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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2037: RWE und die Braunkohle


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, Mai 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

RWE und die Braunkohle
Spatenstich, Razzia und Aktionärsversammlung

Von Angela Huemer


Im Rheinischen Braunkohlerevier steht die Umsiedlung der letzten Dörfer an.


Ein sonniger Samstag Mitte April. Auf einem Weizenfeld mit Blick auf den Erkelenzer Kirchturm steht ein großes weißes Zelt der RWE. Nicht weit davon ist Neu-Borschemich. Im alten Borschemich wurde unlängst die Kirche abgerissen, ebenso ein altes Schloss, das unter Denkmalschutz stand. Nach und nach verschwindet der ganze Ort. Noch stehen ein paar Bauwagen von Archäologen herum, denn in dieser Gegend, die da unwiderruflich in einer Grube verschwindet, waren schon die alten Römer. Wenn Gebäude abgerissen werden, wird sogleich der Boden planiert und Gras gesät. Die Grube des Braunkohletagebaus rückt immer näher heran.

Vor dem weißen RWE-Zelt steht ein Backmobil mit belgischen Waffeln, gegenüber ein Infowagen für Solarpaneele für Privathaushalte. Drinnen stehen Tische und Bänke und ein appetitlich aussehendes Buffet. Es gibt sogar eine Bühne. Bald leitet der St.Josef-Musikverein aus Kreyenberg die Veranstaltung ein, im Rahmen derer der offizielle Spatenstich für die Errichtung eines Kreisverkehrs erfolgt. Der Kreisverkehr ist der erste konkrete Schritt zur Umsiedlung der letzten fünf Dörfer, die dem rheinischen Braunkohlerevier zum Opfer fallen werden: Kreyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath, alles Ortsteile von Erkelenz, 1540 Menschen wohnen dort. Einige davon sind per RWE-Bus hierher gekommen, manche sind mit dem Fahrrad hier.

Nach der Begrüßung durch den Bürgermeister von Erkelenz, Peter Jansen, der ganz und gar nicht erfreut wirkt ob der bevorstehenden Umsiedlung, sie jedoch als vollendete Tatsache betrachtet, spricht ein lokaler Vertreter der Grünen, Hans-Josef Dederichs. Sein Beitrag ist kritischer, er liest einen offenen Brief vor, in dem es um die Nichtprotokollierung von Einwänden und Kritik geht, um nicht beantwortete Fragen und einen Wertverlust der geplanten neuen Häuser der Betroffenen gegenüber den alten bis zu 40 Prozent. Immer wieder gibt es herzhaften Applaus bei seiner Rede, bei den anderen Rednern wird höchstens höflich geklatscht.

Trotz Musik und Buffet, Hüpfburg und Luftballons herrscht keine Feierstimmung, vor Beginn der Veranstaltung räumt auch ein RWE-Mitarbeiter ein, dass es eigentlich nichts zu feiern gibt, weil die Menschen ihr Zuhause verlieren. Als sie die Autos mit den offiziellen Vertretern von RWE vorfahren sieht, ärgert sich eine Bäuerin: die werden hofiert, uns hört man nicht mal zu. Seit Generationen betreibt die Familie ihres Mannes einen Bauernhof, der Boden ist wunderbar, es gibt Obstwiesen. Das kann man nicht umsiedeln. Eine ältere Dame erzählt, dass sie ihr Haus und ihren Garten, in dem sie seit 1970 lebt, gegen eine Baustelle eintauscht und vermutlich nie mehr einen eigenen, schönen Garten haben wird, denn Pflanzen brauchen, so wie Menschen, Zeit, um Wurzeln zu schlagen.

Vor dem Spatenstich tauchen schwarze Luftballons auf, IrRWEg steht darauf zu lesen, eine Anspielung auf das Firmenmotto von RWE, voRWEg. Nach erfolgtem Stich tritt Todde Kemmerich mit seinem Kasperletheater auf und ruft die Bewohner zum Widerstand auf.


Hambacher Forst

Zwei Tage nach dem Spatenstich, am 11. April gibt es eine Großrazzia im Hambacher Forst. Hundertschaften von Polizisten sind gekommen, um die besetzte Wiese am Rande des Forstes und ein Hausprojekt in Düren, das sich WAA nennt und von den Widerständigen im Hambacher Forst genutzt wird, zu durchsuchen. Computer und Transparente werden beschlagnahmt, sieben Personen von der Polizei mitgenommen. Aktivisten harren seit langem in Baumhäusern im Wald aus, um ihn vor der drohenden Zerstörung durch den Braunkohleabbau zu schützen.


RWE

Eine gute Woche nach der Polizeiaktion im Wald findet in Essen die Aktionärsversammlung von RWE statt. Dabei wird verkündet, dass in diesem Jahr nur die Inhaber von Vorzugsaktien eine Prämie von je 13 Cent bekommen, Stammaktionäre, darunter Kommunen wie Dortmund, Essen, Mühlheim an der Ruhr, Bochum, die im vergangenen Jahr insgesamt noch 150 Mio. Euro Dividende erhielten, gehen leer aus. Zur Verdeutlichung: Dortmund erhielt 2015 23 Mio., Essen 19 Mio., Mülheim a.d.R. 9 und Bochum 4 Mio. Euro.

Noch dazu steht der Konzern vor großen, schwierigen Vorhaben: Das Stromnetz, der Vertrieb und die erneuerbaren Energien sollen in eine Zukunftsgesellschaft gepackt werden, von der man in einem ersten Schritt 10% an die Börse bringen will und hofft, dass sie Gewinn macht. Das ist auch bitter nötig, RWE macht Verluste, und da ist noch die Altlast Atomenergie. Beim alten Konzern verbleibt das angeschlagene Kraftwerksgeschäft und der Energiehandel.

An der Braunkohle hält RWE trotz alledem fest, auf der Aktionärsversammlung gab es deswegen Tumulte, "eure Zeit ist abgelaufen" war zu hören. RWE-Chef Peter Terium reagierte mit der Aussage: "Ich habe auch Kinder im Protestalter, aber die sind in der Schule oder bei der Arbeit." Die Ironie dabei: Ausgerechnet die konventionellen Kraftwerke sind es, die dem Konzern Verluste einbringen. Vor kurzem hat der Konkurrent Vattenfall die Braunkohlesparte mit Verlust an einen tschechischen Konzern verkauft.

Die Initiative Ende Gelände kündigt weitere Proteste an: Zu Pfingsten, vom 13. bis 16. Mai, will man Kohle-Infrastruktur in der Lausitz besetzen. Auch im Rheinland geht der Protest weiter, denn: Das rheinische Braunkohlerevier ist der größte CO2-Produzent Europas.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 31. Jg., Mai 2016, S. 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2016

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