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ROTFUCHS/213: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 261 - Oktober 2019


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

22. Jahrgang, Nr. 261 - Oktober 2019



Aus dem Inhalt

Beilage: Zum 70. Jahrestag der Gründung der DDR

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Eine gefährliche Entwicklung

Der 70. Jahrestag der DDR ist für die Propagandaeinrichtungen des Imperialismus Anlaß, wieder einmal Absurdes über Ostdeutschland und seine Bewohner in die Welt zu setzen. Wer ständig eine Gesellschaft schönzuschreiben hat, die auf Konkurrenz, Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg beruht, für deren Aufrechterhaltung Faschisten, Rassisten und Militaristen benötigt werden, den stachelt ein Staat, in dem das alles nicht geduldet wurde, zu Höchstleistungen bei der Produktion von Unfug an.

Auch von gefährlichem. Ein Beispiel dafür lieferte Hubertus Knabe ab. Der unter merkwürdigen Umständen abgelöste frühere Leiter der "Gedenkstätte" Berlin-Hohenschönhausen versuchte am 16. August in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) die Frage zu beantworten, warum die DDR in Deutschland plötzlich wieder zum Thema wird. In Wirklichkeit ging es ihm aber nicht um den ostdeutschen Staat, sondern um die AfD.

Wer sie kritisiere, meinte Knabe, weil sie mit Losungen der "friedlichen Revolution" Wahlkampf bestreite, der übersehe, daß "die AfD Stimmungen zum Ausdruck bringt, die offenbar tatsächlich existieren". Ob Stimmungen zum Ausdruck gebracht werden können, die nicht existieren, erörterte er nicht. Wichtig war ihm die z. B. vom Anführer des faschistischen AfD-Flügels Björn Höcke geäußerte Auffassung, wonach DDR und BRD sich in vielem gleichen.

Knabe findet das auch. Seine Aufstellung von Gemeinsamkeiten, die angeblich beide Staaten aufweisen, enthält u. a.: "Abgehobenheit der politischen Klasse". Sein Maßstab: Angela Merkel ist fast so lange im Amt wie Erich Honecker. Unwesentliches läßt Knabe weg: Die eine gibt der Aufrüstung gegen Rußland gerade einen Schub, der andere pflegte Waffenbrüderschaft mit der Sowjetunion. Die eine führt einen Krieg nach dem andern und sorgt dafür, daß Hunderttausende flüchten müssen. Honecker verhinderte Krieg und Vertreibung.

Weiter: Heute entscheide "nur eine kleine Gruppe von Politikern über die Geschikke der Bundesrepublik".

Überraschung, das war offenbar früher anders. Die Medien und der "Haltungsjournalismus" verstärkten die "Entfremdung zwischen Volk und Regierung". Und: "Überschriften wie 'Flüchtlinge könnten Wirtschaftswunder bringen' erinnern manchen an die Schlagzeilen über Produktionserfolge im SED-Zentralorgan 'Neues Deutschland'."

Heute hätten die "sozialen Netzwerke" die Rolle des Westfernsehens in der DDR übernommen. Da ist was dran. Die Lügen über den Sozialismus waren ähnlich faustdick wie die von AfD-Hetzern heute oder so sinnvoll wie Knabes Vergleicherei. "Angstbesetzt", weil man sehr aufpassen müsse, was man sage, seien laut einer Umfrage in der BRD heute "neben der Flüchtlingsfrage auch die Themen Nationalsozialismus, Juden, Rechtsextremismus, Patriotismus, Homosexualität und die AfD". Der Druck komme aber nicht nur wie in der DDR von oben, "sondern auch von der Seite durch Journalisten und von ihnen gehypte Minderheiten". Zum Glück haben alle Ängstlichen heute die AfD und Hubertus Knabe, die sagen, was ist. Oder Hans-Georg Maaßen, den AfD-Liebling und ehemaligen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Leute wie die beiden gab es in der DDR nicht.

Knabe, Maaßen und andere Kapazitäten des deutschen Bürgertums wittern 30 Jahre nach der Konterrevolution in der DDR Morgenluft. Was aus ihrer Sicht damals unvollendet blieb, soll endlich verwirklicht werden: Die Barrieren, die das Grundgesetz einer Entwicklung hin zu autoritären, extrem antikommunistischen und faschistischen Regierungsformen noch entgegenstellt, sollen weg. Dafür sind in der AfD Offiziere der Bundeswehr, Oberstaatsanwälte und leitende Richter, Polizisten und Exstaatssekretäre angetreten. Das Zuwanderungsthema ist für sie ein jederzeit austauschbares Mittel zum Zweck, ein "Geschenk", wie Alexander Gauland 2015 sagte. Nur eins steht fest: Die Konterrevolution in der DDR ist das große Vorbild. Noch fehlt die nötige Massenbasis. Sie werden sie gewinnen, wenn nicht alle Vernünftigen, Demokraten und Linken dagegenhalten.

Arnold Schölzel

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Der Traum der deutschen Patrioten

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Geburtstag

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Die Jugend begrüßte die Gründung der DDR

Es waren wahrhaft historische Tage, die wir durchlebten, als wir vor 70 Jahren zur weiteren Qualifizierung unseren Lehrgang an der Jugendhochschule der FDJ am Bogensee bei Wandlitz begannen.

In Europa stritten die Großmächte um die weitere Gestaltung der europäischen Nachkriegsordnung, im Fernen Osten wurde die Volksrepublik China gegründet, und in nicht wenigen Ländern Afrikas und Asiens versuchten die Völker, die Fesseln der kolonialen Vergangenheit abzuschütteln.

Gerade mußten wir zur Kenntnis nehmen, daß im Westen Deutschlands mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes die Weichen endgültig auf Spaltung Deutschlands gestellt worden waren. Nun war zu entscheiden, wie es im Osten Deutschlands, wo wir auch als fortschrittliche Jugend für Einheit und gerechten Frieden gekämpft hatten, weitergehen sollte. Mit heißem Herzen diskutierten wir und verfolgten die Ereignisse.

Bald sollten wichtige Entscheidungen fallen. Zunächst bildete sich der im Mai gewählte Deutsche Volksrat zur Provisorischen Volkskammer um. Die Sowjetische Militäradministration übergab ihre Funktionen an die sich bildende Regierung unter Otto Grotewohl. Am 7. Oktober schließlich wurde die Deutsche Demokratische Republik proklamiert. Das erfüllte uns mit großer Begeisterung. Unbedingt wollten wir am weiteren Geschehen in der Hauptstadt teilnehmen. Als dann für den 11. Oktober die Wahl des Präsidenten angesetzt war, bereiteten wir uns rasch auf die Fahrt nach Berlin vor. Noch waren die großen Straßen der Stadt auf vielen Seiten von Trümmerbergen umgeben, doch aus allen Teilen der Republik rollten die LKW-Kolonnen mit Jugendlichen heran. Und während vor der Humboldt-Universität die große Tribüne aufgerichtet wurde, übernahmen wir unsere ordnende Funktion für den großen Fackelzug. Es wurde schon allmählich duster, als wir die Kunde von der Wahl Wilhelm Piecks zum ersten Präsidenten der DDR vernahmen und sich unter Scheinwerfern Wilhelm Pieck und die Mitglieder der Regierung auf der Tribüne zeigten, von Beifallsstürmen begrüßt. Neben Wilhelm Pieck stand die jüngste Volkskammerabgeordnete: Margot Feist.

Nun begannen wir auf der Straße Unter den Linden die Reihen zu ordnen. An der Spitze wurde das große, die ganze Straße überspannende Transparent "Es lebe die Deutsche Demokratische Republik!" entrollt. Noch übertönten die Hochrufe auf Wilhelm Pieck und die Regierung der DDR das Geschehen, während die jugendlichen Teilnehmer begannen, die Fackeln zu entzünden.

Als rechter Flügelmann und mit einer großen grünen Armbinde (die ich dann jahrelang bei vielen anderen Demonstrationen wieder verwendete) gab ich nach Erhalten des über Megaphon übermittelten Signals den Startschuß der Demonstration. Diese setzte sich jedoch nur sehr langsam und immer wieder zögerlich in Bewegung, wollten doch alle Wilhelm Pieck und die anderen Ehrengäste sehen und feiern. Den zahlreichen Marschblöcken der FDJler aus den Kreisen der DDR gesellten sich Gruppen aus Westberlin, wo die FDJ noch nicht erlaubt war, und den Westzonen zu. Schließlich wurde der Zug auch immer wieder durch Werktätige aus Ost- und Westberlin mit ihren Hochrufen unterbrochen, hatten doch nicht wenige Wilhelm Pieck noch aus früheren Klassenkämpfen in der Weimarer Republik in Erinnerung.

Erst nach Stunden löste sich wie vorgesehen die Demonstration am Alexanderplatz allmählich auf, und auch wir konnten in der Nacht nach dem aufwühlenden Erlebnis zurück zum Bogensee fahren. Nur kurze Zeit später hatten wir erneut Gelegenheit, unseren Präsidenten zu begrüßen.

Er kam direkt zu uns an die Jugendhochschule und hielt vor den Lehrgangsteilnehmern einen Vortrag über den Kampf um die Einheit Deutschlands. Anschließend beantwortete er zahlreiche Fragen zum Thema und zu seinem Leben. Schließlich half er uns beim Erlernen des richtigen Textes der neuen Nationalhymne der DDR. Daß Wilhelm Pieck gerade unserem jugendlichen Zuhörerkreis gestattete, ihn mit dem freundschaftlichen "Du" anzusprechen, erfüllte uns mit großem Stolz. Er war einfach "unser Präsident" geworden, als wir ihn dann mit großer Herzlichkeit verabschiedeten.

Dr. Roland Bach
Berlin

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Gelöbnis der deutschen Jugend

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Kollektiverziehung in Theorie und Praxis

In dem aktuellen Gebrauch des Begriffs "Kollektiv" wird dieser "... vorwiegend als politisch gefärbter Gegenbegriff zu Individuum und Persönlichkeit, ... der persönliche Freiheit ausschließt", interpretiert. Deshalb haben zum Beispiel in der modernen pädagogischen Tätigkeit die Termini "Kollektiv" und "Kollektiverziehung" keinen bzw. nur einen eingeschränkten Zugang zur Beschreibung gruppendynamischer Prozesse gefunden.

Eigene Erfahrungen, die ich als ehemalig leitender Wissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule "Karl Liebknecht" Potsdam in den Jahren 1989 bis 1991 machen konnte, bestätigen die Erkenntnis von Eberhard Mannschatz, daß nach einigen hoffnungsvollen Illusionen um Wissensaustausch und wissenschaftliche Kooperation die zunächst sich anzeigende "wohltuende und anregende Gemeinsamkeit" von Erziehungstheoretikern in Ost und West (speziell von Makarenko-Forschern) durch das "massive Bemühen, Erziehung in der DDR als Unrechtsgeschehen vorzuführen", gekennzeichnet war.

Damit wurden wichtige Erkenntnisse zur Gruppendynamik aus der Feder von DDR-Wissenschaftlern auf dem Altar des Klassenkampfes geopfert, ohne ihre für die Pädagogik konstruktiven Seiten zu prüfen und mit wissenschaftlicher Sachlichkeit zu bewerten. Diese Ignoranz ist die Quelle einer wissenschaftlichen Tragödie großen Ausmaßes.

Nicht nur die Integrität von DDR-Erziehungswissenschaftlern wurde in unsachlicher Weise in Frage gestellt. Auch Hochschullehrer sind im Grunde alle fachlich negativ evaluiert worden. Sie wurden aus ihrer wissenschaftlichen Verantwortung für Lehre und Forschung mit fadenscheinigen Begründungen in unterschiedlicher Form politisch ausgegrenzt. Im Kern war dieses Vorgehen in das Bemühen eingebettet, auch diesen Teil der akademischen Elite der DDR politisch anzuprangern und aus dem Hochschulwesen zu beseitigen. Damit wurden Bedingungen für einen genehmen Personalwechsel zugunsten von oftmals zweit- und drittklassigen Wissenschaftlern aus den alten Bundesländern geschaffen.

Natürlich haben wir unter den objektiven Bedingungen einer anderen Gesellschaftsordnung als der heutigen nach Möglichkeiten gesucht, den dialektischen Prozeß der Einheit von Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen inhaltlich anders zu strukturieren, als es die klassenmäßigen Interessen der Feudalgesellschaft und des Kapitalismus bestimmten.

Aus diesem Grund war im Verständnis der marxistischen Pädagogik für uns in Anlehnung an A. S. Makarenko das "Kollektiv ein sozialer Organismus in einer gesunden menschlichen Gesellschaft". Darunter verstanden wir eine Gesellschaft, in der es keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gibt und in der die soziale Gerechtigkeit ein wichtiger Wert des kooperativen Zusammenwirkens der Individuen ist.

Zunächst möchten wir einige Aspekte der historischen Sicht von A. S. Makarenko zum Kollektivbegriff hervorheben, um das Wesen der Kollektiverziehung zu verdeutlichen. So schreibt er: "Als Kollektiv kann jede Kontaktgemeinschaft bezeichnet werden, die auf dem sozialistischen Prinzip der Vereinigung beruht." Diese pauschale Begriffsbestimmung unterschlägt, daß das Kollektiv eine besondere Qualität sozialer Beziehungen von Gruppen besitzt, die sich u. a. in ihren verschiedenen Niveaustufen der Solidargemeinschaft, der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung sowie in ihren gesellschaftlich-sozialen Funktionen widerspiegeln.

Im Gegensatz zum Verständnis der Schulklasse war in der DDR-Pädagogik die Ansicht vorherrschend, die sozialen Beziehungen an der Schule immer stärker nach dem Solidar- und nicht, wie auch heute praktiziert, nach dem Konkurrenzprinzip zu gestalten.

Besonders deutlich wird diese der unseren entgegengesetzte Position durch eine These des am 15. Juli verstorbenen westdeutschen Pädagogen Prof. Dr. Dieter Ulich. So hob er schon 1971 hervor: "Die Schulklasse ist paradoxerweise im Lernen ein Miteinander, in der Leistung ein Gegeneinander. Das gemeinsam Erarbeitete kommt letztlich nur denen zugute, die sich in der Konkurrenz, nicht in der Gruppenarbeit am besten bewähren." Wir setzten dagegen, daß im Prozeß der Realisierung von bedeutsamen Gruppenzielen (kollektive Perspektiven) so ein erzieherisch produktives Auf- und Gegeneinanderwirken demokratisch in der Schülergemeinschaft organisiert werden muß, daß möglichst alle Jungen und Mädchen mit hohen Leistungen das Klassenziel erreichen und niemand zurückgelassen wird. Das wurde unter Nutzung der öffentlichen (kollektiven) Meinung als kollektive Norm verstanden.

Daß dieser Vorgang ein widerspruchsvoller und nicht selten ein konfliktreicher Prozeß war, versteht sich von selbst. Hierbei wurden aber vielfältige Triebkräfte bei der Gestaltung des Gemeinschaftslebens freigesetzt.

Für das Verstehen des pädagogischen Wesens des Schülerkollektivs als eine demokratische Instanz und nicht als pädagogisches Werkzeug des Druckes und des Zwanges ist die folgende Erkenntnis von A. S. Makarenko von besonderer Bedeutung: "Wir betrachten unseren Zögling nicht als Dressurmaterial, sondern sehen in ihm ein Mitglied unserer Gesellschaft, ihren aktiven Mitgestalter, einen Schöpfer gesellschaftlicher Werte." Gerade von dieser Position haben wir Kollektiverzieher der DDR uns stets leiten lassen. Es war und bleibt unsere tiefe pädagogische Überzeugung.

Deshalb haben wir uns in theoretischen Schriften und in der Ausbildung von Lehrern und anderen pädagogischen Berufsgruppen darauf orientiert, das Schülerkollektiv als aktiven Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung, als demokratischen Übungs- und Gestaltungsorganismus sowie als bedeutsame Lebensstätte für Jungen und Mädchen zu charakterisieren. In diesem sozialen Organismus sollten die Schülerinnen und Schüler ihre Subjektposition über entsprechende soziale Erfahrungen wahrnehmen und ausleben.

In empirischen Untersuchungen mußten wir aber auch zur Kenntnis nehmen, daß es an Schulen sowie in der Kinder- und Jugendorganisation verschiedenartige problematische Widersprüche zwischen Theorie und Praxis gegeben hat, welche die qualitätsgerechte Umsetzung pädagogischer Ziele hemmten und mitunter sogar störten.

Worin bestanden diese Widersprüche?

In der Unterrichtspraxis dominierte zu stark der Frontalunterricht (Lehrervortrag u. a.) auf Kosten von gruppenunterrichtlichen Verfahren, so daß Möglichkeiten der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung, der gemeinschaftlichen Korrektur und Bewertung der Leistungen oft verschenkt wurden.

Nicht immer gelang es, das Schülerkollektiv inhaltlich so zu strukturieren, daß sich die gesellschaftlich sozialen und pädagogischen Funktionen der Gemeinschaft voll entfalten konnten. Dieser Umstand war häufig die Ursache für die Entstehung von formalen und auf Äußerlichkeiten orientierten kollektiven Aktionen wie "Prozenthascherei" und formalistische Abhandlung vorgeschriebener politischer Themen, die den Interessen und Wünschen der Kinder und Jugendlichen wenig oder nicht entsprachen.

Die vorgegebene Rolle des Klassenleiters im außerunterrichtlichen Bereich hatte wesentlichen Anteil daran, daß Formen des kollektiven Gemeinschaftslebens in zunehmendem Maße "verschult" wurden, was auf Kosten der Lebendigkeit sowie der kind- und jugendgemäßen Gestaltung des Lebens in den Klassenkollektiven ging.

Dr. paed. habil. Jörgpeter Lund
Potsdam

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Buch-Tips
  • Eberhard Mannschatz: Entwurf zu einer Methodik der Kollektiverziehung. Volk und Wissen, 1968
  • Persönlichkeit, Kollektiv, Gesellschaft. Aufsätze aus der UdSSR. Anrich-Verlag, 1972
  • W. G. Iwanow: Kollektiv und Persönlichkeit. Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1973
  • Makarenko heute. Beiträge zur Kollektiverziehung. Verlag Volk und Wissen, 1973
  • Lore Schroeter: Kollektiverziehung im Spiel jüngerer Vorschulkinder. Verlag Volk und Wissen, 1974
  • Persönlichkeit und Kollektiv. Sonderheft der "Einheit", Nr. 1/1978
  • Jürgen Schmollack: Kollektiv und persönliche Freiheit. Dietz-Verlag, 1978
  • Wassili Suchomlinski: Die weise Macht des Kollektivs. Verlag Volk und Wissen, 1979

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Brief eines Hörers an den NDR

In den heutigen Frünachrichten (am 5. Juni) sprachen Sie über den sogenannten D-Day. Dort äußerte die Sprecherin, daß der "D-Day" den, so wörtlich, "Untergang Nazi-Deutschlands einläutete". Ich weiß nicht, was bei Ihnen in den Redaktionsstuben los ist und wie weit Ihre Geschichtskenntnisse gehen. Den Untergang des deutschen Faschismus läuteten in erster Linie die heldenhaft kämpfenden Soldaten und Offiziere der Roten Armee ein. Ich möchte Sie nur höflich daran erinnern, daß es lange vor dem in den Westmedien überbewerteten "D-Day", schon die Schlacht von Stalingrad und die Schlacht am Kursker Bogen gab, die bis heute früh noch als die Wendepunkte in dem von Deutschland angezettelten Zweiten Weltkrieg galten. Erinnert sei an dieser Stelle daran, daß bei dem Überfall auf die Sowjetunion der deutsche Faschismus - finanziert durch das deutsche Finanz- und Monopolkapital - drei Millionen deutsche Soldaten und Truppen verbündeter Staaten auf einer 1600 Kilometer breiten Front in die Sowjetunion einmarschieren ließ.

Das "Unternehmen Barbarossa", wie der Codename für den Überfall auf Rußland lautete, war kein gewöhnlicher Feldzug: Dies war ein ideologischer und rassistischer Krieg der Zerstörung mit dem Ziel, die Juden auszulöschen, die sowjetischen Völker zu versklaven und den Kommunismus zu vernichten. Ein Krieg, in dem 27 Millionen sowjetische Soldaten und Zivilisten starben, darunter eine Million Juden, die von der SS und anderen Verbänden zwischen 1941 und 1942 exekutiert wurden - als Vorlage für die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis. Bei ihrem Einmarsch verwüstete die deutsche Wehrmacht den europäischen Teil der Sowjetunion. Zerstört wurden 70.000 Kleinstädte und Dörfer, 98.000 genossenschaftliche Kolchosen, Zehntausende Fabriken und aber Tausende Kilometer Straßen und Eisenbahngleise. Durch den Krieg verlor die UdSSR 15 Prozent ihrer Bevölkerung und 30 Prozent ihres Volksvermögens. Wenn beim "D-Day" ca. 150.000 englische, amerikanische und kanadische Soldaten teilnahmen, so möchte ich daran erinnern, daß alleine bei der Befreiung Polens vom deutschen Faschismus 600.000 sowjetische Soldaten ihr Leben ließen. Schlimm nur, was heute in Polen mit den polnisch-sowjetischen Denkmälern geschieht und welcher Haß - auch durch deutsche Medien - wieder gegen Rußland geschürt wird. Das hatten wir alles schon einmal - und wie das gerade für "Großdeutschland" ausging, sollte selbst jeder Geschichtsklitterer wissen.

Ich finde es einfach nur widerlich, daß auf so eklatante Weise die Geschichte nicht nur verfälscht, sondern mit einer nicht zu übersehenden Arroganz umgeschrieben wird.

Und was Frankreich und die Verbrechen der deutschen Faschisten anbetrifft, so möchte ich es nicht versäumen, an Klaus Barbie, alias Klaus Altmann ("Der Schlächter von Lyon") zu erinnern, einen nach 1945 mit internationalem Haftbefehl gesuchten Kriegsverbrecher und Judenmörder. Der BND war sich sich trotz dieses Haftbefehls nicht zu schade, ihn auf seine Gehaltsliste zu setzen und ihn mehrfach in den Bonner Staat ungehindert einreisen zu lassen. Aber das nur nebenbei. Erinnert sei im Zusammenhang mit dem "D-Day" auch daran, daß deutsche Antifaschisten, die in Frankreich in der "Resistance" aktiv gegen die deutsche Wehrmacht und die Mörderbanden der Waffen-SS kämpften, noch heute als "Vaterlandsverräter" gelten. So war es kein Geringerer als der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich bei einer dieser Feiern weigerte, an dem Gedenken teilzunehmen, solange diese "Vaterlandsverräter" durch die damalige französische Regierung nicht ausgeladen würden, was dann durch den damaligen Präsidenten Frankreichs auch geschah, während die Regierungen der BRD, gleich welcher Couleur, ausländischen Kollaborateuren, die gemeinsame Sache mit den deutschen Faschisten machten und deren Massenmorde mittrugen, Renten auszahlte und nach wie vor auszahlt.

Gerhard Richard
(E-Mail)

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Lidice - Gedenken an ein ausgelöschtes Dorf

Am 15. Juni gedachten Hunderte Kinder, Frauen und Männer aus vielen Ländern Europas der Ermordeten am von der Bildhauerin Marie Uchytilová geschaffenen Mahnmal in Lidice.

Nach Bekanntwerden der Vernichtung und Vertreibung der Bewohner von Lidice wegen einer vermeintlichen Unterstützung des Attentats auf den stellvertretenden "Reichsprotektor" Heydrich am 10. Juni 1942 wurde im Ghetto Theresienstadt (Terezin) ein Gedicht der am 6. Oktober 1944 in Auschwitz ermordeten Lyrikerin Ilse Weber "Lidické ovce - Die Schafe von Lidice" verbreitet. Das Gedicht konnte auch aus dem Ghetto geschmuggelt werden. Es gibt sinnbildlich wieder, daß das Dorf und seine Menschen "ausgelöscht" wurden und Teile des Tierbestandes der Bauern in das Ghetto überführt wurden. Bekannt wurde durch Augenzeugen, daß auf Anforderung der SS-Kommandantur ein Arbeitskommando von 30 Häftlingen aus Theresienstadt nach Lidice befohlen wurde, um ein Massengrab auszuheben und die Leichen zu beerdigen. Einige Tage nach der Vernichtung von Lidice wiederholten ähnliche "Einsatzgruppen" von Ordnungspolizisten Racheaktionen gegen das Dorf Lezáky. Insgesamt wurden 1357 tschechische Bürger standrechtlich erschossen.

In das wiederaufgebaute neue Lidice kehrten nach der Befreiung 143 Frauen zurück, nach zweijähriger Suche konnten 17 Kinder ihren Eltern übergeben werden. Zur Erinnerung tragen acht Gemeinden und Ortsteile in der Welt und Frauen in 24 verschiedenen Staaten der Welt den Namen Lidice. Oftmals werden die Namen Lidice, Lezáky und das norwegische Telvag (Ort eines Vergeltungsaktes für eine Widerstandsaktion in Norwegen am 30. April 1942) gemeinsam genannt.

Am 15. Juni nahm eine Abordnung des Stadtverbandes der VVN/BdA mit sieben Mitgliedern an der Ehrung im "Lidice Memorial" teil. Bis 1989 konnten in der DDR Kriegs- und Naziverbrecher, die an "Vergeltungsaktionen" im Zusammenhang mit dem Verbrechenskomplex "Heydrichiade" beteiligt waren, dank dem zuständigen MfS-Referat - oft im Zusammenwirken mit tschechischen Behörden - verurteilt und ihrer Strafe zugeführt werden.

Peter Blechschmidt
Vorstandsmitglied der VVN-BdA Chemnitz

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KURZ KOMMENTIERT

Heiko Maas auf den Spuren von John Bolton

Außenminister Heiko Maas plädierte für neue internationale Abrüstungsgespräche, bei denen China mit an den Tisch gehöre. Mit diesem diplomatischen Reflex auf den Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag wird er bei dem "Sicherheitsberater" Donald Trumps, John Bolton, offene Ohren finden. Dieser ausgewiesene Kriegstreiber hat den Ausstieg schon seit 1991 herbeigesehnt. Bolton stören die Mittelstreckenraketen, die sich China als Nichtunterzeichner des INF-Vertrags angeschafft hat - als nahezu einziges Verteidigungsmittel gegen angreifende US-Kriegsschiffe. Er trachtete seither auf Abhilfe. Weil China dank der Raketen in der Lage war, sich mit Aussicht auf Erfolg gegen angreifende US-Kriegsschiffe zu verteidigen, sollte und mußte aus US-Sicht etwas unternommen werden. Den diplomatischen Schlenker, China zur Unterzeichnung des INF-Vertrags zu nötigen, hat China nicht einmal ignoriert. Als Alternative wurde erwogen, den INF-Vertrag zu kündigen, um auf dem Gelände südostasiatischer Bündnispartner eben diese vermaledeiten Mittelstrecken stationieren zu können. Das wird nun geschehen.

Ein Außenminister, der als überzeugter Atlantiker diesen Zusammenhang nicht zur Kenntnis nimmt, ist eine erbärmliche Nummer. Nein er ist, was er ist, ein Speichellecker Washingtons.

Da nun die komplette NATO-Junta sich hinter die Entscheidung Trumps gestellt und alle Verifikationsangebote Rußlands bezüglich der neuen Waffen in den Wind geschlagen hat, wissen wir: Nichts ist so verlogen wie das Bekenntnis der NATO, mit Rußland im Dialog bleiben zu wollen. Hier werden Vernichtungspläne geschmiedet, die auf Anwendung zielen.

Deshalb eine allgemeine Feststellung: Marxisten und Sozialisten sollten aus ihrem Wortschatz den Begriff "Wettrüsten" tilgen. Spätestens mit der Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens galt es einzig und allein, die Sowjetunion als gesellschaftlichen Gegenentwurf zu liquidieren. "Totrüsten" ist genauer. Dieses übergeordnete Ziel richtet sich heute gegen alle sich dem imperialen Anspruch entgegenstellenden Staaten - so gegen Rußland, China, Kuba und Venezuela.

Hans Schoenefeldt

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Regelbasierte Weltordnung?!

Immer dann, wenn im diplomatischen Sprachgebrauch ein neuer Begriff auftaucht, heißt es, die Ohren zu spitzen und die Augen zu öffnen. Besonders ratsam ist es zu hinterfragen, in welchen Kontext die Begriffe gestellt werden. Mit einer solch jüngst aus der Taufe gehobenen Wortschöpfung wollen wir uns heute befassen, weil sie vorzugsweise von Außenminister Heiko Maas strapaziert wird: "regelbasierte Weltordnung". Was hat es damit auf sich? Es gibt doch die Charta der Vereinten Nationen? Die in ihr zusammengeschlossenen Völker haben sich in diesem Dokument verpflichtet, die Gleichberechtigung aller Nationen, ob groß oder klein, zu bekräftigen. Und - ganz wichtig - "Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können".

Da diese Grundsätze von den USA und ihren Vasallen im Klima eines von ihnen reanimierten kalten Kriegs eingeschmolzen wurden, sollen nun Pflöcke eingeschlagen werden, um der "internationalen Ordnung" ein mit westlichen Werten geliftetes Gesicht zu geben. Deren Maskenbildner haben nichts anderes in ihrem Besteck als den Auftrag, alle Beschlüsse der USA/NATO/EU mit einem demokratisch gefärbten Tarnanstrich zu versehen und sie als weltweit gültiges Recht zu verkaufen. Dafür erfand man den Begriff "regelbasierte Weltordnung". Dem aber steht die UNO mit ihrer Charta im Weg. Wir wollen dies an einem der derzeit brennendsten Konfliktherde darlegen.

Der Satz, Trump sei aus dem "Abkommen" über das iranische Atomprogramm - dem Joint Comprehensive Plan of Action - "ausgestiegen", enthält gleich zwei Fehler. Hans Blix, sowohl ehemaliger schwedischer Außenminister als auch Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) schafft Klarheit (siehe "Blätter für deutsche und internationale Politik", 8/2019, S. 107): China, Frankreich, Deutschland, Rußland, Großbritannien, die USA und Iran haben kein "Abkommen" mit einer Ausstiegsklausel unterzeichnet. Sie haben überhaupt kein Dokument unterzeichnet. Was aber haben sie dann erreicht? Etwas Bedeutenderes! Sie haben nach über zehn Verhandlungsjahren einen detaillierten Aktionsplan ausgearbeitet, der eine substantielle Reduzierung des iranischen Atomprogramms, eine strikte Inspektion durch die IAEO und - nicht zuletzt - die Aufhebung von Wirtschaftssanktionen vorsah. Die von den Vereinten Nationen schon Jahre zuvor verhängten Sanktionen können nicht selbstherrlich nur von diesen am Aktionsplan beteiligten Nationen im Alleingang aufgehoben werden. Deshalb legten die sieben Staaten ihren Plan dem Weltsicherheitsrat mit dem Ziel vor, dieses Gremium möge die Aufhebung der Sanktionen beraten, unterstützen und beschließen. So geschah es. Die dann folgenden Beschlüsse des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen sind für alle UN-Mitglieder bindend und haben folglich Gesetzeskraft. Ein "Ausstieg" war und ist nicht vorgesehen. Allerdings wäre ein entsprechender Umgang mit Beschwerden möglich. Davon haben die USA bis zum heutigen Tag keinen Gebrauch gemacht. Was sie aber getan haben, ist, den Iran völkerrechtswidrig mit einer Flut von Sanktionen zu überziehen. Sagen wir es so: Die USA haben einen Beschluß des UNO-Sicherheitsrats mehr als nur mit den Füßen getreten. Es kam aber noch schlimmer: Sie wollen alle anderen UN-Mitglieder zwingen, sich am Bruch eines Beschlusses des UNO-Sicherheitsrats zu beteiligen, den zu respektieren sie verpflichtet sind. Ungeheuerlich (dies aber nur, wenn man die Ideale der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung im Kopf hat!) ist, daß die USA weltweit allen Firmen Sanktionen androhen, die weiterhin mit dem Iran Handelsbeziehungen aufrechterhalten wollen.

Die am 1. August wirksam gewordene Kündigung des Abkommens über atomare Mittelstreckenraketen (INF) durch Donald Trump ist (vorläufig) trauriger Höhepunkt einer 30jährigen Politik der Sabotage des Völkerrechts und des Vertragsbruchs durch die USA. Obwohl sie eine der Hauptarchitekten der Charta der Vereinten Nationen sind, legen sie es mittlerweile darauf an, dieses Dokument der Völkerverständigung aus dem Weg zu räumen zugunsten einer "regelbasierten" Weltordnung unter ihrer imperialen Führung.

H. Sch.

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Droht ein atomarer Schlagabtausch zwischen Pakistan, Indien und China?

Neue Stufe der Eskalation im Kaschmir-Konflikt

Die indische Regierung hat die Sonderrechte des Bundesstaates Jammu und Kaschmir außer Kraft gesetzt. Am 5. August verkündete Amit Shah, Innenminister der rechtskonservativen nationalistischen Regierungspartei "Bharatiya Janata Party" (BJP), im Parlament, der Verfassungsartikel 370, der den Status des indischen Teils der Himalaja-Region regelt, sei aufgehoben.

Dieser Artikel gab der Zentralregierung in Neu-Delhi die Hoheit über die Außenpolitik und die Verteidigung, garantierte Kaschmir jedoch eine eigene Verfassung und weitreichende Selbständigkeit. Dieses schützte zum Beispiel die exklusiven Rechte der Kaschmiris am Grundeigentum. Diese Sonderrechte sind nun aufgehoben, so daß Siedler aus anderen Regionen Indiens dort jetzt ebenfalls Land kaufen können. Das sehen viele Kaschmiris als ersten Schritt, die ethnographischen Verhältnisse in dem Bundesstaat zugunsten einer hinduistischen Mehrheit zu verändern. Der indische Premierminister Narendra Modi fordert sogar die VR China zur Rückgabe von Aksai Chin auf.

Um die Lage unter Kontrolle zu halten, hatte die Zentralregierung in Neu-Delhi schon am 4. August die politische Führung der Provinz, darunter die zwei ehemaligen Ministerpräsidenten Omar Abdullah und Mehbooba Mufti, unter Hausarrest gestellt und alle Kommunikat ionskanäle von und nach Kaschmir blockiert. Kaschmir ist der einzige indische Bundesstaat mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, und sein Sonderstatus steht der BJP-Vision eines hinduistischen Indiens im Weg. Beobachter vor Ort warnen vor einer schrecklichen Eskalation der Gewalt. Narendra Modi dürfte doch bewußt sein, daß die Aufhebung der Autonomie tatsächlich die gesamte Region in und um Kaschmir stark destabilisieren wird. Deswegen hat er zur dort bereits bestehenden Truppenstärke von 500.000 Soldaten weitere 8000 stationiert.

Diese Maßnahmen aus Neu-Delhi sind eine Steilvorlage für die Radikalen in Kaschmir wie in Pakistan, den bewaffneten Kampf mit Unterstützung der Regierung und des Geheimdienstes aus Islamabad zu intensivieren. Darüber hinaus verschärfen sie die Spannungen zwischen Indien und Pakistan weiter. Sucht Indien nun tatsächlich eine endgültige Entscheidung um den Status Kaschmirs? Das wäre brandgefährlich. Schließlich stehen sich mit Pakistan und Indien zwei Atommächte gegenüber. Die pakistanische Regierung hat den indischen Botschafter des Landes verwiesen, jedoch angekündigt, den Konflikt nicht militärisch, sondern diplomatisch lösen zu wollen. Der pakistanische Ministerpräsident Imran Khan hat US-Präsident Donald Trump um Vermittlung gebeten. Dieser hatte signalisiert, in eben dieser Funktion tätig werden zu wollen. Ob gerade Trump der geeignete Mann ist, um zu vermitteln, muß dahingestellt bleiben.

Zum ersten Mal seit 1972 berät der UN-Sicherheitsrat über den Kaschmir-Konflikt. Chinas UN-Botschafter beantragte das Treffen des Sicherheitsrates, nachdem Pakistan das UN-Gremium um eine Sitzung gebeten hatte. Die chinesische Regierung gab Indien die Schuld an den neu aufgeflammten Spannungen in der Kaschmir-Region und kritisierte deutlich die Regierung in Neu-Delhi. "Was betont werden sollte, ist, daß Indiens Handlungen auch Chinas Souveränität (bezüglich Aksai Chin) in Frage gestellt und ein bilaterales Abkommen verletzt haben", sagte der chinesische UN-Botschafter Zhang Jun am 16. August nach einer Sitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in New York, die hinter verschlossenen Türen stattfand. Solche einseitigen Handlungen von seiten Indiens seien nicht zulässig, betonte Zhang Jun weiter. Der Frieden und die Stabilität in der Grenzregion seien gefährdet, China sei über die Entwicklung "ernsthaft besorgt". Vor allem Pakistan und Indien sollten gemeinsam eine friedliche Einigung bezüglich ihrer Spannungen finden.

Im indischen Teil der umstrittenen Region hat es am 16. August Zusammenstöße Hunderter Demonstranten mit der Polizei gegeben. Pakistans Regierungschef Imran Khan telefonierte mit US-Präsident Donald Trump über diese Situation. Es wäre ein "gutes Gespräch" gewesen, und beide hätten entschieden, "in ständigem Kontakt zu bleiben", sagte der pakistanische Außenminister Shah Mehmood Qureshi.

Inzwischen ist es an der Grenze mehrfach zu Schießereien gekommen, bei denen sowohl pakistanische als auch indische Soldaten ums Leben gekommen sind, berichteten die Presseagenturen AFP und dpa übereinstimmend.

Vorschläge für eine politische Lösung des Konflikts

Zunächst müssen alle am Konflikt beteiligten Parteien ohne Vorbedingungen zu Verhandlungen bereit sein. Auf der Tagesordnung sollten folgende Punkte stehen:

  1. Die völlige Demilitarisierung ganz Kaschmirs, d. h. des von der VR China und des von Pakistan besetzten sowie des von Indien regierten, aber von Pakistan beanspruchten Teils als Voraussetzung für eine mögliche Lösung des Konflikts.
  2. Es muß sichergestellt werden, daß alle Beteiligten absolute Zurückhaltung bezüglich Kaschmirs an den Tag legen und keine weiteren Versuche unternehmen, die Situation in Kaschmir zu ihren Gunsten zu verändern.
  3. Vertrauensbildende Maßnahmen, wie Gefangenenaustausch, Reiseerleichterungen (z. B. Aufhebung der Visapflicht) für alle Kaschmiris, wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit, gemeinsame Radio- und Fernsehsendungen usw., sollten vereinbart und durchgeführt werden. Vordringlich muß auch die Lösung der enormen sozialen Probleme, die nicht zuletzt durch den Konflikt verursacht worden sind, ernsthaft in Angriff genommen werden.
    In weiteren Verhandlungen sollte es um die Wiedervereinigung der getrennten Teile Kaschmirs gehen, eingeschlossen die Rückgabe des von der VR China besetzten Gebietes, um eine Autonomie für ganz Kaschmir zunächst im Rahmen der Verfassung der Republik Indien zu vereinbaren. Am Ende sollte in einem angemessenen Zeitraum ein Referendum unter internationaler Aufsicht über die Selbstbestimmung Kaschmirs stattfinden. Ein Referendum am Anfang dieses ganzen Prozesses in einem von islamischen Fundamentalisten jahrelang vergifteten Klima würde hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Separierung Kaschmirs von Indien unter der Führung dieser Islamisten zur Folge haben, zweifelsohne unter starker Abhängigkeit von Pakistan. Dies würde keinesfalls zum Frieden in Kaschmir und auf dem indischen Subkontinent beitragen. Im Gegenteil, Pakistan würde sich gegenüber Indien in einer Position der Stärke befinden, was Gefahren in sich birgt und eine mögliche dauerhafte Lösung des Konfliktes eher erschweren würde. Daher muß von solchen verfrühten Maßnahmen dringend abgeraten werden.
  4. Wenn es zur Zeit auch unrealistisch erscheinen mag, sollte doch im Ergebnis der vertrauensbildenden Maßnahmen langfristig auf eine Union zwischen Afghanistan, Indien und Pakistan hingearbeitet werden. Denn alle drei Länder haben eine zumindest seit der Mogulherrschaft gemeinsame Geschichte, Kultur und zum Teil auch Religion. Eine solche Union könnte sowohl den afghanisch-pakistanischen Grenzkonflikt im Stammesgebiet (Duran-Vertrag von 1893 zwischen Britisch-Indien und Afghanistan) sowie den Kaschmir-Konflikt auf einen Schlag lösen und die Region für längere Zeit stabilisieren.

Vermittler in einem Verhandlungsszenario, in Punkt 1 bis 3 dargelegt, wären m. E. am besten die blockfreien Staaten und die Konferenz der islamischen Staaten, die als relativ neutrale Akteure von beiden Seiten akzeptiert würden.

Der Ruf der kaschmirischen Völkerschaften nach Frieden ist unüberhörbar. Deren Freude über eine erneute faktische Grenzöffnung zwischen Indien und Pakistan am 21. Oktober 2008 war überwältigend. Es ist an der Zeit, diesem Wunsch endlich zu entsprechen.

Dr. Matin Baraki

Unser Autor ist Mitglied des Zentrums für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg.

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Europa - ein atomarer Schauplatz?

Benjamin Disraeli, englischer Staatsmann aus dem 19. Jahrhundert, hat einmal gesagt: "Auf der Welt gibt es Lügen, gemeine Lügen und Statistiken." Eine dieser Statistiken besagte seinerzeit, daß der Warschauer Pakt eine mehrfache Überlegenheit bei den konventionellen Waffen besitze, mithin über eine, wie der damalige BRD-"Verteidigungs"minister Wörner in den 70er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts behauptete, bedrohliche Interventionsfähigkeit verfüge. Das war zwar schon allein vom rein militärischen Standpunkt aus blanker Unfug, weil es zum kleinen Strategie-Einmaleins gehört, daß ein Angreifer dem Verteidiger mindestens um das Dreifache überlegen sein muß, wenn er aus einer militärischen Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen will. Die imaginierte Überlegenheit der Warschauer-Pakt-Staaten mußte als Rechtfertigung für die Stationierung der Mittelstreckenraketen Pershing II und Cruise Missiles in der BRD und für die Ablehnung des im Spätherbst 1987 zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichneten INF-Vertrags herhalten.

Wer die Vergangenheit nicht kennt, kommt auch mit der Gegenwart nicht zurecht, oder besser: bleibt alten Legenden verhaftet. Wieder einmal wird man nicht müde zu behaupten, daß ein auf Expansion orientiertes Rußland auf dem Sprung steht, Westeuropa anzugreifen. Gerne würden wir den politischen Akteuren den Rat geben, daß sie, wenn sie sich schon wieder die alten Hüte aufsetzen, darauf achten sollten, ihre Ohren frei zu lassen, damit sie in der Lage sind, die Vorschläge und Angebote Rußlands wenigstens akustisch wahrzunehmen. Rußland hat der NATO angeboten, alle Verifikationsmöglichkeiten (Datenübermittlung, Besuche vor Ort, etc,) auszuschöpfen, um das neue Waffensystem auf INF-Vertragstreue zu überprüfen. Kein Interesse. Warum? Weil mit der medial gezüchteten Bedrohungslüge ein Billionen Dollar schweres Rüstungsprogramm gerechtfertigt werden soll. Doch es geht um noch mehr. Erinnern wir uns: Henry Kissinger (Ex-US-Sicherheitsberater) und Richard Nixon (Ex-US-Präsident), wetterten schon wenige Tage nach Unterzeichnung des INF-Vertrags gegen ihn, weil aufgrund eines Gleichgewichts bei den strategischen Waffen die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Europa notwendig gewesen sei, um die Sowjetunion von einem Standort außerhalb der USA bedrohen zu können. Das sah auch Springers "Welt" so: "Pershing II und Cruise Missiles haben die Aufgaben, Moskaus Führung mit dem Einsatz amerikanischer Nuklearmittel von Europa aus mit kriegsentscheidenden Potentialen konfrontieren zu können." Gänzlich ungeniert bekannte die FAZ: "Um primär politisch wirken zu können, benötigt das Bündnis Systeme mit genügender Reichweite, um die Sowjetunion treffen zu können." Wer so redet, hat keine Angst vor militärischen Übergriffen, der schmiedet selbst an solchen. Allen Bedrohungsszenarien zum Trotz: Die atomare Erstschlagsoption spielte in allen Planungen der USA seit 1945 eine übergeordnete Rolle. Diesen Planungen hat die Trump-Administration nun den INF-Vertrag geopfert.

Wer wissen will, warum die Bonner Regierungen (Schmidt/Kohl) die Stationierung von Erstschlagswaffen auf bundesdeutschem Boden gegen die Friedensbewegung so vehement haben durchsetzen wollen, muß auf den "Spiegel", als er noch ein Nachrichtenblatt war, zurückgreifen (Nr. 18/1987): "Die Pershings, mit denen sich die westlichen Gebiete der Sowjetunion unter Feuer nehmen lassen, sind in der NATO allein auf Bundesgebiet stationiert und haben zur Freude der Konservativen die Bundesrepublik in den Rang einer Mittelmacht erster Klasse gehoben.

Wenn die Westdeutschen auch nicht die Hand am Atomdrücker haben, so sicherte ihnen doch die bloße Existenz dieser weittragenden Waffen auf deutschem Boden ein Mitspracherecht in den oberen Etagen des exklusiven Klubs der westlichen Atommächte." Davon träumen offenbar auch gegenwärtige politische Akteure, wenn sie von neuer Macht und neuer Verantwortung schwadronieren. Verantwortung für die Menschen, die in einem auf dem europäischen Kontinent ausgetragenen atomaren Nahkampf geopfert werden?

Es war Kurt Schumacher, erster SPD-Vorsitzender nach 1945, der in einem Gespräch mit dem kommunistischen Philosophen Robert Steigerwald die Ängste der Menschen vor einem Dritten Weltkrieg zu beschwichtigen versuchte - mit dem Argument, daß wir, die Deutschen, diesmal gewinnen würden, weil "wir" an der Seite der Amerikaner stünden. Der Griff nach der Weltmacht in der Hinterhand war nie wirklich vom Tisch, ebensowenig wie der Griff nach der Atommacht. Daß sich die europäischen Mitglieder der NATO geschlossen hinter den US-Präsidenten gestellt haben, ist nicht als Beweis der Sympathie für den Autokraten, wohl aber als Signal für die erstrebte Weltgeltung in eigener Sache zu verstehen.

Hans Schoenefeldt

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Gedanken im Herbst

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Text wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Alles wahre Demokratie, oder was?

Im neugewählten Europäischen Parlament gab es drei bemerkenswerte Eklats. Die Katalanen Carles Puigdemont, sein Parteikollege Antonio Comín und ein dritter Katalane (befindet sich z. Z. in Spanien in Haft) waren Ende Mai demokratisch ins EU-Parlament gewählt worden. Sie konnten jedoch ihre Abgeordnetenplätze in Straßburg nicht einnehmen. Das spanische EU-Wahlrecht verlangt nämlich von jedem gewählten spanischen Abgeordneten, einen Schwur auf die Verfassung abzulegen. Da gegen die beiden katalanischen Gewählten Puigdemont und Comín in Spanien ein Verfahren wegen Aufruhr droht, konnten die im Exil Lebenden keinen Eid ablegen. Auf Betreiben der spanischen Regierung werden ihnen ihre Sitze im EU-Parlament verweigert. Nur einen Tag vor der konstituierenden Sitzung des EU-Parlaments in Straßburg wies das Gericht der Europäischen Union im Eilverfahren eine Klage der beiden Katalanen ab. "Laut dem EU-Gerichtspräsidenten könne das Europaparlament nicht nachprüfen, ob Abgeordnete einen legitimen Anspruch auf ihr Mandat haben, wenn sie nicht in der nationalen Liste erwähnt sind." ("Zeit Online", 1. Juli 2019) Ist das nicht wahre Demokratie?

Zu Beginn der konstituierenden Sitzung (2. Juli 2019) haben Hunderte Menschen vor dem EU-Parlament dafür demonstriert, daß die katalanischen Abgeordneten ihre Mandate antreten können. Die angereisten Demonstranten standen auf zwei Zugangsbrücken zum Parlamentsgebäude in Strasbourg. Sie schwenkten Fahnen und Losungen. "Selbstbestimmung ist kein Verbrechen" war auf einem Banner zu lesen. Nach Polizeiangaben sollen 10.000 Demonstranten aus Spanien/Katalonien an dem Protest teilgenommen haben.

Den zweiten Eklat bei der Parlamentseröffnung provozierten britische EU-Parlamentsmitglieder. Abgeordnete der britischen Brexit-Partei haben sich demonstrativ umgedreht, als die "Ode an die Freude" aus dem letzten Satz der neunten Sinfonie Ludwig van Beethovens (vermeintliche Europahymne) zu Beginn der konstituierenden Sitzung des EU-Parlaments intoniert wurde. Die Briten demonstrierten deutlich ihre ablehnende Haltung zur EU.

Den Posten des EU-Parlamentspräsidenten erhielt David-Maria Sassoli (63) von der italienischen sozialdemokratischen PD (Partito Democratico) im zweiten Wahlgang mit 345 von 667 gültigen Stimmen für zweieinhalb Jahre. Der deutsche Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) für irgendeinen EU-Posten, Manfred Weber (CSU), hatte keine Chance. Vielleicht erhält er den gutdotierten Job in zweieinhalb Jahren.

Auf dem G20-Treffen in Osaka heckten Merkel und Macron einen Plan aus, wie der Posten des EU-Kommissionspräsidenten besetzt werden könne. Spitzenkandidat Weber flog aus dem Rennen. Er hätte im EU-Parlament keine Mehrheit erhalten. Gemeinsam mit Spanien und den Niederlanden einigte man sich auf den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans als Vorschlag zur Besetzung des Postens als Kommissionschef. Die Personalie scheiterte jedoch an den rechten osteuropäischen Staats- und Regierungschefs wegen der Rolle Timmermans bei der Maßregelung osteuropäischer Länder, z. B. Polens und Ungarns.

Der französische Präsident und die deutsche Kanzlerin wollten sich jedoch das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen und präsentierten am 3. Juni 2019 Frau Ursula von der Leyen als Vorschlag für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten. Schließlich sind Frankreich und die BRD die Führungsmächte in der EU.

Die nun ehemalige deutsche Kriegsministerin stand daheim unter ständigem Feuer wegen eines Untersuchungsausschusses zu dubiosen Beraterverträgen, wegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr und finanzieller Engpässe/Fehlentscheidungen. Mit der Personalie Ursula von der Leyen steuerte Frau Merkel den SPD-Koalitionspartner aus. Entsprechend enthielt dieser sich der Stimme im Europäischen Rat bei der Abstimmung über die Kandidatin für den Posten des Kommissionspräsidenten. Frau von der Leyen wurde am 11. Juli 2019 im EU-Parlament durchgewunken. Sie erhielt von 747 Mandaten 383 Stimmen, nur neun Stimmen mehr als erforderlich. Das ist ein mehr als miserables Ergebnis. Eine wirkliche Wahl hatte das Parlament jedoch nicht.

Um der Dame innerhalb von 14 Tagen in den Sattel des Kommissionschefs zu helfen, wurde im Vorfeld ein Stab gegründet, der das Parlament beeinflussen sollte. Dazu bediente man sich aller Methoden der Demokratie wie "Gespräche" mit den Fraktionen, politische Versprechungen, Druckausüben auf Abgeordnete z. B. durch nationale Regierungen oder auch Bestechung (Postenangebote) u. a. m.

Die deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten wurden ja fast schon als vaterlandslose Gesellen dargestellt, weil sie ihre Stimmen von der Leyen nicht geben und am Spitzenkandidatenprinzip festhalten wollten.

Das Postengeschacher ist jedoch umfassender: Donald Tusk gab bekannt, daß der Europäische Rat Christine Lagarde, bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), für die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) und den Spanier Josep Borrell i Fontelles für den Posten des EU-Außenbeauftragten nominierte. Der belgische Ministerpräsident Charles Michel ist als neuer EU-Ratspräsident vorgesehen und löst somit Tusk ab.

Die Juristin Lagarde war als Chefin des IWF im Rahmen der "Troika" sehr stark in die brutale Regelung der Verschuldung Griechenlands involviert. Weniger bekannt ist, daß sie in einem Betrugsskandal als Ministerin unter dem früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy verwickelt war. Sie schanzte Bernard Tapie, Adidas-Haupteigentümer und Spezi von Sarkozy, in einem der größten Justiz- und Betrugsskandale der vergangenen Jahrzehnte 403 Mio. Euro aus der Staatskasse zu. Unter dem Sozialdemokraten Präsident Hollande mußte Tapie diesen Betrag nach 2012 zurückzahlen. Lagarde wurde Ende 2016 als politisch Verantwortliche vor Gericht der "Fahrlässigkeit" im Umgang mit öffentlichen Finanzen schuldig gesprochen. Die Euro-Finanzminister nominierten sie trotzdem als EZB-Präsidentin. Zu ihren herausragenden "Fähigkeiten" zählt übrigens auch, daß sie nie eine nationale Zentralbank von innen "gesehen" hat.

Nach der EU-Parlamentswahl 2019 wurde Josep Borrell i Fontelles (72 Jahre) Anfang Juli 2019 vom Europäischen Rat für die Position des EU-Außenbeauftragten nominiert. Um das Amt zu bekommen, muß er vom Europäischen Parlament noch bestätigt werden. Er ist ebenfalls ein typischer Berufspolitiker. Karriere machte er im spanischen Staatsapparat und wurde 1991 Minister für Infrastruktur, Transport und Umwelt und ist ab 2018 spanischer Außenminister. 2004 wurde er ins EU-Parlament gewählt und war sogar dessen Präsident. Januar 2010 wurde Borrell Präsident des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz.

Da er "vergessen" hatte, 300.000 Euro Einnahmen pro Jahr als Aufsichtsratsmitglied beim Energiekonzern Abengoa offenzulegen, mußte er zum Ende des akademischen Jahres 2012 das Amt als EHI-Präsident räumen. Bemerkenswert ist auch seine Rolle im Konflikt um die politische Zukunft der Region Katalonien. Der Katalane Borrell engagiert sich auf der Seite jener Kräfte in Spanien, die mehr Freiheiten und Selbstbestimmung für Katalonien verhindern. Dieser Mann soll die europäischen Werte (welche?) nach außen vertreten!

Kommen wir zur vierten Person des Personaltableaus - Charles Michel. Auch er ist ein typischer rechter Politkarrierist. Im Jahre 2014 ist er Premierminister in Belgien geworden. Seit Dezember 2018 regiert er in Belgien mit einer Minderheitsregierung. Er hat sich als unfähig erwiesen, eine ordentliche funktionsfähige Regierung zu bilden. Dieser Mann soll ab 1. Dezember den Posten des Ratspräsidenten übernehmen und hochkomplexe Probleme, divergierende Interessen der EU-Staaten und den Führungsanspruch der EU in Europa und in der Welt koordinieren. Sicher ist jedoch: Er und von der Leyen kennen sich von den Bilderberg-Konferenzen 2015 und 2016. Bei der jährlich tagenden Bilderberg-Konferenz handelt es sich um ein informelles Treffen von einflußreichen Personen aus Wirtschaft, Politik, Militär, Medien, Hochschulen, Hochadel und Geheimdiensten. Auf diesen geheimen Treffen stimmt die vermeintliche Weltelite ihre Standpunkte zur Politik und zu Strategien für die Sicherung und Durchsetzung der kapitalistischen Weltherrschaft ab.

Für den dritten Eklat im EU-Parlament sorgte der deutsche EU-Abgeordnete Martin Sonneborn (Die Partei) am Wahltag der neuen Kommissionspräsidentin mit viel Spott. Sonneborn freute sich darüber, daß er nicht mehr der unseriöseste Vertreter der Europäischen Demokratie ist. Er bezeichnete das "Personaltableau" des EU-Rates als Parade von Inkompetenz und moralischer Wurstigkeit.

Abschließend bleibt nur noch festzustellen, daß nach den "demokratischen" Wahlen zum EU-Parlament 2019 die Europäische Union sich als das entlarvte, was sie ist: ein undemokratischer imperialistischer Zusammenschluß von europäischen Staaten mit supranationalem Charakter und einer Fassadendemokratie. Die wesentlichen Organe der EU werden nicht durch die Völker der Mitgliedstaaten demokratisch gewählt oder kontrolliert. Die Gesamtkonstruktion wird beherrscht durch die großen Führungsmächte BRD und Frankreich. Das Großkapital, die Monopole, bestimmen die wirtschaftliche, politische und militärische Entwicklung auch über die Postenbesetzung in den einzelnen Strukturen der EU.

Dr. Ulrich Sommerfeld

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Nachdenken über Planwirtschaft und Marktwirtschaft

In der OXI-Ausgabe Nr. 4/19 des ND fragt Erika Maier in ihrem Beitrag: "War die DDR marode?" Es wurde mit konkreten Fakten nachgewiesen, daß dieses planwirtschaftliche Modell trotz widriger Bedingungen beachtenswerte wirtschaftliche Ergebnisse vorzuweisen hatte. Aber nicht nur die Startbedingungen haben uns das Leben so unerhört schwer gemacht. Mit dem uns aufgezwungenen Wettrüsten, dem fast flächendeckenden Embargo, den Handelsbeschränkungen usw. hat der Gegner versucht, uns in die Knie zu zwingen. Alle diese bekannten Fakten werden aber oft in aktuellen Diskussionen, auch bei linken Experten, einfach unterschlagen und Probleme, die es natürlich gab, allein der Planwirtschaft und dem Volkseigentum zugeschoben.

Deshalb unterstütze ich die Feststellung der Autorin, daß die DDR-Wirtschaft allen Bürgern eine hohe soziale Sicherheit gab und insgesamt in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Leistungen hervorgebracht hatte, an welche die reiche BRD bis heute oft nicht heranreicht.

Es greift aber zu kurz nur zu konstatieren, daß es bei uns auch gute Seiten gegeben hätte, die man in ein Plus-Minus-Saldo einrechnen sollte.

Als entscheidend betrachte ich, daß ein qualitativ grundsätzlicher, man kann sagen, epochaler Unterschied zwischen den beiden Wirtschaftsmodellen, dem kapitalistischem Marktwirtschaftssystem und der Planwirtschaft im Sozialismus, besteht. Diese beiden Modelle unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihrer Zielsetzung. Die kapitalistische Marktwirtschaft ordnet ihr ganzes Handeln der Erzielung maximalen Profits unter, und der Bedarf ist nur Mittel zu diesem Zweck (wobei der Bedarf hier auch nur insoweit zählt, wie er auch ausreichend zahlungsfähig ist).

In unserer Planwirtschaft standen vor allem die Befriedigung der grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen überhaupt im Mittelpunkt: Arbeit, Wohnen, Umweltschutz, Friedenserhalt, Zukunftssicherheit aller Menschen, Menschenwürde.

Natürlich konnten wir diesen Erfordernissen nicht "auf Anhieb" vollumfänglich gerecht werden.

Dazu waren einerseits die - wie oben angedeutet - äußeren Bedingungen viel zu schwierig, andererseits hatte unser praktiziertes Planmodell zu viele Unzulänglichkeiten. (Das besagt aber auch, daß wir die Möglichkeiten eines solchen Wirtschaftssystems noch lange nicht ausgeschöpft haben.)

Aber die nachweisbaren Erfolge berechtigen zu der Aussage, daß wir bewiesen haben, daß ein besseres, sozialeres, gerechteres Wirtschaftsmodell möglich ist. Wir haben Probleme gelöst, an denen sich die "freiheitlich-demokratische Ordnung", die "soziale Marktwirtschaft" seit ihrem Bestehen die Zähne ausbeißt oder die sie einfach nur als unabwendbar hinnimmt.

Ich verweise nur auf permanente Arbeitslosigkeit, Kinder- und Altersarmut, Zukunftsängste usw.; aber auch auf Betrugsskandale, Steuerhinterziehung, Korruption, Lobbyismus, Medienmanipulation und anderes mehr. Das waren für uns praktisch Dinge aus einer fremden Welt. Natürlich sind auch wir nicht völlig problemlos geblieben. Die Frage ist nur: Waren diese Probleme zwangsläufig, also unabwendbar mit dem planwirtschaftlichen System verbunden oder einfach nur vermeidbare Unzulänglichkeiten in der konkreten Umsetzung, Unzulänglichkeiten und Fehlentscheidungen also, wie sie auch in der heutigen Unternehmenswelt tagtäglich auftreten, ohne daß deswegen je die Systemfrage gestellt worden ist?

Im Gegensatz zu unseren Defiziten sind die Gebrechen der heutigen kapitalistischen Welt systembedingt, also im Rahmen dieses Systems nicht lösbar, bestenfalls kann man ihre Auswirkungen etwas glätten, aber nicht aufheben.

Eine Formulierung im Programm der Linkspartei heißt "... aufgrund bitterer historischer Erfahrungen ..." Damit sind aber nicht etwa die jahrtausendelangen Erfahrungen mit Privateigentum gemeint, sondern die rund 40 Jahre Planwirtschaft und Volkseigentum, was die Partei Die Linke veranlaßt zu verkünden, daß dies "unser Ziel" nicht sein könne.

Die Geschichte beweist anderes. Denn dieses Privateigentum ist es - ob zunächst nur Grund und Boden, dann ganze Länder, Bodenschätze, Naturreichtümer, auch Menschen von Leibeigenen und Sklaven bis zu "abhängig" Beschäftigten (nämlich abhängig von Privateigentümern der Produktionsmittel), Produktions-, Handels-, Kommunikationsmittel, Medien und so weiter bis hin zu riesigen Kapitalvermögen, Banken, Versicherungen, Hedgefonds -, das ursächlich verbunden ist mit Ausbeutung, Unterdrückung, Versklavung, Vertreibung und gar Vernichtung ganzer Völkerschaften, Spaltung der Bevölkerung in Arm und Reich, Raubbau an der Natur, sozialen Spannungen und Konflikten bis hin zu blutigen Auseinandersetzungen und Kriegen.

D a s ist das Wesen des Privateigentums! Alle diese Probleme lassen sich direkt oder indirekt auf Wirtschaftssysteme zurückführen, die auf privatem Eigentum an Produktionsmitteln und Kapital allgemein basieren.

Ein anderes Wirtschaften ist selbst bei bestem Willen der einzelnen Marktakteure nicht möglich. Denn das auf Privateigentum beruhende Wirtschaftssystem ist durch einen nicht aufhebbaren Widerspruch charakterisiert: Alle Entscheidungen und Handlungen sind dem Profitstreben und dem Konkurrenzkampf der Einzelkapitale untergeordnet, bei dem die wirklich wichtigen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernisse weitgehend unberücksichtigt bleiben.

Wer sich erst einmal in die Fänge des Privateigentums hineinbegeben hat, kann sich daraus nicht selbst wieder befreien, er ist gefangen in dem selbstgewählten Weg des ständigen Dranges nach Maximalprofit und des Zwanges, sich im Konkurrenzkampf zu behaupten. Und alles, was diesen Drängen und Zwängen im Wege ist, was also keinen oder nicht genügenden Profit abwirft, wird ignoriert und sabotiert, und es wird ihm höchstens auf äußeren Druck entsprochen.

Im System der kapitalistischen Marktwirtschaft haben solche für die Existenz der Menschheit notwendigen Erfordernisse wie Klima- und Naturschutz, soziale Gerechtigkeit, Friedenssicherung keinen systemeigenen Platz. Diesen Erfordernissen kann bestenfalls durch gesellschaftliche Kräfte, Gewerkschaften, Massenbewegungen, politische und staatliche Entscheidungen entsprochen werden, sie können aber den Widerspruch insgesamt nicht aufheben. Zumal dann, wenn bei den politisch herrschenden Kräften neoliberale Auffassungen dominieren, nach denen (angeblich) der Markt alles richten würde und sich der Staat möglichst nicht einmischen dürfe. Und ich befürchte, daß auch bei "linken" Vordenkern solche Auffassungen verwurzelt sind.

Und wenn darauf verwiesen wird, daß im Laufe der Zeit durchaus auch gesellschaftliche, zivilisatorische Fortschritte erreicht worden sind und auch das Lebensniveau der einkommensschwächeren Menschen deutlich höher ist als vielleicht noch vor hundert Jahren, so jedenfalls nicht wegen, sondern trotz des Kapitalismus. Diese Fortschritte hat der Kapitalismus nicht aus seinem inneren Trieb heraus den Menschen angedeihen lassen, nein, es mußte ihm in harten Kämpfen abgetrotzt werden.

Dieser Widerspruch ist letztlich nur lösbar durch Aufhebung der Spaltung der Gesellschaft in Besitzende und Besitzlose. Das lehrt die bittere historische Erfahrung, und zwar seit weit mehr als einem Jahrtausend.

Die Leistungsfähigkeit und Qualität eines Wirtschaftssystems ist nicht daran zu messen, was das kapitalistische System an sich selbst als Maßstab anlegt, nämlich Wachstum, Effektivität, Kreativität, unternehmerische Freiheiten usw., sondern vielmehr daran, was es mit dem gegebenem Potential für alle seine Bürger zu leisten imstande ist.

Das ist nicht nur eine allgemein theoretische Überlegung, das waren auch Erkenntnisse, die dem Wesen der marxistischen Lehren entsprechen und dem Grundkonzept des praktizierten planwirtschaftlichen Modells in der DDR entsprachen.

Wir haben unsere Wirtschaftspolitik den grundlegenden Anforderungen nach Wohlergehen aller Menschen, der Sicherung des Friedens, der Bewahrung der Natur usw. untergeordnet und uns frei gemacht von der Diktatur privater Kapitaleigentümer. Daß wir dabei nicht immer die glücklichste Hand hatten, ist nicht abzustreiten. Dennoch bleibt wahr, daß wir die Gebrechen des Kapitalismus überwinden und ein hohes Maß an Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit erreichen konnten.

Die entscheidenden Grundpfeiler eines künftigen Modells sind Planwirtschaft im Sinne von bewußtem, vorausschauendem Durchdenken aller wirtschaftlichen Prozesse und vergesellschaftetes Eigentum, also die Verfügungsmacht über die wirtschaftlichen Potentiale der Gesellschaft als unabdingbare Voraussetzung dafür, daß die getroffenen Entscheidungen auch tatsächlich realisiert werden können.

Zugleich geht es darum, einen entscheidenden Schwachpunkt unserer praktizierten Plan- und Leitungsmethoden, die Unterschätzung der marktwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten, die über Wertkategorien wie Preis Kosten, Gewinn usw. vermittelt werden, zu überwinden.

Das ist mein Denkansatz für ein künftiges "Neues Ökonomisches System", das in der Tat Parallelen zum damaligen NÖS der DDR aufweist, aber in nicht unwesentlichen Fragen auch neue Vorschläge beinhaltet. Ich nenne es marktgestützte Planwirtschaft.

Mir geht es darum, die Vorzüge, die bereits in unserer (unvollkommen) praktizierten Planmethodik ihre Wirksamkeit auf volkswirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene gezeigt haben, mit den Vorzügen einer kontrollierten Marktwirtschaft mit ihrer die Effektivität, Bedarfsgerechtheit und Stabilität fördernden Wirkung zu verbinden.

Eine kritische, aber auch konstruktive Auseinandersetzung mit unseren Erfahrungen ebnet den Weg zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstrategie.

Dr. Peter Elz
Königs Wusterhausen

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Ketzer, Geld und Verschwörungen

Am 6. Juli 1415 wurde ein "Ketzer" auf Beschluß des Konstanzer Konzils auf dem Scheiterhaufen verbrannt: der tschechische Reformator und Nationalheld Jan Hus (1370 - 1415).

Er stand auf der Seite der von katholischer Kirche und dem Adel geknechteten und ausgebeuteten Bauern und Handwerker. In seinem 1413 verfaßten Werk "De Ecclesia" (Über die Kirche) übernahm er die Thesen des englischen Theologen John Wyclif (1330-1384), der schon 150 Jahre vor Martin Luther als "Dr. Evangelicus" die Abschaffung des widernatürlichen Zölibats, der Ohrenbeichte, der Heiligenverehrung und des Papsttums gefordert hatte. Wyclif und seine Anhänger, die Lollarden, wurden unerbittlich verfolgt.

Jan Hus hatte erkannt, daß dieses parasitäre System abgeschafft werden mußte, da die Mächtigen aus Kirche und Adel die Völker immer wieder in neue Kriege treiben würden. Er verlangte die Säkularisierung des gesamten Kirchenbesitzes und das Verbot der Ausübung militärischer Gewalt durch die Kirche - ein Angriff auf die Grundfesten der Kirche und damit auch auf das Schmarotzertum des Adels. Mit dem Versprechen des freien Abzuges lockte Papst Gregor XII. Hus nach Konstanz. Nach der Weigerung des Widerrufes seiner Thesen und Forderungen verurteilte man ihn zum Tode und verbrannte ihn.

Oder erinnern wir uns an einen anderen Mann, der schon früh den Kampf gegen Papsttum, Obrigkeitsdenken, Unterdrückung und Ausbeutung der Bauern durch den Adel aufgenommen hatte. Es war der radikale Sozialrevolutionär Thomas Müntzer (1489-1525). Als Agitator und einer der Anführer der thüringischen Bauernaufstände hielt er am 13. Juli 1524 in Allstedt seine "Fürstenrede". Seine Anklage richtete sich gegen die vom Papsttum beherrschte Obrigkeit und die durch die Macht geprägte weltliche Ordnung. Und anders als Luther stand er für die gewaltsame Befreiung der Bauern. In seiner Rede forderte er die Abschaffung aller Privilegien für Kirche und Adel, Auflösung aller Klöster, Unterkünfte für Obdachlose und eine permanente Armenspeisung.

Sein Todesurteil! Der Versuch, die Bauernheere zu vereinigen, um gegen die Söldner von Kirche und Adel zu kämpfen, wurde durch Verrat, Erpressung, Lüge und Geldzahlungen an einige Freibauern als Strategie der Macht verhindert. Nach der Schlacht bei Frankenhausen wurde er am 15. Mai 1525 gefangengenommen, enthauptet, seine Gebeine wurden verbrannt und der Kopf auf eine Pike gesteckt. Die in die Stadt geflüchteten Bauern wurden allesamt von den Söldnern erschlagen.

Sein Andenken und sein Kampf gegen die Feudalherrschaft wurden in der DDR geehrt. Seine Geburtsstadt und der Ort seines Todes (Stolberg und Mühlhausen) erhielten den Zusatz "Thomas-Müntzer-Stadt" so wie in der BRD Eisleben und Wittenberg den Zusatz "Martin-Luther-Stadt" tragen. Nach der "Wende" wurde diese Ehrung auf Betreiben der CDU unter Helmut Kohl gestrichen.

Zu erinnern ist ebenso an den 13. Juli 1949. Dieser Tag verbindet sich mit einer der schmutzigsten Machenschaften der katholischen Kirche unter dem Pontifikat Pius XII. In Italien ging ein Gespenst um, das Gespenst des Kommunismus. Und das Gespenst drohte, Realität zu werden. Unter der Führung von Palmiro Togliatti (1893-1964) war die Kommunistische Partei Italiens zur zweitstärksten Partei in Italien und zur stärksten nichtregierenden kommunistischen Partei Europas erwachsen. Von 1944 bis 1945 als stellvertretender Ministerpräsident an einer bürgerlichen Regierung beteiligt, strebte er mit den Sozialisten eine Volksfront an, um auf parlamentarischem Weg Staat und Gesellschaft zu revolutionieren. Und eine Übernahme nach der Wahl schien möglich!

Bei der Democracia Cristiana unter de Gasperi brach Panik aus. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wandte man sich an die USA, die Hüterin des Kapitalismus. Präsident Truman reagierte sofort, bewilligte 8,4 Millionen US-Dollar und beauftragte die CIA, die Sache zu "regeln".

Deren Agenten setzten die in die USA eingewanderten Italiener unter Druck, ihre Verwandten in Italien "aufzuklären", warum sie auf keinen Fall die KPI wählen durften, denn dann würde die Welt untergehen. Hunderttausende von Briefen erreichten die "armen" Verwandten mit den Aufforderungen, "christlich" zu wählen. Um sicherzugehen, daß keiner aus der Reihe tanzt, wurde Papst Pius XII. an die Spitze des Kreuzzuges gegen die kommunistische "Bedrohung" gestellt.

Der Papst, der durch die von Pius IX. beim 1. Vatikanischen Konzil erklärte Unfehlbarkeit die absolute "Wahrheit" verkörperte, verkündete am 13. Juli 1949 das am 1. Juli 1949 erlassene Dekret des heiligen Offiziums gegen den Kommunismus: Wer einer kommunistischen Partei beitritt, den Kommunismus fördert oder unterstützt, kommunistische Publikationen schreibt, druckt, herausgibt oder liest, wird exkommuniziert.

Für einen Katholiken in Italien, ob Mann, Frau oder Kind, die geistige Todesstrafe.

Die von der Mafia infiltrierte DC siegte. Die stärksten Waffen des Kapitalismus, Geld und Verschwörungen, haben der Wahrheit keinen Platz gelassen.

Joachim Augustin

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WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG
Oktober 1935 - Brüsseler Konferenz der KPD

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Der rechte Rand reicht bis in die Mitte

Die klare Positionierung für die kommunale Aufnahme von Geflüchteten im Jahr 2015 hat den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke das Leben gekostet: Er wurde am 2. Juni durch einen Kopfschuß ermordet. Oft wird darauf hingewiesen, dies sei der erste rechte Mord an einem Politiker nach 1945. Als Mensch ist Walter Lübcke allerdings einer von mindestens 170 Personen, die laut einer Studie des "Tagesspiegels" bundesweit seit 1990 durch rechte Gewalttaten ums Leben gekommen sind. Ein Mann aus Eritrea überlebte einige Wochen später den rassistischen Mordversuch eines rechten Attentäters im hessischen Wächtersbach nur knapp. Auch hier wurde von einer Schußwaffe Gebrauch gemacht.

Der Rechtsextremismus müsse in seinen Anfängen bekämpft werden, forderte Angela Merkel kürzlich auf dem Evangelischen Kirchentag in Dortmund nach dem gewaltsamen Tod ihres Parteikollegen. Dazu müßte die Uhr allerdings um Jahrzehnte zurückgedreht werden. Bereits die rassistischen Anschläge und Pogrome zu Anfang der 90er Jahre in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen und anderswo wurden von der "Das Boot ist voll"-Rhetorik der damaligen Bundesregierung begleitet, wenn nicht gar mitproduziert. Im Anschluß wurden die Täter mit der faktischen Abschaffung des ausnahmelosen Grundrechts auf Asyl 1993 quasi belohnt. Heute wird die politische Verantwortung für das menschenverachtende, ideologische Klima, das den Mord an Walter Lübcke zweifelsohne begünstigte, allein auf die rassistische und islamophobe Demagogie der AfD abgewälzt, während in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern die ersten Politiker der CDU auf kommunaler Ebene eine Zusammenarbeit mit den völkischen Nationalisten eingehen. Gleichzeitig macht die große Koalition aus CDU/CSU und SPD mit steten Gesetzesverschärfungen in der Asyl- und Aufenthaltspolitik aus Geflüchteten Straftäter, verschärft und entgrenzt die Abschiebehaft, und Innenminister Horst Seehofer hält entgegen aller Warnungen vor der prekären Sicherheitslage in Afghanistan Abschiebungen dorthin generell für vertretbar.

Die Sicherheitsbehörden nehmen den mutmaßlichen rechtsterroristischen Mord an Walter Lübcke zum Anlaß, den Verfassungsschutz weiter ausbauen zu wollen und erweiterte Befugnisse wie Staatstrojaner, Online-Durchsuchung und den Zugang zu verschlüsselter Messenger-Kommunikation erneut zu legitimieren.

Es waren allerdings nicht zu geringe nachrichtendienstliche Befugnisse, weshalb der Verfassungsschutz den NSU nicht aufdeckte: Dies tat der NSU im Jahr 2011 bekanntlich selbst. Trotz intensivem und jahrzehntelangem Einsatz von V-Männern in der rechtsradikalen Szene - nachweislich im Umfeld des NSU - besitzen die Sicherheitsbehörden offensichtlich nur ein sehr oberflächliches Verständnis von den Strukturen und Arbeitsweisen der extrem rechten Netzwerke oder verharmlosen sie bewußt. Nach der Selbstenttarnung des NSU tat der Verfassungsschutz sein Bestes, möglichst nichts bis wenig zur Aufklärung beitragen zu müssen. Quellenschutz vor Opferschutz ist das Mantra der Behörde. - Während das Netzwerk des NSU weiterhin nicht vollständig aufgeklärt wird, erklärt man den mutmaßlichen Mörder Walter Lübckes vorschnell zum Einzeltäter. Die bis heute angewandte juristische Definition einer "terroristischen Vereinigung" ist zur Erfassung des rechtsterroristischen Konzepts des "führungslosen Widerstandes" allerdings auch ungeeignet - obwohl dort bekanntlich bereits seit den 90er Jahren Gewalttaten durch Einzelpersonen und durch kleine autonome Zellen propagiert werden. Walter Lübcke tauchte bereits auf einer Namensliste des NSU auf. Eine Todesliste mit 25.000 Namen bundesweiter "politischer Gegner" führen auch rechtsterroristische Netzwerke wie "Nordkreuz" und "Revolution Chemnitz" für den "Tag X", an dem diese Personen liquidiert werden sollten, wie seit dem Jahr 2017 bekannt ist. Damals verbreitete der AfD-Politiker Heiner Merz die Daten ebenfalls via Email und forderte zu "phantasievollen Gegenmaßnahmen" auf. Namenslisten werden zudem in Polizeirevieren gesammelt: In Frankfurt am Main erhielten auf den Listen genannte Personen Todesdrohungen, gezeichnet mit dem Pseudonym "NSU 2.0". Der rechte Abgrund reicht also bis in Teile der nur mangelhaft kontrollierten Sicherheitsapparate.

Es ist somit offensichtlich, daß den Sicherheitsbehörden der Kampf gegen rechts nicht überlassen werden darf. Dies ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus müssen wir klar als solche benennen. Diese dürfen nicht als "Fremdenfeindlichkeit" oder gar "Asylkritik" verharmlost werden und menschenverachtende Haltungen und Reden damit nicht länger salonfähig bleiben. Die Betroffenen von rassistischer und rechter Hetze und Gewalt müssen gehört, ernst genommen und geschützt werden.

Britta Rabe

(Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V.)

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Keine Allianz

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Aus der Geschichte lernen!

Achtzig Jahre ist es her, da die deutschen Faschisten mit dem Überfall auf Polen den zweiten Weltkrieg begannen. 1945 endete er dort, wo einst Hitler den Angriffsbefehl gab. Fünfzig Millionen Kriegstote und flächendeckende katastrophale Zerstörungen hat dieser mörderische Feldzug die Menschheit gekostet.

Nun besteht seit siebzig Jahren jener Nachfolgestaat Bundesrepublik Deutschland. Nachfolgestaat deshalb, weil sich ihr erster Bundeskanzler, Konrad Adenauer, beeilte, der Welt mitzuteilen, daß die BRD der Nachfolgestaat dieses faschistischen 3. Reiches sei.

Gegenwärtig erleben wir im ganzen Land Aufmärsche von Neonazis, die sogar mit der Reichskriegsflagge demonstrieren dürfen, begleitet von einem Polizeikordon fast wie eine Ehrenstaffel, damit ihnen ja nichts passiert.

Nur die Antifaschisten, die sich gegen einen solchen Aufmarsch mit einer Sitzblokkade oder einer Gegendemonstration zur Wehr setzen, bekommen den Gummiknüppel, Pfefferspray oder Reizgas zu spüren. Sie werden erkennungsdienstlich behandelt. Im Verfassungsschutzbericht werden dann Antifaschisten als Antifa-Schlägertrupps, als radikale Linksextremisten und lauthals als Gefährdungspotential für den demokratischen Rechtsstaat der Öffentlichkeit vorgeführt.

Den NSU-Trupp hat man nach zehn von ihm begangenen rassistischen Morden aufgespürt und entlarvt, doch Dokumente werden den Ausschüssen in den Länderparlamenten vorenthalten, vorher geschreddert, geschwärzt, oder es werden Seiten aus ihnen entfernt. Vorsorglich werden sie für über hundert Jahre als geheim eingestuft, um der Öffentlichkeit die ganze Wahrheit vorzuenthalten.

Waffenlager werden entdeckt und Messer gewetzt. Eine Oberbürgermeisterin (Henriette Reker) wird lebensgefährlich verletzt, und ein mutiger Regierungspräsident (Walter Lübcke) wird ermordet. Morddrohungen werden an Politiker verschickt, deren Autos angezündet, Reifen zerstochen, Bomben gelegt, oder es werden Gewehrmodelle aus Pappmaché an die Familie eines Politikers geschickt. Da gibt es Drohbriefe, der Absender nennt sich NSU 2.0, und man findet Verbindungen zu einer Polizeidienststelle. Wie tief und wo überall ist dieser Neofaschismus in Deutschland schon verankert? Der Rechtsruck ist bereits in der Entstehung dieses Staates angelegt.

1956 wurden in der BRD die KPD und die ihr freundschaftlich verbundenen Organisationen verboten. Im Urteil heißt es unter anderem: "... diese Partei ist eine Gefahr für unsere demokratische Grundordnung ..." So paßte es, handelte es sich ja um eine antifaschistisch-demokratische Arbeiterpartei. Nach zwölf Jahren Verbot wurde 1968 die DKP gegründet. Bei den Politikern der BRD ging die Angst um, linke Kräfte könnten den Staat in Politik, Justiz und Verwaltung unterwandern. Der Innenminister der BRD und die Minister der Länder trafen sich in Hamburg und erörterten "Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst". So unterzeichnete der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) am 28. Januar 1972 den Radikalenerlaß.

1.400.000 Menschen wurden einer Überprüfung unterzogen. Lokführern, Schornsteinfegern, Briefträgern, Justiz- und Staatsbeamten und besonders Lehrern wurden entsprechende Fragen gestellt. Großen Verdacht erregten schon allein die Teilnahme an Demonstrationen oder Besuche in der DDR. Es ging um die Gesinnung oder darum, ob Begriffe wie "Diktatur des Proletariats" oder "Imperialismus" benutzt wurden. Wer in diese Kategorie eingeordnet werden konnte, erhielt Berufsverbot. Nach Abschluß der Überprüfungen kam an die Öffentlichkeit, daß diesem "radikalen Aufräumen" gegen links nahezu 300.000 Bundesbürger zum Opfer fielen; etwa 30.000 der vom Radikalenerlaß Betroffenen verloren ihre Pensionsansprüche. Gegen links wurde brachial und radikal aufgeräumt und so der bürgerlich-freiheitlich-demokratischen Grundordnung eine feste Burg gebaut. Man sparte schon vorher nicht mit Schußmunition. Philipp Müller und Benno Ohnesorg waren die ersten, die für diese "demokratischen Grundordnung" sterben mußten.

Diametral entgegengesetzt war die Haltung der bundesdeutschen Politik gegen rechts. Zweimal wurde ein Antrag zum Verbot der neofaschistischen NPD gestellt, und zweimal wurden diese Anträge mit der Begründung abgelehnt: "... unsere bürgerlich-demokratische Grundordnung muß eine solche Partei aushalten ..." Und da wundert man sich, daß in der BRD neofaschistische Parteien und Organisationen wie Pilze aus dem Boden schießen und ein faschistisches Szenario dem anderen folgt?

Diese Faschisierung hat nun mittlerweile nahezu ganz Europa erreicht. Auch die AfD entstand aus diesem Sumpf. Wie lange wird es dauern, bis CDU und AfD eine Koalition eingehen - auch wenn das heute noch vehement ausgeschlossen wird? Dann würde wohl auch von Staats wegen ganz offiziell der Rechtsruck vollzogen.

Wer kann sagen, wie tief faschistische Elemente schon in Institutionen vorgedrungen und dort seßhaft geworden sind? Im Verfassungsschutzbericht wird die Tageszeitung "junge Welt" als verfassungswidrig genannt, aber die Pegida-Bewegung überhaupt nicht erwähnt. Dazu gibt es eigenartigerweise auch wenig politische Meinungen. Nur wenn es um Linke geht, werden die Schreie der Politiker laut. Da hört man schon ihre Forderungen, doch die VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten) und die Rote Hilfe zu verbieten!

Nun stehen zum dritten Mal deutsche Soldaten mit ihren Panzern und Geschützen an der russischen Grenze. Die Umzingelung Rußlands wird mit einer behaupteten Gefährdung für Europas Frieden, besonders dem der baltischen Staaten, "begründet". Die "Annexion" der Krim wird ins Feld geführt. Dabei gehört die Krim schon seit mehr als 245 Jahre zum russischen Reich. Doch geht es weniger um die Zugehörigkeit der Halbinsel Krim und ihrer Bewohner zur Ukraine als vielmehr um ihre strategische Bedeutung im Schwarzen Meer, und da ist der NATO einschließlich der USA ein strategisch wichtiges Stück Territorium für ihre militärischen Ziele abhanden gekommen. Das ist wohl der entscheidende und wahre Grund der Aufregung.

Von 1914 bis 1918 tobte der erste Weltkrieg. Väter, Söhne, Brüder, gefallen in fremden Ländern und in fremder Erde verscharrt, kehrten nicht wieder zur Familie zurück. Damals wurde der Ruf laut: Nie wieder Krieg! Doch es waren kaum 15 Jahre vergangen, da hatten viele Menschen die Folgen des Krieges, aber auch diesen Ruf schon vergessen. Es kamen wieder Wahlen, und Kommunisten warnten: Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, und wer Hitler wählt, wählt den Krieg! Das Volk wählte, Hindenburg mauschelte, Hitler kam an die Macht, und wieder schulterten viel zu viele Verführte und Betrogene die ihnen gegebenen Waffen anstandslos. Wieder zogen sie in den Krieg, überfielen fremde Länder und wollten dem "tausendjährigen Reich" die Welt zu Füßen legen. Dieser Faschismus mit seinem 2. Weltkrieg hat 50 Millionen Menschen das Leben gekostet! Zehn Millionen wurden aus Völker-, Rassen-, Kommunisten- und Sozialistenhaß ermordet, aber auch Behinderte, Schwule, Lesben, Sinti und Roma wurden massenhaft umgebracht.

Wieder wird aufgerüstet. Es ist höchste Zeit, aus der Geschichte zu lernen und den Kriegstreibern in den Arm zu fallen!

Klaus Glaser
Schwarzenberg

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Immer noch Fragen zum 17. Juni 1953?

Ja, das Eigentliche ist noch immer zu sagen, das Grundsätzliche, um das es am 17. Juni 1953 für den Sozialismus - unter Beachtung aller sozialistischen Länder, nicht nur der DDR - ging: Zu sprechen ist über das sozialistische Leistungsprinzip sowohl hinsichtlich seiner Bestimmung der Zeit nach, auf die Löhne/Gehälter zu zahlen sind, als auch dem Lohn nach, der auf diese Zeit zu zahlen ist.

Diese Fragen waren bis zum 17. Juni 1953 nicht geklärt? Nein, praktisch wurden sie erst neun Jahre nach den Ereignissen am 17. Juni gelöst. Die theoretische Klärung ist aber bis heute offen.

Es ist zunächst an den 13. Oktober 1948 zu erinnern. Damals kam es zu jener Sonderschicht des Bergmanns Adolf Hennecke, die zur Initialzündung einer neuen Bewegung in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wurde: der Aktivisten-Bewegung. Es ging um Normenübererfüllungen in der Arbeitswelt. Dieser Bewegung lag jedoch ein Widerspruch zugrunde, der Anlaß für die Unruhen am 17. Juni wurde.

Adolf Hennecke war ein Lohn-gleich-Stück-Arbeiter. D. h. anders als in der Zeit-gleich-Lohn-Arbeit steht in der Stück-Lohn-Arbeit das geleistete Stück für Zeit. Adolf Hennecke hatte also, als er seine Norm mit 387 % erfüllte, das 3,8fache seines Tariflohnes, der auf die geleistete Zeit gezahlt wird, verdient. Und alle Aktivisten gleicher Lohnform ebenfalls gemäß der Übererfüllung ihrer Normen.

Alle reinen Zeitarbeiter (Gehaltsempfänger) der DDR dagegen (in deren Arbeit ja keine Stückmengen festgemacht werden können) verdienten weiterhin nur den Tariflohn. Abgesehen von diesem Gegensatz, der aufgrund der Hennecke-Bewegung entstanden war, ging es natürlich um die Frage, wie im Rahmen des Leistungsprinzips im Sozialismus das Verhältnis von Arbeitszeit und Arbeitslohn für alle Arbeitenden und einheitlich dem gesellschaftlichen Verhältnis nach gelöst werden muß - damit es als ein gerechtes Prinzip erkennbar ist und richtig dem gemeinschaftlichen Eigentumsverhältnis an der Arbeit nachwirken kann.

Welcher Sinn steckte also in der Forderung, wieder Normen analog der geleisteten Arbeitszeit zu bestimmen? Er besteht darin, auch für die Stück-Lohn-Arbeiter das Prinzip der Zeit bei der Bestimmung für die Lohnhöhe zu garantieren.

Wie ist es nun mit dem Lohn, der für die Übererfüllung von Normen verdient worden war? Bloße Erhöhung der Normen löst nicht die Frage, was mit den auf Übererfüllung beruhenden Löhnen geschieht. Verschwinden sie? Mit der Normenerhöhung - angepeilt waren zunächst 10 % - war ein Lohnverlust von 10 % verbunden. Und das erregte die Arbeiter. Berechtigt?

Im Prinzip ja. Es geht um die Erkenntnis der zwei Seiten des Leistungsprinzips im Sozialismus: Einerseits wird der Lohn auf geleistete Arbeitszeit gezahlt - was bedeutet, diese Arbeitszeit exakt zu bestimmen; 8 Stunden sind als 8 Stunden zu bestimmen, und nicht als 10, 12 und mehr Stunden, nur weil man statt 8 Stück in 8 Stunden aufgrund der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit 10, 12 und mehr Stück produzieren kann. Andererseits ist der Lohn zu bestimmen, der auf diese so ermittelte Zeit gezahlt wird. Und wieso muß der, bei sagen wir, 8 Einheiten Geldes bestehen bleiben? Er kann doch auch auf 10, 12 und mehr Einheiten Geldes steigen. Und zwar dann, wenn die Summe der Preise wie des Geldes bei den Gütern, auf die sich der Lohn bezieht, auf 10, 12 und mehr Einheiten steigt!

Genau das war der Fall. Es kommt an dieser Stelle das grundsätzlich andere Ware-Geld-System des Sozialismus ins Spiel. Es war ein mit dem Anstieg der Stück-Produktion steigendes Preissummen- wie Geldsummen-System. D. h. die Preise sanken nicht, wenn die Werte - oder ab nun Normen - sanken. Und dieses anzueignen bedeutete, es per steigendem Lohn anzueignen (gemeint sind natürlich nur Güter der individuellen Konsumtion und nur Löhne, die sich auf diesen Anstieg beziehen - siehe Marx, Gothaer Programmkritik). Damit wird klar, worin das Problem des 17. Juni 1953 bestand: Nicht darin, daß mit der Normenübererfüllung (durch die nach Stücklohn arbeitenden Arbeiter) sich der Lohn erhöhte, im Gegenteil, diese Lohnerhöhung war richtig. Sie war gesellschaftlich gesichert. Im Prinzip ist sie durch einen Produktionsanstieg gedeckt - gesellschaftlichen allerdings, nicht an sich individuellen. Das Problem war, daß er in der Stücklohn-Arbeit, bei Normenübererfüllung, auf einer Verletzung des Zeitmoments im sozialistischen Leistungsprinzip beruhte. Ein realer, ökonomisch begründeter Lohnanstieg im Sozialismus kann (außer wenn er auf einer individuellen Qualifizierung beruht) nur (!) gesellschaftlich, durch Bezug auf eine besondere Abteilung der gesellschaftlichen Produktion und deren Anstieg, erfolgen.

Die SED erkannte, daß das Zeitmoment im sozialistischen Leistungsprinzip wiederhergestellt werden und die Aktivistenbewegung eine Überprüfung erfahren mußte. Was aber noch nicht ins Wissen der Partei gelangte, war, daß auf nunmehr wieder nach der Uhr bestimmte Zeit steigender Lohn gezahlt werden müßte. Denn der steigende Lohn beruht ja nicht auf Normenübererfüllungen bei x-beliebigen Produkten, sondern auf normalem Anstieg der Produktion/Konsumtionsmittel in der Abt. II der gesellschaftlichen Produktion (Marx). Die (angestrebte) Regelung des 17. Juni, die Normen-Politik auf die Grundlage der geleisteten Zeit zu stellen, war richtig. Daß sie nicht durch eine Politik steigender Löhne zu ergänzen war, war der Unkenntnis über das schon begonnene neue Preis- wie Geldsystem des Sozialismus geschuldet. Was nämlich beim Normensystem falsch ist - daß mehr Stück mehr Zeit bedeuten -, ist beim Preis-Geldsystem genau das Richtige: Mehr Stück bedeuten mehr Summe an Preis wie Geld.

Im Zeitprinzip des Leistungsprinzips ist also ein Moment der Waren- resp. Wertökonomie erhalten, während im Lohnprinzip des Leistungsprinzips diese Ökonomie bereits überwunden worden ist. D. h. es ist beim sozialistischen Leistungsprinzip richtig, daß die Zeit, auf die Lohn gezahlt wird, mit dem Anstieg der Produktivkraft sinkt, während der Lohn, der auf die sinkende Zeit gezahlt wird, steigt. Das Problem des 17. Juni 1953 war, daß das richtige Zeitprinzip für den Lohn nicht durch ein richtiges Lohnprinzip für die Zeit ergänzt wurde.

Diese Ergänzung erfolgte erst durch die Lohnreform von 1962/63. In ihr wurden die Normen erhöht, d. h., die realen Arbeitszeiten in der Stücklohn-Arbeit, und wie sie sich entwikkelten, wurden wieder zu Normen erklärt, Übererfüllungen quasi noch bis zu 10 % erlaubt, dann wurden neue Normen festgesetzt, und der auf der bisherigen Normübererfüllung beruhende Mehrlohn wurde dem Tariflohn als ein Extralohn hinzugefügt. D. h., die 62er/63er Reform ergänzte die Normenreform durch eine Lohnreform, wie sie 1953 noch gar nicht ins Bewußtsein gerückt war.

Hermann Jacobs
Berlin

Am Vormittag des 18. Juni wurde ich als Sprecher für den Stadtfunk eingeteilt. Mit knappen Texten unterrichtete ich die Bürger über den Zusammenbruch des ersten großangelegten Versuchs, den begonnenen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus zu blockieren und das politische System der DDR zu beseitigen ... Vielleicht noch ein Wort dazu, wie ich den 17. Juni damals empfunden habe. Aus Rostocker Sicht hielt ich die Vokabel "faschistischer Putsch" für überzogen. Von einem "Arbeiteraufstand" oder einer "Volkserhebung" hatte ich aber auch nichts feststellen können. Wer "Rias" hörte - und das taten in diesen Tagen natürlich noch mehr Leute als sonst -konnte keinen Zweifel daran haben, daß der Westen gewaltig ins Feuer geblasen und auch personell kräftig die Strippen gezogen hatte. In Rostock kam das allerdings nicht zum Tragen ...

Dr. Klaus Steiniger

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In aller Stille

Die Beerdigung war auf Samstag, 15 Uhr, angesetzt.

Ich nahm mir ein Taxi und fuhr zum Südfriedhof. Um Viertel vor drei ging ich durch das Tor und hinüber zur Friedhofskapelle, vor deren Eingang mich der Juniorchef des Bestattungsinstituts erwartete. Er sagte, es sei alles vorbereitet und ich könne schon hineingehen.

Im Chor der Kapelle stand der Sarg, an dessen unterem Ende ein Kranz lehnte mit einer Schleife, auf der, in Druckbuchstaben, mein Vorname stand. Meine Mutter hatte dies vor drei Jahren, vermutlich in meinem Sinne, so angeordnet, um mir jede nur denkbare Mühe zu ersparen.

Es war mir recht. Ich hatte mich nicht mit dem Tod, sondern mit dem Leben meiner Mutter beschäftigt. Sie aber hatte sich mit ihrem Tod beschäftigt.

Ich setzte mich in die erste Bank und sah auf das Corpus des Gekreuzigten an der Chorwand, das offenbar von moderner Künstlerhand geschaffen war. Meine Mutter hatte - vermutlich in einem Akt der Entsagung - verfügt, daß die Beerdigung in aller Stille stattfinden sollte - die Todesanzeigen würden erst nach der Beerdigung verschickt werden -, so war ich das gesamte Trauergefolge.

In diesem Augenblick setzte Orgelmusik ein, links im Chor öffnete sich eine Tür, und zwei Männer in Frauenkleidern traten herein. Sie hielten jeder ein schwarzes Buch in der Linken und trugen einen Regenschirm in der Armbeuge. Der jüngere trug außerdem einen kleinen Eimer, aus dem ein Stiel hervorragte. Sie gingen raschen Schritts bis zur Längsachse der Kapelle, vollzogen daselbst eine Vierteldrehung, wobei sie mir den Rücken zukehrten, blätterten kurz in den mitgebrachten Büchern und verharrten sodann schweigend. Der mit dem Eimerchen hatte das Eimerchen neben sich abgestellt.

Als das Orgelspiel nach etwa fünf Minuten verklang, öffnete der ältere der beiden den Mund und bat einen Herrn, dessen Namen er nicht nannte, ihn vor dem ewigen Tod zu retten an jenem Tage des Schreckens, wo Himmel und Erde wankten, da er (der Herr) komme, die Welt durch Feuer zu richten. Zittern, so sagte er, befalle ihn und Angst, denn die Rechenschaft nahe und der drohende Zorn, wo Himmel und Erde wankten. O jener Tag! rief er aus, Tag des Zornes, des Unheils, des Elends! O Tag, so groß und so bitter! Da er (der Herr) komme, die Welt durch Feuer zu richten! Der Herr, so bat er, möge ihnen die ewige Ruhe geben, und das ewige Licht möge ihnen leuchten.

"Amen!" sagte der zweite, was wohl bedeutete, daß er sich mit den Worten seines Vorredners vollinhaltlich einverstanden erkläre. Zugleich hielt er dem andern das Eimerchen hin, dieser griff nach dem Stiel, der daraus hervorragte und an dem sich eine Art Tee-Ei befand, und sprühte Wasser über den vor ihm stehenden Sarg, ähnlich wie meine Mutter beim Bügeln die Wäsche anzufeuchten pflegte. Als Kind hatte ich ihr oft dabei zugesehen.

Nachdem dies erledigt war, führten beide mit kurzen, knappen Sätzen einen Dialog, in dessen Verlauf der ältere den Herrn unter anderem bat, er möge die Seele meiner Mutter von den Pforten der Hölle erretten. Dies schien auch dem Wunsch seines jüngeren Kollegen zu entsprechen.

Schließlich und unisono baten beide o ihn, den Herrn, er möge die Seele seiner Dienerin Antonie Weißenborn von jeglicher Fessel der Schuld lösen, damit sie neu erweckt in der Herrlichkeit der Auferstehung inmitten seiner Heiligen und Auserwählten wieder lebe, und zwar durch Christus, ihren Herrn, wobei das Wort "ihren" grammatikalisch auf die Sprechenden bezogen war ...

Ich hörte, wie einer der beiden sich scharf räusperte, beide vollzogen eine Halbdrehung und schritten - der ältere hochroten Gesichts - sehr rasch an mir vorbei, wobei mich ein Regenschirm streifte. Sie verließen die Kapelle durch den Haupteingang, fast lautlos wurde ein Wagen mit gummibereiften Rädern hereingeschoben, vier Männer setzten den Sarg auf den Wagen, fuhren ihn hinaus, und ich folgte ihnen. Draußen ging es die sanfte Schrägung einer Rampe hinunter und dann, auf dem Hauptweg, in gemäßigtem Tempo weiter in Richtung der Familiengrabstätte Weißenborn-Brungs. Voraus gingen die Männer in den Frauenkleidern, dann folgte der Wagen mit den vier Männern, die ihn zogen, dann ich.

Es dauerte einige Minuten, bis ich mein Schritt-Tempo dem Tempo des Wagens angepaßt hatte, wobei der Abstand zwischen mir und dem Wagen sich bald verringerte, bald vergrößerte. Ich fühlte mich unglücklich. Mir war, als hätte es mich verschlagen in eine Traumwelt, in einen fremden Kulturkreis, ein exotisches Land, in dem ich einem mir rätselhaften, gespenstischen Ritual beiwohnte, unter Menschen, deren Sprache ich nicht verstand, deren Sitten und Gebräuche mir unbekannt waren, unter tanzenden Derwischen, Kopfjägern in Neu Guinea oder Schamanen auf Feuerland - ich fühlte mich nicht wohl.

Die Schamanen hatten deutsch gesprochen - so hatte es wenigstens geklungen -, aber ich hatte kein Wort von dem, was sie sagten, verstanden. Manches hat te eine vage, unfreundliche Reminiszenz an meine Kindheit in mir geweckt ... Es wäre mir lieb gewesen, die beiden Männer hätten in schlichter Umgangssprache ein paar alltägliche Worte mit mir gewechselt. Daraus hätte sich ein Gespräch ergeben können, in dessen Verlauf wir vielleicht Reste einer gemeinsamen Sprache, also einer gemeinsamen Erfahrung entdeckt hätten, feststellend vielleicht, sogar, daß was wir, sie wie ich, dachten und taten, wenn auch auf verschiedene Weise, so doch demselben Leben, demselben Geiste gemeint war.

Sicherlich war irgendwann und irgendwo einmal irgend jemandem der Sinn ihrer Worte verständlich gewesen, hatte ein Geist geweht, ein feuchter Wind, da, wo das Land nun verdorrte, weil sie geglaubt hatten, den Wind einsperren zu können in das Gehäuse der Wörter, wo er sogleich sich gelegt hatte, erstorben war in den Dogmen als den Särgen der Wahrheit. Aber entmannt am Leibe wie im Geiste funktionierten sie noch, wie Marionetten funktionieren, erbrachten sie die Dienstleistung ihres Betriebs und trugen die Wahrheit zu Grabe.

Rechts am Weg wurde der Grabaushub sichtbar, ein letztes quietschendes Geräusch, und der Wagen hielt an.

Die vier Männer setzten den Sarg auf zwei Bohlen, die quer über der Grube lagen, und schoben den Wagen beiseite. Die Männer in den Frauenkleidern standen störend zwischen meiner Mutter und mir und begannen erneut einen einsamen Dialog. Ich lauschte und suchte, vergeblich, den Sinn ihrer Worte zu fassen. Einer erklärte, der Tod sei das Tor zum Leben, was mich auf den Gedanken brachte, ob dann die Geburt das Tor zum Tode sei.

Das Entsetzliche war, daß sich in solcher Rede überhaupt nichts Sinnvolles mitteilen ließ, daß der Geist, der doch nur Geist als Sprache und Klarheit sein konnte, in ihr kollabierte und bankrottierte, daß solch sprachliches Getön überhaupt nirgendwohin führte, sondern nur ins Bodenlose.

Plötzlich wurde es still. Die vier Männer hatten den Sarg hinabgelassen und hielten sich an ihren Mützen fest, das Schlußwort schien gesprochen, die beiden Männer im Maxi-Look verharrten noch einen Augenblick reglos und traten dann zurück, dabei wandte der jüngere der beiden sich nach mir um, drückte mir die Hand und sagte etwas, was ich jedoch nicht verstand, da in diesem Augenblick ein Düsenjäger über uns hin tobte. Doch dankte ich ihm, lächelte freundlich, ja strahlte ihn geradezu an, obgleich ihm dies ungewohnt, ja sogar unschicklich erscheinen mochte. Indes, er hatte die Geste der Freundlichkeit vollzogen, die ich ersehnt hatte, und ich wußte nicht, warum ich meine Freude darüber nicht hätte zeigen sollen.

In der Erwartung, daß nun auch sein Amtsbruder mir kondolieren werde, blickte ich zu diesem hin, doch der Mann war ein paar Schritte zur Seite getreten, stand da, steif wie ein Stock, also verstockt, nickte nur kurz, während ich vergebens seinen Blick suchte, wandte sich dann, hochroten Gesichts, abrupt um und ging, gefolgt von seinem jüngeren Kollegen, mit raschen Schritten zu dem bereitstehenden Taxi, dessen Ankunft ich zuvor nicht bemerkt hatte und dessen Fahrer taktvoll in einiger Entfernung gewartet hatte.

Ein wenig ratlos sah ich ihnen nach, dann nahm ich das Schüppchen, das einer der Totengräber mir hinhielt, nahm ein wenig Erde darauf und warf sie in die Grube, wobei das Schüppchen seitlich abkippte, was auf meine Nervosität oder Ungeschicklichkeit zurückzuführen war.

Theodor Weißenborn

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Fritz und Iwan

Ich brauchte einen General. Einen richtigen. Einen kompetenten und glaubwürdigen. Eben einen original russischen. Da gab es nur einen einzigen, der diese Rolle gestalten konnte. Aber er spielt in keinem deutschen Film. Um nichts in der Welt. Egal ob Ost oder West. Unter keinen Umständen!

Konrad Wolf wollte ihn schon in seinem Film mit der herrlichen Rolle des Goya besetzen. Er lehnte ab. Strikt.

Und Koni war ein ausgewiesener Spitzenregisseur, sprach Russisch als zweite Muttersprache und war während des Krieges Offizier der Roten Armee. Wie sollte es also mir gelingen?! Koni meinte, keine Chance. Erst viel später erfuhr ich, daß viele Angehörige dieses Schauspielers dem Krieg der Deutschen zum Opfer gefallen waren.

Ich hatte sonst für meinen Film eine Topbesetzung Beisammen. Horst Schulze als Protagonisten, Renate Blume seine Frau, dann Rolf Hoppe, Hans Teuscher, Peter Marx, Hannes Fischer, Joachim Tomaschewsky, Jürgen Zartmann, Martin Trettau und viele andere gute Schauspieler. Es fehlte nur noch die Besetzung für die zweite Hauptrolle. Damit stand oder fiel der ganze zweiteilige Fernsehfilm über den erzgebirgischen Lehrer und widerständigen Landtagsabgeordneten Ernst Schneller.

Ich war verzweifelt. In der Hoffnung, ihn überreden zu können, hatte ich im Drehbuch die historisch authentische Rolle ganz auf ihn zugeschnitten. Auf seine Fähigkeiten, seine Ausstrahlung, seine überragende Leinwand- und Fernsehpräsenz. Da half nur ein Umweg. Ein fast aussichtsloser, aber wir versuchten ihn.

Mein oft erprobter und vielseitiger Kameramann Horst Hardt, mit dem ich schon viele Filme gedreht hatte und mit dem ich in meinen Abenteuerserien durch manches Feuer geritten bin, hatte an der Moskauer Filmhochschule studiert, dort eine russische Schauspielerin geheiratet und bewegte sich wie ein Einheimischer in der russischen Sprache. Beide, Horst und Larissa, bekamen einen gelinden Schreck, als ich ihnen mein Vorhaben mitteilte. Genau wie die Leitung des Fernsehens, die nicht bezahlbare Kosten auf sich zukommen sah. Es war, als ob ich Clint Eastwood oder Robert Redford besetzen wollte.

Tatsächlich ging es um Sergej Fjodorowitsch Bondartschuk, eigentlich den populärsten russischen Mimen überhaupt. Bekannt und beliebt im gesamten "Ostblock" und auch darüber hinaus. Er war mit der ebenso bekannten Schauspielerin Irina Skobzewa verheiratet. Beide hatten unter seiner Regie schon in einigen international bekannten Filmen wie "Ein Menschenschicksal" oder dem vielbeachteten Film "Othello" die Hauptrollen gespielt. Weltbekannt sein Filmepos "Krieg und Frieden" nach Tolstoi mit großer internationaler Besetzung. Wie sollte er also für Adlershof auch nur den kleinen Finger rühren?!

Von Horst Hardts Larissa geschickt eingefädelt, erhielten wir eine Einladung zum Nachmittagstee bei ihrer hochgeschätzten Kollegin Irina in Moskau. Natürlich schaute bei unserem Plauderstündchen über Moskauer und Berliner Theater- und Filmkulissentratsch auch ihr Mann vorbei, der gerade am nächsten Drehbuch bastelte. Über Höflichkeitsfloskeln und Film-Smalltalk streiften wir kurz auch unsere beiderseitigen momentanen Arbeitssorgen.

Er hatte zwei oder drei Filme von mir im russischen Fernsehen gesehen, lobte sie freundlich sowie auch einige Schauspieler von uns, mit denen er bei Mosfilm zusammengetroffen war.

Plötzlich stellte es sich heraus, daß wir gleichen Jahrgangs sind und im Herbst 1944 im Mittelabschnitt der Front am Narew - welch Zufall! - unmittelbar einander gegenüberlagen. Im Nu ergab sich, was bei allen Frontsoldaten der Welt unweigerlich immer der Fall war: Hier lagen wir, dort der Feind ...

Alle Gegenstände auf dem Tisch, Tassen, Kuchenteller, Kännchen usw. mußten zur strategischen Markierung herhalten. Löffelchen und Kuchengabeln waren Geschütze und Maschinengewehre, und schon wurde der Frontverlauf von damals rekonstruiert. Irgendeinem höheren strategisch-taktischen Ratschlag zufolge blieb es einige Tage auf beiden Seiten ruhig, nur von gelegentlichen Einschlägen oder MG-Stößen unterbrochen.

Da fiel mir eine kleine Episode ein. Da wir uns wie ein Wunder auf Anhieb verstanden und vertrauten, erzählte ich sie.

Trotz der ruhigen Front beobachtete und beäugte man sich gegenseitig mißtrauisch. Minütlich konnte ein Angriff erfolgen. Die Schützengräben lagen keine 100 Meter auseinander. Nach Einbruch der frühen Dunkelheit, es war wolkenverhangen und stockfinster, kroch ich auf vorgeschobenem Posten in eine Art Lauschstellung. Es war die Zeit der Schlammperiode. Nicht mehr Herbst und noch nicht Winter. Nässe und Matsch. Alles andere als angenehm. Zentimeter für Zentimeter robbte ich vor und versuchte, auch nur das kleinste Geräusch zu vermeiden. Als ich fast genau zwischen den Gräben angekommen war, blieb ich liegen und lauschte angestrengt in die Finsternis.

Nach einer Weile hörte ich Flüstern. Ganz leise wie Grillenzirpen, fast gehaucht: "Fritz ..." Ich hielt den Atem an. Dann wieder: "Friiiitz ..." Er mußte mich gehört haben. Ich zögerte, dann flüsterte ich zurück: "Iwan ..."

Pause. Dann er: "Ne streljai!" (Schieß nicht!) Er schien Angst zu haben. Wir waren weniger als zehn Meter auseinander. Auf diese Entfernung hätten wir uns mit Leichtigkeit umbringen können. Wenn wir gewollt hätten. Ich flüsterte beruhigend: "Ja ne budu streljat." (Ich werde nicht schießen.) Nach einer Pause, in der ich und sicher auch er den eigenen Herzschlag hörten und nicht richtig wußten, wie unser Kontakt weitergehen sollte, flüsterte er: "Ja ne Iwan, moje imja Alexander." Darauf ich: "Ja ne Fritz, moje imja Rudi." Er wiederholte: "Ja Alexander, ty Rudi ..."

Ich befaßte mich ein wenig mit der russischen Sprache und hatte irgendwann die ehrgeizige Illusion, nach der Einnahme Moskaus Gogol, Tschechow und Puschkin vielleicht im Original lesen zu können.

Beides ist nicht gelungen.

Ab und zu ein einzelner Schuß oder eine Leuchtkugel, die für kurze Momente das Gelände erhellten. Wir drückten uns beide in den Dreck, und er fing fast vertraulich an zu rezitieren: "Iber alle Gipfeln ist Ruh ... Geinrich Geine." Ich verbesserte ihn flüsternd: "Njet! Eto Goethe, Johann Wolfgang von Goethe." Mein Gegenüber dachte wohl nach. Dann kam: "Denk ich Deutschland in Nacht ... Geinrich Geine."

Später, viel später, erfuhr ich, daß dies der Anfang des Wintermärchens des in meiner Heimat verfemten Dichters Heinrich Heine war, das folgerichtig so weitergeht: "... dann bin ich um den Schlaf gebracht." Wie wahr!

Später habe ich auch erfahren, daß dieser Dichter neben Goethe und Hauptmann in Rußland zu den beliebtesten deutschen Poeten zählt.

Wir hatten noch einige Stunden vor uns und fanden sichtlich Gefallen an unserer einmaligen seltsamen Bekanntschaft. Er sagte, daß er als Schlosser unter Tage arbeite, 23 Jahre alt sei und daß er in der Schule Deutsch lernte. Ein Gleichaltriger lag mir als Feind gegenüber. Es berührte mich seltsam. Seine Mutter arbeite für die Armee, sein Vater und die Schwester kämpften an der Front, der ältere Bruder sei bereits gefallen. Er hoffe, den Krieg zu überstehen und gesund in seine Heimat zurückzukommen, nach Krasnogorsk.

Beim Nennen dieses Namens schoß mir kein Blitz ins Gehirn, kein Schauer über den Rücken, kein Schlag in die Brust. Nichts wies darauf hin, keine Vorahnung, daß ich knapp zehn Monate später für ein halbes Jahr dort in einem Bergwerk auf den Knien rutschten sollte und meine Gichtfinger mich heute noch an diese harte Zeit der Gefangenschaft erinnern.

Vor dem Morgengrauen fragte er noch, was ich arbeiten würde. Als ich sagte, daß ich zum Sergej Bondartschuk (General Sotow) Theater gehen wolle, schwieg er und dachte lange nach. Dann fragte er flüsternd: "Rudi, was du machen hier in mein Rodina?"

Ich mußte ihm die Antwort schuldig bleiben. Bevor wir beide in unsere Stellungen zurückrobbten, flüsterte er eindringlich: "Gitler kaputt!"

Es war Abend geworden. Die Frauen machten inzwischen einen "kleinen" Imbiß, wie er üppiger nicht sein konnte. Wir waren im gastfreundlichen Rußland. Sergej und ich plauderten unterdessen über unsere jeweilige gegenwärtige Arbeit. Als ich - so ganz nebenbei - von meinen Generalsnöten erzählte, meinte er erstaunt, da müsse sich doch jemand finden lassen; ich solle ihm doch mal das Drehbuch schicken, ganz unverbindlich, vielleicht könne er mir einen Kollegen empfehlen.

Mit dem harmlosesten Gesicht der Welt sagte ich, daß ich - ganz zufällig - einen Rollenauszug, von den Hardts übersetzt, bei mir hätte. Jetzt stutzte er doch, warf mir einen mißtrauischen Blick zu und stieß ein "Ty schulik!" aus. Das heißt auf gut Deutsch "Du Spitzbube!"

Als wir uns spät verabschiedeten, fragte er, ob er bei seinem nächsten Film über den zweiten Weltkrieg die kleine Szene von Fritz und Iwan verwenden dürfe. "Mit Vergnügen", sagte ich, wir könnten ja bei unserer gemeinsamen Arbeit an meinem Film nochmals darüber reden. Er wiederholte: "Ty schulik!" Dann tauschte er mit Irina, seiner Frau, einen nachdenklichen Blick ...

Nach einigen Tagen sagte er zu, machte aber zur Bedingung, daß Irina ihn begleiten könne und sie beide nicht im Hotel wohnen müßten. Ich hatte damals eine winzig kleine Stadtwohnung am Leninplatz, wo sie wohnen konnten. Vom Balkon aus konnte er, wenn er seinen Text lernte, von oben die hohe Stirn des in Granit gemeißelten Volkstribuns sehen, was ihn, wie er später amüsiert berichtete, besonders inspirierte.

Es war ein wunderbares Arbeiten mit ihm. Meine beiden Hauptdarsteller, Horst Schulze und Sergej Bondartschuk, ebenfalls gleichen Alters, verstanden sich gut.

Eine seltene Harmonie verband uns. Horst Hardt war dabei ein prächtiger Vermittler. Wäre noch nachzutragen, daß wir alles Organisatorische und Genehmigungspflichtige mit 1000 Tricks unterhalb der bürokratischen Schwellen auf privater Ebene erledigen konnten. Die offizielle Genehmigung vom sowjetischen Kulturministerium, daß Bondartschuk die Rolle spielen durfte, traf ein, als der Film längst abgedreht war.

Das Problem hatte in der Sowjetunion die Politiker auf den Plan gerufen.

Der gefangene russische General, um den es ging, sollte nämlich unter Folter und Scheinhinrichtungen gezwungen werden, eine kampfstarke Division mit sogenannten russischen Hilfswilligen aufzustellen, ähnlich der schon existierenden berüchtigten Wlassow-Armee. Immerhin ein sensibles Problem.

Wir lösten das aber sowohl mit unserer eigenen Sachkenntnis als auch mit unseren beiderseitigen künstlerischen Erfahrungen und Kompetenzen.

Ich habe keinen Lieblingsfilm. Schon gar nicht von mir. Wenn ich einen hätte, dann wäre es dieser.

Aber nur wegen der Szenen mit dem großen russischen Schauspieler Sergej Fjodorowitsch Bondartschuk.

Rudi Kurz

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AUS HELLGES ANEKDOTENKISTE

Nachwirkungen einer Kindheitserinnerung

Als ich im Juli meinen 97. Geburtstag beging, fragte mich meine Betreuerin Birgitt, ob ich einen besonderen Wunsch hätte. Wie das bei alten Leuten so ist: Ich würde gern noch einmal die Stätte meiner Kinderjahre besuchen - eben die Berliner Laubenkolonie Wendenaue. Hier hatte ich in den 20er Jahren eine wunderschöne Kindheit verbracht. So fuhr denn meine Betreuerin mit meiner Frau, unserm Sohn und mir dorthin.

Der Anblick der großen Wiese - vor 90 Jahren mit Gänseblümchen, Pfingstblumen, wildem Rotem Mohn übersät - weckte in mir viele Erinnerungen. Vor allem aber jene: Neben unserer Laubenkolonie hatten die Männer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (zu jener Zeit die Kampforganisation der SPD zur Verteidigung der Weimarer Republik) ihr Heim. Gegen Abend kamen immer zwei, drei junge Leute mit einer Klampfe zu uns Kindern, und wir sangen gemeinsam - um ein Lagerfeuer sitzend - die drolligsten Lieder. So z. B. "Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt 'ne kleine Wanze" oder "Mein Hut, der hat drei Ecken". Besonders gern sangen wir die "Schnaderhüpferl", die uns die jungen SPD-Genossen beibrachten, wie z.B. "Da oben auf dem Berg, wo die Bäume sich biegen, da hau'n sich zwei Kahle, daß die Haare so fliegen" oder "Und ich stand auf der Brücke und ich spuckt in den Kahn, ja da freut sich die Spucke, daß sie Kahn fahren kann." Einen Vierzeiler mochte ich besonders gern: "Rot ist die Liebe und rot die Tomat' und rot ist der Schlips vom Sozialdemokrat." Ich verstand zwar nicht alles, merkte aber sehr wohl, daß da sprachlich etwas nicht ganz "astrein" war.

Später, auf der Heimfahrt, ging mir durch den Kopf, daß dieses "Rot" in jenem Schnaderhüpferl möglicherweise bewirkt hat, daß ich mich 1945 der SPD anschloß - nicht ahnend, daß das kräftige Rot der 20er Jahre ab Mitte der 40er so verblassen würde ...

Helmuth Hellge

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Ein Band mit Gedichten von Rudolf Bauer

Erst Kriegsgebrüll, dann AfD

Der Maler Heinrich Vogeler (1872-1942) schuf zwischen 1914 und 1934 von ihm so benannte "Komplexbilder". Sie bestehen aus Kompositionen verschiedener Szenen, realistischen Darstellungen von Wirklichkeitsausschnitten, die einem bestimmten Thema untergeordnet sind. Die Gedichte, die der Bremer Sozialwissenschaftler und bildende Künstler Rudolf Bauer in seinem neunten Gedichtband "Aus gegebenem Anlass" zusammengestellt hat, können in Anlehnung an dieses Verfahren Komplexgedichte genannt werden: Sie sind mit einer gewissen Strenge einem zentralen Motiv untergeordnet, der Erhaltung des Friedens. Sie enthalten zugleich viele scharfe Beobachtungen und oft die Aufforderung, den Feinden des Friedens zu widerstehen und zu handeln. Die Aufgeforderten sind verschieden; die von Bauer genannten Kriegsherren aus Vergangenheit und Gegenwart - auf diesem Gebiet finden sich keine Frauen - ähneln sich. Bauer befaßt sich u. a. mit der "Hunnenrede" Kaiser Wilhelms II. 1900 in Bremerhaven, der Bremer Lokalgröße Kolonialgeneral Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964) sowie mit "Deutschlands Prediger Gauck". Aktuell und bissig wird es im letzten der acht Abschnitte, der denselben Titel wie das Buch trägt - z. B. so: "Aus der Natterngrube des Militarismus. Im zeitlichen ablauf kam erst mal / das kriegsgebrüll dann a. f. d. / zunächst militärischer ernstfall / dann völkische brutalité / erst als fußvolk der nato marschieren / 'mehr macht mehr verantwortung' zählt / um dann sich stolz zu gerieren / als die menschenrechtsretter der welt / die tarnuniformierte von der leyen / befehligt die mordbrennerschar / zur rettung der angeblich freien / der freiesten welt fürwahr / und identitäre sie schreien / das abendland sei in gefahr."

Der gegebene Anlaß ist der Zusammenhang von offizieller, moralisch verpackter Kriegspolitik und der lautstarken Begleitung durch "Retrofaschisten". In einem anderen Gedicht heißt es zu dieser Verbindung: "die hass säen / bekämpft aber auch die / welche den hass militärisch / nutzen zum angriff ". Bauer nutzt sowohl die kleine Form und spießt SPD-Grüne-Feldherren im Dreizeiler auf: "Jugoslawien-Krieger. schröder und fischer / die rot-grüne panzerfaust / der gewaltlosen", verwendet aber auch die große: Den Band eröffnet eine über 14 Seiten gedruckte Adaption des letzten von Wolfgang Borchert (1921-1947) vor seinem Tod verfaßten Textes "Dann gibt es nur eins". Bauer ergänzt dessen Zeilen mit eigenen und stellt sie unter die Überschrift "Es gilt noch immer". Bei Borchert heißt es zu Beginn: "Du, Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!" Bauer setzt fort: "auch wenn sie keine befehle erteilen / sondern dir drohen / mit dem verlust des arbeitsplatzes / mit hartz-IV-schikanen / falls du dich weigerst / den marder herzustellen den leopard / tornados den eurofighter / kampfhubschrauber oder u-boote / fregatten korvetten / handfeuerwaffen und drohnen / dann gilt noch immer / nur eins."

Thomas Metscher, der zu dem Band einen nuancierten, souverän argumentierenden Essay als Nachwort beigesteuert hat, bezeichnet zu Recht einen Satz Klaus Manns, der einem der Abschnitte vorangestellt ist, als Bauers "schriftstellerisches Credo": "Wer sich berufen glaubt, die Summe menschlicher Erfahrung durch das Wort auszudrücken, darf nicht die dringlichsten Probleme - die Organisation des Friedens, die Verteilung menschlicher Güter - vernachlässigen oder gar ignorieren." Metscher weist darauf hin, daß die Gedichte Bauers in einer "Traditionslinie politischer Dichtung neuen Typs" stehen, die um 1800 entstand und mit den revolutionären Erhebungen um die Mitte des 19. Jahrhunderts und der Arbeiterbewegung eine neue Qualität erhielt. Progressive politische Dichtung könne bis heute "nur eine solche sein, die den Idealen der Revolution Frankreichs die Treue hält, sie zugleich mit Impulsen verbindet, die der Arbeiterbewegung, der Oktoberrevolution und den antikolonialen Bewegungen" entstamme. Vor allem aber: "Die Stellung zu Krieg und Frieden, heute wie einst, ist das politisch-ethische Grundkriterium für den Rang solcher Dichtung." Es gebe nicht viel an neuer deutschsprachiger Lyrik dieser Art. So füllten "die Texte Bauers nicht zuletzt auch eine Leerstelle aus" und schlössen an Bewegungen an, "die weit über dem Niveau der hierzulande akkreditierten Literatur stehen".

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Arnold Schölzel

Rudolf Bauer/Thomas Metscher:
Aus gegebenem Anlass. Gedichte und Essay.
Verlag Tredition, Hamburg 2018, 194 Seiten,
Paperback 18,90 €, Hardcover 24,90 €, E-Book 2,99 €

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Über das Geschäft mit dem Wohnen

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Kunst und Kernenergie - materialistisch betrachtet

In Greifswald, wo einst täglich Tausende Arbeiter und Ingenieure in das Kernkraftwerk "Bruno Leuschner" (in Rußland als "AES Nord" bekannt) fuhren, erschien 2018 ein Buch. Ein Katalog, ein Werk - groß und gewichtig, sowohl das Äußere als auch den Inhalt betreffend.

Der Autor Peter Kroll (81) ist, vereinfacht ausgedrückt, Atomingenieur. 16 Jahre arbeitete er an seinem "Lebenswerk", das den Titel trägt "Kunst und Kernenergie. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der Kernenergie".

Der Begriff der Kernenergie, er schließt unter anderem Atomkraftwerke und Atombomben ein, birgt Diskussionsstoff, heute mehr denn je. Das spiegelt sich auch in der Kunst wider. Der Begriff der Kulturgeschichte ist inhaltlich sehr umfassend und anspruchsvoll. Wer das Buch liest - man muß dafür nicht Atomingenieur sein - erkennt, daß der Autor sich einer großen Aufgabe gestellt hat.

In dem Werk gibt es zum Beispiel den Bezug zur griechisch-römischen Antike, es ist von Prometheus, Aphrodite, Pandora und den griechischen Atomisten die Rede. Vom Gemälde Raffaels "Schule von Athen" (1510) spannt Kroll den Bogen zur Jenaer Dissertation von Karl Marx (1841).

An einer anderen Stelle treffen sich, das ist ebenfalls reich bebildert, zwei Deutsche und ein Russe: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Armin Münch (1930-2013) und Igor Kurtschatow (1903-1960). Peter Kroll zeigt anschaulich anhand von Grafiken den Zusammenhang. Der Grafikprofessor hat einen Faust-Zyklus gestaltet. Kurtschatow ist darin der Faust. Münch bezeichnet ihn als den Faust des 20. Jahrhunderts und den russischen Faust.

Wer weiß heute noch, daß in der DDR der Uranbergbau im Erzgebirge und seine weltpolitischen Wirkungen sowohl literarisch als auch in Spielfilmen dargestellt wurden? Wer kann noch etwas mit dem Begriff "SDAG Wismut" anfangen? Zu den Atombombenabwürfen in Japan sowie zur heutigen Bedrohung durch atomare Rüstung bringt Kroll beeindruckende Gemälde, Grafiken und Karikaturen weltbekannter Künstler.

Ausführlich widmet sich der Autor dem sowjetischen Plan GOELRO, dem historisch beispiellosen Prozeß der Konzipierung und enorm schnellen Realisierung des energetischen und wirtschaftlichen Aufbaus in einem 1920 noch rückständigen riesigen Land. Bildhaft erfährt der Leser das Wichtigste über Personen, Dokumente und Schauplätze des Beginns und die gigantischen Ergebnisse nach einem historisch kurzen Zeitabschnitt. Auch zur Atomenergie der DDR bezieht der Autor Position. Geschildert wird die wissenschaftliche und wirtschaftliche Unterstützung aus der Sowjetunion, die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, veranschaulicht durch Fotos von Treffen zwischen Wissenschaftlern und Ingenieuren beider Länder, die DDR-Kernkraftwerke Rheinsberg und Lubmin.

Der Leser findet auch einen Bezug zu dem Buch "Dialog mit meinem Urenkel", 1983 in der DDR erschienen. Hier beantwortet der Wirtschaftshistoriker Professor Jürgen Kuczynski u. a. die Frage: "Warum sprichst du trotz der Stalinzeit immer ohne Einschränkung so bewundernd von den Völkern der Sowjetunion?" Kuczynski antwortet: "Seit den Griechen in alter Zeit scheint mir kein Volk so Großartiges für den Fortschritt der Menschheit geleistet zu haben wie die Völkergemeinschaft der Sowjetunion." So sieht es auch Peter Kroll. Er hat dabei nicht nur die Realisierung des GOELRO-Planes, den Sieg über den Hitlerfaschismus oder die wissenschaftlich-technischen Spitzenleistungen der Sowjetunion im Blick, sondern auch ihren jahrzehntelangen beharrlichen Kampf gegen den Atomkrieg und für den Erhalt des Friedens auf der Erde.

Uwe Durak
Greifswald

Peter Kroll: Kunst und Kernenergie.
Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der Kernenergie.
Selbstverlag, Greifswald 2018, Großformat, 168 S.

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BUCHTIPS

M. Müller / P. Brandt / R. Braun (Hg.):
Frieden! Jetzt! Überall!

Ein Aufruf

Aus Furcht vor Rußland, als Reaktion auf den Irrsinn eines "America first" oder aus Angst vor Gewalt und Terror kommen die Gespenster des kalten Krieges zurück. Der neue Rüstungswettlauf ist keine Drohung mehr, sondern bereits harte Realität. Deutschland kann in der Entspannungspolitik zwischen Ost und West im Rahmen der Europäischen Union eine führende Rolle einnehmen. Dafür muß Frieden wieder zu einem zentralen Thema unserer Gesellschaft werden. Genau dafür setzen sich die Herausgeber Michael Müller, Peter Brandt und Reiner Braun ein, die mit ihrem Aufruf die aktuellen Perspektiven einer neuen Friedens- und Entspannungspolitik ausloten und entwickeln.

Mit Texten von Katarina Barley, Frank Bsirske, Daniela Dahn, Daniel Ellsberg, Sigmar Gabriel, Michail Gorbatschow, Stephan Hebel, Uwe Hiksch, Reiner Hoffmann, Alexander S. Neu, Matthias Platzeck, Horst Teltschik, Jürgen Trittin, Willy van Ooyen, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Sahra Wagenknecht, Ernst Ulrich von Weizsäcker u. v. a.

Westend-Verlag, Frankfurt/Main 2019, 336 S.,
inklusive e-Book mit 15 weiteren Texten, 22 €


Hellmut Kapfenberger: Ho-Chi-Minh-Pfad.
Meisterwerk Zehntausender

Die Geschichte der legendären Nachschubtrasse

Was wäre aus Vietnam und seinen Nachbarn geworden, hätte es den Ho-Chi-Minh-Pfad zu Lande und, kaum bekannt, ab 1961 auch zu Wasser, nicht gegeben? Am 19. Mai 1959 wurde das Projekt der Strategischen Militärtransporttrasse Truong Son geboren. Innerhalb von 16 Jahren entwickelte sich einer der entscheidenden Faktoren für die Niederlage der USA. Hellmut Kapfenberger war zu Kriegszeiten und auch danach Korrespondent für DDR-Medien in Vietnam. Er vermittelt ein umfassendes Bild von der gigantischen militärischen Nachschubtrasse. Für dieses Buch besuchte er noch einmal Vietnam und sprach mit Zeitzeugen.

Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2019,
502 S., zahlr. Abb., 22 €


Ahed Tamimi - Ein Schlag gegen die Besatzung

Ahed Tamimi wurde durch eine Ohrfeige zum neuen Symbol des palästinensischen Widerstands (siehe auch RF 245, S. 8). Das Video, auf dem sie sich gegen den schwerbewaffneten israelischen Soldaten in der Einfahrt ihres Hauses wehrt, ging um die Welt. Dieses Buch ist Zeugnis des anhaltenden Widerstands von Ahed, ihrer Familie und ihres Dorfes in einem ungleichen Kampf.

Die deutsche Übersetzung beinhaltet alle Texte der englischen Originalausgabe - geschrieben u. a. von Aheds Tante Manal Tamimi. In den Anhang aufgenommen wurde zusätzlich ein Text von Sozialisten aus Israel und Palästina als Beitrag zur Diskussion um die richtige Strategie im Kampf gegen die nationale Unterdrückung der Palästinenser.

Manifest-Verlag, Berlin 2019, 214 S. 13,90 €


Felix Wemheuer: Chinas große Umwälzung

Soziale Konflikte und Aufstieg im Weltsystem

Der gegenwärtige Aufstieg der Volksrepublik China führt zu einer Neuordnung der globalen Machtverhältnisse. Auch innerhalb des Landes haben sich durch die wirtschaftliche Entwicklung Klassen- und Geschlechterverhältnisse grundlegend verändert. Jedes Jahr verlieren Millionen von Bäuerinnen und Bauern ihr Land, und neue Klassen von freien Lohnarbeitern und von Kapitalisten sind entstanden. Streiks, ländliche Unruhen und ethnische Konflikte sind die Folge.

Felix Wemheuer untersucht außerdem Chinas große Transformation im Kontext globaler Trends von Entkolonialisierung, kaltem Krieg und dem Siegeszug des neoliberalen Kapitalismus. Rückständigkeit zu überwinden und den Westen wirtschaftlich einzuholen, war und ist ein zentrales Ziel der chinesischen Führung. Im Buch wird der Frage nachgegangen, ob China das Weltsystem grundlegend verändert oder selbst zu einem neuen kapitalistischen Zentrum aufsteigt. Und es wird diskutiert, welchen Charakter die heutige chinesische Gesellschaft hat.

"Unser Sozialismus ist erst wenige Jahrzehnte alt, er befindet sich noch in der Anfangsphase. Die Festigung und Entwicklung des Sozialismus erfordert harte Anstrengungen und Kämpfe der Menschen mehrerer Generationen, von über zehn Generationen, sogar Dutzender Generationen." Deng Xiaoping, 1992

PapyRossa-Verlag, Köln 2019, 272 S., 16,90 €

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Stimmen aus aller Welt über die DDR

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen veröffentlichen wir hier einige dieser Äußerungen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt (und für uns) war.

Die Serie, in der wir seit Juli 2016 etwa einhundert Meinungsäußerungen über die DDR wiedergaben, ist hiermit beendet. Selbstverständlich bleiben wir aber weiter dran an "DDR konkret" - auch künftig ein Schwerpunktthema des "RotFuchs".


Cecilia und Tania

Zwei Kinder aus Chile

Wir chilenischen Kinder und Pioniere wollen hier den Kindern über Chile und auch über andere Länder Lateinamerikas berichten. Mit Unterschriftensammlungen tragen wir dazu bei, daß die Junta gezwungen wird, die Gefangenen und Verschleppten freizulassen. Außerdem haben wir Zehntausende von Spielsachen gesammelt für die Kinder in Chile. Bei diesen Aktionen wurden wir von den Menschen in der DDR sehr unterstützt. Wir wollen helfen, daß unser Land wieder frei wird und die Kinder glücklich sein können.


Elie Telliano

Schüler aus Guinea

Seit unserer Ankunft sind wir hier sehr glücklich. Wir alle spüren deutlich die Solidarität, die uns entgegengebracht wird. Viel haben wir schon erlebt. Hier kann man Sport treiben und Spiele lernen, die von den Kindern in den verschiedensten Ländern gespielt werden, und das macht sehr viel Spaß. Mir hat besonders der Besuch im Kosmonautenzentrum gefallen. Unsere Begleiter haben uns dort erklärt, was man beachten muß, um sich mit Hilfe des Himmels zu orientieren, um Sterne zu erkennen. Wir haben auch an einem Tag in einer kleinen Werkstatt der Pionierrepublik gearbeitet. Das Geld für unsere Arbeit haben wir auf das Solidaritätskonto für die um ihre Freiheit kämpfenden Völker überwiesen.

Aus Anlaß des internat ionalen Kinderfestes organisierte die Delegation aus der Republik Guinea eine Ausstellung mit Kinderzeichnungen über unser Land. Fast jeder hier in der Pionierrepublik hat diese Ausstellung besucht, die einzelnen Delegationen kamen in unser Haus, ebenso wie ein Mitglied des Zentralrates der FDJ und der Direktor der Pionierrepublik "Wilhelm Pieck". Mit den chilenischen Kindern und der Delegation aus Kuba hatten wir ein Freundschaftstreffen. Es hat viel dazu beigetragen, die Freundschaft zwischen uns zu festigen.


Angel Wagenstein

Filmregisseur, Bulgarien
(geboren am 17. Oktober 1922)

Mein lieber kleiner Freund! Im Oktober wird Deine Republik fast dreimal so alt sein wie Du und fast zweimal jünger als ich. Du erinnerst Dich nicht, aber ich muß an den zerstörten Alexanderplatz denken mit seinen ausgebrannten Dächern, in denen Birken wuchsen, an denen allein man erkennen konnte, daß die Gewehre nicht erst seit gestern schwiegen. Du erinnerst Dich nicht, aber ich kenne den Anfang des schweren, langen und einzig möglichen Weges, den Dein Land, meines und auch andere Länder mit vom grausamen Krieg zerstörten Dächern antraten. Damals, an jenem Anfang, gab es Unter den Linden keine Linden, und man sah mehr Krücken als Kinderwagen. Damals war es leichter, den Menschen Brot zu geben als Hoffnung. Es war unsagbar schwer, mein Freund, aber über dem Reichstag wehte eine rote Fahne, und sie bedeutete mehr als alle Wörter der Welt!

Ich weiß, daß für Dich 29 Jahre außerordentlich viel sind - so viel, daß Du sie Dir nicht vorstellen kannst. Aber für mich gab es das Gestern, denn gestern kam ich aus dem faschistischen Gefängnis heraus ­... Und so verstehst Du, warum ich mich freue, wenn ich heute Deine sozialistische Heimat stark sehe, aufblühend und sicher: denn sie ist Teil meiner Welt, und ihre Feiertage sind auch die meinen.

Erst kürzlich, am ersten Tag des September, war ich in Berlin. Zu dieser Zeit begann für Dich und Deine Freunde die Schule. Du hast mir das Raumschiff gezeigt, das Du gezeichnet hattest, eine wunderschöne, fast echte "Sojus"-Rakete mit runden Fensterchen! Ich bin fest davon überzeugt, daß Du noch in derselben Nacht mit diesem gemalten Schiff durch das offene Fenster der Waldowstraße davongeflogen bist, und aus allen geöffneten Fenstern flogen mit gemalten Raketen Millionen Kinder aus der ganzen Republik, um Sigmund Jähn und seine sowjetischen Freunde auf ihrem ruhmreichen Himmelsweg ein wenig zu begleiten. Denk ein bißchen nach, und Du wirst verstehen, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen jener roten Fahne auf dem Reichstag und Eurem bezaubernden Nachtflug! Ich weiß nicht, was Ihr dem Genossen Sigmund Jähn gesagt habt, als ihr ihn zwischen zwei Sternen einholtet, und was er Euch antwortete, aber ganz sicher habt Ihr von oben bemerkt, wie grün, wie erneuert Euer Land ist und wie ruhig der Schlaf seiner Menschen.

Du weißt, daß es Länder gibt, die stolz sind auf ihre unfehlbaren Waschmittel und auf ihre unfehlbaren Waffen . Deine Republik aber kann mit Recht stolz sein auf ihre Kinder - auf Dich und auf alle, die so sind wie Du. Und weil dies eine Republik für Kinder ist, sind sie ihre Sorge von heute und ihr Ruhm von morgen, ihre Hoffnung und ihre Freude. Dir wird so viel gegeben, doch so wenig wird von Dir verlangt - einfach, gut zu lernen.

Ich hoffe, Du wirst das zu schätzen wissen! Und jetzt erlaube ich mir, Dir und Deinen Freunden zum Geburtstag Eures Vaterlandes zu gratulieren. Übermittle bitte meine besten Glückwünsche Deiner Mutter und Deiner Lehrerin, dem Straßenbahnfahrer und dem Feuerwehrmann, dem Sportler und dem Fischer, der Postbotin, dem Volkspolizisten und dem Künstler, jenem ehrenvollen jungen Mann, der an der Grenze wacht, und dem alten Mann, der auf dem Alexanderplatz Eis verkauft. Glückwunsch zum Feiertag, mein kleiner Kosmonaut, ich wünsche Dir und Deiner Heimat weitere Sternenwege!

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LESERBRIEFE

Bundesdeutsche Medien sind nach wie vor dabei, die DDR und ihre Bürger sowie die sozialistische Wirtschaft zu verteufeln. An vorderster Stelle die Sicherheitsorgane. Sie waren die ersten, deren Dienststellen zunächst ausgeraubt und dann dem Vandalismus überlassen, deren Tätigkeit als ungesetzlich, ja verbrecherisch bezeichnet wurde.
Ich war 30 Jahre Angehöriger der Volkspolizei, davon 33 Jahre bei der Kriminalpolizei. Dabei habe ich direkt auch mit der Tätigkeit und den Auswirkungen der westlichen Geheimdienste und deren Methoden zu tun bekommen. Immer noch, selbst nach 30 Jahren Anschluß der DDR an die BRD, wird gegen das MfS und seine Tätigkeit, seine Mitarbeiter vorgegangen, ihren größten und wirksamsten Gegner. Insbesondere wird ihm vorgehalten, sehr viele Informelle Mitarbeiter (IM) genutzt zu haben. Dazu ist zu sagen: Kein Geheimdienst kann ohne Informanten arbeiten, auch der BND nicht. In welchem Umfang dieser deutsche Geheimdienst heute agiert, läßt sich an der neuen gigantischen Dienststelle in Berlin nur erahnen. Mit welchen Mitteln und Methoden hier gearbeitet wird, kann sich der "Normalbürger" meist gar nicht vorstellen.
Und noch etwas: Für mich wurde der Anspruch auf Nachzahlung des Rentenanteils Bekleidungs- und Verpflegungsgeld bestätigt. Aber in Sachsen-Anhalt gibt es einen Innenminister, der die Zahlung "aussetzt", was darauf schließen läßt, daß er mit dem baldigen Ableben eines 90jährigen rechnet.

Gerhard Bochnig, Giersleben/Anhalt


Fast dreißig Jahre hoch ist der mediale Müllberg, der auf die DDR aufgehäuft wurde.
So wie viele andere war auch ich Mit-Konstrukteur der DDR mit unseren Biographien, unseren Lebensleistungen, unseren eigenen Erfahrungen, vor allem auch der unserer Eltern. Wir hatten den Staffelstab von unseren für soziale Gerechtigkeit und eine friedliche Welt kämpfenden Vorfahren übernommen und dürfen nun den Lauf der Geschichte nicht sich selbst überlassen. Auch nicht, wenn uns der Stab im Wettkampf mit dem Kapital 1990 abhanden kam.
Nein, wir noch Lebenden mit revolutionären Erlebnissen und Ideen dürfen nicht müde und schwach werden, den Streit um eine bessere Welt fortzusetzen. Lassen wir es uns nicht länger gefallen, wie Ureinwohner einer deutschen Kolonie behandelt zu werden. Wir müssen verbliebene demokratische Möglichkeiten nutzen, um unsere Biographien vor der Vernichtung zu schützen, unsere Gleichheitsrechte durchzusetzen, revolutionäre Zukunftsalternativen zum herrschenden System zu propagieren und um die uns nachfolgenden Generationen vor Kriegen, Elend und Not, Faschismus, ja, vor dem atomarem Inferno, das bei einem Trump nicht auszuschließen ist, zu bewahren.
Unsere Kinder, Enkel und auch schon Urenkel sind sich nicht alle dieser sie bedrohenden Gefahren bewußt -, abgelenkt und verführt mittels materieller und sozialer Korrumpierung durch das gegenwärtig herrschende System. Wir Altgewordenen können und müssen ihnen die Augen öffnen und ihnen die Schmutzstöpsel aus den Ohren holen. Wir wissen doch, wie das möglich ist. Schließlich haben wir darin elterliche und großelterliche Erfahrung.
Die DDR solo gibt es nicht mehr, eine BRD, inklusive DDR, geographisch ja, nicht aber sozial, wirtschaftlich, politisch, ideologisch und psychisch mit ihr geeint. Der historische Wert der DDR für die Zukunft eines friedlichen, sozial gerechten, sich mit allen um Freiheit, Souveränität und sozialen Fortschritt kämpfenden Völkern in der Welt solidarisierenden und antifaschistischen Deutschlands wird mehr und mehr vom herrschenden rechten Zeitgeist in einen deutschen Werteverlust umgemünzt. Das schadet nicht nur unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln, sondern auch uns für den Rest unseres Lebens als "Psycho-Keule". Deshalb wehre ich mich und erhebe ich mich immer wieder zum "Anwalt" der DDR.

Manfred Wild, Berlin


Pünktlich zum 30. Jahrestag der "Wiedervereinigung" der DDR mit der BRD wurde abermals die unsägliche Debatte unter dem Motto "DDR = Unrechtsstaat" losgetreten.
Folge ich dem ehemaligen NSDAP-Mitglied und späteren Bundeskanzler der BRD Kiesinger, war die DDR kein Staat. Er nannte die DDR 1967 ein "Phänomen" - ein "Phänomen" als Unrechtsstaat?
Seit dem Bestehen der DDR gab es in der BRD kaum eine Veröffentlichung zum Unrecht im "dritten Reich" ohne Hinweis darauf, daß es "drüben", in der DDR, doch viel schlimmer sei. Bis heute muß das angebliche Unrecht in der DDR dazu herhalten, die Verbrechen der Nazi-Herrschaft zu relativieren und zu verharmlosen.
Aus meiner Sicht ist der Begriff Unrechtsstaat in bezug auf die DDR weder juristisch noch politisch haltbar. Es ist ein polemischer Kampfbegriff, der zur Delegitimierung der DDR ins Feld geführt wird, was auch bestens funktioniert, wie die Haltung des Ministerpräsidenten von Thüringen, Bodo Ramelow (PDL), beweist, der sich obengenannter Auffassung anschloß. Ein Unrechtsstaat ist nach meiner Auffassung ein Staat, der das Recht gar nicht erst anstrebt, der ganzen Bevölkerungsgruppen die Existenzberechtigung abspricht. Das trifft, wenn man an die "Endlösung der Judenfrage" denkt, nur auf Nazi-Deutschland zu.
Die Politik der BRD gegenüber der DDR bestand seit Gründung beider Staaten aus aggressivem Antikommunismus, Ächtung des Antifaschismus und maximaler Schädigung der "Sowjetzone", wie Adenauer, erster Bundeskanzler der BRD nach dem zweiten Weltkrieg, die DDR nannte. Er war nicht nur Wegbereiter der Bundesrepublik, sondern brachte seine Gesinnung schon vor und mit Hitlers Machtbeginn zum Ausdruck. Am 10. August 1934 schrieb er in einem Brief an den Preußischen Minister des Innern: "... daß nach meiner Meinung eine so große Partei wie die NSDAP unbedingt führend in der Regierung vertreten sein müsse".

Wilfried Steinfath, Berlin


Vor Wochen schlug die Debatte um einen Facebook-Post der sächsischen CDU hohe Wellen. Dabei wurde ein Foto der im Februar 1945 durch Bomben zerstörten Stadt Dresden einem Bild maroder DDR-Altbauten in Görlitz von 1990 mit dem Spruch gegenübergestellt: "Sozialismus hat nur für Leid gesorgt, egal ob ... national oder real existierend."
Abgesehen von der Tatsache, daß es nicht schwerfällt, auch im westlichen Bundesgebiet marode Altbauten zu finden, gibt mir dieser Vergleich aus dem Munde von Menschen, die sich auf das christliche Wertesystem berufen, sehr zu denken.
Ich habe in meinem vielschichtigen beruflichen Leben mit Freud und Leid, mit helfenden, aber auch mit böswilligen Menschen zu tun gehabt. Ob in verantwortlichen Stellen in der Friedensbewegung, der Volkssolidarität oder als Amtsträger meiner Partei in staatlichen Organen - die Funktionäre der CDU waren für mich aufrichtige, berechenbare und kompetente Partner. Wir arbeiteten zusammen, stritten um beste Lösungen in komplizierten Zeiten und waren nicht selten fröhlich in der heute so oft geschmähten DDR. Wem nützt es, wenn die DDR nur als Schmuddelkind und als Inkarnation des Bösen dargestellt wird? Damit wird nicht nur die Lebensleistung und ehrliche Arbeit all derer mißachtet und mit Füßen getreten, die versuchten, mit den Schwierigkeiten klarzukommen und die hier blieben, sondern auch das Andenken an Persönlichkeiten der CDU wie Otto Nuschke und Gerald Götting beschmutzt. Von der "friedlichen Revolution" und der "Heldenstadt" Leipzig ist die Rede. Heldenstädte in meiner Vorstellung sind Leningrad (St. Petersburg), Stalingrad (Wolgograd) und Warschau durch deren Kampf gegen ein menschenverachtendes räuberisches System.
Das, was "friedliche Revolution" genannt wird, war ein Rück-Schritt in ein bereits schon früher bestehendes kapitalistisches System.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Pastor Volker Hartmann befaßte sich mit der Umgestaltung der Landwirtschaft im Dorf Lüssow (Kreis Güstrow) - nachzulesen in der Kirchenchronik des Ortes. Er schilderte die Umgestaltung als erzwungene Beitritte der Bauern und diffamierte sie als schreiendes Unrecht.
Meine Erfahrungen sind da ganz andere. In jener Zeit war ich in engem Kontakt mit den Bauern und Siedlern des Kreises Bützow. Mir ist nicht ein einziges Beispiel bekannt, daß ein Bauer gezwungen wurde, seinen Betrieb in die zu bildende Genossenschaft einzubringen. Ihnen wurden Modellprojekte wie Typ 1, 2 oder 3 angeboten. Die Wahl, in welcher Wirtschaftsform er tätig sein wollte, traf der Bauer alleine. Und wenn er Einzelbauer bleiben wollte, blieb er das.
Natürlich wurden die Vorteile der Großraumwirtschaft nicht von allen sofort erkannt. Doch nachgewiesenermaßen konnte durch Genossenschaften eine höhere Arbeits- und Lebensqualität erreicht werden. Und nicht zu vergessen, die Bauern blieben Eigentümer ihrer Betriebe.
Ziehen wir Vergleiche mit der Treuhand bei der Abwicklung der DDR, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Das gesamte Volksvermögen harter 40jähriger Arbeit wurde den Werktätigen ohne Entschädigung genommen. Tausende Arbeitslose, ungeklärte Vermögensfragen, Diffamierung und Mißachtung der Rechte der Menschen - auch darüber sollte der Ehrenbürger Güstrows, Herr Hartmann, in der Chronik Zeugnis ablegen.

Gerhard Perlick, Bützow


Wer mehr und Authentisches über die Lüssower wissen will, greife zu dem großformatigen Bild-Text-Band von Herbert Homfeld: Die Lüssower. Geschichte und Geschichten eines mecklenburgischen Landstrichs.VEB Hinstorff-Verlag, Rostock 1987. Red.

Am 3. Oktober 1990 verschwand die Volkswirtschaft der DDR. Die Bevölkerung war ersatzlos enteignet. Mehr als 1,4 Billionen DM Volkseigentum, von DDR-Bürgern erarbeitet - fast 85.000 DM pro Kopf der Bevölkerung. Es ging zu 87 % in westdeutsche, zu 7 % in ausländische und zu 6 % in ostdeutsche Hände über. Binnen fünf Jahren wurden drei Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Geblieben ist eine kleinteilige Wirtschaftsstruktur mit Innovationsschwäche und Bevölkerungsschwund. Allein Mecklenburg-Vorpommern verließen seit 1990 über 330.000 Einwohner.
Die heutige Besiedlung Ostdeutschlands entspricht dem Niveau von 1905. Den Fokus auf die einstige Treuhand zu richten, lenkt davon ab, daß die Deindustrialisierung vom Finanz- und Wirtschaftskapital der BRD gewollt war, um einen lästigen Konkurrenten zu beseitigen und einen neuen Absatzmarkt zu gewinnen.
Statt Untersuchungsausschüsse einzusetzen müssen gleichwertige Lebensverhältnisse geschaffen und die DDR-Bürger für das geraubte Volkseigentum entschädigt werden.

Wilfried Schubert, Güstrow


Ein neuer Untersuchungsausschuß kann nach fast 30 Jahren die von der Treuhand geschaffenen Tatsachen nicht mehr rückgängig machen. Das Volksvermögen der DDR und ihrer Bürger wurde letztendlich verramscht. Das war politisch vom Westen so gewollt. Deshalb wurden die Handlungen der Manager der Treuhand auch außerhalb jedes Rechts gestellt.
Was allerdings beim eventuellen Öffnen einiger bisher geschlossenen Treuhandakten interessant sein könnte, wäre die Frage, wie in so kurzer Zeit von nicht einmal vier Jahren das einstmals geschätzte Volksvermögen von über 1000 Milliarden auf ein Minus von 300 Milliarden heruntergewirtschaftet werden konnte, was wiederum doch möglich ist, wenn man so verfahren ist wie mit dem Rostocker Hafen. Erst wird er für 19 Millionen verschleudert und dann für ein Mehrfaches wieder zurückgekauft.
Ich gehe davon aus, daß alleine die landwirtschaftlichen Nutzflächen der ehemaligen Volkseigenen Güter ein Vielfaches des behaupteten Minus der Treuhand wert waren. Das Argument von einem Dr. Boick, daß man mit einem neuen Untersuchungsausschuß nur der AfD in die Hände spielen würde, die behauptet, erst hätten sich die "SED-Bonzen" auf Kosten der DDR-Bevölkerung bereichert und anschließend die Manager der Treuhand, könnte man leicht entkräften. Man müßte nur das Einkommen von SED-Funktionären, Top-Managern der DDR-Wirtschaft, Abgeordneten der Volkskammer und anderen Funktionsträgern ins Verhältnis zu den Einkommen der Werktätigen setzen. Gleiches sollte man dann mit den ähnlich gelagerten Einkommen heutiger Entscheider tun. Das Ergebnis dürfte überzeugend sein.

Ralf Kaestner, Bützow


Der Arzt und Schriftsteller Dietmar Beetz, geboren 1939, hat in der DDR bis 1989 insgesamt 19 Bücher veröffentlicht, vom Briefroman über Krimis, Kinderbücher und Verse. Er ist weit in der Welt herumgekommen, u. a. als Schiffsarzt auf der DDR-Fischfanghochseeflotte und als Helfer in einigen vormals kolonial ausgebeuteten afrikanischen Ländern. Er kennt sich aus, auch mit den Ursachen von Krankheiten, Hunger und Kriegen. Viel Bestürzendes und Schreckliches hat er gesehen.
Nun hat er ein Kompendium vorgelegt, das wertvolle Auskünfte darüber gibt, wie die kapitalistische Klassenherrschaft die Historie in ihrem Sinne umschreibt: etwa wenn die Rede ist von "zwei Diktaturen in Deutschland", dem "verordneten Antifaschismus", der "maroden DDR-Wirtschaft", der "Erziehungsdiktatur", einer "DDR vor dem Staatsbankrott" oder der "friedlichen Revolution".
Die Absicht ist klar: Die DDR soll unter dem Lügenberg auf ewig begraben sein. Doch das wird nicht gelingen. Es gibt Zeitzeugen, lebende und archivierte. Alles gedruckt.
In einem vorangestellten Prospekt-Bändchen weist Beetz auf die Struktur der Publikation hin und informiert darüber, unter welchen Themen seine Texte in 10 Einzelheften gebündelt sind. Alle Bände zusammen zählen 1300 Seiten.
Nähere Bezugsbedingungen des "Scripte-Friedhofs" beim Autor D. Beetz.

Werner Voigt, Kromsdorf


"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch", warnte Bertolt Brecht in seinem "Arturo Ui" vor faschistischen Nachfolgern - aber über Brechts Mahnung sind wir inzwischen längst hinaus. Der neugeborene braune Sumpf hat sich seit langem über Deutschland gelegt, bedroht, jagt und mordet. Unverhüllt, fast wie selbstverständlich und oft kaum von nennenswerter Empörung und Entsetzen begleitet, hören und lesen wir auch von Bewaffnung der rechten Szene. Übungszentren sind im Angebot, ganz legal, Namenslisten kursieren mit Personen, die im Visier der neuen Faschisten sind. In diesem Lande, wo gerade grell, laut und fast täglich das Großereignis der "Freiheit und Demokratie", 30 Jahre "Mauerfall", gewonnene "Meinungsfreiheit" gefeiert wird, die Menschenrechts-Chöre ertönen, etabliert sich - politisch mehr oder weniger geduldet - das faschistische Kontrastprogramm. Die Meinungsfreiheit findet kaum freie Meinungen, die laut NEIN zu diesen Umtrieben sagen. Wo solches ertönt, wird reflexartig die linke Gefahr an die Wand gemalt.
Wie kann das sein? Ist das mit deutscher Verantwortung vor der Geschichte gemeint?
Was ist das für ein Rechtsstaat, der sich und seine Werte feiert, immer wieder die nicht mehr existierende DDR mahnend vorführt und zugleich faschistische Traditionen duldet?

Roland Winkler, Aue


Die KPD-Regionalorganisation Oder/Spree hat in diesem Jahr Putz- und Pflegepatenschaften für zwei Stolpersteine in Frankfurt (Oder) übernommen. Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Mit ihnen soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die zwischen 1933 und 1945 von den Faschisten politisch verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden, an jüdische Opfer, Sinti und Roma, Homosexuelle, Euthanasieopfer und andere.
Vor kurzem haben wir den ersten Einsatz zur Säuberung der Stolpersteine durchgeführt. Während der Reinigung liefen viele Frankfurter an uns vorbei, manch einer schaute sicher auch bewußt weg. Ein junger Mann mit Fahrrad blieb kurz bei uns stehen und sprach sich positiv zu unserem Putzeinsatz aus.
Bleibt zu erwähnen, daß am 12. Juni in unserer Stadt erstmals sieben Stolpersteine gestohlen wurden.

Jens Röstel, Frankfurt (Oder)


Am 25. Juli erschien auf der Internetseite der Wochenzeitschrift "Die Zeit" ein Artikel über den Besuch von Frau von der Leyen in Polen. In diesem Artikel hieß es, "... ihr Vater, der frühere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, habe als einer der ersten Politiker in der Bundesrepublik die Oder-Neiße-Grenze anerkannt".
Eine Ungeheuerlichkeit, so die Geschichte zu verfälschen. Es waren die 15 Abgeordneten der KPD, die, wie der Auszug aus dem Protokoll des deutschen Bundestages von der 7. Sitzung am 22. September 1949 beweist, die Oder-Neiße-Grenze als Friedensgrenze bezeichneten.
Reimann (KPD): Wir wollen in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern leben und besonders mit den Völkern des Ostens und Südostens.
Gerade die Revision stört nicht nur unser Verhältnis gegenüber Polen, sondern bedeutet in der endgültigen Konsequenz den Krieg! Das darf nicht sein! Unser Volk darf nicht in einem dritten Weltkrieg vernichtet werden. Die Oder-Neiße-Grenze ist die Grenze des Friedens.
(Andauernde erregte Rufe: Pfui! Pfui! - Lärm. - Glocke des Präsidenten. - Erregte Zurufe: Abtreten! Abtreten!)
Ich trete hier nicht ab, bis ich nicht alles gesagt habe! (Andauernde große Unruhe und Rufe: Pfui! Raus! - Abg. Strauß: Schickt ihn nach Moskau! Ziehen Sie die Uniform an!)
Zurufe: Moskauer Agent! Bezahlter Provokateur!

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Ich habe weiter im Namen der Bundesregierung folgende Erklärung abzugeben: Wir bedauern, daß dieser Saal und diese Rednertribüne durch eine solche Rede des Abgeordneten Reimann, die den deutschen Interessen absolut zuwiderläuft, entweiht worden sind.

Johann Weber, Niederbayern


Im Juni nahm ich an einem von Gisbert Graff und Dr. Carola Weiß organisierten Freundschaftstreffen in Wolgograd teil (s. a. RF 260, S. 39).
Am ersten Tag besuchten wir den Mamajew-Hügel - ein beeindruckendes Erlebnis. Die Wachablösung im Saal des Soldatenruhms werde ich wohl nie vergessen. An der dortigen Ewigen Flamme legten wir ein Gebinde für die gefallenen Soldaten nieder.
Das Panorama-Museum zeigt Szenen des Kampfes und soll das größte seiner Art sein. Gegenüber dem Museum stehen noch Reste der Mühle. Diese verteidigte eine Handvoll Soldaten 58 Tage lang gegen die faschistische Wehrmacht.
Zu unserer Gruppe gehörende ehemalige NVA-Offiziere legten einen Kranz am Ewigen Feuer auf dem Platz der gefallenen Helden nieder und salutierten den Gefallenen zur Ehre. In der städtischen Jugendfreizeitstätte trafen wir uns mit Vertretern der Stadt, der Duma und mit Kriegsveteranen. Es war, wohl nicht nur für mich, sehr ergreifend, daß uns der ehemalige Oberbürgermeister und jetzige Duma-Vorsitzende auf Deutsch begrüßte, uns, deren Vorfahren im Auftrage Hitlers ihr Land überfallen hatten und für den Tod von über 27 Millionen Sowjetbürgern verantwortlich waren. Er hieß uns herzlich willkommen, berichtete einiges über die Stadt und freundschaftliche Beziehungen zwischen Wolgograd und der DDR, die bis heute zu den Menschen im Beitrittsgebiet bestehen. Er stellte uns dann einen 94jährigen Kriegsveteranen vor, der u. a. an der Befreiung Berlins teilgenommen hatte.
Übrigens: Auf dem Rückflug nach Berlin las ich die "Moskauer Deutsche Zeitung". Darin stand ein Interview mit dem Präsidenten von Bosch Rußland, Hansjürgen Overstolz. Er berichtete u. a. über seine ganz unterschiedlichen Erfahrungen in Frankreich und Rußland. Anders als in Rußland passierte es ihm in der Bretagne, daß er darauf angesprochen wurde, was er als Deutscher denn an einem Resistance-Denkmal verloren hätte.

Wolfgang Reinhardt, Nordhausen


Nach dem Ende des INF-Vertrags gilt es, eine neue atomare Aufrüstung zu verhindern. Die Kriegsdrohungen der USA und der NATO müßten alle Menschen aufrütteln, gegen diese schnell anwachsende und reale Kriegsgefahr aktiv zu werden. Sicherheit in Europa gibt es nur mit und nicht gegen Rußland!
Gerade unsere Heimatstadt Torgau, Stadt der Begegnung, die jedes Jahr an den "Geist der Elbe" erinnert, sollte sich der Initiative "Mayors for Peace" (Bürgermeister für den Frieden) anschließen, der in Deutschland mittlerweile 665 Mitglieder angehören (Stand 5. August).
Am 8. Juli jeden Jahres werden bundesweit vor den Rathäusern dieser Städte sichtbare Zeichen für eine friedliche Welt ohne Atomwaffen gesetzt. Die Stadt Torgau wäre dann zumindest in Nordsachsen die erste Stadt, die sich klar zu dieser Friedensinitiative bekennt.

Elke und Gerd Brucks, Torgau


Wie ein aus dem Hut gezaubertes Kaninchen taucht plötzlich Frau von der Leyen auf und wird prompt Präsidentin der Europäischen Kommission. Wie konnte denn das passieren? Sind das nun die neuen demokratischen Prozesse? Wo kommen denn plötzlich die ganzen Vorschußlorbeeren her?
In mir werden aber Erinnerungen wach, an den Film "Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten". Gerd Fröbel spielt dort den Colonel Manfred von Holstein. Er sagt sinngemäß, ein Offizier könne alles und studiere während seiner Flugversuche die Bedienungsanleitung seines Flugzeugs. Das Ganze fällt dann auch folgerichtig ins Wasser. Frau von der Leyen war aber nie Offizier, und ich habe den Verdacht, daß es für die Führung eines Verteidigungsministeriums auch keine Bedienungsanleitung gab und für die Präsidentschaft der EU-Kommission ebenfalls nicht.

Jetzt aber habe ich wirklich Sorge um Europa. Ich denke, bezogen auf den kapitalistischen Staat, an ein Zitat von Kurt Tucholsky: "Eine Regierung ist nicht der Ausdruck des Volkswillens, sondern der Ausdruck dessen, was ein Volk erträgt." (1934)

Jürgen Barz, Wismar


Zu: Wissenschaftliche Weltanschauung (VII. Weltkongreß der KI), RF 257, S. 16/17
Auf dem 1935 in Moskau durchgeführten VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale (KI) hielt Wilhelm Pieck den Rechenschaftsbericht, dem in einer Resolution vom 1. August 1935 zugestimmt wurde. Die Materialien wurden im Dietz-Verlag, Berlin 1975, veröffentlicht.
Neben dem Referat sind in diesem Buch u. a. die Rede Georgi Dimitroffs "Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus", die Rede Ercolis (Palmiro Togliatti) "Die Vorbereitung des imperialistischen Krieges und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale" sowie die Rede D. S. Manuilskis "Der Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion und seine weltgeschichtliche Bedeutung" enthalten.
In der Resolution zum Rechenschaftsbericht hieß es: "Der Weltkongreß ­... verweist auf die Unterschätzung der Wichtigkeit der Massenarbeit unter den Jugendlichen sowohl seitens der kommunistischen Jugendverbände als auch seitens der kommunistischen Parteien und auf die Schwäche dieser Arbeit in einer Reihe von Ländern, fordert das EKKI und das Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale auf, wirksame Maßnahmen zur Überwindung der sektiererischen Abkapselung einer Reihe von kommunistischen Jugendverbänden zu treffen, ... die Jugend zum Kampf gegen Militarisierung, Zwangsarbeitsdienstleger, für die Verbesserung ihrer materiellen Lage, für die Rechte der jungen werktätigen Generation zu mobilisieren und zu diesen Zwecken auf die Herstellung einer breiten Einheitsfront aller nichtfaschistischen Massenorganisationen der Jugend hinzuarbeiten."
Ich stelle mir die Frage: Welche Schlußfolgerungen müssen wir heute daraus ziehen?

Dr. jur. Klaus Emmerich, Edertal


Richard Grenell ist offiziell US-Botschafter in Deutschland, de facto aber so etwas wie ein Besatzungsoffizier, jedenfalls benimmt er sich so. Seine neueste "Eingebung": Die Deutschen müßten sich dankbar zeigen, daß die USA, oder noch besser, ihre Bürger, gutes Steuergeld für 50.000 in Europa stationierte Amerikaner bezahlen, ohne daß dies je angemessen gewürdigt worden wäre. Deshalb "drohte" Grenell unverschlüsselt mit einem (Teil-)Abzug der US-Truppen aus Deutschland. Flugs gesellte sich die US-Botschafterin in Polen, Georgette Mosbacher, an seine Seite und erklärte, "wir", die USA, die Polen würden es begrüßen, wenn die amerikanischen Truppen nach Polen kämen.
Im ersten Reflex könnte man ja sagen: Gut so, Hauptsache sie nehmen auch das komplette atomare Zubehör mit. Doch allen Satire-Kommentaren zum Trotz, die Sache ist so einfach nicht. Die Truppen wären ja schon vor mehr als 70 Jahren dort, wenn die Vereinbarungen der Anti-Hitler-Koalition in Jalta im Februar 1945 und später die Staaten des Warschauer Vertrags dies nicht verhindert hätten. Das Ziel der westlichen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition wurde schon unmittelbar nach der Potsdamer Konferenz neu justiert: Richtung Moskau.
Die diplomatischen Verrenkungen des deutschen Außenministers werden nicht lange auf sich warten lassen. Eines aber wird er mit absoluter Sicherheit nicht sagen, nämlich, daß die USA seit 1945 in Europa nie als Schutzmacht aufgetreten sind, daß sie stets nur ihre ureigenen Interessen als Weltmacht verfolgt haben und speziell die Westzonen Deutschlands bzw. die späteren Bundesrepublik als Startrampe für eine militärische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion präparieren wollten.
In einer Bundespressekonferenz Mitte August wurde auf eine Frage nach der deutschen Haltung zum "angedrohten" Truppenabzug aus Deutschland gesagt, daß damit nicht zu rechnen sei. Schließlich wisse man in Washington, daß das hier stationierte US-Militärpersonal die Sicherheit der USA garantiere. Besser kann man es nicht ausdrücken, um Deutschland zu einem "Bundesstaat" der USA zu erklären. Peter Struck "reloaded" und erweitert: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, die USA am Rhein.
Deshalb werden auch keine Verschiebungen im Militärapparat stattfinden. Und die derzeitigen Machthaber in Polen, die sich ja noch ein wenig näher an der russischen Westgrenze befinden, werden zusätzlich bedient.
Ich würde es - im Interesse von Frieden und Sicherheit - begrüßen, wenn der komplette US-Militärapparat aus Europa verschwinden würde.

Hans Schoenefeldt, Berlin

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin


Das Impressum für die obenstehende Ausgabe ist zu finden unter:
www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2019/RF-261-10-19.pdf

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Quelle:
RotFuchs Nr. 261, 22. Jahrgang, Oktober 2019
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2019

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