachen, den Waren, reflektiert der Gebrauchswert das Verhältnis zwischen Sache und Mensch, Mensch und Gegenstand oder Ding. Oder wie es Marx formuliert hat: "Der Gebrauchswert drückt die Naturbeziehung zwischen Dingen und Menschen aus, in fact das Dasein der Dinge für den Menschen." (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, in: MEW 26.3, S. 291)

Man könnte auch sagen: Der Gebrauchswert ist die Gesamtheit der Eigenschaften einer gegebenen Sache, die sich als brauchbar im Hinblick auf das menschliche Leben erweisen, mithin auf die Praxis, sei diese nun produktiver oder konsumtiver Natur.

Dabei bedeutet "Gebrauchswert" eben nicht "Nützlichkeit" oder "Nutzen", ein Konzept, das auf die subjektiven Vorstellungen abzielt, die sich die Verbraucher von den Gebrauchsdingen machen und die von den Marginalisten ins Zentrum ihrer Überlegungen gerückt worden sind. "Note that, according to Marx, the use-value of an object does not reside purely in the mind of the human consumer or owner; it has an external manifestation in the object itself. This contradicts the neoclassical notion of utility, which relates to subjective satisfaction." (G. Hodgson, Marx Without the Labour Theory of Value, in: Revue of Radical Political Economics 14 (1982), S. 61) Der Gebrauchswert ist demgegenüber die Einheit von "natürlicher Besonderheit" einer Sache und dem "besonderen natürlichen Bedürfnis", das ein Verbraucher nach dieser Sache verspürt (vgl. K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Dietz (1953), S. 154). Und an anderer Stelle sagt Marx: "... es ist durch seine eigne property, seine eignen Eigenschaften, daß ein Ding Gebrauchswert und daher ein Element des Reichtums für den Menschen ist. Nimm der Traube die Eigenschaften, die sie zur Traube machen, so hört der Gebrauchswert, den sie als Traube für den Menschen hat, auf; und sie hat aufgehört als Traube ein Element des Reichtums zu sein. Riches als identisch mit Gebrauchswerten sind properties of things that are made use of by man and which express a relation to their wants." (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, S. 126f.)

Ist nun zwar der Gebrauchswert nicht von seinen objektiven properties zu trennen, so gilt andererseits aber auch, dass eine Sache zu einem Gebrauchswert nur im Verbrauch wird oder nur im Hinblick auf den Verbrauch Gebrauchswertcharakter besitzt: "Der Gebrauchswert betätigt sich nur in der Konsumtion." (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, S. 185) Jenseits des Konsums ist eine Sache nur potentieller Gebrauchswert; zu einem Gebrauchswert im eigentlichen Sinne wird sie erst dann, wenn sie in ein konsumtives Verhältnis zu den Verbrauchenden tritt. Das Erdöl, das seit Jahrmillionen unter der Erde einen Dornröschenschlaf schlief, wurde erst dann zu einem Gebrauchswert, als es in Benzinmotoren oder als Rohstoff für Plastik genutzt werden konnte. Davor war es nichts weiter als ein Naturstoff. "... ein Kleid wird erst wirklich Kleid durch den Akt des Tragens; ein Haus, das nicht bewohnt wird, ist in fact kein wirkliches Haus; also als Produkt, im Unterschied von bloßem Naturgegenstand, bewährt sich, wird das Produkt erst in der Konsumtion." (K. Marx, Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW 13, S. 623) Und an anderer Stelle heißt es: "Der Gebrauchswert hat nur Wert für den Gebrauch und sein Dasein für den Gebrauch ist nur ein Dasein als Gegenstand der consommation, sein Dasein in der consommation." (K. Marx, Theorien über den Mehrwert I, in: MEW 26.1, S. 271)

Kern und Accessoires

Jeder Gebrauchswert weist einen "Gebrauchswertkern" auf und daneben diverse "Gebrauchswertaccessoires": so etwa im Falle eines Personenkraftwagens die Fähigkeit zum Transport von Menschen und Sachen auf der einen und die Anzahl der Türen, die Gangzahl, der Airbag usw. auf der anderen Seite.

Dimensionen

Der Gebrauchswert einer Sache ist die Einheit dreier Dimensionen:
1. die funktionelle (oder instrumentelle) Dimension, die im Prinzip mit dem Gebrauchswertkern korreliert;

2. die kommunikative (oder semiotische) Dimension, d.h. der Umstand, dass mit einer Sache Bedeutungen transportiert werden können;

3. die ästhetische Dimension, die mit der Entbanalisierung der Dinge zu tun hat.

Je nach dem relativen Gewicht der drei Dimensionen kann man zwischen verschiedenen Gebrauchswertkategorien unterscheiden: Überwiegt der ästhetische Wert, dann handelt es sich um ein ästhetisches Faktum (ein "Kunstwerk"), überwiegt der kommunikative, dann hat man es mit Signa zu tun (cf. Abzeichen, Fahnen, Schleifen und Schärpen), überwiegt schließlich der funktionelle, dann spricht man von profanen Gebrauchsgegenständen (cf. ein Laib Brot oder ein Besen).

Normalerweise jedoch sind diese drei Dimensionen in einem Gegenstand harmonisch vereint: so im Falle der Kleidung, die vor Kälte, Hitze, Nässe und Sonnenstrahlen schützt, zugleich aber auch Bedeutungen zu transportieren vermag (die Polizeiuniform, der Purpur des Kaisers, die Zimmermannsjacke) und nicht zuletzt den Träger/die Trägerin "verschönert" oder sie, was auf dasselbe hinausläuft, aus dem Grau des Alltags heraushebt.

Gebrauchswert und Wert

Eine Sache, die als Gebrauchswert fungiert, muss nicht auch zugleich eine Wert-Sache sein, was sich für vorkapitalistische Produktionsweisen von alleine versteht, aber auch für das Kapitalsystem gilt: "Ein Ding kann Gebrauchswert sein, ohne Wert zu sein. Es ist dies der Fall, wenn sein Nutzen für den Menschen nicht durch Arbeit vermittelt ist. So Luft, jungfräulicher Boden, natürliche Wiesen, wildwachsendes Holz usw." (K. Marx, Das Kapital I, in: MEW 23, S. 55)

Umgekehrt gilt aber auch, dass es den Wert ohne Gebrauchswert nicht gibt, wie Ricardo schon wusste: "Nützlichkeit ist also nicht das Maß des Tauschwertes, obwohl sie absolut notwendig für ihn ist. Wenn eine Ware in keiner Weise nützlich wäre ..., so würde ihr jedweder Tauschwert mangeln, gleichgültig, wie selten sie sei oder wie viel Arbeit notwendig wäre, um sie zu beschaffen." (D. Ricardo, Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, Europäische Verlagsanstalt (1980), S. 399) Oder in den Worten von Marx: "Alle Waren verderben in bestimmter Zeit, obgleich die ultima Thule ihres Daseins verschieden. Werden sie nicht von den Menschen konsumiert (für die Produktion oder individuelle Konsumtion), so werden sie von den elementarischen Naturkräften konsumiert. Sie verschlechtern, schließlich verderben sie. Geht ihr Gebrauchswert kaputt, so geht ihr Tauschwert zum Teufel, und mit ihrer Reproduktion ist es am Ende." (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, S. 431)

Kurz zusammengefasst: "Gebrauchswert zu sein scheint notwendige Voraussetzung für die Ware, aber Ware zu sein gleichgültige Bestimmung für den Gebrauchswert." (K. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW 13, S. 16)

Nicht-Gebrauchswert

Die Ware ist ein Gebrauchswert, aber zugleich ist sie es nicht: "Die Ware ist Gebrauchswert, Weizen, Leinwand, Diamant, Maschine etc., aber als Ware ist sie zugleich nicht Gebrauchswert. Wäre sie Gebrauchswert für ihren Besitzer, d.h. unmittelbar Mittel zur Befriedigung seiner eignen Bedürfnisse, so wäre sie nicht Ware. Für ihn ist sie vielmehr Nicht-Gebrauchswert, nämlich bloß stofflicher Träger des Tauschwerts, oder bloßes Tauschmittel; als aktiver Träger des Tauschwerts wird der Gebrauchswert Tauschmittel. Für ihn ist sie Gebrauchswert nur noch als Tauschwert. Als Gebrauchswert muß sie daher erst werden, zunächst für andere." (K. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 28)

Der Wert ist somit, so könnte man sagen, "gesellschaftlicher Gebrauchswert": "Um Ware zu produzieren, muß er (der Produzent, N.E.) nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andre, gesellschaftlichen Gebrauchswert." (K. Marx, Das Kapital I, S. 55) Und in den Randglossen heißt es: "... dort, wo Warenproduktion das Herrschende, (muß) der Gebrauchswert, den ein Produzent liefert, 'Gebrauchswert für andre' und in diesem Sinn 'gesellschaftlicher Gebrauchswert' sein ..." (K. Marx, Randglossen zu Adolph Wagners "Lehrbuch der politischen Ökonomie", in: MEW 19, S. 374)

Two Nations: Absolute Alterität

Der Wert einer Ware hat mit ihrem Gebrauchswert absolut nichts zu tun: "Als Werte sind die Waren gesellschaftliche Größen, also von ihren 'properties' as 'things' absolut Verschiednes. Sie stellen als values nur Verhältnisse der Menschen in ihrer productive activity dar." (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, S. 127) Der Wert oder die Austauschbarkeit (und weiter: der Grad der Austauschfähigkeit einer Ware) ist, so könnte man sagen, nichts als das spezifische gesellschaftliche Gewicht dieser Ware in Relation zu allen anderen Waren, ein Gewicht, das dem aliquoten Anteil dieser Ware an der gesamtgesellschaftlichen Arbeitszeit korrespondiert. Und dies ist unabhängig von ihrem Gebrauchswert.

Und als Kollorarium dazu: Als Gebrauchswerte sind Waren verschieden, als Werte dagegen sind sie substantiell gleich: "Whereas commodities are materially heterogeneous as use values, they are socially homogeneous as value." (T.T. Sekine, An Uno School Seminar on the Theory of Value, in: Science & Society 48 (1984/85), S. 420) Die qualitative Gleichheit jedoch impliziert die quantitative Verschiedenheit der Waren als Werte: "Als Werte sind alle Waren qualitativ gleich und nur quantitativ unterschieden ..." (K. Marx, Grundrisse, S. 59)

Das Wertparadox

Schon Denker wie Pufendorf, Hutcheson oder auch Adam Smith wussten: "Die Gegenstände, die den größten Gebrauchswert haben, besitzen häufig einen geringen oder gar keinen Tauschwert, während andererseits diejenigen, die den größten Tauschwert haben, oft einen geringen oder gar keinen Gebrauchswert besitzen. Nichts ist nützlicher als Wasser, aber man kann damit kaum etwas kaufen oder eintauschen. Ein Diamant hingegen hat kaum irgendeinen Gebrauchswert, aber eine große Menge anderer Waren ist häufig dafür im Austausch erhältlich." (A. Smith, Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen, Akademie-Verlag (1963), Bd. 1, S. 38f.) Und ebenso David Ricardo: "Wasser und Luft sind außerordentlich nützlich; sie sind sogar für unsere Existenz unentbehrlich, und doch erhält man unter normalen Umständen nichts im Austausch für sie. Hingegen kann man für Gold, obwohl es im Vergleich mit Luft oder Wasser nur geringen Nutzen besitzt, eine große Menge anderer Waren eintauschen." (D. Ricardo, Über die Grundsätze ..., S. 9)

Dies allein schon hätte ausreichen müssen, die Marginalisten - Menger, Jevons, Walras (und ihre modernen Adepten) - von der Dummheit abzuhalten, den "Nutzen" als Angelpunkt der politischen Ökonomie zu betrachten. Doch offenbar ging es hier lediglich darum, einen weiteren Schleier über die Produktionsverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft zu werfen.

Wertlosigkeit

Dinge, deren Gebrauchswert als lebensnotwendig erscheint, die aber nicht als Ware an der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit partizipieren und so bar jeden Werts sind - das Wasser, die Luft und die Erde -, werden ebendeswegen, weil sie wert-los sind und daher als Gratisgabe erscheinen, im System der kapitalistischen Produktion durch Raubbau, Verschmutzung oder sonstwie vernichtet. Hier rächt sich, dass nur die Ware "Wert hat" und nicht auch der Gebrauchswert als solcher.

Ancilla valoris: Kapital und Gebrauchswert

Für das Kapitalsystem oder die bürgerliche Gesellschaft (und selbst für ein primitives Warensystem, wenn auch hier noch nicht so prononciert und extrem) ist der Gebrauchswert der Waren unerheblich, belanglos, im Prinzip ganz ohne Bedeutung: "Der Gebrauchswert ist überhaupt nicht das Ding qu'on aime pour lui-même in der Warenproduktion. Gebrauchswerte werden hier überhaupt nur produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwertes sind." (K. Marx, Das Kapital I, S. 201)

In der bürgerlichen Gesellschaft wird nur das produziert, was Profit bringt; was keinen Profit abwerfen kann, wird nicht produziert, welchen Gebrauchswert es für die Gesellschaft auch sonst haben mag. Ohne äußeren (staatlichen) Zwang, in "völliger Freiheit", hätte das Kapital Klär- und Filteranlagen, die im Grunde nichts anderes sind als faux frais de production, nie appliziert (und sie wären daher auch nie hergestellt worden), Anlagen, deren Gebrauchswert indes offenbar ist.

Andererseits: Selbst Dinge, die über keinerlei (funktionellen) Gebrauchswert verfügen, wie etwa Exkremente in Dosen, würde man en masse produzieren, sofern nur das Publikum sie käuflich erwürbe, in der Einbildung nämlich, dass sie über einen Gebrauchswert verfügten, und sei es nur über den, Imitat eines Kunstwerks zu sein.

In einem kapitalistischen Warensystem ist der Gebrauchswert nichts als der Vorwand der Produktion von Profit. Oder wie es Marx so schön formuliert hat: "Die Stahlmacherei ist bloßer Vorwand der Plusmacherei." (K. Marx, Das Kapital I, S. 278) Und ebenso an einer anderen Stelle: "Die Produktion des Kattuns ist nur ein Mittel für die Produktion des Profits." (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, S. 12) Der Arbeitsprozess (und mit ihm der Gebrauchswert) erscheint so "nur als Mittel, der Verwertungsprozeß oder die Produktion von Mehrwert als Zweck." (K. Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Dietz (1988), S. 39)

Was in früheren Produktionsweisen das Zentrum der Produktionsprozesse war, der Gebrauchswert, das wird in der kapitalistischen zur Peripherie: "Marx hat den Hauptunterschied zwischen der kapitalistischen und anderen Produktionsweisen dadurch bestimmt, dass die anderen Produktionsweisen im wesentlichen auf irgendwessen Konsum ausgerichtet waren, während die kapitalistische Produktionsweise auf die Produktion von abstraktem Reichtum abzielt. Deswegen hat für die anderen Produktionsweisen der Gebrauchswert eine entscheidende Bedeutung, während er in der kapitalistischen irrelevant wird, weil hier die Produktion auf Reichtum und seine Rückverwandlung in Reichtum ausgerichtet ist." (C. Napoleoni, Ricardo und Marx, Suhrkamp (1974), S. 125f.)

Daran mag man die Perversität der bürgerlichen Gesellschaft ermessen: Denn wie der Perverse den eigentlichen Zweck (die sexuelle Satisfaktion) nur erreicht, wenn er zugleich Handlungen ausführt, die völlig irrelevant im Hinblick auf diese Finalität sind, so kann die bürgerliche Gesellschaft nur dann überleben - sich ernähren, wohnen, sich kleiden oder sonst wie ihr Leben gestalten -, wenn sie die Produktion von Gebrauchswert in die Produktion von Profit, von Surpluswert, kleidet, ein "Verhalten", das an und für sich überhaupt nichts mit der Produktion von Gebrauchswert zu tun hat. Denn es ist immerhin denkbar, dass der gesamte Produktionsapparat, in der Hand der Gesellschaft und nicht von Privateigentümern (Aktionären) vereint, wie ein Betrieb organisiert wird, so dass Austausch und Geld der bewussten Planung den Platz räumen müssen und der Gebrauchswert (durch das Denken mit Blick auf ästhetische und ökologische Rücksichtnahmen "gezähmt") zum alleinigen Kriterium der Produktion avanciert.

Der Gebrauchswert im Schlepptau

Wie gering auch immer der Wert pro Wareneinheit sein mag, die Masse des Werts - und damit, ceteris paribus, auch der Profit - vergrößert sich mit dem Gesamtvolumen der Waren. Daher der Impuls, so viel wie möglich produzieren zu lassen, der Impuls mithin zum unaufhörlichen "Wachstum". Es versteht sich von selbst, dass dies impliziert, dass das Gebrauchswertvolumen als materieller Träger des Werts zugleich expandiert. Während nun aber der Wert ein rein "gesellschaftliches Dasein" besitzt, ist der Gebrauchswert an materielle Faktoren gebunden, an Ressourcen aus der natürlichen Umwelt, die mit dem Wachstum, eben weil sie begrenzt sind, gar nicht mithalten können. - Dass hier ein Limit gesetzt ist, über welches man nicht ungestraft hinweggehen kann, das versteht sich von selbst.

Der Gebrauchswert, der überflüssig und unnötig ist

Hinzu kommt, dass die bürgerliche Gesellschaft als solche Aktivitäten miteinschließt, die nur existieren, weil die Gesellschaft bürgerlich ist: Kommerz, Public Relations, Reklame, Bank- und Versicherungswesen und was es dergleichen noch mehr gibt. Ganz zu schweigen von der Rüstung, die zwar nicht speziell bürgerlich ist, aber doch ganz in das Bild passt. Und all dies involviert den Konsum von Gebrauchsgegenständen, die nicht produziert werden müssten, wenn die Gesellschaft - nicht bürgerlich wäre.

Da nun die Gesellschaft bürgerlich ist und somit die Arbeitskraft Ware, ist es überdies klar, dass der Verkauf des Arbeitsvermögens einen absoluten Verlust von Lebenssubstanz impliziert, einen Verlust, der im Lohn durch ein Abstraktum, das Geld, kompensiert wird und deswegen anschließend nur durch den Konsum von Gebrauchswerten wettgemacht werden kann (soweit dies der Lohnrahmen zulässt). Denn da die Arbeit "abstrakt" (und nicht kreativ) ist - zerteilt, wie sie ist -, bedarf es eines Konkreten, um die Leerstelle erneut aufzufüllen, die die Lohnarbeit hinterlässt, und dieses Konkrete kann nicht das Geld, das Abstraktum an sich, sondern nur der Gebrauchswert, der eben konkret ist, in der Form von Konsumgütern sein. Das Werden ist durch das Haben ersetzt. Würde man demgegenüber über free time für "freie Aktivität" disponieren - und nicht über "Freizeit", die nichts anderes ist als die Zeit zur Regeneration des Arbeitsvermögens -, so bräuchte es einen Großteil der Konsumwaren nicht.

Schließlich fielen schlicht viele Gebrauchswerte weg, wenn die herrschende Klasse (mitsamt ihrem Staat) im Museum der Altertümer verschwände: der Luxus, der dazu dient, von dem profanen Rest der Gesellschaft sich ostentativ abzuheben, die Prestige-Projekte, die der Staat zur höheren Ehre der Bourgeoisie finanziert, und nicht zuletzt auch all dies, was als Repräsentationskosten der Kapitalgesellschaften und ihrer Exekutivkader anfällt.

Nullsummenspiel

Es gibt einen Film von Alexander Mackendrick, in welchem Sir Alec Guinness, The Man in the White Suit, eine Faser erfindet, die nicht zerreißt und nicht verschmutzt, und so den Ruin einer gesamten Branche herbeiführt.

Diese Parabel trifft den Nagel durchaus auf den Kopf: Denn wenn die Gebrauchswerte nie verderben würden, so wäre es - sofern man ein rationales Verhalten auf Seiten der Verbraucher voraussetzen könnte - mit der bürgerlichen Gesellschaft binnen kurzem vorbei. Wenn der Bedarf (die Nachfrage also) auf null sich verringert (oder beinahe auf null), dann hört sich der Warenkauf auf, und wenn es keine Käufe mehr gibt, dann gibt es auch keinen Verkauf, und ohne Verkäufe gibt es keine Verwertung - und ohne Verwertung gibt es keinen Profit.

Umgekehrt gilt aber auch: Je kürzer die Lebenszeit eines Gebrauchswertes ist, desto mehr kann von dem korrespondierenden Warentyp hergestellt werden und desto größer ist schließlich die Masse des Werts (und somit der Profit) der betreffenden Branche.

Es ist ein Nullsummenspiel: Was jede Ware (als Exemplar) an Lebensdauer gewinnt, das geht auf Kosten der Nachfragemenge. Und was sie an Lebensdauer verliert, das kommt der Ware (als Kategorie) mit Blick auf den Absatz zugute.

Es versteht sich von selbst, dass dieses Verhältnis, verkehrt proportional, wie es ist, von den Kapitalentitäten aktiv ausgenutzt wird: Die Strategie besteht gerade darin, die Lebenszeit der Waren auf die eine oder andere Art zu verkürzen.

Hier sei auf das, was man "geplante Obsoleszenz" genannt hat, verwiesen, den Umstand, dass Geräte und Apparaturen oft dazu neigen - meist kurz nach Garantieablauf -, ihren Geist aufzugeben, wobei die nötige Reparatur dann teurer kommt als der Neukauf oder, wenn es extrem wird, die Sachen überhaupt nicht mehr zu reparieren sind. Schwer dürfte es allerdings sein nachzuweisen, dass diese rasche Veraltung Absicht der Kapitalgesellschaften ist. Nun, ist es nicht Absicht, dann ist es Unvermögen.

Neben dieser physischen gibt es allerdings auch eine moralische Veraltung der Waren, und diese ist durchaus intendiert: Mode, Wechsel des Modells und Inkompatibilität von Software und Hardware.

Was heute à la mode, ist morgen out of fashion. Die "Erneuerung", ohne dass sich dabei etwas grundlegend ändert, ist im Prinzip das Wesen der Mode. Oder man könnte auch sagen: die "ewige Wiederkehr des Gleichen", nur jeweils in spezieller Verkleidung. Die Mode betrifft in der Hauptsache dann auch nur die ästhetische Dimension des Gebrauchswerts, während der funktionelle Aspekt völlig ausgespart bleibt. Es ist der Schein des Innovativen, der ins Rampenlicht tritt und den Unterschied ausmacht - und so den Impuls zum Neukauf begründet.

Neben der Mode, in sensu stricto, gibt es dann auch noch den beständigen Wechsel von einem Modell hin zum nächsten, wobei dies den funktionellen Aspekt nur oberflächlich tangiert: Was sich in Wirklichkeit ändert, das sind die Gebrauchswertaccessoires. Dabei ist es so, dass eine Verbesserung oft gar nicht mehr eintritt; im Gegenteil, was als Innovation sich geriert, reduziert bisweilen sogar den Gebrauchswert, so wie im Falle von Windows XP und den nachfolgenden Betriebssystemen aus dem Hause Bill Gates.

Schließlich kommt es oft vor, dass ein Gerät, das noch funktionstüchtig ist, obsolet, d.h. nicht mehr anwendbar wird, weil neue Programme sich als nicht kompatibel mit der gegebenen Hardware erweisen oder sich schlicht die Hersteller weigern, Updates dafür zur Verfügung zu stellen. Und dann muss man die Hardware entsorgen. - Apple gebührt hier durchaus die Palme.

Physische und moralische Obsoleszenz hängen freilich zusammen: Veraltet die Ware moralisch, dann fällt auch der Grund weg, die physische Lebensdauer derselben sehr hoch anzusetzen, so dass die Hersteller sich in der glücklichen Lage befinden, höhere Kosten mit Blick auf die Materialqualität einzusparen. Die moralische Veraltung erlaubt es, die (physische) Lebenszeit des Gebrauchswerts auf ein Mindestmaß, das noch toleriert werden kann, abzusenken, ohne dass dies großartig auffallen würde: Wandert die Sache zum Müll, weil sie moralisch veraltet, dann könnte sie unmittelbar nach diesem Zeitpunkt durchaus kaputtgehen - und niemand würde es merken, dass die Sache so produziert worden ist, dass sie frühzeitig Schrott wird.

Gebrauchswert und Müll

Der Gebrauchswert vergeht mit der Zeit, indem er aufgebraucht wird oder ganz von alleine verdirbt, ohne dass er jemals konsumiert worden wäre (so wie das oft bei Nahrungsmitteln der Fall ist) - und so kommt es zum Müll des produktiven wie konsumtiven Konsums, der entsorgt werden muss. Es versteht sich von selbst, dass je mehr Gebrauchswerte hergestellt werden und zwar zunehmend so, dass sie frühzeitig altern, desto mehr Abfall anfallen wird. Mit wachsendem Gebrauchswertvolumen müssen deswegen auch immer mehr Konsumtionsexkremente in die "Umgebung" des Warensystems zurückgeführt werden, und dies wirkt sich für diese "Umgebung" ab einem bestimmten Zeitpunkt fatal aus: Will die Gesellschaft nicht im Unrat versinken, so hat sie ihn sich vom Halse zu schaffen, doch dies führt dazu, dass die Umwelt im Unrat versinkt. Schon heute werden global - und zwar täglich! - 3,5 Millionen Tonnen an Müll "produziert", und für das Jahr 2025 darf man eine "Produktion" von 6 Millionen Tonnen erwarten: genug, um damit eine Kolonne von Müllfahrzeugen zu füllen, die sich über eine Länge von 5000 Kilometern erstreckt. Man schätzt überdies, dass allein 2010 zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen an Plastikabfall vom Land in die Meere gelangten, wo diese Mengen dann sich als riesige Strudel aus Plastik in den Strömungswirbeln der Weltmeere sammeln, und dies sogar in der Arktis. - Wenn man so weitermacht wie bisher, wird der Planet schon bald eine gigantische Müllhalde sein.

Gebrauchswert und Technologie

Die Technologie gehört ganz der Gebrauchswertebene an: Die produktiven Verfahren mit ihrem objektiven Substrat sind ein Aspekt des Gebrauchswerts, und zwar des Gebrauchswerts des Produktionsapparats. Nichtsdestotrotz wird dieser Aspekt ganz von der Sphäre des Werts dominiert: Die Produktion eines Extramehrwerts, durch die Kapitalkonkurrenz, ob "frei" oder "monopolistisch", den Kapitalsubjekten diktiert - denn der Extramehrwert sichert direkt oder kraft des erhöhten Potentials der Rekapitalisierung von Mehrwert die Überlegenheit über die anderen Kapitalkonkurrenten, ein Umstand, der logischerweise den Bestand als aparte Kapitalentität garantiert -, ist Funktion der Forcierung des Produktivkraftsystems, welche sich der Inkorporierung der Wissenschaft in das Produktivsystem schuldet. Dieser Stand der Dinge jedoch führt dazu, dass, schreitet dieser Prozess so wie bisher beharrlich voran, die gesamte Produktion mit der Zeit automatisiert werden wird: Computerisierung und Robotisierung machen vor nichts und niemandem halt. Dies aber heißt, dass der Gebrauchswert selbst wieder auf die Sphäre des Wertes zurückwirkt - und das ist für das System durchaus fatal.

Gebrauchswert und Arbeitskraft

Der Gebrauchswert der Arbeitskraft als einer Ware ist Arbeit, sei sie konkret, sei sie abstrakt. Als konkrete Arbeit bringt sie Gebrauchswert hervor, als abstrakte dagegen den Wert (der den Mehrwert miteinschließt), ein Umstand, auf den Marx den Akzent gelegt hat: "Der Gebrauchswert des Arbeitsvermögens ist - Arbeit, das Tauschwert setzende Element." (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, S. 178) Der Gebrauchswert der Arbeitskraft besteht also gerade darin, "Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert, als sie selbst hat." (K. Marx, Das Kapital I, S. 208)

Wenn nun aber, wie wir sahen, der Produktionsprozess perspektivisch automatisiert, computerisiert und robotisiert wird, dann reduziert sich logischerweise das Quantum an Arbeit, dessen man in diesen Prozessen bedarf, bis hin zu dem Punkt, wo schließlich die Arbeit ganz obsolet wird, weil der Produktionsapparat komplett automatisiert worden ist. Das Arbeitsvermögen als Ware fristet ihr Dasein dann nur noch als Ladenhüter und Ramsch, den niemand mehr kauft.

Das allerdings kann gar nicht verfehlen, für das System ernste Konsequenzen zu haben: Denn wenn die Arbeitskraft nicht mehr gekauft wird, dann gibt es auch keinerlei Lohn, und ohne die Lohnzahlung fällt die Basis des Massenkonsums ebenfalls fort, d.h., es können auch keine Konsumgüter mehr in den nötigen Mengen abgesetzt werden, was schließlich die Produktion von Produktionsgütern ebenso hinfällig macht. Das Kapitalsystem zerstört sich so konsequent selbst.

Dieser "Selbstmord auf Raten" mag durch "entgegenwirkende Ursachen" möglicherweise verlangsamt, er kann jedoch nicht gestoppt, nicht abgestellt werden. Zu diesen Faktoren zählen etwa der Luxus der herrschenden Klasse (charity miteingeschlossen), die Transferzahlungen, die der Staat übernimmt, sowie die Jobs im Staatsapparat und schließlich auch der (konsumtive) Kredit. Es ist indes klar, dass dies alles nur einem Tropfen auf dem heißen Stein gleichkommt: Selbst wenn es medizinisch gelänge, den Verdauungstrakt der Bourgeoisie, gemäß einem Vorschlag von Brecht, so zu erweitern, dass ihr der Verzehr von Tonnen von Lebensmitteln pro Tag möglich wäre, so würde dies doch bei weitem nicht genügen, die gigantischen Mengen, die der Produktionsapparat ausscheiden kann, konsumtiv aufzunehmen. "Wohltätigkeit" macht indessen das Kraut auch nicht fett. Und wenn der Staat über Steuern einen Gutteil des Surplus (in Geldform) absaugen würde, um diese Beträge, als Transferleistung mithin, der "Reservearmee" zugutekommen zu lassen - einer "Reservearmee", die als solche allerdings ausgedient hat - oder damit die Bezahlung eines hypertrophierten Staatspersonals zu bestreiten, so würde die Bourgeoisie, die gegen höhere Steuern stets rebelliert, dies sicher auf Dauer keineswegs durchgehen lassen. Schließlich kann der (konsumtive) Kredit, sofern man ihn nicht (mit Zinsen) zurückzahlen kann - und wie sollte dies sein, wenn es den Lohn als Einkommensquelle gar nicht mehr gibt? -, auch keine Abhilfe sein (nicht einmal auf kurze Sicht): Wer auch würde Geld kreditieren, wenn es nicht ausgemacht ist, dass es (mit Zinsen) wieder zurückkommt? Und mit dem Kredit an den Staat verhält es sich ähnlich.

Noch viel weniger kann indessen die Produktion von Produktionsmitteln, die dann wieder der Produktion von Produktionsmitteln dienen, und so immer fort, als ein Ausweg aus der Misere fungieren, denn, abgesehen davon, dass die vertikale Verflechtung (innerhalb dessen, was man Kapitalkomplexe genannt hat) dem allein schon einen Riegel vorschieben würde, so hieße dies nur, dass man zur Krise des klassischen Typs glücklich zurückkehrt: zwar nicht zur Diskrepanz der Departements der gesellschaftlichen Produktion (da es die Abteilung, die Lohngüter herstellt, dann nur mehr rudimentär geben würde), aber doch wohl zu einer absoluten Hypertrophierung des Produktionsmittelsektors, welche sich nur in einer allumfassenden Krise (so wie 1929 ff.) auflösen kann.

Unwirklichkeit

Wie wir schon sahen, geht die Tendenz unaufhaltsam dahin, die lebendige Arbeit aus dem System nach und nach auszumerzen. Nun lässt sich mathematisch exakt demonstrieren (vergleiche den Anhang), dass mit dem Verschwinden der lebendigen Arbeit aus dem produktiven Prozess sich zugleich auch der Wert sämtlicher Waren auf null reduziert. Wie könnte es anders auch sein? Denn wenn die Gebrauchswerte gleichsam von alleine entstehen, wenn sie, so wie die Luft, einfach da sind, ohne dass es notwendig wäre, auch nur einen Finger zu rühren, um sie ins Dasein zu setzen, dann kann man ohne weiteres sagen, dass der Austausch hinfällig wird - und mit dem Austausch auch die Tauschfähigkeit, der "gesellschaftliche Gebrauchswert" der Waren - also der Wert. Es wäre dann doch wirklich seltsam, wenn die literarische Einbildungskraft sich ein Schlaraffenland ausgedacht hätte, in dem die gebratenen Tauben gegen den Wein aus dem Brunnen oder den Honig, welcher als Regen, oder den Zucker, welcher als Schnee aus den Wolken herabfällt, ausgetauscht würden. In der Tat, die gebratene Taube ist wert-los, weil man damit nichts eintauschen kann; und es kann damit nichts eingetauscht werden, weil es niemanden, wer es auch sei, Arbeit kostet, sich den Gebrauchswert der Taube selbst zu beschaffen - sie fliegt nämlich von allein in den Mund.

Das heißt freilich nicht, dass das Warensystem, weil es sinnlos und im Hegel'schen Sinne unwirklich ist - unwirklich, da es nicht mehr notwendig ist -, nicht doch weiter fortexistiert. Das kann es durchaus, denn das Monopol des Privateigentums hält das Austauschsystem künstlich am Leben - und mit ihm die Fassade, die oberflächlichen Formen, Geld, Preise, Profit und was es dergleichen noch mehr gibt. Die Waren mögen vollkommen wert-los, ganz ohne Wert sein, solange jedoch das Privateigentum (am Produktionsapparat) existiert, so lange kann man sie auch zu bestimmten (phantasmagorischen) Preisen verkaufen, und man kann Profite erzielen, die dann nichts anderes sind als die verwandelte Form des Nettoprodukts (in Gebrauchswertgestalt), ein Nettoprodukt, das mit dem Surplus nun gänzlich in eins fällt: mithin nichts anderes sind als das Surplus, in Geld ausgedrückt. - Doch auch wenn das System weiter fortexistiert, so existiert es dann doch nur als Absurdität.

Vendetta

Der Gebrauchswert, der im Warensystem kapitalistischer Prägung zu einem Vorwand verkam, ist dabei, sich gründlich zu rächen: In der Form der Technologie unterminiert er das gesamte System, macht es absurd und beraubt es zu allem Überfluss noch des Hauptkontingents seiner Nachfragebasis. - Was will man mehr, worauf eigentlich soll man noch warten, wenn man so einen Verbündeten hat?

Anhang

Nehmen wir den Vektor der Werte: v = vA + l, wobei A die Produktionskoeffizientenmatrix ist und l der Vektor der direkten Arbeitsinputs.

Setzen wir nun den Vektor l der lebendigen Arbeit gleich null: l = 0. Dann ergibt sich: v = vA

Subtrahieren wir vA auf beiden Seiten: v - vA = 0 und formen wir um, indem wir v ausklammern: v(E - A) = 0

Wenn wir die Gleichung mit der Inversen (E - A)-1 multiplizieren, dann erhalten wir schließlich:
v(E - A) (E - A)-1 = 0(E - A)-1; d.h. v = 0.
Quod erat demonstrandum.

*

2000 Zeichen abwärts

Gepfropfte Bedeutung oder: Das Wort Wert

von Karl Marx

Der "Verbal observer", Bailey etc. bemerken, dass "value, valeur" den Dingen zukommende Eigenschaft ausdrücken. Sie drücken in der Tat ursprünglich nichts aus als den Gebrauchswert der Dinge für den Menschen, die Eigenschaften derselben, die sie für den Menschen nützlich machen oder angenehm etc. Es liegt in der Natur der Sache, dass "value, valeur, Wert" etymologisch keinen andren Ursprung haben können. Der Gebrauchswert drückt die Naturbeziehung zwischen Dingen und Menschen aus, in fact das Dasein der Dinge für den Menschen. Der Tauschwert ist eine später - mit der gesellschaftlichen Entwicklung, die ihn schuf - auf das Wort Wert = Gebrauchswert gepfropfte Bedeutung. Es ist das gesellschaftliche Dasein der Dinge.

Sanskrit: "Wer, couvrir, protéger [bedecken, schützen], daher respecter, honorer, und aimer, chérir [achten, ehren und lieben, schätzen]. Davon abgeleitetes Adjektiv Wertas, excellent, respectable [ausgezeichnet, achtungswert]; Gotisch wairths; Tudesques (Altdeutsch, Altfränkisch) wert; Anglo-Saxon weorth, vordh, wurth; Anglian worth, worthy; Holländisch waard, waardig; Alemannisch werth; Litauisch wertas, respectable, précieux, cher, estimable [achtungswert, wertvoll, teuer, schätzenswert]. Sanskrit wertis; Lateinisch virtus [Kraft, gute Eigenschaft]; Gotisch wairthi; Germanisch Werth." [Chavée, Essai d'étymologie philosophique, Bruxelles 1844, p. 176.]

Der Wert der Sache ist in der Tat ihre eigne virtus, während ihr Tauschwert ganz unabhängig von ihren sachlichen qualities ist.

Sanskrit: "Wal, bedecken, befestigen; [Lateinisch] vallo [mit einem Wall umgeben, befestigen, verteidigen], valeo [stark, kräftig sein]; vallus [ein Wall] bedeckt und befestigt, valor ist die Kraft selbst." Daher valeur, value. "Vergleiche mit Wal germanice: Walle, walte; Anglian wall, wield." [l.c. p. 70]

aus: Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.3, 291

*

Der Gebrauchswert bei Karl Marx*
Eine Kritik der bisherigen Marx-Interpretation (1959)

von Roman Rosdolsky

* Redaktionell gekürzte Fassung aus: KYKLOS. Internationale Zeitschrift für Sozialwissenschaften, Vol. XII 1959, Basel, S. 27-56. Wir danken Diana Rosdolsky für die Erlaubnis zum Abdruck.



I

Unter den zahlreichen kritischen Ausführungen über Ricardos System, die sich bei Marx finden, fällt vor allem ein nur in den Marxschen Grundrissen geäußerter Vorwurf auf: dass nämlich Ricardo in seiner Ökonomie vom Gebrauchswert abstrahiere (MEW 42, S. 193), dass er auf diese so wichtige Kategorie "nur exoterisch Bezug nehme" (MEW 42, S. 546), und dass sie deshalb bei ihm "als einfache Voraussetzung tot liegenbleibe" (MEW 42, S. 240).

Auf diesen Vorwurf soll hier näher eingegangen werden. Er trifft seltsamerweise nicht nur Ricardo, sondern auch viele Schüler von Marx selbst! Denn es ist gerade bei den Ökonomen der Marxschen Schule zur Tradition geworden, vom Gebrauchswert in der Ökonomie abzusehen, ihn in den Bereich der "Warenkunde" zu verweisen. Nehmen wir zum Beispiel Hilferdings Antwort an Böhm-Bawerk. "Ware ist Einheit von Gebrauchswert und Wert, nur die Betrachtungsweise ist doppelt: als natürliches Ding ist sie Gegenstand der Natur-, als gesellschaftliches Ding Gegenstand einer Gesellschaftswissenschaft, der politischen Ökonomie. Gegenstand der Ökonomie ist also die gesellschaftliche Seite der Ware, des Gutes, soweit es Symbol des gesellschaftlichen Zusammenhanges ist, während ihre natürliche Seite, der Gebrauchswert, jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie liegt." (Rudolf Hilferding, Böhm-Bawerks Marx-Kritik, in Marx-Studien, Wien 1904, S. 9)

Auf den ersten Blick scheint es sich hier bloß um eine Paraphrase der bekannten Stelle aus der Marxschen Schrift Zur Kritik der politischen Ökonomie zu handeln. Wie lautet aber diese Stelle bei Marx selbst?

"Gebrauchswert zu sein, scheint notwendige Voraussetzung für die Ware, aber Ware zu sein, gleichgültige Bestimmung für den Gebrauchswert. Der Gebrauchswert in dieser Gleichgültigkeit gegen die ökonomische Formbestimmung, das heißt Gebrauchswert als Gebrauchswert, liegt jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie. In ihren Kreis fällt er nur, wo er selbst Formbestimmung." (MEW 13, S. 16)

Man wird zugeben, dass das Original sich von der Kopie erheblich unterscheidet, und dass Hilferdings willkürliche Wiedergabe der obigen Sätze eher einer Vulgarisierung der wirklichen Marxschen Ansicht gleichkommt.

Oder nehmen wir einen neueren marxistischen Autor, P. M. Sweezy. In seiner, der Popularisierung der Marxschen Ökonomie dienenden Arbeit Theory of Capitalist Development lesen wir: "Marx excluded use value (or, as it now would be called, 'utility') from the field of investigation of political economy on the ground that it does not directly embody a social relation. He enforces a strict requirement that the categories of economics must be social categories, i.e. categories which represent relations between people. It is important to realize that this is in sharp contrast to the attitude of modern economic theory (...)" (P. M. Sweezy, Theory of Capitalist Development, New York 1942, S. 26)

Sweezys Darstellung unterscheidet sich also durch nichts von jener, die man gewöhnlich in den Popularisierungen der Marxschen Ökonomie findet. In seinem Falle aber ist das Versehen um so weniger entschuldbar, als ihm nicht nur die (1905 bis 1910 veröffentlichten) Marxschen Theorien über den Mehrwert, sondern auch dessen "Randglossen zu Adolf Wagner" (MEW 19, S. 355-383) vorlagen, wo sich Marx selbst sehr ausführlich über die Rolle des Gebrauchswerts in seiner Ökonomie ausspricht. An Wagners Adresse sagt er dort:

"Nur ein vir obscurus, der kein Wort des Kapitals verstanden hat, kann schließen: Weil Marx in einer Note zur ersten Ausgabe des Kapitals allen deutschen Professoralkohl über 'Gebrauchswert' im allgemeinen verwirft und Leser, die etwas über wirkliche Gebrauchswerte wissen wollen, auf 'Anleitungen zur Warenkunde' verweist (MEW 23, S. 50; MEW 13, S. 16), - daher spielt der Gebrauchswert bei ihm keine Rolle." (MEW 19, S. 369) "Wenn man die 'Ware' - das einfachste ökonomische Konkretum - zu analysieren hat, hat man alle Beziehungen fernzuhalten, die mit dem vorliegenden Objekt der Analyse nichts zu schaffen haben. Was aber von der Ware, soweit sie Gebrauchswert, zu sagen ist, habe ich daher in wenigen Zeilen gesagt, andrerseits aber die charakteristische Form hervorgehoben, in der hier der Gebrauchswert - das Arbeitsprodukt - erscheint; nämlich: 'Ein Ding kann nützlich und Produkt menschlicher Arbeit sein, ohne Ware zu sein. Wer durch sein Produkt sein eignes Bedürfnis befriedigt, schafft zwar Gebrauchswert, aber nicht Ware. Um Ware zu produzieren, muss er nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andre, gesellschaftlichen Gebrauchswert.' (MEW 23, S. 55) (...) Damit besitzt der Gebrauchswert - als Gebrauchswert der 'Ware' - selbst einen historisch-spezifischen Charakter. (...) Es wäre also reine Faselei, bei Analyse der Ware - weil sie sich einerseits als Gebrauchswert oder Gut, andrerseits als 'Wert' darstellt - nun bei dieser Gelegenheit allerlei banale Reflexionen über Gebrauchswerte oder Güter 'anzuknüpfen', die nicht in den Bereich der Warenwelt fallen" (wie dies die offizielle Universitätsökonomie tut, Anm. R. R.) (...) "Andrerseits hat der vir obscurus übersehn, dass schon in der Analyse der Ware bei mir nicht stehengeblieben wird bei der Doppelweise, worin sie sich darstellt, sondern gleich weiter dazu fortgegangen wird, dass in diesem Doppelsein der Ware sich darstellt zwiefacher Charakter der Arbeit, deren Produkt sie ist: der nützlichen Arbeit, i.e. den konkreten Modi der Arbeiten, die Gebrauchswerte schaffen, und der abstrakten Arbeit, der Arbeit als Verausgabung der Arbeitskraft, gleichgültig in welcher 'nützlichen' Weise sie verausgabt werde (worauf später die Darstellung des Produktionsprozesses beruht); dass in der Entwicklung der Wertform der Ware, in letzter Instanz ihrer Geldform, also des Geldes, der Wert einer Ware sich darstellt im Gebrauchswert der andern, d.h. in der Naturalform der andern Ware; dass der Mehrwert selbst abgeleitet wird aus einem 'spezifischen' und ihr exklusive zukommenden Gebrauchswert der Arbeitskraft usw., dass also bei mir der Gebrauchswert eine ganz andere wichtige Rolle spielt als in der bisherigen Ökonomie, dass er aber notabene immer nur in Betracht kommt, wo solche Betrachtung aus der Analyse gegebener ökonomischer Gestaltungen entspringt, nicht aus Hin- und Herräsonieren über die Begriffe oder Worte 'Gebrauchswert' und 'Wert'." (MEW 19, S. 369-371)

Soweit Marx. Aus seinen Sätzen ist klar ersichtlich, dass die traditionell-marxistische Auslegung Hilferdings, Sweezy's u.a. unmöglich richtig sein kann, und dass in diesem Falle die genannten Verfasser - freilich ohne es zu ahnen - nicht ihrem Lehrer Marx, sondern eher dem von ihm kritisierten Ricardo folgen!

II

Worauf gründet sich aber die Marxsche Kritik, und wie sind eigentlich die eingangs angeführten Einwände gegen Ricardo zu verstehen? Um dies zu beantworten, müssen wir auf die methodologischen Grundvoraussetzungen des Marxschen Systems zurückgehen.

Man weiß: im Gegensatz zu den Klassikern, war das ganze theoretische Wirken von Marx darauf gerichtet, die "besonderen Gesetze (aufzudecken), welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines gegebenen gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen andren, höheren regeln" (MEW 23, S. 27). Ihm galt daher die kapitalistische Produktion als eine "nur (...) historische, einer gewissen beschränkten Entwicklungsepoche der materiellen Produktionsbedingungen entsprechende Produktionsweise" (MEW 25, S. 270), und die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie als "gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise" (MEW 23, S. 90).

Indessen: auf welchem Wege kann die Theorie zur Erkenntnis von solch besonderen, nur historische Geltung beanspruchenden Gesetzen gelangen? Und wie sind diese Gesetze mit den allgemeinen, auf alle Gesellschaftsepochen anwendbaren, ökonomischen Bestimmungen in Einklang zu bringen? Denn "alle Epochen der Produktion haben gewisse Merkmale gemein", was "schon daraus hervorgeht, dass (in allen Epochen) das Subjekt, die Menschheit, und das Objekt, die Natur, dieselben" (MEW 42, S. 20-21) sind. Nichts leichter daher, als durch Hervorhebung dieser gemeinsamen Bestimmungen "alle historischen Unterschiede zu konfundieren oder auszulöschen in allgemein menschlichen Gesetzen" (MEW 42, S. 22-23). Allein, wenn zum Beispiel "die entwickeltsten Sprachen Gesetze und Bestimmungen mit den unentwickeltsten gemein haben, so muss gerade das, was ihre Entwicklung ausmacht, den Unterschied von diesem Allgemeinen und Gemeinsamen (ausdrücken)." In gleicher Weise aber muss auch die Nationalökonomie vor allem die Entwicklungsgesetze der von ihr untersuchten kapitalistischen Epoche erforschen, "damit über der Einheit" (der dieser Epoche mit den früheren gemeinsamen Bestimmungen) "die wesentliche Verschiedenheit nicht vergessen wird" (MEW 42, S. 21).

Was macht aber die Entwicklung in der Sphäre der Ökonomie aus? Gerade das, worin sich ihr spezifisch - gesellschaftlicher Charakter ausdrückt! "Soweit der Arbeitsprozess nur ein bloßer Prozess zwischen Mensch und Natur ist, bleiben seine einfachen Elemente allen gesellschaftlichen Entwicklungsformen desselben gemein. Aber jede bestimmte historische Form dieses Prozesses entwickelt weiter die materiellen Grundlagen und gesellschaftlichen Formen desselben." (MEW 25, S. 890-891) Und gerade auf diese gesellschaftlichen Formen - im Unterschied von dem naturgegebenen "Inhalt" derselben - kommt es vor allem an! Nur sie allein stellen das aktive, vorwärtstreibende Moment dar. Denn: "Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch verschiedenen Zuständen ändern kann, ist nur die Form, worin jene Gesetze sich durchsetzen." (MEW 32, S. 553)

Auf die fundamental wichtige Marxsche Unterscheidung zwischen "Form" und "Inhalt" in der Ökonomie kann hier nicht näher eingegangen werden. (Auch hierin ist der Einfluss der Hegelschen Logik klar zu erkennen.) "Man darf nicht vergessen" - schrieb in einem anderen Zusammenhang der namhafte russische Nationalökonom I. I. Rubin -, "dass in der Frage nach der Wechselbeziehung von Inhalt und Form Marx auf dem Standpunkt Hegels, und nicht auf jenem Kants stand. Kant betrachtet die Form als etwas in bezug auf den Inhalt Äußerliches, etwas, was nur von draußen zum Inhalt hinzukommt; während vom Gesichtspunkt der Hegelschen Philosophie der Inhalt selbst in seiner Entwicklung jene Form erzeugt, die im latenten Zustand in diesem Inhalt enthalten war. Die Form geht also mit Notwendigkeit aus dem Inhalt selbst hervor." (Vgl. I. I. Rubin, Skizzen über die Werttheorie von K. Marx (russisch), 4. Auflage, Moskau 1929, S. 103)

Eines steht jedoch fest: dass es für Marx eben die ökonomischen Formen sind, worin sich die sozialen Verhältnisse der wirtschaftenden Individuen ausdrücken und wodurch sich die einzelnen Produktionsweisen voneinander unterscheiden. Dass die Formen des Austauschs dem Ökonomen "gleichgültig" sein sollten, "ist gerade, als ob der Physiolog sagte, die bestimmten Lebensformen seien gleichgültig. Sie seien alle nur Formen von organischer Materie. Gerade auf diese Formen allein kommt es an, wenn es sich darum handelt, den spezifischen Charakter einer gesellschaftlichen Produktionsweise aufzufassen. Rock ist Rock. Lass aber den Austausch in der ersten Form machen, so habt ihr die kapitalistische Produktion und die moderne bürgerliche Gesellschaft; in der zweiten, so habt ihr eine Form der Handarbeit, die sich selbst mit asiatischen Verhältnissen verträgt oder mit mittelalterlichen usw." Denn "im ersten Falle produziert der Schneider nicht nur einen Rock, er produziert Kapital, also auch Profit; er produziert seinen Meister als Kapitalisten und sich selbst als Lohnarbeiter. Wenn ich mir (hingegen) einen Rock von einem Schneider (ouvrier tailleur) im Hause machen lasse, zum Tragen, so werde ich dadurch sowenig mein eigener Unternehmer (im kategorischen Sinne), wie der Besitzer des Schneiderunternehmens (...) Unternehmer ist, soweit er einen von seinen Arbeitern genähten Rock selbst trägt und konsumiert." (MEW 26.1, S. 268)

Und an einer anderen Stelle: "Die Landarbeiter in England und Holland, die Arbeitslohn vom Kapital 'vorgeschossen' erhalten, 'produzieren ihren Arbeitslohn selbst', ebensogut wie der französische Bauer oder der von seiner Arbeit lebende russische Leibeigene. Betrachten wir den Produktionsprozess in seiner Kontinuität, dann schießt der Kapitalist dem Arbeiter heute nur als 'Arbeitslohn' einen Teil des Produkts vor, den der Arbeiter gestern produziert hat. Der Unterschied liegt also nicht darin, dass in dem einen Falle der Arbeiter seinen eigenen Arbeitslohn produziert und in dem anderen nicht. (...) Der ganze Unterschied liegt in der Formverwandlung, die der vom Arbeiter produzierte Arbeitsfonds durchläuft, bevor er ihm in der Form des Arbeitslohns [im Original: Arbeitsfonds] wieder zuströmt." (MEW 26.3, S. 268)

Es sind also die spezifischen gesellschaftlichen Formen der Produktion und Distribution, die in Marxens Augen den eigentlichen Gegenstand der ökonomischen Analyse bilden; und gerade "der Mangel an theoretischem Sinn für Auffassung der Formunterschiede der ökonomischen Verhältnisse" - gepaart mit der "brutalen Interessiertheit für den Stoff" - zeichnet nach ihm die vorherige Ökonomie sogar in ihren besten Repräsentanten aus. (MEW 26.1, S. 64; MEW 23, S. 94-95)

Soweit unser methodologischer Exkurs. Der Leser wird indessen bemerkt haben, dass dadurch zugleich - in allgemeinster Weise - auch unsere Frage nach der Rolle des Gebrauchswerts in der Marxschen Ökonomie beantwortet wurde. Wie hieß es denn in der eingangs zitierten Stelle aus der Marxschen Kritik? In seiner "Gleichgültigkeit gegen die ökonomische Formbestimmung" liegt der Gebrauchswert "jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie. In ihren Kreis fällt nur, wo er selbst Formbestimmung." Mit anderen Worten: ob dem Gebrauchswert eine ökonomische Bedeutung zukomme, oder nicht, lässt sich nur nach seiner Beziehung zu den sozialen Produktionsverhältnissen beurteilen. Sofern er diese Verhältnisse beeinflusst oder selbst von ihnen beeinflusst wird, ist er gewiss eine ökonomische Kategorie. Sonst aber - in seiner bloß "natürlichen" Eigenschaft - fällt er aus dem Bereich der Nationalökonomie heraus. Oder, wie es weiter im Text der Grundrisse heißt: "Die politische Ökonomie hat es mit den spezifischen gesellschaftlichen Formen des Reichtums oder vielmehr der Produktion des Reichtums zu tun. Der Stoff derselben, sei es subjektiv, wie Arbeit, oder objektiv, wie Gegenstände für die Befriedigung natürlicher oder geschichtlicher Bedürfnisse, erscheint zunächst allen Produktionsepochen gemeinsam. Dieser Stoff erscheint daher zunächst als bloße Voraussetzung, die ganz außerhalb der Betrachtung der politischen Ökonomie liegt, und erst dann in die Sphäre der Betrachtung fällt, wenn er modifiziert wird durch die Formverhältnisse oder als sie modifizierend erscheint." (MEW 42, S. 741; vgl. auch die Parallelstelle, MEW 42, S. 767)

III

Von diesem Gesichtspunkt aus bietet auch die Frage nach dem eigentlichen Unterschied zwischen Marx und Ricardo (hinsichtlich der Rolle des Gebrauchswerts in der Ökonomie) keine Schwierigkeiten mehr.

Dieser Unterschied kann sich unmöglich auf das Grundprinzip ihrer Wertlehre beziehen. Beide sind Arbeitswerttheoretiker; vom Standpunkt der Arbeitswerttheorie aus aber kann der Nützlichkeit oder dem Gebrauchswert der Arbeitsprodukte kein Einfluss auf die Wertschöpfung zugestanden werden, muss vielmehr ihr Gebrauchswert als eine bloße Voraussetzung ihrer Austauschbarkeit erscheinen. Woraus aber noch keineswegs folgt, dass dem Gebrauchswert überhaupt keine ökonomische Bedeutung zukomme, und dass er einfach aus dem Bereich der Ökonomie zu verweisen wäre.

Dies ist, nach Marxens Ansicht, nur richtig, soweit es sich um die einfache Warenzirkulation (die Austauschform W-G-W) handelt. Die einfache Zirkulation "besteht im Grunde nur in dem formalen Prozess, den Tauschwert einmal in der Bestimmung der Ware, das andere Mal in der Bestimmung des Geldes zu setzen" (MEW 42, S. 180-181). Wie die auszutauschenden Waren produziert wurden (das heißt, ob sie der kapitalistischen oder vorkapitalistischen Wirtschaftsweise entstammen), und welcher Art von Konsum sie nach dem Austausch verfallen, ist für die ökonomische Betrachtung der einfachen Warenzirkulation nebensächlich. Hier stehen sich ja nur Käufer und Verkäufer, oder vielmehr nur die von ihnen feilgebotenen Waren gegenüber, die an ihrer Statt den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen ihnen herstellen. Der wirkliche Zweck des Austauschs - die wechselseitige Befriedigung der Bedürfnisse der Warenproduzenten - kann nur erfüllt werden, wenn die Waren sich zugleich als Werte bewähren, wenn es ihnen gelingt, sich gegen die "allgemeine Ware", das Geld, umzutauschen. Es ist also der Formwechsel der Waren selbst, worin sich hier der gesellschaftliche Stoffwechsel vollzieht. Und dieser Formwechsel ist hier das einzige soziale Verhältnis der Warenbesitzer - "der Indikator ihrer gesellschaftlichen Funktion oder gesellschaftlichen Beziehung zueinander" (MEW 42, S. 167). Was aber den Inhalt außerhalb des Akts des Austausches anbelangt, "so kann dieser Inhalt (...) nur sein: 1. die natürliche Besonderheit der Ware, die ausgetauscht wird. 2. das besondere natürliche Bedürfnis der Austauschenden, oder, beides zusammengefasst, der verschiedene Gebrauchswert der auszutauschenden Waren" (MEW 42, S. 168). Als solcher aber bestimmt dieser Inhalt nicht den Charakter der Austauschverhältnisse: der Gebrauchswert bildet hier in der Tat nur "die stoffliche Basis, woran sich ein bestimmtes ökonomisches Verhältnis darstellt", und "es ist erst dieses bestimmte Verhältnis, das den Gebrauchswert zur Ware stempelt (...) Nicht nur erscheint der Tauschwert nicht bestimmt durch den Gebrauchswert, sondern vielmehr, die Ware wird erst Ware, realisiert sich als Tauschwert, sofern ihr Besitzer sich nicht zu ihr als Gebrauchswert verhält." (MEW 42, S. 767) Gerade hier also, wo der Tausch "nur des wechselseitigen Gebrauches wegen stattfindet, hat der Gebrauchswert, die natürliche Besonderheit der Ware als solche, kein Bestehen als ökonomische Formbestimmung", ist nicht "Inhalt des Verhältnisses als sozialen Verhältnisses" (MEW 42, S. 193). Ökonomische Bedeutung kommt hier daher nur dem Formwechsel der Ware und des Geldes zu, und es ist dieser Formwechsel allein, auf den sich die Darstellung des einfachen Warenaustausches beschränken muss.

Indes, wie richtig dies auch in bezug auf den einfachen Warenaustausch ist, so wäre doch nichts unrichtiger - sagt weiter Marx - als der Schluss, "dass die Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, die in der einfachen Zirkulation (...) außerhalb der ökonomischen Formbeziehung fällt, überhaupt außerhalb derselben fällt (...) Ricardo zum Beispiel, der glaubt, die bürgerliche Ökonomie handle nur vom Tauschwert und nehme bloß exoterisch Bezug auf den Gebrauchswert, nimmt gerade die wichtigsten Bestimmungen des Tauschwerts aus dem Gebrauchswert, seinem Verhältnis zu ihm: zum Beispiel Grundrente, Minimum des Arbeitslohns, Unterschied von fixem und zirkulierendem Kapital, dem gerade er bedeutendsten Einfluss auf die Bestimmung der Preise (...) zuschreibt; ebenso im Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr usw." (MEW 42, S. 546)

Ricardo hat allerdings recht darin, "dass der Tauschwert die überwiegende Bestimmung ist. Aber der Gebrauch hört natürlich dadurch nicht auf, dass er nur durch den Tausch bestimmt ist; obgleich er natürlich seine Richtung selbst dadurch erhält." (MEW 42, S. 193)

"Brauchen ist Konsumieren, sei es für die Produktion oder Konsumtion. Tauschen ist dieser Akt, vermittelt durch einen gesellschaftlichen Prozess. Das Brauchen selbst kann gesetzt sein (durch den Tausch) und bloße Konsequenz sein des Tauschens; andererseits das Tauschen als Moment bloß des Brauchens erscheinen usw. Vom Standpunkt des Kapitals (in der Zirkulation) erscheint das Tauschen als Setzen seines Gebrauchswerts, während andererseits sein Brauchen (im Produktionsakt) als Setzen für den Tausch, als Setzen seines Tauschwerts erscheint. Es ist ebenso mit der Produktion und Konsumtion. In der bürgerlichen Ökonomie (wie in jeder) sind sie in spezifischen Unterschieden gesetzt. Es gilt eben, diese differentia specifica zu verstehen, (...) und nicht, wie Ricardo tut, rein davon zu abstrahieren, noch wie der fade Say mit der bloßen Voraussetzung des Wortes 'Nützlichkeit' wichtig zu tun." Denn: "Der Gebrauchswert spielt selbst als ökonomische Kategorie eine Rolle. Wo er dies spielt, (...) wieweit der Gebrauchswert nicht nur als vorausgesetzter Stoff außerhalb der Ökonomie und ihrer Formbestimmung bleibt, und wieweit er in sie eingeht, geht aus der Entwicklung selbst hervor." (MEW 42, S. 546-547 und S. 193)

IV

Welches sind nun nach Marx die Fälle, wo der Gebrauchswert als solcher durch die Formverhältnisse der bürgerlichen Ökonomie modifiziert wird, oder wo er seinerseits in diese Formverhältnisse modifizierend eingreift - also selbst zu "ökonomischer Formbestimmung" wird?

In den zitierten "Randglossen zu Adolf Wagner" weist Marx darauf hin, dass selbst innerhalb der einfachen Warenzirkulation, bei der Entwicklung der Geldform der Ware, der Wert einer Ware sich darstellen muss "im Gebrauchswert, das heißt in der Naturalform der anderen Ware". Das bedeutet nicht nur, dass das Geld nach Marx selbstverständlich Ware sein, also einen Gebrauchswert zur Substanz haben muss, sondern auch, dass dieser Gebrauchswert an ganz spezifische körperliche Eigenschaften der Geldware geknüpft ist, die sie eben zur Erfüllung ihrer Funktion befähigen.

"Die Untersuchung über die edlen Metalle als die Subjekte des Geldverhältnisses (...), die Inkarnation desselben, liegt also keineswegs, wie Proudhon glaubt, außerhalb des Bereichs der politischen Ökonomie, sowenig, wie die physische Beschaffenheit der Farben und des Marmors außerhalb des Bereichs der Malerei und Skulptur liegt. Die Eigenschaften, die die Ware als Tauschwert hat, und womit ihre natürlichen Qualitäten nicht adäquat sind, drücken die Ansprüche aus, die an die Waren zu machen, die kat' exochen [im eigentlichen Sinne] das Material des Geldes sind. Diese Ansprüche, auf der Stufe, von der wir bisher allein sprechen können (das heißt auf der Stufe der rein metallischen Zirkulation; R. R.), sind am vollständigsten realisiert in den edlen Metallen." (MEW 42, S. 106)

Eben dank ihren spezifischen Eigenschaften, die sie zum ausschließlichen Geldmaterial machen, kann die die Funktion des allgemeinen Äquivalents erfüllende Ware ihren Gebrauchswert verdoppeln: "außer ihrem besonderen Gebrauchswert als besondere Ware" auch einen "allgemeinen" oder "formalen" (MEW 13,S. 33) Gebrauchswert erhalten. "Dieser ihr Gebrauchswert ist selbst Formbestimmtheit, das heißt, geht aus der spezifischen Rolle hervor, die sie (die Geldware) durch die allseitige Aktion der anderen Waren auf sie im Austauschprozess spielt." (MEW 13, S. 33) Hier fällt somit "die stoffliche und Formveränderung zusammen, da im Geld der Inhalt selbst zur ökonomischen Formbestimmung gehört." (MEW 42, S. 568)

Von entscheidender Wichtigkeit ist das zweite Beispiel, auf welches Marx in den "Randglossen" hinweist - der Austausch zwischen Kapital und Arbeit. Wenn wir die einfache Warenzirkulation betrachten, wie sie zum Beispiel an der "Oberfläche der bürgerlichen Welt", im Kleinhandel, vorgeht, so erscheinen "ein Arbeiter, der einen Laib Brot kauft, und ein Millionär, der es kauft, (...) in diesem Akt nur als einfache Käufer, wie der Krämer ihnen gegenüber als Verkäufer erscheint. Alle anderen Bestimmungen sind hierin ausgelöscht. Der Inhalt ihrer Käufe, wie der Umfang derselben, erscheint gleichgültig gegen diese Formbestimmung." (MEW 42, S. 176-177) Ganz anders aber stellt sich die Sache dar, wenn wir von diesem Austausch an der Oberfläche zu dem das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise bestimmenden Austausch zwischen Kapital und Arbeit übergehen. Denn, wenn in der einfachen Warenzirkulation "die Ware a gegen das Geld b ausgetauscht (wird), und dieses gegen die zur Konsumtion bestimmte Ware c - das ursprüngliche Objekt des Austauschs für a -, so fällt der Gebrauch der Ware c, ihr Konsum, ganz außerhalb der Zirkulation; geht die Form des Verhältnisses nichts an, (...) und ist rein stoffliches Interesse, das nur noch ein Verhältnis des Individuums in seiner Natürlichkeit zu einem Gegenstande seines vereinzelten Bedürfnisses ausdrückt. Was er mit der Ware c anfängt, ist eine Frage, die außerhalb des ökonomischen Verhältnisses liegt." (MEW 42, S. 200)

Wohingegen im Austausch zwischen Kapital und Arbeit eben der Gebrauchswert der vom Kapitalisten erworbenen Arbeitskraft die Voraussetzung des kapitalistischen Produktionsprozesses und des Kapitalverhältnisses selbst bildet. Der Kapitalist tauscht nämlich in dieser Transaktion eine Ware ein, deren Konsum "unmittelbar mit der Vergegenständlichung der Arbeit, also der Setzung des Tauschwerts, zusammenfällt" (MEGA II/2, S. 90). War daher "bei der einfachen Zirkulation der Inhalt des Gebrauchswerts gleichgültig", so erscheint umgekehrt hier "der Gebrauchswert des gegen Geld Eingetauschten als besonderes ökonomisches Verhältnis", gehört selbst "in die ökonomische Formbestimmtheit, (...) weil der Gebrauchswert hier selbst durch den Tauschwert bestimmt ist." "Dies unterscheidet also" - unterstreicht Marx - "schon formell den Austausch zwischen Kapital und Arbeit vom einfachen Austausch - zwei verschiedene Prozesse." (MEW 42, S. 232 und MEW 42, S. 200)

Wird so die Mehrwertschöpfung, also die Erhöhung des Tauschwerts des Kapitals, aus dem spezifischen Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft hergeleitet, so muss andererseits die Nationalökonomie den dem Arbeiter zufallenden Anteil am Wertprodukt auf ein Äquivalent der zu seiner Erhaltung notwendigen Lebensmittel (im weiteren Sinn des Wortes) beschränken, also diesen Anteil im Grunde durch den Gebrauchswert bestimmen lassen. "Hier finden wir also" - heißt es im Rohentwurf - das zur Entlohnung der Arbeiter dienende Kapital "auch nach der Seite des Gebrauchswerts hin bestimmt, als direkt in die individuelle Konsumtion eingehendes, und von ihr als Produkt aufzuzehrendes." (MEW 42, S. 576)

Auch im Zirkulationsprozess des Kapitals lässt sich das Hineinspielen des Gebrauchswerts in die ökonomischen Formverhältnisse auf Schritt und Tritt feststellen. Wir sehen hier von den vielfachen Weisen ab, wie die stoffliche Natur des Produkts auf die Dauer der Arbeitsperiode und der Zirkulationszeit einwirkt (vgl. MEW 24, insbesondere die Kapitel 5, 12 und 13), und gehen direkt zu der für den Zirkulationsprozess grundlegenden Unterscheidung zwischen fixem und zirkulierendem Kapital über, auf die Marx selbst in der zitierten Polemik gegen Ricardo hinweist.

Was das fixe Kapital anbetrifft, so zirkuliert es "nur als Wert in dem Masse, wie es als Gebrauchswert im Produktionsprozess abgenutzt oder konsumiert wird. Von seiner relativen Dauerhaftigkeit aber hängt die Zeit ab, in der es so konsumiert wird und in seiner Form als Gebrauchswert reproduziert werden muss. Die Dauerhaftigkeit desselben - das Mehr oder Weniger Zeit, worin es fortfahren kann, in den wiederholten Produktionsprozessen des Kapitals seine Funktion (...) zu erfüllen - diese Bestimmung seines Gebrauchswerts wird also hier ein formbestimmendes Moment, das heißt, bestimmend für das Kapital seiner Formseite nach, nicht seiner stofflichen nach. Die notwendige Reproduktionszeit des fixen Kapitals, ebensosehr wie die Proportion, in der es zum ganzen Kapital steht, modifizieren hier also die Umschlagszeit des Gesamtkapitals und damit seine Verwertung." (MEW 42, S. 586)

So erscheint in den Kategorien des fixen und des zirkulierenden Kapitals "der Unterschied der Elemente als Gebrauchswerte zugleich (...), als qualitativer Unterschied des Kapitals selbst und als seine Gesamtbewegung (Umschlag) bestimmend" (MEW 42, S. 592). Hier tritt also wieder der Gebrauchswert als ökonomischer Faktor in den Prozess des Kapitals ein. In diesem Zusammenhang wäre auf Arbeitsmittel zu verweisen, die in der Form von Fabrikgebäuden, Eisenbahnen, Brücken, Tunnels, Docks usw. "als mit dem Boden vermähltes Kapital" (MEW 42, S. 587) wirken. Der Umstand, dass solche Arbeitsmittel "lokal fixiert sind, mit ihren Wurzeln im Grund und Boden feststecken, weist diesem Teil des fixen Kapitals eine eigene Rolle in der Ökonomie der Nationen zu. Sie können nicht ins Ausland geschickt werden, nicht als Waren auf dem Weltmarkt zirkulieren. Die Eigentumstitel an diesem fixen Kapital können wechseln, es kann gekauft und verkauft werden und sofern ideell zirkulieren. Diese Eigentumstitel können sogar auf fremden Märkten zirkulieren, zum Beispiel in der Form von Aktien. Aber durch den Wechsel der Personen, welche Eigentümer dieser Art von fixem Kapital sind, wechselt nicht das Verhältnis des stehenden, materiell fixierten Teils des Reichtums in einem Land zu dem beweglichen Teil desselben." (MEW 24, S. 163)

Am klarsten aber tritt die Rolle des Gebrauchswerts im Reproduktionsprozess des Kapitals zutage, wie er sich im III. Abschnitt des II. Bandes des Kapitals darbietet. Schon zu Beginn seiner Analyse erklärt Marx: "Solange wir die Wertproduktion und den Produktenwert des Kapitals individuell betrachteten, war die Naturalform des Warenprodukts für die Analyse ganz gleichgültig, ob sie zum Beispiel aus Maschinen bestand oder aus Korn oder aus Spiegeln. Es war dies immer Beispiel, und jeder beliebige Produktionszweig konnte gleichmässig zur Illustration dienen. Womit wir es zu tun hatten, war der unmittelbare Produktionsprozess selbst, der auf jedem Punkt als Prozess eines individuellen Kapitals sich darstellt. Soweit die Reproduktion in Betracht kam (vgl. MEW 23, Kapitel 23 und 24), genügte es, zu unterstellen, dass innerhalb der Zirkulationssphäre der Teil des Warenprodukts, welcher Kapitalwert darstellt, die Gelegenheit findet, sich in seine Produktionselemente, und daher in seine Gestalt als produktives Kapital rückzuverwandeln; ganz wie es genügte, zu unterstellen, dass Arbeiter und Kapitalist auf dem Markte die Waren vorfinden, worin sie Arbeitslohn und Mehrwert verausgaben. Diese nur formelle Manier der Darstellung genügt nicht mehr bei Betrachtung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und seines Produktenwerts. Die Rückverwandlung eines Teils des Produktenwerts in Kapital, das Eingehen eines andern Teils in die individuelle Konsumtion der Kapitalisten- wie der Arbeiterklasse bildet eine Bewegung innerhalb des Produktenwerts selbst, worin das Gesamtkapital resultiert hat; und diese Bewegung ist nicht nur Wertersatz, sondern Stoffersatz, und ist daher ebensosehr bedingt durch das gegenseitige Verhältnis der Wertbestandteile des gesellschaftlichen Produkts, wie durch ihren Gebrauchswert, ihre stoffliche Gestalt." (MEW 24, S. 393)

Derselbe Standpunkt findet sich wieder in den Theorien, nur dass Marx hier expressis verbis auf die Bedeutung des Gebrauchswerts als einer ökonomischen Kategorie hinweist. "Bei der Betrachtung des Mehrwerts als solchen - ist die Naturalform des Produkts, also (auch) des Mehrprodukts, gleichgültig. Bei der Betrachtung des wirklichen Reproduktionsprozesses wird sie wichtig, teils um seine Formen selbst zu verstehen, teils um den Einfluss, den Luxusproduktion usw. auf die Reproduktion übt." "Hier" - unterstreicht Marx - "erhalten wir wieder ein Beispiel, wie der Gebrauchswert als solcher ökonomische Wichtigkeit erhält." (MEW 26.3, S. 248) An einer anderen Stelle desselben Werkes untersucht Marx die Frage, "ob ein Teil des Mehrprodukts, worin sich der Mehrwert darstellt, direkt wieder als Produktionsmittel in seine eigene Produktionssphäre eingehen kann, ohne vorher veräußert zu werden." "Es gibt in den Industriebezirken" - schreibt er - "Maschinenbauer, die ganze Fabriken für die Fabrikanten bauen. Gesetzt, ein Zehntel ihres Produkts sei Mehrprodukt oder unbezahlte Arbeit. Ob dieser Zehntel des Mehrprodukts in Fabrikgebäuden sich darstellt, die für Dritte gebaut und an sie verkauft sind, oder in einem Fabrikgebäude, das der Produzent für sich bauen lässt, an sich selbst verkauft, ändert offenbar nichts an der Sache. Es handelt sich hier nur um die Art des Gebrauchswerts, worin die Mehrarbeit sich darstellt, ob sie wieder als Produktionsmittel in die Produktionssphäre des Kapitalisten eingehen kann, dem das Mehrprodukt gehört. Hier haben wir wieder ein Beispiel von der Wichtigkeit des Gebrauchswerts für die ökonomischen Formbestimmungen." (MEW 26.2, S. 489)

Wenn wir nun zum Themenbereich des III. Bandes des Kapitals übergehen, so lassen sich auch hier zahlreiche Beispiele für die Bedeutung des Gebrauchswerts als einer ökonomischen Kategorie finden. Das versteht sich von selbst von der Grundrente, die auch Marx (wie Ricardo) letzten Endes "aus dem Verhältnis des Tauschwerts zum Gebrauchswert" herleitet. Die Wichtigkeit des Gebrauchswerts zeigt sich aber ebenso in bezug auf die Profitrate, insofern diese von den Wertschwankungen der Rohstoffe abhängt. Denn "es sind namentlich eigentlich Agrikulturprodukte, der organischen Natur entstammende Rohstoffe, die solchen Wertschwankungen infolge wechselnder Ernteerträge usw. (...) unterworfen sind. Dasselbe Quantum Arbeit kann sich infolge unkontrollierbarer Naturverhältnisse, der Gunst oder Ungunst der Jahreszeiten usw. in sehr verschiedenen Mengen von Gebrauchswerten darstellen, und ein bestimmtes Maß dieser Gebrauchswerte wird danach einen sehr verschiedenen Preis haben." (MEW 25, S. 127-128) Solche Variationen der Preise aber "affizieren stets die Profitrate, auch wenn sie den Arbeitslohn, also die Rate und Masse des Mehrwerts, ganz unberührt lassen." (MEW 25, S. 115)

Besonders hervorgehoben werden muss der Einfluss des Gebrauchswerts auf die Kapitalakkumulation. "Man hat bisher in der marxistischen Literatur" - schreibt H. Grossmann - "immer wieder bloß die Tatsache betont, dass im Fortschritt der kapitalistischen Produktion und der Kapitalakkumulation, mit der Steigerung der Produktivität der Arbeit und dem Übergang zur höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals, die Wertmasse des konstanten Kapitals absolut und im Verhältnis zum variablen wächst. Dieses Phänomen bildet jedoch bloß die eine Seite des Akkumulationsprozesses, soweit man ihn nämlich nur von der Wertseite betrachtet. Aber, wie nicht oft genug wiederholt werden kann, der Reproduktionsprozess ist nicht bloß ein Verwertungsprozess, sondern auch ein Arbeitsprozess, er produziert nicht bloß Werte, sondern auch Gebrauchswerte." Und "von der Gebrauchswertseite betrachtet, wirkt die Steigerung der Produktivkraft nicht bloß in der Richtung der Entwertung des vorhandenen Kapitals, sondern auch in der Richtung der mengenmäßigen Steigerung der Gebrauchsdinge." (H. Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Leipzig 1929, S. 326-328)

Wie sich das auf den Prozess der Kapitalakkumulation auswirkt, kann man im Band III des Kapitals nachlesen: "Direkt kann die Steigerung der Produktivkraft (...) die Wertgröße des Kapitals nur vermehren, wenn sie durch Erhöhung der Profitrate den Wertteil des jährlichen Produkts vermehrt, der in Kapital rückverwandelt wird (...) Aber indirekt trägt die Entwicklung der Produktivkraft bei zur Vermehrung des vorhandenen Kapitalwerts, indem sie die Masse und Mannigfaltigkeit der Gebrauchswerte vermehrt, worin sich derselbe Tauschwert darstellt, und die das materielle Substrat, die sachlichen Elemente des Kapitals bilden, die stofflichen Gegenstände, woraus das konstante Kapital direkt und das variable wenigstens indirekt besteht. Mit demselben Kapital und derselben Arbeit werden mehr Dinge geschaffen, die in Kapital verwandelt werden können, abgesehen von ihrem Tauschwert. Dinge, die dazu dienen können, zusätzliche Arbeit einzusaugen, also auch zusätzliche Mehrarbeit, und so zusätzliches Kapital zu bilden." Denn: "Die Masse Arbeit, die das Kapital kommandieren kann, hängt nicht ab von seinem Wert, sondern von der Masse Roh- und Hilfsstoffe, der Maschinerie und Elemente des fixen Kapitals, der Lebensmittel, woraus es zusammengesetzt ist, was immer deren Wert sei. Indem damit die Masse der angewandten Arbeit, also auch Mehrarbeit wächst, wächst auch der Wert des reproduzierten Kapitals und der ihm neu zugesetzte Surpluswert." (MEW 25, S. 258-259)

V

Mit besonderer Ausführlichkeit wird in Band III des Kapitals das Problem der Nachfrage und Zufuhr (des Angebots) behandelt. Dieses Problem hängt aufs engste mit der vieldiskutierten Frage der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zusammen, deren eingehende Erörterung schon in unserem ersten, dem Marxschen Rohentwurf gewidmeten Kyklos-Artikel (Bd. VI, Nr. 2, S. 162-163, Anm. 65) angesagt wurde. "Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit" - lesen wir gleich zu Beginn des I. Bandes des Kapitals, "ist Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingiingen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen", und es ist "nur die zur Herstellung eines Gebrauchswerts gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (in diesem Sinne), welche seine Wertgröße bestimmt." (MEW 23, S. 53-54)

Dieser "technologischen" Deutung des Begriffs der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit begegnen wir immer wieder im Kapital und in anderen Marxschen Werken. Daneben findet sich aber auch eine andere Deutung, wonach nur jene Arbeit als "gesellschaftlich notwendig" gelten könne, die dem gesellschaftlichen Gesamtbedarf nach einem bestimmten Gebrauchswert entspreche. So heißt es schon im I. Band des Kapitals: "Gesetzt (...) jedes auf dem Markt vorhandene Stück Leinwand enthalte nur gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (im technologischen Sinn; R. R.). Trotzdem kann die Gesamtsumme dieser Stücke überflüssig verausgabte Arbeitszeit enthalten. Vermag der Marktmagen das Gesamtquantum Leinwand, zum Normalpreis von 2 Schilling per Elle, nicht zu absorbieren, so beweist das, dass ein zu großer Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit in der Form der Leinweberei verausgabt wurde. Die Wirkung ist dieselbe, als hätte jeder einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt verwandt. Hier heisst's: mitgefangen, mitgehangen. Alle Leinwand auf dem Markt gilt nur als ein Handelsartikel, jedes Stück nur als aliquoter Teil. Und in der Tat ist der Wert jeder individuellen Elle ja auch nur die Materiatur eines Teils des im Gesamtquantum der Ellen verausgabten gesellschaftlichen Arbeitsquantums." (MEW 23, S. 121-122)

In demselben Sinn aber äußert sich Marx auch an zahlreichen anderen Stellen. Und Friedrich Engels fasst sogar beide Deutungen in einer Definition zusammen, indem er gegen Rodbertus sagt: "Hätte er untersucht, wodurch und wie die Arbeit Wert schafft und daher auch bestimmt und misst, so kam er auf die gesellschaftlich notwendige Arbeit - notwendig für das einzelne Produkt sowohl gegenüber andern Produkten derselben Art, wie auch gegenüber dem gesellschaftlichen Gesamtbedarf." (MEW 21, S. 185)

Die Verquickung dieser beiden Deutungen der "gesellschaftlich notwendigen Arbeit" wurde von zahlreichen Autoren als ein unerträglicher Widerspruch empfunden. In Wirklichkeit ist der Widerspruch nur scheinbar; es handelt sich eben um zwei verschiedene Stufen der Untersuchung, die das Operieren mit zwei verschiedenen, aber einander ergänzenden Begriffen erforderten. Darüber heißt es in Band III des Kapitals: "Dass die Ware Gebrauchswert hat, heißt nur, dass sie irgendein gesellschaftliches Bedürfnis befriedigt. Solange wir nur von den einzelnen Waren handelten, konnten wir unterstellen, dass das Bedürfnis für diese bestimmte Ware - in dem Preis schon ihr Quantum eingeschlossen - vorhanden sei, ohne uns auf das Quantum des zu befriedigenden Bedürfnisses weiter einzulassen. Dieses Quantum wird aber ein wesentliches Moment, sobald das Produkt eines ganzen Produktionszweiges auf der einen Seite, und das gesellschaftliche Bedürfnis auf der anderen Seite steht. Es wird jetzt notwendig, das Maß, das heißt das Quantum dieses gesellschaftlichen Bedürfnisses, zu betrachten." (MEW 25, S. 194)

Ähnlich heißt es schon im Rohentwurf: "Zunächst, ganz oberflächlich betrachtet, ist die Ware nur Tauschwert, insofern sie zugleich Gebrauchswert, das heißt Objekt der Konsumtion ist (...)." Der Gebrauchswert ist aber immer ein "bestimmter, einseitiger, qualitativer Gebrauchswert. (...) Der Gebrauchswert an sich hat nicht die Maßlosigkeit des Werts als solchen. Nur bis zu einem gewissen Grade können gewisse Gegenstände konsumiert werden und sind sie Gegenstände des Bedürfnisses. Zum Beispiel: Es wird nur bestimmtes Quantum Getreide verzehrt usw. Als Gebrauchswert hat daher das Produkt in sich selbst eine Schranke - eben die Schranke des Bedürfnisses danach -, die aber nicht am Bedürfnis der Produzenten, sondern dem Gesamtbedürfnis der Austauschenden nun gemessen wird. Wo der Bedarf von einem bestimmten Gebrauchswert aufhört, hört er auf, Gebrauchswert zu sein." Damit ist aber "die Gleichgültigkeit des Werts als solchen gegen den Gebrauchswert (...) ebenso in falsche Position gebracht, wie andererseits die Substanz und das Maß des Werts als vergegenständlichte Arbeit überhaupt." (MEW 42, S. 318-320)

In der bisherigen Untersuchung wurde von einer Reihe vereinfachender Annahmen ausgegangen. Es wurde erstens angenommen, dass die Waren sich zu ihren Werten austauschen, und zweitens, dass sie immer ihre Käufer finden. Nur auf diesem Wege war es möglich, den Produktions- und den Zirkulationsprozess des Kapitals in reiner Gestalt, ohne Einwirkung "störender Nebenumstände", zu entwickeln. Nun aber muss das bisher vernachlässigte Moment der Nachfrage und Zufuhr zu seinem Recht kommen, in die ökonomische Analyse miteinbezogen werden.

Was die Zufuhr anbetrifft, so bedeutet das zunächst, dass wir an Stelle einer einzelnen Ware (oder des von einem einzelnen Kapitalisten produzierten Warenquantums) das Gesamtprodukt eines ganzen Produktionszweiges zu setzen haben. Für die einzelne Ware ging die Bestimmung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit daraufhinaus, dass "der individuelle Wert (und was unter dieser Voraussetzung dasselbe, der Verkaufspreis) der Ware (...) mit ihrem gesellschaftlichen Wert zusammenfalle" (MEW 25, S. 191). Ganz anders, wenn es sich um das Gesamtprodukt eines Produktionszweiges handelt. Hier kann die Bedingung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit nur für die ganze Warenmasse zutreffen; hier muss daher zwischen dem individuellen Wert der Waren und ihrem gesellschaftlichen Wert unterschieden werden. Der gesellschaftliche Wert nimmt jetzt die Form des Marktwerts an, der den Durchschnittswert der Warenmasse darstellt, und von dem deshalb die individuellen Werte einiger Waren immer abweichen müssen - sei es, dass sie über oder unter dem genannten Marktwert stehen. Denn in jedem Produktionszweig lassen sich im allgemeinen drei Klassen von Produzenten unterscheiden: Produzenten, die bei durchschnittlichen, bei über- und bei unterdurchschnittlichen Bedingungen produzieren. "Es wird namentlich von dem numerischen Verhältnis oder dem proportionellen Größenverhältnis der Klassen abhängen, welche den Durchschnittswert definitiv settled." (MEW 26.2, S. 202). In der Regel wird es die mittlere Klasse sein; in diesem Falle wird der unter schlechteren Bedingungen produzierte Teil der Warenmasse unter seinem individuellen Wert losgeschlagen werden müssen, während die unter besseren als durchschnittlichen Bedingungen erzeugten Waren einen Extraprofit erzielen. Es kann aber auch vorkommen, dass gerade die über oder die unter den Durchschnittsbedingungen stehende Klasse stark überwiegt; im ersten Falle werden deshalb die unter besseren, im zweiten die unter schlechteren Bedingungen erzeugten Waren den Marktwert bestimmen.

So stellt sich die Bestimmung des Marktwerts dar, wenn wir nur die auf den Markt geworfene Warenmasse betrachten und von der Möglichkeit einer Inkongruenz zwischen der Zufuhr und der Nachfrage absehen. Ist nämlich "die Nachfrage geradeso groß (...), um die Warenmasse zu ihrem so festgesetzten Werte zu absorbieren", dann "wird die Ware zu ihrem Marktwert verkauft, welcher der drei vorhin untersuchten Fälle auch diesen Marktwert regulieren möge. Die Warenmasse befriedigt nicht nur ein Bedürfnis, sondern sie befriedigt es in seinem gesellschaftlichen Umfang." (MEW 25, S. 195) Wir wissen aber: in der kapitalistischen Produktionsweise "existiert kein notwendiger, sondern nur zufälliger Zusammenhang zwischen dem Gesamtquantum der gesellschaftlichen Arbeit, das auf einen gesellschaftlichen Artikel verwandt ist (...) einerseits, und zwischen dem Umfang andererseits, worin die Gesellschaft Befriedigung des durch jenen bestimmten Artikel gestillten Bedürfnisses verlangt. Obgleich jeder einzelne Artikel oder jedes bestimmte Quantum einer Warensorte nur die zu seiner Produktion erheischte gesellschaftliche Arbeit enthalten mag, und von dieser Seite her betrachtet der Marktwert dieser gesamten Warensorte nur notwendige Arbeit darstellt, so ist doch, wenn die bestimmte Ware in einem das gesellschaftliche Bedürfnis dermalen überschreitenden Maß produziert worden, ein Teil der gesellschaftlichen Arbeitszeit vergeudet, und die Warenmasse repräsentiert dann auf dem Markt ein viel kleineres Quantum gesellschaftlicher Arbeit, als wirklich in ihr enthalten ist. (...) Umgekehrt, wenn der Umfang der auf die Produktion einer bestimmten Warensorte verwandten gesellschaftlichen Arbeit zu klein für den Umfang des durch das Produkt zu befriedigenden besonderen gesellschaftlichen Bedürfnisses." (MEW 25, S. 196-197)

In beiden Fällen wird die früher "abstrakt dargestellte Festsetzung des Marktwerts" modifiziert, und zwar so, "dass wenn das Quantum (der Zufuhr) zu klein, stets die unter den schlechtesten Bedingungen produzierte Ware den Marktwert reguliert, und wenn zu groß, stets die unter den besten Bedingungen produzierte; dass also eines der Extreme den Marktwert bestimmt, trotzdem dass nach dem bloßen Verhältnis der Massen, die unter den verschiedenen Bedingungen produziert sind, ein anderes Resultat stattfinden müsste." (MEW 25, S. 195)

Man sieht: welche der drei Klassen den Marktwert festsetzt, hängt nicht nur von der proportionalen Stärke der Klasse, sondern in gewissem Sinne auch vom Verhältnis der Zufuhr und Nachfrage ab. Wird aber nicht dadurch die Marxsche Werttheorie selbst über den Haufen geworfen? Mit nichten. Dem wäre nur so, wenn jedes Überwiegen der Nachfrage über die Zufuhr oder vice versa zu einer proportionellen Erhöhung oder Senkung des Marktwertes selbst führen würde. In diesem Falle aber wäre der Marktwert mit dem Marktpreis identisch, oder er müsste - wie sich Marx an einer Stelle ausdrückt - "über sich selbst stehn" (MEW 26.2, S. 270). Denn nach der Marxschen Auffassung kann sich der Marktwert immer nur innerhalb der Grenzen bewegen, die durch die Produktionsbedingungen (und daher durch den individuellen Wert) einer der drei Klassen bestimmt sind.

"Ein Unterschied von Marktwert und individuellem Werte" - steht in dem der Grundrente gewidmeten Teil der Theorien - "kommt überhaupt nur vor, nicht weil Produkte absolut über ihrem Werte verkauft werden, sondern weil der Wert, den das Produkt einer ganzen Sphäre hat, verschieden sein kann von dem Werte des einzelnen Produkts (...) Der Unterschied von Marktwert und individuellem Werte eines Produkts kann sich daher nur auf die verschiedene Produktivität beziehen, womit ein bestimmtes Quantum Arbeit verschiedene Portionen des Gesamtprodukts hervorbringt. Er kann sich nie darauf beziehen, dass der Wert unabhängig vom Arbeitsquantum, das in dieser Sphäre überhaupt angewandt ist, bestimmt wird." (MEW 26.2, S. 269)

Wird also infolge der Marktlage die Warenmasse über dem individuellen Wert der unter schlechtesten Bedingungen oder umgekehrt unter dem individuellen Wert der unter besten Bedingungen erzeugten Waren verkauft, so liegt zwar eine Abweichung des Marktpreises von dem Marktwert, nicht aber eine Änderung des Marktwerts selbst vor. "Dieser Marktwert kann nie größer sein, als der individuelle Wert des Produkts der mindest-fruchtbaren Klasse (der Kohlenbergwerke). Wäre er höher, so bewiese das nur, dass der Marktpreis über dem Marktwert steht. Der Marktwert aber muss wirklichen Wert darstellen." (MEW 26.2, S. 266) Und dieses Regulieren der zeitweiligen Schwankungen der Marktpreise ist natürlich die hauptsächlichste Funktion, die dem Verhältnis von Nachfrage und Angebot im System der bürgerlichen Ökonomie zukommt.

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Worauf es uns hier ankam, war ja nur, zu zeigen, dass Marx mit strenger Folgerichtigkeit das Problem der "gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit" auf zwei verschiedenen Stufen behandelt, und dass er auf diesem Wege eben das Moment des gesellschaftlichen Bedarfs, das heißt des Gebrauchswerts, ins richtige Licht setzen wollte.

"Denn Bedingung" - heißt es an einer Stelle des III. Bandes - "bleibt der Gebrauchswert. Wenn aber der Gebrauchswert bei der einzelnen Ware davon abhängt, dass sie an und für sich ein Bedürfnis befriedigt, so bei der gesellschaftlichen Produktenmasse davon, dass sie dem quantitativ bestimmten gesellschaftlichen Bedürfnis für jede besondere Art von Produkt adäquat, und die Arbeit daher im Verhältnis dieser gesellschaftlichen Bedürfnisse, die quantitativ umschrieben sind, in die verschiedenen Produktionssphären proportionell verteilt ist. (...) Das gesellschaftliche Bedürfnis, das heißt der Gebrauchswert auf gesellschaftlicher Potenz, erscheint hier bestimmend für die Quota der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit, die den verschiedenen besonderen Produktionssphären anheimfallen. Es ist aber nur dasselbe Gesetz, das sich schon bei der einzelnen Ware zeigte, nämlich: dass ihr Gebrauchswert Voraussetzung ihres Tauschwerts und damit ihres Werts ist (...) Diese quantitative Schranke der auf die verschiedenen besonderen Produktionssphären verwendbaren Quoten der gesellschaftlichen Arbeitszeit ist nur weiterentwickelter Ausdruck des Wertgesetzes überhaupt; obgleich die notwendige Arbeitszeit hier einen andern Sinn erhält. Es ist nur soundso viel davon notwendig zur Befriedigung des gesellschaftlichen Bedürfnisses. Die Beschränkung tritt hier ein durch den Gebrauchswert." (MEW 25, S. 648-649)

Auch hier zeigt es sich also, wie der Gebrauchswert als solcher in die Verhältnisse der auf Tauschwert gegründeten bürgerlichen Ökonomie hineinspielt, wie er daher selbst zu einer ökonomischen Kategorie wird.

Mit diesem letzten Beispiel kann unsere Untersuchung abgeschlossen werden. Ob die zahlreichen, von uns gebrachten Auszüge aus dem Rohentwurf und anderen Werken uns Recht geben und tatsächlich, wie wir glauben, zu einer teilweisen Revision der bisherigen Auslegungen der ökonomischen Theorie von Marx führen müssen, wird von der künftigen Marx-Forschung entschieden werden.

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Immaterial World

Gebrauchswert

von Stefan Meretz

Karl Marx hat in genialer Weise die kategoriale Struktur des Kapitalismus analysiert. Dennoch gibt es auch in seinem Werk deutliche Widersprüche, und einer ist die Verwendung des Begriffs Gebrauchswert. Einerseits definierte Marx Gebrauchswert als überhistorisch gültige Kategorie: "Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei", schrieb er gleich zu Beginn im Kapital.

Andererseits verwendete Marx den gleichen Begriff eindeutig historisch-spezifisch, nämlich kapitalismus-analytisch - etwa, wenn er vom Gebrauchswert des Geldes schreibt und damit die gesellschaftliche Eigenschaft der unmittelbaren Austauschbarkeit meint. Oder wenn er den Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft als Fähigkeit fasst, Wert zu produzieren. Hier geht es nicht um einen in jeder Gesellschaft findbaren "Inhalt des Reichtums", sondern um "spezifisch gesellschaftliche Funktionen" im Kapitalismus, wie Marx eigentlich wusste.

Ich möchte ein zweigeteiltes methodologisches Argument entwickeln, warum Gebrauchswert keine überhistorische Kategorie sein kann und Marx hierin also irrte - mit Hilfe der Hegelschen Dialektik, die auch die Grundlage der Marxschen Analysen bildete.

Erstens versteht Marx den Gebrauchswert immer als Moment der Ware. Er weist in einer Fußnote darauf hin, dass noch im 17. Jahrhundert häufig "'Worth' für Gebrauchswert und 'Value' für Tauschwert" verwendet wurde, "ganz im Geist einer Sprache, die es liebt, die unmittelbare Sache germanisch und die reflektierte Sache romanisch auszudrücken". Gebrauchswert bezieht sich auf das unmittelbare, sinnlich-konkrete und Wert auf das reflektierte, vermittelt-gesellschaftliche Moment der Ware.

Der Witz ist nun: Als gegensätzliche Momente haben sie, unmittelbarer Gebrauchswert und vermittelter Wert, keine eigenständige Gestalt, sie drücken jeweils nur einen Aspekt eines Ganzen aus, in diesem Fall der Ware. Die gleiche Struktur finden wir bei einer weiteren, eng verbundenen Doppelform, die Marx gar zum "Springpunkt" seiner Theorie erklärte: die Gebrauchswert erzeugende konkrete Arbeit und die wertschaffende abstrakte Arbeit. Beide sind nur Momente der warenproduzierenden Arbeit, sie existieren aber nicht für sich. Auch wenn wertkritische Redeweisen das manchmal nahelegen.

Wenn Gebrauchswert und Wert nur Unterschiedene im Identischen sind, könnte man auf die Idee kommen, dass eben das Identische, also die Ware, und mit ihr ihre beiden Momente überhistorisch sind. Diese Idee verfolgen tatsächlich nicht wenige traditionelle Marxist*innen.

Zweitens, ist nun aber dagegen einzuwenden, existiert die Ware als solche nur im kapitalistischen Systemzusammenhang. Wir haben es bei Ware und System nicht mit dem horizontalen Verhältnis zweier gegensätzlicher Momente, sondern mit dem vertikalen Verhältnis von Element und Totalität zu tun. Es ist dies das Verhältnis wechselseitiger Erzeugung.

Die Ware als basale Sozialform auf der Mikroebene erzeugt die systemische Sozialform des Ganzen, des Kapitalismus. Das Systemganze wiederum ist die erzeugende formgebende Bedingung für die Ware. Ihre horizontal gegensätzlichen Momente, Gebrauchswert und Wert, stehen nicht still, sondern werden im systemischen Gesamt in eine Bewegung gebracht, deren Kern Marx formelhaft mit G-W-G' gefasst hat: Aus Geld muss durch Warenproduktion mehr Geld werden. Kurz: Die Ware ist Element im System des Kapitalismus, das sie erzeugt, und nur darin entfaltet sie ihre volle Warenhaftigkeit.

Das bedeutet jedoch, dass es die entfaltete Ware außerhalb des Kapitalismus nicht geben kann. Vor dem Kapitalismus gab es zwar "Waren", aber nur als Frühform oder Keimform, weil die ihr angemessene und sie entfaltende Systemumgebung noch fehlte. Wer kapitalistische mit mittelalterlichen Waren vergleicht, vergleicht Äpfel mit Birnen: Sie haben etwas gemeinsam, unterscheiden sich aber dennoch.

Das wiederum bedeutet, dass auch die Momente der Ware keine überhistorischen Eigenschaften sind und somit auch keine vorkapitalistische ausgebildete Existenz in der von Marx bestimmten Bedeutung haben können. Zwar gab es ebenso wie von der ganzen Ware auch Frühformen der Momente. Irgendwie geht es immer um sinnlich-stofflichen Reichtum und immer um gesellschaftliche Vermittlung, doch ihre wahre Gestalt und Funktion bekommen Gebrauchswert und Wert erst als Momente der kompletten, der entfalteten Ware im System des Kapitalismus.

Was sind die Konsequenzen dieser Überlegungen? So wie die Ware nicht bloß unschuldiges Produkt ist, sondern die Exklusionslogik des Systemganzen in sich trägt, in dem es sie erzeugt, so sind auch ihre Momente nicht separierbar, sondern enthalten einander. Es gibt keinen unschuldigen Gebrauchswert, sondern dieser trägt die Form und den Zweck der Vermittlung über den Wert in sich. Externalisierungen wie Umweltzerstörung, Ressourcenvernichtung und Menschenverschleiß oder geplante Obsoleszenz sind keine nachlässigen Flüchtigkeitsfehler, sondern genuines Resultat der Warenproduktion: It's not a bug, it's a feature.

Wer sinnlich-stoffliche Aspekte der Ware retten will, muss Re-/Produktion in einem völlig neuen Zusammenhang entwickeln, in dem die unmittelbar-sinnlichen und vermittelt-gesellschaftlichen Momente nicht in einem Gegensatz stehen. Sondern Ausdruck dessen sind, um was es bei der vorsorgenden Schaffung der Lebensbedingungen überhistorisch geht: um die Befriedigung von Bedürfnissen.

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Weiblich, nützlich, gut?
Marxistisch-feministische Überlegungen zum Gebrauchswert

von Marlene Radl und Verena Rauch

Im Marx'schen Hauptwerk, dem Kapital, steht die Kritik des Werts und Mehrwerts im Zentrum des Interesses. Der Gebrauchswert, als einer der zwei Faktoren der kapitalistischen Ware, gilt dementsprechend oft als das dem Wert untergeordnete, ausgeblendete und sogar aus der politischen Ökonomie herausfallende Moment der Ware. Dort setzt unser feministisches Interesse an dieser Kategorie an, denn es scheint naheliegend zu sein, den Gebrauchswert mit Sinnlichkeit, Natürlichkeit und Nützlichkeit zu identifizieren - Eigenschaften, die in der bürgerlichen Gesellschaft der "Frau" zugeschrieben werden. Gerade in älteren feministischen Debatten findet sich diese Identifikation auch ganz direkt, wenngleich dieser Zusammenhang nirgendwo systematisch entfaltet wird. Die Zuordnung von Gebrauchswert und Weiblichkeit folgt eher einer bürgerlichen Plausibilität, die den Gebrauchswert als die "natürliche" Seite der Ware betrachtet und in die Nähe der mit Natur identifizierten Frau rückt. Zudem produzieren Frauen - übernimmt man die Marx'sche Terminologie - im häuslichen Reproduktionsbereich Gebrauchswerte und keine Waren. Da gebrauchswertschaffende Reproduktionstätigkeiten nicht wertschaffend sind und in der Kritik der politischen Ökonomie weitgehend ignoriert werden, wurden sie in der Theoriegeschichte nicht selten als vorkapitalistische Formen verabschiedet. Marxistische Feministinnen haben zwar darauf aufmerksam gemacht, dass der Reproduktionsbereich Voraussetzung der kapitalistischen Produktion ist, nichtsdestotrotz wurde die Interpretation, der Gebrauchswert falle aus den kapitalistischen Zusammenhängen heraus, häufig übernommen.

Wir wollen durch die Auseinandersetzung mit der Kategorie Gebrauchswert zweierlei Argumentationssträngen im marxistischen Feminismus entgegensteuern:

Zum einen führt die Assoziation von Weiblichkeit mit Gebrauchswert dazu, die weibliche Sphäre und den Gebrauchswert als anschlussfähig für die Entwicklung von Utopien zu theoretisieren, da der Gebrauchswert als "nicht-kapitalistisch" gefasst wird. Als Beispiel sei hier auf die Bielefelder Schule, z.B. auf Maria Mies, verwiesen, die eine Subsistenzproduktion im Sinne einer "Gebrauchswert-Ökonomie" vorschlägt und in der weiblichen Reproduktionssphäre bereits Ansätze für eine bessere Einrichtung der Welt erkennt (vgl. Mies 1983, 117).

Zum anderen versuchten Feministinnen wie die italienische Operaistin Mariarosa Dalla Costa zu zeigen, dass Hausarbeit "über die Produktion reiner Gebrauchswerte hinaus" (Dalla Costa 1978, 39) eine wesentliche (nämlich produktive) Funktion im Kapitalismus erfüllt. Dieser Feststellung folgend, versuchten Theoretikerinnen, die vorrangig von Frauen verrichteten unbezahlten Reproduktionstätigkeiten als produktive, wertschaffende Arbeit zu verstehen. Dieser Versuch geht häufig mit einem moralischen Standpunkt einher, von dem aus es als ungerecht empfunden wird, dass nur männlich konnotierte Lohnarbeit als Arbeit und als produktiv gilt, während unbezahlte Reproduktionstätigkeiten diesen Kriterien nicht entsprechen. Ein solcher Standpunkt verleitet darüber hinaus zur Affirmation der kritikwürdigen Kategorien Produktivität, Arbeit und Wert. In der berühmten Hausarbeitsdebatte der 1970er-Jahre ging es dementsprechend um die Frage, inwiefern unbezahlte Reproduktionstätigkeiten Wert schaffen, während der Gebrauchswert in dieser Diskussion keine große Rolle spielte.

Dieser Artikel versucht, einen Perspektivenwechsel in der feministischen Auseinandersetzung mit Marx vorzuschlagen. Zentrale These dabei ist, dass eine Neubesetzung der Marx'schen Kategorien nicht notwendig ist, um feministische Kritik zu üben. Viel eher sollten die ohnehin weiblich besetzten Kategorien, wie etwa der Gebrauchswert, selbst zum Gegenstand der Kritik und in die Analyse der politischen Ökonomie aufgenommen werden. Damit erübrigt sich unserer Meinung nach die Romantisierung des Reproduktionsbegriffs als etwas, was außerhalb des kapitalistischen Verwertungszusammenhangs stehe, und die daran anknüpfenden Gebrauchswert-Utopien. Mit einem präzisierten Verständnis des Gebrauchswerts kann die marxistisch-feministische Diskussion, so die Idee, auf die Grundlagen der Marx'schen Kritik zurückgebunden und dadurch vorangebracht werden.

Das hier vorgeschlagene Verständnis des Gebrauchswerts folgt einer Lesart, die keine eindeutige Grenze zwischen "dem Natürlichen" und "dem Sozialen" kennt und betont, dass zumindest unter gewissen Bedingungen der natürliche Faktor Gebrauchswert zu einer sozialökonomischen Kategorie werden kann. In Abgrenzung zu weiten Teilen marxistischer Theorie, welche den Gebrauchswert als jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie und als bloß "natürlichen" und nicht als gesellschaftlichen Aspekt der Ware fassen, schlagen wir mit Roman Rosdolsky (1959) vor, den Gebrauchswert als ökonomisch bedeutende Kategorie zu bestimmen. Als aussagekräftigstes Beispiel für die Relevanz der Kategorie gilt der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft, der auch im Fokus des vorliegenden Textes steht. Zunächst scheint es jedoch sinnvoll, an einige Stellen bei Marx zu erinnern, die aufschlussreich für ein aktualisiertes Verständnis des Gebrauchswerts sind.

Der Gebrauchswert auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen

Wenn marxistische Theorien auf den Gebrauchswert referieren, tun sie das zumeist lediglich in Bezug auf die Stellen im ersten Kapitel des Kapitals. Doch gilt es, darauf hinzuweisen, dass Marx in seinem Hauptwerk erst nach und nach die verschiedenen Kategorien entwickelt, um den kapitalistischen Produktionsprozess als Ganzes begreifbar und kritisierbar zu machen. Am Anfang der Kritik der politischen Ökonomie, im Abschnitt zur Ware, wird vom Kapital noch abstrahiert. Dort finden sich die bekanntesten und die am häufigsten zitierten Definitionen des Gebrauchswerts. Darunter: "Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert. [...] Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Träger des - Tauschwerts." (MEW 23, 50)

Das obige Zitat wurde häufig dahingehend verstanden, dass der Gebrauchswert unabhängig von der Form des Reichtums - im Kapitalismus die Warenform - bestehe und daran anknüpfend eine ahistorische Kategorie darstelle. Auch an anderen Stellen macht Marx explizit, dass der Gebrauchswert prinzipiell unabhängig von der Warenform existieren kann. "Wer durch sein Produkt sein eigenes Bedürfnis befriedigt, schafft zwar Gebrauchswert, aber nicht Ware." (MEW 23, 55) Für Marx müssen zwar alle Waren einen Gebrauchswert besitzen, jedoch sind die Gebrauchswerte ihrerseits unabhängig von der Warenform. Dieser Aspekt wurde oft so interpretiert, als würde der Gebrauchswert vollkommen unabhängig gesellschaftlicher Formen existieren und dadurch außerhalb der Geschichte liegen.

Wenn die einzelne Ware und der Austauschprozess betrachtet werden, ist die Gesellschaftlichkeit der konkreten Gebrauchswerte nicht sichtbar. Hier sind die Gebrauchswerte der Waren bloße Voraussetzung ihrer Austauschbarkeit. Wie die auszutauschenden Waren produziert wurden und welcher Art von Konsum sie nach dem Austausch verfallen, ist bei der Betrachtung dieser Abstraktionsebene nicht erkennbar. Auf dieser Ebene der einfachen Zirkulation wird vom Kapital abstrahiert. Dargestellt wird die bürgerliche Gleichheit und Freiheit der Austauschenden, die reale Grundvoraussetzungen für den Warentausch sind (vgl. Hafner 1993, 65 f.). Auf dieser Ebene spielt der Gebrauchswert vordergründig wohl tatsächlich nur in seiner Funktion als stofflicher Träger des Tauschwerts eine Rolle.

Wir aber argumentieren mit Roman Rosdolsky (1959, 35), dass konkrete Gebrauchswerte auf anderen Ebenen der Darstellung bei Marx sehr wohl "gesellschaftliche Form" annehmen und insofern auch auf ein soziales Verhältnis hinweisen. Rosdolsky betont, dass, um die Frage zu klären, ob dem Gebrauchswert eine ökonomische Bedeutung zukommt oder nicht, man sich seine Beziehung zu den sozialen Produktionsverhältnissen vergegenwärtigen muss. Sofern konkrete Gebrauchswerte diese Verhältnisse beeinflussen oder selbst von ihnen beeinflusst werden, sind sie selbst auch ökonomische Kategorien. Unter gewissen Voraussetzungen wird der Gebrauchswert also selbst zur ökonomischen Form. Dazu schreibt Marx in den Grundrissen: "Die erste Kategorie, worin sich der bürgerliche Reichtum darstellt, ist die der Ware. Die Ware selbst erscheint als Einheit zweier Bestimmungen. Sie ist Gebrauchswert, d.h. Gegenstand der Befriedigung irgendeines Systems menschlicher Bedürfnisse. Es ist dies ihre stoffliche Seite, die den disparatesten Produktionsepochen gemeinsam sein kann und deren Betrachtung daher jenseits der politischen Ökonomie liegt. Der Gebrauchswert fällt in ihren Bereich, sobald er durch die modernen Produktionsverhältnisse modifiziert wird oder seinerseits modifizierend in sie eingreift." (MEW 42, 767)

Einer dieser Momente, in dem der Gebrauchswert selbst zur gesellschaftlichen Form kapitalistischer Produktion wird, ist der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft. Auf diesen Aspekt wollen wir, insbesondere aufgrund seiner feministischen Relevanz, nun näher eingehen.

Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft

Im zweiten Abschnitt des Kapitals führt Marx die Ware Arbeitskraft ein. Die Arbeitskraft ist eine eigentümliche Ware, so schreibt er. Dem/Der doppelt freien LohnarbeiterIn (frei von direkten Herrschaftsverhältnissen und frei von Produktionsmitteln) bleibt im Kapitalismus nichts anderes übrig, als seine oder ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, da er oder sie sonst nichts hat (vgl. MEW 23, 183). Die eigentümliche Ware Arbeitskraft besticht nun gerade durch ihren außergewöhnlichen Gebrauchswert - nämlich die Fähigkeit, Wert schaffen zu können. Diesbezüglich schreibt Marx:

"Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehn, müßte unser Geldbesitzer so glücklich sein, innerhalb der Zirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Wertschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor - das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft." (MEW 23, 181)

Hier findet sich ein Gebrauchswert, dessen Nützlichkeit nur in einem bestimmten gesellschaftlichen Verhältnis - nämlich im kapitalistischen Produktionsverhältnis - existiert. Dieser Gebrauchswert kann per se keinen "ahistorischen" Charakter haben. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft besitzt die Eigenschaft, neben der Herstellung von konkreten Dingen, Wert für das Kapital zu schaffen. Denn die Arbeitskraft kann als einzige Ware Wert - als Quantum geronnener Arbeit - herstellen. "Der Gebrauchswert [der Arbeitskraft], den letztrer [der Geldbesitzer] seinerseits im Austausch erhält, zeigt sich erst im wirklichen Verbrauch, im Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft." (MEW 23, 189; Anm. der Autorinnen) Die Verwirklichung des Gebrauchswerts der Arbeitskraft und der Konsumtionsprozess dieser Ware fallen zusammen, wie sich auch der Gebrauchswert aller anderen Waren erst in der Konsumtion realisiert und von dieser nicht zu trennen ist.

Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft ist nun jedoch die Voraussetzung des kapitalistischen Produktionsprozesses. Der Konsum der Arbeitskraft fällt direkt mit der Setzung von neuem Wert zusammen. Zwar bedarf es für die Realisation des Werts immer auch des Tausches bzw. der Zirkulation, dennoch überschneidet sich die Setzung und Schaffung des Werts in der kapitalistischen Produktion direkt mit der Realisation des Gebrauchswerts der Arbeitskraft. In diesem Kontext, schreibt Rosdolsky, gehört nun der Gebrauchswert der Arbeitskraft "in die ökonomische Formbestimmtheit, [...] weil der Gebrauchswert hier selbst durch den Tauschwert bestimmt ist" (Rosdolsky 1959, 40).

Rosdolsky will damit sagen, dass das Streben nach Mehrwert in der Produktion erst den spezifischen Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft bestimmt, ihn sozusagen konstituiert, denn die Mehrwertschöpfung wird direkt aus dem Gebrauchswert der Arbeitskraft hergeleitet. Dieser Gebrauchswert hat überhaupt keine stoffliche oder "natürliche" Seite mehr, sondern ist durch und durch gesellschaftlich bestimmt und zudem Grundlage kapitalistischer Produktion. Anders als bei anderen Waren ist die Konsumtion des Gebrauchswerts der Arbeitskraft ein zutiefst ökonomisch bedeutender Vorgang, da sie unmittelbar zur Produktion von Wert und somit direkt zur Reproduktion kapitalistischer Vergesellschaftung beiträgt. Spätestens hier hat der Gebrauchswert seine natürliche und stoffliche Seite verloren und gehört als "ökonomische Formbestimmung" (Rosdolsky 1959, 38) in die Kritik der politischen Ökonomie miteinbezogen.

Das Verständnis des Gebrauchswerts als gesellschaftliche Form, wie es Rosdolsky nahelegt, schafft eine neue Perspektive auf unbezahlte Reproduktionstätigkeiten, die für feministische Analysen fruchtbar gemacht werden kann. Schließlich sind es die weiblich gesetzten Reproduktionstätigkeiten, die den Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft schaffen und gerade dadurch kapitalistische Produktion ermöglichen.

Weiblich, nützlich, schlecht

Die Ware Arbeitskraft hat wie jede andere Ware Gebrauchswert und Wert. Marxistisch-feministische Theorien fokussierten bisher in der Regel auf die Analyse des Werts der Ware Arbeitskraft. Diesen sieht Marx analog zum Wert jeder anderen Ware bestimmt durch die zur Produktion dieser Ware notwendige Arbeitszeit. Als Arbeit werden in diesem Kontext nur jene Tätigkeiten verstanden, die von verkaufter Arbeitskraft verrichtet werden. In den Wert der Arbeitskraft fließen daher nur die marktvermittelten Dinge und Tätigkeiten, also Waren und Dienstleistungen ein. Alle anderen zur Reproduktion notwendigen Tätigkeiten, die nicht marktvermittelt, sondern unbezahlt erledigt werden, wie Waschen, Kochen, Putzen etc., finden in der Marx'schen Kritik kaum Beachtung. Feministinnen bezeichneten genau das als "blinden Fleck" (v. Werlhof, 1978) der Marx'schen Theorie. Da Marx sich nicht mit der Besonderheit der Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft auseinandersetzt, gehen die vor allem von Frauen verrichteten Tätigkeiten zur Herstellung der Arbeitskraft in seiner Analyse und Kritik verloren. Diese Lücke zu thematisieren und zu kritisieren, empfinden wir als zentral.

Der Gebrauchswert der Arbeitskraft wird jedoch anders als der Wert nicht nur durch die in sie eingehenden Waren und Dienstleistungen bestimmt, sondern wird auch durch die unbezahlten Reproduktionstätigkeiten geschaffen, bilden diese doch eine Voraussetzung dafür, dass die Arbeitskraft erneut verausgabt und vonseiten des Kapitals konsumiert werden kann. Der Fokus auf den Gebrauchswert der Arbeitskraft betont somit einen Aspekt des "blinden Flecks", der bislang vernachlässigt wurde. Der Versuch, die unbezahlten Reproduktionstätigkeiten als direkt mehrwertschaffend zu fassen, lässt den Gebrauchswert als ökonomisch bedeutende Kategorie links liegen und wendet sich dem als relevanter betrachteten Faktor Wert zu, da die negative Bestimmung der Kategorie Gebrauchswert übersehen wird. Jedoch sind die weiblich besetzten Begriffe - wie Gebrauchswert, Konsum und Reproduktion - selbst Teil einer kapitalistischen Vergesellschaftung, die nicht als Relikte oder ahistorische Kategorien interpretiert und auch nicht als politisch-ethisch "gute" Momente romantisiert werden können, sondern in ihrer kapitalistischen Verfasstheit selbst zum Gegenstand der Kritik werden müssen.

Am Beispiel des Gebrauchswerts der Ware Arbeitskraft wird deutlich, dass der Gebrauchswert keineswegs aus der Kritik der kapitalistischen Produktionsweise herausfällt, sondern in die Analyse integriert werden muss. Schließlich fällt seine Verwirklichung direkt mit der Setzung von Wert und dadurch mit der Schaffung des zentralen Vergesellschaftungsmoments im Kapitalismus zusammen. Dementsprechend findet sich kein transzendierendes oder den Kapitalismus überwindendes Moment im Gebrauchswert, wie oft - auch feministisch - fehlinterpretiert wurde. Der Gebrauchswert bezeichnet nicht an sich etwas politisch-ethisch Gutes, auch wenn in allen Vorstellungen eines "guten Lebens" irgendein Gebrauch von Dingen eine Rolle spielt.

Diese Erkenntnis könnte der marxistisch-feministischen Theorie eine neue Stoßrichtung geben, indem unter Beibehaltung der originären Bedeutung der Marx'schen Kategorien die Integration unbezahlter Reproduktionstätigkeiten in die Analyse und die Kritik der politischen Ökonomie möglich wird. Schließlich erscheint es notwendig, insbesondere im marxistischen Feminismus erneut daran zu erinnern, dass es Marx darum ging, die kategorialen Voraussetzungen der bürgerlichen Ökonomie zu kritisieren. Der Gebrauchswert sollte hier keine Ausnahme bilden.


Literatur

Dalla Costa, Mariarosa (1978): Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin: Merve-Verlag.

Hafner, Kornelia (1993): Gebrauchswertfetischismus, in: Behrens, Diethard (Hg.): Gesellschaft und Erkenntnis. Zur materialistischen Erkenntnis- und Ökonomiekritik, Freiburg: ca ira.

Mies, Maria (1983): Subsistenzproduktion, Hausfrauisierung, Kolonisierung, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Köln 6 Jg. 1983, 9/10, 115-124.

MEW 23: Das Kapital. Erster Band: Der Produktionsprozess des Kapitals.

MEW 42: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie.

Rosdolsky, Roman (1959): Der Gebrauchswert bei Karl Marx. Eine Kritik der bisherigen Marx-Interpretationen, in: Kyklos. Helbing & Lichtenhahn, Basel 12 Jg. 1959, 1, 27-56.

v. Werlhof, Claudia (1978): Frauenarbeit: Der blinde Fleck in der Kritik der politischen Ökonomie, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, München 1 Jg. 1978, 1, 18-32.

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Das unschuldige Ding
Facetten und Tücken des Gebrauchswerts

von Franz Schandl

Frisch sind die Zweifel ja nicht. Macht der Begriff des Gebrauchswerts überhaupt Sinn? Und wenn ja, welchen? Sind Gebrauchswerte universeller Natur, zumindest von hoher ontologischer Härte, unbeeindruckt von verschiedensten Produktionsverhältnissen, eine eherne und unhintergehbare Größe von Anbeginn bis hinein in alle Ewigkeit? Vor allem auch, was macht der seltsame Terminus "Wert" im Gebrauchswert? Zufall? Ist er nur reingerutscht, wie Marx einmal genervt nahelegte. (MEW 19, S. 369) Wurde er relativ unreflektiert von Aristoteles' Übersetzern oder David Ricardo übernommen? Wie eng hängen die Gebrauchswerte an den Waren, sind sie überhaupt ohne Wert resp. Tauschwert zu denken? Ist die Herrschaft des Werts den Gebrauchswerten oktroyiert oder inhärent?

Stets und immer

Der einfache oder exoterische Marx geht so: "Die Gebrauchswerte sind unmittelbar Lebensmittel. Umgekehrt aber sind diese Lebensmittel selbst Produkte des gesellschaftlichen Lebens, Resultat verausgabter menschlicher Lebenskraft, vergegenständlichte Arbeit. Als Materiatur der gesellschaftlichen Arbeit sind alle Waren Kristallisationen derselben Einheit." (MEW 13, S. 16-17) "Der Tauschwert jeder Ware drückt sich in dem Gebrauchswert jeder andern Ware aus, sei es in ganzen Größen oder in Brüchen dieses Gebrauchswerts." (MEW 13, S. 28) Konkrete Arbeit setze Gebrauchswert, abstrakte Arbeit Tauschwert. Die Doppelform der Arbeit setze die Doppelform der Ware. (MEW 13, S. 53)

Klassisch sind jene Charakterisierungen, die analog zur Arbeit den Gebrauchswert als eherne Konstante menschlichen Produzierens betrachten: "Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln." (MEW 23, S. 57) Oder: "Welches immer die gesellschaftliche Form des Reichtums sei, Gebrauchswerte bilden stets seinen gegen diese Form zunächst gleichgültigen Inhalt. Man schmeckt dem Weizen nicht an, wer ihn gebaut hat, russischer Leibeigner, französischer Parzellenbauer oder englischer Kapitalist. Obgleich Gegenstand gesellschaftlicher Bedürfnisse, und daher in gesellschaftlichem Zusammenhang, drückt der Gebrauchswert jedoch kein gesellschaftliches Produktionsverhältnis aus. Diese Ware als Gebrauchswert ist z.B. ein Diamant. Am Diamant ist nicht wahrzunehmen, dass er Ware ist. Wo er als Gebrauchswert dient, ästhetisch oder mechanisch, am Busen der Lorette oder in der Hand des Glasschleifers, ist er Diamant und nicht Ware. Gebrauchswert zu sein scheint notwendige Voraussetzung für die Ware, aber Ware zu sein gleichgültige Bestimmung für den Gebrauchswert. Der Gebrauchswert in dieser Gleichgültigkeit gegen die ökonomische Formbestimmung, d.h. der Gebrauchswert als Gebrauchswert, liegt jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie. In ihren Kreis fällt er nur, wo er selbst Formbestimmung. Unmittelbar ist er die stoffliche Basis, woran sich ein bestimmtes ökonomisches Verhältnis darstellt, der Tauschwert." (MEW 13, S. 15-16)

Indes wird diese Unmittelbarkeit der stofflichen Basis von Marx ja selbst im ersten Zitat dementiert. Durch die Vermittlung des Gebrauchswerts durch den Tauschwert wird Erstgenannter geprägt und durch die Kapitalherrschaft stets modifiziert. Der Gebrauchswert ist wie der Tauschwert (Wert) eine Bedingung der Ware, nicht bloß eine Voraussetzung. Am isolierten Stück mag zwar nicht wahrzunehmen sein, ob es eine Ware ist, wohl aber an dem Verhältnis, unter dem es produziert, zirkuliert und konsumiert wird. Kein Gegenstand ist heute ohne seine strukturbedingten Beziehungen zu denken, in denen er sich bewegt. Ware zu sein, wäre demnach das gültige Schicksal des Gebrauchswerts. Oder um es gegen Marx zu wenden: Was "gleichgültig" ist, ist nicht ungültig, sondern gültig.

Die profane Vorstellung, der Gebrauchswert sei ewig, aber seitdem der Tauschwert in die Welt gekommen ist, wird jener mit diesem zur Ware vereinigt, ist doch etwas simpel. Gerade die retrospektive Anwendung des Begriffs scheint nicht überzeugend. Die Verbindung von Gebrauchswert und Tauschwert muss in der Ware nicht erst arrangiert werden. Der Gebrauchswert ist gesellschaftlich konnotiert und nicht als Begriff zur Kennzeichnung unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung von Selbstversorgern gedacht. Für die letztgenannte Bestimmung hätte er wenig Sinn. "Um Ware zu produzieren, muss er nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andre, gesellschaftlichen Gebrauchswert." (MEW 23, S. 55) Das ist der obligate Fall.

Inzwischen schmeckt man dem Weizen auch an, woher er stammt. Weniger, wer ihn gebaut hat, als, wie er gebaut wurde, unter welchen Bedingungen er reifte, wie er gedroschen, transportiert, gelagert und verarbeitet wurde. Weizen ist nicht gleich Weizen. Die Frage der Qualität ist nicht zu eskamotieren. Nicht nur dem Weizen schmeckt man dies an, auch Paradeiser und Radieschen verraten ihre Aufzucht, ebenso der Schweinsbraten die Mästung des Tiers. Die gesamte Biowelle, so obskur sie uns manchmal erscheint, verdeutlicht insbesondere auch die Krise des Gebrauchswerts und zeigt, dass viele Menschen die Produkte nicht einfach hinnehmen wollen, wie Fabriken und Agro-Industrien sie seriell ausspeien. Natürlich zwängt sich das neue Anliegen wie jedes andere in die Gesetze von Markt und Geld, kommt von ihnen nicht los. Trotzdem ist dieses Bedürfnis und seine Umsetzung nicht bloß als neue Verwertungsmöglichkeit zu kategorisieren.

Dem Markt ist die stoffliche Seite des Produkts, soweit es den Tauschwert nicht tangiert, egal. Er nimmt alles, sofern es absetzbar ist. Stets geht es um die Verwertung und nicht um die Bedürfnisbefriedigung oder gar um das Vergnügen. Das Produkt wird anerkannt, wenn es am Markt einen, nämlich seinen Preis erzielt, der sich am Wert orientiert und entwickelt. Der Zweck des Gebrauchswerts besteht darin, entäußert zu werden. Entäußerung ist das unbedingte Ziel, Nützlichkeit nur die bedingte Option. Wenn wir von ihm sprechen, sprechen wir also von gesellschaftlichen Gebrauchswerten. "Gebrauchswerte werden hier überhaupt nur produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwerts sind." (MEW 23, S. 201) Nur Gebrauchswerte vermögen sich als Tauschwerte. Gebrauchswerte werden hergestellt, um gekauft zu werden. Sie werden nicht produziert, um unmittelbar konsumiert zu werden. Das werden sie zwar gelegentlich auch, aber das ist lediglich nachrangig. Im Tauschwert sind die Gebrauchswerte sodann ausgelöscht, aber nur in ihrer Besonderheit, nicht in ihrer Allgemeinheit. "Diese Dualität korrespondiert mit dem Umstand, dass Arbeit (oder ihr Produkt) zwar wegen ihrer quantitativen Besonderheit gekauft wird, verkauft wird sie aber als allgemeines Mittel", schreibt Moishe Postone. (Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Aus dem Amerikanischen von Christoph Seidler, Wolfgang Kukulies, Petra Haarmann, Norbert Trenkle und Manfred Dahlmann, Freiburg 2003, S. 234-235) "Die durch abstrakte Arbeit historisch konstituierte abstrakte Allgemeinheit etabliert auch die 'konkrete Arbeit' und den 'Gebrauchswert' als allgemeine Kategorien." (Ebd., S. 237)

Die Überlegung ist primär eine nach der Geschäftsfähigkeit des Produkts, d.h., es wird a priori als Ware produziert, nicht als Gebrauchswert, der auch Tauschwert sein möchte, sondern als Tauschwert, der als Gebrauchswert auf- und antreten will. Auch Jacques Derrrida hat das sehr scharfsinnig hervorgehoben: "Jeder Gebrauchswert ist durch die Möglichkeit markiert, dem anderen zu dienen oder ein anderes Mal zu dienen, und diese Alterität oder Iterabilität projiziert ihn a priori auf den Markt der Äquivalenzen (...)." (Marx' Gespenster - Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale. Aus dem Französischen von Susanne Lüdemann, Frankfurt am Main 1995, S. 255)

Die Ware ist kein Amalgam, sondern die Zelle der kapitalistischen Produktion. Marktteilnehmer betrachten, weil synthetisieren Produkte als Waren, sie analysieren in ihrer unmittelbaren Sicht keinen gesonderten Gebrauchs- und Tauschwert. Was das Ding kostet und was es nützt, das ist innig miteinander verknüpft, das gehört zusammen. Wenn wir an Gebrauchswerte denken, stellen wir uns immer eine ganze Ware vor. Den (theoretisch) ausgeklammerten Aspekt des Tauschwerts, den klammern wir nicht aus. Wir denken ihn in Form des Preises mit. Gebrauchswert und Tauschwert gehören einander an. Festzustellen bleibt, "dass das Verhältnis von Tauschwert und Gebrauchswert kein Subsumtionsverhältnis ist, sondern eines von gegenseitigen Voraussetzungen und Ausschließungen, also wenn man so will, ein dialektisches". (Kornelia Hafner, Gebrauchswertfetischismus, in: Diethard Behrens (Hg.), Gesellschaft und Erkenntnis. Zur materialistischen Erkenntnis- und Ökonomiekritik, Freiburg 1992, S. 69)

Eine kleine Abschweifung sei noch gestattet: Wie definiert man ein Wirtschaften, wo Produzenten ihre Produkte konsumieren? Marx sagt zwar eindeutig: "Wer durch sein Produkt sein eignes Bedürfnis befriedigt, schafft zwar Gebrauchswert, aber nicht Ware. Um Ware zu produzieren, muss er nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andre, gesellschaftlichen Gebrauchswert." (MEW 23, S. 55) Aber steht unser Fall dann schon außerhalb der Verwertung oder tangiert er diese doch auf der Ebene einer Kostenminimierung? Es wird zwar keine Ware auf dem Markt zirkuliert, aber es wird doch ein aufzubringender Tauschwert betreffend den Gesamtkreislauf des Kapitals reduziert. Schafft es also nicht doch inversen Tauschwert, und zwar gerade durch diesen Entzug. Der Markt ist ja nicht verschwunden, bloß weil er nicht benutzt wird. Der Bezug auf den Markt ist weiterhin gegeben, aber anders als im Geschäft ist er kein positiver, sondern ein negativer. Der direkt verbrauchte Gebrauchswert (und da macht der Begriff durchaus Sinn) führt dazu, dass eben kein Tauschwert eingesetzt werden muss, um an den entsprechenden Gebrauchswert zu kommen. Kann Wert nicht auch etwas sein, dass wir uns ersparen? Den Charakter der Ersparnis müsste man genauer untersuchen, es ist nicht schlicht zu behaupten, dass diese nicht von dieser, also der kapitalistischen Welt sei.

Subsistenz hebt jedenfalls die Ware nicht auf. Die Matrix des Marktes ist nicht einfach zu unterlaufen und auszuhöhlen. Ist denn etwa eine Ware nur das, was gekauft und verkauft wird, und nicht auch das, was gekauft und verkauft werden könnte. Nicht jede potenzielle Ware muss eine realisierte Ware sein. Es kann sich ja auch nicht jeder produzierte Wert in der Zirkulation verwirklichen. Wir stehen auf einer Frageleiter. Der offenen Rätsel sind nicht wenige. Das Fragespiel kann hier aber nicht weitergesponnen werden.

Einheit der Ware

Karl Korsch schreibt: "Die Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert enthält in der abstrakten Form, in der sie sich bei den bürgerlichen Ökonomen findet (und in der sie ebenso auch schon von Aristoteles auf die antike Warenproduktion angewendet worden war), keinen brauchbaren Ausgangspunkt für die Erkenntnis der bürgerlichen Warenproduktion als einer besonderen gesellschaftlichen Form der Produktion. Sie ist auch theoretisch unzureichend. Der Gebrauchswert wird hier nur formell als Voraussetzung des Tauschwerts gesetzt, dann aber von ihm völlig abstrahiert und nur der Tauschwert als ökonomische Kategorie behandelt. (...) Die Tatsache, dass ein Ding irgendeine Brauchbarkeit für irgendeinen Menschen, z.B. für seinen eigenen Hersteller hat, ergibt noch nicht die ökonomische Definition des Gebrauchswerts. Erst die Tatsache, dass das Ding gesellschaftliche Brauchbarkeit (Brauchbarkeit 'für andere') hat, ergibt die ökonomische Definition des 'Gebrauchswerts' als Eigenschaft der Ware." (Karl Korsch, Karl Marx. Marxistische Theorie und Klassenbewegung (1938), Reinbek bei Hamburg 1981, S. 89-90) Was Korsch hier zu Recht kritisiert, trifft freilich auch partiell auf Marx zu.

Der Gebrauchswert, von dem wir hier reden, ist immer formbestimmt gewesen, er ist gesetzt und nicht vorausgesetzt. Alleine dass sich das ominöse Wörtchen Wert in den Begriff eingeschlichen hat, hätte auf diese Fährte führen können. Kornelia Hafner ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn sie behauptet: "Insofern aber der Begriff Wert in dem des Gebrauchswerts enthalten ist, scheint der Gebrauchswert auch bei Marx nicht hinreichend präzisiert." (Gebrauchswertfetischismus, S. 64) Marx und noch mehr der Marxismus haben hier einiges zur Begriffsverwirrung in puncto Wert und Werten beigetragen. Die Welt beherbergt nicht einfach Gebrauchswerte, sondern diese werden erst selbst durch die Herrschaft der Ware resp. des Kapitals ausgebildet und geschaffen.

Der Gebrauchswert ist nicht das unschuldige Ding, das da vom Tauschwert befallen wird. Nur gemeinsam konstituieren sie die Ware. Den ledigen Gebrauchswert, den gibt es nicht, selbst wenn es Gebrauchswerte gibt, die, weil sie unmittelbar verzehrt und vernutzt werden, niemals in die Zirkulation gelangen. Der reine Gebrauchswert ist ein reines Gedankenkonstrukt, nicht mehr. Die Ware hat einen Gebrauchswert, aber die Ware ist nicht ein Gebrauchswert. Die Ware ist Synthese, nicht Symbiose. Beide Aspekte gehören zu einem konkreten Ganzen, sind nicht Teile einer Zusammenfügung. Eigenschaft und Bestandteil, Charakter und Komponente sind zu unterscheiden, können aber nicht geschieden werden. Schon gar nicht können Tauschwert und Gebrauchswert schlicht nach Form und Inhalt getrennt werden. Die Bestimmungen sind um vieles komplexer.

Organische Synthese

Die Ware verkörpert die organische Synthese von Gebrauchswert und Tauschwert, die beständige und rastlose Synthetisierung durch die Metamorphosen des Kapitals, insbesondere, aber nicht ausschließlich, durch die produktive Konsumtion. Weniger als das Resultat interessiert der Prozess, der ja nie aufhört, sondern sich durch permanentes Transformieren auszeichnet. Die bürgerliche Produktion hat Charakter, nicht Doppelcharakter. Sie produziert nicht Gebrauchswerte und Tauschwerte, sie produziert Waren, die in der Doppelform von Gebrauchswerten und Tauschwerten auftreten. "Es ist (...) daran zu erinnern, dass die Gebrauchswerte immer schon in Preisform gesetzt sind. Insofern ist die Redeweise, dass die Gleichsetzung zweier Gebrauchswerte ein 'Verhältnis' herstellt, missverständlich: Rock und Leinwand werden nicht gleichgesetzt, sondern sind je schon gleichgesetzt. Die Gleichsetzung ist vollzogen, weil sie einem Dritten, dem Gold, gleichgesetzt werden und auf diesem Umweg einander gleich sind. Das Wertverhältnis ist stets Wertausdruck, das Verhältnis von Ware und Geld." (Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik, Freiburg 1997, S. 48)

Der organische Zusammenhalt von Tauschwert und Gebrauchswert liegt in der Arbeit selbst, primär jener für den Markt, aber insgesamt auch aller anderen Tätigkeiten, die, ob sie wollen oder nicht, in die Bildung der Ware Arbeitskraft als auch in deren Arbeit selbst eingehen, also sowohl des Tauschwerts als auch des Gebrauchswerts. Kritik der politischen Ökonomie wird dadurch zu einer, die sich nicht bloß auf die bezahlte Lohnarbeit kapriziert, sondern all ihre reproduktiven Vor- und Abläufe ebenso inspizieren und integrieren muss. Tatsächlich geht es um die Rolle des Gebrauchswerts im Reproduktionsprozess des Gesamtkapitals, nicht nur um jenen in der Zirkulation, wo alles viel einfacher erscheint, als es ist.

Gebrauchswert und Tauschwert sind lediglich gedanklich zu differenzieren, nicht jedoch reell. Beide sind sie in der Einheit der Ware lokalisierbar. Nur dort sind sie situiert. So "ist der Tauschwert die Form, unter der wir alle Gebrauchswerte zunächst anschauen: denn jedes Produkt hat Tauschwert für seinen Besitzer und Gebrauchswert für seinen Nichtbesitzer". (Hans-Jürgen Krahl, Konstitution und Klassenkampf. Schriften und Reden 1966-1970, Frankfurt am Main, 4. Aufl. 1985, S. 83) Die Ware ist also nicht Gebrauchswert und Tauschwert, sie ist vielmehr Gebrauchswert als Tauschwert resp. Tauschwert als Gebrauchswert. Gebrauchs- und Tauschwert setzen sich in der Ware nicht erst zusammen. Gerhard Scheit war also zuzustimmen, als er an dieser Stelle bereits vor zwanzig Jahren schrieb: "Gebrauchswert ist ebenso wie Wert ein Begriff, der auf die Warenform gemünzt ist - und nur in ihrem Zusammenhang einen Sinn ergibt." (Der Fetisch des Gebrauchswerts, Streifzüge 2/1996, S. 6)

Zwischenzeitlich ist auch noch zu fragen, ob die substanzielle Differenz der Einheit Ware nicht darin besteht, dass die eine Bestimmung auf das Sein und die andere auf das Haben abhebt. Demnach fände die Ware ihr Sein im Gebrauchswert und ihr Haben im Tauschwert. Der erste Blick, bei dem man natürlich nicht stehen bleiben darf, demonstriert Folgendes: Was sie ist, das will die Ware direkt vermitteln, was sie hat, also welchen Wert sie darstellt, das ist schon schwieriger zu ermitteln.

Verzehr und Metamorphose

Der Verzehr von Gebrauchswerten ist Bedingung zur unermüdlichen Reproduktion des Kapitals, sowohl was Materialien, Maschinen und Werkzeuge betrifft - konstantes Kapital c; als auch was die Reproduktion der Arbeitskraft ausmacht - variables Kapital v. Wir sprechen vom Kreislauf der gesellschaftlichen Reproduktion unter kapitalistischen Prämissen. Produktion ist Konsumtion wie umgekehrt. (Vgl. MEW 13, S. 622 ff.) Selbst in der (privaten) Konsumtion von Lebensmitteln des alltäglichen Bedarfs wirkt der Gebrauchswert wertbildend, denn er stellt die Ware Arbeitskraft erst her resp. stets wieder her. "Das Kapital hat sein Material durch die Arbeit und die Arbeit durch sein Material konsumiert; es hat sich als Gebrauchswert konsumiert, aber nur als Gebrauchswert für es selbst, als Kapital. Seine Konsumtion als Gebrauchswert fällt also hier selbst in die Zirkulation, oder vielmehr es setzt selbst den Anfang der Zirkulation oder ihr Ende, wie man will. Die Konsumtion des Gebrauchswertes fällt hier selbst in den ökonomischen Prozess, weil der Gebrauchswert hier selbst durch den Tauschwert bestimmt ist. In keinem Moment des Produktionsprozesses hört das Kapital auf, Kapital zu sein, oder der Wert auf, Wert zu sein und als solcher Tauschwert." (MEW 42, S. 232)

Der Gebrauchswert ist im Gegensatz zum Wert allgegenwärtig: In der Produktion werden Gebrauchswerte angewendet (Arbeitskräfte, Rohprodukte, Gebäude, Materialien, Maschinen), in der Zirkulation werden für Gebrauchswerte Preise bezahlt, die den Tauschwerten ungefähr entsprechen. In der Konsumtion werden Gebrauchswerte dann produktiv oder individuell konsumiert. Der Tauschwert tritt (ausgenommen im Kredit) nur auf im Moment seines Verschwindens, d.h. des Bezahlens. Ansonsten ist er zwar zugegen, aber nicht gegenwärtig. Er tritt auf als Phantom, fungiert quasi als Spuk im Hintergrund. Der Wert ist das Gespenst des Kapitals. Solange an diesen Geist geglaubt wird, hat er auch ganz real Macht. Die Realisierung des Gespenstes ist der Glaube daran. Fixierung sorgt für Gewissheit.

Um als Ware auftreten zu können, muss die Transzendentalform Tauschwert beständig ihre Erscheinungsform Gebrauchswert ändern. Arbeit bewerkstelligt diese Tranformation von Wert in einen anderen Gebrauchswertkörper: "Für die Zirkulation des Warenkapitals W'-G' sind bestimmte Schranken durch die Existenzform der Waren selbst, ihr Dasein als Gebrauchswerte gezogen. Sie sind von Natur vergänglich. Gehn sie also innerhalb gewisser Frist nicht in die produktive oder individuelle Konsumtion ein, je nach ihrer Bestimmung, werden sie, in andren Worten, nicht in bestimmter Zeit verkauft, so verderben sie und verlieren mit ihrem Gebrauchswert die Eigenschaft, Träger des Tauschwerts zu sein. Der in ihnen enthaltene Kapitalwert, resp. der ihm angewachsne Mehrwert, geht verloren. Die Gebrauchswerte bleiben nur Träger des perennierenden und sich verwertenden Kapitalwerts, soweit sie beständig erneuert und reproduziert, durch neue Gebrauchswerte derselben oder andrer Art ersetzt werden. Ihr Verkauf in ihrer fertigen Warenform, also ihr durch denselben vermitteltes Eingehn in die produktive oder individuelle Konsumtion, ist aber die stets sich erneuernde Bedingung ihrer Reproduktion. Sie müssen innerhalb bestimmter Zeit ihre alte Gebrauchsform wechseln, um in einer neuen fortzuexistieren. Der Tauschwert erhält sich nur durch diese beständige Erneuerung seines Körpers. Die Gebrauchswerte verschiedner Waren verderben rascher oder langsamer; es kann also mehr oder weniger Zwischenzeit zwischen ihrer Produktion und ihrer Konsumtion verstreichen; sie können also, ohne zugrunde zu gehn, kürzer oder länger in der Zirkulationsphase W-G als Warenkapital ausharren, kürzre oder längre Umlaufszeit als Waren ertragen." (MEW 24, S. 130)

Jenseits und Diesseits

Man kann sich vorerst des Gedankens nicht erwehren, dass im Marx'schen Werk der Gebrauchswert eher beiläufig Eingang gefunden hat, somit eine nachrangige Rolle spielt und eine ebensolche Behandlung erfährt. Doch ganz so ist es nicht. Vor allem in den Grundrissen erleben wir einen Denker, der abseits der Gemeinplätze Überlegungen entwickelt, die nicht in dieses Schema passen. Des Öfteren durchbricht er das von ihm selbst reproduzierte krude ABC des Gebrauchswerts. Marxens Präzisierungen laufen ihm jedenfalls zuwider. Der Marx'sche Gebrauchswert wird somit zu einem Grenzgänger, der einmal innerhalb und einmal außerhalb der politischen Ökonomie angesiedelt wird. "Die besondre Natur des Gebrauchswerts, worin der Wert existiert oder die jetzt als Körper des Kapitals erscheint, erscheint hier als selbst formbestimmend und die Aktion des Kapitals bestimmend; einem Kapital eine besondre Eigenschaft gebend gegen das andre; es besondernd. Wie wir schon an mehren Fällen sahen, ist daher nichts falscher als zu übersehn, dass die Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, die in der einfachen Zirkulation, soweit sie realisiert wird, außerhalb der ökonomischen Formbestimmung fällt, überhaupt außerhalb derselben fällt. Wir fanden vielmehr auf den verschiednen Stufen der Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse den Tauschwert und Gebrauchswert in verschiednen Verhältnissen bestimmt, und diese Bestimmtheit selbst als verschiedne Bestimmung des Werts als solchen erscheinend. Der Gebrauchswert spielt selbst als ökonomische Kategorie eine Rolle. Wo er dies spielt, geht aus der Entwicklung selbst hervor." (MEW 42, S. 546)

Der esoterische Marx behauptet nunmehr: "Die Ware selbst erscheint als Einheit zweier Bestimmungen. Sie ist Gebrauchswert, d.h. Gegenstand der Befriedigung irgendeines Systems menschlicher Bedürfnisse. Es ist dies ihre stoffliche Seite, die den disparatesten Produktionsepochen gemeinsam sein kann und deren Betrachtung daher jenseits der politischen Ökonomie liegt. Der Gebrauchswert fällt in ihren Bereich, sobald er durch die modernen Produktionsverhältnisse modifiziert wird oder seinerseits modifizierend in sie eingreift. Was im allgemeinen anstandshalber darüber gesagt zu werden pflegt, beschränkt sich auf Gemeinplätze, die einen historischen Wert hatten in den ersten Anfängen der Wissenschaft, als die gesellschaftlichen Formen der bürgerlichen Produktion noch mühsam aus dem Stoff herausgeschält und mit großer Anstrengung als selbständige Gegenstände der Betrachtung fixiert wurden." (MEW 42, S. 767, vgl. auch S. 741.) In seiner letzten ökonomischen Schrift, den "Randglossen zu Adolph Wagners 'Lehrbuch der politischen Ökonomie'" (1879/1880) schreibt er dezidiert, dass "der Gebrauchswert - als Gebrauchswert der 'Ware' - selbst einen historisch-spezifischen Charakter" (MEW 19, S. 370) besitzt.

Wo Marx ungezwungen seine Sichtweise explizierte, er über die Unterscheidung hinausdachte, verwirft er des Öfteren den Gebrauchswert als Daseinsbedingung der zweiten Natur, nimmt im Gegensatz dazu eine geradezu strikt "historisch-spezifische" Einordnung vor. Die dialektische Methode verlangte nach einer Differenzierung der Ware in ihre Aspekte, um überhaupt die Verwertung des Werts darstellen zu können, ebenso aber auch die Wiederverschmelzung der beiden in der konkreten Ware. Während erster Aufgabe breiter Raum gewidmet wurde, blieb letztgenannte in Skizzen stecken.

Der Gebrauchswert mag ohne Wert zu denken sein, aber er ist ohne Wert nicht zu fassen. Will eine umfassende Kritik der Ware geleistet werden, dann kann sie die stoffliche Dimensionierung des Gebrauchswerts nicht bloß auf den Wert resp. Tauschwert überwälzen, sondern sie muss die Ware in ihrer Totalität infrage stellen. Der Tauschwert ist dem Gebrauchswert nicht äußerlich. In der Ware sind sie untrennbar eins, erst deren Analyse muss sie differenzieren, um eben die Ware inhaltlich zu durchdringen. Marx ausnahmsweise einmal ganz deutlich in diesem Sinne: "Wir haben vorher gesehen, dass nicht gesagt werden kann, dass sich der Tauschwert in der einfachen Zirkulation realisiert. Es geschieht dies aber deswegen, weil ihm der Gebrauchswert nicht als solcher gegenübertritt, als ein durch ihn selbst als Gebrauchswert bestimmter; während umgekehrt der Gebrauchswert als solcher nicht im Verhältnis steht zum Tauschwert, sondern nur dadurch bestimmter Tauschwert wird, dass die Gemeinsamkeit der Gebrauchswerte - Arbeitszeit zu sein - als äußrer Maßstab an sie angelegt wird. Ihre Einheit fällt noch unmittelbar auseinander und ihr Unterschied noch unmittelbar in eins. Dass der Gebrauchswert als solcher wird durch den Tauschwert und dass der Tauschwert sich selbst vermittelt durch den Gebrauchswert, muss nun gesetzt sein." (MEW 42, S. 194-195)

So kommt der Marx der Grundrisse zu der Erkenntnis, "dass die Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert in die Ökonomie selbst gehört und nicht, wie Ricardo tut, der Gebrauchswert als einfache Voraussetzung tot liegen bleibt" (MEW 42, S. 240). Die Gemeinsamkeit der Gebrauchswerte liegt im Tauschwert. An sich gibt es weder den einen noch den anderen. Um ein Produkt in Wert zu setzen, muss es Gebrauchswert haben (oder zumindest erfolgreich unterstellen). Denn: Gebrauchswerte werden getauscht, nicht Tauschwerte. Beim Handeln geschieht etwas ganz Seltsames, das nur deshalb nicht als eigenartig auffällt, weil wir nichts anderes gewohnt sind: Gekauft und verkauft wird der Gebrauchswert, aber bezahlt wird mit dem Tauschwert vulgo Geld, um wiederum zu anderen Gebrauchswerten zu kommen. So funktioniert die ständige Produktion und Zirkulation von Waren.

Wenn Marx außerdem davon spricht, dass die "Gemeinsamkeit der Gebrauchswerte" darin besteht "Arbeitszeit zu sein" (MEW 42, S. 194), dann wird abermals deutlich, dass der Gebrauchswert nur als Bestandteil und Kategorie der politischen Ökonomie zu denken ist. Wohlgemerkt, er sagt hier nicht lapidar Arbeit, er sagt partout "Arbeitszeit", er verweist also nicht auf die erste Ebene konkreter Arbeit, sondern auf die zweite Dimension, die abstrakte Arbeit.

In den Grundrissen betrachtet Marx den Gebrauchswert sehr differenzierend und mäandernd. Diese Diversität hat allerdings im Kapital kaum Spuren hinterlassen, sie wurde förmlich entsorgt. Warum dem so ist, das wäre eine gesonderte Frage. Der Marx der Grundrisse war hier entschieden weiter als der Marx des Kapitals. Diesbezüglich verweisen wir auf den 1959 erstmals publizierten Aufsatz von Roman Rosdolsky "Der Gebrauchswert bei Karl Marx". Er ist auch in dieser Ausgabe der Streifzüge veröffentlicht. Wir folgen weitgehend seiner Argumentation.

Warenfetischismus

Aus dem bisher Gesagten folgt freilich auch, dass es notwendig ist, die Kritik des Fetischismus nachzujustieren. Marx schreibt: "Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Gebrauchswert, ist nichts Mysteriöses an ihr, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt betrachte, dass sie durch ihre Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt menschlicher Arbeit erhält. Es ist sinnenklar, dass der Mensch durch seine Tätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. Die Form des Holzes z.B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne." (MEW 23, S. 85)

Es ist also tatsächlich infrage zu stellen, ob die kategorische Aussage Marxens: "Der mystische Charakter der Ware entspringt also nicht aus ihrem Gebrauchswert" so einfach stimmen kann. Die theologische Mucke liegt möglicherweise auch im Gebrauchswert, gehen wir mit Marx davon aus, dass dieser es ist, der elementar zur Verwertung des Werts durch eine besondere Ware Arbeitskraft beiträgt. "Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt, wie die vorhergehende Analyse bereits gezeigt hat, aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert", sagt er selbst zwei Seiten später. (MEW 23, S. 87) Marx spricht hier vom Charakter der Arbeit, nicht vom Charakter der Arbeitskraft. Diese Arbeit ist der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft. Noch einmal: Die Arbeit, die Waren produziert, ist ein Gebrauchswert, kein Tauschwert. In ihr verschmelzen quasi sinnliche und übersinnliche, konkrete und abstrakte Eigenschaften zu einem Ganzen, der Ware. Die strikte und exklusive Postierung des Fetischismus im Wert (resp. Tauschwert) ist zu problematisieren. Die Ware als Einheit selbst ist gesamtideeller Ausdruck und Überträger des Fetischismus, wenngleich auf die Aspektierung geachtet werden sollte. Nicht von ungefähr sprechen wir auch von Warenfetischismus.

Lohnarbeit als Gebrauchswert

Der Tauschwert der Lohnarbeit ist nicht verschieden von anderen Waren, der Gebrauchswert der Lohnarbeit sehr wohl. Der spezifische Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft liegt darin, dass sie als Arbeit im Produktionsprozess mehr Wert erzeugt, als in der Zirkulation für sie ausgelegt werden musste. "Gebrauchswert für das Kapital, ist die Arbeit bloßer Tauschwert für den Arbeiter; vorhandner Tauschwert." (MEW 42, S. 227) Die Konsumtion des Gebrauchswerts der Arbeit durch das konstante Kapital schafft mehr Wert, als diese zuvor hatte. Gekauft wird diese Ware ob ihres eigentümlichen Gebrauchswerts, mehr Tauschwert abzuwerfen, als sie gekostet hat. Mit jeder Ware wird etwas gekauft, das produziert wurde und via Markt für die Konsumtion freigegeben wird. Im Prinzip trifft das auch auf die Ware Arbeitskraft zu. Nur: In der Ware Arbeitskraft wird etwas getauscht, das zwar produziert wurde, aber in futurum noch produzierend tätig wird. In der Ware Arbeitskraft wird lebende Arbeit gekauft, nicht tote Arbeit. Die Arbeitskraft ist nicht nur Produkt, sie ist selbst Produzierendes. Erworben wird "die Arbeit nicht als Gegenstand, sondern als Tätigkeit; nicht als selbst Wert, sondern als die lebendige Quelle des Werts". (MEW 42, S. 217)

Lohnarbeit ist ein Gebrauchswert, der im Unterschied zu anderen völlig ungegenständlich ist. Der Gebrauchswert ist kein Ding, keine Sache, sondern lediglich eine Potenz, die zukünftig Resultate hervorbringt. Lohnarbeit kommt nur zu sich durch Entäußerung, in dem Arbeitskraft Arbeit setzt und Wert bildet. Es ist sodann die Lohnarbeit, wo der gekaufte Gebrauchswert, also die Arbeitskraft imstande ist, einen höheren Tauschwert zu lukrieren, als sie am Markt kostete. Darin liegt das Rätsel des Mehrwerts. Angewandte Arbeitskraft, also Arbeit, ist ein Gebrauchswert, der ihrem Käufer mehr Wert bringt, als er dafür bezahlen musste. Freilich würde er jene auch nicht kaufen, sofern sie dieses Surplus nicht liefern könnte. Ohne Mehrwert ließe sich der Wert nicht verwerten, wäre Profit eine Unmöglichkeit. "Das Produkt oder der Wert des Produkts der Arbeit gehört nicht dem Arbeiter. Ein bestimmtes Quantum lebendiger Arbeit kommandiert nicht dasselbe Quantum vergegenständlichter Arbeit, oder ein bestimmtes Quantum in Ware vergegenständlichter Arbeit kommandiert ein größres Quantum lebendiger Arbeit, als in der Ware selbst enthalten ist." (MEW 26.1, S. 43)

Über den Geldbesitzer, den Kapitalisten, der Arbeitsvermögen einzukaufen versteht, heißt es: "Er kauft auch Ware, aber Ware, deren Gebrauchswerte von der lebendigen Arbeit konsumiert, als Faktoren des Arbeitsprozesses konsumiert werden sollen, teils Gebrauchswerte, die das Arbeitsmaterial und damit das Element eines höheren Gebrauchswertes bilden sollen, teils Arbeitsmittel, die der Einwirkung der Arbeit auf das Arbeitsmaterial als Leiter dienen. Waren - hier zunächst die Gebrauchswerte der Waren - so im Arbeitsprozess konsumieren heißt, sie produktiv konsumieren, nämlich nur aufzehren als Mittel oder Gegenstand, durch die und in denen die Arbeit einen höhern Gebrauchswert schafft. Es ist die industrielle Konsumtion von Waren (Gebrauchswerten)." (MEW 43, S. 53)

"Im Arbeitsprozess werden die Produkte des früheren Arbeitsprozesses, Arbeitsmaterial und Arbeitsmittel, gleichsam von den toten auferweckt. Sie werden nur wirkliche Gebrauchswerte, indem sie als Faktoren in den Arbeitsprozess eingehn, wirken nur als Gebrauchswerte in ihm und werden nur durch ihn der Auflösung in dem allgemeinen Stoffwechsel entzogen, um im Produkt als Neubildung wiederzuerscheinen." (MEW 43, S. 58) Und in den Grundrissen heißt es: "Der einzige Unterschied von der vergegenständlichten Arbeit ist die nicht vergegenständlichte, sondern sich noch vergegenständlichende, die Arbeit als Subjektivität. Oder die vergegenständlichte, d.h. als räumlich vorhandne Arbeit kann auch als vergangne Arbeit der zeitlich vorhandnen entgegengestellt werden. Soweit sie zeitlich, als lebendig vorhanden sein soll, kann sie nur als lebendiges Subjekt vorhanden sein, in dem sie als Fähigkeit existiert, als Möglichkeit; als Arbeiter daher. Der einzige Gebrauchswert daher, der einen Gegensatz zum Kapital bilden kann, ist die Arbeit, und zwar wertschaffende, i. e. produktive Arbeit." (MEW 42, S. 197-198)

"Innerhalb des wirklichen Arbeitsprozesses selbst sind die Waren nur als Gebrauchswerte vorhanden, nicht als Tauschwerte; denn sie stehn der wirklichen lebendigen Arbeit nur als ihre Bedingungen, als Mittel ihrer Verwirklichung gegenüber, als durch die Natur der Arbeit selbst bestimmte Faktoren, deren sie zur Verwirklichung in einem bestimmten Gebrauchswert bedarf." (MEW 43, S. 54) Indes, wenn der Gebrauchswert der Arbeitskraft ein Schlüssel zur Akkumulation des Kapitals ist, dann ist dieser Gebrauchswert zentrale Konstituante und nicht einfach bloß vom Wert oktroyiert. Wenn gerade die Differenz zwischen Arbeitskraft und Arbeit, also zwischen einem Tauschwert und einem Gebrauchswert den Wert verwertet, also Mehrwert kreiert, dann ist der spezifische Charakter dieses Gebrauchswertes als der Ökonomie zugehörig schlagend. Was wiederum beweist, dass Wert und Gebrauchswert nur analytisch trennbar sind, keineswegs faktisch.

Kurzum: "Ein Gebrauchswert überhaupt erscheint als Produkt des Arbeitsprozesses." (MEW 43, S. 55) Falls dem so ist und wir es mit einer kapitalistischen Warenproduktion zu tun haben, dann ist dieser Gebrauchswert eindeutig formbestimmt. Die Diskussion darüber, was hier von Haltbarkeit ist und was nicht, müsste im Sinne von Rosdolskys Scheidung in einen esoterischen und einen exoterischen Marx aber erst geleistet werden.

Eine kleine Pointe sei noch erlaubt. In einem Brief an Friedrich Engels aus dem Jahr 1877, wo Marx einen seiner Kritiker zitiert und geißelt, heißt es: "Auch mit dem großen Scharfsinn, wie er Marx zu Gebote steht, lässt sich die Aufgabe nicht lösen, 'Gebrauchswerte' "(Das Vieh vergisst, dass von "Waren" die Rede ist), "d.h. Träger für Genüsse usw. auf ihr Gegenteil, auf Quantitäten von Bemühungen, auf Opfer usw. zu 'reduzieren'." (Das Vieh glaubt, dass ich in der Wertgleichung die Gebrauchswerte auf Wert "reduzieren" will.) "Das ist Substitution von Fremdartigem. Die Gleichsetzung verschiedenartiger Gebrauchswerte lässt sich nur erklären durch eine Reduktion derselben auf ein gemeinsames Gebrauchswertige." (MEW 34, S. 60-61) Indes, das gemeinsame Gebrauchswertige, dass "das Vieh" da einfordert, ist auch zweifellos gegeben: es liegt im Gebrauchswert Arbeit der Ware Arbeitskraft. Der grobe Spruch sollte die berechtigten Einwände des Kritikers nicht übertönen. So falsch liegt der nicht. Gerade mit dem Hinweis, dass das Vieh etwas vergisst, nämlich die Ware, gibt Marx dem Vieh recht.

Ökologie und Obsoleszenz

Mittlerweile herrscht ein seltsamer Trieb, der den Gebrauchswerten (und somit den Waren) kommandiert, so schnell als möglich liquidiert zu werden. Geräte müssen eingehen, Stoffe reißen, Bücher vergilben, Kleider nicht mehr tragbar sein. Der Laptop von gestern ist heute ein Kandidat für das Heimatmuseum. Die Unhaltbarkeit des Kapitalismus demonstriert sich auch darin, dass er stets die Haltbarkeit seiner Waren minimiert, um selbst weiter existieren zu können. Verschlissen wird, was kommt. Die Retorte der Ware gleicht einem großen Zerstörungsprogramm toter und lebendiger Arbeit. Dieser implizite Todestrieb totaler Vernutzung ist ausschließlich der Kapitalherrschaft eigen. Vernutzung wird zur Pflicht. Das System funktioniert autokannibalistisch.

Wir aber spuren. Unsere Bedürfnisse sind kontingent den Angeboten, und daher fragen wir diese auch gehorsam nach. Das bürgerliche Exemplar ist ein organischer Auswurf des Kapitals. Waren sind für bürgerliche Subjekte die Surrogate des Lebens. Wo man nichts ist, außer was man hat, gilt man zumindest deswegen für etwas. Das tröstet, obwohl es eigentlich nur vertröstet. Das Ich feiert sich an den Gegenständen. Was sonst sollte ihm was bedeuten? Bunt ist die Welt der Waren. Reich sein heißt somit verfügen, besitzen, aneignen. Und Konkurrenz reguliert diese Aneignung.

"Die kapitalistische Produktion ist - das weiß jedes Kind - darauf angewiesen, ihre Erzeugnisse abzustoßen. Sie hat dafür zu sorgen, dass diese verkauft und verbraucht, kurz: liquidiert werden. Liquidation, also der Ruin ihrer Produkte, ist das Ziel der Produktion. Wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, wenn sich eine Menge unliquidierter Erzeugnisse aufstapelt, dann ist die Weiterproduktion, und damit auch der Profit, gefährdet. Aus diesem Grunde ist es die Aufgabe jeder Industrie, die Nachfrage und die Konsumsituation für ihre Produkte zu sichern und zu fördern, wenn nicht sogar herzustellen (...)." (Günther Anders, Hiroshima ist überall. München 1982, S. 369-370) Anders fordert daher einen Streik gegen die Produkte (S. 383). Nicht nur die Arbeitslöhne und die Arbeitsbedingungen, auch die Arbeitsprodukte und letztlich die Arbeit selbst sind zu überwinden. Nicht für Arbeitsplätze gilt es zu demonstrieren, sondern gegen Arbeit und Arbeitszwang.

Geplante Obsoleszenz als Notwendigkeit der Verwertung führt geradezu in "einen tendenziellen Verfall des Gebrauchswerts" (Guy Debord, Gesellschaft des Spektakels (1967). Aus dem Französischen von Jean-Jacques Raspaud, § 47, Berlin 1996, S. 38). Die ökologische Misere wäre zu dechiffrieren als Vernichtung der Gebrauchswerte, aber auch Vernichtung durch die Gebrauchswerte. Zwecks Verwertung (Absatz, Verkürzung der Zirkulationszeiten) muss die Industrie die Obsoleszenz geradezu fördern und beschleunigen. Waren dürfen nur bedingt resistent sein, sie müssen ein reales, aber auch ein mentales Ablaufdatum besitzen.

Die Sachen halten nicht und die Sachen schädigen uns. Die Produkte sind nicht bloß gefährdet, sie sind auch selbst gefährlich, denken wir an Autos, Waffen, Medikamente, Medien. Auch wenn die Konsumkritik nicht im Zeitgeist liegen mag, geht es auch nach wie vor um "eine Denunziation der Dinge, des im Spätkapitalismus produzierten Schunds". (Hans-Jürgen Krahl. Konstitution und Klassenkampf. Schriften und Reden 1966-1970, Frankfurt am Main, 4. Aufl. 1985, S. 84) Die Spucke bleibt einem weg bei nicht wenigen Waren, die wir heute besitzen sollen, um dazuzugehören. Spucken indes wäre angebracht.

Im § 48 schreibt Guy Debord: "Der Gebrauchswert, der im Tauschwert implizit mit inbegriffen war, muss jetzt in der verkehrten Realität des Spektakels explizit verkündet werden, und zwar gerade weil seine Wirklichkeit durch die überentwickelte Warenwirtschaft zersetzt wird und weil eine Pseudorechtfertigung zum falschen Leben nötig wird." (Ebd., S. 39) Das erledigen dann die zusehends schrilleren Regimenter der Kulturindustrie. Nicht nur der Wert wird zunehmend fiktiv, auch die Gebrauchswerte bedürfen hoher Dosen an Halluzination, um sie als Güter anzuerkennen. Das Überborden derselben fällt uns bloß deswegen nicht auf, weil wir nichts anderes gewohnt sind und überhaupt über keine Vergleiche mehr verfügen. Es ist einfach so, wie uns geschieht. Und die überwiegende Mehrheit meint, dass ihr wohl recht geschieht, weil sie gar nicht mehr weiß, was ihr geschieht, ja nicht einmal, dass ihr etwas geschieht.

Warenreste türmen sich vor diesem Hintergrund zu Müllbergen sondergleichen. Sie sind wahrlich die Inversion kapitalistischer Produktion. Gebrauchen heißt Verbrauchen, und zwar so schnell als möglich. Die Lebenszeit der Produkte muss relativ kurz gehalten werden. Der Gebrauchswert gerät ins Verbrauchsdiktat, um den Tauschwert zu retten. Müll ist eine Umverteilung heutiger Produktionsfolgen in eine unbestimmte Zukunft, eine Hinterlassenschaft sui generis. (Vgl. Franz Schandl, Dimensionen des Mülls, krisis 18 (1996), S. 143-155) Kurzfristige Gewinne zeitigen langfristige Verluste, die jedoch sozialisiert werden müssen, schon deswegen, weil kein verursachender Kapitaleigner je adäquat dafür einstehen könnte.

Das alles dokumentiert das verdorbene und verderbende Wesen der kapitalistischen Warenwirtschaft. Langfristig betrachtet werden die ökonomischen Folgekosten die Produktions-, Zirkulations- und Werbekosten übersteigen. Was auch heißt: kein kapitalistisches Produkt rechnet sich wirklich, betrachten wir es on the long run. Das Minus wird in die Zukunft verschoben, während das Plus unmittelbar lukriert werden kann. Wobei das zentrale ökologische Problem die spürbaren Folgelasten sind, z.B. die Verseuchung des Bodens, die Bewohnbarkeit von Räumen, der Klimawandel etc. Sie werden auch noch strapazieren, wenn es keinen Kapitalismus mehr gibt. Je länger das noch dauert, desto größer werden die Schäden sein.

Vergessen wir auch nicht: Stofflich gefährlich an den Produkten ist der Gebrauchswert, nicht der Tauschwert, auch wenn dieser das blinde Produzieren dimensioniert. Wir können heute nicht mehr einfach von der "Nützlichkeit eines Dings" oder vom "stofflichen Inhalt des Reichtums" (MEW 23, S. 50) sprechen, wo doch gerade der destruktive Charakter unzähliger Gebrauchswerte greifbar ist. Die Gebrauchswertstruktur der bürgerlichen Gesellschaft hat selbst zum Gegenstand der Kritik zu werden. Die ökologischen Bewegungen unterstreichen, unabhängig von ihrer Qualität, diese Virulenz. Gebrauchswertkritik ist mehr als ein Appendix der Kritik des Tauschwerts. Die Ware selbst steht zur Disposition, und mit ihr selbstverständlich ihr Gebrauchswert.

Sofern wir unbedingt scheiden wollen: Die ökonomische Krise ist eine fundamentale Krise des Tauschwerts, die ökologische Krise ist eine fundamentale Krise des Gebrauchswerts. Es sind die Produktionsverhältnisse, die ihre Produkte statuieren. Blieb die Arbeiterbewegung in einer Kritik des Mehrwerts befangen, so ist die Ökologiebewegung nie essenziell von einer Kritik der Produkte zu einer der Produktionsverhältnisse vorangeschritten. Als Bewegungen sind beide sowieso gefangen in der Immanenz ihres Widerstands, der ganz von dieser Welt ist.

Von uns für uns

Der Gebrauchswert weist als Kategorie weder über den Wert hinaus noch hinter ihn zurück. Sachlichkeit und Konstruktivität des Gebrauchswerts sind auf den bürgerlichen Kosmos der Warengesellschaft bezogen. Nützlich ist, was der bürgerlichen Rationalität dient. Sobald von einem allgemeinen Nutzen die Rede ist, kommt die Ökonomie ins Spiel und somit ist Kritik derselben eigentlich geboten. Gebrauchswert unterstellt allgemeine Schablonen und Maßstäbe von Nutzen und Nützlichkeit der Dinge. Die Dinge jedoch, die sind Waren. "Nicht die im Roh- oder Gewohnheitszustand verharrende Welt besitzt Gebrauchswert, sondern die brauchbar gemachte, deren Potentialität aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde. Das Kapital selber setzte den Gebrauchswert." (Uli Krug, Gebrauchswert und Wertkritik, Bahamas 28)

"Darüber hinaus implizieren Gebrauchswerte jedoch auch eine kapitalistische Formbestimmung im engeren Sinne. Das zeigt sich plastisch bereits daran, dass von der Nützlichkeit bestimmter Gebrauchswerte lediglich unter kapitalistischen Verhältnissen gesprochen werden kann. Das gilt etwa für den Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft und der Ware Geld, zweier zentraler Waren innerhalb des kapitalistischen Warenkosmos. Wesentlich ist aber, dass die Dinge bloß anhand ihrer Nützlichkeit - oder des ihnen zugeschriebenen Nutzens - und ihres technischen Charakters beurteilt werden, was, wie gezeigt, für vormoderne Menschen kaum vorstellbar war. Die so säkularisierten Gebrauchsgegenstände entfalten die Möglichkeit, als rein sachliche Gebrauchswerte prinzipiell unabhängig von der sozialen Position der je Einzelnen nutzbar zu sein." (Julian Bierwirth, Gegenständlicher Schein, krisis Beiträge 3/2013, S. 18) Und Kornelia Hafner meint: "So kommt man zu dem Paradoxon, dass von Gebrauch und Nutzen zwar in allen menschlichen Gesellschaften zu reden ist, aber erst da, wo sich die Vorstellung von der einer der Sache eigenen Virtus ganz gelöst hat und ihr der Stempel der universellen Austauschbarkeit und Verwertbarkeit aufgedrückt ist, vom Gebrauchswert im strengen Sinne geredet werden darf." (Gebrauchswertfetischismus, S. 64)

Gerade die ökologischen Krisen schreien nach einer sprachlichen Trennung von Gebrauchswert und Gut: An Atomkraftwerken, Sondermüll oder genmanipulierten Lebensmitteln ist die klassische Gleichsetzung auch absurd geworden. Aufgabe befreiter Produktion ist es, ausschließlich Güter herzustellen, nicht potenziell destruktive oder tendenziell obsolete Fabrikate unter die Leute zu bringen. Vor allem in puncto Ökologie steht die Nützlichkeit selbst auf dem Prüfstand. Wenn Gebrauchswerte letztlich nützlich sind, weil sie sich verwerten lassen, dann ist das eine sehr spezifische Nützlichkeit, die nicht von sinnlichen Genüssen und sorgsamem Umgang geprägt ist, sondern vom kommerziellen Gewinn her definiert wird. Der Nutzen ist eine von der Verwertung geprägte Größe, ein infizierter Alltagsbegriff des bürgerlichen Rationalismus. Anfallende und ausfallende Kosten werden da immer gleich mitgedacht, Haltungen und Handlungen gleichen einer instinktiven Synthese.

Mit der Überwindung des Werts fällt auch der Gebrauchswert. Die befreite Gesellschaft ist also nicht das Reich der Gebrauchswerte, sondern das profane Dasein vergesellschafteter Produktion, Distribution und Konsumtion. Joghurt stünde als Joghurt zur Verfügung, nicht mehr als abgesonderte Ware, auf einem Markt erhältlich, wo man dafür zahlen muss. Emanzipation heißt nicht, den Gebrauchswert vom Tauschwert zu befreien, sondern die Ware, d.h. Tauschwert und Gebrauchswert, zu überwinden. Der Gebrauchswert ist nicht vor dem Tausch zu retten, sondern die Ware insgesamt, diese Unität aus Tauschwert und Gebrauchswert, hat unterzugehen. Die gesamte Versorgung und Besorgung durch Waren ist kompliziert und inferior. Wenn die Produktion hingegen konkrete allgemeine Tätigkeit darstellte (eben nicht abstrakte allgemeine Arbeit für den Markt), dann hätten die Produkte weder Tauschwert noch Gebrauchswert. Sie wären schlicht von uns für uns da.

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2000 Zeichen abwärts

So wird's nichts werden...
von Karl Kollmann

In den 1920er Jahren, als die meisten Haushalte im Westen elektrisches Licht hatten, erfanden die Glühlampenhersteller ein Kartell (Phoebuskartell): Die Lebensdauer einer Lampe wurde von den Herstellern mit 1000 Stunden "normiert". Technisch minimal teurer wäre das Doppelte drin gewesen. Diese Verkürzung hat die Menschen Milliarden gekostet und für die Umwelt war es auch nicht klug - aber Industrie und Handel freuten sich.

Ab den 1960er Jahren setzte eine öko- und verbraucherorientierte Diskussion über technische (geplante) und psychologische (Mode) Obsoleszenz ein. Damals gab es jährlich zwei Kollektionen in der Bekleidung, heute kommen jeden Monat neu designte, asiatisch produzierte Fetzen in den Handel. 40 bis 70 Stück werden jährlich von einer Deutschen gekauft (ohne Unterwäsche und Strümpfe). Rund 10.000 Gegenstände soll der Durchschnittsdeutsche alles in allem besitzen.

Wir leben jetzt knapp hundert Jahre nach dem Glühlampenkartell und sind, was Verschleiß, Abnutzung, Ausbeutung und Verschwendung anlangt, kein Stück weitergekommen. Textilien werden nicht repariert, sondern weggeschmissen und bei den vielen Geräten ist es oft nicht anders. Reparieren zahlt sich nur bei teuren Dingen aus, meist ist es zu teuer gegenüber einer Neuanschaffung, das ist eine empirische Erfahrung und mittlerweile die - übrigens achselzuckende - Meinung der Mehrheit. Da und dort gibt es nun zwar Reparatur-Cafés, in Wien darüber hinaus das RUSZ - aber das wirkt sich nicht einmal im Promillebereich aus. Lebensdauerinitiativen, klar ginge das, aber man kann sich nicht um alles kümmern.

Perspektivenwechsel: Bei linksgrünen Nachwuchskünstlern ist es chic geworden, eine Wohnung in Wien bzw. Berlin und eine in London zu haben. Da muss man zwar viel fliegen, aber das kostet ja fast nichts mehr und ist schön multikulti. Für mich ist das ein hübscher Beleg, vor lauter Selbstgefälligkeit, Individualismus und Pluralität, alles was sinn- und maßvoll wäre, aus den Augen verloren zu haben.

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Anmerkung zu "Gebrauch"

von Lorenz Glatz

Χρήμα (Chrêma) schreibt Aristoteles, wenn er "etwas" meint, das als für Menschen brauchbar, nützlich gilt, zur Grundlage des Lebens und möglichen Reichtums zählt. Es ist ein vom Verb χράομαι (chráomai) - (ge)brauchen, sich etwas zunutze machen - abgeleitetes Substantiv, "Gebrauchswert", "Nützling" gewissermaßen. Dieser Gebrauch ist ein Akt herrschaftlicher Verfügung über ein κτήμα (ktêma), über "etwas, dessen eins sich bemächtigt hat", ein Vorgang der Versachlichung, Objektivierung, wer oder was immer das Gegenüber auch ist. Die Chremata sind nicht bloß Unbelebtes, sondern Herrschen und Beherrschtwerden ist für Aristoteles die Struktur der lebendigen Natur und findet sich in der (Herstellung und Wahrung der) "Harmonie" als entsprechendes Bauprinzip auch in der unbelebten. Aktiv - Passiv und Subjekt - Objekt sind - vielleicht erst im Patriarchat entstandene - sprachliche (und damit auch das Denken prägende) Formen, in denen sich diese kosmische "Natur" festigt. Mann über Frau, Vater über Kinder, Herr über Sklaven - das sind "natürliche" Dominanzverhältnisse unter den Menschen. In der belebten Natur im Ganzen stehen die Pflanzen den Tieren zur Verfügung, unter diesen aber sind die Menschen Herren. Die unbelebte Natur schließlich dient der belebten. Reichtum ist ein genügender Vorrat (αύτάρκεια) für ein gutes Lebens notwendigen und für die Haus- und Polisgemeinschaft nützlichen "Gebrauchswerten" (Chremata), die u.a. auch durch (gerechten) Krieg zu verschaffen sind. Die Verfügung darüber, die Kunst des Gebrauchs (χρηστική - chrestiké), ist top-down organisiert. Geschieht sie nicht naturgemäß, muss sie korrigiert werden, aktiv vom Herrn am passiven chrêma / ktêma.

Bald zweieinhalb Jahrtausende später ist diese statische Sicht, was die Menschenwelt betrifft, spezifisch dynamisiert. Das lange Zeit in einer hierarchischen Gesellschaft lebende ξώον πολιτικόν (zôon politikón) erscheint nunmehr verwickelt in die Kämpfe von Klassen (am bekanntesten durch den Marxismus) und anderer sozialer Pole der Herrschaftsverhältnisse, es ist ein unentwegter Kämpfer im bellum omnium contra omnes (Krieg aller gegen alle, Thomas Hobbes), auf dem Schauplatz blutiger Gewalt ebenso wie im kleinlichen Hickhack der alltäglichen Konkurrenz in allen Bereichen des Lebens.

Herren "von Natur aus" und Reichtum im "naturgemäß" begrenzten Rahmen menschlichen Nutzens sind obsolete Konzepte. Der für Aristoteles noch "widernatürliche" Reichtum unendlicher Anhäufung von Geld hat sich als die Welt be-Herr-schende Ordnung etabliert und sich der "Chremata" bemächtigt. Dieser Herr erscheint geisterhaft in den nur in stetem Wachstum "göttlich lebendigen" Quantitäten gebuchten Gelds und verkörpert sich im souveränen, freien Ich seiner Sklaven. Deren Zugang zum Geld, dem Götzen und Herrn auch alles dessen, was ihnen als nötig und "brauchbar" im Leben erscheint, hängt ab von ihrer eigenen (und sei sie noch so indirekten) "Brauchbarkeit" für die auf Unendlichkeit angelegte Anverwandlung der beherrschten "Natur" an den Weltherrscher Geld. Und "Natur" ist für das Geld-Ich alles, vom eigenen Leib bis zu den Sternen hoch.

Wo Herrschaft ist, lebt auch Befreiung. Schon in der Antike fanden Sklaverei und Patriarchat oft erbitterte Gegner. Auch die Geschichte des Kapitals ist zugleich eine der Bemühung um seine Überwindung, eine Geschichte auch des Denkens, was und wie denn eine Welt ohne Herrschaft wäre. Das Denken der Befreiung muss jedoch angesichts der inneren Schranken der Kapitalverwertung und angesichts des allseitigen Zerstörungswerks der modernen Herrschaft noch stark an Radikalität gewinnen. So hat z.B. noch Karl Marx, der stellenweise durchaus die ökologische Destruktivität der kapitalistischen Produktionsweise benannt hat, unter den positiven Folgen von deren Überwindung "die volle Entwicklung der menschlichen Herrschaft über die Naturkräfte, die der sogenannten Natur sowohl wie seiner eignen Natur" (MEW 42; 395 f.) genannt. Hier erweist sich "Befreiung" noch als ein viel zu enges humanoides Konzept. Auch wenn nach einer Überwindung des Kapitalismus nicht mehr bei jedem "Zugriff" auf die Natur (κτάομαι / ktáomai sich einer Sache bemächtigen - siehe oben κτήμα ketêma) allein schon der Gedanke an negative Folgen als Störung des Fortschritts gilt, so ist doch die Betrachtung des "Rests der Welt" als "Chrema", als Gegenstand der Gebrauchs / der Beherrschung durch den Menschen absolut inadäquat. Wir sind keineswegs ein privilegierter Teil der Natur. Die Folgen unseres Handelns im Gesamtzusammenhang (in der συμπάθεια τών όλων / sympátheia tôn hólon der Stoiker) sind prinzipiell nicht absehbar geschweige denn beherrschbar. Der heute weithin übliche Umgang mit unseresgleichen, den anderen Tieren, den Pflanzen und der sogenannten anorganischen Welt (die wir nur negativ benennen können) ist nicht erst seit dem Kapitalismus herrschaftlich-zerstörerisch, sondern wird es bei jeder Praxis, die von "Beherrschung der Natur" ausgeht, auch nach ihm bleiben. Es geht nicht mehr um den "Zugriff", um den "Gebrauch" im Stil des Schmalspurdenken von alter Herrschaft und neuem Götzendienst, sondern um eine immens ausgedehnte (Be)Achtung und Wahrnehmung der menschlichen und der mehr-als-menschlichen Mitwelt, um Vor- und Rücksicht, um Einfügen statt "Gebrauchen" und um ein Wissen und eine Technik mit solchen erkenntnisleitenden Prämissen.

Hier steht ein Bruch mit nicht weniger als einer in Jahrtausenden gewachsenen Weise des Handelns, Denkens und Fühlens im Umgang mit der Welt an. Dieser Bruch wird sich gerade bei unserem Teil der Menschheit, der sich heute als "entwickelt" und "fortgeschritten" begreift, unserer "eigenen Natur" nicht auf "herrschen" lassen, soweit damit auch unser seelischer und intellektueller Zustand gemeint sein kann. Es geht um eine Art Neufindung unseres Weltverhältnisses, weg von der Dominanz des Kalküls des "Nutzens" hin zu mehr Freude und Lust an uns selbst und allem und jedem, was und wer da mit uns ist.

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Nützlichkeit verdummt!

von Lars Distelhorst

Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert" (Marx, 1890, S. 50) schreibt Marx gleich zu Beginn des Kapitals, bevor er den Gebrauchs- mit dem Tauschwert kontrastiert und damit scheint auf den ersten Blick alles geklärt. Im Gebrauchswert liegt der "stoffliche Reichtum" verborgen, verkörpert in konkreten Gegenständen, die durch konkrete Arbeit hergestellt werden. Der Tauschwert ist demgegenüber eine Abstraktion, in der sich abstrakter Reichtum als Resultat abstrakter menschlicher Arbeit ausdrückt. Konkretion und Abstraktion, reales Leben und Entfremdung stehen einander in Gebrauchs- und Tauschwert gegenüber, eine Opposition, die angesichts der für den Kapitalismus kennzeichnenden Dominanz des Tauschwerts zur Entfremdung tendiert und den Menschen von seinen Bedürfnissen trennt, die er mehr im schnöden Mammon des Geldes erblickt als im Genuss der Früchte seiner Arbeit erkennt. Die Aufgabe der Emanzipation ist damit klar vorgezeichnet: Weg mit dem Tauschwert und her mit den Gebrauchswerten, damit endlich die Zeit anbricht, in der es möglich ist, "heute dies und morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren" (Marx & Engels, 1932, S. 33).

Die Gleichgültigkeit des Rocks

Was so einfach anmutet, erweist sich nach kurzem Weiterlesen jedoch als äußerst kompliziert. Zwischen den beiden Wertarten herrscht keine Komplementarität - was das Problem zumal nicht beseitigen, allenfalls erträglicher gestalten würde. Der Gebrauchswert ist für Marx "stofflicher Träger" (Marx, 1890, S. 50) des Tauschwerts, wodurch ihm die Funktion zukommt, den Wert der in der Ware gespeicherten abstrakten Arbeitskraft zu realisieren, indem selbige sich in für potenzielle Käufer nützlichen Gegenständen verkörpert. Der Tauschwert hat zum Gebrauchswert ein ausschließlich instrumentelles Verhältnis und es wäre widersinnig anzunehmen, letzterer könnte angesichts dessen die Reinheit bewahren, die ihm so häufig zugesprochen wird.

Marx selbst weist auf die dem Gebrauchswert eigene Indifferenz hin, wenn er schreibt, bei dessen Betrachtung würde stets seine quantitative Bestimmtheit vorausgesetzt (ebd.). Als Ware ist der Tauschwert aus diesem Grund tief von quantitativen Erwägungen durchzogen. Es ist nicht hinreichend, einen bestimmten Gegenstand für eine bestimmte Tätigkeit nutzen zu können, da zugleich die Frage im Raum steht, in welchem Maße er vorhanden ist. Aus diesem Grund ist es dem Rock Marx zufolge auch gleichgültig, ob er vom Kunden oder Schneider getragen wird, da er in beiden Fällen als Gebrauchswert wirken würde (ebd., S. 57). Mag dies bei einem Rock noch wenig dramatisch sein, kann es - wie Millionen von Menschen nur allzu gut wissen - im Falle von Medikamenten oder Nahrungsmitteln katastrophale Konsequenzen haben.

Zudem hat der Gebrauchswert die unangenehme Eigenschaft, sich in der Bewegung des Kapitals selbst aufzuheben. So kann sich als Folge einer Steigerung der Produktivkraft die Masse des stofflichen Reichtums vergrößern und zugleich der Wert des einzelnen Produkts verringern (ebd., S. 61). Angetrieben wird diese Bewegung durch die Entwicklung der Technik und Verschärfung der Konkurrenz, angesichts derer die Option, Waren billiger verkaufen zu können, um sich Vorteile zu verschaffen, der Schlüssel zur Behauptung auf einem stets umkämpften Markt ist. Diese Widersinnigkeit treibt die Ambivalenz des Gebrauchswerts auf die Spitze. Wo ein Mensch früher einen Rock brauchte, muss ihm nun klargemacht werden, er benötige auf jeden Fall zwei und wo der Markt für Röcke gesättigt ist, müssen neue Produkte hervorgebracht und an Menschen verkauft werden, die bislang gut ohne sie ausgekommen sind. Der Gebrauchswert referiert auf eine ständig breiter werdende Bedürfnispalette, die zu schaffen mittlerweile ein eigener Produktionszweig geworden ist. Dass an die Stelle des sich selbst erschließenden Gebrauchswerts der Ware ein Gebrauchswertversprechen tritt, das in letzter Konsequenz offen lässt, ob mit dem Gekauften wirklich etwas anzufangen sei, ist die logische Konsequenz dieser Bewegung (Haug, 2009, S. 29). Aufgrund seiner konstitutiven Verwobenheit mit dem Tauschwert, verflüchtigt er sich zu einem bloßen Versprechen.

Der Mensch als Bedürfniskraft

Baudrillard hat die in Marx Ausführungen liegende Ambiguität in seinem Aufsatz "Beyond Use Value" intensiv unter die Lupe genommen. Ihm zufolge ist der Gebrauchswert ebenso ein Teil des Warenfetischismus wie der Tauschwert und aus diesem Grund unter keinen Umständen geeignet, Bezugspunkt einer emanzipierten Gesellschaft zu sein. Die Vorstellung, das Wirtschaftssystem drücke die Bedürfnisse der Menschen aus (die Kasse des Supermarktes als Ort des Politischen) ist ein Resultat der Entfremdung, das die Fetischisierung des Gebrauchswerts verdeckt, dass es umgekehrt die Menschen sind, die mitsamt ihrer Bedürfnisse Ausdruck des Wirtschaftssystems sind.

Mit dem Gebrauchswert geht eine Reduktion der Produkte auf deren Nützlichkeit einher, die zu etwas Allgemeinem wird, hinter dem die vordergründig konkrete Dimension des Gebrauchswertes zurücktritt. Dieser "Nützlichkeit an sich" der Ware entspricht auf Seiten des Subjekts dessen Reduktion auf die universelle Eigenschaft, Träger von Bedürfnissen zu sein, wodurch es in seiner Singularität, seiner Einzigartigkeit als Mensch, verschwindet. Der abstrakten Produktivkraft der Arbeit entspricht damit eine nicht weniger abstrakte "Bedürfniskraft", die wie erstere dem Tauschwert hier dem Gebrauchswert zugrunde liegt (Baudrillard, 1981, S. 132).

Baudrillard geht also deutlich weiter als die etablierte Konsumkritik, der zufolge die Menschen durch "Blödmaschinen" (Metz/Seeßlen, 2011) zu Dummköpfen gemacht werden, die nicht mehr in der Lage sind, von ihrer (verlorenen) Mündigkeit Gebrauch zu machen. Es kann nicht darum gehen, die Oberflächlichkeit der Konsumartikel zu kritisieren, als wäre ein Kapitalismus, in dem die Menschen "Schuld und Sühne" lesen, erstrebenswerter als einer, in dem sich ihre Lektüre auf "Shades of Grey" konzentriert. Das Problem liegt vielmehr in der Übersetzung jeder menschlichen Regung in ein Bedürfnis, dem in den meisten Fällen bereits eine Ware korrespondiert oder ihrer Erfindung harrt (ebd., S. 135). Wenn Marx sich in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten fragt, zu welch sinnlichen Genüssen der Mensch wohl jenseits des Kapitalismus fähig sei, hat er genau diese Verstümmelung des menschlichen Begehrens (das niemals in Bedürfnissen aufgeht) vor Augen und weist auf die Reduktion des Genießens hin, die mit dessen warenförmiger Befriedigung einhergeht (Marx, 1844, S. 541).

An alles die Frage anzulegen, was man denn damit anfangen könne, ist keineswegs Zeichen eines kritischen Pragmatismus, sondern Ausdruck dessen, was Baudrillard mit der zuvor angesprochenen Feststellung auszudrücken versucht, die Menschen und ihre Bedürfnisse würden vom Wirtschaftssystem hervorgebracht. Der Bereich des Nützlichen ist Ausdruck seiner Zeit und wird durch rigorose Abgrenzung gegen den Bereich des Unnützen stabilisiert, in dem sich der gesellschaftliche Ausschluss verkörpert. Wenn die Arbeit, deren Produkt mit keinem Gebrauchswert korrespondiert, unnütze Arbeit ist, wie Marx an zahlreichen Stellen betont (was auf der deskriptiven Ebene vollkommen richtig ist), der Mensch aber durch Arbeit (als Austausch mit der Natur) zum Menschen wird, erstreckt sich die Scheidung des Nützlichen vom Unnützen immer auch auf die Menschen selbst. Wie Zygmunt Bauman eindringlich verdeutlicht hat, gelten viele Menschen heute - vor allem Flüchtlinge - nur noch als "menschlicher Abfall" und werfen vordringlich die Frage auf, wie sie am effizientesten zu entsorgen sind (Bauman, 2005).

Das mit dem Gebrauchswert einhergehende Nützlichkeitsdenken liegt auch dem Selbstbezug des im Kapitalismus zugerichteten Menschen zugrunde, der zu sich selbst in ein aus Nützlichkeitserwägungen bestehendes Verhältnis tritt, innerhalb dessen ihm seine Fähigkeit, Freude zu empfinden, zur Produktivkraft wird, die es auszuschöpfen gilt (Baudrillard, 1981, S. 136). Die Selbstoptimierungswelle in Form von Schrittzählern, Fitness- und Gesundheitsapps, Coachings und Yogakursen kann als direkte Konsequenz dieses Selbstverhältnisses verstanden werden: Das Subjekt wird sich selbst zum Gebrauchswert und konsumiert sich als Potenzial.

Die Verstümmelung der Vorstellungskraft

Wenn der Warenfetischismus sich auch auf den Gebrauchswert erstreckt und dessen mögliche Manifestationen durch die Kultur des Kapitalismus vorgegeben sind, gilt als nützlich, was sich am Markt behauptet und steckt den Horizont des Möglichen ab. Das Vorstellbare fällt mit dem Nützlichen zusammen und das Normative geht im Faktischen auf. Wie die Rede von der Realpolitik beweist, findet die Intelligibilität der Praxis heute dort ihre Grenze, wo sie sich auf Ziele richtet, die nicht aus dem Bestehenden deduziert werden können, ebenso wie Ideen als irrational gelten, die aus auf Transzendenz verweisenden Fragestellungen herrühren.

Das Resultat besteht in einem eindimensionalen Denken, dem eine eindimensionale Sprache korrespondiert (Marcuse, 1967, S. 212), die nur noch unter größten Widrigkeiten die Formulierung einer adäquaten Problemstellung zulässt und sich zudem stets dem Vorwurf des Unsinns ausgesetzt sieht. Wenn jede Tat und jeder Gedanke auf seine Praxistauglichkeit in der heutigen Wirklichkeit befragt wird, kulminiert jede Tat und jeder Gedanke in der unkritischen Reproduktion des Bestehenden. Diese Reduktion des Imaginären führt in ein Universum, das von Selbstübereinstimmung und Immanenz reguliert wird und stets sich selbst gebiert.

So stellt sich hinsichtlich des Gebrauchswerts eine ähnliche Frage wie Judith Butler sie vor über 25 Jahren mit Blick auf den Begriff "die Frauen" formuliert hat (Butler, 1991). Wie der damals etablierte Feminismus unkritisch einen Begriff verwendete ("Die Frauen" als Subjekt feministischer Politik), hinter dem sich bei genauer Analyse jene Ausschlussmechanismen versteckten, die zu beseitigen er ausgezogen war, muss auch die linke Kapitalismuskritik den Begriff des Gebrauchswertes aufgeben, um neue Begriffe an seine Stelle zu setzen. Ein Heilmittel gegen AIDS hat unter kapitalistischen Bedingungen ebenso einen Gebrauchswert wie die Steine und der Mörtel, aus denen Trump die Mauer an der mexikanischen Grenze erbauen lassen möchte. Und allen sollte auffallen, wie wenig Übereinstimmung zwischen dem, was sich am Markt behauptet und dem besteht, was uns im Leben wirklich Freude bereitet.

Literatur

Baudrillard, J. (1981): For a Critique of the Political Economy of the Sign by Jean Baudrillard, o.O.: Telos.

Bauman, Z. (2005): Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne, Hamburg: Hamburger Edition.

Butler, J. (1991): Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Haug, W.F. (2009): Kritik der Warenästhetik. Gefolgt von Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Marcuse, H. (1967): Der eindimensionale Mensch: Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Berlin: Luchterhand.

Marx, K. (1844): Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in MEW Ergänzungsband 1.Teil (2000) (S. 465-588).

Marx, K. (1890): Das Kapital. Erster Band, in MEW 23 (1989), Berlin: Dietz.

Marx, K., & Engels, F. (1932): Die deutsche Ideologie, in MEW 3 (1969), Berlin: Dietz.

Metz, M & Seeßle, G. (2011): Blödmaschinen - Die Fabrikation der Stupidität, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Dead Men Working

Diese "lästige Rüstung"

von Maria Wölflingseder

Gebrauchswert? Gebrauch und Wert - wie soll das zusammengehen? - Wer würde auf den ersten Blick hinter dem Wort "brauchen" die ursprüngliche Bedeutung "genießen, nutzen, ausüben" vermuten? "Brauchen" hat sich aus dem althochdeutschen "bruhhan" entwickelt, welches mit dem lateinischen "frui" für "genießen, Nutzen ziehen" verwandt ist. Aus "frui" erwuchs auch die "Frucht". Die Grundbedeutung war "Nahrung aufnehmen". Daraus entstanden die Bedeutungen "genießen, teilhaben, verwenden".

Die Arbeitswerttheorie, die über die letzten Jahrhunderte entwickelt wurde, besagt, dass Tauschwert und Gebrauchswert einer Ware nicht identisch sein müssen, weil letzterer individuell verschieden sei. - Heute geht es nicht nur um den Gebrauchswert der Waren, die durch die wirtschaftlichen Umwälzungen immer "billiger" wurden, sondern in immer desaströserer Weise um den Gebrauchswert des Menschen, um den Gebrauchswert seiner Ware Arbeitskraft. Dieser ist ebenfalls höchst individuell. Die Kriterien der Brauchbarkeit der Ware Arbeitskraft sind vielfältig: Alter, Herkunft, Überqualifizierung oder Unterqualifizierung, aber auch Körpergröße, Aussehen und vor allem der "Stallgeruch", das Commitment, die Höhe der Unterwerfungsbereitschaft können wertsteigernd oder wertmindernd wirken.

Der aktuelle Sprachgebrauch ist gespickt mit ökonomisch einschlägigen Begriffen, die die "Verwertung" des Lebens in allen Bereichen widerspiegeln. Der entscheidendste Begriff ist wohl der des "Humankapitals". Entscheidend für die Wirtschaft als "Human Ressource" und entscheidend für jeden Einzelnen, angesichts der Überlebensfrage. - Absurd, dass aber auch jene, die diese alles verschlingende Verwertung kritisieren, sich besonders gerne dieser Diktion bedienen. Da ist ungeniert die Rede von "Bruttonationalglück", von all den tollen "Win-win-Situationen" oder von "Biokapital". So der Titel eines wohlmeinenden Buches von Andreas Weber, das "die Versöhnung von Ökonomie, Natur und Menschlichkeit" zum Thema hat. Und die "Sozialistische Jugend" bewarb ihren traditionellen Fackelzug am Vorabend des 1. Mai 2017 sogar mit dem Slogan "Wir sind ALLE mehr wert! Schluss mit Politik nur für die Reichen!" - Nun ja, wenn alles verwertet und kapitalisiert wird, braucht es niemanden zu wundern, wenn nichts mehr zu gebrauchen, nichts mehr zu genießen ist. Die Welt wird ungenießbar und die Menschen werden ungenießbar. Die Rüstung Wert und Verwertung engt nicht nur immer mehr ein, sie ist komplett verrostet und anachronistisch. Dass wir von fruchtbarem Genuss Lichtjahre entfernt sind, beweisen nicht nur die täglichen Katastrophen, sondern auch die schleichenden Entwicklungen.

Eine solche wird mittlerweile wenigstens vereinzelt zum Thema gemacht. Nicht alle Eltern, Lehrerinnen und Ärzte nehmen unwidersprochen hin, wie sehr bereits auch die Kinder zu "Humankapital" geworden sind: zum Leistungsträger, zum Wirtschaftsfaktor und Investitionsobjekt. Die Hamburger Psychotherapeutin und Mutter von vier Kindern, Felicitas Römer, gab 2011 das Buch "Arme Superkinder - Wie unsere Kinder der Wirtschaft geopfert werden" heraus. Ihr viertes Kind bekam sie 18 Jahre später als die anderen. Sie war höchst erstaunt, wie dramatisch sich in der Zwischenzeit die Welt der Familien verändert hat. Diese neue Elterngeneration ist höchst verunsichert und hat große Angst, etwas falsch zu machen. "Ein ausgeklügeltes Förderprogramm sowie permanentes Dauerbespaßen des Juniors gehören heute zum ganz normalen Mütteralltag." Es "wird am Kind herumgebastelt, was das Zeug hält", damit es ja die besten Noten bekommt und sich in der globalisierten Welt einmal behaupten kann. Und "Erzieherinnen beäugen das Kind kritischer denn je und schicken es rasch zum Ergotherapeuten, wenn es nicht ordentlich malt oder zu wenig spricht. Oder gleich mit Verdacht auf ADHS zum Kindertherapeuten, wenn es 'aggressiv' zu sein scheint." "Und wenn die Superkinder schließlich am Förderwahn zu zerbrechen drohen, profitieren Therapeuten und Pharmaindustrie."

Auch Günther Loewit, Arzt in einer kleinen Niederösterreichischen Gemeinde, hat ein Buch (2016) über seine einschlägigen Erfahrungen geschrieben: "Wir schaffen die Kindheit ab! Helikoptereltern, Förderwahn und Tyrannenkinder". Er kritisiert: "Wir fördern unseren Nachwuchs, wo es nur geht - und sorgen dadurch für dauernde Überforderung bei Eltern, Erziehern und Kindern. Zahllose medizinische Untersuchungen sollen perfekte Gesundheit garantieren, bei jeder kleinsten Abweichung von der Norm rufen wir panisch nach Medizinern und Psychologen - und machen gesunde Kinder damit zu Patienten." - Gerüstet fürs Leben werden sie mit dieser Rüstung wohl nicht.

Auf ganz ungewöhnliche Weise hingegen hat sich einer der Welt genähert. Einer, der aus mehreren Schulen flog und mit 18 überzeugt war, aus ihm würde nie etwas werden. Ein unersättlicher Wanderer und Weltenbeschreiber ist er geworden. Seine atemberaubenden Bücher erzählen nicht nur von der feinfühligen Intensität seiner Erlebnisse, sondern auch von all dem Wissen über Literatur und Musik, Geschichte und Architektur, Sprachen, Trachten und Traditionen, das er sich selbst angeeignet hat. Nicht nur seine Prosa ist unvergleichlich (sie "funkelt und strahlt und federt", bemerkt Alexander Kluy), sondern auch sein Blick auf die Welt, die Menschen und sich selbst. Der Brite Patrick Leigh Fermor (1915-2011) beschreibt in seinem Buch "Rumeli" (2012; übersetzt von Manfred und Gabriele Allié) "die Art wie Griechen einen Neuankömmling auf der Stelle, freundlich und auf Augenhöhe, als ihresgleichen annehmen. Eine Begrüßung, die alle Barrieren von Hierarchien, Herkunft und Vermögen dahinschmelzen lässt und - abgesehen von ein paar uralten Stammesfehden - auch diejenigen von Politik und Nationalität. Nichts Konventionelles ist daran, sondern diese Freundlichkeit gedeiht im Gegenteil in nahezu paradiesischer Unkenntnis all dessen. Befangenheit, Unterwürfigkeit und Herablassung (und das elende Gegengift erzwungener Gleichbehandlung), ... all die düsteren Wolken, die die Weiten des Lebens einengen und einem in Westeuropa die Luft zum Atmen nehmen, sind hier unbekannt. ... Der Fremde beginnt zu begreifen, dass er die lästige Rüstung und das Arsenal, das er schon ein halbes Leben lang mit sich herumschleppt, nicht mehr braucht. An ihre Stelle tritt eine wundersame Leichtigkeit."

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Wider den Gebrauchswert(begriff)

von Knut Hüller

1.

Gibt es einen Gebrauchswert ohne Ware? Wie hängen Gebrauchswerte mit der Ware zusammen, sind sie überhaupt ohne Wert resp. Tauschwert zu denken?

"Gebrauchswert" ist keine Eigenschaft von Dingen, sondern eine Betrachtungsweise, also eine Kategorie. Diese Kategorie entstand in der Warengesellschaft, genauer in deren zentraler Ideologie, genannt Politische Ökonomie. Als Bestandteil dieser Ideologie beschreibt sie nicht ein Ding, sondern die (warenförmige) Art des Umgangs mit Dingen, und zwar auf eine in der Warengesellschaft entstandene verdrehte Art und Weise. Sie ist deshalb nicht von der Warengesellschaft zu trennen und wird mit ihr verschwinden. Mit physischen Eigenschaften von Dingen (egal ob Waren oder nicht) hat sie wenig zu tun.

2.

Sind Nutzen und Nützlichkeit positive Begriffe oder gar analytische Kategorien?

"Nutzen" (englisch "utility") ist die modernste Form der "Gebrauchswert"-Kategorie. Mit dem Begriff des Gebrauchswerts verband die klassische Ökonomie (und verbindet bis heute die marxistische) "objektiv" und unveränderlich gedachte Eigenschaften materieller Dinge (oder moderner: "physischer Mengen"). Die Weiterentwicklung zum neoklassischen "Nutzen"begriff verlagerte den Inhalt dieser Kategorie auf die Subjektebene: sie beschreibt statt "objektiver" Eigenschaften nun deren (eingebildete) Wirkungen auf Subjekte. Darin drückt sich u.a. die Fortentwicklung des Kapitalismus über seine industrielle Phase hinaus aus.

3.

Was macht der Terminus "Wert" im Gebrauchswert? Ist die Herrschaft des Werts den Gebrauchswerten oktroyiert oder inhärent?

"Wert" und "Gebrauchswert" sind ein für das warenförmige Denken typisches Paar von Begriffen: keiner kann ohne den anderen existieren, sie stehen sich ausschließend gegenüber, und sie kämpfen um die Oberhand ("Herrschaft", "oktroyiert"). Andere solche Paare sind schwarz/weiß, Teufel/Gott, böse/gut, radikal/gemäßigt, Diktatur/Demokratie, Revolutionär/Revisionist, Ketzer/Rechtgläubiger etc. Das alltäglichste Paar sind Käufer/Verkäufer; beide kämpfen im Markt um den (ökonomisch: "Gleichgewichts-") Preis, wobei stets der eine verliert, was der andere gewinnt. Wegen dieses Basisantagonismus gelang es bereits dem Begründer der Lehre vom "für alle guten" Kapitalismus nicht, bis zu einem Wohlstand der gesamten Menschheit vorzudringen. Er schaffte es nur bis zum Wohlstand von (miteinander darum kämpfenden) Nationen.

4.

Macht der Begriff eines Gebrauchswerts überhaupt Sinn? Sind Gebrauchswerte universeller Natur, zumindest von hoher ontologischer Härte, unbeeindruckt von verschiedensten Produktionsverhältnissen, eine eherne und unhintergehbare Größe von Aristoteles bis hinein in den Kommunismus? Gibt es etwa einen Unterschied zwischen einem Gebrauchswert und einem Gut?

Meistens (auch weiter oben) ist nicht von "einem", sondern von "dem" Gebrauchswert die Rede. Der unbestimmte Artikel löst hier (beabsichtigt?) einen weiteren Kernbestandteil des wertförmigen Denkens zumindest teilweise auf: es kennt keine Vielfalt. Es betrachtet die (Waren-)Dinge am liebsten nur unter dem Gesichtspunkt ihres Tauschwerts. Ökonomen treiben diese Beschränktheit auf die Spitze, indem sie ganze Bibliotheken mit Versuchen füllen, "ihm" auch noch eindeutige ("alternativlose") Zahlenwerte zuzuschreiben. "Den" Gebrauchswert mit dem verräterischen bestimmten Artikel versucht man in gleicher Weise zu denken. Die Vielfalt der realen Welt bleibt dieser Art Denken verborgen. Ohne warenförmige Brille betrachtet kann ein Stück Eisen in zahllosen Funktionen auftreten, in der einen heute und in der anderen morgen: als Ballast, als Baustoff oder als Magnet, um einige bekannte Verwendungen zu nennen. Und natürlich als Instrument zum Töten von Menschen. Eine spezielle Vielfalt von Eigenschaften macht es zum "Eisen"; fehlte der Magnetismus, würde man möglicherweise "Aluminium" denken.

5.

Können wir heute noch einfach von der "Nützlichkeit eines Dings" oder vom "stofflichen Inhalt des Reichtums" (beide Male Marx) sprechen, wo doch gerade der destruktive Charakter bestimmter Gebrauchswerte greifbar ist?

Der Gebrauch des Wortes "Reichtum" verweist auf ein weiteres Element wertförmigen Denkens im "Gebrauchswert"begriff: es konzentriert sich auf Quantitatives und scheut Qualitatives wie "Verwendung" oder "genug". Ökonomisches Denken versucht diesen Gegensatz in perverser Weise aufzulösen, indem es "mehr" zum obersten Ziel und damit zur (einzigen?) Qualität erhebt. Wenn es aber "den" (irgendwie eindeutig definierbaren) Gebrauchswert oder Nutzen auf stofflicher Ebene gar nicht gibt, wie kann man "ihn" dann messen? Ein Eisenwürfel mit 5 cm Kantenlänge ist größer als ein eimergroßer Block Schaumstoff, wenn man beide Objekte anhand ihrer Massen vergleicht, aber er ist kleiner bei einem Vergleich der Volumina. Kein solcher Vergleich liefert ein sinnvolles Kriterium dafür, welches Objekt besser als das andere ist. Stattdessen kommt es darauf an, mit brauchbaren Dingen sinnvoll umzugehen. Zum Eisen greift, wer Ballast sucht, und zum Schaumstoff, wer eine Schwimmweste braucht. Nur das wertförmige Denken kennt ein eindeutiges Kriterium für "größer" als Synonym für "besser". Es lautet: "teurer".

6.

Was ist das Charakteristische des Gebrauchswerts der (Lohn-)Arbeit? Erzwingt geplante Obsoleszenz als Notwendigkeit der Verwertung einen tendenziellen Verfall der Gebrauchswerte? Ist die ökologische Krise zu dechiffrieren als Vernichtung der Gebrauchswerte und/oder Vernichtung durch die Gebrauchswerte?

Obsoleszenz und Umweltzerstörung zerstören keinen Gebrauchswert, sondern zeigen die Unterwerfung weiterer Bereiche unter die dominante Form des "Nutzens" an: Dinge und Menschen dienen in der Warengesellschaft den Subjekten primär dazu, sich (Tausch-)Wert zu verschaffen. Eisen wird für Profit hergestellt und Arbeitskraft dafür eingestellt. Die Besonderheit der Arbeitskraft besteht darin, dass sie Wert neu "schaffen" kann - statt nur bereits vorhandenen auf Kosten des einen Subjekts einem anderen zu verschaffen. Die Entwicklung der Produktivkräfte und der damit verbundenen Möglichkeiten lässt diese ihre Besonderheit zunehmend in Vergessenheit geraten: am meisten verdient wird dort, wo nichts geschaffen wird, und wer arbeitet, gilt als der letzte Dreck. Das moderne Finanzsystem bemüht sich gerade, die Trennung von (Mehr-)Wertproduktion und (Mehr-)Wertaneignung zu vollenden. Je weiter dieser Prozess fortschreitet, desto besser wird sichtbar, dass auch der Gebrauchswert in der Warenlogik nur eine Nebenrolle spielt. Bleibt nur, ihn abzuschaffen - nicht als Eigenschaft eines Dings, sondern als Teil der Warenlogik.

7.

Ist der Kommunismus gar die verwirklichte Gesellschaft der Gebrauchswerte?

Der Kommunismus ist eine in der Warengesellschaft entstandene Utopie. Als solche hat er seine Berechtigung, sollte aber ähnlich kritisch wahrgenommen bzw. rezipiert werden wie alle anderen Bestandteile dieser Ordnung.

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Call for Papers: ArbeitsLOS

Das Arbeitslos und die Arbeitslosigkeit könnte man durchaus als zentrale lebensweltliche Probleme der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auffassen. Arbeit wird als Bestimmungsstück der Menschen begriffen. Geht sie verloren, gehen die Verlierer gleich mit.

Einerseits ist der Trend zu weniger Beschäftigung ja durchaus erfreulich, andererseits ist gerade die Arbeitslosigkeit für immer mehr Menschen mit Deklassierung und sozialem Abstieg verbunden. Arbeitslosigkeit meint nämlich Entwertung der Ware Arbeitskraft und was das für die Betroffenen bedeutet, wissen nicht nur jene, die diese Erfahrung schon machen mussten. In einer Gesellschaft die vom Wert und seinen Werten geprägt ist, ist das ein Unglück.

• Was deutet Arbeitslosigkeit für die von der Arbeit Ausgeschlossenen? Wie reagieren sie, ihre Umgebung und die öffentlichen Institutionen und Instanzen?

• Wie wird Abseitslosigkeit empfunden? Was bedeuten die Drangsalierungen, seien sie frontaler oder mentaler Natur.

• Was bedeutet Arbeitsmarktservice und Arbeitsmarktpolitik? Oder Standort? Wie sind diverse Maßnahmen einzuschätzen? Sind sie mehr als Versprechungen und Drohungen?

• Warum Arbeit? Was bedeutet Recht auf Arbeit? Was bedeutet Arbeitspflicht? Hängen sie zusammen?

• Was können Gewerkschaften heute noch bewirken? Warum stauen sich die Reformen und werden trotzdem gefordert? Können wir uns Konstruktivität noch leisten?

• Welche Rolle spielt die Rassifizierung sozialer Konkurrenz durch den Kampf um die rarer werdenden Arbeitsplätze in den westlich Industriegesellschaften?

Wie man schon vermutet, ist Arbeit! nicht die Antwort auf unsere Frage, sondern Grund für eine Absage. Was wir uns bisher so alles dazu gedacht haben, findet sich hier:
www.streifzuege.org/thema/arbeit-arbeitslosigkeit Dogmatisch halten wir es nach wie vor mit Großvater Karl, der seiner Arbeiterbewegung vorschlug: "Statt des konservativen Mottos: "Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!", sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: "Nieder mit dem Lohnsystem!" (MEW 16, S. 152)

Wie immer sind auch Artikel zu anderen Themen willkommen, nicht nur Texte zum Schwerpunkt.

Artikelvorschläge bitte ab sofort an die Redaktion: redaktion-at-streifzuege.org (zur Vermeidung von Spam "@" durch -at- ersetzt)).

Ab geplanten 12.000 Zeichen (2 Seiten) ersuchen wir um einen kurzen Abstract: etwa 1200 Zeichen.

Folgende Textsorten stehen zur Verfügung:
- 2000 Zeichen abwärts,
- Rezens eines Buches (1600 Zeichen),
- Aufriss (1 Seite mit bis 6.000 Zeichen),
- Essay (2 oder 3 Seiten mit 12.000 bzw. 18.000 Zeichen Obergrenze) oder
- Abhandlung (auf 4 oder 5 Seiten mit 24.000 bzw 31.000 Zeichen Limit)

Genaue Modalitäten zu Textsorten und -länge siehe:
www.streifzuege.org/hinweise-fuer-autorinnen

Die fertigen Aufsätze sind bis zum vereinbarten Termin, aber spätestens bis 17. Oktober 2017 an uns zu senden.

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Rückkopplungen

Rock als Gebrauchswert

von Roger Behrens

Einhundertfünfzig Jahre Das Kapital, erster Band, Karl Marx: "Der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein bestimmtes Bedürfnis befriedigt." (MEW 23, 56) Eine Rückkopplung: in den Streifzügen Nr. 34 vom Juli 2005 war dieses Zitat schon einmal Einstieg für die Kolumne: in Erinnerung an Helmut Salzinger, der Marx' Satz assoziativ gedeutet auf die Rockmusik anwendete; wie ein Refrain ist er mehrmals zu lesen in seiner Textcollage "Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution?", 1972 zuerst erschienen und 1982, zehn Jahre später, noch einmal. Salzinger provoziert das vermeintlich Selbstverständliche, indem er das vermeintlich Selbstverständliche auf den Punkt bringt; damit irritiert er die Rockideologie, die Hypostasierungen der Musik, die längst zum Soundtrack der Protestgeneration geworden war, die aber auch, als Pop, längst das Große Geschäft war, einer der florierenden Sektoren der Kulturindustrie.

So ist allein schon der Titel als Provokation zu lesen: "Wie musikalisch ist die Revolution?" ist doch eben nicht die Frage, die eigentlich erst einmal gestellt werden sollte: Wie revolutionär ist die Musik? Ja, mehr noch: Wie revolutionär ist eine Musik, die von Leuten gemacht und gehört wird, die mit dieser Musik behaupten, die Revolution zu machen? Solche Proklamationen charakterisierten den Zeitgeist, dessen Chronik dann Summer of Love 1967, Mai '68 und Woodstock 1969 verzeichnet - einen Zeitgeist überdies, der mit seinem gesamten rock-, pop- und subkulturellen Revolutionspathos längst in die Annalen der offiziellen Geschichtsschreibung eingegangen ist, inklusive Filmen, Biografien und allen möglichen Anniversary-Sonderausgaben (aktuell: "Super Deluxe Edition" vom "Sgt. Pepper's ..."-Album der Beatles, orig. 1967). Was fehlt, ist bei allem Pathos allein die Revolution, die eben nicht stattfand.

"Rock Power" ist dann eben doch nur die Macht der Musik, die Gegenmacht einer Gegenkultur, die sich allein auf eben diese Gegenkultur beschränkt: Die Rock Power ist vom Rock abhängig, und der Rock selbst - vom Rock. Salzingers Buch konnte freilich zu den Hochzeiten der Rockmusik und den sie zelebrierenden Jugend(sub)kulturen, also 1972, noch ohne weiteres missverstanden werden; ein Missverstehen, das 1982 dann, zehn Jahre später, im Nachhinein grotesk wirkt: "Der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein bestimmtes Bedürfnis befriedigt." Okay. Aber dieses bestimmte Bedürfnis konnte 1982 nicht mehr über den Rock befriedigt werden, sondern orientierte sich jetzt an Punk, Hip-Hop, Disco, frühem Technosound. Demgegenüber war Rock insgesamt lahm und langweilig geworden, war nun auf einmal AOR (= Adult oriented Rock music), und die Rock Power hatte sich bestenfalls bei einigen Supergroups in Power Rock verdreht (AC/DC, 1978: "Powerage").

Damit war allerdings die Revolution oder das Revolutionäre, das irgendwie Nicht-Angepasste oder sich zumindest der Anpassung Verweigernde des Rock wieder das, was Salzinger schon 1972 monierte: nicht Gebrauchswert, sondern bloßes Gebrauchswertversprechen. Und eben mithin eines, das schlechterdings Versprechen bleiben musste, das schließlich als unerfülltes und aufgeschobenes, aber eben nie und nimmer aufgehobenes Versprechen in den "Gebrauchswert" der Rockmusik rückgekoppelt wieder eingeht, ja schließlich sogar die maßlose Messgröße des Werts darstellt, der sich im Konsum der Ware Rockmusik realisiert: Maßlos deshalb, weil sich hier die Maßlosigkeit kapitalistischer Produktion ästhetisch im einfachen Akt des Konsums wiederholt: Gerade Produkte aus dem Angebot der Popkulturindustrie werden ja über die allgemeine Phrase der Tauschwertideologie, dass etwas preiswert, also "seinen" Preis "wert" sei, hinaus bestaunt, wie überwältigend, also "super" oder "großartig" sie seien.

Was hier der Gebrauchswert des Rock als besonderes Bedürfnis zu befriedigen verspricht, hat seine Analogie im Glücksversprechen, über das Adorno schreibt: "Stendhals Diktum von der promesse du bonheur sagt, dass Kunst dem Dasein dankt, indem sie akzentuiert, was darin auf die Utopie vordeutet. Das aber wird stets weniger, das Dasein gleicht immer mehr bloß sich selber. Kunst kann darum immer weniger ihm gleichen. Weil alles Glück am Bestehenden und in ihm Ersatz und falsch ist, muss sie das Versprechen brechen, um ihm die Treue zu halten. Aber das Bewusstsein der Menschen, vollends der Massen, die durchs Bildungsprivileg in der antagonistischen Gesellschaft vom Bewusstsein solcher Dialektik abgeschnitten sind, hält am Glücksversprechen fest, mit Recht, doch in seiner unmittelbaren, stofflichen Gestalt. Daran knüpft die Kulturindustrie an. Sie plant das Glücksbedürfnis ein und exploitiert es." (Ästhetische Theorie, GS Bd. 7, 461) - Das Glücksbedürfnis geht vollends ein in die kulturindustrielle Wunschproduktion - und manifestiert sich im Gebrauchswert und seinem Versprechen.

"Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion." (MEW 23, 50) Entscheidend für die Verschiebung zum Gebrauchswertversprechen ist, dass der Gebrauch einer Ware sich keineswegs in Zweck und Nützlichkeit erschöpft, so wenig wie ein "bestimmtes Bedürfnis" sich materiell versachlichen lässt. Beim "Gebrauchswert" der Rockmusik ist klar, dass hier Geschmack, Begehren, Lust, Erinnerungen, Intimitäten etc. bestimmend sind, nicht etwa ein krudes Reiz-Reaktions-Schema; ähnliches gilt aber auch schon für die Bekleidung, die Marx meinte, als er schrieb: "Der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein bestimmtes Bedürfnis befriedigt." Schon im 19. Jhdt. bediente die kapitalistische Textilindustrie nicht allein Bedürfnisse nach etwa witterungsgemäßer Kleidung, sondern auch schon das "bestimmte Bedürfnis", das ideologisch durch die Mode erzeugt wird: "Die Mode schreibt das Ritual vor, nach dem der Fetisch Ware verehrt sein will", notierte Walter Benjamin (GS Bd. V·1, 51). Das wiederum ist vom Kleidungsstück Rock als Gebrauchswert auf die Rockmusik als Gebrauchswert zu übertragen, schließlich auf alle Musik, ja sämtliche Kulturwarenproduktion: von der Mode vorgeschriebene Rituale sind heute in vielfältigster Gestalt in das Alltagsleben integriert. Was indes den Gebrauchswert der Rockmusik angeht, den Salzinger zumindest in Hinblick auf dessen - wenn auch ästhetisch oder ästhetizistisch gefilterten - Revolutionsverheißungen infrage stellte, so wäre heute die Frage zu korrigieren: Wie musikalisch ist die Mode? Sie, und nicht "die Revolution", ist heute der Gebrauchswert, der als allgemeines Versprechen, als gewöhnliche promesse du bonheur allenthalben produziert und reproduziert wird.

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Der "beruhigende" Terror des Geldes

von Peter Samol

Am 11. April diesen Jahres wurde in Dortmund ein Bombenanschlag auf den vollbesetzten Mannschaftsbus des Bundesligavereins Borussia Dortmund (BVB) verübt. Drei mit Metallstücken versehene Sprengsätze, die vor dem Hotel der Spieler deponiert waren, explodierten, kurz nachdem sämtliche Mannschaftsmitglieder ihre Plätze eingenommen hatten. Der Anschlag verlief relativ glimpflich, denn verletzt wurden lediglich ein Spieler und ein Polizist.

Nach der Tat gingen die Ermittler zunächst von einem extremistischen Hintergrund aus. Ein Bekennerschreiben, das ein islamistisches Motiv nahelegen sollte, erwies sich jedoch rasch als Täuschungsmanöver. Anschließend geriet die rechtsradikale Szene ins Visier der Ermittler, was sich jedoch ebenfalls als Fehlanzeige herausstellte. Auch die letzte in Erwägung gezogene Möglichkeit, wonach es sich um die Tat eines verrückt gewordenen Fußballfans handeln sollte, schied schließlich aus. Auf die richtige Spur führten letztlich auffällige Börsengeschäfte mit Optionen auf die Aktien der betroffenen Mannschaft.

Dazu muss man wissen, dass der BVB der einzige deutsche Fußballverein ist, der als Aktiengesellschaft notiert ist. Ein Käufer hatte auffällig auf eine riesige Menge an Optionsscheinen gesetzt, die nur dann einen Gewinn versprachen, wenn es zu einem enormen Kursverlust der BVB-Aktien käme. Dieser sollte offenbar durch den Anschlag ausgelöst werden. Da gesunde und leistungsfähige Spieler den "Vermögenskern" eines Fußballvereins darstellen, bestand der Plan des Attentäters darin, möglichst viele von ihnen schwer zu verletzen oder gar zu töten.

Der Täter hatte schon immer vom großen Geld geträumt. Bis zu seinem Bombenanschlag verlief sein Leben innerhalb dessen, was man für gewöhnlich als "geordnete Bahn" bezeichnet: gute Schulnoten, eine abgeschlossene Lehre und ein sicherer Arbeitsplatz waren vorhanden. All das reichte jedoch nicht aus, den "Traum vom großen Geld" zu erfüllen. Nachdem einige Versuche mit Sportwetten gescheitert waren, beschloss er, dem Glück entschieden nachzuhelfen. Er mietete sich ein Zimmer im Dortmunder Mannschaftshotel mit Aussicht auf genau jene Stelle, an welcher der Bus abfahren sollte. Dort platzierte er seine drei Bomben und zündete sie zu gegebener Zeit vom Zimmerfenster aus. Zuvor hatte er Schulden in Höhe von 79.000 Euro aufgenommen, mit denen er insgesamt 15.000 Aktienoptionsscheine finanzierte, die auf einen fallenden Kurs der BVB-Aktie setzten. Wäre sein Plan aufgegangen, dann hätte er damit Millionen einnehmen können.

Bei den betreffenden Wertpapieren handelte es sich um so genannte Put-Optionen. Der Inhaber solcher Scheine kann eine bestimmte Menge vorher festgelegter Aktien an einem festgelegten Zeitpunkt zu einem fix vereinbarten Preis verkaufen. Dafür muss man allerdings eine recht hohe Prämie entrichten. Solche Optionsscheine haben nur dann einen Sinn, wenn der tatsächliche Preis zum vereinbarten Zeitpunkt niedriger liegt als der von ihnen garantierte. Ursprünglich stammt dieses Konzept aus der Landwirtschaft und diente dazu, den Landwirten bestimmte Preise für ihre künftigen Erzeugnisse zu garantieren; dadurch gewannen sie Planungssicherheit. Heute gibt es Optionsscheine für alles Mögliche. Nicht nur für Aktien und landwirtschaftliche Produkte, sondern beispielsweise auch für Bodenschätze, Fremdwährungen und viele andere Dinge. Um Optionsscheine zu erwerben, muss man die jeweilige Ware gar nicht besitzen oder herstellen. Man kann sie auch einfach so kaufen. In diesem Fall geht man eine Wette auf eine künftige Preisdifferenz ein. Liegt dann der künftige Marktwert des betreffenden Produkts niedriger als in den Scheinen angegeben, kauft man die entsprechende Menge zum niedrigen Marktpreis auf und verkauft sie sofort wieder zum höherem Garantiepreis der Optionsscheine. Das geht an der Börse blitzschnell, ohne dass man die Ware jemals zu Gesicht bekommt. Auf diese Weise können durch Preisdifferenzen enorme Gewinne gemacht werden; wenn der Marktpreis jedoch nicht unter dem garantierten Preis liegt, dann sind die Optionsscheine völlig wertlos und man verliert sämtliches Geld, das man zuvor für sie bezahlt hat. Im Fall des Dortmunder Attentäters war der angerichtete Schaden nicht groß genug. Zwar sank die Dortmunder Aktie nach der Tat um 5,5 Prozent, damit lag sie aber immer noch über dem garantierten Einkaufspreis der betreffenden Optionsscheine. Der Täter hätte wohl mehr Spieler verletzen müssen. Dann wäre ein dramatischer Kurssturz der BVB-Aktien unvermeidlich gewesen.

Das Motiv für den Anschlag war also schlichte Geldgier. Dass jemand in Tötungs- oder zumindest Verletzungsabsicht Bomben zündet, um sich an der Börse zu bereichern, auf diese Idee war niemand gekommen. Es passte nicht in das Weltbild der Ermittler. Nun kann es den Opfern eines Anschlags eigentlich egal sein, aus welchen Gründen sie um ihr Leben oder ihre Gesundheit gebracht werden. Von daher war die allgemeine Reaktion auf das wahre Motiv des Täters sehr befremdlich. Statt eines allgemeinen Entsetzens über die womöglich tödlichen Konsequenzen der Marktmechanismen folgte nämlich allgemeines Aufatmen. Die Mittelbayerische Zeitung konnte tatsächlich "beruhigende Botschaften" in der Tatsache finden, dass der Täter von Dortmund weder Mitglied des IS noch Terrorist war, sondern lediglich von Geldgier angetrieben wurde. Das sei zwar "schlimm, aber dennoch beruhigend". Die Badische Zeitung titelte mit der Überschrift "Aufatmen erlaubt" und war froh, dass es sich lediglich um einen "gewöhnlichen Verbrecher handelte".

Zur gleichen Zeit, zu der das wahre Motiv des Dortmunder Attentäters offenkundig wurde, hatte übrigens ein Unbekannter in Konstanz etliche 20- und 50-Euro-Scheine verschenkt, die er in Briefkästen deponierte oder unter Scheibenwischer klemmte. Seine Identität ist bis heute ungeklärt. Das wiederum versetzte viele Menschen in äußerste Unruhe. Offenbar ist es für so manchen Zeitgenossen nachvollziehbarer, wenn einer der Logik des Geldes folgt und sogar bereit ist, dafür über Leichen zu gehen, als wenn jemand Geld ohne ersichtlichen Grund an Unbekannte verschenkt.

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2000 Zeichen abwärts

von Lorenz Glatz

Frühstückslektüre

In der Wiener Zeitung vom 2. Juni 2017 sind mir auf der Titelseite drei Schlagzeilen aufgefallen. "Industrie in Europa schafft wieder Jobs" war der Aufmacher, "Trump kippt Klimaschutzabkommen" der zweite, gleich daneben. Schon diese beiden haben einen bemerkenswerten Zusammenhang. Das Jobwachstum in der EU-Industrie wird sicherlich nicht die Klimawerte stabilisieren helfen und vermutlich zwar die Zahl der Arbeitsplätze, jedoch nicht die Größe des "Arbeitsvolumens" steigern, an dem die Einkommen des Arbeitsvolks hängen (Hierzulande sinkt es - gemessen an der wachsenden Bevölkerung - von Jahr zu Jahr ein bisschen - und verteilt sich sozial gesehen immer schriller). Trumps jetzt weltweit verpönte, dafür spektakuläre Maßnahme will aber dasselbe, dessen man da die EU-Wirtschaft rühmt, und wird, wenn sie denn Erfolg hätte, dieselben Klimafolgen haben - oder meint wer, dass z.B. die laufende Forcierung deutscher Braunkohle den CO2-Ausstoß vermindern oder das Wachstum der Industrie mit der gigantischen Verschwendung der Ressourcen des Planeten Schluss machen wird? Im übrigen beruht die "saubere Umwelt" hier generell auf dem Export und der Ansammlung des Drecks anderswo, in den Meeren und in den "Entwicklungs"ländern. Und überhaupt: Außer den hoffnungsvollen Reden von so vielen Politikern wie noch nie deutet kaum etwas auf den durchschlagenden Erfolg der x-ten internationalen Klimakonferenz hin. Der gute Wille sei den Konferenzteilnehmern gar nicht abgesprochen, ja, wer möchte angesichts der drohenden Katastrophe nicht gern "das Klima retten", "doch die Verhältnisse, sie sind nicht so"! Da muss man z.B. doch glatt die Verfassung ändern, wenn Klimaschutz einen Flughafenausbau verhindern könnte.

Wie aber "die Verhältnisse" auf die Menschen wirken können, nicht nur bei Klimawandel und Weltzerstörung im Dienste von Kapitalverwertung durch "Wachstum", sondern schlicht im alltäglichen Leben der Gesellschaft, das konnte eins ein Stück weit an der dritten Schlagzeile der Wiener Zeitung vom 2. Juni ablesen - dass nämlich in "Felix Austria" "ein Viertel der Jugendlichen psychisch krank" sein sollen.

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Diktatur des Effizienzdenkens

von Marianne Gronemeyer

Wir leben in einer effizienzversessenen Gesellschaft, die, um möglichst viel Output in kürzestmöglicher Zeit auszuspucken, alle Lebensvollzüge bis zur Raserei auf Trab bringt. Die alte Einsicht, dass alles, was gut getan sein soll, seine Zeit braucht, dass es ein angemessenes, stimmiges Verhältnis zwischen einer Arbeitsaufgabe und der dafür benötigten Zeit gibt, ist außer Kraft gesetzt, seit es mit Maschinenkraft möglich wurde, die Dinge schneller laufen zu machen, als sie von sich aus laufen können. Die Maschinen, dazu ausersehen, den Menschen ihre Arbeit zu erleichtern und Sklaverei zu ersparen, haben im Zuge des industriellen Fortschritts die Menschen, die sie sich zunutze zu machen glaubten, versklavt. Die Instrumente, die Mittel zu Zwecken sein sollten, sind inzwischen ausschlaggebend dafür, welche Zwecke gesetzt werden. Während man vor nicht allzu langer Zeit noch darüber streiten konnte, ob der Zweck die Mittel heiligt, wird heute ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Mittel bestimmen, welche Zwecke gesetzt werden sollen.

Can implies ought: Was der Mensch kann, das soll, das muss er machen. Das war der Fortschrittsimperativ der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Darüber sind wir weit hinaus. Nicht was der Mensch kann, sondern was der Apparat, die zum System verschmolzene Maschinerie kann, dem müssen Menschen als Funktionspartikel im System dienstbar sein. Das, was ich Maschinerie nenne, ist längst nicht mehr nur das gute alte Räderwerk, in dem der Arbeitskollege von Charly Chaplin im Film "Modern Times" durchgedreht wird. Die Maschinerie hat sich längst auch der Dienstleistungsberufe bemächtigt, die bis zu einem gewissen Grade immer noch im Stande der Unschuld geglaubt werden. Die Dienstleister in den heilenden, helfenden, lehrenden, fördernden, behandelnden, beratenden oder therapeutischen Professionen, die sich übrigens wie Pilze nach einem warmen Sommerregen vermehren, fühlen sich immer noch als Akteure, während sie tatsächlich in Verfahren, Prozeduren und getaktete Abläufe eingespannt sind, deren absolut vorrangiger Daseinszweck darin besteht, dass sie störungsfrei und hochbeschleunigt, also "effizient" und natürlich profitabel abgewickelt werden können.

Inputs und Outputs

"Gute Arbeit kann ich mir nicht leisten", das ist ein Stoßseufzer, den insbesondere diejenigen, die in sozialen Professionen tätig sind, kaum noch unterdrücken können. Man muss hören, was da gesagt wird: Um der Effizienz, also um der Wirkung meiner Arbeit willen, muss ich darauf verzichten, gute Arbeit verrichten zu wollen. Gute Arbeit ist offenbar unbezahlbar geworden. Aber was meine ich, wenn ich "gute Arbeit" sage? Die allgemeinste Antwort wäre: Gute Arbeit ist solche, die nützt und nicht schadet.

Das heißt also: Wenn ich feststelle, dass ich mir gute Arbeit nicht leisten kann, dann begnüge ich mich nicht nur mit weniger guter Arbeit, sondern ich nehme in Kauf, dass die Arbeit, die ich mir leisten kann, Schaden anrichtet. Und da fragt sich, wer denn nun eigentlich diesen Satz sagt. Spielen wir das einmal am Gesundheitswesen durch. Das ist immerhin ein Erfahrungsfeld, mit dem wir alle schon in der einen oder anderen Art Berührung hatten. Wir könnten auch das Bildungssystem ins Visier nehmen, denn da gelten ähnliche Spielregeln, oder das Produktions- oder Handwerkswesen oder die winzigen Reste bäuerlicher Tätigkeit, die es in modernen Gesellschaften noch gibt. Aber am Gesundheitswesen wird besonders drastisch deutlich, dass wir in einem "weltweiten Irrenhaus" (Erich Fromm) leben. John Berger sprach kurz vor seinem Tod vom "weltweiten Gefängnis", in das wir samt und sonders und sogar mit unserer bereitwilligen Zustimmung eingesperrt sind. Und Ivan Illich spricht von "Absurdistan". Diese Zuschreibungen sind keine Metaphern, sondern real, wie John Berger nicht müde wird zu betonen.

Also wer sagt den Satz "Gute Arbeit kann ich mir nicht leisten."?

Vielleicht die Krankenschwester mit der Uhr in der Hand, aber längst auch schon im Kopf und im Herzen.

Vielleicht der Verwaltungschef des Krankenhauses, der seinen Betrieb ökonomisch optimieren will oder soll.

Oder die Patientin, deren Arzt ihr Zusatzleistungen empfiehlt, die er "dringend geboten" nennt, die sie aber aus der eigenen Tasche bezahlen müsste, was sie nicht kann.

Meinen die Krankenschwester, der Verwaltungschef und die Patientin überhaupt dasselbe, wenn sie von "guter Arbeit" sprechen?

Fraglich, ob heutzutage das, was die Patientin gern hätte, aber nicht bezahlen kann, wirklich "gute Arbeit" ist. Fühlt sie sich nicht vielmehr benachteiligt, weil ihr bestimmte Produkte aus einer Produktpalette vorenthalten werden? Krankenhaustage zum Beispiel oder aufwendige diagnostische Verfahren, teure Medikamente oder Heilbehandlungen und alles, was in sehr unterschiedlicher Qualität im medizinischen Ersatzteillager feilgeboten wird, vom Zahnersatz über die künstliche Hüfte bis hin zum Ersatzherzen. Würde es ihr überhaupt noch einfallen, vom Arzt etwas anderes zu erwarten als eine Zugangsberechtigung zu einem dieser vielversprechenden Produkte?

Die Krankenschwester dagegen spricht wirklich von ihrer Arbeit. Ihre Klage lässt vermuten, dass sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon hat, was gute Arbeit in ihrem Metier wäre. Sie wäre wahrscheinlich auch bereit und fähig, sie zu tun; nur wird sie eben tagtäglich systematisch daran gehindert. Während übrigens gleichzeitig von ihr verlangt wird, dass sie perfekt funktioniert.

Und der Verwaltungschef? Ich fürchte, er würde dies Eingeständnis überhaupt nicht über die Lippen bringen, denn es ist, wie man im Verwaltungskauderwelsch sagen würde, "imageschädigend". Er wird vielmehr - werbewirksam - darauf bestehen, dass das Krankenhaus, welches er managt, die bestmögliche Leistung (auf Kauderwelschig: "performance") erbringt. Zu dieser vollmundigen Aussage legitimiert er sich dadurch, dass er von "guter Arbeit", also von etwas, was Menschen tun, überhaupt nicht spricht. Gute Arbeit hat in seinem Denken ebenso wenig Platz wie schlechte Arbeit. Er hantiert seinerseits mit Produkten, mit den verdinglichten Ergebnissen von menschlichem Tun. Indem er die Produkte von der Tätigkeit abspaltet, ist er die leidige Frage nach der Arbeit los. Es geht nun nur noch um Inputs und Outputs, und alles, was dazwischenliegt, spielt sich, seiner Aufmerksamkeit gänzlich entzogen, in einer Blackbox ab und kann als qualité négligeable betrachtet werden. Ein gutes Produkt ist eines, das bei möglichst geringem Einsatz von Mitteln einen möglichst großen Effekt erzielt, wobei ganz nebenher Ziele durch Effekte ersetzt und Effekte mit Zielen verwechselt werden. Die Fragen "Was will ich?", "Was sollte ich tun?", "Was sollte ich unterlassen?", "Warum?", "Wozu ist etwas gut?", "Wem hilft das?", die ja öffentlich verhandelt werden müssten, verschwinden völlig zugunsten der alleinigen Frage nach dem "Wie geht das?". Wobei dieses "das", das da gehen soll, dezisionistisch, um nicht zu sagen selbstherrlich von einer ökonomisch interessierten, naturwissenschaftlich bornierten, technisch versierten und bürokratisch fanatisierten Expertenkaste verbindlich vorgegeben wird. Sie definiert den Output und kalkuliert den Input, und der Rest ist Verfahren, das wie geschmiert laufen muss.

"Produktifizierung" aller Verhältnisse

Wir müssen uns den Verwaltungsdirektor nicht einmal gewissenlos vorstellen. Sollte es ihm immerhin schwanen, dass das System, dem er dienstbar ist, an der Aufgabe einer guten medizinischen Versorgung scheitert, dann würde er das wahrscheinlich einem Mangel an Verteilungsgerechtigkeit zuschreiben und nicht einem Mangel an guter Arbeit. Produkte bzw. Befriedigungsmittel haben eben die fatale Neigung, knapp zu sein, also nicht für alle, die einen Anspruch darauf erheben, zu reichen. Die Konsequenz: Wenn der Vorrat an Befriedigungsmitteln nicht reicht, dann muss er eben aufgestockt werden, bis schließlich alle Ansprüche leidlich befriedigt werden können. Dieser Illusion verdanken wir die ungeheure Aufblähung des Medizinwesens, aber auch genauso des Bildungswesens, des Therapie- und Beratungswesens, deren Ende bis auf Weiteres nicht absehbar ist. Verteilungsgerechtigkeit wird in der Wachstumsökonomie unbeirrt von einer rasanten Vermehrung und Raffinierung von Produkten erwartet. Aber die Erfahrung lehrt - oder besser: Sie könnte lehren, lehrt aber tatsächlich gar nichts -, dass die Aufstockung des Angebots die Verteilungsgerechtigkeit nicht um ein Deut verbessert, sondern im Gegenteil. Nicht einmal eine halbwegs gerechte Verteilung der Befriedigungsmittel könnte irgendjemandem gerecht werden, wenn das Produkt nicht das Ergebnis guter Arbeit ist.

Was im Medizinwesen unter "Dienstleistung" verstanden wird, hat sich im Zuge der "Produktifizierung" aller Verhältnisse grundlegend verändert. Der geleistete Dienst besteht zunehmend nur noch im Verkauf von industriell gefertigten Waren. Folgerichtig wurden Patienten zu "Kunden" umbenannt, während Ärzte und Pflegekräfte sich noch dagegen zu schützen wissen, als "Vertreter" und "Verkäufer" wahrgenommen zu werden, was sie de facto längst sind. Dass jemand einem anderen einen guten Dienst tut, ihm also dient oder dienstbar ist, diese Wortbedeutung ist aus der Dienstleistung im Allgemeinen und der medizinischen Dienstleistung im Besonderen fast völlig verschwunden. Und der oder die Hilfesuchende kann längst nicht mehr sicher sein, dass die Dienstleister ihm oder ihr wohlwollen, wenn es doch um deren Verdienst im schnöden pekuniären Sinn geht. Die Produkte, die in der Arztpraxis und im Krankenhaus verhökert werden, sind teils verfahrensförmiger, teils dinglicher Natur. Die standardisierten Verfahren, mit denen medizinische Fälle abgearbeitet werden, muss das medizinische Personal professionell liefern, die materiellen Produkte liefert die pharmazeutische und medizinisch-technische Industrie. In beiden steckt aber trotz voranschreitender Maschinierung immer noch menschliche Arbeit. Jedwedes Produkt - das ist die These - kann nur so gut sein, wie die Arbeit war, deren Resultat es ist.

Produkte, sagt der ungarische Philosoph Georg Lukács, sind der "Abdruck ihrer Handlungen", das heißt, die Absichten und Begleitumstände, denen sie ihr Zustandekommen verdanken, kriechen in sie hinein, durchdringen sie und bestimmen ihr Wesen. Nun haben aber die Produkte nicht nur eine Entstehungsgeschichte, sondern auch eine Gebrauchsgeschichte. Ein Gegenstand sei "Abdruck von Handlungen" meint, es werden in ihn Normen eingeschmolzen, die den Umgang mit diesem Gegenstand bestimmen oder festlegen. Gegenstände sind imprägniert mit ihren Entstehungsbedingungen, und was in sie hineingeschrieben wurde an Qual oder Leidenschaft, an Zwang oder Schöpfergeist, an offener oder geheimer Zwecksetzung, das wirkt als Gebrauchsanweisung oder als geheimes Kommando für künftige Anwender und Benutzer aus ihnen wieder heraus: Massenartikel erlauben keine individuelle Nutzung, flüchtig Hergestelltem ist keine Dauerhaftigkeit und kein Respekt beschieden, gewaltsam Abgezwungenes ermöglicht keinen freien Gebrauch, Hässliches wird den Benutzer verhässlichen, was roh gemacht wurde, erzeugt rohen Umgang. Was verschwenderisch und rücksichtslos hergestellt wurde, gebiert Verschwendungssucht und Rücksichtslosigkeit. Was auf nackte Zweckmäßigkeit und Effizienz abzielt, reduziert auch die Menschen, die damit Umgang haben, auf nackte Zweckmäßigkeit und Effizienz. Es ist mir zum Beispiel schlechterdings unmöglich zu glauben, dass ein pharmazeutisches Produkt, das einer Kampfgesinnung entspringt ("Kampf dem Krebs!") und für das zu Tode gequälte Kreaturen herhalten müssen, heilsam sein könnte. Aber natürlich gilt auch das Umgekehrte: was liebevoll, sorgsam und mit Sinn geschaffen wurde, erheischt sorgfältigen, bewahrenden und sinngemäßen Gebrauch.

Schaffenskraft

Wenn wir also nach der guten Arbeit Ausschau halten wollen, dann müssen wir unser Augenmerk nicht vorrangig darauf richten, was dabei herauskommt, sondern darauf, was in sie eingeht, und zwar eingeht nicht als bloßes Mittel zum Zweck, sondern als Schaffenskraft, als schöpferische Kraft. Arbeit entsteht ja nicht aus dem Nichts. Sie ist angewiesen auf eine Fülle von Gegebenheiten, denen sie ihr Zustandekommen verdankt, auf Gaben der Natur ebenso wie auf das kulturelle Erbe. Jede Arbeit, die die Quellen, aus denen sie sich nährt, erschöpft, ohne etwas an sie zurückzuerstatten, ist parasitär. Und dies könnte ein brauchbares Kriterium sein, um gute von schlechter Arbeit, wirklich effiziente von pseudoeffizienter Arbeit zu unterscheiden. Arbeit, die die Rückerstattung schuldig bleibt, kann niemals gute Arbeit werden, denn sie zerstört unweigerlich ihre eigenen Existenzbedingungen.

Die industrialisierte Arbeit, die heute den Normalfall der Arbeit darstellt - wohlgemerkt, ich spreche mit voller Absicht auch von Dienstleistungsindustrie -, ist nicht nur nicht willens, sondern auch vollkommen unfähig, Rückerstattung zu leisten. Sie ist auf ihren gewinnträchtigen Hauptzweck hin vollständig durchorganisiert, Rückerstattung heißt aber, dass der Profit beschränkt wird. Moderne Arbeit schafft ein steriles Klima ökonomischer Rationalität und technischer Perfektion. Ihr Ideal sind die programmgemäßen Abläufe, die, von allem Beiläufigen und Unvorhergesehenen gereinigt, hocheffektiv zur Sache kommen. Das Agens dieser Arbeit ist nicht mehr der arbeitende, sondern der "funktionale Mensch", dessen Person durch die Funktion, die ihm obliegt, ersetzt wurde. Arbeit und Arbeiter sind in diesen Prozessen gleichermaßen tot gestellt. Die Arbeit braucht immer weniger von dem, was menschliche Arbeitskraft beizusteuern hätte:

• Erfahrung und Lebensklugheit haben sich erledigt. Was es braucht, ist das jeweils aktuellste Funktionswissen. Aber das lässt die Erfahrung leer ausgehen. Erfahrung entsteht nicht aus Routinen und programmierten Verfahren, sondern aus Überraschungen, Besonderheiten und Unvorhergesehenem und aus Scheitern und Versagen, das vor allem.

• Zur Verständigung reicht dieser Arbeit eine kunstlose Sprache der technischen Kürzel, ein funktionales "Uniquak" (I. Illich) mit weltweiter Geltung, das die Sprache der persönlichen Anrede, des Mitgefühls, der Verständigung, der Besinnung und Begegnung verdrängt. Die Sprache und das Tun haben sich immer gegenseitig herausgefordert und befruchtet. Von unseren Arbeitsverhältnissen gehen keine sprachschöpferischen Impulse mehr aus. Sprache wird mit Plastikwörtern durchseucht und dem Jargon der Werbeindustrie angenähert. Eine der bedrohlichsten und folgenschwersten Entwicklungen, die wir gegenwärtig beobachten können, ist die zunehmende Verwüstung unserer Sprache, die uns unfähig zur Anteilnahme macht.

• Die Geschicklichkeiten und persönlichen Fähigkeiten, derer es einmal bedurfte, um gute Arbeit zu verrichten, wurden durch technische Perfektion der Maschinen ersetzt und überboten. Aber woher soll die Freude an der Arbeit kommen, wenn ich mich in ihr nicht als fähig, als lernend und wachsend erfahren kann?

• Die persönliche Gewissenhaftigkeit im Bemühen um gute, solide Arbeit ist verzichtbar geworden, denn der funktionale Mensch qualifiziert sich nicht durch unbestechliche Gütemaßstäbe, sondern durch fraglosen Gehorsam gegenüber den Diktaten der Maschinerie.

• Noch immer unentbehrlich ist allerdings die Bereitschaft der Arbeitenden, gut und sogar hart zu arbeiten. Wenn aber die Arbeit denen, die sie tun, nichts zurückerstattet, keine Erfahrung des Gelingens nach ausgestandener Mühe, keine wohltuende Erschöpfung, keine Inspiration, keine Lernerfahrung, woher soll dann Motivation kommen? Das Geld muss besorgen, was die Arbeit selbst schuldig bleibt, damit Menschen tun, was von ihnen verlangt wird. Geld vermag scheinbar den fehlenden Enthusiasmus recht zuverlässig zu kompensieren. Eine gewisse Funktionslust und Erledigungsdrang tun ein Übriges. Aber es macht eben einen enormen Unterschied, ob die besagte Krankenschwester Freude an ihrer Arbeit hat oder ob sie die Arbeit nur als unerlässliches Übel, als ungelebte Lebenszeit in Kauf nimmt, um mit dem verdienten Geld Zwecke außerhalb ihrer realisieren zu können. Motivation kann man nun einmal nicht kaufen, obwohl ganze Heerscharen von Dienstleistern in der Motivationsindustrie genau das behaupten und an der allgemeinen Lustlosigkeit viel Geld verdienen.

Und wenn Lukács recht hat, dass das, was wir hervorbringen an Arbeitsresultaten, die Bedingungen ihres Zustandekommens repräsentiert, dann müssen wir uns vor den Produkten wirklich hüten und so wenig wie möglich davon in Gebrauch nehmen, um uns vor den toxischen Wirkungen dieser technischen Errungenschaften zu schützen.

"Nein-danke-Sager"

Aber nicht nur von den Produkten, sondern auch von der Arbeitspflicht in diesem zerstörerischen System sollten wir uns, so gut es eben geht, fernhalten.

Viele tun das längst, indem sie in die Knie gehen, krank werden, wie gelähmt, leergebrannt. Andere werden von vornherein ausgemustert, werden der "Segnungen" der Lohnknechtschaft gar nicht erst teilhaftig. Der Arbeitsmarkt erklärt immer mehr Menschen für überflüssig, er produziert massenhaft Drop-outs. Aber gerade ihnen traut Ivan Illich Enormes zu, nämlich dass sich die Drop-outs zu Refuseniks mausern, zu "Nein-danke-Sagern", zu Systemdeserteuren, die nicht mehr reinwollen in das System aus Überproduktion, Überkonsumtion, Schulpflicht, Arbeitszwang und staatlicher Daseinsfürsorge, sondern raus aus ihm. Das ist aus vielen Gründen leichter gesagt als getan. Denn die Lohnarbeit einerseits und die Abhängigkeit von käuflichen Produkten andererseits behaupten sich als einzig mögliche Weisen, unser Dasein zu fristen. Dennoch: Es geht heute wirklich um mehr als nur um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und um mehr Lohngerechtigkeit. Es ginge darum, nach ganz anderen Weisen, uns umeinander zu kümmern, nach neuen Formen der Subsistenz, Ausschau zu halten. Peter Brückner hat an das Abseits als sicheren Ort erinnert. Es gebe immer Orte zu finden, die leer sind von Macht. Die institutionelle Umklammerung sei zu Anteilen Schein. Vielleicht sind solche Abseits im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr zu finden, sondern erst zu gründen. Dazu bedürfte es zunächst einmal einer radikalen Umkehr der Denkrichtung, von der Versorgung zur gegenseitigen Fürsorge, von den käuflichen Waren zum eigenen Tun, von der Konkurrenz zur Konvivialität, von der Effizienz zum Genüge, von der Unterwerfung unter die Diagnose von Experten zur Rückgewinnung von eigenen Fähigkeiten und Könnerschaften und vor allem: eigenen Zielen.

Expertenherrschaft

Die Experten sind die Star-Dienstleister. Sie haben sich das Recht angemaßt - es wurde ihnen freilich auch bereitwillig zugestanden -, darüber zu entscheiden, was in einer Gesellschaft Standard ist, woran sich also die Gesellschaftsmitglieder messen lassen müssen. Effizienzkalküle sind ohne Standards gar nicht möglich. Experten üben eine besondere Art von Herrschaft aus. Ihre Macht ist dreifaltig. Sie erkennen, diagnostizieren, erklären beliebige Erscheinungsformen des Lebens zum Problem, weil diese von den Standards, die sie selbst gesetzt haben, abweichen. Sie bieten sich selbst als die einzig legitimen Problemlöser an und sie bescheinigen sich selbst den Erfolg ihrer Problemlösungsstrategien. Das Erkennen des Problems schafft einen Behandlungsbedarf, die alleinige Zuständigkeit für die Problemlösung eröffnet dem Experten eine gut bezahlte Arbeit und die Effizienz, die er sich selbst bescheinigt, garantiert ihm gesellschaftliches Ansehen und Anspruch auf noch mehr Einkommen. Ivan Illich nannte dieses System "entmündigende Expertenherrschaft". Vor den professionellen Dienstleistungen der Experten warnte Ivan Illich bereits in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. In einer Zeit also, als gerade dem Dienstleistungssektor zugetraut wurde, einen Ausweg aus einem zunächst unlösbar scheinenden Dilemma zu weisen. In kurzer Folge erschienen gerade die schockierenden Berichte des Club of Rome über die "Grenzen des Wachstums". Nach diesen warnenden Prognosen waren die unvermeidlich auf Wachstum angewiesenen industriellen Gesellschaften gleichzeitig durch ebendieses Wachstum in ihrem Bestand bedroht. Vom qualitativen Wachstum war auf einmal die Rede. Und der Dienstleistungssektor mit seinem geringen Rohstoffbedarf schien ungestraft unlimitiert wachsen zu können. In diese Situation also trifft Illichs fundamentale Kritik der Dienstleistungsberufe und seine Warnung vor deren Ermächtigung und Expansion.

"Die Experten", schreibt er, "konnten erst dann ihre dominierende Stellung erreichen und ihre entmündigende Funktion ausüben, als die Menschen bereit waren, tatsächlich als Mangel zu empfinden, was der Experte ihnen als Bedürfnis dekretiert." (Ivan Illich: Entmündigende Expertenherrschaft, in: ders. e. a. :Entmündigung durch Experten. Zur Kritik der Dienstleistungsberufe, Reinbek 1979, S. 20f.) Keine menschliche Befindlichkeit, die unter diesen Umständen nicht zum Übelstand erklärt werden könnte. Immer neue Defizite lassen sich diagnostizieren und durch darauf spezialisierte Dienstleistungen scheinbar beheben; Dienstleistungen genau jener Spezialisten, die die Missstände "entdeckt" und als Problem "erkannt" haben.

"Die neuen Spezialisten kommen gern im Namen der Liebe daher und bieten irgendeine Form der Fürsorge an. ... Die Erzieher zum Beispiel schreiben der Gesellschaft heute vor, was gelernt werden soll, und erklären das, was früher außerhalb der Schule gelernt wurde, als nichtig. Der Ernährungswissenschaftler schreibt die 'richtige' Kost für den Säugling vor, der Psychiater verschreibt das 'richtige' Antidepressivum, und der Schulmeister - mit inzwischen unumschränkter Erziehungsgewalt - fühlt sich berechtigt, seine Methode zwischen dich und alles was du lernen willst, zu schieben. ... Die Ärzte hatten zwar immer bestimmt, was Krankheit ist und was nicht; heute aber bestimmt die dominierende Medizinzunft, welche Krankheiten die Gesellschaft tolerieren darf und welche nicht." (I. Illich a.a.O. S. 14/17/19)

"Was einzig zählt, ist die Vollmacht des Experten, einen Menschen als Klienten oder Patienten zu definieren, die Bedürfnisse dieses Menschen zu bestimmen und ihm ein Rezept auszuhändigen, das seine neue gesellschaftliche Rolle definiert. Während die Höker und Hehler in alter Zeit verkauften, was andere verschenkten, maßen die modernen Experten sich an zu entscheiden, was verkauft werden muss und nicht verschenkt werden darf." (Ebd. S. 15) Die "Klientelisierung" aller Gesellschaftsmitglieder ist das wachstumsgenerierende Geschäft der Experten. Aber Vorsicht: Der Begriff ist verräterisch. "Klient" ist ein Begriff des alten römischen Rechts. Er bezeichnet einen Bürger niederen Standes, der einem Patrizier zu Diensten verpflichtet ist. Das taugt gut zur Entlarvung des Dienstleistungsschwindels. Nicht der Dienstleister dient dem Klienten, sondern umgekehrt, der Klient dient dem Dienstleister, der "gern im Namen der Liebe daherkommt" (ebd. S. 14).

Die Expansion der Dienstleistungsindustrie ist also keineswegs unbedenklich. Sie bewirkt dreierlei:

- Sie bringt den Liebesdienst zugunsten der käuflichen Dienstleistung zum Verschwinden.

- Sie schürt "die gierige Unersättlichkeit ihrer Opfer" (ebd. S. 7).

- Sie entfähigt die Menschen; und gerade darauf beruhen ihr stetes Anwachsen und ihre Rechtfertigung. Denn anders als die Warenproduktion, die auf den "hedonistischen Konsumismus" (P. P. Pasolini) der Käufer zielt, "reagiert" die Dienstleistungsproduktion scheinbar auf eine wachsende Hilflosigkeit der Menschen.

Der Hedonismus ist immerhin kritisierbar, die Hilfsbedürftigkeit nicht.

"social engineering"

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Bemerkungen zu einer Ideologie machen, die mit der Ideologie der Effizienz unauflöslich verknüpft ist. Ich meine die Ideologie von der Weltrettung durch Innovation.

Der Begriff der Innovation wird heute zwar vorwiegend mit der Technik und der Warenproduktion in Verbindung gebracht, er spielt aber im Bereich des Sozialen eine ebenso gewichtige Rolle. Dort aber, so wird behauptet, gelte eine andere Logik, die Logik der Humanisierung der Verhältnisse. Wie aber, wenn das Wesen der sogenannten sozialen Innovationen gerade darin bestünde, die menschlichen Verhältnisse zu maschinieren, sie den Gesetzen des Maschinellen zu unterwerfen, nicht nur im Sinne einer Analogie, sondern faktisch. Im Englischen werden "soziale Innovationen" ziemlich ungeschminkt als "social engineering" annonciert, und damit ist klar gesagt, dass es dabei um die Produktion von Verfahren geht, die dem Maschinenwesen nicht nur vergleichbar, sondern mit ihm vollständig kompatibel sind. Ins Auge springend steckt ja im Wort "engineering" das Grundwort "engine", und das heißt laut Oxford-Wörterbuch "Motor" und "Lokomotive". Der "engineer" ist der Ingenieur. Aber während Ersterer sich zu seiner Liaison mit der Maschine bekennt, ist es im Deutschen möglich, den Ingenieur als Künstler zu betrachten. Wir sprechen durchaus von Ingenieurskunst. Und das hängt wohl damit zusammen, dass im deutschen Begriff, trotz seiner offenkundigen Verwandtschaft mit dem englischen, nicht die Maschine, sondern das "Ingenium" mitschwingt. Trotzdem wäre es heute sprachlich sehr drastisch und verräterisch vom "Sozialingenieur" zu sprechen. Soziale Innovation klingt wirklich viel freundlicher, meint aber dasselbe.

Soziale Neuerungen müssen - wie die technischen - in schneller Folge Neuerungen weichen, je nachdem, welche Arbeits- und Konsumenten"tugenden" die Maschinerie des Marktes, ihrem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, verlangt. Wer sich heute um einen anspruchsvollen Job bewirbt, kommt kaum daran vorbei, sich als innovativ und flexibel anzupreisen. Und Flexibilität besteht in moderner Lesart gerade darin, sich das gestern noch Gültige abzutrainieren, am besten, es völlig zu verlernen, zu nichten, um sich "frei" zu machen für das, was jetzt - vorläufig - im Schwange und opportun ist. "Die Fähigkeit, sich von der eigenen Vergangenheit zu lösen und Fragmentierung zu akzeptieren, ist der herausragende Charakterzug der flexiblen Persönlichkeit ..." (Vgl.: Richard Sennett: Der flexible Mensch, Berlin 1998, S. 79f.) Im technischen wie im sozialen Milieu gilt Innovation der Auslöschung des Alten: "... in allen (Hervorhebung M. G.) Bereichen des Lebens (beriefen sich) sogenannte Neuerer auf das Ansehen der Naturwissenschaft, um ihre Sichtweise zu fördern, besonders auf politischem und sozialem Gebiet. Die gesellschaftliche Organisation galt nun als etwas Geschaffenes" (René Girard: Die verkannte Stimme des Realen, München 2002, S. 207), das folglich immer neu zur Disposition stand.

Unverkennbar ist Innovation ein Begriff der technokratischen Gesellschaft, die einem linearen technischen Fortschritt huldigt und deren Ziel es ist, ein technogenes Milieu herzustellen, in dem allem, "was nicht wissenschaftlich entwickelt, fabriziert, geplant und irgendjemandem verkauft worden ist" (Ivan Illich: Entschulung der Gesellschaft, 4. Auflage, München 1994, S. 147), das Daseinsrecht abgesprochen wird.

Worüber sich die Innovationspropaganda jedoch vornehm ausschweigt, das ist der ultimative Zweck all dieser innovativen Anstrengungen. In letzter Instanz geht es, worauf Günther Anders in seinen beiden Werken zur "Antiquiertheit des Menschen" schon seit den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts scharfsichtig und unüberhörbar (er wurde trotzdem nicht gehört) hingewiesen hat, um den Menschenersatz bis hin zum Ersatzmenschen. Da der Mensch zur Perfektion nicht taugt, muss er durch Maschinenhilfe erst verbessert und dann überflüssig gemacht und schließlich gegen Maschinen ausgetauscht werden. Innovateure träumen ganz ungeniert von menschenbereinigten Verhältnissen: Schulen ohne Lehrer, Lastwagen ohne Fahrer und Pflegeheime mit Fütterungsautomaten gibt es bereits. Die hochfliegenden Träume gehen indes viel weiter.

Facit

Heißt das nun, dass moderne Gesellschaften keine Erneuerung brauchen? Soll alles beim Alten bleiben? Ist es gut so, wie es ist? Keineswegs: Ivan Illich plädierte schon vor beinahe fünfzig Jahren für eine "konviviale Erneuerung". Die Hypothese, auf der die industrielle Gesellschaft fußte, "besagte, dass die Sklaverei mit Hilfe von Maschinen abgeschafft werden kann. Es hat sich gezeigt, dass Maschinen die Menschen versklaven. ... Nicht Werkzeuge, die ihnen die Arbeit abnehmen, brauchen die Menschen, sondern neue (Hervorhebung M. G.) Werkzeuge, mit denen sie arbeiten können. Nicht weitere gut programmierte Energiesklaven brauchen sie, sondern eine Technologie, die ihnen dabei hilft, das Beste zu machen aus der Kraft und Phantasie, die jeder besitzt. ... Ich wähle den Begriff 'Konvivialität', um das Gegenteil der industriellen Produktivität bezeichnen zu können. Er soll für den autonomen und zwischenmenschlichen Umgang und den Umgang von Menschen mit ihrer Umwelt als Gegensatz zu den konditionierten Reaktionen von Menschen auf Anforderungen durch andere und Anforderungen durch eine künstliche Umwelt stehen." (Ivan Illich: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik, München 1998 (1975 zuerst auf Deutsch erschienen), S. 27f.)

Und was die Zukunftsorientierung, auf die sich die Innovateure so viel zugutehalten, betrifft: Was wäre, wenn wir uns einmal für die Gegenwart interessieren würden, denn sie brütet die Zukunft aus? In einer befriedeten Gegenwart müssten wir uns um die Planung einer lebbaren, friedvollen Zukunft nicht viel Gedanken oder gar Sorgen machen.

Epochale Umbrüche hießen früher Renaissancen, Reformationen, Revisionen und Revolutionen. Ihnen allen ist die Vorsilbe re- gemeinsam, das heißt: Der "Neuanfang" ist nicht als "Stunde null" zu denken, nicht als creatio ex nihilo. Jede Erneuerung erfordert demnach eine Rückbesinnung auf das Vergangene. Wenn ich einen Weg zurückverfolge, treffe ich auf jene Wegscheiden, an denen die Entscheidungen zugunsten des dann tatsächlich beschrittenen Weges gefallen sind. Dort könnten sich noch Spuren der verworfenen, nicht realisierten Möglichkeiten finden, die uns erlauben, die modernen Selbstverständlichkeiten als historisch gewordene und nicht naturgegebene zu erfahren, was ja die Voraussetzung dafür ist, sie in Zweifel zu ziehen. "Es ist ein großer Unterschied, ob man die Geschichte dessen schreiben will, worauf unsere Welt aufbaut, oder die Geschichte dessen, was verlorengegangen ist, erzählen will." (Ivan Illich: Genus, Reinbek 1983, S. 119) Das Bild der Vergangenheit droht für immer zu verschwinden, "wenn sich die Gegenwart nicht mehr in ihm erkennt", sagt Walter Benjamin, aber es gilt auch das Umgekehrte: Die Gegenwart läuft sich tot, wenn sie sich nur auf sich selbst verlässt, sich nur aus sich selbst erschafft und das andere ihrer selbst ignoriert.

Innovation ist die unbußfertige Erneuerung. Ihr erscheint jede Rück-Sicht als ein Rück-Fall. Unter dem Imperativ der Innovation werden Gegenwartskrisen niemals aus begangenen Irrtümern oder Fehlentscheidungen erklärt. Krisen sind in dieser Lesart immer und ausschließlich Resultat eines Novitätsmankos. Wer oder was in der Krise steckt, ist nicht modern genug, ist folglich innovationsbedürftig.

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STREIFZÜGE - Um Zustrom wird gebeten!

Nicht schon wieder! Und doch einmal mehr: Wir brauchen Euch! Das geht uns zwar auf die Nerven und Euch auch, aber wir können da nicht locker lassen. Kurzum - wir wollen intensiver unterstützt werden wie bisher!

So haben wir uns zwar stabilisiert und werden auch dank des Zuspruchs nicht von der Bildfläche verschwinden. Das erlaubt aber kaum mehr als auf dem gleichen infrastrukturellen Niveau weiterzumachen. Das ist, umso mehr in Zeiten wie diesen, viel zu wenig! Wir haben mehr drauf und mehr von uns braucht es auch. Vorausgesetzt ihr seid bereit uns mehr zu fördern. Das fordern wir auch ein. Wer uns möchte, muss nicht nur schauen, dass es uns gibt, sondern Sorge tragen, dass wir uns entwickeln können.

Die Streifzüge stehen auf zwei Säulen: Zeitschrift und Homepage. Die Printausgabe ist ein sinnliches Produkt (optisch, haptisch, aromatisch), jeweils das Beste aus einem bestimmten Zeitraum, zu einem Teil konzentriert auf ein bestimmtes Thema. Die Website erlaubt Flexibilität, nimmt auch regelmäßig zu Tagesereignissen Stellung. Alles, was aus unserem Stall kommt oder dort Einlass findet, ist verfügbar und nach diversen Kriterien abrufbar. Sie braucht Pflege und Betreuung. Unübersehbar in die Jahre gekommen, muss sie in den nächsten Monaten kräftig überholt und funktionell erweitert werden. Auf keinen Fall wird es eine Paywall geben, der kostenlose Zugang auf www.streifzuege.org bleibt.

Unsere regelmäßigen Userinnen und User scheinen sich oftmals nicht bewusst zu sein, dass sie hier ein Produkt genießen, das auch umgekehrt in den Genuss der Förderung kommen will und somit Solidarität benötigt. Wir machen hier zwar keine Rechnung auf, aber doch darauf aufmerksam, dass, solange wir über Geld verkehren, gerade wir über ein Mindestmaß verfügen müssen, um handlungsfähig zu sein. Wenn unser Verhältnis also lediglich als Einbahnstraße funktioniert, wird das Projekt letztlich unmanövrierbar. Es ist zwar fein, zu einer der meistgelesenen linken Seiten zu gehören, ziemlich unfein allerdings, wenn das anderweitig keinen Niederschlag findet.

Ganz wider Willen sind wir Profis darin, uns über Wasser zu halten. Doch eigentlich wollen wir Boden unter den Füßen spüren und Land gewinnen. Das erscheint uns nicht zu viel verlangt. Was wir brauchen ist Zuwendung: technisch und organisatorisch, infrastrukturell wie finanziell und nicht zuletzt personell. Wir bitten um regen Zustrom!

Möglichkeiten der Unterstützung gibt es viele:

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Vor einigen Jahren haben wir ein TRANSponsoring ins Leben gerufen. Wir wollen insbesondere unser Online-Publikum dazu bewegen, uns nicht nur zu nutzen, sondern eben auch zu nützen. Wer bereits über ein Abo verfügt ist eingeladen, auf dieses flexible System umzusteigen. Das funktioniert ganz einfach: Eins überweise etwa 10 EUR im Monat, 10 EUR im Vierteljahr oder 10 EUR im Jahr (bzw. einen Betrag den eins sich leisten kann und will. Nur bitte keine Zuschüsse unter 5 EUR, da fressen die Buchungsgebühren zu viel weg.) Optimal sind Daueraufträge, die uns vorausschauendes Planen erlauben.

Natürlich wissen wir, dass sich einige finanziell fast gar nichts leisten können. Aber die meisten können sich schon geringfügig was abknöpfen, damit alle an unseren Inhalten und Angeboten partizipieren können.

Und wer mehr Geld hat oder ausgeben möchte, den oder die bitten wir dem TRANSFORMATIONSclub der Streifzüge beizutreten und uns 144 Euro oder mehr jährlich zu spendieren.

Weitere Kriterien und Details hier dazu auf:
www.streifzuege.org/trans-trafo-abo

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Zur besonderen Beachtung empfehlen wir unser "Repariert nicht, was euch kaputt macht!" Es ist zur weiteren Verbreitung gedacht, als Flyer und ebenso als Download auf der Homepage.

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Auslauf

mehr oder weniger brauchbar

von Petra Ziegler

Gebrauch findet das Ding derzeit als Ablage und sieht dabei ziemlich hässlich aus. Als Drucker hat es nur noch Schrottwert. Leider findet das nunmehr zweckentfremdete Produkt vermutlich eher sinnentfremdeter Arbeit seinen Weg zu einem der städtischen Mistplätze nicht von alleine. Dazu brauchte es Entschlossenheit, meine, daran fehlt es aber. So wird das Teil wohl noch eine Weile vor sich hin verstauben und mir den Platz unterm Schreibtisch verstellen. Vermutlich wäre sogar noch die eine oder andere Komponente verwendbar, als Ersatzteil für ein anderes Gerät mit entsprechendem Defekt. Überhaupt könnte es vielleicht repariert werden. Bedauerlicherweise sind meine lieben Lieben für derlei Basteleien gar nicht zu gebrauchen. Wenigstens als Entsorger könnte sich jemand nützlich machen. Weil brauchen, also wirklich zwingend brauchen, tu ich sie ansonsten ja nicht, eher sind sie mir der Schokoguss. Prädikat: Süß! - Dagegen der Printer, der musste sein. Obwohl der sich schon von seinem Erwerb an als nicht sonderlich zweckmäßig erwiesen hat. Das Modell war wohl für mehr gedacht als simple Ausdruckerei in Schwarzweißgrau und bei mir latent unterfordert - während ich von den wechselnden und wachsenden Anwendungsmöglichkeiten diverser Hard- samt Software eher genervt bin. Meine diesbezüglichen Begehrlichkeiten sind mir durchaus vertraut und ich schätze es gar nicht, wenn irgendeine Gerätschaft mir da etwas anderes aufnötigt, sich unversehens womöglich noch unentbehrlich zu machen sucht. Der persönlichen Entfaltung dient derlei kaum einmal, viel eher einer Anpassung und Normierung. Als Draufgabe wird eins noch überwacht oder via tracking dots am Ende gar ausspioniert.

In unserer oberflächlich bunten Warenwelt wimmelt es nur so von Pseudovielfalt und vorgeblichen Neuerungen. Alles schreit permanent nach Aufmerksamkeit, die besser den uns umgebenden systematischen Verrücktheiten gewidmet wäre. Was wir nicht alles haben wollen sollen. Am Besten in immer kürzeren Abständen immer wieder neu. Als Junk konsumierende Konsumjunkies, die sich am kurzen High eines beliebigen Kaufaktes berauschen, beleben wir die Konjunktur. Kein Wunder, dass wir zum Trost ein neues Paar Schuhe brauchen, zumindest irgendeinen klitzekleinen technischen Schnickschnack. Hat die Kollegin ja auch schon.

Gruseln sollte es uns da nicht nur mit Blick auf die wachsenden Sondermüllberge und die gedankenlose Nutzung knapper Ressourcen. Soviel an Energievergeudung im Dienste einer blinden Dynamik, deren materieller Auswurf die einen im Überfluss beinahe ersticken lässt und für immer mehr andere kaum noch zum Überleben taugt.

Aus Geld muss mehr Geld werden, was dabei abfällt, hat Gebrauchswert, und der verwandelt sich im besten Fall möglichst rasch wieder -nämlich in Abfall. Parole: Mehr Müll für die Welt! - Das erscheint als Lösung ungeeignet? Egal. Hauptsache, es besteht weiter Aussicht auf Absatz, Sättigung wäre der Tod der Warenwirtschaft. Gebrauchswert hat das Geld eben nicht nur als bloßes Tauschmittel - es fungiert als Kapital. Es vermehrt dann die Produkte, die unsereines wiederum (ver-)brauchen soll. Das Geld kann freilich außerdem noch selbst als Ware gehandelt werden und findet dann in Gestalt von Aktien oder als Kredit Gebrauch. So treibt es sein Unwesen gleich doppelt und macht dazu noch Blasen. Und daran hängt wie am Tropf der Kapitalismus.

Bevor die Sache endgültig platzt, wäre es an der Zeit den Verstand zu gebrauchen. Meinethalben kann eins auch auf das Herz oder den Bauch hören. Wollen wir weiter den Umweg über die Verwertung gehen - unsere Lebenszeit- und energie an die kapitalistische Selbstzweckbewegung verschwenden - oder direkt angehen, was uns alle angeht. Was für ein Leben wollen wir? Was brauchen wir? Wie kommen wir dazu? Geld und Tausch sind dafür jedenfalls keine brauchbaren Mittel.

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AutorInnen

Roger Behrens, Streifzüge-Kolumnist.

Lars Distelhorst, Studium der Politikwissenschaft, Promotion am Otto Suhr Institut der FU Berlin, ab 2016 Professor für Sozialwissenschaft an der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam (FHCHP).

Marianne Gronemeyer, 1941, Lehrerin, bis 2006 Professorin für Erziehungs- und Sozialwissenschaften an der FH Wiesbaden. Zuletzt u.a.: Genug ist genug. Über die Kunst des Aufhörens (2008).

Knut Hüller, 1953. Studium (Physik), wiss. Mitarbeiter (Chemie), 20 Jahre reale Wirtschaft und Juristerei alias gnadenloser Kampf aller gegen alle (Untersuchungsausschuß "Steuervollzug im Saarland", ARD-Titel: Die Abschöpfer). Autor von Kapital als Fiktion (2015).

Karl Kollmann war lange in der Verbraucherpolitik tätig, geht nun gesellschaftspolitischen, konsum- und technikökonomischen Fragen nach. Lebt und arbeitet in der Südbahngegend.

Karl Marx, jenseitiger Gastautor der Streifzüge.

Marlene Radl, 1992, studiert dzt. Politikwissenschaft in Wien und vermisst eine differenzierte Auseinandersetzung mit Ökonomiekritik in (queer-)feministischen Zusammenhängen. Sie publizierte u.a. in an.schläge, Femina Politica zum Thema marxistischer Feminismus und ist in der politischen Bildungs- und Kulturarbeit in Kärnten/Koroska aktiv.

Verena Rauch hat Geschichtswissenschaften in Wien studiert und arbeitet im Sozialbereich. Sie beschäftigt sich theoretisch und notgedrungen auch praktisch mit Reproduktionsarbeit und Reproduktionstätigkeiten.

Roman Rosdolsky (1898-1967), geb. in Lemberg, Mitglied des ZK der KP der Westukraine, Mitinitiator der trotzkistischen Bewegung, der er zeitlebens verbunden blieb. Nach 1918 lebte er viele Jahre in Wien. 1942 von der GESTAPO verhaftet, bis 1945 inhaftiert in den KZs Auschwitz, Ravensbrück und Oranienburg. 1947 floh er aus Angst vor den Stalinisten mit seiner Frau Emily aus Österreich in die USA, wo er bis zu seinem Tod lebte. Autor zahlreicher ökonomiekritischer Schriften, darunter: Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Kapitals.

Stefan Meretz, Streifzüge-Kolumnist.

Emmerich Nyikos, 1958. Historiker, lebt als freier Autor in Mexiko-City. Zuletzt erschienen: Das Kapital als Prozess. Zur geschichtlichen Tendenz des Kapitalsystems (2010).

Peter Samol, 1963. Studium der Philosophie und Soziologie in Marburg, Promotion in Jena Nach jahrelanger unbefriedigender Auseinandersetzung mit Theorien der Gerechtigkeit bei der Wertkritik angelangt.

Sowie: Lorenz Glatz, Franz Schandl, Maria Wölflingseder, Petra Ziegler

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E-Mail-Container

Auch die Streifzüge verfügen über eine Art Newsletter, genannt E-Mail-Container. Wer Lust hat, gelegentlich von uns belästigt zu werden, der teile uns das bitte mit. Eine E-Mail mit dem Betreff "E-Mail-Container" an redaktion@streifzuege.org reicht.

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IMPRESSUM

ISSN 1813-3312

MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER
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Margaretenstraße 71-73/1/23, 1050 Wien.
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Website: www.streifzuege.org

DRUCK
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Auflage: 1200

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Martin Scheuringer, Ricky Trang,
Maria Wölflingseder, Petra Ziegler

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Layout: Françoise Guiguet

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Probenummer gratis

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Quelle:
Streifzüge Nr. 70, Sommer 2017
Kritischer Kreis - Verein für gesellschaftliche Transformationskunde
Margaretenstraße 71-73, A-1050 Wien
E-Mail: redaktion@streifzuege.org
http://www.streifzuege.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2017

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