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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2177: Wende in der Automobilindustrie - Gespräch mit Michael Clauss


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 · September 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Wende in der Automobilindustrie
Was bringt der Umstieg auf Elektroautos für die Beschäftigten?
Gespräch mit Michael Clauss, IG-Metall-Betriebsrat im Daimler-Werk Untertürkheim

Das Interview führte für die SoZ Paul Michel


SoZ: Was würde ein Umschwenken von Verbrennungsmotor auf Elektromotor in Sachen Arbeitsplätze für die Beschäftigten bedeuten? Ein Bekannter von mir, der selbst in der Autoindustrie arbeitet sagt, dann würde nur noch ein Siebtel der Arbeitsplätze gebraucht. Wie siehst du das?

Michael Clauss: Bei batteriegetriebenen Fahrzeugen trifft es zu, dass in der Produktion des Antriebs erheblich weniger Arbeitsplätze benötigt werden. Ein Siebtel finde ich aber übertrieben. Schließlich besteht das Auto ja nicht nur aus dem Antrieb! Bei der Endmontage wird es hinsichtlich der Arbeitsplätze kaum einen Unterschied zwischen Verbrennungsmotor und Elektromotor geben.

Wenn du an ein Elektroauto zwei Türen montierst, ist da kein Unterschied zum Verbrenner. Im Gegenteil. Es könnte sogar mehr Arbeitsplätze geben, weil mehr Teile vorgehalten werden müssen. Wenn du zwei verschiedene Typen von Teilen über das gleiche Band fährst (für die Verbrennungsmotoren und die Elektromotoren) - und das wollen sie -, musst du mehr Teile vorhalten. Das heißt: Es gibt eher einen höheren Arbeitskräftebedarf. Mehr Vielfalt bedeutet auch Mehraufwand von Personal.

Im Bereich "Powertrain" (Standorte Untertürkheim, Hamburg, Berlin, Kölleda) für Pkw (Antrieb, Motoren, Getriebe, Achsen) arbeiten 22000 Beschäftigte. Dann gibt es die Aufbauwerke (Bremen, Rastatt, Sindelfingen und Kecskemét-Ungarn). Der Motor wird an Powertrain-Standorten (Sindelfingen, Hamburg, Köngeda) hergestellt und in die Aufbauwerke geliefert. Hier arbeiten mehr Beschäftigte als im Powertrain. Wenn also bei Powertrain Arbeitsplätze wegfallen, es bei den anderen aber gleich bleibt oder sogar noch etwas dazukommt, dann kann das niemals 1:7 sein.


SoZ: Was schätzt du, wie viele Arbeitsplätze wären betroffen?

Michael Clauss: Wir haben heute im reinen "Powertrain"-Werk Untertürkheim 16.000 Beschäftigte. Wenn alles elektrifiziert würde, kein einziger Verbrenner mehr hergestellt würde, wären wir vielleicht bei 6000-7000 Beschäftigten. Aber der batterieelektrische Antrieb bringt auch Beschäftigung. Die Batterie wird sehr schwer sein, das bedeutet: Du musst die Fahrzeuge anders auslegen. Die Batterien, die momentan verwendet werden, wiegen zwischen 500 und 800 Kilogramm, ein Verbrennungsmotor wiegt zusammen mit dem Getriebe ungefähr 300 Kilogramm. In dem Moment, wo du das Fahrzeug stabiler auslegst, hast du mehr Aufwendungen: mehr Verstrebungen, andere Achskonstruktionen, eine andere Materialstärke, mehr Arbeitsgänge. Und dafür brauchst du auch wieder Personal.

Richtig ist: Ein Verbrennungsmotor mit Getriebe hat wesentlich mehr Teile, 3.000-3.500. Der Elektromotor hat vielleicht 1.200 Teile. Beim elektrischen Antrieb gibt es kein Getriebe mehr. Im Premiumsegment, das wir bei Mercedes bauen, ist aber heute schon absehbar, dass ein Getriebe wohl gebraucht werden wird. Ein Elektromotor macht bei 10.000 Umdrehungen ziemliche Schwingungen und ziemlich viel Geräusch. Um das zu vermeiden, wird es vermutlich ein Einfachgetriebe geben. Dann hast du wieder einen Vorwärtsgang und einen Rückwärtsgang. Und schon hast du wieder zusätzliche Komponenten, die zusätzliche Arbeitsplätze bringen. Dann gibt es noch eine ganze Reihe von Nebenaggregaten, etwa Kühlaggregate. Oder Spannungsumwandler: Aus der Steckdose kommt der Wechselstrom, die Batterie hat Gleichstrom. Aus der Batterie raus in den elektrischen Antrieb braucht es wieder Wechselstrom, also wieder einen Spannungswandler. Das ist dann doch alles komplexer, als man denkt! Wer sich intensiver damit beschäftigt, merkt dass ganz viele Komponenten neu hinzukommen. Unterm Strich würde ich sagen: Wenn es alles batterieelektrisch betrieben wird, fallen zwischen 25 und 50 Prozent der Arbeitsplätze weg.

Aus heutiger Sicht ist es aber so, dass die Geräte mit Verbrennungsmotor noch ganz lange weiter gebaut werden. Denn es wird nicht gleichzeitig auf der ganzen Welt vom Verbrennungsmotor zum Elektromotor umgestellt werden. In vielen Ländern wird man noch ganz lange Verbrenner fahren, weil die Infrastruktur fehlt. Auch bei uns zieht im Moment der Verkauf (also auch die Produktion) von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor an. Der Transformationsprozess vom Verbrenner zum Elektroauto wird also lange dauern.


SoZ: Die Leute schreien ja auch nicht gerade nach dem Elektroauto!

Michael Clauss: 90 Prozent unserer Beschäftigten können sich gar nicht vorstellen, was da auf uns zukommt. Vielleicht wollen sie sich das auch nicht vorstellen. Wir haben Probleme, der Belegschaft klarzumachen, dass da etwas in Gang gesetzt wird, was nicht aufzuhalten ist. Das lässt sich vielleicht mit dem Übergang vom alten Handy zum Smartphone vergleichen. Nokia hat sich auf diesen Wandel nicht eingestellt und jetzt sind sie weg vom Markt. Bei diesen Richtungsänderungen, musst du zur Stelle sein, wenn die Weichen neu gestellt werden.


SoZ: Untertürkheim wird also nicht platt gemacht...

Michael Clauss: Fast unvorstellbar. Die Produktion wird weniger werden, wie stark es runtergeht, wird nicht zuletzt davon abhängen, wieviel Produktionstätigkeit wir künftig für den Standort gegen das Management durchsetzen können. Der Vorstand hat da ganz andere Vorstellungen als wir. Der will am liebsten alles fremdvergeben.


SoZ: Ihr habt vor kurzem zum Thema Produktion des Elektroautos in Untertürkheim eine Vereinbarung mit dem Management abgeschlossen. Könntest du Grundzüge dieser Vereinbarung darstellen? Und wie bewertest du das Ergebnis?

Michael Clauss: Das Management hatte die Grundsatzentscheidung getroffen: Wir machen keine Elektromotoren selbst. Das machen andere. Am liebsten alles Einkaufen. Da kann man konkurrierende Anbieter gegeneinander ausspielen und somit Kosten drücken. Erreicht haben wir folgendes:

Im Werksteil Brühl wird eine Batteriefabrik mit anfangs 10.000 Quadratmetern errichtet, die sich später auf 20.000-30.000 Quadratmeter erweitern lässt. Die jetzt dort stattfindende Produktion wird Schritt für Schritt in andere Werkteile verlagert, um Platz zu schaffen für die Montage von Elektrobatterien für die Fahrzeuge, die dann in Sindelfingen und Rastatt gebaut werden. Wir werden bei den Batterien allerdings nicht in die Zellenfertigung einsteigen, die Batteriezellen werden gekauft und dann hier montiert. Das sind nicht sonderlich viele Arbeitsplätze. Für etwa 50.000 Fahrzeuge können wir von 100-150 Arbeitsplätzen ausgehen. Aber wir haben erreicht, dass damit ein Kernelement von elektrischer Energie am Standort gefertigt wird. Wenn wir hier "Leitwerk" für alle Antriebselemente im Daimlerkonzern sind, müssen wir auch alle Antriebselemente hier am Standort haben, nicht nur in Form eines Versuchslabors, sondern als Serienproduktion. Das haben wir jetzt in der Vereinbarung festgeschrieben.

Der Vorstand hatte entschieden, dass dieses elektrische Antriebssystem, das die gleichen Ausmaße wie ein Verbrennungsmotor hat, für die batterieelektrisch betriebenen Fahrzeuge, die 2020 auf den Markt kommen (die sogenannten EQ-Fahrzeuge), fremdvergeben wird. Wir haben jetzt erreicht, dass hier am Standort ein "Entwicklungsprojekthaus" gegründet wird, um die Nachfolgegeneration, also die Produktion nach 2020, hier zu entwickeln mit der Option, 250.000 Modelle hier zu produzieren. Es ist also vereinbart, dass bestimmte Teile, die Bestandteil des Elektroantriebs sind, hier gebaut werden. Wir sagen: Wenn der eine Antrieb (Verbrenner) hier ist, wollen wir auch den anderen Antrieb (E-Motor) hier haben, damit wir wenigstens einen Teil der Beschäftigung hier halten können.

Das Management hatte einen Katalog aufgestellt, was es alles an Gegenleistungen von uns haben wollte. Es wollte z.B. die Batteriefabrik in eine GmbH ausgliedern, in der unsere Tarifverträge nicht gelten - wie in Kamenz. Das haben wir vom Tisch bekommen. Die Beschäftigten, die hier in der Batteriefabrik arbeiten, werden Daimlerbeschäftigte sein, für die die bestehenden Tarifverträge gelten.

Wir haben vereinbart, dass die Instandhaltung bis März 2022 fester Kernbestandteil des Werks und somit gegen Fremdvergabe geschützt ist. Das betrifft 1.000 Leute. Da macht das Management schon lange rum, diesen Bereich fremdzuvergeben.

Sie wollten den Samstag als Regelarbeitstag. Das haben wir mit Einschränkungen akzeptiert. Er ist jetzt eine Option, die die andere Seite ziehen kann, wenn die maximale Kapazität gebraucht wird. Die Leute arbeiten dann immer noch fünf Tage, aber unter Einbeziehung des Samstags. Das ist eine Kröte, die wir schlucken mussten. Das erweitert die Betriebsauslastungszeit, du musst in einem bestimmten Regelrhythmus immer wieder samstags arbeiten. Das Schlimme daran ist, dass die Lebensgestaltung der Menschen dadurch zerrupft wird. Was bringt es dir, wenn du am Mittwoch frei hast, deine Frau aber am Mittwoch arbeiten muss? Das gesellschaftliche Leben findet ja vor allem am Wochenende statt und nicht während der Woche.

Was wir vereinbart haben, ist eine Krücke. Es wird von uns sehr viel Arbeit verlangen zu verhindern, dass das nicht ins übrige Werk hineinschwappt. Denn natürlich wird das Management auch in anderen Bereichen daherkommen und sagen: Wir wollen das auch so haben wie in der Batteriefertigung.

Sie wollten an die "Steinkühlerpause" ran, die auf Null setzen. Wir haben gesagt: Wenn die Arbeit lange Taktzeiten hat und man die Pausen nicht unbedingt braucht (so wie das auch der Tarifvertrag zulässt), dann können sie entfallen. Sonst nicht. Wir haben nicht unterschrieben: Pause = Null. Aber natürlich haben wir die Tür auch hier einen Spalt aufgemacht.

Eine weitere Kröte ist, dass die Leiharbeitsquote von 8 auf 10 Prozent angehoben wird. Wir haben diese Quote in den letzten Jahren so genutzt, dass wir immer dann, wenn sie die 8 Prozent überstieg, die Festanstellung der Leiharbeiter durchgesetzt haben. Das waren 2.500 in den letzten vier Jahren. Jetzt ist diese Quote befristet bis zum Juni 2020 auf 10 Prozent angehoben. Das ist eine Kröte. Sie wird in der Fabrik kaum Auswirkungen haben, weil durch das Auslaufen verschiedener Baureihen derzeit Leiharbeitsplätze wegfallen. Wir hatten im Mai in Untertürkheim noch 1.000 Leiharbeiter, die wurden jetzt schon um hundert reduziert. Wir werden 2018 und 2019 weit weniger Leiharbeiter haben, als die Quote vorsieht. Deswegen gehen wir davon aus, dass die Anhebung der Quote keine Wirkung entfalten wird.

Aber politisch ist das das völlig falsche Signal. Wenn ich sage: Leiharbeit, diese Form moderner Sklavenarbeit, ist ein Übel, dann kann ich nicht das Signal senden, dass ich sie ausweite. Das ist das Problem!

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 32. Jg., September 2017, S. 16
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2017

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