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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1956: Schäubles Coup - Autoritäre Neuordnung der Eurozone


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, September 2015
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Schäubles Coup
Autoritäre Neuordnung der Eurozone nach den Vorstellungen des deutschen Finanzministers

Von Angela Klein


Auf den ersten Blick kann das Kapitel Griechenland zunächst geschlossen werden: das von fast zwei Dritteln der Bevölkerung getragene "Ochi" (Nein), die Rebellion gegen die Spardiktate der europäischen Finanzinstitutionen, hat eine krachende Niederlage erfahren. Griechenland ist von einem gleichberechtigten Partner in der EU zum Kolonialland zurückgestuft, das jeden Cent, den es ausgibt, zur Genehmigung vorlegen muss, sehenden Auges den ausländischen Besatzern das Landesvermögen zur Plünderung freigeben muss und auf ewig die Kette der Schuldknechtschaft umgehängt bekommen hat.


Die Linke, für ein paar Monate Hoffnungsträgerin der griechischen Bevölkerung, muss jetzt in das Horn der Neoliberalen stoßen: "Es gibt keine Alternative." Das ist eine Tragödie, nicht nur für Griechenland, auch für die Mehrheit der Bevölkerungen in Europa. Dennoch wird Tsipras im Land gefeiert wie ein Held: "Wir haben verloren, aber wir haben als Erste bis zuletzt gekämpft." Es ist eine Art Selbstbetäubung, aber es schwingt auch noch ein Rest trotziger Hoffnung mit, wenn er sagt: "Ich halte diesen Weg für falsch."

Sein Arbeitsminister verbreitet die Illusion, die neue Regierung Tsipras - befreit von allen kritischen linken Elementen und gestützt auf die Stimmen der bürgerlichen Opposition - werde das Schuldendiktat erträglicher gestalten als die Regierungen der alten Eliten. Dafür gibt es wenig Spielraum, als kleineres Übel kann sie sich nur in sog. weichen Fragen erweisen. Die Ernüchterung kommt spätestens dann, wenn die Regierung Massenproteste, etwa gegen Privatisierungen oder Zwangsräumungen, in Polizeigewalt ersticken muss.

Die neue Regierung SYRIZA ist nicht mehr die alte. Auf deren Säuberung von linken Ministern wird die Trennung vom linken Parteiflügel folgen. Auf unabsehbare Zeit ist die Bevölkerung auf Abwehrkämpfe zurückgeworfen, die deutlicher denn je Solidarität aus anderen europäischen Ländern, Deutschland voran, erfahren müssen. Die Fahne der Rebellion ist auf die SYRIZA-Linke und all jene übergegangen, die sich um sie scharen. Sie ist die Erbin des Nein. Unsere Aufgabe ist es, mit dafür zu sorgen, dass die Glut nun nicht erkaltet, sondern neu entfacht werden kann.


Die Chancen dafür sind nicht schlecht. Denn auf den zweiten Blick ist nichts geregelt in Griechenland. Die Schuldenlast, die um über 90 Mrd. Euro gewachsen ist, wird sich als untragbar erweisen. Ob der IWF unter diesen Bedingungen mit im Boot bleibt, ist ungewiss, und ein von der Eurozone verordneter Grexit ist immer noch möglich.

Vor allem aber hat die Brutalität, mit der Griechenland in die Knie gezwungen wurde, in Europa ein kleines Erdbeben ausgelöst, dessen Folgen noch nicht absehbar sind. Zunächst zeigen sie sich in einer Vertiefung der Differenzen innerhalb und zwischen den Institutionen der Troika, die inzwischen eine Quadriga ist, weil der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), dem der Deutsche Klaus Regling vorsteht, mit ins Boot geholt wurde. Varoufakis hat in dem Interview mit Christos Tsiolkas [siehe Auszüge in der Printausgabe ebenfalls auf Seite 13] drei unterschiedliche Interessenlagen unter den Regierungen der Eurogruppe ausgemacht. Für die deutsche Regierung ging es demnach bei dem Erpressungsmanöver gar nicht in erster Linie um Griechenland, sondern darum, Frankreichs (und Italiens) Widerstand gegen eine Preisgabe ökonomischer Souveränität zu brechen. Und auch die EU-Kommission steht inzwischen im Feuer der deutschen Kritik.


Das deutsche Kapital hat - nachdem es sich, dank Hartz IV, als wettbewerbsfähigste Ökonomie in der EU durchgesetzt hat - längst zum Sprung in die Weltliga ausgeholt. Die Exporte in Nicht-EU-Länder sind in der letzten Zeit erheblich schneller gestiegen als die in die EU; China ist hinter den Niederlanden, aber vor Frankreich inzwischen Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner. Die Exporte machen heute 40% der deutschen Wirtschaftskraft aus - eine Achillesferse, die wir nach dem Kurssturz an den chinesischen Börsen noch zu spüren bekommen. Das deutsche Kapital braucht einen stabilen Euro, um diesen Weg fortzusetzen.

Die deutsche Politik sucht deshalb nach Wegen, die Austeritätspolitik in der Eurozone so zu institutionalisieren, dass ihre Befolgung nicht mehr vom politischen Willen der Regierungen der Mitgliedstaaten abhängt. Künftig soll es nur noch heißen: Wer Mitglied der Eurozone bleiben will, kann dies nur, wenn er sich dem Spardiktat bedingungslos unterwirft.

Ende Juli hat der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, den von François Hollande erneuerten Vorschlag einer Wirtschaftsregierung der Eurozone aufgegriffen, um ihn mit deutschen Vorstellungen zu unterfüttern: "Europa benötigt eine europäische Wirtschaftsregierung mit einem europäischen Finanzminister." Dieser soll "bei Regelverstößen auf nationale Budgets durchgreifen" können, etwa indem Zahlungen aus dem Finanzausgleich, den es dann geben würde, zurückgehalten werden. Er wäre damit ein neues Instrument zur Durchsetzung deutscher Spardiktate.

Schäuble hat zum selben Zeitpunkt den Vorschlag ergänzt um den Vorwurf, die EU-Kommission habe während der Verhandlungen um das Griechenland-Paket den Eindruck erweckt, eine politische Lösung mit Hilfe eines Schuldenschnitts anzustreben. Das aber ist Teufelszeug. Zur Strafe soll der Kommission jetzt die Zuständigkeit für Wettbewerbs- und Binnenmarktpolitik entzogen und einer Behörde vergleichbar dem Bundeskartellamt übertragen werden. Damit würden alle Abweichungen vom Austeritätspfad als bürokratische Verfahren behandelt, nicht mehr als politische Fragen.

Parallel dazu würde, nach einem Vorschlag des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), eine Insolvenzordnung für Staaten eingeführt, die einen geordneten Austritt aus dem Euro ermöglichen soll. Den Antrag darauf soll jedoch nicht nur ein Mitgliedstaat, sondern auch der ESM per Mehrheitsbeschluss stellen können. Im Klartext: Aus dem Euro kann man dann künftig nicht nur austreten, sondern auch rausgeworfen werden - wiederum ohne politische Willensbildung, sondern über ein gerichtliches Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.


Hinter solchen Vorstellungen steckt ein ganz autoritäres Politikverständnis, das staatliches Handeln auf den Vollzug der Anforderungen der Finanzmärkte reduziert. Es ist nicht vorstellbar, dass sich die Bevölkerungen anderer EU-Länder eine solche Behandlung gefallen lassen. Und es sollte auch klar sein, dass auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung dabei viel zu verlieren hat. Sicher aber ist, dass gegen solche Konzepte eine Griechenland-Solidarität nicht mehr reicht. Und man wird auch nicht auf den Ungehorsam von bürgerlichen oder sozialliberalen Regierungen hoffen dürfen. An einem organisierten, europäischen Widerstand einschließlich der Erarbeitung von Konzepten, wie eine ökonomische und politische Ordnung Europas jenseits des neoliberalen Zwangskorsetts der Eurozone aussehen kann, führt kein Weg vorbei.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 30. Jg., September 2015, S. 13
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2015

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