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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1407: Griechenland - Sanierungsfall oder Vorbild zur Abwehr von Sparprogrammen?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Griechenland:
Sanierungsfall oder Vorbild zur Abwehr von Sparprogrammen?

Von Ingo Schmidt


Hätte die damalige Regierung doch nur auf ihren Finanzminister gehört: Theo Waigel warnte bereits in den 90er Jahren, dass der "Club Med" für den wohlverdienten Urlaub hart arbeitender Deutscher zwar ganz schön, für die Einführung des Euro aber "unreif" sei.


Laxe Arbeitsmoral und staatliche Verschwendung würden nach Waigels Ansicht zu ausufernden Defiziten in Staatshaushalt und Zahlungsbilanz führen und dadurch das Vertrauen internationaler Anleger in die gesamte Euro-Zone untergraben. Deshalb könnten auch Länder wie Deutschland, in denen hart gearbeitet und emsig gespart wird, in Finanzierungsschwierigkeiten geraten. Finanztransfers in die Defizitländer würden die Sache noch schlimmer machen, weil deren inflationstreibende Ausgabenpolitik hierdurch unterstützt und der Euro gegenüber stabileren Währungen abgewertet und als Anlagewährung weiter an Ansehen verlieren würde.

Um diesem Schreckensszenario vorzubeugen, setzte Waigel Höchstgrenzen für laufende Budgetdefizite und akkumulierte Staatsschulden samt Sanktionsmechanismen im Falle ihrer Überschreitung durch den sog. Stabilitätspakt.

Pech für die selbsternannten Sparweltmeister: Infolge der Konjunkturkrise 2001 hat Deutschland die für den Club Med vorgesehenen Defizitgrenzen locker überschritten. Bald darauf erklärte Waigel-Nachfolger Hans Eichel, der Sanktionsmechanismus sei selbstverständlich nicht auf Deutschland anzuwenden. 2005 wurde der Stabilitätspakt pro forma gelockert, faktisch aber weitgehend suspendiert. Das freute seinerzeit den Rest Europas, ärgert aber gegenwärtig Angela Merkel.

Mittlerweile haben sich Waigels düstere Prognosen bezüglich der Mittelmeeranrainer Griechenland, Spanien und Italien bewahrheitet - der ehemalige Club Med wird derzeit erweitert um Portugal und Irland als PIIGS durch die Wirtschaftspresse gejagt -, und nun ist es an Merkel, die Ansteckung Deutschlands am mediterranen Krisenvirus zu verhindern.

Vorschläge, einen Finanzausgleich innerhalb der EU nach Vorbild des deutschen Länderfinanzausgleichs zu schaffen, werden brüsk zurückgewiesen. Sie erinnern wohl allzu sehr daran, dass Ostdeutschland nach der deutsch-deutschen Währungsunion 1990 und der anschließenden Exportoffensive Westdeutschlands nur durch Zahlungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs sowie einige Sondertöpfe vor dem völligen Ruin gerettet wurde.

Was der mecklenburg-vorpommerschen Kanzlerin recht ist - und dem bayrischen Finanzminister Waigel damals ebenso unrecht war wie die Euro-Einführung am Mittelmeer -, lässt sie den Griechen nicht billig sein. Mit dem gleichen europäischen Feingefühl, mit dem Steinbrück vor ein paar Jahren erklärte, dass ein deutscher Finanzminister nicht an die Regeln des Stabilitätspakts gebunden sei, gibt Merkel nun die Marschrichtung bei der Lösung der griechischen Zahlungsbilanz- und Haushaltskrise vor.

Finanzhilfen wird es, wenn überhaupt, nur auf Grundlage bilateraler Verhandlungen zwischen Griechenland und potenziellen Geldgebern geben. An diesen Verhandlungen wird, so hat es der EU-Gipfel nach einer Vorabstimmung zwischen Merkel und Frankreichs Sarkozy beschlossen, auch der IWF beteiligt, dessen Kredite aber nicht das Volumen der von EU-Staaten gewährten Kredite übersteigen darf. Dafür darf der IWF die Sparauflagen in die Kreditverträge schreiben.


Angst vor Abwertung

Nach dem Muster bilateraler Verhandlungen plus IWF wurden bereits kurz nach Ausbruch der Krise Kredit- und Sparpakete für Ungarn und Estland geschnürt. Diese Pakete standen Pate bei den Beschlüssen zum Umgang mit der Krise in Griechenland, wurden danach aber nicht mehr in der Öffentlichkeit erwähnt.

Westliche Medien wollten nicht noch darauf aufmerksam machen, dass Osteuropa 20 Jahre nach dem Ende sowjetischer Kommandowirtschaft dem neoliberalen Kommando des IWF und der reichen EU-Staaten unterworfen wird. Es fragen sich ohnehin schon genug Menschen in Ost- und Westeuropa, weshalb, gleich wen sie an die Regierung wählen, die Wünsche von Konzernchefs und Bankern stets in Gesetzesform gegossen werden, die Anliegen von Erna Normalverbraucherin aber kaum den Weg in parlamentarische Ausschüsse schaffen.

In den Peripheriestaaten Europas, wie bspw. Griechenland, fragen sich die Menschen zudem, weshalb über ihr Schicksal in Berlin, Paris und Brüssel entschieden wird. Besonders pikant: Auf die Frage, was denn Europa von seinen slawischen und muselmanischen Nachbarn im Osten unterscheide, antworten EU-Offizielle stets mit dem Verweis auf seine demokratischen Traditionen, die bekanntlich bis in die griechische Antike zurückreichen. Viele Griechen fürchten nun, dass ihnen in der EU-Demokratie eine ähnliche Rolle zugewiesen wird, wie den Sklaven in der attischen Demokratie.

Auch bei der Schaffung ihrer Einheitswährung hatten die EU-Regierungen sich auf die griechische Mythologie berufen. Der Euro wurde nach jener phönizischen Königstochter Europa benannt, die ein als Stier verkleideter Zeus nach Kreta entführt haben soll. Die moderne Mythologie des Kapitalismus kennt keine Stiere, sondern Bullen und Bären, die steigende oder sinkende Börsenkurse repräsentieren. Von der Angst getrieben, die Bären würden Euro-Investitionen aus dem Reich bulliger Prosperität in eine Welt der Depression entführen, unterstützen Finanzanleger Merkel, Sarkozy & Co. bei der Durchsetzung von Sparprogrammen für hoch verschuldete EU-Länder wie Griechenland. In gewohnt neoliberaler Manier versuchen sie, ihr eigenes Vermögen durch Umverteilung zulasten der Arbeiterklasse und des öffentlichen Sektors, im konkreten Fall des griechischen, vor einer längst fälligen Entwertung zu bewahren.


Ab wann ist ein Staat pleite?

Die ökonomische Logik, mit denen solche Programme begründet werden, ist ebenso fragwürdig wie die Auswahl der Länder, die sie umsetzen sollen. Nach einer massiven Pressekampagne glaubt die medial halb gebildete und halb verblödete Öffentlichkeit, ein Haushaltsdefizit von gut 12% würde zur Staatspleite führen, wenn die griechische Regierung nicht endlich ihre Ausgaben kürze. Glückliche Fügung: Rechtzeitig zum Krisenausbruch haben die Griechen eine sozialdemokratische Regierung gewählt, die sich nun staatsmännisch an die Rückzahlung konservativer Schulden bei gleichzeitiger Verprellung der eigenen Wählerschaft machen darf.

So erging es auch Hans Eichel mit seinem Vorgänger, dem selbsternannten Sparkommissar Waigel und dem von ihm hinterlassenen Schuldenberg. Damals reichte ein Defizit von reichlichen 3%, um den drohenden Staatsbankrott zu erklären. Nach Auflage der vermeintlich notwendigen Sparprogramme war es dann an Eichels Nachfolger Steinbrück, statt dem Staatsbankrott die Suspendierung des Stabilitätspakts zu erklären.

Weshalb der unmittelbar bevorstehende Staatsbankrott einmal bei 3% Defizit und ein anderes Mal bei 12% Defizit bevorsteht, ist ökonomisch nicht zu erklären. Wenn es einen kritischen Defizitwert gäbe, dessen Überschreitung unvermeidlich zur Zahlungsunfähigkeit eines Staates führen würde, müsste er für alle Länder gleich sein. Sofern die Kreditwürdigkeit von Land zu Land unterschiedlich ist, sollte man vermuten, dass das kreditwürdigere Land sich ein höheres Defizit erlauben kann als das weniger kreditwürdige. So steht es auch im Lehrbuch.

Nun können sich deutsche Regierungen, weil sie von internationalen Anlegern als kreditwürdiger angesehen werden, zu niedrigeren Zinsen verschulden als ihre griechischen Kollegen. Es wäre deshalb logisch, dass sich Berlin ein 12%-Defizit erlauben kann, bevor es ans Sparen geht. Tatsächlich läuteten internationales und deutsches Kapital den Berlinern aber bereits bei 3% das Totenglöckchen und Eichel bimmelte eifrig mit.

Wir dürfen also vermuten, dass statt eines ökonomischen Sachzwangs politisches Kalkül Zeitpunkt und Empfänger neoliberaler Sparpakete bestimmen. Für diese Vermutung spricht auch, dass keineswegs alle Staaten der Defizitklasse von 12% und mehr in gleicher Weise zum Sparen gezwungen werden; andernfalls hätten Merkel und Sarkozy sich Gordon Brown und Barack Obama ebenso vorknöpfen müssen wie Georgios Papandreou. Mindestens aber hätten sie die internationale Investorengemeinde vor einem Engagement in diesen Pleitestaaten warnen und beim IWF vorfühlen müssen, wann er denn einzuschreiten gedenke.

Doch nichts davon: Merkel, von der Angst vor zuviel europäischer Integration getrieben, holt den IWF samt dessen amerikanischen Stimmrechten zur Lösung der von ihr ausgerufenen Griechenland-Krise ins Boot. Und Sarkozy klagt zwar über deutsche Exportüberschüsse. Statt dagegen jedoch eine europäische Allianz zu organisieren - ein solches Unterfangen würde den Namen Stabilitätspakt eher verdienen als die unseligen Haushaltsrichtlinien der EU -, arrangiert er mit Merkel Sparrichtlinien für Griechenland.

Zur gleichen Zeit wickeln Anleger aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern ihre Finanzgeschäfte über die Londoner City oder die Wall Street ab und finanzieren damit das amerikanische und britische Haushaltsdefizit ohne griechische Risikoaufschläge auf den Zins.


Die Griechen von morgen

Was ist nun das Kalkül hinter der angeblich unmittelbar bevorstehenden Staatspleite in Griechenland und anderen Ländern der europäischen Peripherie?

In der guten alten Zeit des Neoliberalismus ließ sich mit Leistungsbilanz- und Haushaltsdefiziten in der Peripherie gutes Geld machen: Eine Staatspleitenkampagne, ggf. begleitet von einer Spekulationswelle gegen die Währung des "Zielgebiets" setzte Kapitalflucht in Gang, die die Krise auslöste, auf die Beistandskredite des IWF folgten - natürlich zu Höchstzinsen und samt Strukturanpassungsprogrammen -, und schon stand wieder ein Markt westlichen Konzernen offen.

Dieses Modell ist allerdings in der 2008 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise untergegangen. Seine während der akuten Absturzphase der Krise unbemerkte Anwendung in Estland, Ungarn und Irland sowie die medial sorgfältig vorbereitete Anwendung in Griechenland und Südeuropa verfolgen nicht das Ziel der Marktausweitung, sondern streben eine Konsolidierung der politischen Herrschaft der Metropolen über die Peripherie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an.

Ein Teil der Krisenlasten wird damit auf die Peripherie abgewälzt, der Arbeiterklasse in den Metropolen nochmal eine Schonzeit gewährt, bevor auch sie zur Ader gelassen werden.

Wer hofft, der harte Kurs gegen die Griechen würde Arbeitsplätze und Sozialversicherung bei den Deutschen sichern, wird sich bald getäuscht sehen. Zumindest jene Deutschen, die das Pech haben, zur Arbeiterklasse zu gehören, sind bereits als die Griechen von morgen vorgesehen.

Das kann ja auch was für sich haben: Beispielsweise kann man von der griechischen Arbeiterklasse lernen, wie man Streiks gegen Arbeitsplatzvernichtung und Sparprogramme organisiert.





Haushaltsdefizit

Leistungsbilanzsaldo

Handelsbilanzsaldo

Deutschland
Frankreich
Griechenland
Großbritannien    
Irland
Italien
Portugal
Spanien
USA

-3,4
-8,3
-12,7
-12,1
-12,5
-5,3
-8,0
-11,2
-11,3

+4,0
-2,3
-8,8
-2,4
-3,1
-2,4
-10,2
-5,4
-2,9

+191,2
-59,1
-43,2
-126,0
-5,8
-73,3
-517,0

Quelle: Haushaltsdefizite und Leistungsbilanzsalden: Europäische Kommission, Werte für 2009 in %
des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Handelsbilanzsalden: THE ECONOMIST, Werte in Mrd. Dollar


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 25. Jg., Mai 2010, Seite 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96, Telefax: 0221/923 11 97
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2010