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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2248: Ein Demokrat wird Kommunist - 200 Jahre Karl Marx, Teil 4


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 · Mai 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

200 Jahre Karl Marx, Teil 4
Ein Demokrat wird Kommunist

von Manuel Kellner


Karl Marx war dafür, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist". Aktuell bleibt auch seine Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, die "die Erde und den Arbeiter untergräbt". Immer bereit an allem zu zweifeln, verdient er nicht, zum Säulenheiligen gemacht zu werden. Sein Konzept der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse als Mittel universaler Emanzipation bleibt allerdings entscheidender Bestandteil des revolutionären Kampfs für eine weltweite sozialistische Gesellschaft.

Friedrich Engels schreibt im April 1895 rückblickend, er habe "von M[arx] immer gehört, grade durch seine Beschäftigung mit den Debatten über das Holzdiebstahlgesetz und mit der Lage der Moselbauern sei er von der bloßen Politik auf ökonomische Verhältnisse verwiesen worden und so zum Sozialismus gekommen" (MEW 39:466). Die einschlägigen Artikel von Marx der Jahre 1842 und 1843 in der Rheinischen Zeitung bestätigen diese Einschätzung. Das gilt vor allem für die Wiedergabe und Kommentierung der Debatten des 6. Rheinischen Landtags über das Holzdiebstahlgesetz (zur Lage der Moselbauern konnten nur die ersten beiden Artikel erscheinen). Marx zeigt hier nach den Worten meines alten Hochschullehrers Kurt Lenk seine "Löwenklaue":

"Gleich im Beginn der Debatte opponiert ein Stadtdeputierter gegen die Überschrift des Gesetzes, wodurch die Kategorie 'Diebstahl' auf einfache Holzfrevel ausgedehnt wird. Ein Deputierter der Ritterschaft erwidert: 'dass eben, weil man es nicht für einen Diebstahl halte, Holz zu entwenden, dies so häufig geschehe'. Nach dieser Analogie müsste derselbe Gesetzgeber schließen: weil man eine Ohrfeige für keinen Totschlag hält, darum sind die Ohrfeigen so häufig. Man dekretiere also, dass eine Ohrfeige ein Totschlag ist." (MEW 1:110.)

Der Landtag macht sich die Interessen der großen und kleinen Waldeigentümer so sehr zu eigen, dass er das bloße Sammeln von Raffholz, das Auflesen und "Entwenden" von abgefallenem trockenen Holz, auf die gleiche Stufe stellt mit dem Abhauen und Entwenden von stehendem grünen Holz und beides als "Diebstahl" kriminalisieren will. Marx weist nach, dass sogar die "hochnotpeinliche Halsgerichtsordnung" des 16. Jahrhunderts mit den Ärmsten der Armen glimpflicher umging und etwa den Mundraub von Früchten nur als eine Art Ordnungswidrigkeit ansah.

Die Waldeigentümer besitzen den Baum, aber doch nicht die Äste und Zweige, die die Natur selbst vom Baum getrennt hat, argumentiert Marx, und so "lügt das Gesetz, und der Arme wird einer gesetzlichen Lüge geopfert" (MEW 1:112). Marx zitiert Montesquieu, dem zufolge die Korrumpierung des Volkes durch die Nichtbefolgung der Gesetze ein Übel, die Korrumpierung des Volkes durch Gesetze aber ein unheilbares Übel sei, weil dieses im Heilmittel selbst stecke. Die Folge ist die Untergrabung der Glaubwürdigkeit der Gesetze: "Das Volk sieht die Strafe, aber es sieht nicht das Verbrechen, und weil es die Strafe sieht, wo kein Verbrechen ist, wird es schon darum kein Verbrechen sehen, wo die Strafe ist." (MEW 1:113.)

Marx setzt sich leidenschaftlich für die Gewohnheitsrechte der Armen ein, die sie nur wahrnehmen, um ihre Not zu lindern, während die Eigentümer ihre Privatinteressen rücksichtslos gegen sie durchsetzen und damit in Widerspruch geraten zum Anspruch jeder demokratischen Republik, niemanden aus der staatsbürgerlichen Gemeinschaft auszuschließen. Sogar das Sammeln von Waldbeeren durch die Kinder armer Leute soll zum "Diebstahl" erklärt werden mit dem Argument eines Abgeordneten namens Johann van der Loe, in dessen Gegend die genannten Früchte bereits Handelsartikel seien und fassweise nach Holland verschickt würden: "Man hat es wirklich schon an einem Ort so weit gebracht, aus einem Gewohnheitsrecht der Armen ein Monopol der Reichen zu machen. Der erschöpfende Beweis ist geliefert, dass man ein Gemeingut monopolisieren kann; es folgt daher von selbst, dass man es monopolisieren muss." (MEW 1:120.) Und wie systematisch werden gerade heute alle verbliebenen Gemeingüter zum Monopol des Privateigentums und seines Eigennutzes gemacht!

Marx nimmt akribisch auseinander, wie die Eigentümer die eigenen privaten Handlanger (etwa ihre Waldhüter) zu Schergen machen, die dazu noch in aller "Objektivität" über die Höhe der von den Armen zu entrichtenden Entschädigungen urteilen sollen! Er fragt aber auch, ob nicht "alles Privateigentum Diebstahl" sei, da es "jeden Dritten" von diesem Eigentum "ausschließe" (MEW 1:113), zeigt, wie sehr "die Staatsautoritäten in Bedienstete des Waldeigentümers verwandelt" (MEW 1:130) werden und wie weitgehend im Landtag "das Interesse das Recht überstimmt". Nichts Provinzielles, sondern Universelles steht zur Debatte: "Holz bleibt Holz in Sibirien wie in Frankreich; Waldeigentümer bleibt Waldeigentümer in Kamtschatka wie in der Rheinprovinz." (MEW 1:146/147.)

Marx war als Redakteur der Rheinischen Zeitung noch nicht Kommunist und schrieb in seinem 1858 erschienen Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie dazu, er habe sich damals gegen ein "stümperhaftes" Aufgreifen französischer sozialistischer und kommunistischer Ideen ausgesprochen, "gestand aber zugleich... rundheraus, dass meine bisherigen Studien mir nicht erlaubten, irgendein Urteil über den Inhalt der französischen Richtungen zu wagen" (MEW 13:8, siehe dazu MEW 1:105-108).

Er studierte diese "Richtungen" dann gründlich und verstand sich 1843/1844 als kommunistischer Anhänger einer menschlichen Emanzipation, deren "Kopf die Philosophie" und deren "Herz das Proletariat" (MEW 1:391) sei.

Teil 3 zeigte Marx als radikalen Demokraten.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 33. Jg., Mai 2018, S. 21
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2018

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