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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1433: Wahlen in den Niederlanden


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 - Juli/August 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Wahlen in den Niederlanden
Wachsende Instabilität

Von Willem Bos


Die Parlamentswahlen am 9. Juni haben die politische Landschaft der Niederlande umgewälzt. Größte Verliererin war die christdemokratische CDA des bisherigen Ministerpräsidenten Balkenende.


Sie wurde beinahe halbiert und kam von 41 auf 21 Sitze. Die oppositionelle rechtsliberale VVD hat nun 31 statt 22 Sitze und ist damit größer als die sozialdemokratische PvdA (Partij van de Arbeid), die drei ihrer 33 Sitze verlor. Geert Wilders' rechtspopulistische, antiislamische Partei wurde mit 24% drittstärkste Kraft.

Das Auffallendste an diesem Wahlausgang ist die Schrumpfung der traditionellen Parteien. Jahrzehntelang hielten die Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale zusammen 80-90% der Stimmen. Traditionell lautete die einzige Frage nach den Wahlen, ob die Christdemokraten mit den Liberalen oder mit den Sozialdemokraten regieren. Nun haben diese drei Parteien zusammen nur noch knapp eine Mehrheit.

Größte Gewinnerin der Wahl ist Geert Wilders' rechtspopulistische Anti-Islam-Partei PVV (Partij van de Vrijheid). Mit einem Plus von 15 Sitzen hat sie nun 24 Sitze. Dies ist zwar beunruhigend, aber nicht wirklich eine Überraschung. Wilders' Erfolg ist eine Fortsetzung des Durchbruchs der Liste von Pim Fortuyn (LPF), die im Jahr 2002, neun Tage nach seiner Ermordung, mit 26 Sitzen zweitstärkste Partei wurde. Die LPF scheiterte an internen Konflikten, das Ressentiment der Wähler überlebte jedoch und Wilders verstand es, dies mit seiner Anti-Islam-Linie auszunutzen.

Die Wählerschaft von Wilders besteht vor allem aus Verlierern der neoliberalen Globalisierung, besser gesagt aus denen, die befürchten, in der Zukunft zu den Verlierern zu gehören. Seine antiislamische Rhethorik wirkt in den größer werdenden Vorortgemeinden, wo ein großer Teil der einheimischen Arbeiterklasse seit Jahrzehnten lebt und der Anteil von muslimischen Einwanderern sehr begrenzt ist. Auch in der Provinz Limburg, die einen sehr geringen Anteil an Immigranten aus dem Maghreb hat, wählten viele die PVV. Vor allem das Schreckensbild der Massenimmigration und eines gewalttätigen Islam brachte die Wähler dazu, Wilders zu wählen.

Es ist kein Zufall, dass Wilders im Wahlkampf auch linke Standpunkte einnahm: Hände weg vom Mindestlohn, Aufrechterhaltung des Kündigungsrechts, keine Anhebung des Rentenalters.


Und die Linke?

Während die beiden großen Regierungsparteien die Rechnung präsentiert bekamen, ist es der Linken nicht gelungen, von der Unzufriedenheit der Wähler zu profitieren. Groen-Links gewann 3 Sitze hinzu und hat nun 10, aber das ist um einiges weniger als erhofft. Überdies stellt sich bei dieser Partei (die durch den Zusammenschluss von drei kleineren Linksparteien entstanden war) die Frage, ob sie immer noch links von der PvdA steht. Denn in verschiedenen sozialökonomischen Fragen steht sie inzwischen rechts von der PvdA. Sie ist beispielsweise - genau wie die PvdA - für die Anhebung des Rentenalters, plädiert aber im Gegensatz zu den Sozialdemokraten für eine Verkürzung des Bezugs der Arbeitslosenversicherung von drei Jahren auf ein Jahr.

Die SP (Socialistische Partij), die einzige konsequente antineoliberale Partei, verlor zehn Sitze und hat nur noch 15 Abgeordnete. Am Wahlabend herrschte trotzdem Feierstimmung, denn in den Umfragen davor hatte die Partei noch viel schlechter abgeschnitten. Der Wechsel an der Parteispitze nach dem desaströsen Abschneiden bei den Regionalwahlen im März dieses Jahres hat der Partei gut getan. Der neue Parteichef Emile Roemer schnitt in den Debatten gut ab und gewann im Lauf der Kampagne an Zustimmung.

Zwei Dinge spielen für den Rückgang ihres Wählerzuspruchs eine Rolle. In erster Linie ist es ihre starke Ausrichtung auf Parlament und Regierungsbeteiligung. Bei den letzten Parlamentswahlen 2006 versprach sie den Wählern, wenn sie für die SP stimmten, könnte die Partei so groß werden, dass sie an der Regierung beteiligt würde. Dann könnte sich endlich was verändern. Weil das nicht glückte, wandte sich ein Teil der Wählerschaft wieder von ihr ab. Die Kraft der Sozialisten liegt letztendlich nicht im Parlament oder in einer Regierungsfunktion, sondern in der Art und Weise, wie sie ihre Anhängerschaft mobilisieren kann und wie sie gesellschaftlichen Druck auszuüben weiß.

Das bringt uns zum zweiten Punkt: die Haltung der SP in sozialen Auseinandersetzungen und sozialen Bewegungen. Als sie noch eine maoistische Partei war, pflegte sie ihre "eigenen" sozialen Bewegungen aufzubauen (einschließlich einer "eigenen" Gewerkschaftsbewegung), die sie als Vorfeldorganisationen nutzte. Heute pflegt sie, vielleicht in Reaktion auf den alten Fehler, nur noch eine sehr distanzierte Haltung zur Arbeit in sozialen Bewegungen. Das läuft dann darauf hinaus, dass sie die Bedeutung sozialer Bewegung, einschließlich der Gewerkschaftsbewegungen, erkennt, aber sich nicht selbst darin engagiert. Aktionen der Bewegungen werden unterstützt, und wenn nötig kritisiert sie auch die Haltung der Gewerkschaftsführung, aber eine systematische Arbeit in den Gewerkschaften leistet sie nicht. Das gilt auch für andere soziale Bewegungen.

Damit läßt die Partei eine bedeutende Möglichkeit, Einfluss auszuüben, ungenutzt. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt ganz klar auf der propagandistischen Ausschlachtung von Erfolgen in parlamentarischen Gremien und weniger auf der Verankerung der Partei in gesellschaftlichen Kämpfen.

Das Wahlergebnis wird zu einer großen politischen Instabilität führen. Es ist vorläufig noch unklar, welche Regierungsbildung möglich ist. Eine Regierung aus zwei Parteien ist unmöglich. Für eine parlamentarische Mehrheit sind drei, vier oder mehr Parteien erforderlich. Da verschiedene Parteien verschiedene Konstellationen ablehnen, wird das schwierig.

Welche Regierung es auch immer sein wird, sie wird wohl das drastischste Sparpaket seit dem Krieg verabschieden. Dabei wird sie auf wachsenden gesellschaftlichen Widerstand stoßen. Ungeachtet des durch den Wahlausgang verstärkten Rechtsrucks gibt es auch eine widerständige Grundstimmung, u.a. einige erfolgreiche Streiks. Der gesellschaftliche Widerstand wird also bestimmend sein, und wenn es der SP gelingt, sich in diese Dynamik einzuschalten, kann sie als Oppositionspartei eine wichtige Rolle spielen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 25.Jg., Juli/August 2010, S. 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2010