Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2417: "Um alles zu verändern, brauchen wir alle!"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 · September 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Um alles zu verändern, brauchen wir alle!"
Gewerkschaftliche Vorbereitungen auf den 20.9.

von der Redaktion


Fridays for Future haben für den 20. September zu einem weltweiten Generalstreik für den Schutz des Klimas aufgerufen. In Deutschland planen sie Aktionen in mehreren hundert Städten. Das ist ihr dritter globaler Klimastreik.
Wie sehr sich die Gewerkschaften davon wirklich angesprochen fühlen, das wird sich am 20.9. weisen. Bislang gibt es Absichtserklärungen, von konkreten Vorbereitungen konnten wir nur sporadisch erfahren. Mindestens aber die Erklärungslage ist für deutsche Gewerkschaften einzigartig: Mit Ausnahme der IG BCE (von der IGM ist bislang noch nichts bekannt) rufen allen anderen DGB-Gewerkschaften einschließlich des DGB selbst dazu auf, sich an den Aktionen zu beteiligen. Da die örtlichen Demonstrationen am Freitag stattfinden, wird eine solche Teilnahme zwangsläufig mit Abwesenheit vom Arbeitsplatz verbunden sein.
Mit der öffentlichen Unterstützung für Fridays for Future treten die Gewerkschaften einen Schritt heraus aus ihrer bisherigen Zurückhaltung in Sachen offensive Klimaschutzpolitik, verweisen nicht mehr nur länger auf den gleichwohl notwendigen Schutz der Arbeitsplätze, sondern erklären das Anliegen der Fridays für gerechtfertigt.
Eins ist schon im Vorfeld sicher: Der Klimastreik wird in bislang nicht gekanntem Ausmaß Belegschaften in die Diskussion über die geeigneten Maßnahmen gegen den Klimawandel einbeziehen. Nun werden auch die Gewerkschaften das Thema nicht mehr los.

Nachfolgend ein Überblick über Positionen und Aktionsvorhaben.


Seit Mitte Juni gibt es den Aufruf von Fridays for Future zu dem weltweiten Klimastreiktag am 20. September 2019. In dem Aufruf heißt es:

"Jahre sind mit Gerede vergangen, mit unzähligen Verhandlungen, mit nutzlosen Vereinbarungen zum Klimawandel. Firmen, die fossile Brennstoffe fördern, dürfen jahrzehntelang ungehindert in unseren Böden schürfen und unsere Zukunft abfackeln. Politiker wussten seit Jahrzehnten über den Klimawandel Bescheid. Sie haben die Verantwortung für unsere Zukunft bereitwillig Profiteuren überlassen, deren Suche nach schnellem Geld unsere Existenz bedroht ... Gehen Sie an diesem Tag mit ihren Nachbarn, Kollegen, Freunden und Familien auf die Straße, damit unsere Stimmen gehört werden und dies ein Wendepunkt wird... Um alles zu verändern, brauchen wir alle. Es ist Zeit für uns alle, massenhaften Widerstand zu leisten - wir haben gezeigt, dass kollektive Aktionen funktionieren."

Seitdem dieser Aufruf erschienen ist, hat sich in den Gewerkschaften doch einiges bewegt. Die Initiative "GewerkschafterInnen für Klimaschutz" veröffentlichte kurz danach einen Aufruf, um für die Beteiligung der Gewerkschaften an dem Klimastreiktag zu werben. Dieser Aufruf, in dem auch die Möglichkeit von Solidaritätsstreiks erwähnt wird, ist inzwischen weit verbreitet und hat sicherlich auch zu Diskussionen in den Gewerkschaften Anlass gegeben.

Die Initiative "Workers for Future" veröffentlichte im Juli einen Aufruf, in dem allerdings "nur" zu einer individuellen Beteiligung aufgerufen wird.

*

Die IG Metall rief für Ende Juni zu einer großen zentralen Demonstration unter dem Titel "Fairwandel" nach Berlin auf, an der etwa 50000 Menschen teilnahmen - Vertreterinnen von Fridays for Future waren allerdings nicht eingeladen, auf der Kundgebung zu sprechen. Das Besondere an diesem Demonstrationsaufruf war die Aussage, dass es zu erheblichen Änderungen kommen wird, vor allem, aber nicht nur in der Automobilindustrie, diese aber nicht auf dem Rücken der Beschäftigten vollzogen werden dürften. Wenig später erschien ein Papier zum Strukturwandel in der Wirtschaft von der IG Metall, gemeinsam herausgegeben mit den Umweltschutzverbänden NABU und BUND, das einen ähnlichen Tenor hatte. Bis Redaktionsschluss lag noch keine Stellungnahme der IGM zum 20.9. vor, allerdings scheint es mindestens auf örtlicher Ebene Gespräche mit Fridays for Future zu geben.

Das ist dennoch eine andere Haltung als die von der IG BCE, die die Verteidigung selbst der klimaschädlichsten Arbeitsplätze zu ihrer Hauptforderung gemacht hat.

*

Anfang August gab es dann endlich die ersten Äußerungen der Gewerkschaftsvorstände zum weltweiten Klimastreiktag am 20. September.

Als erster wagte sich der Vorsitzende von Ver.di, Frank Bsirske, aus der Deckung. In einem Interview mit der WAZ sagte er: "Wir werden zur Teilnahme an den Veranstaltungen aufrufen. Es geht darum, Flagge zu zeigen - wir brauchen ein deutlich konsequenteres Handeln der Politik beim Klimaschutz." Und weiter: "Wir rufen natürlich nicht zu einem ordentlichen Streik auf, das geht nicht. Es wird auch nicht jeder seine Arbeit unterbrechen können. Aber wer kann, sollte ausstempeln und mitmachen. Ich werde jedenfalls hingehen."

Bsirske zeigte sich auch offen für einen früheren Ausstieg aus der Kohleverstromung als im Papier der Kohlekommission vorgesehen. Allerdings müssten dafür auch die Voraussetzungen gegeben sein, und die Beschäftigen müssten abgesichert sein.

*

Wenige Tage später, am 7. August, gab es eine ähnliche Erklärung des DGB: "Für den DGB ist klar: Die Politik muss beim Klimaschutz aufs Tempo drücken. Diese Forderung von Fridays for Future teilen wir, denn auf einem toten Planeten kann es keine Arbeitsplätze geben. Für uns ist auch klar: Klimaschutz geht nur sozial... Mit einem Paket aus einer ambitionierten Klimaschutzpolitik und einer aktiven Strukturpolitik bietet der Wandel große Chancen für neue und nachhaltige Beschäftigung und Gute Arbeit...

Wir sind in Gesprächen mit Fridays for Future und werden diese auch fortsetzen. Austausch zwischen dem DGB und Fridays for Future gibt es bereits in etlichen DGB-Bezirken und -Regionen. Wir haben vereinbart, überall dort, wo es Kontakte zwischen den lokalen Fridays-for-Future-Gruppen und unseren DGB-Regionen gibt, auf Veranstaltungen vor Ort gemeinsam mit den Aktiven von Fridays for Future über die besten Wege für mehr Klimaschutz zu sprechen...

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich mit den Aktionen von Fridays for Future solidarisieren und an Demonstrationen teilnehmen wollen, sollten das geltende Arbeitsrecht beachten und sich für diese Zeit freinehmen."

*

Vor Ort sind vor allem aus dem Bereich von Ver.di konkrete Vorbereitungen für die Teilnahme an den Aktionen bekannt. So will Ver.di in Frankfurt am Main mit einem gewerkschaftlichen Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration mobilisieren. Als Mobilisierungsmaterial für die Betriebe hat sich der Bezirk Aufstellkarten für den Büroschreibtisch einfallen lassen: "Ich bin dabei - ich nehm' mir frei! Weil der Einsatz für Klimaschutz zu wichtig ist, ist dieser Arbeitsplatz am 20.9. nicht besetzt."

Parallel dazu ist eine Veranstaltung mit einem Betriebsrat von einem Kohlekraftwerk geplant - die Elektrizitätserzeugung gehört ebenfalls in den Organisationsbereich von Ver.di.

Auf einem Treffen von Klimattac im August machte einer der Fridays den Vorschlag, am 20.9. sollten Bahnen und Busse des öffentlichen Nahverkehrs um 11.59 Uhr eine Minute lang stehen bleiben. Da wurde geklatscht, aber leider nicht darüber gesprochen, wer was macht.

Der öffentliche Nahverkehr ist von allen Wirtschaftsbereichen derjenige, der am ehesten in der Lage ist, eine zentrale Forderung der Klimabewegung - den Umstieg auf öffentlichen Nahverkehr - mit der Forderung nach massiver Aufstockung des Personals, Verbesserung der Arbeitsbedingungen etc. zu verbinden. Eine sichtbare Beteiligung von dieser Seite am 20.9. könnte daher eine Signalwirkung haben.

*

Die Eisenbahnergewerkschaft EVG erkennt in den Fridays for Future Rückenwind für ihre eigenen Anliegen: "Die Schiene hat die beste Ökobilanz von allen Verkehrsträgern. Sie kann mehr als 20 Prozent der CO2-Einsparungen im Verkehrsbereich schultern. Dafür muss sie entsprechend gefördert werden - durch finanzielle Mittel und durch politische Unterstützung.

Die Rahmenbedingungen dafür sind positiv. Denn der aktuelle Koalitionsvertrag ist so schienenfreundlich wie schon lange nicht mehr. Union und SPD wollen die Fahrgastzahlen auf der Schiene bis 2030 verdoppeln und die Menge der transportierten Güter deutlich erhöhen. Dafür müssen jetzt die Weichen gestellt werden!" Die EVG-Jugend steht in regem Austausch mit den Fridays for Future.

*

Auch die IG BAU ruft zur Teilnahme an den Klimaschutz-Demonstrationen am 20.9. auf: "Wir fordern die Arbeitgeber auf, ihren Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich an den Demos zu beteiligen." "Bereits im Frühjahr haben wir uns dem Fünf-Punkte-Plan der Klimaallianz angeschlossen. Das Ziel, die Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, muss jetzt schnellstens mit einem Sofortprogramm umgesetzt werden... Ich erwarte, dass auch die KollegInnen in den Betrieben und auf Baustellen mit Aktionen unmissverständlich klar machen: Klimaschutz ist nicht verhandelbar!", erklärte der stellvetretenden Bundesvorsitzende der IG BAU gegenüber der Presse.

*

Selbst an den Hochschulen geht der Streiktag nicht vorbei. Daniel Behruzi, Ver.di-Vertrauensleutesprecher, schreibt über die Vorbereitungen an der TU Darmstadt, in die er involviert ist:

"An der TU Darmstadt wollen wir die Beschäftigten am 20. September im Rahmen einer 'aktiven Mittagspause' zur Zwischenkundgebung der Fridays-for-Future-Demo aufrufen. Für die Ver.di-Vertrauensleute ist klar: Den Kampf gegen die Klimakatastrophe dürfen wir nicht allein den SchülerInnen überlassen. Wir haben die Uni-Leitung aufgefordert, den Beschäftigten die Teilnahme an der Aktion während der Arbeitszeit zu ermöglichen. Das hat sie leider abgelehnt. Dabei tragen die Hochschulen in der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel eine besondere Verantwortung. Die Uni hat es verpasst, hier das richtige Signal zu setzen.

2017 haben wir in monatelangen Tarifverhandlungen mit mehreren guten Aktionen durchgesetzt, dass die TU-Beschäftigten - wie ihre Kolleginnen und Kollegen im Land Hessen - den Nahverkehr kostenlos nutzen dürfen. Das sollte es bundesweit geben - nicht nur für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, sondern für alle. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr müssen massiv ausgebaut werden. Um dafür Druck zu machen, könnten Ver.di und die Bahn-Gewerkschaften doch mal um fünf vor zwölf alle Busse und Bahnen im Land für fünf Minuten anhalten. Das wäre noch kein politischer Streik, aber ein Aufsehen erregender, erster Schritt.

Die Schülerinnen und Schüler haben Recht: Angesichts der Klimakrise sind radikalere Maßnahmen gefragt. Deshalb sollte in der gewerkschaftlichen Diskussion auch die Frage von Streiks kein Tabu sein. Sicher: Das Streikrecht wird hierzulande sehr restriktiv ausgelegt. Aber auch in der Vergangenheit waren Regelübertretungen nötig, um grundlegende Rechte zu erkämpfen."

*

Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 34. Jg., September 2019, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de
 
Die Soz erscheint monatlich und kostet 3,50 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 58 Euro
Sozialabo: 28 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang