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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1386: Zum Tarifabschluß in der Metall- und Elektroindustrie


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Rien ne va plus?
Zum Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie[*]

Von Udo Bohn


Während die Kommentierung des Tarifergebnisses in der bürgerlichen Presse außergewöhnlich wohlwollend war und die IG Metall von dieser Seite nahezu mit Lob überschüttet wurde, gingen linke Blätter unisono mit scharfer Kritik gegen den Gewerkschaftsvorstand und die Verhandlungsführungen in NRW und Baden-Württemberg vor. Konstatieren mussten sie allerdings, dass solch eine Kritik in den Tarifkommissionen und in den Betrieben unterblieb. Das Auseinanderfallen in der Einschätzung wurde jedoch in der veröffentlichten Meinung nicht reflektiert.

Selbst wenn die Beschäftigten einschätzen können, dass die Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung in den Betrieben erst noch durchgesetzt werden müssen und dies auch zu zusätzlichen Einkommenseinbußen führen wird, selbst wenn die Einmalzahlungen am untersten Rand des Akzeptablen liegen und unsicher ist, ob die Entgelterhöhung von 2,6% im nächsten Jahr nicht von der Inflation aufgefressen wird, stellten sich die Metallerinnen und Metaller bewusst oder instinktiv die Frage: Sind wir kampffähig über eine oder zwei Warnstreikrunden hinaus?

Bei einem Rückgang der Produktion im Jahr 2009 im Maschinenbau um 26% und 220.000 Kurzarbeitern, bei einem dramatischen Produktionseinbruch bei Porsche, BMW, Audi und Mercedes (insgesamt sank die Produktion in der Automobilindustrie von Februar 2008 bis 2009 um 43,5% und erholte sich nur langsam) herrschte Angst um die persönliche Zukunft und bestimmte den Blick darauf, was von der Tarifrunde zu erwarten war.

Das objektive Gebot, die Frage der Arbeitszeitverkürzung in Richtung 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich auf die Tagesordnung zu stellen, scheitert nicht nur an einem IG-Metall-Vorstand, dessen Thema das nicht ist, sondern am weit verbreiteten Gefühl, dass, die Durchsetzungskraft dafür nicht vorhanden ist.

Ein weiterer Anklagepunkt gegenüber dem IG-Metall-Vorstand ist die Behauptung, die Mitgliedschaft sei vor dem Tarifabschluss weder informiert noch einbezogen worden.

Dies entspricht in keiner Weise den Tatsachen. Zumindest in NRW war die Große Tarifkommission über jeden Verhandlungsschritt der Vorgespräche zeitnah informiert, auf lokaler Ebene wurde in Tariftreffs und auf Delegiertenversammlungen darüber berichtet und diskutiert, sechs verschiedene Flugblätter gingen in die Betriebe.

Eine nüchterne Betrachtung, was in der diesjährigen Tarifrunde erreichbar gewesen wäre, kann allerdings nicht einer notwendigen strategischen Diskussion innerhalb der IG Metall ausweichen: Wer zahlt die Kosten der Krise? Dabei ist die Frage der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung nur ein Thema. Daneben ist Leiharbeit ein zentrales Thema, bei dem der Metallarbeitgeberverband jegliche Regelung im Rahmen der Tarifrunde kategorisch ausgeschlossen hat. Hier muss man aber dringend die gleiche Bezahlung und Höchstquoten per Tarifvertrag durchsetzen.


[*]
Anfang März ging die diesjährige Tarifauseinandersetzung in der Metall- und Elektroindustrie zu Ende. Sie stand im Zeichen der Krise. Erstmals in ihrer Geschichte ging die IG Metall ohne Lohnforderungen in die Verhandlungen. Der IG-Metall-Vorstand erklärte, er wolle ein möglichst rasches Ergebnis in zentraler Verhandlung, noch vor Ablauf des gültigen Tarifvertrags. Das übliche Prozedere - die Vertrauenskörper machen Forderungsvorschläge, der Vorstand gibt eine Lohnempfehlung, dann gibt es Warnstreiks und am Schluss einigt man sich - war suspendiert.

Im Pilotbezirk NRW kam es Mitte Februar zu einem Ergebnis. Dessen wichtigste Bestandteile sind: eine Einmalzahlung von 320 Euro für April bis Dezember 2010, eine weitere Tariferhöhung von 2,7% ab dem 1.4.2011. Gesamtlaufzeit 23 Monate. Weitere Punkte sind eine tarifliche Vereinbarung über die Verlängerung von Kurzarbeit und die Möglichkeit der Arbeitszeitverkürzung mit einem begrenzten Lohnausgleich, der auch darauf beruht, dass die Regierung bereit ist, diese Zeiten beitragsfrei zu stellen.

Größere Proteste aus den Betrieben über das Ergebnis sind nicht bekannt. Doch führten der Ablauf der Tarifrunde und das Ergebnis zu Kontroversen innerhalb der Gewerkschaftslinken. Die Beiträge von THIES GLEISS und UDO BONN beleuchten die verschiedenen Argumente. Über weitere Debattenbeiträge in dieser Kontroverse würden wir uns freuen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 25. Jg., April 2010, Seite 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2010