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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2118: Deutscher Kolonialismus - eine Ausstellung in Berlin


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 · Februar 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Deutscher Kolonialismus - eine Ausstellung in Berlin
Versuch einer Aufarbeitung

von Larissa Peiffer-Rüssmann


Das Deutsche Reich gehörte von 1884 bis 1919 zu den großen Kolonialmächten - über 35 Jahre lang. Umso erstaunlicher ist es, dass es im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin, das sich als Ort der «Vermittlung von Geschichte» versteht, «kaum Hinweise auf Deutschlands Kolonialgeschichte» gibt, wie schon vor Jahren eine Gruppe junger Historikerinnen kritisierte. Selbst die Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 unter der Leitung von Reichskanzler Bismarck findet keine Erwähnung. Sie aber leitete die Rolle Deutschlands als Kolonialmacht ein. Die europäischen Imperialmächte, Russland, die USA und das Osmanische Reich teilten Afrika fast komplett unter sich auf - unter Ausschluss afrikanischer Vertreter, sie waren weder eingeladen noch wurden sie gehört.

Als Antwort auf die Kritik an der ungenügenden Darstellung der deutschen Kolonialgeschichte im Rahmen der ständigen Ausstellung gibt es nun die Sonderausstellung «Deutscher Kolonialismus» mit über 500 Exponaten(*). Die Forderung nach Integration dieses Themas in die Dauerausstellung des DHM zum Deutschen Reich ist damit allerdings nicht vom Tisch.


Das koloniale Weltbild

Ab 1885 besaß das Deutsche Reich folgende Kolonien: Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Deutsch-Ostafrika (heute Tanzania, Burundi und Rwanda), später kamen noch Besitzungen im Pazifik (Deutsch-Neuguinea, einige Inseln Samoas) und in China hinzu. Die ausgehandelten Kolonien wurden unter den Schutz des Deutschen Reichs gestellt.

Die kolonialen «Besitzungen» wurden entweder mit Gewalt oder durch betrügerische Verträge in Afrika und im Pazifik tätiger deutscher Kaufleute «erworben». Deutsche Händler, Forscher, Reisende und Missionare waren bereits während des gesamten 19.Jahrhunderts in Afrika und im pazifischen Raum tätig gewesen. Darauf stützten sich letzten Endes die Herrschaftsansprüche des Deutschen Reichs.

Im kolonialen Alltag brachte die Fremdherrschaft tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Umwälzungen mit sich, deren Folgen in den allermeisten Fällen Hunger und Entbehrungen waren. Die Unterwerfung der afrikanischen Völker unter die Europäer wurde mit einem Rassenbegriff begründet, der die Afrikaner auf der untersten Stufe einordnete. Auf sprachlicher Ebene machten dies Gegensatzpaare wie «zivilisiert» und «unzivilisiert» deutlich - sie endeten mit der Feststellung, die Europäer seien weit überlegen und die koloniale Herrschaft deshalb gerechtfertigt.

Davon waren auch die Missionare überzeugt, die sich immer im Gefolge der Eroberer befanden. Sie arbeiteten in der Regel Hand in Hand mit den Kolonialbeamten, auch sie waren beteiligt an der Zerstörung der politischen, kulturellen und ökonomischen Grundlagen der einheimischen Bevölkerung. Jetzt bedurfte es nur noch der «Erziehung zur Arbeit» und zur «Pünktlichkeit» als Vorbedingung für die Ausbeutung der Arbeitskraft.

Landenteignungen, Steuern und Arbeitszwang waren fester Bestandteil der kolonialen Herrschaft, die zu enthemmten Formen der Gewalt führten. Berühmt und berüchtigt wurde Carl Peters, der im Zusammenhang mit der «Gründung» Deutsch-Ostafrikas willkürlich afrikanische Frauen und Männer hängen ließ und seine Taten auch noch publizistisch mit viel Erfolg verbreitete. Hannah Arendt spricht in diesem Zusammenhang von einer «Barbarisierung» der Europäer in den Kolonien, die der Meinung waren, im Rahmen der Kolonisation gelte allein das Recht des Stärkeren.


Menschenversuche

Die Ausstellung zeigt eine Nilpferdpeitsche, ein häufig benutztes Züchtigungsinstrument. Peitschen wurden sowohl von Kolonialbeamten beim Vollzug der gesetzlich erlaubten Prügelstrafe als auch von Missionaren als Erziehungsmittel eingesetzt, ebenso von Siedlern, die damit ihre Arbeiter bestraften. Die ausgestellte Nilpferdpeitsche war eine besonders perfide Variante, weil sie aus sehr robuster Flusspferdhaut gefertigt war und zu schwersten Verletztungen führte, nicht selten zum Tod. Peitschen als Züchtigungsmittel waren den Afrikanern bis zur Ankunft der Europäer unbekannt gewesen.

Robert Koch, bekannter Arzt und Nobelpreisträger, der als Begründer der Bakteriologie und Mikrobiologie gefeiert wird, war in Afrika ab 1905 maßgeblich an der Erforschung der Schlafkrankheit beteiligt, eine Infektionskrankheit, die von der Tsetsefliege übertragen wird. Der Grund für die schnelle Ausbreitung war die Eroberung immer neuer Gebiete und die damit einhergehende Entwurzelung der Bewohner. Die Krankheit verlief, einmal ausgebrochen, tödlich. Robert Koch behandelte die erkrankten Afrikaner bei seinen Versuchen in den Krankenlagern mit Arsenpräparaten - ohne nachhaltige Heilerfolge, aber mit erheblichen schmerzhaften Nebenwirkungen bis zur Erblindung der Behandelten. Solche Versuche waren im Deutschen Reich verboten. Robert Koch stellte sich damit in den Dienst der Kolonialmächte, die Seuchenkrankheiten fürchteten, weil sie den Verlust von Arbeitskräften in der Kolonialwirtschaft bedeuteten.


Krieg und Völkermord

Das 20.Jahrhundert begann mit dem sogenannten Boxerkrieg in China, der von den imperialistischen Mächten unter deutscher Leitung geführt wurde. Die Informationen dazu sind in der Ausstellung und auch im Katalog mehr als dürftig und teilweise beschönigend. Ausführlich dagegen ist die Darstellung der brutalen Kriege in Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika.

Eine schnell fortschreitende Enteignung und Entrechtung in Deutsch-Südwestafrika im Zuge der kolonialen Besetzung begann schon 1884. Landverlust zugunsten deutscher Siedler, die Einrichtung von Reservaten mit ungenügendem Weideland und mangelnden Wasserstellen sowie alltägliche Misshandlungen einschließlich sexueller Übergriffe führten schließlich 1904 zum Aufstand der Herero, später auch der Nama. Anfangs waren die Herero in ihrem Kampf außerordentlich erfolgreich und das deutsche Prestigeprojekt drohte zu scheitern. Unter General Lothar von Trotha entsandte das Deutsche Reich daraufhin 14000 Soldaten mit dem Ziel, jeden Widerstand zu brechen. Es war ein Vernichtungsfeldzug, der bewusst auch Frauen und Kinder einschloss. Ein ganzes Volk wurde in die Wüste getrieben, der Zugang zu rettenden Wasserstellen wurde ihnen verwehrt. Der «Rassenkrieger» von Trotha handelte mit dem Ziel, «die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut» zu vernichten.

Die wasserlose Omaheke-Wüste sollte vollenden, was deutsche Waffen begonnen hatten: die Vernichtung der Herero und Nama. Es kamen über 100.000 Afrikaner und 75 Askaris (afrikanische Kolonialsoldaten) ums Leben, aber nur 15 europäische Soldaten. Die überlebenden Afrikaner wurden in schon damals so genannten Konzentrationslagern inhaftiert, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten. Dieser Feldzug brachte dem Deutschen Reich die zweifelhafte Ehre ein, den ersten Völkermord des 20.Jahrhunderts begangen zu haben.

Nach dem Ende des Krieges wurde das Land der Herero und Nama als Strafe für den Widerstand enteignet und an deutsche Siedler abgegeben. Bis heute wartet Namibia auf die offizielle Anerkennung des Genozids durch die BRD und auf Wiedergutmachung.

Der Maji-Maji-Aufstand (1905-1907) in Deutsch-Ostafrika war eine Reaktion auf die gewaltsame Unterdrückung der afrikanischen Bevölkerung durch das Deutsche Reich. Es war vor allem die Plantagenwirtschaft mit dem Anbau von Kaffee, Sisal, Tabak, Baumwolle und Kautschuk, die die Nahrungsmittelproduktion für die afrikanischen Familien dramatisch verringerte. Die Bewohner wurden von ihrem fruchtbaren Land vertrieben und mussten eine Hüttensteuer zahlen, womit sie zur Lohnarbeit gezwungen wurden. Wer nicht zahlte, wurde gezüchtigt oder inhaftiert. Durch die Arbeit auf den Plantagen fehlte die Zeit für den eigenen Anbau von Obst und Gemüse. Der bewaffnete Kampf und die folgende Hungersnot forderten fast 300.000 Opfer.

Im Zuge der Plantagenwirtschaft wurden Produktions- und Verarbeitungsstätten für den Export ausgebaut. Einheimische Unternehmen schrumpften oder wurden verdrängt. Der Eingriff in die sozialen Strukturen und Produktionsweisen führt bis heute zu den bekannten problematischen Auswirkungen.


Die postkoloniale Zeit

Der ehemalige Reichskommissar Hermann von Wissmann wurde 1889 von der Reichsregierung beauftragt, den Widerstand der Küstenbevölkerung gegen die Herrschaftsansprüche der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft niederzuschlagen. Er brach den Widerstand in einem brutalen Feldzug und übernahm die Kontrolle über das Gebiet, das 1891 offiziell zur Kolonie Deutsch-Ostafrika erklärt wurde. Mit einer Statue in Dar es Salaam (im heutigen Tanzania) wurde er Anfang des Jahrhunderts für diese «Heldentat» geehrt. 1922 landete sie vor der Uni Hamburg. 1967 wurde das Denkmal nach einer Abstimmung im Studentenparlament vom Sockel gerissen.

Es liegt nun in der Ausstellung - als Symbol für die Abrechnung eines Teils unserer Gesellschaft mit dem kolonialen Erbe. Aber noch immer sind Straßen nach ihm benannt, z.B. in Köln. Die BRD will sich bis heute nicht mit diesem Teil der Geschichte auseinandersetzen. Sie setzt lieber auf «Entwicklungshilfe» oder fördert Spendenaufrufe für Afrika.


Anmerkung:
(*) Die wirklich empfehlenswerte Ausstellung in Berlin läuft noch bis zum 14. Mai 2017. Der umfangreiche gleichnamige Katalog umfasst 336 Seiten und kostet 24,95 Euro.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 32. Jg., Februar 2017, S. 24
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2017

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