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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1419: Griechenland - Die Schulden sind illegitim


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Schulden sind illegitim

Von Angela Klein


Es gibt Berichte, die reißen "die Märkte" aus ihrer Anonymität und geben einem Geschehen wie der angeblichen Staatspleite Griechenlands Gesichter, Namen, Adressen.


Es war eine traute Runde, die am Abend des 8. Februar in New York zusammentrat. Vertreter mehrerer Hedgefonds trafen sich in Manhattan zu einem privaten Dinner. Dabei ging es um Geschäfte im Zusammenhang mit der Schuldenkrise in Europa. Stichwort Griechenland. Man sammelte Ideen, wie man von der Krise profitieren könnte - etwa, indem man auf eine Abwertung des Euro spekulierte. Eingeladen hatte das Investment- und Brokerhaus Monness, Crespi, Hardt & Co. Unter den Anwesenden waren David Einhorn, Gründer von Greenlight Capital, Aaron Cowen, Manager von SAC Capital, sowie ein nicht namentlich genannter Vertreter von Brigade Capital - allesamt "Hedgefonds-Titanen". Mit von der Partie waren auch John Paulson von Goldman & Sachs und George Soros, der Mann, der Anfang der 90er Jahre das britische Pfund in die Knie zwang.

"Am Ende des Treffens war eine Investmentstrategie geboren, die die Welt erschüttern sollte: Es begann die große Wette gegen den Euro. Drei Tage nach dem Dinner fiel der Kurs des Euro auf unter 1,36 Dollar - im Dezember hatte er noch bei 1,51 Dollar gestanden", schrieb das Wall Street Journal. Die New York Times zählte zu den Instituten, die sich an den Spekulationen beteilig(t)en, auch europäische Großbanken: UBS, Credit Suisse, Société Générale, BNP Paribas, die Deutsche Bank. Letztere hat dementiert.

Jeder in der New Yorker Runde hatte genügend Geld, soviel Kreditausfallversicherungen aufzukaufen, dass deren Preise sofort in die Höhe schnellten und das Signal gaben, Griechenland stehe vor der Pleite. Zumal sie gar nicht ihr eigenes Geld dafür einsetzen mussten, sondern es sich leihen konnten. Die teuren Versicherungen aber verteuerten sofort die Kosten für Anleihen, die Griechenland auf dem Kapitalmarkt aufnehmen wollte - innerhalb weniger Wochen schnellten sie von 5% auf über 18%.


Quod licet iovi non licet bovi

Es gibt für eine Staatspleite kein objektives Kriterium, schon gar nicht ist es die Staatsverschuldung, gemessen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Japan, der zweitgrößten Ökonomie der Welt, liegt der Anteil der öffentlichen Schulden am BIP bei 189%, in den USA bei 83%. Wenn den Chinesen, die den Löwenanteil an US-Staatsanleihen halten, einfiele, ihr Geld von heute auf morgen zurückzufordern, wären die USA zahlungsunfähig. Die Chinesen tun das nicht, weil die USA trotz ihrer Verschuldung im Ruf stehen, ein guter Markt für Kapitalanlagen zu sein. Solange das so ist, können die öffentlichen Haushalte in den USA unbeschwert Schulden machen.

Für ein kleines Land wie Griechenland gilt dieses Gesetz nicht - da muss der Staat aufpassen, dass die griechischen Reeder ihr Kapital nicht samt und sonders außer Landes tragen, z.B. ins Steuerparadies Zypern. Im griechischen Fall kommt hinzu, dass hier über Bande gespielt wird: Angegriffen werden griechische Staatsanleihen, gemeint ist aber der Kurswert des Euro.

Eine Spekulationsattacke sagt über die Bonität einer Wirtschaft nichts aus - nur darüber, ob diese stark genug ist, der Attacke standzuhalten. Griechenland allein wäre das nicht, selbst Großbritannien hat vor 20 Jahren die Hilfe anderer europäischer Notenbanken gebraucht, um sich gegen Soros' Attacken zu wehren. Der Euroraum wäre es - vorausgesetzt, er handelt geschlossen.

Ein politischer Kern der Wette gegen den Euro scheint zu sein, dass Finanzoperateure seine Konstruktion für zu labil halten, sprich: die EU-Länder für so uneinig, dass sie nicht die Kraft aufbringen, den Euro gemeinsam zu verteidigen - was sie mit der Wette auf seine Baisse beweisen wollen. Paradoxerweise könnte am Ende dabei herauskommen, dass das Geschäft mit den Staatsschulden - also die Haushaltspolitik - im Euroraum stärker zentralisiert wird.

EU-Kommissar Olli Rehn hat bereits vorgeschlagen, die nationalen Haushaltspläne der Euroländer von Brüssel genehmigen zu lassen; die Vorschläge für einen Europäischen Währungsfonds gehen ebenfalls in diese Richtung.


Krise der EU

Was als Griechenlandkrise angefangen hat, und sich als Krise des Euro fortsetzt, mündet somit in eine handfeste Krise des bestehenden Vertragswerks der EU - kaum 20 Jahre, nachdem die Europäische Union gegründet wurde, und nur wenige Wochen, nachdem der Vertrag von Lissabon (im Dezember 2009) in Kraft getreten ist! Er ist jetzt schon Makulatur, und dies nicht erst seit der Eurokrise. Schon wenige Jahre nach der Einführung des Euro im Jahr 2000 haben mehrere Länder, darunter Frankreich und Deutschland, gegen den Stabilitätspakt verstoßen; die Finanzkrise 2008 hat die Defizitgrenze vollständig über Bord geworfen.

Die Eurokrise tut ein Weiteres und verändert die Grundlagen der EZB: Unter dem Regime des Stabilitätspakts ist dieser verboten, was zum Geschäft einer jeden Notenbank gehört, nämlich Staatsanleihen zu kaufen, um den Staat mit frischem Geld zu versorgen. Die unsinnige Regelung ist vor allem auf Deutschland zurückzuführen, weil dieses sich bislang der Illusion hingegeben hat, es könne eine gemeinsame Währung geben ohne gemeinsame Haftung für dieselbe. Nun zeigt sich, dass die Aufrechterhaltung des Konkurrenzdenkens - Wir Deutschen zahlen nicht für die Griechen! - die größte Schwachstelle des Euro ist; die Spekulanten haben sie sich gezielt herausgepickt.

Jetzt darf die EZB immer noch nicht direkt griechische Anleihen kaufen, aber sie darf es indirekt, vermittelt über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und Notenbanken anderer EU-Länder.

Und wieder ist es vor allem Deutschland, das an einer längst eingestürzten Fiktion festhalten will: Statt der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, dass das Vertragswerk von Maastricht und Lissabon der Krise nicht standgehalten hat und von Grund auf erneuert werden muss, klammert sich die Bundesregierung daran, dass es nicht verändert werden darf. Stur wird an der Losung festgehalten: "Sparen und Inflation bekämpfen" - das bleibt das einzige Ziel europäischer Geldpolitik.

Der Neoliberalismus europäischen Schlags stellt damit an Dogmatik die rivalisierenden Mächte USA und Japan weit in den Schatten - von Indien und China ganz zu schweigen -, und wie es aussieht, gereicht dies ausschließlich den Banken zum Vorteil.


Zuviel Geld

Spekulationsgeschäfte bringen keinen den ökonomischen Nutzen. Aber es gibt für sie eine ökonomische Erklärung: "das weltweite Überangebot an anlagesuchendem Kapital" (Alan Greenspan). Die globalen Finanztransaktionen überstiegen im Jahr 2007 das Weltsozialprodukt um das 74fache. Es wurde also 74mal soviel Geld ge- und verkauft, wie an Reichtum weltweit überhaupt produziert wurde.

Diese exorbitante Masse an umlaufendem Geldkapital entsteht in erster Linie aus der wachsenden Bevorzugung von Kapitaleinkommen gegenüber Arbeitseinkommen und der daraus folgenden Ungleichverteilung des Reichtums. Sie entsteht in einer Situation, wo Kapital profitabler in Spekulationsgeschäften angelegt wird, als in der sog. Realwirtschaft. Steuervorteile für Reiche kurbeln dann die Wirtschaft nicht an, sondern schaffen überflüssige Fonds, die nur noch spekulativ arbeiten. Die reißen Millionen Häuslebesitzer, von Nahrungsmittelimporten abhängige Bevölkerungen oder auch ganze Staaten in den Abgrund.

Es gehört zu den Widersprüchen und Absurditäten der kapitalistischen Wirtschaftsweise, dass Arbeitslosigkeit, Armut und Verelendung nicht Folge von Mangel, sondern von Überfluss sind. Das seit Jahrzehnten bestehende "weltweite Überangebot an anlagesuchendem Kapital" hat die Staaten nämlich arm gemacht: Es hat sich angeboten als Staatsanleihe, um Staaten mit Geld zu versorgen, das es ihnen an anderer Stelle, bei den Steuern nämlich, aus der Tasche gezogen hat. Wer Geld übrig hat, gibt lieber einen Kredit, als dass er mehr Steuern zahlt. Mit den Krediten hat der Staat die Haushaltslöcher gestopft, die er selber durch Steuersenkungen für Reiche und Kapitalbesitzer gerissen hat.

Diese Umverteilungspolitik des Staates von unten nach oben hat in Deutschland angefangen mit Helmut Schmidt, als der in der Rezession 1975/76 davon sprach: "Die Pferde müssen wieder saufen." Sie hat nach 35 Jahren dazu geführt, dass die Finanzmärkte den Staat an der Nase herumführen, ihm Bankenrettungsgesetze diktieren und trotzdem hemmungslos gegen seine Währung spekulieren dürfen.


Umschuldung

Die zentrale politische Frage ist, ob die Politik sich aus der sklavischen Abhängigkeit vom Finanzkapital lösen kann, oder ob sie dessen Diktatur akzeptiert und sich auf die Rolle seiner willigen Vollstreckerin beschränkt.

Bislang versteckte sich das Diktat des Finanzkapitals hinter dem vermeintlichen Sachzwang: "Es gibt keine Alternative." Ein Vorzug der Finanzkrise ist, dass der Schleier des Sachzwangs gerissen ist und die dahinter hervortretenden schnöden Profitinteressen der Finanzhaie (zu denen auch Versicherungen und Konzerne gehören) nicht mehr ohne weiteres hingenommen werden.

Die bisherigen Beschlüsse der EU und der G20 zeigen bislang nur zögerliche Bereitschaft, das vagabundieren Geldkapital an die Leine zu legen: Die EU-Kommission ist aufgefordert worden, eine Direktive zum Verbot von Leerverkäufen (Handel mit geliehenen Titeln) auf den Weg zu bringen; Hedgefonds müssen sich demnächst in der EU registrieren lassen und den gleichen Eigenkapitalanforderungen genügen wie die Banken; nach oben unbegrenzte Boni soll es nicht mehr geben. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ist jedoch unter den Vorbehalt der Zustimmung der USA gestellt; eine europäische Wirtschaftsregierung, die für eine Annäherung der Lebensbedingungen und damit für ein stabiles Fundament für den Euro sorgen könnte, bleibt der Bundesregierung ein rotes Tuch. Soviel Unentschlossenheit ist eine Einladung zur Fortsetzung der Spekulation.

Das jetzt allenthalben in Europa von den Bevölkerungen geforderte Sparen geht genau in die falsche Richtung: Es privilegiert erneut das Interesse der Kreditgeber an der Bedienung der Staatsschulden auf dem Rücken der Bevölkerungsmehrheit. Die sukzessive in den EU-Ländern verhängten Sparpakete erdrosseln die Wirtschaft und beschwören die Rezession herauf, die zu Beginn der Krise mit allen Mitteln verhindert werden sollte.

Die Wirkungsweise des IWF in Lateinamerika in den letzten 30 Jahren veranschaulicht darüber hinaus sehr gut, dass eine Wirtschaft, die auf Biegen und Brechen darauf festgenagelt wird, vor allem die Schuldenzinsen zu bedienen, ihren Schuldenberg nicht verkleinert, sondern stetig vergrößert. "Griechenland wird seine Schulden nie zurückzahlen können", hat Josef Ackermann hellsichtig eingestanden. Dann soll man auch nicht verlangen, dass es damit anfängt. Umschuldung, Schuldenmoratorium oder auch Streichung illegitimer Schulden - diese Rezepte für die Länder des Südens sind nun auch für die Länder der EU aktuell.

Es muss ins Bewusstsein dringen, dass die Mehrheit der Bevölkerung für die Schulden nicht verantwortlich ist. Weder sind sie aufgenommen worden, um Arbeit, Einkommen oder sinnvolle öffentliche Projekte zu finanzieren, noch verdienen Normalverbraucher daran. Das ist die Voraussetzung dafür, dass in den kommenden Wochen und Monaten auf der Straße und in den Parlamenten in allen Ländern der EU geschlossen Nein zu den Rettungspaketen für die Banken und zu den Zumutungen der Sparpakete gesagt wird.


Steuereinnahmen in Griechenland und der EU-27



Steuereinnahmen in Prozent des BIP
Jahr 2000
2006
2007

Griechenland 35
31
32

EU-27 41
40
40

Spitzensteuersatz Einkommensteuer
Jahr 2000
2006
2007

Griechenland 45
40
40

EU-27 45
39
38

Körperschaftsteuer
Jahr 2000
2006
2007
Griechenland 40
25
25
EU-27 32
24
23

Quelle: Eurostat (22.6.2009)


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 25. Jg., Juni 2010, Seite 15
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2010