Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1529: Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer - Streik "auf Bewährung"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Streik "auf Bewährung"
Die GDL im Arbeitskampf für einen Branchentarifvertrag

Von Jochen Gester


Bei Abschluss dieses Artikels (20. März) ist der Arbeitskampf der in der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) organisierten Lokführer noch nicht abgeschlossen.


Diese Tarifauseinandersetzung findet in einem nicht einfachen politischen Umfeld statt. Bereits der GDL-Streik 2007 war begleitet von Arbeitsgerichtsprozessen, in denen die Deutsche Bahn versuchte, den Arbeitskampf per Einstweiliger Verfügung zu beenden. Die Arbeitsgerichte bestanden damals darauf, dass die Gewerkschaften auf die Verhältnismässigkeit ihrer Kampfmittel zu achten haben und versperrten der GDL die Möglichkeit zu einem Vollstreik, doch wiesen sie die Anträge der Bahn AG auf Beendigung der konkret laufenden begrenzten Arbeitsniederlegungen ab.

Am Ende setzte die GDL ihren ersten selbständigen Tarifvertrag durch, der ihren Mitgliedern teilweise bessere Standards als bei der damaligen Transnet verschaffte.

In diesem Jahr ist die Situation insofern ähnlich, als die GDL ihren eigentlichen Arbeitskampf erst begann, nachdem die neu gebildete Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG, ein Zusammenschluss aus GBBA und Transnet) ihn Ende Januar beendet hatte: mit einem Tarifvertrag nur für den Personenverkehr, den die GDL nicht unterschreiben wollte. Erklärtes Ziel der in der GDL organisierten Lokführer und anderer Fahrdienstmitarbeiter ist es, weitergehende Regelungen zu erstreiten als die EVG. Teilweise geht es auch darum, Leistungen zu sichern, die die EVG bereits erkämpft hat (z. B. den unbefristeten Schutz vor Kündigung aus gesundheitlichen Gründen).


Die Forderungen

Das Forderungspaket der Gewerkschaft enthält sechs Kernpunkte:

- Einheitliche Entlohnung für Lokführer in allen Verkehrsunternehmen (Nah-, Fern- und Güterverkehr, DB und Private) auf dem Niveau der DB AG;
- Erhöhung der Einkommen um 5% auf Basis des Lokomotivführertarifvertrags der DB;
- Weiterbeschäftigung zu gleichen Konditionen bei Betreiberwechsel;
- Schutz bei gesundheitsbedingter Fahrdienst[un]tauglichkeit; Weiterbeschäftigung und Entlohnung in Höhe von mindestens 90% des vorherigen Einkommens;
- Fahrentschädigung, Nacht-, Sonn- und Feiertagszulagen sowie Regelarbeitszeit von 38 Stunden;
- einheitliche Mindeststandards zur Qualifikation für alle Lokführer (u. a. Mittlere Reife).

Für die Durchsetzung dieser Forderungen haben in einer Urabstimmung über 90% der Mitglieder votiert.


Ins Wespennest gestochen

Ziel der GDL ist der Abschluss eines Branchentarifvertrags, der die jahrelange Logik der Restrukturierung und Privatisierung der Verkehrsbetriebe offen in Frage stellt. Statt der fortgesetzten Spaltung der Belegschaften, des Abbaus erkämpfter sozialer Leistungen und Senkung des Lohnniveaus strebt sie einheitliche Standards auf dem höchsten Niveau an. Das ist ein Bruch mit der gängigen gewerkschaftlichen Praxis, die steigende Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf Kosten der Belegschaften "sozialverträglich" abzufedern.

Ganz unabhängig davon, ob die Lokführergewerkschaft in der Lage ist sich durchzusetzen, muss schon die Zielsetzung selbst zu deutlichem Missfallen auf der Gegenseite führen, zumal die sog. Spartengewerkschaft der Lokführer über ihre Funktion im hochverletzlichen Transportsektor in der Lage ist, schmerzhafte wirtschaftliche Verluste zu erzeugen. Außenhandelspräsident Börner sprach von Einbußen in Höhe von 100 Mio. Euro ab dem fünften Streiktag. Einen kleinen Vorgeschmack gab die Arbeitsniederlegung am 10. März, die den Schienenverkehr in Deutschland in großen Teilen lahmlegte.

Entsprechend schrill sind insbesondere die Wortmeldungen von Wirtschaftslobbyisten und der sie vertretenden Politiker und Medien. Die Financial Times Deutschland spricht von einem Amoklauf und empfiehlt "das Streikrecht dahingehend zu korrigieren, dass solche Generalblockaden nicht mehr möglich sind". Man könnte doch den Nah- und Güterverkehr zur öffentlichen Daseinsfürsorge erklären, in dem dann, weil essenziell für die Volkswirtschaft, Streiks verboten wären. Die FAZ erklärte die GDL in einem Kommentar gleich zu "Geiselnehmern" und machte die Gewerkschaft darauf aufmerksam, dass sie auf Bewährung streike, solange die Bundesregierung darüber nachdenkt, das Streikrecht gesetzlich einzuschränken. Auch eine SZ-Kommentatorin blies ins gleiche Horn. Sie sprach von einem absurden Streik, der "gerade eingeschlafene Hunde wieder wecken" könne. Es sei unerklärlich, wieso die GDL diese Gefahr ignoriere. Jedem, der begriffen hat, wie die GDL diese Auseinandersetzung führe, "muss jedes Verständnis für die Streiks fehlen".


Tarifeinheit

Tatsächlich ist bis heute ungeklärt, ob die Bundesregierung die vom Arbeitgeberverband eindringlich geforderte und vom DGB-Bundesvorstand befürwortete Gesetzesinitiative auf den Weg bringt oder ob sie die gewerkschaftliche Bewegungsfreiheit in anderer Weise einschränken will.

Auf europäischer Ebene gibt es bereits eine Initiative der EU-Kommission. Sie soll die Gewerkschaften verpflichten, im Streikfall "Mindestdienstleistungen" aufrechtzuerhalten, eine Initiative, die in die Tarifautonomie eingreift und das Streikrecht einschränkt. Dagegen gibt es länderübergreifenden Widerstand. Die Bundesregierung hatte eine Gesetzesinitiative im November im Rahmen von zwei Monaten versprochen und will nun, da sich die Sache als schwieriger als erwartet herausstellt, Anfang April das Ergebnis einer Arbeitsgruppe aus den Ressorts Arbeit, Justiz, Wirtschaft und Kanzleramt präsentieren..

Nicht ganz unerheblich für die Geburtswehen dieses Prozesses ist die Tatsache, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil zur Tarifeinheit der direkten Einschränkung des Koalitionsrechts einen Riegel vorgeschoben hat und die allermeisten Arbeitsrechtler, die sich zum Koalitionsrecht geäußert haben, einer Einschränkung ausgesprochen kritisch gegenüber stehen. Dafür stehen die Stellungnahmen und Gutachten von Wolfgang Däubler, Detlef Hensche, des ehemaligen Präsidenten des BAG Thomas Dietrich, aber auch des eher konservativen Bernd Rüthers. Für den Bundesverband der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) besonders ärgerlich war auch das Gutachten des ihm nahestehenden Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), das die von den Arbeitgeberlobbyisten beschworenen "englischen Verhältnisse", die bei Verzicht auf eine Gesetzesinitiative zu erwarten seien, in den Bereich der Fabel verwies.


Zweifrontenkampf

Die GDL ist sich bewusst, dass das Thema Tarifeinheit ein Damoklesschwert ist. Sie hat, schlicht um ihre Existenz als eigenständige Gewerkschaft zu verteidigen, trotzdem das Risiko dieses Arbeitskampfs auf sich genommen und ist offensichtlich bereit, ihn so zu führen, dass er Erfolg hat. Dabei hat sie im Tarifpoker mit zwei Gegnern zu tun, der DB AG, bei der über 75% der 26.000 Lokführer beschäftigt sind, und einer Gruppe von privaten Eisenbahnunternehmen, den sog. G6. Bei der Bahn AG, die natürlich dagegen ist, mehr zu zahlen als sie mit der EVG vereinbart hat, ist die Gewerkschaft in der Lage, ordentlich Druck auszuüben. Und scheinbar ist die DB AG bereit, den Forderungen der Lokführer deutlich entgegenzukommen, um ihr angeschlagenes Image nicht noch weiter zu beschädigen. Doch bei den G6, die um wichtige Konkurrenzvorteile fürchtet, ist das gewerkschaftliche Druckpotenzial beschränkt. Die Gruppe hat demonstrativ erklärt, sie werde keinen Flächentarif unterschreiben, was die GDL dazu zwingt, per "Häuserkampf" in allen Unternehmen einen Haustarifvertrag durchzusetzen. Gleichzeitig setzt das die Deutsche Bahn AG unter Druck. Ihr wird es erschwert, sich mit einem verbesserten Angebot aus der Schusslinie zubringen. Denn GDL und DB AG haben das Zustandekommen des neuen Tarifvertrags daran gebunden, dass mindestens 50% der Nicht-DB-Lokführer darunter fallen.

Am 16. März hat die GDL bekanntgegeben, sie befinde sich auf der Zielgeraden zu einem Abschluss mit vier großen privaten Schienengüterverkehrsunternehmen. Für die GDL wäre dies ein großer Schritt vorwärts, den Flächentarifvertrag auch bei den Privaten durchzusetzen. Kollegen von der EVG sehen das weniger euphorisch. Sie weisen darauf hin, dass der geplante Abschluss nur für wenige Hundert Lokführer gelten wird.

Das politische Klima für die Lokführer und ihren Arbeitskampf ist für deutsche Verhältnisse ungewohnt positiv. In Umfragen signalisierten bis zu 73% der Befragten Verständnis für den Ausstand, und nur eine deutliche Minderheit von 21% äußerte sich ablehnend. Ein größeres Problem für die Eisenbahner könnte daraus entstehen, dass die stark von CDU-Leuten dominierte Spitze der GDL wenig Bereitschaft und wohl auch wenig Erfahrung besitzt, diese Sympathie in einer offensiven Kampagne so zu bündeln, dass sie auch dem zu erwartenden starken Gegenwind standhält und z.B. auch die Mitglieder innerhalb der DGB-Gewerkschaften anspricht, die nichts von der verirrten Ordnungspolitik des DGB-Bundesvorstands halten.

Gerade erst hat die Landesbezirkskonferenz von Ver.di-Nord ihrem Vorstand in dieser Frage die Gefolgschaft aufgekündigt. Verbändeübergreifende örtliche Solidaritätsgruppen von aktiven Gewerkschaftern und Unterstützern aus sozialen Bewegungen, die ihren GDL-Kollegen nicht das Heft aus der Hand nehmen wollen, könnten jetzt eine wichtige Rolle spielen.


*


Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 26.Jg., April 2011, S. 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
E-Mail: redaktion@soz-verlag.de
Internet: www.sozonline.de

Die Soz erscheint monatlich und kostet 3 Euro.
SoZ-Probeabo: 3 Ausgaben für 10 Euro
Normalabo: 55 Euro
Sozialabo: 26 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2011