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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1851: Jan van Aken zur Debatte über Waffenlieferungen in den Irak


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 8 - September 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Waffenexporte sollen wieder hoffähig werden"

Jan van Aken zur Debatte über Waffenlieferungen in den Irak



"Haltet den Dieb" ist vielleicht noch die treffendste Umschreibung des Schauspiels, das die Debatte um Waffenlieferungen an die Kurden derzeit darbietet. Dieselbe Bundesregierung, die seit Jahren - und in den letzten Jahren zunehmend - islamistische Regime aufrüstet, entrüstet sich nun darüber, dass die Zauberlehrlinge sich verselbständigen und lässt eine öffentliche Debatte gewähren, die danach ruft, nun fleißig die Gegner aufzurüsten. Die Rüstungslobby vermeldet Überkapazitäten und sucht dringend neue Absatzmöglichkeiten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...
Jan van Aken ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die LINKE im Bundestag und hat im Frühjahr den Nordirak bereist.


SOZ: Du hast Gysi anscheinend davon überzeugt, dass Waffenlieferungen an die Kurden keine so gute Idee sind, weil sie gar keine wollen, sondern lieber humanitäre Hilfe. Du hast aber in deinem ND-Interview in diesem Zusammenhang nur von der PKK gesprochen, nicht von den Peshmerga. Wie sieht das denn bei denen aus?

Jan van Aken: Man muss in der Tat unterscheiden zwischen den irakischen Kurden unter Barzani und den syrischen und türkischen Kurden. Gerade kämpfen sie vereint und haben eine gemeinsame kurdische Front gebildet, aber politisch haben sie völlig unterschiedliche Ansätze. Barzanis zentrales Ziel ist die Unabhängigkeit des Nordirak als eigenständiger Staat Kurdistan, zumindest aber baut er diese Perspektive als Drohkulisse für den innerirakischen Machtkampf auf.

Von Barzani kommen auch die massiven Forderungen nach Waffenlieferungen aus dem Westen. Dabei sind seine Leute kaum daran beteiligt, die Jesiden zu schützen. Die vor Ort kämpfen, die YPG aus Nordsyrien und die PKK, sagen vor allem, dass sie dringend humanitäre Hilfe benötigen.


SOZ: Nun kämpfen auch die türkischen und syrischen Kurden nicht mit der Yoga-Matte unterm Arm, wie Özdemir gesagt hat. Wo haben sie ihre Waffen her?

Jan van Aken: Ich war im Januar in Nordsyrien und habe genau diese Frage gestellt. Mir wurde gesagt, es gab Bestände der syrischen Armee, die eingenommen wurden, zum Teil kaufen sie Waffen, zum Teil haben sie amerikanische oder Assad-Waffen vom IS erobert, zum Teil bekommen sie sie von anderen innersyrischen Widerstandsgruppen, mit denen sie kooperieren, zum Beispiel von der Freien Syrischen Armee (FSA).

Das ist auch kein Fantasiegebilde, die YPG hat es erst im Juli in Kobane wochenlang geschafft, sich gegen eine massive Offensive des IS zu verteidigen und sie hat quasi über Nacht die Jesiden in den Sinjar-Bergen schützen und die Fluchtwege freihalten können.


SOZ: Hier in den Hauptmedien ist immer nur von den Einsätzen der Peshmerga die Rede. Wie sieht der real aus? Und wie passt das zur faktischen Annäherung der PKK-nahen Kräfte an die Barzani-Leute?

Jan van Aken: Längerfristig gesehen ist der Beitrag der Peshmerga natürlich groß. Als IS-Einheiten im Juni Mossul überrannten, konnten sie das nur, weil die irakische Armee, die damals in Mossul war, faktisch geflüchtet ist: Die Sunniten in der irakischen Armee haben gesagt, für die schiitischen Arschlöcher - ich habe da wirklich unglaublichen Hass gegenüber den Schiiten gehört - in Bagdad geben wir unser Leben nicht her; deswegen konnte der IS Mossul überrennen. Damals haben die Peshmerga nicht nur die kurdischen Gebiete, sondern auch Kirkuk und andere Orte dort geschützt.

Die Peshmerga sind hunderttausend Mann, relativ gut ausgerüstet und kampferprobt. Etwas anderes ist die aktuelle Situation, als über Nacht die Peshmerga sich aus Sinjar und aus anderen Orten zurückgezogen haben, um einen engeren Kreis um Erbil zu ziehen. Da waren es aktuell nicht Barzanis Peshmerga, sondern 200 Kämpfer der PKK und tausend Kämpfer der YPG, die dort IS zurückgekämpft haben. PKK und YPG betonen die Einheit der Kurden, es sind auch vereinzelte Peshmerga-Kämpfer in den Sinjar-Bergen. Beide Seiten wollen vermeiden, dass ein Keil zwischen sie getrieben wird. Tatsächlich sind es aber die YPG und die PKK, die die Jesiden verteidigt haben.


SOZ: Wirkt sich das auch auf die Lage in Rojava aus? Da ist es ja so, dass die irakischen Kurden die Grenze zu Rojava immer noch dicht halten.

Jan van Aken: Ob die Grenze wieder mal aufgemacht wird, weiß ich nicht, die politischen Differenzen sind schon sehr massiv. Jetzt im Augenblick behindert Barzani selbst internationale humanitäre Hilfen, die auf die syrisch-kurdische Seite gehen sollen. Auf der einen Seite gibt es die basisdemokratischen Ansätze in Rojava, auf der anderen Seite ein wirklich erzkonservatives feudalistisches System unter Barzani, das u.a. die Mehrfrauenehe wieder erlaubt hat. Von einer politischen Annäherung kann man noch nicht reden.


SOZ: In Deutschland wird die massive Kampagne für Waffenlieferungen hauptsächlich mit der Brutalität des IS und der Bedrohung der Christen und Jesiden begründet. Die Aktivitäten von ISIS sind aber doch nicht neu?

Jan van Aken: ISIS ist schon lange eine Bedrohung. Als ich im Januar im Nordirak war, lief gerade eine große Offensive von IS gegen die dortigen Kurden, da hat sich kein Mensch dafür interessiert. Als Mossul eingenommen wurde, sprach kein Mensch von Waffenlieferungen.

Andererseits ist die Bedrohung durch die ISIS eine dauerhafte, ihr muss man mittelfristig und politisch begegnen, nicht mit Waffenlieferungen. IS hätte im Irak null Chancen, wenn es eine nationale Einheit zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden geben würde und die Schiiten endlich ihre ausgrenzende Politik beenden würden, wie es in der Verfassung vereinbart ist. Dann würde auch die irakische Armee nicht die Waffen wegwerfen, und Barzani würde nicht seine eigene Unabhängigkeitspolitik fahren.

Trotz seiner Verluste ist IS weiterhin im Irak, auch südlich von Sinjar sind Kurden eingekesselt, werden vertrieben, verschleppt, getötet. Und vor allem ist der IS in Syrien. Wenn Aleppo jetzt tatsächlich an den IS fällt, kontrollieren sie da ein großes Gebiet - ein Drittel bis zur Hälfte Syriens - da könnten sie ihren Staat aufbauen, ohne dass es eine Kraft von außen gibt, die das verhindern könnte. Die Kurden üben sich dort - verständlicherweise - nur in "Selbstverteidigung", d.h. sie verteidigen ihr eigenes Gebiet und das erfolgreich, aber sie greifen keine vom IS besetzten Gebiete an, sie hätten wahrscheinlich auch nicht die Stärke, IS aus anderen Gebieten zu vertreiben.


SOZ: Von Seiten der westlichen Kräfte scheint es gar keine Konzepte zu geben, wie sie dieser Situation begegnen wollen.

Jan van Aken: Die sehe ich im Moment auch überhaupt nicht. Ich habe nur den Eindruck, dass die ganze Situation in Syrien im Lichte des Erstarkens des IS neu bewertet wird. Da kann es durchaus passieren, dass wir in den nächsten Wochen eine völlig andere Politik des Westens sehen werden. Ob es da dann doch zu einer Militärintervention kommt oder ob plötzlich Assad wieder zum Guten wird, weiß ich nicht.


SOZ: In Deutschland ist der IS ja erlaubt, während die PKK verboten ist. Gibt es denn jetzt eine Chance, das Verbot der PKK zu Fall zu bringen?

Jan van Aken: Ja, ich finde die Debatte muss jetzt geführt werden. Ich merke auch, dass andere Parteien im Bundestag anfangen zu sagen: PKK-Verbot hin oder her, man muss jetzt die positive Rolle anerkennen, die die syrischen und die türkischen Kurden spielen. Ich glaube dennoch nicht, dass es schnell zum Fall des PKK-Verbotes kommt - das ist eine europäische Entscheidung und vor allen Dingen ist es eine Entscheidung, die mit der türkischen Regierung abgestimmt wird. Da ist es einfach so, dass die Bundesregierung sich bis heute weigert, in irgendeiner Form kritisch auf die Türkei zuzugehen. Mal abgesehen von der Lage in Irak und Syrien ist es auch einfach nicht hinnehmbar, dass Zehntausende Menschen in Deutschland kriminalisiert werden.

Aus meiner Sicht ist das Allerdringendste, was die Region braucht, dass die Grenze zwischen Rojava und der Türkei endlich geöffnet wird. Da sind Zehntausende jesidische Flüchtlinge, die nicht versorgt werden können. Auch da weigert sich die Bundesregierung, auch nur im mindesten kritisch mit der Türkei umzugehen. Eine Aufhebung des PKK-Verbots wäre richtig und wichtig, aber sie ist nur im Konflikt mit der türkischen Regierung zu haben, und dazu scheint die Bundesregierung nicht bereit zu sein.


SOZ: Auf der anderen Seite operieren die IS-Leute von der Türkei aus ungehindert nach Irak oder nach Syrien hinein.

Jan van Aken: Ja, es ist bis heute so, dass die Grenzen für IS-Kämpfer von der Türkei aus offen sind, noch in der vorletzten Woche weigerte sich der türkische Außenminister, IS überhaupt eine terroristische Vereinigung zu nennen. IS-Kämpfer können Waffen über die Türkei nach Syrien leiten, es gibt Berichte über medizinische Behandlung von verletzten Jihadisten in türkischen Krankenhäusern - während die Grenze zu den Kurden in Syrien komplett dicht gemacht worden ist.


SOZ: Das muss man zu der Tatsache addieren, dass auch die bundesdeutschen Waffenexporte nach Saudi-Arabien oder Qatar selbst jetzt nicht infragegestellt werden, die ja zum Teil die IS-Leute mit Waffen versorgt haben. Wenn die dann vorstoßen und große Gebiete unter ihre Kontrolle bringen, wird laut nach Waffenlieferungen gerufen, aber von so elementaren Dingen, wie ihnen den Hahn abzudrehen, ist nicht die Rede.

Jan van Aken: Da müssen wir genauer formulieren. Aus Saudi-Arabien, Qatar, der Türkei gab es direkte und indirekte Unterstützung. Nach dem, was wir wissen, hat ISIS als Organisation direkt keine Waffen von Saudi-Arabien bekommen, sondern Saudi-Arabien und Qatar haben an andere islamistischen Gruppen in Syrien entweder direkt Waffen geliefert oder Waffenlieferungen eingefädelt, und diese sind dann auch in die Hände von ISIS gefallen. Sehr wahrscheinlich hat auch die Türkei Waffen an die Opposition in Syrien geliefert. Wir wissen, dass aus Saudi-Arabien Geld direkt an ISIS geht, aber das sind wahrscheinlich saudische Privatleute. Ich hab keinen Beleg dafür, dass die saudische oder die türkische Regierung jemals direkt Waffen an ISIS geliefert haben. Allerdings sind das auch keine Vorgänge, die per Livestream angeschaut werden können, sondern wenn überhaupt von Geheimdiensten organisiert werden. Der türkische MIT steht da besonders in der Kritik, aber handfeste Beweise fehlen eben aus den genannten Gründen.

Das ändert nichts daran, dass die Unterstützung anderer islamistischer Gruppen aus diesen Ländern indirekt ISIS stark gemacht hat. Deswegen ist es richtig, Druck zu machen auf die drei Länder Saudi-Arabien, Qatar und Türkei. Doch die Bundesregierung macht das Gegenteil, sie stützt und stärkt alle diese drei Länder, auch durch Waffenlieferungen. Deswegen ist die Debatte hier völlig heuchlerisch: Einerseits werden die direkten und indirekten Unterstützer der ISIS mit Waffen beliefert, und dann will man wiederum die Kurden beliefern, damit sie die ISIS bekämpfen. Das zeigt, dass die Debatte um Waffenlieferungen in Deutschland im Moment einen völlig anderen Hintergrund hat. Da geht es vor allem darum, Waffenexporte wieder hoffähig zu machen.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 8/9, 29. Jg., Sept. 2014, Seite 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2014