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ROTFUCHS/210: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 257 - Juni 2019


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

22. Jahrgang, Nr. 257 - Juni 2019



Aus dem Inhalt
  • Rote Fahnen in Torgau
  • K. Wecker: Entzündet vom Weltenbrand
  • Frieden mit Rußland!
  • Gemeinsame Interessen mit China
  • Vom Kampf für Umwelt und Frieden
  • "Aufstehen" lebt!
  • 70 Jahre Grundgesetz der BRD
  • Zum VII. Weltkongreß der Komintern
  • Wer war Kurt Eisner?
  • Ist der Kapitalismus reformierbar?
  • Solidarität im Blauhemd
  • Die große Freiheit ist es nicht geworden
  • Stimmen aus aller Welt über die DDR
  • "RotFuchs"-Veranstaltungen
  • Leserbriefe

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Flächenbrand verhindern!

Anfang Mai 2019 erhöhte sich die Gefahr neuer imperialistischer Kriege in verschiedenen Regionen der Welt: Israel bombardierte Gaza mit seiner modernen, den Palästinensern haushoch überlegenen Militärmaschinerie.

US-Außenminister Michael Pompeo drohte Venezuela am 1. Mai öffentlich mit Krieg. Die Bundesregierung schweigt offiziell dazu, unterstützt aber offen den venezolanischen Putschistenführer Juan Guaidó.

Das ist auch eine Antwort. Die US-Gewaltandrohung gegen einen souveränen Staat ist ein Verstoß gegen Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen. Na und? Vom derzeit amtierenden Vorsitz des UN-Sicherheitsrats, der Bundesrepublik, war nichts zu hören. Dafür gab SPD-Außenminister Heiko Maas eine zusätzliche Antwort: Einen Tag vor dem Putschversuch vom 30. April in Venezuela brach er zu einer viertägigen Reise in die Region auf. Die Vermutung liegt nahe, daß dabei ein Abstecher ins "befreite" Caracas geplant war. Frieden stand jedenfalls nicht auf seinem Reiseplan, eine Vermittlungsmission war ausgeschlossen. Maas traf sich mit dem Faschisten an der Macht, dem Präsidenten Brasiliens Jair Bolsonaro, dem ultrarechten Staatschef Kolumbiens Iván Duque und einem Abgesandten Guaidós. Sozialdemokratische Außenpolitik 2019 ... Trump sei ein Problem für den Westen, warnten bei seinem Amtsantritt die deutschen Leitmedien. Die Kanzlerin tat besorgt. Bei Gewalt gegen Venezuela sind Berlin und Washington aber wieder ein Herz und eine Seele. Zum US-Wirtschaftskrieg schweigt Berlin. Mit ihm soll in der Sprache des US-Sicherheitsberaters John Bolton dem Land die "Gurgel zugedrückt" werden.

Allerdings wurde aus dem Putsch am 30. April und 1. Mai nichts. Der "Spiegel" rügte daher am 4. Mai, die USA hätten eine "amateurhaft wirkende Rolle" gespielt. So rümpfen Kriegsprofis ihre Nase.

Der Ruf "Deutsche an die Front" erschallt aber in der Karibik noch nicht, dafür bei der "Landesverteidigung" am Hindukusch und in der Sahara. In die begab sich die Kanzlerin am 1. Mai. Das einzige, was sie mitbrachte, war Geld für das Militär der Sahel-Staaten, die nach dem Libyen-Krieg des Westens 2011 mehr und mehr zerrüttet werden. Außerdem wurde eine Verlegung der mehr als 800 Bundeswehrsoldaten innerhalb Malis in eine sichere Region angeordnet. Es wäre interessant zu erfahren, wie viele Angehörige dieses Afrika-Korps wissen, wofür sie in die Wüste geschickt wurden: Es geht um Uran, Gold, Mineralien und auch um Geld aus der von Frankreich kontrollierten regionalen Gemeinschaftswährung. Paris hat sich in Libyen schwer verhoben, sein immer noch intaktes Kolonialreich geriet ins Wanken. Da werden Ausputzer benötigt. Das hilft über imperialistische Interessengegensätze hinweg. Ein Rezept auch für den Brandherd Karibik? Der deutsche Außenminister zeichnet sich jedenfalls seit dem ersten Auftreten Guaidós im Januar durch besondere Putschbegierde aus. Das Kriegsmagazin "Spiegel" verkündete, für Bolton sei der Sturz Maduros nur der erste Schritt, um die "Troika der Tyrannei" hinwegzufegen, nämlich die "Linksregime in Venezuela, Nikaragua und Kuba". Erhalte Kuba kein venezolanisches Erdöl mehr, drohe der Insel "womöglich eine neue 'Sonderperiode' wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion".

Beim Verfassen dieses Textes wußten die Hamburger schon, daß Trump als erster Präsident seit 1996 eine Klausel des damals verabschiedeten Helms-Burton-Gesetzes am 2. Mai in Kraft gesetzt hatte. Danach können US-Bürger kubanische Körperschaften und ausländische Unternehmen wegen Nutzung der nach der Revolution von 1959 beschlagnahmten Vermögen von US-Firmen und Personen anklagen. Das träfe vor allem europäische Firmen. Der Imperialismus zündelt wieder an vielen Stellen in der Welt gleichzeitig. Deutschland macht mit. Es wird viel diplomatisches Geschick, militärische Stärke, vor allem aber Widerstand und Protest auf den Straßen nötig sein, um einen Flächenbrand zu verhindern.

Arnold Schölzel

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Rote Fahnen in Torgau

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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NATO-Exit - Raus aus der NATO!

Der 70. Geburtstag der NATO wurde von 29 Außenministern gefeiert, die nicht im Hauptquartier der NATO in Brüssel, sondern im Außenministerium in Washington zusammentrafen. Zeremonienmeister war Generalsekretär Jens Stoltenberg, der aber lediglich die Eröffnungsrede des Außenministers Michael Pompeo ankündigte. Es ist also das US-Außenministerium selbst, das uns klar zeigt, daß die NATO ein Instrument der Vereinigten Staaten ist. Es gab kaum politische (Gegen-)Reaktionen in Europa.

Eine starke Antwort kam von der internationalen "No-Nato-Konferenz" am 7. April in Florenz, die vom italienischen "No-War-No-NATO-Komitee", vom kanadischen "Global Research" (einem von dem Wirtschaftswissenschaftler Michel Chossudovsky angeführten Forschungszentrum) u. a. organisiert wurde. Es kamen etwa 600 Teilnehmer, darunter auch die Internationale Koalition für den Bann von Uranwaffen (Coalition for a Ban on Uranium Weapons, ICBUW), um dem Jubilar eine spezielle Torte zu überreichen:

Gefordert wurden der Abbau der NATO sowie die Schließung der 800 US-Basen im Ausland. Redner waren u. a: Der britisch-schweizerische Geldexperte und langjährige Weltbankmitarbeiter Peter Koenig, Michel Chossudovsky, Wladimir Kosin vom Zentrum für politisch-militärische Studien am russischen Außenministerium sowie Zivadin Jovanovic, Ex-Außenminister Jugoslawiens, Präsident des Forums von Belgrad. Die Teilnehmer des Treffens verabschiedeten eine "Erklärung von Florenz" zur Auflösung der NATO, in der es unter der Überschrift "Für eine internationale Front NATO-Exit" heißt: "Die Gefahr eines riesigen Krieges, der mit dem Einsatz von Atomwaffen das Ende der Menschheit bedeuten könnte, ist real und wächst, auch wenn er von der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird, die in Unkenntnis dieser unmittelbaren Gefahr gehalten wird.

Ein starkes Engagement, um einen Weg aus dem Kriegssystem zu finden, ist von entscheidender Bedeutung. Dies wirft die Frage nach der Zugehörigkeit Italiens und anderer europäischer Länder zur NATO auf. Die NATO ist kein Bündnis. Es ist eine Organisation unter dem Kommando des Pentagons, und ihr Ziel ist die militärische Kontrolle West- und Osteuropas.

US-Basen in den Mitgliedsländern der NATO dienen der Besetzung dieser Länder, indem sie eine ständige militärische Präsenz unterhalten, die es Washington ermöglicht, ihre Politik zu beeinflussen und zu kontrollieren und echte demokratische Entscheidungen zu verhindern. Die NATO ist eine Kriegsmaschine, die im Interesse der Vereinigten Staaten operiert, unter Mitwirkung der großen europäischen Machtgruppen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben.

Der Angriffskrieg der NATO im Jahr 1999 gegen Jugoslawien ebnete den Weg für die Globalisierung militärischer Interventionen, wobei Kriege gegen Afghanistan, Libyen, Syrien und andere Länder unter völliger Verletzung des Völkerrechts geführt wurden. Diese Kriege werden von den Mitgliedstaaten finanziert, deren Militärhaushalte zum Nachteil der Sozialausgaben ständig steigen, um kolossale Militärprogramme wie das des US-Atomprogramms zu unterstützen, das 1,2 Billionen US-Dollar kostet.

Unter Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag haben die USA unter dem falschen Vorwand der 'russischen Bedrohung' Atomwaffen in fünf nichtnuklearen NATO-Staaten stationiert. Auf diese Weise riskieren sie die Sicherheit Europas. Um das Kriegssystem zu verlassen, das immer mehr Schaden anrichtet und uns immer größeren Gefahren aussetzt, müssen wir raus aus der NATO und unsere Rechte als souveräne und neutrale Staaten bekräftigen. Auf diese Weise wird es möglich, zur Auflösung der NATO und aller anderen militärischen Bündnisse, zur Neugestaltung der Strukturen der gesamten europäischen Region, zur Schaffung einer multipolaren Welt beizutragen, in der die Wünsche der Völker nach Freiheit und sozialer Gerechtigkeit verwirklicht werden können.

Wir schlagen die Schaffung einer 'NATO Exit International Front' (Internationale Front NATO-Exit) in allen europäischen Mitgliedsländern der NATO vor, indem wir ein Basisnetzwerk aufbauen, das stark genug ist, um den sehr schwierigen Kampf zu unterstützen, den wir führen müssen, um dieses für unsere Zukunft lebenswichtige Ziel zu erreichen."

Leonhard Schäfer
San Casciano (Italien)

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Unser Recht, Marxisten-Leninisten zu sein

Anläßlich des 70. Jahrestages der Beendigung des Großen Vaterländischen Krieges drückte Fidel Castro im Mai 2015 seine tiefe Bewunderung für das sowjetische Volk aus, das der Menschheit einen unermeßlichen Dienst erwiesen hat:

Am 9. Mai wird des Jahrestags des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg gedacht. Wenn man den Zeitunterschied berücksichtigt, sind die Soldaten und Offiziere des Heeres der Russischen Föderation, während ich diese Zeilen schreibe, gerade dabei, mit den für sie typischen, schnellen und exakten Schritten auf dem Roten Platz zu exerzieren.

Lenin war ein genialer Stratege, der nicht zögerte, die Ideen von Marx zu übernehmen und sie in einem riesigen und nur teilweise industrialisierten Land umzusetzen, dessen proletarische Partei sich nach dem größten Gemetzel, das der Kapitalismus in der Welt verursacht hatte, in die radikalste und tapferste der Welt verwandelte.

In diesem blutigen Kampf wurden zum ersten Mal in einem Krieg Panzer, automatische Waffen, Flugzeuge und Giftgase eingesetzt und, wie bekannt wurde, auch eine berühmten Kanone, die in der Lage war, ein schweres Projektil mehr als hundert Kilometer weit zu schleudern.

Aus diesem Blutbad ging der Völkerbund hervor, eine Einrichtung, die den Frieden erhalten sollte, der es aber nicht einmal gelang, den schnellen Vormarsch des Kolonialismus in Afrika, in einem großen Teil Asiens, in Ozeanien, der Karibik und Kanada und einen rohen Neokolonialismus in Lateinamerika zu verhindern. Kaum zwanzig Jahre später brach ein weiterer schrecklicher Krieg in Europa aus, dessen Präambel der Spanienkrieg war, der 1936 begonnen hatte.

Nach der vernichtenden Niederlage der Nazis setzten die Länder ihre Hoffnung in die Organisation der Vereinten Nationen, die sich bemüht, ein Miteinander zu erreichen, das den Aggressionen und Kriegen ein Ende setzt, den Ländern Frieden und Entwicklung sichert und die friedliche Zusammenarbeit der großen und kleinen und der reichen und armen Staaten der Erde gewährleistet.

Millionen von Wissenschaftlern könnten unter anderem die Möglichkeiten für das Überleben der Spezies Mensch vergrößern, die bereits in kurzer Zeit durch den Mangel an Wasser und Nahrung für Milliarden von Menschen bedroht sein wird. Es leben bereits 7,3 Milliarden Menschen auf der Erde. Im Jahr 1800 waren es nur 978 Millionen. Im Jahr 2000 stieg die Zahl auf 6,07 Milliarden an, und konservativen Schätzungen zufolge werden es im Jahr 2050 zehn Milliarden sein.

Doch es wird kaum erwähnt, daß in Westeuropa Boote voll von Emigranten ankommen, die dazu jeden Gegenstand, der schwimmt, nutzen, ein Strom von Emigranten aus dem afrikanischen Kontinent, den die Europäer Hunderte von Jahren kolonisiert hatten.

Vor 23 Jahren sagte ich in einer Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung: "Eine wichtige biologische Gattung ist wegen der schnellen und fortschreitenden Beseitigung ihrer natürlichen Lebensbedingungen in Gefahr zu verschwinden: der Mensch." Ich wußte damals jedoch nicht, wie nah wir bereits an diesem Punkt angekommen waren. Zum Gedenken an den 70. Jahrestag des Siegs im Großen Vaterländischen Krieg möchte ich dem heroischen sowjetischen Volk, das der Menschheit einen unermeßlichen Dienst geleistet hat, unsere tiefe Bewunderung aussprechen.

Heute ist ein tragfähiges Bündnis zwischen den Völkern der Russischen Föderation und dem Staat mit dem größten Wirtschaftswachstum der Welt, der Volksrepublik China, möglich. Beide Länder mit ihrer engen Zusammenarbeit, ihrer fortgeschrittenen Naturwissenschaft, ihren mächtigen Heeren und tapferen Soldaten bilden einen mächtigen Schutzschild für den Frieden und die Sicherheit in der Welt, damit das Leben unserer Gattung gewahrt werden kann.

Die physische und mentale Gesundheit, der Geist der Solidarität sind Normen, die obsiegen müssen, sonst wird das Leben des Menschen, wie wir es kennen, für immer verlorengehen.

Die 27 Millionen sowjetischer Menschen, die im Großen Vaterländischen Krieg starben, taten dies auch für die Menschheit und für das Recht, sozialistisch zu denken und zu sein, marxistisch-leninistisch zu sein, kommunistisch zu sein und aus der Vorgeschichte herauszutreten.

Fidel Castro Ruz
(7. Mai 2015; nach "Granma", Havanna)

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Entzündet vom Weltenbrand

Konstant in Wecker und die klassische Musik - für viele gehören Violine, Bratsche und Cello seit jeher zu dem Münchner Liedermacher, ebenso wie dessen Klavier und Stimme. Und all diejenigen und noch viele mehr dürfen 2019 auf die ganz besonderen Konzertereignisse "Weltenbrand" gespannt sein. Denn ab dem Tourstart am 1. Juni - gleichzeitig Weckers 72. Geburtstag - werden der Musiker und seine Band mit keinem Geringeren als dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie auf große Konzertreise gehen. Konstant in Wecker und der Dirigent Mark Mast - die beiden Namen stehen für eine fast 20-jährige Zusammenarbeit.

Jetzt sind sie wieder auf der Bühne vereint, um mit alten und neuen Songs des Liedermachers den globalen Traum einer herrschaftsfreien Welt zu zelebrieren, darunter eben auch "Weltenbrand", "Empört euch!" sowie das "Hexeneinmaleins", das der Münchner Komponist bereits in den 70er-Jahren für eine orchestrale Begleitung geschrieben hat. Konstantin Wecker wird auch im Programm "Weltenbrand" seine Stimme erheben gegen Krieg und die drohende Faschisierung der Erde.

Wer den bekennenden Pazifisten und Träger des Göttinger Friedenspreises 2018 und seine unbändige Lust zu leben kennt, der weiß, daß er damit keine Angst verbreitet, sondern Mut und Lebensfreude. Und dies mit der außergewöhnlichen Kraft eines großartigen Orchesters. RF

Tournee-Termine sind u. a.
14. 10. Köln,
29. 10. München,
08. 11. Freiburg,
14. 11. Dresden,
27. 11. Hannover,
28. 12. Erfurt

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Nehrus Fragen und die sowjetische Friedenspolitik

"Der Ausbruch eines großen Krieges kann zum Untergang der gesamten Menschheit führen. Die abgeworfenen Bomben werden Giftgase enthalten, die ganze Gebiete verseuchen und alles Leben ersticken können. Die Zivilbevölkerung wird auf die grausamste und schmerzvollste Art und Weise gequält und in Massen getötet werden ... Das ist jedoch nicht alles. Die Bomben können ebensogut Mikroben und Bakterien unheilbarer Krankheiten enthalten. Die bakteriologische Kriegführung sieht auch noch andere Methoden vor: die Verseuchung von Nahrungsmitteln und Trinkwasser ... Wie wird das alles enden? Stehen wir am Rande des Grabes der Menschheit? Soll das stolze und schöne Gebäude menschlicher Kultur und Zivilisation, das in Jahrtausenden mühselig errichtet wurde, so schmählich und sinnlos zerstört werden?"

Diese alarmierenden Zeilen wurden am 14. Juli 1933 in einem britischen Kolonialgefängnis in Indien geschrieben. Sie stammen aus der Feder Jawaharlal Nehrus - Zeilen aus einem Brief an seine Tochter Indira Gandhi.(*) Uns trennt von jener Zeit der zweite Weltkrieg mit 50 Millionen Toten, vielen Millionen Versehrten und verheerenden Verwüstungen. Sein grauenvolles Schlußbild waren die Atompilze über Hiroshima und Nagasaki, die 140.000 Menschen in der einen und 75.000 in der anderen Stadt den Tod brachten. Solche "Errungenschaften" hat die Wissenschaft der kapitalistischen Welt aufzuweisen. Übrigens sah Nehru dies bereits seinerzeit voraus. Mahnend wies er darauf hin, daß die Wissenschaft - bei all dem Guten, was sie den Menschen gebracht - dennoch gleichzeitig die Schrecken des Krieges in ungeheurem Maße gesteigert habe. Wenn die modernsten Armeen vor einem halben Jahrhundert noch ihre Ausrüstung mit Bombern ergänzten, die mehrere hundert Kilometer pro Stunde zurücklegen konnten, sind heute Raketen in der Lage, in wenigen Minuten Atomsprengköpfe auf andere Kontinente zu bringen und mit einem einzigen Geschoß ganze Städte zu vernichten. Doch wer bedroht so grauenvoll die Menschheit?

Der Feind der Menschheit hat eine ganz konkrete Gestalt. Er ist befangen in blindwütigem Antikommunismus und Antisowjetismus und hundertfach gefährlicher als vor einem halben Jahrhundert. Er hat sich seitdem nahezu unvorstellbare Ergebnisse der Wissenschaft dienstbar gemacht und beabsichtigt, sie rücksichtslos anzuwenden. In wahnwitziger Verblendung kann und will er nicht einsehen, daß er damit auch sein eigenes Verderben beschleunigt. Wir sind verpflichtet, genau zu beobachten und zu analysieren, wie die herrschenden Kreise des Imperialismus denken und wie sie handeln. Die Geschichte kann uns bei unseren Schlußfolgerungen ein wichtiger Ratgeber sein.

Nach dem ersten Weltkrieg sahen sich die Führer der kapitalistischen Länder genötigt, aus Propagandagründen den Völkern zu versichern, dies sei der "letzte Krieg" gewesen, nun breche eine Friedensära an. Gleichzeitig jedoch organisierten sie einen Feldzug von 14 Staaten gegen Sowjetrußland. Und als Sowjetrußland die Attacken der äußeren und inneren Konterrevolution zurückgeschlagen hatte, begannen die Führer der kapitalistischen Länder von einer "Ära des Pazifismus" zu sprechen. Ihr "Pazifismus" erwies sich als ein weiterer Propagandatrick. Stets lehnten sie sämtliche Friedensvorschläge Sowjetrußlands ab. Dazu einige Fakten: Im April 1922 kam es zu der berühmten Konferenz von Genua, an der Sowjetrußland teilnahm.

Am 10. April legte im Palazzo San Giorgio der Volkskommissar für Äußeres, Tschitscherin, namens der Sowjetregierung ein konstruktives Abrüstungsprogramm vor, dessen Hauptpunkte lauteten:

  • Friedliche ökonomische Koexistenz zwischen dem kapitalistischen und dem sozialistischen System
  • Allgemeine Rüstungsverminderung für alle Staaten
  • Einberufung eines Weltkongresses zur Wiederherstellung des allgemeinen Friedens unter Beteiligung von Arbeiterorganisationen

Nahmen die westlichen Regierungen die Vorschläge Sowjetrußlands an? Nein. Gab die Sowjetunion nun ihre Abrüstungsbemühungen, die Suche nach einem wechselseitig annehmbaren Frieden auf? Nein, sie setzte sie vielmehr noch energischer und hartnäckiger fort.

Im Dezember 1922 fand in Moskau die erste internationale Konferenz zur Rüstungsbegrenzung statt. Am 12. Juni 1922, ein halbes Jahr vor dieser Konferenz, hatte die Sowjetregierung vier Ostseeanliegerstaaten - Estland, Lettland, Polen und Finnland - vorgeschlagen, ihre Vertreter nach Moskau zu entsenden, um gemeinsam mit den russischen Diplomaten Fragen einer proportionalen Reduzierung der Streitkräfte für die von ihnen repräsentierten Länder zu erörtern. Später nahmen auch Litauen und Rumänien diesen Vorschlag an.

Lange vor der Konferenz hatte Sowjetrußland einen wesentlichen Beitrag zur Abrüstung geleistet. Nach Beendigung des Bürgerkrieges war die zahlenmäßige Stärke der Roten Armee auf ein Sechstel gesenkt worden, so daß sie einen Bestand von 800.000 Soldaten aufwies. Zieht man das Territorium des Sowjetlandes in Betracht, ferner die Politik der imperialistischen Westmächte, die auch nach dem Scheitern ihrer Interventionspläne die Absicht verfolgten, der Sowjetmacht ein Ende zu bereiten, so war die Stärke der Roten Armee auf ein Mindestmaß herabgedrückt worden. Dies stellte ein gutes Beispiel und die Aufforderung zum Dialog dar.

Die Konferenz wurde am Morgen des 2. Dezember im Hause des Volkskommissariats für Äußeres am Kusnezki Most eröffnet. Der sowjetische Delegationsleiter Maxim Litwinow verlas eine Deklaration der Sowjetregierung. Sie enthielt den Plan für eine beiderseitige Reduzierung der Landstreitkräfte, und zwar: "Sowjetrußland vermindert im Laufe der nächsten anderthalb bis zwei Jahre den Personalbestand seiner Armee auf ein Viertel ihrer jetzigen Stärke, d. h. auf 200.000 Personen. Eine entsprechende Reduzierung ihrer Armeen nehmen jene Staaten vor, die im Westen an Rußland grenzen."

Den sowjetischen Plan vervollständigten folgende konkrete Vorschläge: Die vertragschließenden Staaten schränken ihre Militärbudgets ein; sie neutralisieren ihre Grenzgebiete und lösen verschiedene irreguläre Formationen militärischen Charakters auf - d. h. Überbleibsel weißgardistischer Armeen, die in Ostseeanliegerstaaten Zuflucht gefunden hatten.

Das bedeutete ein ganz konkretes Aktionsprogramm. Doch die Delegationschefs der bürgerlichen Länder zettelten entsprechend den Instruktionen, die sie aus London und Paris erhalten hatten, eine aussichtslose Diskussion an, schlugen vor, zuerst "moralisch abzurüsten" und danach an die Truppenreduzierung zu denken.

Am 5. Dezember legte Litwinow erneut die Position der Sowjetregierung dar. Erste Bedingung für wirkliche Abrüstung sei die materielle Abrüstung. Die Kriegsgefahr stehe in proportionalem Verhältnis zu der in den Arsenalen befindlichen Waffenmenge. Die westlichen Diplomaten wichen weiterhin aus.

Die sowjetische Seite setzte ihre Bemühungen fort, die Verhandlungen in praktische Bahnen zu lenken. Doch die kapitalistischen Länder verfolgten gänzlich andere Ziele, nämlich aufzurüsten und nach entsprechender Vorbereitung eine erneute Intervention gegen Sowjetrußland zu versuchen. Die erste internationale Konferenz zur Rüstungsbegrenzung endete ohne Ergebnis. Allerdings mußten selbst westliche Presseorgane zugeben, daß die Bolschewiki seit dem Friedensappell im Oktober 1917 unbeirrbar an der Friedensinitiative festhielten. Dies wurde bekräftigt durch weitere Initiativen der UdSSR in den zwanziger und dreißiger Jahren. Es läßt sich Schritt für Schritt verfolgen, wie die UdSSR weiterhin unbeirrt für die Abrüstung gekämpft hat.

Sinowi Schejnis, Moskau
(1983; RF-Archiv)

(*) Jawaharlal Nehru: Briefe an Indira. Weltgeschichtliche Betrachtungen. Progress-Verlag, Düsseldorf 1957, 1136 S.

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Gegen Russophobie, Hochrüstung und Meinungsmanipulation

Frieden mit Rußland!

Der heutige Tag, der 22. Juni, hat sich tief ins historische Gedächtnis von vielen Völkern und Millionen Menschen eingebrannt: Bald 80 Jahre ist es nun her, daß Hitlerdeutschland die Sowjetunion überfiel. Bis heute und bis in die nächsten Generationen gedenkt man nicht nur in Rußland, sondern auch in Belarus, in der Ukraine und den anderen heute unabhängigen kaukasischen und zentralasiatische Republiken der Sowjetunion dieses Tages.

Dieser 22. Juni ist ein Tag des Gedenkens und ein Tag der Mahnung, ja, der Warnung vor einer Wiederholung eines der tragischsten Kapitel der Menschheitsgeschichte. Und das ist höchst aktuell.

Denn was erleben wir heute? Russophobie, Manöver an den Grenzen Rußlands, NATO-Truppen auf deutschem Boden, deren Panzer über panzertaugliche brandenburgische Autobahnen fahren sollen, Hochrüstung, Geschichtsfälschung und Meinungsmanipulation. Und es sieht so aus, daß wieder einmal keine Lehren aus den Erfahrungen der Geschichte gezogen werden. Weder aus denen des Kriegs, noch aus der historischen Tatsache, daß es den Völkern und Staaten am besten ging, wenn sie gute partnerschaftliche, ja selbst familiäre Beziehungen zueinander hatten.

Ursula von der Leyen meint, daß die westlichen Gesellschaften, im Gegensatz zu Rußland, keine Feindbilder bräuchten. Die Realitäten und Fakten zeigen aber, daß aggressive Schritte seitens des Westens eher zu- als abnehmen. Seit 2010 veranstaltet die NATO regelmäßig Manöver nahe der russischen Grenze. 2018 fand das bisher größte dieser Art statt. Mit 18 000 Soldaten aus 19 NATO-Mitgliedstaaten, 1500 schweren Fahrzeugen und 45 US-Panzern.

All dies erfolgt in unser aller Namen. Aber ich verweigere mich, ich sage: "Nicht in meinem Namen!" Nicht gegen Wissen und Gewissen aller im Sinne des Humanismus und des Friedens wirkenden Menschen!

Ich fordere alle - vor allem die jüngeren Generationen, die nie einen Krieg erleben mußten - auf: "Laßt das nicht zu! Wehret den Anfängen! Achtet den Frieden, achtet das Leben!" Das sind Lehren, die ich persönlich aus meinem Leben und dem meiner Eltern gezogen habe.

1937 wurde ich in Moskau geboren, als Kind deutscher kommunistischer Emigranten. Den Beginn des Krieges erlebte ich mit meiner älteren Schwester in Rjasan, in einem Kinderferienlager unweit von Moskau. Wie wir beide, zwei deutsche Kinder, Kinder aus dem Land der Täter, uns in diesen ersten Tagen des Krieges zurück nach Hause, nach Moskau, durchgeschlagen haben, grenzt an ein Wunder.

Zu diesem Zeitpunkt dachten viele Sowjetbürger noch: Das kann doch nicht sein, daß das Volk der Dichter und Denker, daß die starke deutsche Arbeiterbewegung das zuläßt.

Als wir kurz darauf nach Taschkent evakuiert wurden, lernte ich, was es heißt, wenn Lebensmittel rationiert und immer knapper werden. Ich sah die Trauer der Angehörigen, wenn wieder einer der Ihren an der Front gefallen ist. Ich erlebte die konkrete Solidarität der Menschen: Onkel Fedja, unser ukrainischer Nachbar, half uns in den Unterschlupf, wenn es nötig war. Tante Nadja, die Armenierin von gegenüber, besuchte uns täglich, um meinem bettlägerigen Vater die steifgewordenen Gliedmaßen zu massieren. Die Menschen teilten das Wenige, was sie hatten, mit uns, den Deutschen. Und ich erinnere mich, mit welcher Wut eines achtjährigen Jungen ich mich weigerte, in den Kriegsspielen mit meinen Freunden aus dem Viertel den "Fritz" zu spielen. Ich, der ich doch ein Oktoberkind, ein junger Pionier war!

1947 zurück in Deutschland betrat ich zum ersten Mal das Land meiner Eltern, das Land, von dem so viel Grausamkeit, Tod, Vernichtung und Haß über so viele Menschen gebracht wurde. Und auch ich half, den Schutt mit meinen Händen beiseitezuräumen. So wie es die Trümmerfrauen getan hatten, in Berlin und in Moskau, in Leningrad und in Stalingrad ­...

"Nie wieder Krieg!" Wie oft hörte ich das aus russischen und deutschen Mündern. Unsere Völker eint mehr, als sie trennt. Für das Einende zwischen Russen und Deutschen habe ich mich immer eingesetzt, und werde mich immer einsetzen. Nicht von ungefähr sagte mir ein guter Freund: "Bruno, du bist zwar ein echter Deutscher, aber du verstehst uns Russen!" Ich entgegnete: "Ja, ich bin ein echter Deutscher, aber vielleicht kein typischer!"

Ich unterhielt mich einst in den 90ern mit Außenminister Lawrow über die befremdliche und ablehnende Haltung des Westens gegenüber den Vorschlägen der russischen Diplomatie und zitierte in dem Zusammenhang das chinesische Sprichwort: "Mit einer Hand kann man keinen Beifall klatschen." Sergej Wiktorowitsch sagte eindringlich, Rußland wolle keine Konfrontation, Rußland werde sich immer aktiv um Verhandlungen und Dialog bemühen. Bis heute wird dieser Kurs verfolgt. Erinnern wir uns nur an Präsident Putins Appell, mit allen Mitteln einen 3. Weltkrieg zu verhindern. Man kann nur hoffen, daß Geduld, Überzeugung und diplomatisches Geschick ausreichen werden, um den wachsenden Gefahren für den Frieden Einhalt zu gebieten.

Immer wieder haben uns die Russen ihre Hand zur Versöhnung, zur Annäherung und für die Freundschaft gereicht: Es ist an der Zeit, diese Hand zu ergreifen.

"Hauptsache, es gibt keinen Krieg!" hört man oft, wenn man sich mit Russen, jung wie alt, unterhält. Sie sagen das nicht, weil sie einer, wie es in deutschen Medien mitunter heißt, "Kreml-Propaganda" aufgesessen sind, sondern weil jede Familie, ich wiederhole, jede Familie am eigenen Leib erfahren hat, was das bedeutet: Krieg! Und weil diese Erfahrung immer noch lebendig ist!

Die deutsche Friedensbewegung muß wieder aktiv werden. Der Widerstand seitens der Friedenskräfte in unserem Land reicht noch nicht aus. Und ich frage mich: Was ist mit der Gewerkschaftsbewegung? Was sagen die Gewerkschaftsmitglieder, die in Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie arbeiten? Unsere Stimme muß lauter werden: gegen See- und Landmanöver auf und über deutschem Territorium, gegen Rüstungsexporte, gegen Hetze, Verunglimpfung und Scharfmacherei, gegen Hochrüstung sowohl auf der Erde als auch im Weltall.

Bruno Mahlow
(Aus einer Rede zum 22. Juni 2018)

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Anerkennung und Auszeichnungen für Putschisten und Diktatoren

Unrühmliche außenpolitische Tradition

Mit der völkerrechtswidrigen Anerkennung des selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó in Venezuela setzt die Bundesregierung mit Außenminister Heiko Maas eine lange unsägliche Tradition deutscher Regierungen beim Umgang mit Putschisten und Diktatoren fort. Diese Tradition reicht zurück bis ins Jahr 1936, als die faschistische Hitler-Regierung am 18. November, nur vier Monate nach dem Militärputsch, General Franco als "legitime spanische Regierung" anerkannte und damit die rechtmäßige Regierung der Republik Spanien als "illegitim" erklärte, so wie gegenwärtig der gewählte Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela als "unrechtmäßiger Machthaber" bezeichnet wird.

Übrigens, Großbritannien und Frankreich hielten damals eine längere Schamfrist ein und vollzogen diesen Schritt erst nach 2 ½ Jahren am 27. Februar 1939, also kurz vor der militärischen Niederlage der Spanischen Republik, mit welcher der Bürgerkrieg endete und in eine blutige faschistische Diktatur mündete.

Ein solcher Umgang mit Putschisten und Diktatoren wurde von der Bundesregierung konsequent fortgeführt.

Bereits am 22. März 1955 - knapp zehn Jahre nach der Niederlage des faschistischen Deutschland und 20 Jahre nach Anerkennung des Diktators Franco durch Hitler - wurde dem blutrünstigen Diktator Hector Trujillo aus der Dominikanischen Republik die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik, die Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Übrigens einen Monat, nachdem der Schah von Persien, Reza Pahlavi, die gleiche Auszeichnung in Empfang nehmen durfte - eine saubere Gesellschaft, die von Bundespräsident Theodor Heuss mit solcher Ehrung bedacht wurde!

Und es ging weiter. Im Mai 1957 weilte der kubanische Mörder-Diktator Fulgencio Batista auf Einladung der damaligen Adenauer-Regierung zu einem Staatsbesuch in der BRD.

Am 28. Mai 1957, zu einer Zeit, als die revolutionäre Rebellenarmee in der Sierra Maestra unter Fidel Castro, Raul Castro, Che Guevara und Camilo Cienfuegos für Freiheit und Demokratie, gegen die blutige Diktatur in Kuba kämpfte, erhielt dieser menschenverachtende Batista ebenfalls diese höchste Auszeichnung, welche die BRD zu vergeben hat: die Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der BRD - und ebenfalls aus den Händen des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss.

Damit war aber noch nicht Schluß mit dieser schändlichen Reihe. 1959 wurde auch dem blutigen Diktator Luis Anastasio Somoza in Nikaragua diese höchste Auszeichnung überreicht.

Eine Traditionslinie beim Umgang mit Putschisten, die - wie wir nun am Beispiel Venezuelas erleben dürfen - aufrechterhalten wird. Dieses Mal zögerte der SPD-Außenminister Heiko Maas nicht so lange wie damals Hitler; er wartete keine vier Monate, sondern anerkannte den selbsternannten Präsidenten in Venezuela schon nach einigen Tagen.

Bundespräsident Theodor Heuss hatte als Abgeordneter der Deutschen Staatspartei am 24. März 1933 im Reichstag für das Ermächtigungsgesetz Hitlers gestimmt - das Gesetz, mit dem Hitler diktatorische Vollmachten übertragen bekam. Eine Hand, die für Hitlers Diktatur stimmte, hatte auch später keine Probleme damit, blutigen Diktatoren Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.

Ob sich SPD-Außenminister Heiko Maas dieser unrühmlichen Tradition bewußt war, als er den selbsternannten Präsidenten Venezuelas anerkannte? Oder ist die Unterwürfigkeit unter die US-Politik so stark, daß derartige Überlegungen erst gar keinen Platz haben und das Völkerrecht ausgeblendet wird?

Wir rufen die Bundesregierung auf: Lassen Sie das Spiel mit dem Feuer! Rufen Sie die venezolanische Opposition, die alle Verhandlungs- und Vermittlungsangebote ablehnt und in der Person von Juan Guaidó sich sogar für eine militärische Intervention ausspricht, lieber auf, diese destruktive Haltung aufzugeben und eine Lösung zum Wohle des venezolanischen Volkes zuzulassen.

Wir fordern: Respektierung des Völkerrechts! Keine Einmischung von außen in die inneren Angelegenheiten Venezuelas! Hände weg von Venezuela!

Gerhard Mertschenk
Berlin

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"Unkonventionelle" Kriegführung gegen Venezuela

Am 10. April gab der Botschafter Venezuelas, Samuel Moncada, bei den Vereinten Nationen im UN-Sicherheitsrat eine Erklärung zur Lage in seinem Land ab, aus der wir einen Auszug dokumentieren:

Die Situation (in Venezuela, RF), wie sie hier bestätigt wurde, ist das Ergebnis menschlicher Handlungen. Was aber nicht gesagt wurde, ist, daß diese Handlungen Teil eines Plans für die wirtschaftliche Zerstörung sind. Er wurde von der Regierung der Vereinigten Staaten entworfen, verursachte ein Maximum an sozialem Leid, löste die Fähigkeiten unsres Landes, sich selbst zu versorgen, auf und sollte schließlich eine Implosion herbeiführen, die eine ausländische militärische Intervention erlauben sollte, gestützt auf die schändliche Formel "Verantwortung zu schützen". Sie wurde bereits zur Rechtfertigung kolonialer Invasionen in Länder, die Öl benutzen, verwendet.

Es handelt sich um ein gigantisches, unmenschliches Experiment unkonventioneller Kriegführung. Um eine Politik berechnender Grausamkeit, die Menschenrechte in größtem Maße verletzt, die bis dahin geht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verüben. Das alles mit dem Ziel, zu plündern und zu rauben, eine Regierung vor Ort aufzuzwingen, eine untergebene Regierung, und in unserem Fall unter Verwendung einer rassistischen Ideologie, die vor mehr als 200 Jahren entstand. Damals waren die USA ein Land von Sklavenhaltern, heute werben sie dafür unter Verletzung des Völkerrechts. Wir denken an die berüchtigte Monroe-Doktrin. Aber hören sie ihre eigenen Worte:

  1. Am 9. Januar 2018 erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums: "Die Kampagne zur Erzeugung von Druck funktioniert ... Wir sehen einen völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch in Venezuela. Also funktionieren unsere Politik und Strategie, und wir werden weiter an ihr festhalten."
  2. Am 12. Oktober 2018 sagte Botschafter William Brownfield: "Wir müssen das wie einen Todeskampf behandeln, wie eine Tragödie, die sich fortsetzt, bis sie schließlich ein Ende findet (...) Und wenn wir etwas dafür tun können, sie zu beschleunigen, müssen wir das tun. Aber wir müssen auch begreifen, daß sich dies auf Millionen Menschen auswirkt, Menschen, die schon genug Schwierigkeiten haben, Nahrung und Medikamente zu finden (...) Wir können das nicht tun und zugleich vorgeben, daß es keine Auswirkungen hat. Wir haben daher eine harte Entscheidung zu treffen, aber das erwünschte Ende rechtfertigt die strenge Bestrafung."
  3. Am 7. März 2019 erklärte Senator Marco Rubio: "In den nächsten Wochen wird Venezuela in eine Leidensperiode eintreten. Kein Land in unserer Hemisphäre wurde in der modernen Geschichte so damit konfrontiert."
  4. Am 22. März 2019 bemerkte John Bolton: "Es ist so ähnlich wie in 'Star Wars', wenn Darth Vader jemandem den Hals zudrückt. Das machen wirtschaftliche Sanktionen mit dem Regime."

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Brennpunkt Kolumbien

Einer der Brennpunkte auf dem lateinamerikanischen Kontinent ist neben Venezuela das Nachbarland Kolumbien.

So traten im März mehr als 12.000 Indigene in vier Departements des zentralen Südwestens des Landes in einen Generalstreik und blockierten eine der wichtigsten Bundesstraßen, die Panamericana, mit Dutzenden Straßensperren. Sie forderten endlich verbindliche Zusagen über 1000 Vereinbarungen, die seitens der Regierung ständig gebrochen werden. Es kam zu schwersten gewaltsamem Auseinandersetzungen zwischen den Streikenden und der Polizei und Armee mit Toten und Verletzten.

Solche Tatsachen wie diese oder der Generalstreik in Buenaventura, wo sogar Kinder ihr Leben lassen mußten, werden totgeschwiegen.

Die rechte kolumbianische Vizepräsidentin Marta Lucía Ramírez erklärte kürzlich Venezuela zu einer "Bedrohung für die Sicherheit Kolumbiens und die regionale Sicherheit". Verantwortlich dafür sei eine "kriminelle Diktatur", die das Volk unterdrücke. Im weiterem sprach sie von der "humanitären Tragödie, in der wir das venezolanische Volk leben sehen. Bei jeder Gelegenheit flüchtet die Bevölkerung, um ein Minimum an Lebensqualität außerhalb ihres Landes zu finden."

Unter den Tisch gekehrt wird dabei, daß es laut UNHCR in Kolumbien im Juni 2018 rund 7,7 Millionen inländische Flüchtlinge gab. Mittlerweile dürfte die 8-Millionen-Grenze erreicht sein. Damit ist es das Land mit den weltweit meisten Binnenflüchtlingen.

UN-Menschrechtsbeauftragte nennen die Situation in Kolumbien "dramatisch". Die Zahl der bedrohten Menschenrechtsaktivisten und die Zahl der politischen Morde steigen massiv an. Bekannt ist, daß Menschen, die sich lokal engagieren, Opfer gezielter Morde werden. So wird geschätzt, daß allein in dieser Personengruppe seit 2016 etwa 335 Aktivisten ermordet wurden. Seit Beginn dieses Jahres wird statistisch alle 48 Stunden ein Mensch getötet. Besorgniserregend ist zudem, daß nur etwa 50 Prozent der Fälle juristisch verfolgt werden. Hauptverantwortlich dafür dürften die paramilitärischen Einheiten sein, die ja angeblich nicht existieren. Daß diese die Hauptverantwortlichen für die getöteten Zivilisten der letzten 60 Jahre sind, zeigt sich anhand der Zahlen des Konflikts. Sie haben fast dreimal so viele Zivilisten durch Massaker, gezielte Morde und Verschwindenlassen getötet wie die Guerillas, circa 95.000.

Man befürchtet, daß die "Sicherheits- und Verteidigungspolitik" von Kolumbiens Präsident Iván Duque dem Paramilitarismus einen legalen Weg ebnen wird. So sollen Netzwerke von Bürgern gegründet werden, die "angesichts einer Bedrohung" in Kooperation mit den Sicherheitskräften reagieren sollen. Der Plan sieht laut Duque vor, eine Million Menschen bis Ende des Jahres zu diesem Zweck zu gewinnen. Solche Maßnahmen hatten vergangene Regierungen bereits getroffen. Sie endeten in der Ausbreitung paramilitärischer Strukturen. Schließlich ist es sehr verlockend, die Drecksarbeit von den Paramilitärs statt vom Militär erledigen zu lassen.

In Kolumbien darf heute etwa ein Andrés Felipe Rojas, Vorsitzender der ultrarechten Nationalistischen Partei Kolumbiens (PNC), offen zum Mord am linken kolumbianischen Senator Gustavo Petro aufrufen.

Was den Drogenhandel betrifft, ist es sehr leicht, alle Verantwortung auf andere abzuwälzen und den Venezolanern vorzuwerfen, daß diese ihn in großem Stil betreiben. Der Koka-Anbau in Kolumbien ist bis Ende 2017 auf 171.000 Hektar und die potentielle Kokain-Produktion auf 1379 Tonnen jährlich gestiegen. Tatsächlich ist die kolumbianische Regierung nicht in der Lage, dieses Problem zu lösen.

Kolumbiens Machthaber werfen der venezolanischen Regierung rechtswidriges Handeln vor, obwohl sie wissen, daß diese 2018 ordnungsgemäß entsprechend gültigem Recht gewählt worden war. Man kann ihr nicht anlasten, daß andere politische Gruppierungen die Wahlen boykottierten. Und wie war das bei den Präsidentenwahlen 2018 in Kolumbien? Gab es da nicht eine politische Partei, die FARC, die ihren Wahlkampf vorzeitig beenden mußte, weil ihre Mitglieder massiv mit dem Leben bedroht wurden? Die Sicherheitskräfte konnten oder wollten nichts unternehmen. Wie kann man da von fairen, demokratischen Wahlen sprechen?

Gegenwärtig scheint sich der Massenmord an Mitgliedern der ehemaligen Guerilla Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) zu wiederholen, der an der Linkspartei Unión Patriótica (UP) zwischen 1984 und 2002 verübt worden war. Nach offiziellen Angaben spricht man von 4153 ermordeten, verschwundenen oder entführten Mitgliedern der UP. Darunter fallen die Präsidentschaftskandidaten Bernardo Jaramillo und Jaime Pardo Leal.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) hat einen Bericht über ihre Prüfungsmission in Kolumbien vorgelegt. Darin wird die Umsetzung des Friedensabkommens mit der FARC, das 2016 in Havanna unterzeichnet worden war, bewertet. Die fortlaufenden Morde an Mitgliedern sozialer Bewegungen und Menschenrechtsverteidigern seien besorgniserregend, heißt es im Bericht.

Politischen Gefangenen aus der Guerillaorganisation Nationale Befreiungsarmee (ELN) in Kolumbien berichten von massiven Verletzungen ihrer Rechte.

Ich selbst habe an der Wahlveranstaltung des Herrn Duque 2018 in Cartagena teilgenommen. Soweit ich mich erinnern kann, versprach der jetzige Präsident den Wählern, Recht und Ordnung im Land durchzusetzen. Wann wird er endlich beginnen, diese Wahlversprechen im Angriff zu nehmen? Ich spreche von dem Recht der Bauern, Fischer, Hafenarbeiter, der kleinen Straßenhändler und der jungen Mütter mit ihren Kleinkindern, die am Straßenrad Bonbons verkaufen, um zu überleben. Wann bekommen diese ihr Recht, in Frieden zu leben?

Es ist schon interessant zu hören, daß der Bürgermeister der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta, César Rojas, Präsident Duque auffordert, den "Cucuteños", die unter Armut, Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen leiden, humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Er schlug vor, die aus den USA gelieferten, für Venezuela vorgesehen Hilfsgüter - darunter Lebensmittel und Medikamente - für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu nutzen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war vor wenigen Monaten zu Besuch bei Präsidenten Duque in Kolumbien. Laut Bericht der Medien wurde hauptsächlich über die Situation in Venezuela gesprochen, weniger über die landeseigenen Probleme, die gelöst werden müssen. Für mich ist das sehr verwunderlich, da Venezuela seit 1811 nicht mehr zu Kolumbien gehört.

Peter Blöth
Penzberg

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Gemeinsame Interessen mit China

"Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus ... sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär."
W. I. Lenin

Wir können ihn sehen, den ausgestreckten Zeigefinger unseres Außenministers, wie er im Gewand von Lehrer Lämpel Zucht und Ordnung in seiner Klasse durchsetzen will. Gemeint sind diejenigen Länder, die sich erdreisten, allzu selbständig strategische Geschäftsbeziehungen mit einem "Systemgegner" anzubahnen. Sie würden sich wundern, wie beinhart die Chinesen zu verhandeln verstehen. Na so was! Ist das nicht eine Tugend, die jeder Handelspartner für sich in Anspruch nimmt? Jedoch, wird diese international übliche Praktik vom Reich der Mitte ausgeübt, droht offenbar die Gefahr, in einen komatösen Zustand versetzt zu werden, dem - wenn überhaupt - nur ein böses Erwachen folgt. Soviel zu Heiko Maas, der als Nadelstreifen-Clochard ein zweites Zuhause unter der Euro-US-Atlantikbrücke gefunden hat.

Nichts hält sich hartnäckiger am Leben wie das Vorurteil. Dieses muß allerdings, je zwingender und nachhaltiger der Einfluß Chinas auf die globale Ökonomie wird, regelmäßig gepflegt und mit reichlich Kunstdünger versorgt werden. Ein schwieriges Unterfangen, denn China wirbt um ganz andere Regeln in den internationalen Beziehungen. Werner Rügemer hat sie in seinem lesenswerten Buch über "Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts" so zusammengefaßt: "Im Unterschied zu den westlichen Staaten macht China seine Investitions- und Handelsbeziehungen nicht von Freund-Feind-Beziehungen abhängig. Die Volksrepublik entwickelt Beziehungen zu Iran, zu Saudi-Arabien, zu Israel und Palästina, zur Ukraine und zu Rußland. Friedliche und inklusive Globalisierung ist das Motto. Während die USA sich immer weiter von der UNO entfernen, orientiert sich China prinzipiell am UN-Völkerrecht: Gleichberechtigung der Staaten (z. B. auch in WTO und IWF), Teilnahme auch an UN-Friedensmissionen, multipolares Weltsystem, Aufbau von Kooperationen, keine politische Einmischungen.

In der "Berliner Zeitung" vom 30. März schrieb Arno Widmann: "Die Chinesen mögen ihre Interessen beinhart vertreten, aber sie können es dort am besten, wo die Europäer die ihren, ihre Solidarität vergessen." Im Zuge ihrer Spar- und Privatisierungsorgien hatte die berüchtigte Troika Griechenland gezwungen, ihr "Tafelsilber", u. a. den Hafen von Piräus, zu verscherbeln, um Kredite und Zinsen an westliche Banken zurückzahlen zu können. An Modernisierung und Ausbau des Hafens waren EU und westliche Finanzakteure nicht interessiert. Die Rettung kam aus dem Osten. Der chinesische Schiffahrtskonzern Cosco hat den Hafen für 35 Jahren gepachtet, seine Logistik erneuert, ihn zu einem der am schnellsten wachsenden Seeterminals in der Welt entwickelt und ihn in die neue "Belt and Road Iniative" (BRI), die "Neue Seidenstraße", eingegliedert. Schlimm genug - aber richtig nervös wurde man in Brüssel erst, als Italien, immerhin Gründungsmitglied der EU und G7-Mitgliedsstaat, sich dem Projekt der "Neuen Seidenstraße" anschloß. Die geopolitische und geostrategische Bedeutung seiner Häfen ermöglicht es Italien, seine eigene wirtschaftliche Bedeutung auszubauen. Italien kann das wichtigste strategische Tor Chinas zu Europa werden, was für die europäischen Länder heißt, daß es unmöglich ist, die Tür vor China zu verschließen. Augenblicklich wurde die anti-chinesische Schlagstockrhetorik mit dem sattsam bekannten Vokabular hochgeladen: keine liberale Demokratie, Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Verachtung der Menschenrechte ­... Über allem schwebt die Warnung, China würde versuchen, mittels des Trojanischen Pferds "Neue Seidenstraße" politischen Einfluß in Europa zu nehmen.

Im Gleichschritt dazu wurden Bekenntnis-Phrasen zu Europa abgegeben. Die im zurückliegenden EU-Wahlkampf plakatierte Europa-Euphorie - "Europa ist nicht perfekt, aber ein verdammt guter Anfang" (Die Grünen) - steht in einem geradezu grotesken Widerspruch zu den Ängsten vor den das EU-Friedensprojekt angeblich gefährdenden Spaltungsabsichten Rußlands und Chinas. Als Außenminister warnte Sigmar Gabriel vor dem "globalen Führungsanspruch Chinas" sowie vor dem "Machtanspruch Rußlands". Sie würden zu "Verschiebungen in unserer Weltordnung" führen mit "unabsehbaren Konsequenzen" und damit die "Werte", den Wohlstand und die Sicherheit EU-Europas und des Westens bedrohen. Es gehe um die "Systemkonkurrenz zwischen entwickelten Demokratien und Autokratien". Systemkonkurrenz? Wie wäre es, den Gegensatz von Regimen mit imperialem Machtanspruch (USA/NATO//Europa) und denen, die genau diesen Machtanspruch infrage stellen (China und Rußland), zu benennen?

Die Frage, die sich aufdrängt, kann nur lauten: Aus welchem Grund und eingedenk des realen Kräfteverhältnisses fühlt sich das angeblich wohlstandgesättigte, demokratiegefestigte und militärisch unbezwingbare Europa bedroht? Ist es vielleicht nur die allzu dünne Firnis auf Glaubenssätzen und die Befürchtung, daß mit irreparablen Rissen zu rechnen ist? Hier spiegelt sich das ganze Dilemma der EU wider. Mit der Einführung des Euro wurde versprochen, daß sich mit der Einheitswährung eine Angleichung der Lebensverhältnisse aller Mitgliedsstaaten herausbilden würde. Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil eingetroffen. Die Arbeit im Europäischen Rat bietet lebhaften Anschauungsunterricht, wie die Regierungen "ihren kurzfristigen nationalstaatlichen Interessen beinahe reflexartig Vorrang einräumen", wie Jürgen Habermas richtig diagnostiziert hat. Was er nicht sieht oder sehen will, ist, daß sich in den EU-Organen die Machtverhältnisse zwischen den EU-Staaten, ihren Konzernen und Großbanken widerspiegeln.

Habermas wie auch die ganze Fraktion der "glühenden" Europäer drücken sich an der Tatsache vorbei, daß sich beim Austragen von Gegensätzen zwischen den Mitgliedsstaaten in der Regel der Wille der politisch, ökonomisch und militärisch stärksten Teilnehmer - also Deutschlands und Frankreichs - durchsetzt. Um es auf den Punkt zu bringen: Die EU ist ihrem gesellschaftlichen Charakter nach eine monopolkapitalistische Unternehmung, in der ein Begriff wie "Solidarität" nie Wurzeln schlagen wird.

Doch nun, da China mit Nachdruck an die europäische Tür klopft, heißt es, die Reihen fest zu schließen. Dem Ansturm könnten wir nur standhalten, "wenn wir als Europa geeint sind", sagt der deutsche Außenminister. Deshalb bedürfe es einer "Ein-Europa-Politik", tönt es ausgerechnet aus Berlin, wo man die Anliegen und Probleme anderer EU-Länder stets gern ignoriert hat. Der französische Präsident Macron haut in die gleiche Kerbe: "Wir erwarten von unseren großen Partnern, daß sie die Einheit der EU respektieren." Allerdings soll die Chinapolitik strikt nach Maßgabe der EU und somit vor allem unter der Fuchtel ihres mächtigsten Mitgliedsstaats Deutschland gestaltet werden.

Um Chinas Einfluß in Europa einzuhegen, wird über ein Regelwerk diskutiert, demzufolge die Vergabe von Aufträgen an chinesische Unternehmen und Investitionen unter die Kontrolle Brüssels, mithin Berlins, gestellt wird. Vorsicht! Auch Großbritannien wollte seine Handelsbeziehungen zu den Ländern des ehemaligen Commonwealth nicht einem Brüsseler Regelwerk unterstellen. Viele Briten haben sich nicht nur wegen der Flüchtlingspolitik für eine EU-unabhängige Zukunft entschieden. Nicht unwahrscheinlich, daß auch andere EU-Mitglieder auf Abschiedsgedanken kommen. Es könnten dann die süd- und osteuropäischen Staaten sein. Sie - vor allem Griechenland - wurden von der nicht zuletzt auf Betreiben Deutschlands installierten sogenannten Troika in den Sparzwang getrieben, gedemütigt und von einem Privatisierungs-Tsunami heimgesucht. Chinas Alternativen zu Sozialkahlschlag und Austerität sind die Antwort auf nicht eingelöste Versprechen für Gleichberechtigung, Akzeptanz und gegenseitigem Respekt.

Der Weg zur Erkenntnis ist mal lang, mal kurz. Langsam beginnt man in Brüssel und Berlin zu begreifen, daß es aussichtslos ist, China in den Schwitzkasten des Westlichen-Werte-Regimes zu nehmen, weil Letzterem dabei selbst die Luft zum Atmen ausgeht. Folglich flüchtet man sich in formelhafte Doktrinen. Die Kanzlerin hat die Formel ausgegeben, wonach China einerseits ein strategischer Partner, andererseits ein strategischer Wettbewerber sein soll. Ob sie glaubt, ihrem transatlantischen Vorgesetzten damit nicht allzusehr auf die Füßen zu treten?

Es wird Zeit zu erkennen, daß es zwischen Europa, Rußland und China eine gemeinsame Interessenlage gibt - für friedliche Verständigung, gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegenseitigen Respekt.

Hans Schoenefeldt
Berlin

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Kampf für Frieden und Umwelt

Seit einigen Monaten gehen an jedem Freitag in zahlreichen Städten der Welt junge Menschen auf die Straße, um eine Änderung der Klimapolitik zu erreichen.

Laura von Wimmersperg (2019)

Wenn Sie heute die Schülerinnen und Schüler sehen, die zu Zehntausenden bei "Fridays for Future" für den Umweltschutz auf die Straße gehen, was löst das in Ihnen aus?

Ich begrüße das sehr! Ich finde das Engagement großartig. Ich habe mir die Proteste in Berlin angesehen und bin begeistert, daß so viele junge Menschen mit so vielen guten Ideen und Aussagen die Sache selbst in die Hand nehmen, für den Schutz der Umwelt auf die Straße gehen.

Ich plädiere dafür, mit den Schülern ins Gespräch zu kommen, weil bei ihren Protesten das Thema Frieden nicht vorkommt.

Gehören Friedensarbeit und Umweltschutz denn zusammen?

Na selbstverständlich! Der Krieg ist der größte Klimakiller. Ich hatte schon damals, bevor ich 1979/80 richtig mit der Friedensarbeit anfing, bei meinen Schülern festgestellt - ich habe immer in der Sekundarstufe eins, also siebte bis zehnte Klasse an der Hauptschule, unterrichtet -, daß die Schülerinnen und Schüler viel besorgter über die Umweltprobleme diskutierten als über Friedensfragen. Viel wichtiger waren für sie die Natur und der Kampf gegen das Waldsterben und später gegen die Atomkraft. Ich habe damals immer zu erklären versucht, daß die Sorge um die Umwelt und die Sorge um den Erhalt des Friedens zusammengehören. Aber die jungen Menschen fühlen da anders, das mußte ich damals schon akzeptieren.

Wie erklärt sich das? Schließlich ist es doch nur logisch, daß ein Krieg die Umwelt am meisten schädigt ...

Das ist vielleicht zu abstrakt. Vielleicht verschließen die Menschen deshalb in dieser Frage oft ihre Augen. Der Kampf für eine intakte Natur ist offenbar für viele Menschen greifbarer.

Aus einem Gespräch, das Markus Bernhardt mit der Berliner Friedensaktivistin Laura von Wimmersperg führte ("junge Welt", 20./21.4.2019)


Fidel Castro (1992)

Eine bedeutende biologische Gattung ist aufgrund der schnellen und fortschreitenden Beseitigung ihrer natürlichen Lebensbedingungen vom Aussterben bedroht: der Mensch. Wir werden uns jetzt dieses Problems bewußt, wo es fast zu spät ist, es zu verhindern.

Es muß darauf verwiesen werden, daß die Konsumgesellschaften die Hauptverantwortlichen für die grauenhafte Vernichtung der Umwelt sind. Sie entstanden aus den ehemaligen Kolonialmetropolen und der imperialen Politik, die ihrerseits die Rückständigkeit und die Armut verursachten, welche heute die immense Mehrheit der Menschheit geißeln. Sie verbrauchen zwei Drittel des Metalls und drei Viertel der Energie, die auf der Welt erzeugt werden, obwohl sie nur 20 Prozent der Weltbevölkerung darstellen. Sie haben die Meere und Flüsse vergiftet, die Luft verschmutzt, die Ozonschicht geschwächt und Löcher in ihr verursacht, haben die Atmosphäre mit Gasen angereichert, die die klimatischen Bedingungen beeinträchtigen, was katastrophale Auswirkungen hat, die wir schon zu spüren beginnen.

Die Wälder verschwinden, die Wüsten weiten sich aus, Milliarden Tonnen fruchtbarer Erde enden jährlich im Meer. Zahlreiche Arten sterben aus. Der aus dem Bevölkerungszuwachs resultierende Druck und die Armut führen zu verzweifelten Anstrengungen, um selbst auf Kosten der Natur zu überleben.

Man kann dafür nicht die Länder der Dritten Welt beschuldigen, die gestern Kolonien waren und heute durch die ungerechte Weltwirtschaftsordnung ausgebeutete und ausgeplünderte Nationen sind. Die Lösung kann nicht sein, die Entwicklung jener zu verhindern, die sie am meisten brauchen. Wahr ist, daß alles das, was heute zur Unterentwicklung und zur Armut beiträgt, ein offenkundiges Attentat auf die Ökologie ist. Zig Millionen Männer, Frauen und Kinder sterben infolge dessen jährlich in der Dritten Welt, mehr als in jedem der beiden Weltkriege. Der ungleiche Austausch, der Protektionismus und die Auslandsverschuldung greifen die Ökologie an und fördern die Zerstörung der Umwelt.

Wenn man die Menschheit vor dieser Selbstzerstörung retten will, müssen die Reichtümer und die verfügbaren Technologien des Planeten besser verteilt werden. Weniger Luxus und weniger Verschwendung in einigen wenigen Ländern, damit weniger Armut und weniger Hunger in großen Teilen der Erde herrschen. Schluß mit dem Transfer von Umwelt zerstörenden Lebensstilen und Konsumgewohnheiten in die Dritte Welt! Das menschliche Leben muß rationaler werden.

Es muß eine gerechte internationale Wirtschaftsordnung durchgesetzt werden. Alle notwendigen wissenschaftlichen Forschungen sollen für eine nachhaltige Entwicklung ohne Umweltverschmutzung eingesetzt werden. Es soll die Umweltschuld bezahlt werden und nicht die Auslandsschuld. Es soll der Hunger verschwinden und nicht der Mensch! Jetzt, wo die angebliche Bedrohung durch den Kommunismus nicht mehr da ist, und keine Vorwände für kalte Kriege, Wettrüsten und Militärausgaben bleiben, was hindert daran, diese Mittel sofort dafür einzusetzen, die Entwicklung der Dritten Welt zu fördern und die Gefahr der ökologischen Zerstörung des Planeten zu bekämpfen?

Schluß mit dem Egoismus, Schluß mit dem Vorherrschaftsbestreben, Schluß mit der Gefühllosigkeit, der Unverantwortlichkeit und dem Betrug! Morgen wird es zu spät sein für das, was wir schon lange gemacht haben müßten.


Aus einer Rede Fidel Castros auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung am 12. Juni 1992 in Rio de Janeiro.

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Klimawandel

Sie irren, wenn Sie meinen, hier einen Beitrag über die globale Erwärmung der Erde zu finden, obwohl auch diese Anlaß zu großer Sorge bietet. Es gibt hier keine Beschreibung des heißen Sommers 2018 oder der Schneemassen in Bayern und anderen Landstrichen im Januar. Vielmehr geht es um Tummelplätze bestimmter Menschengruppen und neu gegründeter Parteien, durch deren Ideologie, Polemik und Parolen das gesellschaftliche Klima zunehmend beeinträchtigt und vergiftet wird. Diese Entwicklung vollzieht sich nicht nur punktuell, sondern in vielen Teilen der Welt.

Weil das so ist, hat Rußland gemeinsam mit anderen Staaten am 6. November 2018 der UN-Generalversammlung einen Resolutionsentwurf vorgelegt, der sich "gegen die Heroisierung des Faschismus" richtet (siehe "Weltweit gegen Faschismus und Neofaschismus!", RF 252, S. 12).

In diesem Entwurf geht es insbesondere um "moderne und sehr gefährliche Formen des Rassismus". Es sei vielfach eine Wiederbelebung von Bewegungen, Gruppierungen und Parteien zu beobachten, die unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit extremistische Ideen propagieren. Eine im Jahre 2017 vorgelegte Resolution wurde damals von einer überwältigenden Mehrheit angenommen - dagegen sprachen sich lediglich die USA und die Ukraine aus. In den bürgerlichen Medien war von diesen Resolutionen keine Rede. Es wird zwar immer wieder über Ausschreitungen, rassistische Äußerungen und Überfälle berichtet, aber diese Ereignisse werden meist nur als "Einzelfälle" klassifiziert. Wie berechtigt aber die Sorgen sind, die in der Resolution formuliert wurden, zeigt der Blick auf eine Europa-Karte mit einer Übersicht über rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien. Von den skandinavischen Ländern über die osteuropäischen, südosteuropäischen und westeuropäischen Länder findet sich kein Land, welches keine solche Gruppierung, Bewegung oder gar Partei hat. Auch Staaten wie Luxemburg, die Schweiz oder Malta sind mit dabei.

Faßt man die Stoßrichtungen und Feindbilder der Rechten zusammen, ergibt sich folgendes Bild:

Alle versuchen, sich die wirtschaftlichen Probleme und die Ängste um persönliche Sicherheit der eigenen Bevölkerung für die Polemik gegen das etablierte System zunutze zu machen. Für die eigene Rechtfertigung werden unterschiedliche "Feindgruppen" wie Linke, religiöse Gruppen oder Minderheiten ausgemacht. In Südeuropa sind das insbesondere die Roma, während sich in Westeuropa das Augenmerk vor allem auf Muslime richtet. Die "nationale Frage" wird in den Vordergrund geschoben. Man möchte eine "homogene" Gesellschaft, keine Rassenvermischung. Also werden Ausländer und Migranten generell abgelehnt, es sei denn, sie übernehmen niedere Arbeiten, für die sich die eigene Bevölkerung zu schade ist. Aus dieser Ideologie heraus ergeben sich fremdenfeindliche Äußerungen und Taten.

Ein weiterer Sündenbock wurde in der Europäischen Union gefunden, die als Verursacher sozialer und individueller Probleme herhalten muß. Globalisierung und Vielfalt werden abgelehnt. Jüngstes Beispiel dafür bietet die mittlerweile im Bundestag vertretene AfD. In ihrem Programm zur EU-Wahl wurde das langfristige Ziel formuliert, Deutschland aus der EU herauszulösen, falls diese nicht entsprechend den Vorstellungen der Rechten reformierbar ist.

Viele Aktivitäten der genannten Parteien sind auf die Einbeziehung und Ideologisierung der Jugend gerichtet. Junge Menschen, die noch kein gefestigtes Weltbild haben, gehen den Rattenfängern auf den Leim. Über entsprechende Symbole, Musik- und Mode-Trends sollen sie in diese Gemeinschaft mit eingebunden werden und sich nach und nach auch mit deren Ideologie identifizieren. Rechte Jugendgruppen beschäftigen sich damit z. B. in Wochenend-Camps. Rechtsrock-Festivals ziehen Tausende Besucher an (siehe "Ist es nun wieder soweit?", RF 254, S. 28).

Nicht wenige zeigen sich gewaltbereit. Auch vor Mord schrecken manche nicht zurück, wie etwa das Attentat von Anders Breivik im Juli 2011 in Norwegen oder die Morde des NSU-Trios in Deutschland zeigen.

Im Zeitalter der digitalen Vernetzung sind diese Gruppierungen, Bewegungen und Parteien jederzeit in der Lage, untereinander die neuesten Informationen auszutauschen, eine gemeinsame Strategie zu verabreden und sich bei bestimmten Vorhaben wie Demos, Rockkonzerten usw. gegenseitig zu unterstützen. Das betrifft nicht nur Referenten, sondern auch rechte Krawall-Touristen. Wie gut das funktioniert, zeigten z. B. die schnell verlegten Rockkonzerte in Thüringen, um vorher ausgesprochene örtliche Verbote zu umgehen, oder die unrühmlichen Ereignisse von Chemnitz.

Solche rechtsradikalen Aktivitäten erreichen auch einen Teil der Bevölkerung, fallen zum Teil auf fruchtbaren Boden und bringen Massen in Bewegung - ob in Dortmund, Dresden, Leipzig, Chemnitz, Paris, Madrid oder Warschau. Das zeigt auch der Zulauf von Wählern. Hohe Wahlergebnisse sind insbesondere in Ungarn, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Deutschland und im Januar 2019 auch in Schweden zu verzeichnen.

In einigen Ländern gibt es Regierungsparteien, welche die Forderungen der rechten Parteien aufnehmen und kopieren, um ihre Wähler nicht zu verlieren. Das hat bisher aber keiner Partei geholfen. Der Wähler will das Original und nicht die Kopie. Staat und Gesellschaft dürfen diese Aktivitäten nicht länger übersehen, sie nicht unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit tolerieren, sondern müssen sie bekämpfen, sowohl gesetzlich als auch in einem breiten gesellschaftlichen Konsens. Bei der Gestaltung der eigenen Politik und des öffentlichen Lebens müssen die Regierungen auf berechtigte Sorgen der Menschen mit konkreten Angeboten und praktischen Veränderungen reagieren.

Im vergangenen Jahr haben Rechtsextreme versucht, fremdenfeindliche Stimmungen für sich zu nutzen und dieses Klima weiter anzuheizen. "Auschwitz war kein Vernichtungslager", behauptet z. B. eine 90jährige bekennende Rechtsextremistin, die wegen der Leugnung des Holocausts und Volksverhetzung rechtskräftig verurteilt wurde und eine mehrjährige Haftstafe verbüßen muß.

Am 20. April 2018 feierten etwa 1000 Neonazis in Ostritz. Das Geburtstags-Volksfest war eine einzige Propaganda-Show. Beliebt sind bei den meisten Aufmärschen die Rufe "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!", "Merkel muß weg!" oder "Wer Deutschland liebt, ist Antisemit" und das von Polizisten gerne übersehene Zeigen des Hitlergrußes. Eine der Opferanwältinnen im NSU-Prozeß wurde bereits mehrfach mit Haß-Mails belästigt und bedroht.

Auch in den Reihen der Bundeswehr und der Polizei ist nationalistisches und rechtes Denken verbreitet. Dazu gab es gerade in den letzten Monaten neue Erkenntnisse und Berichte in Zeitungen wie der "jungen Welt", der "taz" oder der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Mehrere hessische Polizeibeamte sind inzwischen vom Dienst suspendiert worden, weil sie in Chats fremdenfeindliche Videos, Bilder und Texte ausgetauscht haben.

Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Daß viele diesem Treiben nicht ruhig zusehen, zeigen gut besuchte Gegendemonstrationen und andere Aktivitäten zur Bekämpfung rechtsextremer Umtriebe. Untersuchungsausschüsse, Gedenktage, feierliche Reden und Menschenketten alleine reichen nicht aus. Die gegebenen gesetzlichen Grundlagen zur Bekämpfung rechtsextremistischer, neofaschistischer Propaganda und Umtriebe müßten konsequent angewandt und wo nötig verschärft werden.

Artikel 6, Absatz 5, der Verfassung der DDR hatte folgenden Wortlaut: "Militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß werden als Verbrechen geahndet." Könnte dieser Satz nicht ins Grundgesetz (als Ergänzung und Konkretisierung des dortigen Artikels 3) übernommen werden?

Waltraud Käß
Berlin

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Nicht wieder hinsetzen
Wie die DKP auf "Aufstehen"-Gruppen zugehen will

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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"Aufstehen" lebt!

Es ist ein Gebot der Zeit, eine neue linke Bewegung aufzubauen.

Die etablierten Parteien regieren an den Interessen und Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung vorbei. Die Partei Die Linke verläßt linke Positionen und kommt in diesem Staat immer mehr an. Eine klare antikapitalistische Haltung und eine eindeutige Friedenspolitik sind nur bei der KPF erkennbar.

Die Linke zeigt keine klare Haltung zu den Gelbwesten in Frankreich, dem Völkerrechtsbruch der Bundesregierung gegenüber der bestehenden Regierung in Venezuela und der Stationierung der Bundeswehr an der russischen Grenze. Der Antrag "Frieden mit Rußland" wurde sogar auf zwei Parteitagen abgelehnt.

Davon wie auch von dem völkerrechtswidrigen Handeln der aktuellen Politik im Land haben viele die Schnauze voll! Deshalb muß die Bewegung "Aufstehen" gestärkt werden. Wir, die Regionalgruppe des "RotFuchs" Neubrandenburg, sehen in der Sammlungsbewegung eine Möglichkeit, unseren Auftrag besser wahrzunehmen. Zusammen mit der Basisbewegung "Kommunikation" der Linken veranstalteten wir im November 2018 eine Podiumsdiskussion mit 80 Teilnehmern zur Sammlungsbewegung "Aufstehen". Von uns unabhängig gründete sich zeitgleich eine zweite Struktur, mit der wir uns in einer darauf folgenden Beratung vereinten. Die Aufgabe bestand nun darin, arbeitsfähig zu werden und erste Aktionen zu planen. Der gewählte Sprecher unserer Regionalgruppe "Aufstehen", Ottopeter Flettner, entwickelte überdurchschnittliche Aktivitäten, die zu sogenannten Anschiebertreffen mit anderen Gruppen in MV führten. Diese waren recht produktiv. Im Ergebnis kam es zur ersten gemeinsamen Aktion der "Bunten Westen", bei der in 14 von 16 Landeshauptstädten (auch in Schwerin) und weiteren Städten Demonstrationen stattfanden.

Inhaltlich richteten sich die Veranstaltungen gegen das kriegerische Treiben der Bundesregierung, gegen weiteren Sozialabbau und die Zuspitzung der Wohnungsfrage. Die bürgerlichen Medien nahmen von der Aktion Notiz und berichteten positiv über uns. Bemerkenswert ist, daß diese Aktionen ohne Unterstützung der Zentrale in Berlin durchgeführt wurden. Wir haben damit gezeigt, daß auch bundesweite Aktionen von Basisgruppen organisiert werden können. Das ist eine entscheidende Erfahrung für die Sammlungsbewegung "Aufstehen". Kleine Strukturen können Aktionen planen und ausführen - auch ohne zentrale Vorgaben und Koordinierungen.

Wir wollen uns in unserer Stadt als Personen zeigen, die die Sammlungsbewegung "Aufstehen" unterstützen und Aktionen durchführen. Der Ostermarsch 2019 war dazu eine gelungene Veranstaltung. Fast 100 Teilnehmer waren dabei. Der Liedermacher Tino Eisbrenner unterstützte uns mit progressiven Liedern, die Stadtpräsidentin und Abgeordnete der Linken Irina Parlow äußerte sich zu sozialen Fragen, und ein ehemaliger Bundeswehrsoldat sprach über seine traumatischen Kriegserlebnisse in Jugoslawien. Weitere Teilnehmer kritisierten in Ihren Reden am offenen Mikrofon die gegenwärtige Kriegspolitik der Regierung.

Am 1. Mai 2019 standen die Infostände vom "RotFuchs" und der Bewegung "Aufstehen" auf dem Neubrandenburger Marktplatz dicht zusammen. So konnten wir uns mit zahlreichen Besuchern unterhalten. Neue Mitglieder für den "RotFuchs"-Förderverein und für "Aufstehen" konnten gewonnen werden.

Unser halbjährlicher Bildungsplan für den "RotFuchs" zeigte sich bisher immer als guter Aufhänger. Es werden niveauvolle Veranstaltungen angeboten, über die es sich lohnt zu reden und die man besuchen sollte.

Auf der Webseite von "Aufstehen" Neubrandenburg wird er demnächst veröffentlicht. Wir hoffen auf noch mehr Teilnehmer.

Für uns steht fest, daß "Aufstehen" lebt. Aber nicht so, daß man den Totgesagten die letzte Ehre erweist, sondern in zunehmender Gesundheit und Kraft und noch lernend mit dem Ziel, diese kapitalistische Gesellschaft bald zu verändern.

RF-Regionalgruppe Neubrandenburg / "Aufstehen"-Regionalgruppe Neubrandenburg

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Die EU, ein supranationaler staatsmonopolistischer Zusammenschluß

Zu den Wahlen in der Europäischen Union

Die "Europawahlen" sollten am 26. Mai 2019 ohne Großbritannien über die Bühne gehen. Nun ist alles anders. Sicher ist aber, daß das Vereinigte Königreich zu Europa gehört. Island, Norwegen, die Schweiz und andere europäische Nicht-EU-Mitglieder sind natürlich ebenfalls europäische Staaten - Teil Europas.

"Europa" ist eben nur ein rein geographischer Begriff. Der gesamte Kontinent erstreckt sich bis zum Ural/Kaukasus und schließt Teile des Schwarzen Meeres ein. (10,5 Mio. km², 746 Mio. Einwohner)

Das politische und wirtschaftliche Konstrukt "Europäische Union" (EU) umfaßt lediglich 4,381 Mio. km², ca. 41,7 % der Fläche Europas und 512,6 Mio. Europäer (68,7 %).

Warum Wahlen zum Europäischen Parlament nun "Europawahlen" heißen, kann niemand sachlich begründen. Bei dieser Begriffsverwendung handelt es sich offensichtlich um reine Propaganda.

Das (West-)Europäische Parlament wurde 1952 gegründet. Aber erst seit 1979 werden die Abgeordneten alle fünf Jahre durch die Völker der Mitgliedsstaaten gewählt. Das Parlament mit 751 Sitzen tagt sowohl in Brüssel als auch in Straßburg (Hauptsitz). Durch die beiden Standorte ist das Europäische Parlament der kostenintensivste "Wanderzirkus", der jährlich mehr als 200 Millionen Euro allein für Umzüge verschlingt.

Auf der Konferenz von Messina wurde im Juni 1955 die Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) - Vorläufer der Europäischen Union - beschlossen, die am 25. März 1957 gemeinsam mit der Europäischen Atomgemeinschaft gegründet wurde. Ziel war es, Rahmenbedingungen zu schaffen, um einerseits bessere Profitbedingungen für das westeuropäische Kapital zu etablieren. Gleichzeitig sollte der Sozialismus bekämpft und die koloniale Ausbeutung der Entwicklungsländer besser koordiniert werden. Andererseits gab es das Bestreben, innerhalb des kapitalistischen Systems einen Wirtschaftsraum zu bilden, um im Konkurrenzkampf gegen die vorherrschenden USA-Monopole bestehen zu können.

Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die EWG 1992 in die Europäische Union (EU) umgewandelt. Generell trugen die Machthaber in der EU den neuen politischen Bedingungen Rechnung. Der Weg zur Integration ehemaliger sozialistischer Länder in den westeuropäischen Wirtschaftsraum wurde geebnet. Gleichzeitig erhielt die EU Zuständigkeiten in nichtwirtschaftlichen Politikbereichen.

1999 begann die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion. Neunzehn von den 28 EU-Mitgliedern führten bis heute den Euro als internationale bzw. Gemeinschaftswährung ein.

Mit dem Vertrag von Lissabon (2007, in Kraft getreten am 1.12.2009) entschieden sich die Mitgliedsstaaten, die überstaatlichen Zuständigkeiten der EU weiter auszubauen und eine quasidemokratische Verankerung politischer Entscheidungsprozesse auf Unionsebene auszudehnen. Der Lissabon-Vertrag veränderte die Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Er ist das Ergebnis eines gescheiterten Versuchs, durch eine europäische Verfassung die Nationalstaaten aufzulösen, d. h. "nur" eine "supranationale Volkssouveränität" zu schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht stellte am 30. Juni 2009 zum Vertrag von Lissabon fest, daß er nicht im Einklang mit dem deutschen Grundgesetz stehe und die Souveränität des nationalen Staates beeinflußt. Insbesondere wurde darauf verwiesen, daß die Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union durch die souveräne Verfassungsstaatlichkeit und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung geprägt bleiben muß.

Die Aushöhlung der Nationalstaatlichkeit und der nationalen bürgerlich-demokratischen Institutionen war und ist dessenungeachtet ein schleichender Prozeß, der bereits seit den 80er Jahren in Gang gesetzt wurde.

Mit dem Lissaboner Vertrag sind die Regelungen zu EU-Kriegs- und Militäreinsätzen wesentlich erweitert worden. Das politische Wirtschaftsbündnis ist ganz offen in ein Wirtschafts- und Militärbündnis transformiert worden. Bis 2030 will die EU eine Kriegsstreitmacht schaffen, die sowohl außerhalb als auch unter Umständen innerhalb der EU eingesetzt werden kann.

Angeblich wären mit dem Lissabon-Vertrag auch die Rechte des Europäischen Parlaments als "Mitgesetzgeber" gestärkt worden. Im gesetzgeberischen Mitentscheidungsverfahren darf das Parlament EU-Rechtsvorschriften, die durch die Europäischen Kommission und den Rat der Europäischen Union (EU-Ministerrat, Fachminister) vorgegeben werden, zustimmen. Eingeräumt wird gleichfalls, daß das EU-Parlament internationale Abkommen und Erweiterungen der EU annehmen und ablehnen kann.

Das Parlament prüft das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission. Die Kommission erarbeitet z. B. den Entwurf des Haushaltsplanes, der im Rat der EU beraten und dann dem Parlament für einen Zustimmungsprozeß zugeleitet wird. Die Kontrolle des Haushaltes gehört ebenfalls zu den parlamentarischen Rechten. Das Europäische Parlament kontrolliert die Tätigkeit der Organe der EU, ein Unterfangen, was bei der Komplexität kaum umfassend möglich ist. Die Kontrollausübung bezieht sich insbesondere auf die Tätigkeit der EU-Kommission, die als Exekutive in der Europäischen Union fungiert. Der bürokratische Apparat umfaßt ca. 50.000 Beamte. Für 2019 hat die EU einen Haushalt in Höhe von 165,8 Mrd. Euro.

Tatsächlich ist die Europäische Kommission ein Organ, das das alleinige Initiativrecht im EU-Gesetzgebungsverfahren besitzt. Ihre 28 Kommissare werden durch EU-Staaten nominiert und im Europäischen Parlament bestätigt. Der Europäischen Kommission steht ein Präsident vor, der formal durch das Parlament gewählt wird. Das Vorschlagsrecht für diesen Posten liegt jedoch allein beim Europäischen Rat. Der Rat ist das oberste politische Machtorgan in der EU. Er setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs, dem Präsidenten des Europäischen Rates, dem Präsidenten der Europäischen Kommission und dem Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zusammen. Der Europäische Rat trifft sich zweimal halbjährlich. Im EU-Vertag, Artikel 15, (1) heißt es: "Der Europäische Rat gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest."

Damit ist eigentlich alles Wichtige gesagt! Die EU ist ein supranationaler staatsmonopolistischer Zusammenschluß mit der Zielsetzung, einen Wirtschaftsraum zu sichern, der gemeinsamen Grundsätzen in der Wirtschafts-, Sozial- und Militarisierungspolitik folgt. Dabei geht es hauptsächlich darum, die Vorherrschaft des westeuropäischen Monopolkapitals in großen Teilen Europas und in der Welt zu festigen, die Bedingungen für die Kapitalverwertung zu sichern und auf die Veränderung der Internationalisierung von Kapital und Arbeit sowie auf die sich herausbildende multipolare Welt zu reagieren.

Die EU ist so angelegt, daß man sie als eine Fassadendemokratie bezeichnen muß. Die wichtigsten Organe in der EU sind durch die Völker der Mitgliedsstaaten nicht demokratisch legitimiert. Die Konstruktion, die Ziele und die Aufgabenstellungen der Europäischen Union dienen u. a. dazu, die bürgerlich-demokratischen Institutionen in den Mitgliedsstaaten auszuhebeln und die Nationalstaatlichkeit einzuschränken.

Die gegenwärtige schwere Krise in der EU, die insbesondere durch den Austrittsversuch von Teilen der britischen Finanzoligarchie aus der EU gekennzeichnet ist, deutet darauf hin, daß widersprüchliche, unüberbrückbare Interessen bei der gegenseitigen Durchdringung des Monopolkapitals aufgetreten sind. Das betrifft insbesondere den deutsch-französischen Führungsanspruch in der EU. Sicherlich spielen hierbei auch die spezifischen Beziehungen der Briten zu den USA und deren Weltherrschaftsansprüche eine wichtige Rolle. Die US-Regierung unter Präsident Trump demonstriert ganz deutlich, die wirtschaftliche und politische Entwicklung der EU als eines der multipolaren Zentren schwächen zu wollen.

Für Linke wäre es fatal zu glauben, daß die Europäische Union reformierbar ist. Ihre Entstehung, ihr Aufbau und ihre Zielsetzungen sind imperialistisch. Sie widerspiegelt die Gesamtinteressen führender europäischer kapitalistischer Länder nach Neuaufteilung der Welt, nach Beherrschung und Ausbeutung anderer Staaten und Völker im Interesse einer maximalen Kapitalverwertung.

Dr. Ulrich Sommerfeld

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Was will die Gemeinsame Landwirtschaft der EU?

Sicher ist es Tatsache, daß die europäischen Landwirtschaften zu den modernsten und effektivsten Agrarproduzenten in der Welt zählen. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche der EU beträgt rund 172 Millionen Hektar. Die Produktion darauf sichert das Leben von circa 510 Millionen Menschen auf vergleichsweise hohem Niveau.

Es ist aber nicht zu übersehen, daß es um diese äußerst differenzierten Agrarwirtschaften noch viele ungelöste Fragen gibt.

Es gibt viele, die versuchen, darauf eine Antwort zu finden, darunter die Kulturanthropologin Karen Schewina. Sie äußert sich unter der Überschrift "Welche Landwirtschaft wir wollen" über die gegenwärtige und künftige Reform der Gemeinsame Agrarlandwirtschaft (GAP) Solche Beiträge spiegeln natürlich den jeweiligen politischen und fachlichen Standpunkt des Autors. Da der Agrarhaushalt der EU Milliarden Euro umfaßt, erwecken seine Verteilung auf die Mitgliedsstaaten große Begehrlichkeiten. Es geht einerseits um mehr Geld für kleine bäuerliche Landwirtschaftsbetriebe und andererseits um höhere Zuwendungen für den Klimaschutz. Die Autorin läßt allerdings offen, ob das so gelingt, denn es gibt allerlei Widerstand, wie kürzlich in Sömmerda, Land Thüringen, wo ein Disput darüber stattfand, wie man das EU-Geld verteilen solle - ein Interessenkonflikt zwischen den Betreibern kleiner Höfe versus Großbetriebe. In dieser Fachtagung der Linkspartei warben Umweltschützer und der Bauernverband für unterschiedliche Wege in der Landwirtschaft.

Als 90jähriger, der sein Leben lang Landwirt war, kann ich mir ein Urteil zu dieser Thematik erlauben. Es wird nämlich der Blick auf kleine Bauernwirtschaften oft romantisiert. Die Arbeitsbedingungen bei großen Betrieben sind selbstverständlich besser, Mitarbeiter erhalten mehr Lohn. Es gilt auch das Arbeitszeitgesetz. In kleinen Betrieben gibt es so etwas nicht oder kaum. Arbeit auf einem kleinen oder mittleren bäuerlichen Familienbetrieb war und ist immer schwere Arbeit mit wenig Freizeit.

Als ich 1955 mein Studium der Landwirtschaftswissenschaften beendet hatte, bin ich in eine große Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gegangen. Das war eine LPG mit 850 Hektar. Später wurde sie die erste LPG Pflanzenproduktion der DDR mit rund 5000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche.

Sicher gibt es junge Landwirte, die aus Gründen der Erbfolge oder anderen einen kleinen oder mittleren Familienbetrieb übernehmen. Aber das ist ihre persönliche Entscheidung mit allen Konsequenzen, die es natürlich zu respektieren gilt. In der Regel übernehmen junge Fachleute auch gerne leitende Funktionen in landwirtschaftlichen Großbetrieben, vor allem in Ostdeutschland mit seinen großen Genossenschaften und GmbHs.

Ich habe fast 40 Jahre genossenschaftliche sozialistische Landwirtschaft erlebt und mitgestaltet. Ich halte das für einen richtigen Weg für die Landbevölkerung. Jetzt, da ich nun wieder im entwickelten Kapitalismus gelandet bin, möchte ich betonen, daß man keinerlei Illusionen haben darf, denn auch im Agrarbereich existiert und wirkt unerbittlich das ökonomische Gesetz der Konzentration der Produktion. Das bedeutet eine Tendenz hin zum Großbetrieb, kleine Betriebe widerstehen ihr auf Dauer nicht. Das sieht man auch an den jährlich weiter sinkenden Zahlen kleinerer Betriebe, die aufgeben müssen.

Was will nun die EU von ihren Mitgliedsstaaten? Was man vorhat, erscheint mir wie ein großer Hut über einem Ameisenhaufen von Millionen Lebewesen. Das kostet jährlich extra 58 Milliarden Euro, was von den Mitgliedsstaaten erst mal einzuzahlen ist. Deutschland muß rund 9 Milliarden Euro zahlen. Anwärter auf Mittel aus dem EU-Agrarhaushalt sind z. B. auch die baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland. Allerdings ist ihre Ackerfläche von circa 3,976 Millionen Hektar im Vergleich etwa zu Deutschland mit 11,8 Millionen Hektar recht klein. Die mittlere Betriebsgröße beträgt in Lettland nur 22 Hektar und in Litauen gar nur 14 Hektar. Es ist natürlich klar, daß diese Länder darum kämpfen werden, für ihre kleineren Betriebe noch mehr Geld zu bekommen.

In diesen drei Ländern gab es übrigens während der Zeit in der UdSSR schon große Kolchosen und Staatsgüter. Die wurden aber mit der Erreichung der sogenannten Unabhängigkeit wieder liquidiert, wogegen in Ostdeutschland immer noch 60 % der Landwirtschaftlichen Nutzfläche von neuen Genossenschaften und großen GmbHs bewirtschaftet werden. Doch der Haß auf alles Russische war so groß, daß man nun auf das Geld aus der EU-Kasse angewiesen ist.

Zur Zeit führt man eine Diskussion um eine Reform der GAP.

Seit der Anfangszeit 1957 der westeuropäischen Gemeinschaften haben sich die Struktur sowie die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe schnell verändert. Von 2003 bis 2013 galt verstärkt das Prinzip: Wachse oder weiche! Es hat ein Viertel der Betriebe die Existenz gekostet. Dieser Prozeß dauert an. Die Zahl der großen Betriebe, vor allem die mit über 100 Hektar, ist in den letzten 10 Jahren um 16 % gestiegen. Das Höfesterben, wie es in Deutschland drastisch genannt wird, ist unmittelbar mit der Frage verbunden, was für eine Landwirtschaft wir wollen.

Wie Niedergang der kleinbäuerlichen Landwirtschaft im entwickelten Kapitalismus aussieht, zeigt sich besonders in Äthiopien. Hunderttausende Kleinbauern wurden dort von ihrem Land vertrieben. Es wird nun von kapitalistischen Agrargesellschaften in Großbetrieben genutzt.

Die Reform der GAP muß aus meiner Sicht als gesellschaftspolitisches Problem betrachtet werden. Wenn es gelingt, einige Systemveränderungen in den Gesellschaften von Staaten zu erreichen, gäbe es Möglichkeiten der Umsteuerung. Doch der Interessenvertreter der deutschen Landwirte ist der Bauernverband. Dessen Präsident Joachim Rukwied betonte kürzlich: "Wir wollen keine Wende." Er sprach sich entschieden für Exportorientierung und Konkurrenzfähigkeit am Weltmarkt aus. Die enge Verbindung von ihm selbst und seiner Vorstandsmitglieder mit Industrie und Großhandel spricht für sich.

Da nur ein Bruchteil der deutschen Landwirte in einem alternativen Verband organisiert ist, der Arbeitsgemeinschaft bäuerlichen Landwirtschaft, wird sich hier vorerst nicht viel ändern. In der GAP sieht der große Bauernverband auch weiterhin die Chance, die gesellschaftlichen Leistungen der bäuerlichen Betriebe zu wahren.

Ob nun Mittel aus der ersten Säule, der sogenannten Flächenfinanzierung, in die zweite Säule getan werden, um damit den kleineren Betrieben zu helfen, bleibt abzuwarten. Es ist vielleicht eine Möglichkeit, dem Höfesterben entgegenzuwirken und Menschen für die Weiterführung von Bauernhöfen zu finden.

Im übrigen gab es ja schon mal einen deutschen Staat, in dem die Verhältnisse in der Landwirtschaft ganz anders gestaltet waren, nämlich sozialistisch genossenschaftlich. Außerdem gab es noch Hunderte Volkseigene Güter (VEG), die als Musterbetriebe fungierten und in denen besonders Züchtungsaufgaben realisiert wurden. Mit der politischen Wende 1990 wurde dieses System schnell wieder beseitigt, denn man fürchtete die Konkurrenz.

Aber so ganz klappte das nicht, denn viele ehemalige LPG-Mitglieder entschieden sich ein zweites Mal für die Genossenschaft, jetzt unter kapitalistischen Verhältnissen. Das sind zum Teil flächenmäßig recht große Betriebe mit bis zu 5000 Hektar oder mehr. Solche Betriebe sind dem Einzelbauernsystem in den alten Bundesländern Deutschlands absolut überlegen. Dieses System war es, was man erreichen wollte, als man 1990 den ostdeutschen Landwirten empfahl, doch wieder ihren "Dreck" zu nehmen und auf klein, klein weiterzumachen. Zum Glück kam es anders.

Eberhard Herr

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70 Jahre Grundgesetz der BRD

Einen Monat ist es her, da bejubelten Politiker und die Medien den 70. Jahrestag der Unterzeichnung des Grundgesetzes als größten Freiheitsakt schlechthin. Doch wie lief es in Wirklichkeit ab, bis dieses Grundgesetz am 23. Mai 1949 in Kraft trat?

Bereits im November 1948 stand fest, das Bonner "Grundgesetz" werde in jedem Falle den Bestimmungen des Besatzungsstatuts der Militärregierungen untergeordnet sein. So hieß es in einer Information, die von Angehörigen der amerikanischen Militärregierung in Berlin herausgegeben wurde und die sich auf Äußerungen des amerikanischen Militärgouverneurs, General Clay, stützte.

Das in Bonn entstehende Grundgesetz enthält nach Carlo Schmids (SPD) Auffassung einen Paragraphen, dem man nur entsprechende Ausführungsbestimmungen zu geben brauche, um eine deutsche Fremdenlegion unter amerikanischer Führung zu legalisieren. Dieser Paragraph lautet: "Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen."

Wer wollte bestreiten, daß die amerikanische Militärregierung eine "zwischenstaatliche Einrichtung" ist?

Ende Februar 1949 wurde bekannt, daß die drei Militärgouverneure eine Delegation des Parlamentarischen Rates in Frankfurt empfangen werden, um das Prüfungsergebnis der politischen Berater über den Grundgesetzentwurf bekanntzugeben.

Zur gleichen Zeit wandte sich der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard (CSU) in der Vorstandssitzung seiner Partei in Oberfranken gegen das Grundgesetz, weil "Bayern auf seine Forderung nach einer föderalistischen Verfassung unmöglich verzichten könne".

Daß ausschließlich auf der sogenannten Frankfurter Konferenz, dem Treffen der Delegation des Parlamentarischen Rates, der kein KPD-Mitglied des Rats angehörte, mit den drei westlichen Militärgouverneuren, nur von den Interessen der Westmächte und nicht von deutschen Belangen die Rede war, geht aus einer Äußerung von Schmid hervor, der gegenüber Journalisten erklärte, die Delegation des Rates habe nicht eine einzige Frage gestellt, sie habe nur zuhören dürfen. Nicht weniger als ein Dutzend Artikel des Grundgesetzes mußten gestrichen werden.

Wie alliierte Kreise in Frankfurt verlauten ließen, war mit einer Ablehnung des "Memorandums" durch die Bonner Parlamentarier nicht zu rechnen. Dieses "Memorandum" der Militärgouverneure machte klar, daß das Bonner Verfassungsgeschäft absolut nichts mit deutschen Interessen gemein hatte. Auf ausdrücklichen Befehl der Westmächte mußte mit den Arbeiten am "Grundgesetz" für den westdeutschen Staat begonnen werden. Sie überwachten pedantisch die Formulierung auch des letzten Verfassungsartikels. Es mußte akkurat die westalliierte Marschroute zum westdeutschen Staat, zur Spaltung Deutschlands, eingehalten werden.

Anfang Mai 1949 erklärte der bayerische Kultusminister Alois Hundhammer (CSU), seine Partei werde in jedem Fall eine Volksabstimmung über die westdeutsche Verfassung durchführen. Wenn die Bayern nein zu Bonn sagen, bleibe das Land außerhalb der sogenannten Bundesrepublik Deutschland. Allerdings, so meinte Hundhammer, wolle Bayern die wirtschaftlichen Beziehungen zu den anderen deutschen Ländern aufrechterhalten.

Für die dritte Lesung des Grundgesetzes hatte die KPD-Fraktion erneut den Antrag eingebracht, der "Parlamentarische Rat" solle Verbindung mit dem Deutschen Volksrat in der Sowjetischen Besatzungszone aufnehmen, um eine gesamtdeutsche Regierung zu bilden und einen gemeinsamen deutschen Standpunkt für die kommende Außenministerkonferenz in Paris auszuarbeiten.

Am 9. Mai 1949 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom Parlamentarischen Rat in dritter und letzter Lesung in namentlicher Abstimmung mit 53 gegen 12 Stimmen angenommen. Der Parlamentarische Rat hatte 65 Mitglieder. 36 Vertreter der SPD, 21 der CDU/CSU, 5 der FDP und der unabhängige Abgeordnete Friedrich Löwenthal stimmten für das Grundgesetz, 6 Vertreter der CSU, die beiden Abgeordneten der KPD, die beiden des Zentrums und die beiden der Deutschen Partei stimmten dagegen. Das Grundgesetz wurde den Militärregierungen zur Genehmigung überreicht, anschließend mußten die Länderparlamente zustimmen.

Gleich zu Beginn der Beratungen wurde ein Antrag der KPD auf Zusammenarbeit mit dem Deutschen Volksrat abgelehnt. Mit 50 gegen 13 Stimmen wurde der von Heinrich von Brentano (CDU) und Thomas Dehler (FDP) eingebrachte Antrag abgelehnt, die Bevölkerung in einer Volksabstimmung über das Grundgesetz entscheiden zu lassen. Alle Forderungen nach einer Volksabstimmung würden ohne Erfolg bleiben, erklärte ein Sprecher des Büros der westdeutschen Ministerpräsidenten. Die Militärgouverneure hätten befohlen, daß die Ratifizierung dieser "Verfassung" durch die Länderparlamente zu erfolgen habe.

Der bayerische Landtag hatte das Grundgesetz für den Weststaat zwar abgelehnt, erklärte sich aber bereit, dessen Gültigkeit anzuerkennen, wenn die Mehrheit der übrigen Landtage das Grundgesetz annehmen sollte. Von der CSU mehrmals mit stürmischem Beifall überschüttet und bejubelt wurde der SPD-Abgeordnete und 1945er Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, als er in verschiedenen Variationen immer wieder beteuerte, Bayern sei ein "Sonderfall" und müsse sich einer "möglichen Entwicklung zum Einheitsstaat" entgegenstellen. Nur aus einer "Zwangslage" habe er sich entschlossen, mit seinen politischen Freunden dem Grundgesetz zuzustimmen.

Das erste gesamtdeutsche Gespräch unter Beteiligung von 75 Delegierten aus allen vier Zonen Deutschlands wurde am 20. Mai 1949 in Hannover kurz nach Eröffnung von der britischen Militarregierung aufgelöst.

Nach den Klängen der Fantasie in g-moll von Johann Sebastian Bach und einer Rede Konrad Adenauers unterschrieben am Montag, dem 23. Mai 1949, 88 parlamentarische Räte, Länderchefs und Landtagspräsidenten das Grundgesetz. Nur die beiden Abgeordneten der KPD verweigerten die Unterschrift. Als der Abgeordnete Renner aufgerufen wurde, sagte er: "Ich unterschreibe nicht die Spaltung Deutschlands." Auch der Vorsitzende der KPD, Max Reimann, hatte laut und feierlich mit nein gestimmt.

Das Bonner Grundgesetz wurde in der belgischen Zeitung "La Libre Belgique" scharf kritisiert. Das Gesetz, hieß es, sei ein großer Betrug. Es sei von juristischen Spitzfindigkeiten durchtränkt, die zu trügerischen Auslegungen verleiten und wahrscheinlich die schlimmsten Seiltänzerkünste auslösen würden. Wie recht diese Zeitung hatte! Das Grundgesetz war gerade einmal zwei Jahre in Kraft, als Adenauer 1951 grundgesetzwidrig die FDJ West verbot und den KPD-Verbotsantrag einreichte.

Das Grundgesetz wurde den Bürgern in den Westzonen von den Westalliierten aufgezwungen. Die Mitglieder im Parlamentarischen Rat hatten keinen Gestaltungsspielraum. Die Länderregierungen konnten die Vorlage zum Grundgesetz nur abnicken. Der Bevölkerung selbst war jedes Mitwirkungs-und Mitbestimmungsrecht von den Westalliierten verweigert worden.

Johann Weber

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Eine Episode aus der Anschlußzeit

Angekommen im Staat der Lobbyisten

Schon kurz nach der sogenannten Wende hörten wir von Gerüchten, daß es seitens der BRD Überlegungen geben würde, nicht nur Vertretern technischer Berufe, sondern auch uns Ärzten die Anerkennung unserer Abschlüsse zu verweigern. Offensichtlich setzte sich aber die Erkenntnis durch, daß dann die medizinische Betreuung der Bürger der früheren DDR nicht zu sichern wäre. Wir selbst waren der Auffassung, daß bestimmte Organisationsprinzipien wie Polikliniken und Ambulatorien oder die Idee einer Gliederung in Grundbetreuung, spezialisierte und hochspezialisierte Betreuung oder die Idee von Dispensaires eine Berechtigung hätten, in das System des Gesundheitswesens der BRD eingebracht zu werden.

Mit diesen Gedanken und Ideen meldeten wir uns 1991 in Bonn beim Gesundheitsminister Horst Seehofer. Wir erhielten tatsächlich auch einen Termin und flogen als sechsköpfige Delegation nach Bonn.

Dort teilte man uns mit, der Minister hätte leider noch andere wichtige Termine. Er begrüßte uns aber freundlich und stellte uns seine Staatssekretärin, Dr. Sabine Bergmann-Pohl - ehemals letzte Präsidentin der Volkskammer der DDR - sowie mehrere Ministerialbeamte vor.

Letztendlich blieb er aber dreieinhalb Stunden in der Runde. Er schien deutlich interessiert. Mehrfach forderte er seine Beamten auf, einen wichtigen Gedanken aufzuschreiben.

Zum Schluß faßte er die Probleme und unsere Vorschläge zusammen: "Zuerst einmal, ich halte alles, was Sie vorgetragen und begründet haben, für gut und bedenkenswert." Und fuhr fort: "Und nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, muß ich Ihnen einen Vortrag in Demokratie halten. Ich bin Mitglied der CSU - in meiner Partei wohl gelitten -, und hätte wahrscheinlich wenig Probleme, Ihre Gedanken in die Tat umzusetzen. Mit der Schwesterpartei CDU sieht das schon ganz anders aus. Und sollte es mir tatsächlich gelingen, auch die zu überzeugen, hätte ganz sicher der Koalitionspartner FDP eigene Vorschläge.

Und gesetzt, ich würde auch diese Abgeordneten überzeugen und diese Hürde nehmen, würde die Oppositionspartei SPD schon aus parteitaktischen Gründen diese Vorschläge ablehnen. Und jetzt zum Schluß noch etwas Wichtiges: Sie sind Hausärzte - Sie haben keine Lobby. Die Pharmaindustrie hat eine Riesenlobby. Die Industrie der Medizintechnik hat eine bedeutende Lobby. Die großen Ärztegesellschaften wie der Hartmann-Bund haben eine Lobby. Noch einmal: Sie haben keine Lobby! Und aus all diesen Gründen kann ich Ihnen nicht versprechen, daß etwas von Ihren Vorschlägen umgesetzt werden kann!"

Bei der Verabschiedung sagte ich zu ihm: "Haben Sie Dank für Ihre Offenheit. Als ehemaliger Mitarbeiter im Ministerium für Gesundheitswesen der DDR muß ich Ihnen sagen, daß wir in Einzelentscheidungen vielleicht auch mal Mist gemacht haben, aber das hier, in diesem Land - das ist einen Zahn schärfer!"

Er legte mir die Hand auf die Schulter und meinte, ich solle das doch nicht so tragisch sehen, worauf ich antwortete: "Ich muß! Ich lebe jetzt in diesem Deutschland einig Vaterland!" Ich war also "angekommen".

OMR Dr. Michael Klauck
Berlin

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Worte wie winzige Arsendosen

Sie kommen ruhig, ohne Aufhebens daher, grüßen wie alte Bekannte, obwohl es sie vorher gar nicht gab. Niemand weiß genau, woher sie kommen und wann sie das erste Mal auftauchten - aber sie sind da und haben sich in der Normalität häuslich eingerichtet. Sie gehören zum allgemeinen Sprachgebrauch - gleich ob die Menschen, die sie benutzen, eine politische Überzeugung haben oder nicht.

"Flüchtlingsabwehr". Viktor Klemperer, der während der Nazi-Zeit die "LTI" schrieb (Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Dritten Reiches) würde "Flüchtlingsabwehr" sicherlich zu den "Pfeilerwörtern" zählen: das sind Wörter, die etwas Charakteristisches über eine bestimmte Epoche aussagen, in deren Sprachschatz sie häufig vorkommen und sich wie Pfeiler eingerammt haben.

Daß "Flüchtlingsabwehr" im rechten politischen Spektrum gebraucht wird, wundert nicht; denn dort hat es zweifellos seinen Ursprung. Ist doch "Flüchtlingsabwehr" genau das, was rechte Parteien tun und was deren Wähler wünschen. So versicherte Ende letzten Jahres die CSU-Politikerin Andrea Lindholz, die große Koalition habe viele "Maßnahmen der Abwehr von Geflüchteten und Migranten beschlossen".

Was bedeutet das Wort "Abwehr"? Das allgemeine, gängige Wort "Gefahrenabwehr" beläßt im Ungenannten, was abzuwehren ist. Deutlicher sagt es das Wort "Insektenabwehr", das ich neulich in einem Drogeriemarkt las. Klar: Insekten sind unangenehm und lästig, können sogar tödliche Stiche abgeben. Diese Schädlinge müssen abgewehrt werden.

Im militärischen Bereich ist "Abwehr" ein häufig benutzter Fachbegriff: Spionageabwehr, Luftabwehr, Raketenabwehr ... Immer handelt es sich um Gegner, die uns bedrohen, gegen die wir uns schützen müssen. "Flüchtlingsabwehr" ist also ein Beispiel für die Militarisierung der Sprache, die Klemperer als ein Merkmal der LTI feststellte. Und mehr noch, schlimmer noch: Handelt es sich bei den anderen zusammengesetzten Wörtern um Insekten, um Dinge oder um Abstrakta, so bezieht sich das Wort "Flüchtlingsabwehr" auf Menschen, die abgewehrt werden müßten, und zwar Menschen, die nicht erobern wollen und die ohne Waffen kommen.

Das Wort "Flüchtlingsabwehr" ist so unmenschlich wie die gedanklichen Grundlagen der politisch Verantwortlichen und wie der Geist, in dem die Gesetze gemacht werden. Diejenigen, die keine politische Macht haben, auf deren Wählerstimme aber die politisch Verantwortlichen angewiesen sich, bekommen vermittelt: Flüchtlinge sind eine Gefahr, sie sind Feinde, die uns übelwollen, gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen.

Das Wort "Grenzschutz" und der Satz "Wir müssen unsere Grenzen schützen" tun ein Übriges, um diese Botschaft zu verfestigen. Klemperer stellte fest, was die Psychologie der darauffolgenden Jahrzehnte bestätigt hat: Solche kurzen Sätze und einzelne, häufig gebrauchte Begriffe wirken stärker als ausführliche Reden und Abhandlungen - eine Tatsache, die die Werbung sich zunutze macht. Solche Wörter und kurze Redewendungen werden von den meisten Menschen unreflektiert übernommen und nicht hinterfragt.

Und gerade deshalb beeinflussen sie das Unterbewußtsein, werden zu "Pfeilerwörtern". "Sprache lenkt auch mein Gefühl (...), je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse. (...) Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da." (V. Klemperer)

Ein Wort wie "Migrationsmanagement" klingt ein ganz klein wenig menschlicher, weil "Migration" ein abstrakter Begriff ist. Aber welches Bild kommt uns spontan, wenn wir das Wort "Migration" hören? Menschen! Dagegen läßt das gängige Wort "Quartiersmanagement" nicht spontan an Menschen denken, sondern eben an Quartiere aller Art. "Migrationsmanagement" macht also Menschen zu Dingen, die gemanaged werden müssen.

Gelegentlich sprechen oder schreiben auch Linke von "Flüchtlingsabwehr". Das ist paradox, denn gerade sie wenden sich ja gegen "Flüchtlingsabwehr" in des Wortes eigener Bedeutung. Es wäre gut, sie benutzten dieses Wort überhaupt nicht oder höchstens in Anführungsstrichen, um es zu thematisieren. Es aber zu benutzen wie ein normales, geläufiges Wort, hieße denen recht geben, die im Sinne dieses Wortes agieren.

Horsta Krum, Berlin
(aus "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform", April 2019)

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WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG
Juli/August 1935 - VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale
Sendung des Deutschlandsenders vom 31. Juli 1975

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Damoklesschwert über den Intellektuellen

Von Berufsverbot bedroht wurden Menschen mit freigeistiger oder linker Gesinnung in der alten Bundesrepublik und nach der Übernahme der DDR in den neuen Bundesländern. Auch wenn Postbeamte und Lokomotivführer betroffen waren, zielte die Verhängung von Berufsverboten hauptsächlich auf Intellektuelle: Lehrer, Akademiker, Wissenschaftler, Journalisten, die im öffentlichen Dienst arbeiteten.

Berufsverbote sind bis heute nicht offiziell abgeschafft, d. h. juristisch latent wirksam, die Betroffenen bisher nicht rehabilitiert, geschweige denn entschädigt.

Was war der Zweck der Berufsverbote? Rebellische, antifaschistische und antimilitaristische Geisteshaltung wurde in Westdeutschland als undemokratisch, grundgesetzwidrig diffamiert und mit Berufsverbot belegt. An der Volks- und Realschullehrerin Heike Gohl, Tochter vom KPD-Bürgerschaftsabgeordneten und antifaschistischen Widerstandskämpfer Walter Möller, wurde mit einem Hamburger Senatsbeschluß 1971 das allererste Berufsverbot exekutiert. Diese Maßnahme wurde von den SPD-Regierungen der Länder übernommen und seit 1972 per Ministerpräsidentenbeschluß unter Willy Brandt für den Bund eingeführt. Die Vorwürfe in den Anhörungen, die der Erteilung von Berufsverboten vorausgingen, zielten auf eine persönliche Gesinnung, die extremistisch, radikal, staatszersetzend sei, die Verhältnisse zu revolutionieren beabsichtige, am Ende sogar an der DDR etwas Gutes finden würde.

Im Raum stand das Verbot, eine sozialistische Alternative überhaupt zu denken.

Die Wirkung der Berufsverbote hing wie ein Damoklesschwert über potentiell Betroffenen: Unabhängig vom konkreten Tun eines einzelnen schürte die Drohung eines Berufsverbots allgemeine Angst. Deshalb sind auch Menschen - gerade unter Intellektuellen - indirekt vom Berufsverbot betroffen, denen nie ein Berufsverbot erteilt wurde: Aus Furcht vor einem möglichen Berufsverbot wechselten Studenten von ihrem Lehramts-Studium zu einer anderen Karriere, berufstätige Intellektuelle mischten sich nicht mehr in gesellschaftliche Konflikte ein, andere unterschrieben zum Beispiel keine Solidaritätsaufrufe mehr.

Berufsverbote und Berufsbeamtentum gibt es in anderen westeuropäischen Ländern nicht, ebenso kein Verbot der kommunistischen Partei. Die Verhängung von Berufsverboten und das - bis heute nicht aufgehobene - KPD-Verbot sind Erfindungen spezifisch westdeutscher Politik bei der Begründung und dem Wiederaufbau eines "Rechtsstaats" nach der Niederlage des Hitler-Faschismus, und sie dienten gleichzeitig in ihrer antikommunistischen Funktion der Führung des kalten Krieges gegen die Sowjetunion, der DDR und die anderen sozialistischen Länder.

Das kurze Aufbegehren der außerparlamentarischen Opposition Ende der 60er-Jahre wurde von den Vollstreckern des "tiefen Staats" der BRD mit dessen imperialistischen Europa-Ambitionen nicht zuletzt auch durch die Praxis der Berufsverbote im öffentlichen Dienst erstickt. Heute ist die politische Atmosphäre vergiftet, die Opposition mundtot. Was nun - was tun? müssen sich deutsche Intellektuelle fragen und ihre Kompetenzen beim Aufspüren von Lehren, die aus der Geschichte gezogen werden können, vehement in den öffentlichen Diskurs einbringen.

Beate Brockmann
Praeto (Italien)

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"Unternehmerische Risiken ..."

Rheinmetall verlangt staatliche (d. h. mit unseren Steuern finanzierte) Entschädigung für Profitminderungen, die dem Unternehmen evtl. durch gestoppte Waffenexporte z. B. nach Saudi-Arabien entstehen.

Die Energieriesen verlangen staatliche (d. h. mit unseren Steuern finanzierte) Entschädigung für Profitminderungen, die ihnen z. B. durch AKW-Abschaltungen oder Proteste im Hambacher Forst entstehen.

Hypo Real Estate, "systemrelevante Bank" in München, hat sich verzockt und den Verlust von -zig Milliarden (!) Euro von uns, den Steuerzahlern, bezahlen lassen. Die Manager erhielten gleichwohl Boni.

Bayer/Monsanto verlangt staatliche (d. h. mit unseren Steuern finanzierte) Entschädigung für Profitminderungen, die dem Unternehmen durch ein Glyphosat-Verbot drohen.

Wäre es dann nicht konsequent, wenn wir, die Steuerzahler, auch die Verdienstausfälle bezahlen müßten, die Grünenthal durch das Verbot von Contergan entstanden sind?

Übrigens: Gemessen daran ist es ein Riesenunrecht, was der Zigarettenindustrie durch die zunehmenden Rauch- und Werbeverbote widerfährt. Oder etwa nicht?

Uli Bohnen
Eschweiler

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Wer war Kurt Eisner?

Der am 14. Mai 1867 in Berlin geborene Kurt Eisner war Sproß einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Nach der Erlangung des Abiturs und einem Philosophie- und Germanistikstudium schlug er den Weg des Journalismus ein. Er schrieb für verschiedene liberal-bürgerliche Zeitungen und bezeugte in seinen Artikeln eine ausgezeichnete Kenntnis insbesondere der Philosophie Kants, die er mit den Gedanken von Karl Marx in eins zu bringen versuchte. In der Kritik an der Monarchie nahm er kein Blatt vor den Mund, was ihm 1898 seinen ersten Gefängnisaufenthalt in Plötzensee einbrachte. Auf Vermittlung von Wilhelm Liebknecht arbeitete er nach dem Ende der Haft sowohl für den "Vorwärts" als auch für andere sozialdemokratische Presseorgane wie die "Fränkische Tagespost" und das von ihm herausgegebene "Arbeiter-Feuilleton".

In den Kriegsjahren 1914 bis 1918 geißelte er die Politik des "Burgfriedens" und der Stützung der deutschen Militärmaschinerie durch die SPD. Eisner stellte sich gegen die Politik der Kriegskredite.

Sein Weg und der der SPD trennte sich. Nachdem Eisner sich dem "Bund Neues Vaterland", dem unter anderen auch Clara Zetkin und Albert Einstein angehörten, angeschlossen hatte, gründete er 1917 die USPD in Bayern und war fortan der führende Kopf der dortigen Revolution. Die Organisation des Münchener Munitionsarbeiterstreiks im Januar 1918 mit dem Ziel, ein Ende des Krieges herbeizuführen, wurde ihm vom amtierenden König Ludwig III. als Hochverrat ausgelegt. Eisner wurde am 31. Januar 1918 verurteilt und trat seine Haft an. Er kam im Oktober des gleichen Jahres frei und rief in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 die Republik aus.

Die Arbeiter- und Soldatenräte wählten Eisner zum ersten bayrischen Ministerpräsidenten. Nach der Konzeption Eisners sollte die Landesregierung die Arbeiter- und Soldatenräte nicht ersetzen, er sprach sich für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit der beiden Institutionen aus. Hauptanliegen der Regierung war die Verbesserung der Versorgungslage der Bevölkerung und die Beseitigung der unmittelbaren Kriegsfolgen.

Die ersten 100 Tage der bayerischen Republik waren gekennzeichnet durch den offen ausgebrochenen Streit mit den Führern der MSPD, insbesondere deren Vorsitzenden Erhard Auer. Die MSPD wollte die Räte mittelfristig abschaffen, kurzfristig sollten die Räte nur ausführendes Organ der Regierung sein, "um die Ruhe wieder herzustellen". Eisner verfaßte am 20. November 1918 die Räte-Richtlinie, in der es u. a. heißt: "Die Räte sollen die Schule der Demokratie werden. Die Räte sind die Grundmauer der Demokratie, die Nationalversammlung, der Landtag ist die Krönung des Gebäudes."

Die Räte hatten in dieser Konzeption weitgehende Befugnisse: Sie waren mit Kontrollrechten ausgestattet und hatten ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht in Tagespolitik und beim Regierungshandeln. Ganz anders dagegen die Konzeption des Innenministers Auer: Schon zwei Tage nach Ausrufung der Republik hatte er angeordnet, "daß die unberechtigte Einmischung Dritter" in die Arbeit der Verwaltung zu unterbleiben habe, was eindeutig gegen die Räte zielte.

Der offene Konf likt zwischen MSPD und USPD war vorprogrammiert. Unschwer ist zu erkennen, daß Eisner den Erfolg und Fortgang der Revolution als bedroht ansehen mußte. War es schon eine Sisyphus-Aufgabe, die äußeren Verhältnis zu bessern, stand der ärgste Feind in den eigenen Reihen. Die MSPD spielte die Karte des Parlamentarismus, gerade auch um den Einfluß der Räte zurückzudrängen.

Eisner gab nicht auf. In einem Brief vom 10. Januar 1919, zwei Tage vor der Reichtagsund Landtagswahl, schrieb er an seine Frau: "Es bedrängt mich eine trübe Ahnung, als ob sich mein Schicksal bald vollenden könnte, aber ich kann nicht anders. Ich könnte niemals mehr frei atmen, wenn ich nicht täte, was ich für meine Pflicht halte." Diese Worte enthüllen die ganze Tragik der Situation, in der sich Eisner befand: Nolens volens mußte er auf die Stärkung der USPD in den Wahlen vom Januar 1919 setzen. Einen anderen Weg, die reaktionäre Politik der MSPD zurückzudrängen, sah er nicht. Es fehlte an Bündnispartnern. Die KPD (Spartakusbund) trat als Partei mit ihrer ersten Flugschrift am 15. Januar 1919 in München in Erscheinung, an der Januarwahl hatte sie sich noch nicht beteiligt. Zuvor hatte lediglich der Münchener Spartakist Max Levien, der mit dem Anachisten Erich Mühsam zusammenarbeitete, den Vorsitz des Münchener Soldatenrates übernommen. Erst mit der Entsendung des KPD-Mitglieds Eugen Leviné im März 1919 sollte die KPD größeren Einfluß erreichen.

In den Tagen vor der Wahl am 12. Januar 1919 entfaltete die bürgerliche Presse ihre wahre Macht und lancierte eine beispielslose Hetzkampagne gegen die bayerische Revolution. Dabei griff sie das Wahlmotto der Bayerischen Volkspartei auf: Die "jüdisch-bolschewistische" Verschwörung müsse gestoppt werden. Die BVP konnte aus dem Stand den Wahlsieg für sich verbuchen, der Eisner wohlgesonnene Bauernbund erhielt lediglich 9 % der Stimmen, die USPD landete weit abgeschlagen bei 2,5 %. Auch das mittlerweile eingeführte Frauenwahlrecht schlug im Ergebnis nicht für die USPD zu Buche.

Eisner war es gewohnt, daß ihm der blanke Haß der reaktionären Kräfte entgegenschlug, Nicht nur an die Beschimpfungen ("jüdischer Bolschewist, Phantast, Caféhaus-Literat") hatte er sich gewöhnen müssen, auch daran, daß sein Leben in jeder Stunde seit der Ausrufung der bayerischen Republik durch die rechte Kamarilla, die sich aus den Freunden der Monarchie, den Freikorps aber auch aus rechten Kräften in der MSPD zusammensetze, bedroht war.

Als sich Eisner am Morgen des 21. Februar zu Fuß dem Eingang des Landtags näherte, stürzte sein Mörder, Graf Arco auf Valley, der sich in einem Hauseingang verborgen hatte, auf ihn zu und streckte ihn mit zwei Schüssen in den Kopf nieder.

Der Mörder Eisners, Graf Arco, wurde Anfang 1920 von einem Sondergericht zum Tode verurteilt, am Folgetag jedoch bereits wieder begnadigt. In der Urteilsbegründung ist zu lesen, daß die "Handlungsweise des politisch unmündigen Mannes nicht (aus) niedriger Gesinnung, sondern (aus) der glühenden Liebe zu seinem Volke und Vaterlande" entsprungen sei.

Nachdem die Beerdigung Eisners am 26. Februar 1919 zu einer Massendemonstration für die Ziele der bayerischen Republik geraten war, der Generalstreik ausgerufen wurde und über München der Belagerungszustand verhängt war, konnte sich das Kabinett unter Johannes Hoffmann (SPD) nicht mehr halten.

Es kam am 7. April 1919 zur Ausrufung der "Ersten Münchener Räterepublik", die durch putschende Militärs schon eine Woche später ihr Ende fand. Herbeigeeilte Rotgardisten unter dem Kommando von Franz Egelhofer (KPD) schlugen den Putsch nieder und riefen die "Zweite bayerische Räterepublik" aus. Die erbitterten Kämpfe mit den von Hoffmann angeforderten Freikorpseinheiten dauerten bis zum Eintreffen der von Reichswehrminister Noske (SPD) entsandten Militäreinheiten in den ersten Maitagen 1919 an.

Die Revolution war zerschlagen. Max Levien, der zusammen mit Eugen Leviné dem Vollzugsrat der Räterepublik vorstand, gelang die Flucht. Der Kommunist Eugen Leviné wurde zum Tode verurteilt und in der ersten Juniwoche 1919 hingerichtet (siehe RF 256, Seite 20).

In seiner Verteidigungsrede vor Gericht hatte er erklärt: "Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub, dessen bin ich mir bewußt. Ich weiß nicht, ob Sie mir meinen Urlaubsschein noch verlängern werden, oder ob ich einrücken muß zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg".

Andreas Hohmann
Lich/Hessen

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Die Beisetzung Rosa Luxemburgs

Kurz vor Mitternacht wird am 15. Januar 1919 Rosa Luxemburg aus dem Hotel Eden getrieben. Der Posten Otto Runge schlägt ihr mehrmals auf den Kopf. Halbtot zerrt man sie ins Auto, wo sie erschossen wird. Kurz vor der Lichtensteinbrücke werfen die Mörder die Leiche in den Landwehrkanal. Anderntags kolportiert die reaktionäre Presse: "Liebknecht auf der Flucht erschossen! Rosa Luxemburg von der Menge getötet!"

Hauptmann Pabst bekennt 1969, "daß ich die Aktion ohne Noskes Zustimmung gar nicht hätte durchführen können", und er bezichtigt Friedrich Ebert der Mitwisserschaft.

Karl Liebknecht und die Opfer der Januarkämpfe 1919 sollten auch auf dem Friedhof der Märzgefallenen von 1848 beigesetzt werden. Hier fanden auch Opfer der Kämpfe vom November und Dezember 1918 ihre letzte Ruhe. Doch der Berliner Magistrat unter Oberbürgermeister Adolf Wermuth lehnt in Absprache mit den sozialdemokratischen Volksbeauftragten den Antrag der Führungen von USPD und KPD ab. Wermuth erinnert sich einige Zeit später daran, mit welcher Abneigung er schon eine Rede Karl Liebknechts zur Beisetzung der Opfer der Novemberrevolution im Friedrichshain anhören mußte. Er habe daher den Beschluß gefaßt, "mit seinen Möglichkeiten der ernsten Gefahr eines Übergreifens des Bolschewismus entgegenzuwirken".

Diese Entscheidung wird sogar außerhalb der KPD kritisch gesehen. "Diese Regierung kann offenbar keine Gelegenheit unterlassen, um der Berliner Arbeiterschaft zu demonstrieren, daß zwischen ihr und dieser Regierung die Maschinengewehre und Kanonen stehen", schreibt "Die Freiheit", das Zentralorgan des USPD.

Als am 25. Januar 1919 Karl Liebknecht und 31 Opfer der Januarkämpfe auf dem Friedhof in Friedrichsfelde beerdigt werden, führt der Trauerzug von weit über hunderttausend Berlinern nach Friedrichsfelde, das damals noch außerhalb Berlin lag, am Friedhof im Friedrichshain vorbei.

Am 31. Mai 1919 entdeckt ein Schleusenarbeiter den Leichnam von Rosa Luxemburg im Landwehrkanal. Sie wird am 13. Juni 1919 beigesetzt. Der Trauerzug nach Friedrichsfelde beginnt im Friedrichshain. Abordnungen aus Berlin und ganz Deutschland sowie der internationalen Arbeiterbewegung versammeln sich hier zu einer eindrucksvollen Trauerfeier. Aufgerufen dazu haben die KPD, der Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte und der Landesvorstand der USPD. "Die Freiheit" berichtet: "Die Berliner Arbeiterschaft hat der Genossin Rosa Luxemburg ein ehrenvolles Begräbnis bereitet. Schon nach 9 Uhr sammelten sich in den verschiedenen Stadtteilen Arbeiterzüge und marschierten mit Kränzen und roten Fahnen nach dem Friedrichshain.

Gegen 11 Uhr hatte sich dort eine ungeheure Menschenmenge eingefunden, die wie ein dichter Kranz das weite Rund der Spielwiese umrahmte. In der Mitte der Spielwiese stand auf einem Lastwagen der Sarg mit der Leiche Rosa Luxemburgs. Der einfache Holzsarg war von schweren Kränzen bedeckt, darunter einer von der Akademie der sozialistischen Wissenschaft Moskaus, von der Ungarischen Räterepublik, von der Sowjetrepublik Rußlands, von der Kommunistischen Partei Deutschlands und der Kommunistischen Partei Groß-Berlins. Die Deputationen hatten ihre herrlichen Kränze auf dem weiten Rand der Spielwiese niedergelegt. Überall sah man rote Schleifen und Blumen. Um die Kränze vor den sengenden Strahlen der Sonne zu schützen, wurden sie teilweise mit Tüchern bedeckt. Unter den Versammelten wurden massenweise Flugblätter der Kommunistischen Partei verteilt. Händler boten Bilder der Getöteten feil, und überall wurden revolutionäre Propagandaschriften zum Verkauf angepriesen.

Kurz nach 11 Uhr ertönten von den Trauerwagen Trompetensignale, und von sechs einfachen Bretterwagen wurden hierauf Ansprachen an die Versammelten gehalten. Alle priesen den klaren Verstand der gemordeten Arteiterführerin, ihren klaren Blick in die Zukunft und ihre Begeisterung ... Rosa Luxemburgs Persönlichkeit war von wirklich internationalem Rang". Offizielle Vertreter der Mehrheitssozialdemokratie blieben der Trauerfeier fern.

Um 13 Uhr setzt sich der Trauerzug in Richtung Friedrichsfelde in Bewegung. Der Weg führt über die Landsberger Allee, die Petersburger Straße, die Frankfurter Allee und die Frankfurter Chaussee zum Zentralfriedhof in Friedrichsfelde. Hundertausende Arbeiter folgen dem Aufruf der KPD, des Vollzugsrates des Arbeiter- und Soldatenrates und des Landesvorstandes der USPD. Sie vereinen sich mit Arbeitern aus allen Teilen Deutschlands und Vertretern ausländischer Arbeiterorganisationen. "Den Tag wird keiner, der ihn miterleben durfte, vergessen. Das arbeitende Volk gab seiner leidenschaftlich geliebten, so brutal und niederträchtig hingemordeten Führerin ein Geleit, wie es machtvoller und erhebender nicht gedacht werden kann", schreibt "Die Republik", die Zeitung der Arbeiterräte. In den Industriebetrieben legen die Arbeiter an diesem Tag die Arbeit nieder. Den Sarg schmücken Kränze der KPD, der Russischen Föderativen Sowjetrepublik und der Ungarischen Räterepublik. Die Noske-Truppen haben sich an diesem Tag in ihre Kasernen zurückgezogen und wagen sich nicht heraus.

Rosa Luxemburg wird neben Karl Liebknecht beigesetzt. An ihrem Grab sprechen Paul Levi, Clara Zetkin, Luise Tietz und Vertreter der Kommunisten aus Ungarn, Polen, Bulgarien, der Türkei und der Schweiz.

Clara Zetkin schreibt an ihre Schwägerin Hanna Zetkin: Es war "eine imposante, überwältigende Kundgebung. Im Friedrichshain so viele Menschen, daß die Tram nicht verkehren konnte, der Zug sehr groß und im Osten Berlins, im Proletarierberlin, das ganze Volk der Arbeit als Spalier. Ein Meer von Kränzen, Palmen etc."

Dr. Kurt Laser

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Ist der Kapitalismus reformierbar?

Zu meinem 88. Geburtstag hat mir meine in Aachen lebende Schwester ein Buch von einem mir bisher unbekannten Autor zugesandt, dessen Titel mich neugierig machte und anregte, es umgehend zu lesen: Alles könnte besser sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2019. Der Autor, Harald Welzer, wird im Klappentext als Soziologe und als einer der wichtigsten "Vordenker" in Deutschland, als erprobter Zukunftsarchitekt vorgestellt, der keine Lust mehr hat, nur zu kritisieren, und der in leuchtenden Farben das Bild einer neuen Gesellschaft malt. Eine Gesellschaft für unsere Zukunft.

Nach dem Lesen mußte ich feststellen, es handelt sich gar nicht um eine neue Gesellschaft, sondern um einen gemäßigten, gebändigten, entschärften, kurz einen "zivilisierten" Kapitalismus als Zukunftsprojekt. Und die im Klappentext angekündigten leuchtenden Farben dieser kapitalistischen Zukunftsgesellschaft kamen mir bekannt vor aus einer Zeit, in der es sie mehr oder weniger erfolgreich ausgeprägt in Deutschland schon einmal gegeben hat und die mit der als Wiedervereinigung bezeichneten Konterrevolution den Ostdeutschen wieder abhanden gekommen sind.

Der Autor meint: "Es war nicht alles schlecht im Kapitalismus." Er glaubt an die Reformierbarkeit des Kapitalismus und belegt das mit den Erfolgen der Arbeiterbewegung in den westlichen Nachkriegsgesellschaften (als es das sozialistische Weltsystem und die DDR noch gab!), als es schon einmal gelungen sei, das "knallharte Ausbeutungssystem" des Kapitalismus zu zähmen und es "gelegentlich sogar menschenfreundlich" zu machen, den modernen Sozialstaat mit Sozial- und Krankenversicherung, Schulpflicht, gesetzlich geregelten Arbeitszeiten, Urlaubsregelungen usw. usf." zu erkämpfen. So seien durch zentrale gewerkschaftliche Forderungen in den 70er und 80er Jahren Arbeitszeitverkürzungen bis zur 35-Stundenwoche "erfolgreich durchgekämpft" worden, "bis der neoliberale Rollback kam und alle wieder mehr arbeiten mußten". Der Frage, warum das so kam, geht der Soziologe Welzer nicht nach.

Kritikwürdig schlecht, so meint er, sei der Kapitalismus, der schon einmal besser war, erst mit dem Neoliberalismus geworden, den er zutreffend als "eine Theorie des radikalen Individualismus" definiert, und der "seit den 70er Jahren ... in vielen Ländern zur Staatsräson wurde, von Staat und Politik verlangte, sich aus wichtigen Angelegenheiten der Wirtschaft herauszuhalten und dazu führte, daß die Ökonomie heute politisch das Primat hat und ihr alles andere nachgeordnet wird". Dieser Liberalismus habe zusammen mit der Globalisierung eine Wirtschaftspraxis "des grenzenlosen Wachstums" hervorgebracht, "ein immer noch ansteigendes Wirtschaftswachstum" ohne Rücksicht auf die begrenzten Naturressourcen unseres Planeten.

Diesen Kapitalismus charakterisiert Welzer als "eskalierte Wettbewerbsorganisation aller gegen alle", als Gesellschaft, in der ein "Menschenrecht auf Ausbeutung besteht", die immer "neue und perfidere Formen der Ausbeutung, Überwachung und Naturzerstörung liefert", als Gesellschaft, "die in stoischer Rücksichtslosigkeit alles, was keinen Mehrwert (Welzer meint wohl Profit) schafft ..." niederwalzt und in der die Fähigkeit zum Konkurrieren, Überbieten, Ausstechen "als sozial erwünscht" und die "individuelle Nutzungsmaximierung als erstrebenswürdig" gilt.

Welzer weiß auch, wer für die heutigen Probleme des Kapitalismus verantwortlich ist: "Es waren die kapitalistisch geprägten Gesellschaften, die sich einen Dreck um die Grenzen des Wachstums geschert haben und das auch bis heute tun." Es sei ein "Versagen gleichermaßen von Politik und Zivilgesellschaft, das die ungeheuerliche Anhäufung von Geld und Macht zugelassen hat." Und es ist "die gegenwärtige deutsche Regierung wie so ziemlich alle anderen Regierungen auch, die unfähig ist, auf Überlebensprobleme wie Klimawandel angemessen zu reagieren".

Als bürgerlicher Soziologe begreift Welzer nicht, daß die Übel des Mainstream-Kapitalismus nicht im Versagen dieser oder jener Regierung liegen, sondern in den Eigentums- und Machtverhältnissen der Gesellschaft. Er stellt deshalb auch nicht das kapitalistische Ausbeutungssystem in Frage, sondern träumt von einem "ökologisch und sozial aufgeklärten Kapitalismus", in dem es eine Wirtschaft mit Unternehmen gibt, "die dem Gemeinwohl verpflichtet sind". In seinen Ausführungen kommt zwar der Name Karl Marx, der die Wirkmechanismen des Kapitalismus aufgedeckt hat, des öfteren vor, verstanden hat er ihn offensichtlich aber nicht.

Welzer meint, Marx' Utopie von der kommunistischen Gesellschaft habe "den Menschen leider nicht viel Glück gebracht", und als bürgerlicher Theoretiker weiß er es ganz genau: "Sozialistische und kommunistische Utopien, Planwirtschaft unterschiedlichster Strickmuster und Masterpläne, darüber hat uns das vergangene Jahrhundert belehrt, taugen nichts."

Zum Zukunftsprojekt Welzers gehört auch der "alte Menschheitstraum vom ewigen Frieden". Er möchte, daß es in seinem gemäßigten Kapitalismus wieder "gerechter, friedlicher und freundlicher" zugeht, offenbart dabei aber die ganze Widersprüchlichkeit eines bürgerlichen Systembefürworters. Er fordert die "Ächtung des Krieges", einen "Frieden für alle" und eine radikale Absenkung der Rüstung, die "unfaßbar viel Geld für lebenswichtige Dinge" freisetzen würde.

Er sieht es aber als Verdienst des Kapitalismus an ("es war nicht alles schlecht am Kapitalismus"), "daß ein Land wie Deutschland seit mehr als 70 Jahren mit seinen Nachbarn in Frieden lebt" und Europa "zwei Drittel eines Jahrhunderts Frieden" hatte. Wie auch in den Mainstream-Medien üblich "vergißt" er die Beteiligung der BRD am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien und blendet ebenso die diversen Kriege der NATO mit deutscher Beteiligung in den letzten beiden Jahrzehnten einfach aus.

Wie bei der Lösung der Probleme des Klimawandels und der Naturzerstörung durch den unbegrenzten Wachstumswahn der kapitalistischen Wirtschaft geht Welzer offensichtlich auch bei der Lösung der Friedenssicherung in der Welt "einfach mal davon aus, daß man das meiste wiedergutmachen kann, was an Gedankenlosigkeit, Ignoranz, falscher Prioritätensetzung oder einfach Unwissenheit angerichtet wurde". Das Mittel dazu glaubt er durch "Schaffung internationaler Organisationen und Rechtsinstitutionen" zu erreichen, die ein "zwischenstaatliches Gewaltmonopol erhalten".

Eine Vorstellung zu einer Zeit, in der sich seit langem eine entgegengesetzte Entwicklung vollzieht, in der die Organisation der Vereinten Nationen von der kapitalistischen NATO-Führungsmacht immer mehr mißachtet und ausgeschaltet wird und internationale Abkommen und Verträge ignoriert oder aufgekündigt werden.

Der bürgerliche Zukunftsvisionär Welzer analysiert und kritisiert zutreffend die verwerflichen Erscheinungsformen des real existierenden Kapitalismus, der dabei ist, die Welt zu zerstören, findet jedoch keinen Zugang zu den Wurzeln des Übels, dem Privateigentum an Produktionsmitteln. Er erweist sich mit seinen Visionen als Illusionist und sein Zukunftsprojekt als Utopie.

Die Geschichte des Privateigentums an Produktionsmitteln ist die Geschichte der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, anderer Völker und Länder und der Natur, die immer wieder auch Armut und Elend, Naturzerstörung, Kriege und Kriegsverbrechen mit Millionen von Toten verursacht hat und das auch heute noch ungebremst und ungestraft fortsetzt. Die historische Erfahrung des 20. Jahrhunderts lehrt aber auch, daß es das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln möglich macht, den Zukunftsvisionen des Soziologen Welzer ein wesentliches Stück näher zu kommen.

Wer meint, "alles könnte anders sein" und das ernsthaft will, muß dafür streiten, daß nicht nur die zunehmende Macht der Megakonzerne des Hightech-Kapitalismus gebremst und gezähmt wird. Er muß auch dafür kämpfen, die Macht des Wirtschaftund Finanzkapitals zu liquidieren und eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus Wirklichkeit werden zu lassen. Für einen solchen Klassenkampf braucht man eine Theorie, eine Gesellschafts- und Zukunftskonzeption für einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts und eine machtvolle revolutionäre Partei für dessen Realisierung. Beides fehlt den Linken nicht nur in Deutschland.

Dr. Gerhard Ferchland
Ahrensfelde

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Frieden - unser vordringlichstes Bündnisziel

Nur im Frieden können Menschen und Völker sich einander zuwenden. Frieden ist heute nicht nur die Voraussetzung der Kultur, sondern die erste Bedingung der menschlichen Existenz. Wir werden für den Frieden eintreten mit unserer täglichen Arbeit und mit unserem öffentlichen Wort, wo immer und wann immer.

Für uns ist Frieden nicht einfach die Abwesenheit von Krieg. Wir befinden uns gegenwärtig in einer bestimmten Form von Kämpfen und Kriegen, und wir haben eine bestimmte Art Frieden. Vor uns steht die komplizierte Aufgabe, den Frieden sicherer zu machen, doch auf unsere Art. Die sicherste Abwesenheit von Krieg, auch des nuklearen, ist Anwesenheit des sicheren und sich entwickelnden Sozialismus. Hier liegt das Maß des Handelns, das einer kommunistischen Strategie folgt. Der Gegner bedroht konsequent den Frieden, um den Sozialismus zu treffen und zurückzudrängen. Wir fördern konsequent den Frieden, weil Sozialismus ohne Frieden nicht denkbar ist. Sozialismus ist eigentlich realisierter Frieden. Besonders in der heutigen Zeit, in der Friede ein universaler Ruf vieler Menschen geworden ist, müssen wir sowohl Bundesgenossen gewinnen als auch unseren Friedensbegriff formulieren, der ein Begriff des Klassenkampfes ist. In den Jahren des kalten Krieges sprach Truman davon, daß die Rüstung zwar auch den sowjetischen Panzern gelte, mehr aber den sowjetischen Kochtöpfen. Natürlich gehört es zur Daseinsweise des Imperialismus, nach wie vor, seine Ziele durch Aggression und Krieg durchzusetzen, wie gerade jetzt im Libanon. Aber Aggression ist nicht nur angreifen. Aggression ist es schon, anderen seine Rüstungspolitik aufzuzwingen, um sie "totzurüsten". Daß sich heute die "Reaganomics" vor allem gegen amerikanische Kochtöpfe richten und die raffinierteste Form von Ausbeutung sind, wird nur dadurch gemildert, daß diese Wirtschaftspolitik bereits gescheitert ist. Länder der meisten Rüstung haben auch die meisten Arbeitslosen. Aber schon der sowjetische Ökonom Varga warnte in den 30er Jahren: Gescheiterte Innenpolitik ist gefährliche Außenpolitik.

Anders als der Imperialismus brauchen wir eine Welt ohne Waffen nicht zu fürchten. Sie ist unser Ziel. Sie gehört zu den elementaren Wertvorstellungen des Kommunismus.

Angesichts einer Friedensbewegung von heutigem Ausmaß ist es wichtig, unseren Friedensbegriff immer deutlich zu halten, weil wir uns sonst im Gestrüpp der Taktik verfangen. Verbrüderungen sind nicht Bündnispolitik. Jedes Bündnis setzt Verschiedenartigkeit voraus und strebt eine konkrete Gemeinsamkeit in konkreter Situation an. Unser vordringlichstes Bündnisziel ist die Sicherung des Friedens, aber nicht anstelle von Sozialismus, sondern für ihn.

Unser Friede ist nicht nur das Gegenteil von Krieg, sondern letztlich seine Abschaffung. Je ferner dieses Ziel scheint, um so notwendiger seine Erwähnung.

Manfred Wekwerth
(1929 - 2014)

Auszug aus einem Referat im Plenum der Akademie der Künste der DDR am 7. Juli 1982

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BUCHTIPS

Bruno Mahlow: Im eigenen Namen
Marx und Lehren für die Gegenwart

Texte aus dem Jahren 2017/2018, durch die sich wie ein roter Faden das Verhältnis zu den Russen und zu Rußland zieht. Als Marxist hat Bruno Mahlow zu allen Erscheinungen eine Meinung. Das stellt er auch selbstbewußt im Titel heraus. Er operiert mit dem ihm vertrauten Analyse-Besteck, seziert Entwicklungen und Zustände. Aus verschiedenen Anlässen hat er seine Gedanken öffentlich gemacht. Hier faßt er die Texte einmal zusammen. Er hätte sie auch überschreiben können: Wie ein in politischen Auseinandersetzungen gereifter Kommunist die Welt sieht.
Verlag am Park, Berlin 2018, 124 S., 10


Jürgen Meier: Wider die Kulturzerstörer
Mit einem Vorwort von Konstantin Wecker

Kultur kommt vom Lateinischen "colere", das bedeutet pflegen. Die Natur, die der Mensch bearbeitet, wird kultiviert, wenn er sie pflegt. Der Mensch wird kultiviert, wenn seine Arbeit seine Fähigkeiten pflegt. Seine Fähigkeiten werden kultiviert, wenn Kunst, Wissenschaft und Philosophie sein Bewußtsein und Selbstbewußtsein pflegen. Das alles meint Kultur. Ein Blick auf die Gegenwart zeigt: Zerstörung von Kultur ist an der Tagesordnung. Dies beginnt mit der Umwertung des Kulturbegriffs selbst. Er wird aus seiner gesellschaftlich übergreifenden Bedeutung herausgenommen und auf Kunst, Religion oder auf Alltagsgewohnheiten reduziert. Auf diese Weise werden unterschiedliche Kulturkreise konstruiert, um die angeblich höhergegen die als minderwertig diskriminierten Religionen, Völker, Nationen in Stellung zu bringen. Es gibt aber nur die eine Menschheit, die sich letztlich lediglich als Gattung wird kultivieren können. Das Buch beleuchtet die Manipulationen, die mit der Beliebigkeit des Begriffs Kultur hantieren, um Marketing zu betreiben oder Kriege zu rechtfertigen.
PapyRossa-Verlag, Köln 2019, 232 S., 18 €


Bruno Flierl: Haus. Stadt. Mensch
Über Architektur und Gesellschaft. Gespräche

Profit als Maßstab oder eine menschenwürdige Stadt für alle? Bruno Flierl hat Häuser, Straßen, Plätze konzipiert. Der Pariser Platz vorm Brandenburger Tor in Berlin zum Beispiel sieht so aus, wie er aussieht, weil Flierl die Vorgaben machte und Hochhäuser verhinderte.

Der Berliner Senat erhob den Vorschlag zum Gesetz. Private Bauherren bauen, wie sie Geld haben, um daraus noch mehr Geld zu machen. "Betongold" heißt das. Daß Städte in erster Linie zum Leben da sind, daß Menschen sich dort wohl fühlen müssen, interessiert Investoren meist nicht. Bruno Flierl schon. Er kritisiert die Architektur, die Stadtplanung heute, weil sie oft nur profitorientiert ist. Nicht jene Architekten gewinnen Wettbewerbe, die originell und für Menschen bauen, sondern die, welche die billigsten Vorschläge machen und darum höchste Rendite versprechen.

Flierl ignoriert die Ökonomie keineswegs, sieht aber auch die soziale und gesellschaftliche Seite des Bauens. Mieten müssen bezahlbar, Wohnungen bewohnbar sein. Die Wohnungsnot kann nicht mit Containern bekämpft werden.

Der nunmehr 92jährige Bruno Flierl ist der Nestor unter den deutschen Architekturkritikern. Er hat Bücher über die Hochhäuser in aller Welt geschrieben und über die Geschichte der Karl-Marx-Allee in Berlin (wo er selbst anderthalb Zimmer bewohnt) und wie Städte aussehen sollen, in denen man gern und preiswert leben kann. In seinem Buch "Haus. Stadt. Mensch" sagt Flierl, was richtig und was falsch läuft beim Städtebau.
Das Neue Berlin, Berlin 2019, 288 S., 19,99 €

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Solidarität im Blauhemd - Kontakte durch KONTAKT

Schon mehrfach wurde im "RotFuchs" über die FDJ-Freundschaftsbrigaden berichtet. Als Chefredakteur von KONTAKT hatte ich die Möglichkeit, die "Botschafter im Blauhemd", wie sie gern genannt wurden, in verschiedenen afrikanischen und arabischen Ländern - darunter in Mali, Guinea, Moçambique, Algerien und in der VDR Jemen - zu besuchen und über ihre Tätigkeit zu berichten.

Unsere Blauhemden genossen nicht nur den Respekt als Lehrer und Ausbilder, sie waren auch gefragte und kompetente Gesprächspartner, wenn es um Fragen über die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR, über das Leben der Jugend und ihrer Organisation ging. Zustatten kam ihnen dabei unser Magazin: In nicht wenigen Ausbildungsstätten der FDJ-Brigaden hatten sich KONTAKT-Leserclubs gebildet. Unser Magazin, das in der Landessprache erschien, ging unter den Lehrlingen zunächst von Hand zu Hand, und gemeinsam mit den FDJ-Ausbildern fanden Zusammenkünfte statt. Auf ihnen wurden Fragen diskutiert, die sich aus einzelnen Beiträgen ergeben hatten. Da ging es um die Rolle der DDR-Jugend in Industrie und Landwirtschaft, um Bildung, Kunst und Kultur, um Mode und Freizeitgestaltung, und es ging um "kleine" und "große" Politik. Unsere Übersetzer und Fremdsprachen-Redakteure hatten sich mit zahllosen Leserbriefen zu beschäftigen und sie auch zu beantworten. So standen nicht nur unsere Ausbilder im Blauhemd, sondern auch wir in der Redaktion mit unseren Lesern in ständiger Korrespondenz.

Auch um den ehemaligen DDR-Sender Radio Berlin International hatten sich in vielen Ländern RBI-Hörerclubs gebildet. Auch die gehörten zum Abonnentenkreis für unser Magazin, und nicht selten waren die Absender von Leserbriefen aus aller Welt eben diese Hörer von Radio Berlin International.

Von einer Reportagereise nach Moçambique zu den beiden FDJ-Freundschaftsbrigaden in Moatize und Matundo brachte ich die Idee für ein besonderes Projekt mit nach Hause: In einem Gespräch hatte mich der damalige Generalsekretär der moçambiquanischen Jugendorganisation OJM, Zacarias Cupela, gebeten, an das Sekretariat des FDJ-Zentralrats die Bitte heranzutragen, für die Selbstdarstellung seiner Organisation eine Broschüre in der DDR vorzubereiten und zu drucken. Die OJM habe im Land keine eigenen Medien, es sei aber notwendig, die Organisation und ihre Ziele bekanntzumachen und über ihre Tätigkeit zu berichten. Der Bitte wurde stattgegeben und meine Redaktion mit der Herstellung dieser Broschüre beauftragt.

Ich machte das Projekt zu meinem eigenen Anliegen. Aus Maputo erhielten wir Informationen zur kurzen Geschichte des moçambiquanischen Jugendverbandes, zu seinen Aufgaben und Zielen und über seine gegenwärtige Tätigkeit. Außerdem erreichten uns biographische Daten über Samora Machel (den damaligen Vorsitzenden der FRELIMO) und über weitere Persönlichkeiten. Unsere Freunde in Maputo stellten uns auch Fotos zur Verfügung, und eigene Aufnahmen von Land und Leuten sowie von den beiden Brigaden hatte ich selbst beizusteuern. Konzeption und Struktur der Broschüre wurde über den FDJ-Vertreter in Maputo mit der OJM abgestimmt.

Im Ergebnis unserer Bemühungen entstand eine Publikation - wie gewünscht in portugiesischer Sprache. Sie fand ungeteilte Zustimmung der OJM, wurde im ganzen Land vertrieben und gehört als internationale Solidaritätsleistung zur Bilanz der Freien Deutschen Jugend.

Die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin waren ein Höhepunkt in der Geschichte unseres Jugendverbandes. Das Auslandsmagazin KONTAKT hatte in der Zeit der Vorbereitung dieses internationalen Jugendfestivals durch seine Berichterstattung über die DDR und ihren Jugendverband dazu beigetragen, die Weltjugend auf das Gastgeberland und seine Hauptstadt Berlin vorzubereiten.

Als entschieden war, das XI. Festival 1978 in Havanna durchzuführen, hatten wir folgende Idee: Da der kubanische Jugendverband UJC über kein eigenes Auslandsmagazin verfügte, wollten wir unseren kubanischen Freunden solidarische Hilfe leisten, indem wir in unserem Heft über das Festivalland Kuba und seine Jugend berichten. So beschloß es das Sekretariat des Zentralrats, und wir machten unsere Leser in über 80 Ländern in fünf Sprachausgaben mit Land und Leuten, mit Persönlichkeiten der kubanischen Geschichte wie Fidel Castro, Che Guevara, José Marti und Antonio Maceo und natürlich mit der Jugend und ihrem Jugendverband bekannt. Als kubanischer KONTAKT-Korrespondent wurde Pedro Dias Hernandez benannt. Er wurde gewissermaßen mein überseeischer Mitarbeiter.

Seine Beiträge fanden große Resonanz und ungeteiltes Interesse bei den Lesern, was die Flut der Leserbriefe zum Thema "Festivalbewegung" und "internationale Solidarität" an unsere Redaktion weiter erhöhte. Wir hatten das gute Gefühl und die Genugtuung, mit unseren publizistischen Möglichkeiten ein wenig zum Erfolg des XI. Weltjugendfestivals auf der Karibikinsel beigetragen zu haben.

Dr. Walter Michel
KONTAKT-Chefredakteur von 1973 bis 1983

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Marietta Schaginjans zweite Pilgerfahrt

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die große Freiheit ist es nicht geworden

Der französische Schriftsteller Vladimir Pozner schrieb zum Verhör Brechts von 1947 durch den US-Kongreßausschuß "für unamerikanische Umtriebe", man könne meinen, "ein Zoologe sei Gefangener von Affen".

Umgangs mit der DDR läßt sich sagen: Fachleute haben immer noch keine Chance. Und die Aussichten stehen gut, daß das so bleibt. Halluzinationen wie die von "Stasi" und "Unrechtsregime" sind heute Drehachsen von Filmproduktionen (CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Ko-Sponsorin vom "Gundermann" des Regisseurs Andreas Dresen, nominierte "ihren" Film gleich zehnmal für den Deutschen Filmpreis "Lola"), und das Fernsehen entkommunisiert Brecht zum gefühlt 50. Mal. In Zeiten von Aufrüstung, Kriegsvorbereitung und Neufaschisten ist der Bedarf an Antikommunismus besonders groß, vor allem an dem von links bis liberal.

Ein Buch mit dem Titel "Die große Freiheit ist es nicht geworden. Was sich für die Ostdeutschen seit der Wende verschlechtert hat", hat da wenig Erfolgsaussichten. Verfasser ist Matthias Krauß, freier Journalist in Potsdam und jW-Autor. Leser seiner Texte wissen, daß sie es bei ihm nicht mit polternder oder sentimentaler Rechthaberei, sondern mit trockenem Witz, leiser Ironie und genauer Kenntnis Ostdeutschlands zu tun haben. Ein preußischer Lakoniker. Das schließt Engagement ein, angefangen bei der Wahl des Titels, der einem Gedicht Erich Kästners von 1951 auf die BRD entnommen ist. Krauß stellt seinem Text einen Auszug voran und kommentiert: "Diese Zeilen sind inzwischen auch Ostdeutschland wie auf den Leib geschrieben." In der "Süddeutschen Zeitung" stand zu so etwas: "Matthias Krauß nörgelt über den Stand der deutschen Einheit" - was Unfug ist, aber als Primatenurteil gnädig. Krauß (geboren 1960) schreibt im ersten der 25 Abschnitte seines Buches zur Klärung, er kämpfe seit 30 Jahren "um den postumen Ruf der DDR", ohne "dunkle Seiten zu bestreiten und bedenkliche oder fragwürdige Dinge zu verharmlosen". Es gehe ihm "allein darum, dem einseitigen Mainstream etwas entgegenzusetzen". Vergebliche Mühe? Nun, es gibt Gundermann jenseits von Dresen, Brecht jenseits der ARD und hartnäckige Tatsachen jenseits der, wie Krauß sie nennt, "tiefgestaffelten Aufarbeitungsindustrie". Beidem widmet er sich.

Krauß beginnt mit der Wiedereinführung von Krieg und schreibt, der DDR-Bürger habe in einem Land gelebt, "das Frieden hielt und dessen Politik Friedenspolitik war". Er sei jetzt "Bürger eines deutschen Staates, der Kriege führt". Und weiter: "Der Fall der Berliner Mauer markierte das Ende der längsten Friedensphase, die Europa in seiner Geschichte erlebt hatte." Das Bauwerk sei "steingewordenes Symbol für den europäischen Frieden" gewesen. Krauß durchforstet und kommentiert auf diese Weise viele Politikfelder, seine Befunde sind nicht schön: In der DDR herrschte soziale Durchmischung - heute dominieren Spaltung und Entsolidarisierung, vom Bevölkerungsschwund durch Abwanderung (er zählt 2,3 Millionen Weggezogene, eine neuere Studie 5,2 Millionen) ganz zu schweigen. Die "Nischengesellschaft", als welche die DDR in den "deutschen Heldensagen" auftauche, begann für Ostdeutsche 1990. Die These, die SED habe "das Bürgertum" beseitigt und die Bevölkerung "proletarisiert", ist ein albernes Märchen: Vor 1990 Bildungs- und Aufstiegschancen für fast alle, danach Abwicklung, Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne für fast alle.

Spürbar grimmig wird der Autor beim Kapitel über die aus dem Westen importierte, durch Geldgier und Privilegiengeilheit aufgefallene Beamtenschaft. Deren Pensionen liegen im Durchschnitt viermal so hoch wie ostdeutsche Renten. Das sind Welten. Er schildert weitere "Erfolge" auf dem Land, in der Wohnungs-, Finanz- und Bildungspolitik, in der Justiz, die Auschwitz mit dem DDR-Gefängnis Bautzen gleichsetzte, und schreibt zur Situation ostdeutscher Frauen: 1990 hatten mehr als 90 Prozent (!) der DDR-Frauen über 25 Jahren einen Berufs- oder akademischen Abschluß gegenüber 35 Prozent in der BRD - das "wirkliche Erbe von DDR-Bildungsministerin Margot Honecker".

Den Abschnitt zu "Verfolgung als Daseinsweise" überschreibt Krauß mit "Hexe, Jude, Stasi-IM". Sein Argument: Es sei "nicht illegitim, bestürzende Parallelen herauszuarbeiten und gleichzeitig die völlige Verschiedenheit in ihren Auswirkungen herauszustellen" - keine Gleichsetzung. Er nennt neun Gemeinsamkeiten, darunter Verfolgung ohne Straftat, Berufung auf Moral, staatliche Sondergesetze, fundamentalistischen Reinheitsfimmel und die disziplinierende Warnung an alle. Deutschland sei mit der Jagd auf IMs lange vor Donald Trump "im 'postfaktischen Zeitalter' angekommen".

Krauß hat eine exemplarische Studie über die "Vorkriegszeit", deren Beginn er richtig auf 1990 datiert, geschrieben. Das Verhör Brechts in Washington 1947 fand - zwei Jahre nach Hiroshima und Nagasaki - unter der Drohung statt, das US-Atombombenmonopol gegen die Sowjetunion auszunutzen. Das Wissen darum machte Brecht zum Experten. Krauß ist auch einer.

Arnold Schölzel

Matthias Krauß: Die große Freiheit ist es nicht geworden. Was sich für die Ostdeutschen seit der Wende verschlechtert hat.
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2019, 256 S., 14,99 €

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Thesen zu Stand und Gehalt der DDR-"Aufarbeitung"

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Stimmen aus aller Welt über die DDR

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen veröffentlichen wir hier einige dieser Äußerungen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt (und für uns) war.

Jörgen Larsen
Drucker, Mitglied der Hauptleitung der Landesorganisation der Lehrlinge und Jungarbeiter, Dänemark

Was ein Däne bei uns in Dänemark über die DDR liest, hört oder sieht, ist sehr wenig. Man muß wissen, daß 95 Prozent der Massenmedien in den Händen der Monopolbourgeoisie vereinigt sind. Durch sie wird der Bevölkerung ein unwahres, ein verzerrtes Bild vom Aufbau des Sozialismus vermittelt. So kommt es, daß Leute, die nie ein sozialistisches Land besucht haben, völlig irreale und unsinnige Vorstellungen vom Sozialismus überhaupt haben.

Ich hatte die Möglichkeit, den realen Sozialismus in der DDR mit eigenen Augen zu sehen und zu erleben. Dabei habe ich ein Land entdeckt, das ganz anders ist, als es von der bürgerlichen Presse immer dargestellt wird. Für mich war die Tatsache, daß es hier keine Arbeitslosigkeit gibt, eine der bemerkenswertesten Feststellungen, weil ich das Recht auf Arbeit als eines der grundlegenden Menschenrechte betrachte.

Von den umfangreichen Rechten der Gewerkschaften und der Arbeiter konnte ich mich bei mehreren Betriebsbesuchen überzeugen. Es ist wahr, ohne die Gewerkschaften dreht sich in der DDR kein Rad. In sozialer Sicherheit und Geborgenheit bauen die Bürger der DDR eine funktionierende sozialistische Gesellschaft auf. Das zeigt mir, daß der Sozialismus keine Utopie ist.


Luc Joseph Okio
Leiter des Studienbüros des Kongolesischen Gewerkschaftsbundes

Eine Studienreise gibt zweifellos Gelegenheit, sich zu informieren und zu lernen, und ich kann sagen, daß ich in den zehn Tagen, die ich in der DDR verbrachte, im Kontakt mit der Realität dieses Landes viel gelernt habe. Ich habe festgestellt, daß die Lebensfreude dieses Volkes und der Jugend dieses Landes ohne weiteres verständlich ist. Hier gibt es gesicherte Existenzbedingungen für die Jugend, die Erwachsenen und auch für die alten Menschen; jeder kann sich ständig weiterbilden und wirksam zur Entwicklung des Landes beitragen.

Mich beeindruckte die Bereitschaft der Verantwortlichen verschiedener Ebenen, der Arbeiter und anderer Leute, mich über die Entwicklungsetappen ihres Landes zu informieren, und sie taten das mit einer Offenheit, die mich geradezu überraschte. Sie sprachen auch von den aufgetretenen Schwierigkeiten und davon, wie sie sie gemeistert haben. Ihre Erfahrungen können für uns von echtem Nutzen sein. Ich wünsche mir, daß die DDR ihre Erfahrung beim Aufbau des Sozialismus mit vielen anderen Ländern teilt, insbesondere mit den jungen Nationen, die sich wie mein Land für einen nichtkapitalistischen Entwicklungsweg entschieden haben.



Santiago Concha
Chilenischer Arbeiter

Nachdem ich wegen des faschistischen Putsches Chile verlassen mußte, erlebte ich hier in der sozialistischen DDR die Solidarität eines ganzen Volkes. Meine Familie hat warmherzige Aufnahme gefunden und liebevolle Betreuung erfahren, uns fehlte es an nichts. So konnten jene Tage des Schreckens, die die Faschisten in unser Leben gebracht hatten, ausgelöscht werden. Nach dem Terror in Chile fanden wir hier wieder sicheren und ruhigen Schlaf. Schließlich das Wichtigste: Wir bekamen Arbeit.

Die erste Zeit lebten wir in Frankfurt (Oder), und ich war in einer Möbelfabrik tätig. Die Werkleitung stellte mir einen Ingenieur zur Seite, der mich fachlich anleitete. Seit zwei Jahren bin ich mit meiner Familie in Berlin, arbeite in der Produktion des Möbelkombinates. Es wurde für mich zu einer wertvollen Erfahrung, an der Planerfüllung in einem sozialistischen Betrieb teilzuhaben. Ich fühle mich bei meiner Arbeit glücklich, dort wächst mir neue Kraft zu. Das Exil in der DDR, die feste Verbundenheit ihrer Bürger mit unserem Kampf gegen das Pinochet-Regime ist uns eine wirksame, umfassende Unterstützung.


Jean Damu
Journalist der "People's World", San Francisco, USA

In der Nervosität der Presseberichterstattung von den Olympischen Spielen 1976 in Montreal erhielten individuelle Siege und Niederlagen große Aufmerksamkeit; viele außerordentliche nationale sportliche Erfolge gingen dagegen in der Aufregung unter. Zum Beispiel wäre es für ein Land oder einen Staat wie Ohio höchst unwahrscheinlich, wenn er mit 90 olympischen Medaillen aus Montreal zurückgekehrt wäre. Ohio hat natürlich nicht als eine separate Nation an der Olympiade teilgenommen, aber die Deutsche Demokratische Republik, ein in Größe und Bevölkerungszahl mit Ohio vergleichbares Land, tat es. Sie nahm als ein eigenständiger Staat teil und gewann 90 olympische Medaillen. Um es genau zu sagen: 40 goldene, 25 silberne und 25 bronzene Medaillen - die zweithöchste Medaillenzahl außer der Sowjetunion, die irgendein Land gewonnen hat.

Das klingt unglaublich, ist aber ein Zeichen dafür, welche wichtige Rolle der Sport und die olympische Bewegung in der sozialistischen Gesellschaft spielen.

An der Olympiade in Montreal nahmen elf sozialistische Länder teil und gewannen 121 der 198 Goldmedaillen. Die Sowjetunion, die der olympischen Bewegung vor nur 24 Jahren in Helsinki beitrat, führte erneut bei der Anzahl aller gewonnenen Medaillen.

Die DDR ist ein Land mit einer technisch fortgeschrittenen Industrie, wo das Volk sich eines hohen Lebensstandards erfreut. Die phantastischen Triumphe des Landes bei der Olympiade in Montreal sind das Ergebnis der Kinder- und Jugendspartakiaden, die vor zehn Jahren auf landesweiter Ebene begannen. Seit dieser Zeit haben zehn Millionen junge Bürger daran teilgenommen, und nahezu eine ganze Generation von Sportlern mit Weltrekordergebnissen ist entstanden.

In der DDR ist der Sport kein Privileg einzelner, sondern wird als ein Recht für das ganze Volk betrachtet. Die sozialistische Verfassung der DDR garantiert dieses Recht, und Millionen Menschen aller Altersgruppen sind ermutigt, sich geistig und körperlich soweit wie möglich zu entwickeln.



Antonio Samaranch (1920-2010)
Langjähriger Sportfunktionär und IOC-Präsident

Vor allem der hohe Stand der sportlichen Ausbildung, der so plastisch auf dem Turn- und Sportfest zum Ausdruck kam, hat mich fasziniert. Wer dieses unvergeßliche Fest miterlebt hat, der begreift gut, woher das Ansehen und die weltweite Wertschätzung des DDR-Sports rühren. Und ich bin sicher, daß auf dieser Grundlage auch künftig gute Ergebnisse bei der Entwicklung des Sports in seiner umfassenden Bedeutung als Faktor der Gesundheit, der Erziehung und der Persönlichkeitsbildung erzielt werden und zugleich der olympischen Bewegung genützt wird. Die DDR hat mit diesem Leipziger Fest dem Anliegen Olympias einen prächtigen Dienst erwiesen.

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Begegnungen aus neun Jahrzehnten

Als wir uns das erste Mal begegnet sind, gehörte ich im Schriftstellerverband der DDR zum Nachwuchs, unter: könnte begabt sein, aber das war nicht sicher. Walter Kaufmann war ein Schriftsteller, der sich schon Ansehen und Respekt verdient hatte. Außerdem ansprechbar oder berührbar, aber das wußte man einen Moment vorher nie. Es war immer seine Entscheidung. Es ist fünfzig Jahre her, daß ich dachte, was für ein anziehender männlicher Kollege, ausgestattet mit einem Charme, den man nicht erlernen kann, denn er braucht eine Art von ständigem Zufluß, den keiner beim Ausruhen im Sessel erwirbt.

Er hat mich beeindruckt, damals. Heute könnte ich ihn um ein Gespräch bitten, aber da vertraue ich dem Zufall.

Er ist Jahrgang 1924, aber kein alter Mann, sondern ein Kollege mitten in der Arbeit. Eben hat er ein neues, wiederum autobiographisches Buch veröffentlicht: "Die meine Wege kreuzten: Begegnungen aus neun Jahrzehnten". Beim Lesen erging es mir so, wie Walter Kaufmann das Schreiben daran schildert: Eine Leichtigkeit sei da entstanden, eine Leichtigkeit, die man sich immer wünscht, aber nie erzwingen kann, nicht beim Schreiben, und beim Lesen auch nicht.

Bis zur Seite 25 kann ich gut damit leben, daß er ein kleiner Sohn ist und fast so leben darf, wie man es sich für kleine Jungen wünscht. Aber dann trifft die Kralle mein mütterliches Herz und läßt es nicht mehr los. Sein Leben ist bedroht, und ehe er endlich in fragwürdige Sicherheit gelangt, sind die jüdischen Eltern schon zum Sterben verurteilt, und es gibt niemanden, der das Kind schützen könnte und lieben würde. Später sagt jemand, daß er "nun auch nichts mehr für die Eltern tun könne". Sie sterben schließlich in Auschwitz.

Walter Kaufmann gehört zu denen, die unsere Vorbilder waren: Nur sie hatten solche Erfahrungen, gereift in der Nähe von Feuern, denen wir nie ausgesetzt waren. Wenn man auch nach dem Krieg, sofern man es nur wollte, über die Fakten fast alles erfahren konnte. Die Entscheidung, ob man sich dem aussetzt, was dann das eigene Denken und Wollen ein Leben lang beeinflußte, die hat sich mir nie gestellt: Es war so, und hat sich Wege der Entwicklung erzwungen.

An seinem neuen Buch gefällt mir besonders: Die Menschen, die da im Dunkel der Nacht eintreten und dafür sorgen, daß er sich so genau an sie erinnert, die zeichnen den Lebensweg von Kaufmann auf ihre Weise. Sie alle sind Menschen, die seinen Weg begleitet haben, und sie lassen uns besser wissen, wie es war: Mit einem der letzten Kindertransporte gelangte er 1939 nach England, wo ihn auch keiner wollte, wurde nach Heimaufenthalt auf ein Schiff geworfen und kam so 1940 nach Australien.

Es folgte schwere Arbeit in vielen Berufen, von denen er keinen erlernen konnte, und aus dem sich doch ein Leben ergab, das es als vorgeschriebenen Weg so nicht gibt. Und wenn jemand, so erzählt uns der Autor, unversehens viel später aufgetaucht ist und ebenso unerklärlich für immer wieder verschwindet, dann läßt Kaufmann das so stehen, und das gefällt mir. Es ließen sich ja viele Gründe erfinden, viele Auslegungen wären denkbar, aber so ist das Leben nicht. Und das weiß Kaufmann.

Wie selbstverständlich sind wir doch bei Konferenzen, Solidaritätsbasaren und zufälligen Treffen damit umgegangen, daß sie uns in Büchern in ihre vernarbte Seele blicken ließen und sogar teilhaben an dem, was sie selber gerettet hat: einer Kraft, die sich bildete, weil sie sich selber bildeten. So haben sie versucht zu verwinden, was ihnen angetan worden war und als Weltwissen und Überlebenserfahrung bleiben muß. Walter Kaufmann konnte nach Jahrzehnten in seine deutsche Heimat zurückkehren: als Soldat, und damit als einer derjenigen, die Nazideutschland besiegt haben.

Wir hatten sie sehr lange neben uns, diese Frauen und Männer, die durch Überforderungen gegangen waren, von denen wir keine oder immer zuwenig Ahnung hatten. Manchmal waren wir es auch leid, daß sie unsere Vorbilder blieben. Wir konnten da nur wenig aufholen. Aber wir, ihre sperrigen Lehrlinge, haben ihnen nicht nur zugehört und abgeguckt, sondern gelernt, ihnen unbefangen dankbar zu sein. Für mich gilt das. Menschen mit seiner Erfahrung habe ich am ehesten vertraut.

Und ich durfte ihnen noch begegnen, vielen von denen, die überlebt hatten.

Walter Kaufmann verdanke ich in manchen Zusammenhängen eine Festigung meiner Ansichten und eine Bestärkung der sperrigen Erkenntnis, wie ernst dieses Leben ist und wie wichtig, eine eigene Haltung zu finden. Manchmal frage ich mich, wie so ein welterfahrener Mann mit der jetzigen Situation in Deutschland zurechtkommt; woher er die Kraft nimmt, trotz allem doch wieder und noch einmal einen Anfangssatz zu bilden, und von ihm aus zu erzählen, was er so noch nicht gesagt hat. Da geht es um mehr als um eigenes Befinden, mehr als eine Urerfahrung, die absperrt und jeden weiteren Schritt verbieten könnte. Sich so zu verhalten, wäre wahrscheinlich das Ende für sein Erzählen gewesen.

Respekt, lieber Kollege, noch immer anziehender Mann, noch immer jemand, von dem ich gern etwas übernehme, was ich so noch nicht gesehen habe. Ich freue mich auf dein nächstes Buch.

Gisela Steineckert

Walter Kaufmann: Die meine Wege kreuzten. Begegnungen aus neun Jahrzehnten.
Quintus-Verlag, Berlin 2018, 168 S., 18 Euro

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LESERBRIEFE

Als Sahra Wagenknecht ihren Rückzug aus der Führungsspitze von Aufstehen bekanntgab, da verkündeten Spitzenpolitiker aller Parteien im Grundtenor der Mainstream-Medien "Aufstehen ist tot!". Die Reaktion in der Potsdamer Regionalgruppe: "Das hätten sie wohl gern. Wir machen weiter. Aufstehen - Jetzt erst recht!" Den Rückzug von Sahra haben auch wir mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Die Führungsspitze war offensichtlich mit dem Engagement vieler, die sich schnell basisdemokratisch organisieren und öffentlichkeitswirksam aktiv werden wollen, überfordert. Im Nu hatten sich ca. 200 Regionalgruppen gebildet. Der Spitze gelang es nicht, eine effektive und transparente Kommunikation mit der Basis sicherzustellen. Das hat den Aufbau von Aufstehen behindert.
Unser Bündnis versteht sich gemäß dem Gründungsaufruf als Teil der bundesweiten überparteilichen und außerparlamentarischen Sammlungsbewegung. Seit Bestehen der Gruppe (September 2018) agieren wir im Verbund mit anderen Regionalgruppen basisdemokratisch und das mit Erfolg. Am 17. November 2018 sind wir mit unserer Demonstration unter dem Motto "Würde statt Waffen" öffentlichkeitswirksam in der Landeshauptstadt Potsdam gestartet. In den ersten Monaten mußten wir viel Zeit und Kraft in den Organisationsaufbau stecken. Nun haben wir sieben aktive Arbeitsgruppen und gut funktionierende Kommunikationsnetze. Wir vernetzen uns offline und über Online-Foren. Wir gehen auf die in Potsdam handelnden demokratischen Kräfte - Parteien, Gewerkschaften, Vereine, Bürgerinitiativen und Aktionsbündnisse - zu und beteiligen uns auch an deren Veranstaltungen. So waren wir aktiv an der Vorbereitung und Durchführung des diesjährigen 18. Potsdamer Ostermarsches sowie an anderen Demonstrationen und Veranstaltungen, z. B. zum 1. Mai, beteiligt.
Interessierte können sich über potsdam-aufstehen.de und unser Forum unter aufstehenbrandenburg.org informieren.

Aufstehen, Regionalgruppe Potsdam


Die herrschende Macht, das große Kapital, kann es sich noch leisten, dem gemeinen Volk einen Spiegel vorzuhalten, in dem ein Blick in seine Abgründe gezeigt wird.
Beispielhaft sei auf einen Beitrag in der "jungen Welt" "Reichtum verpflichtet" am 10. April hingewiesen. Es heißt dort: "Bei aller Schönrederei der sozialen Lage in Deutschland, die uns von interessierter Seite immer wieder begegnet, sind sich so gut wie alle Sozialverbände, Fachverbände und schließlich der DGB völlig einig: Wir haben ein unerträgliches Maß an Armut in diesem reichen Deutschland. Die Armut ist auf traurigem Rekordhoch. Mehr als 13 Millionen Menschen müssen nach dem jüngsten Armutsbericht des Paritätischen zu den Armen gezählt werden." Natürlich stimmen alle diese Fakten. Auch wäre es möglich, die Armut "in diesem Land mit dem fünftgrößten Bruttoinlandsprodukt auf der Erde" abzubauen, denn das ist kein ökonomisches, sondern ein politisches Problem.
Aber der Autor irrt, wenn er meint, die Armut sei vom Himmel gefallen. Richtig ist, sie hat sich im Laufe der Entwicklung aus den kapitalistischen Eigentumsprinzipien ergeben. Diese lauten: privater Besitz der Produktionsmittel, gesellschaftliche Produktion, private Aneignung der Ergebnisse.
Natürlich ist es ohne eine revolutionäre gesellschaftliche Situation nicht erfolgversprechend, das Beseitigen der kapitalistischen Ausbeuterordnung auf die Tagesordnung zu setzen. Aber wichtig ist es, mit den Menschen über den Zusammenhang ihres ärmlichen Lebens mit dem Profitstreben eines winzig kleinen Teiles der Erdbewohner zu sprechen. Die Gelbwesten in Frankreich erklärten in einem ihrer Forderungskataloge, daß es für sie unerträglich ist, daß 26 Milliardäre auf der Erde sich den gesellschaftlichen Reichtum aneignen können, den die Hälfte aller Bürger, also etwa 3,7 Milliarden, schaffen, während sie und ihre Kinder hungern müssen.

Günther Freudenberg, Bernburg


Zur Leserbriefanfrage von Helmut Faure, RF 255, S. 35

Es ist reiner Zufall, daß ich gerade das Buch von John Reed "10 Tage, die die Welt erschütterten" und von Harald Wessel über den "Roten Reporter aus dem wilden Westen" in der Hand habe. Auf Seite 230 (Dietz-Verlag 1979) beschreibt Reed, wie Soldaten sich beim Kommandanten beklagen, daß die Konterrevolutionäre genauso verpflegt werden wie die Wachen. "Wir sind Revolutionäre und keine Banditen", antwortet der Kommandant den Soldaten.
"Mach's gut, ich ziehe mich ins Privatleben zurück", rief mir in diesen Tagen ein Gesprächspartner nach, derweil sich die institutionalisierte Macht des Privateigentums an Produktionsmitteln bedient, um politisches Bewußtsein gezielt beeinflussen zu können. Das Kapital nimmt sich die Freiheit zur Aneignung gesellschaftlicher Lebensgrundlagen Luft, Wasser, Boden einschließlich seiner "Schätze". Dazu kommt etwa der Mißbrauch der Meere als Abfallgrube. UNO und "Hilfsorganisationen" sammeln Zahlen und veröffentlichen Statistiken über den Hunger in der Welt. Ziehen sich Kämpfer für eine neue Welt ins Privatleben zurück?
Ich besuche seit Jahren regelmäßig Moskau und den Gedenkstein für John Reed an der Kremlmauer. Ewiger Ruhm den Helden der Revolution, die im Kampf um die Sowjetmacht gefallen sind! Wofür will die neue Generation kämpfen?

Manfred Wozniak, Erfurt


Die Freitagsdemos von Schülerinnen und Schülern zeigen, daß die Jugend bereit ist, sich zu engagieren, denn sie spüren Wut gegen jene, die ihre Zukunft zerstören, weil diese einen Götzen anbeten. Sie sind es leid, herumgeschubst zu werden und gesagt zu bekommen, daß es keine Alternative gäbe.
Können sie den Kampf um ihre Zukunft gewinnen? Ich möchte ihnen sagen: Bleibt standhaft in euren Utopien, denn sie sind die Realität von morgen! Ihr müßt mutig sein, damit aus euch nicht die Teilnahmslosen und Angepaßten eines ungewissen Morgen werden.

Benjamin Lapp, Bischoffen


In den letzten Monaten gingen Tausende in der ganzen BRD auf die Straße, um gegen die steigenden Mietpreise zu demonstrieren. Denke ich an die unverschämten Wuchermieten, fällt mir Brechts Verszeile ein: "... und der Haifisch, der hat Zähne ..." Es ist Zeit, daß die Miethaie Widerstand zu spüren bekommen, z. B. durch entschädigungslose Enteignung.

Günter Röska, Leipzig


Dreißig Jahre "Mauerfall", 30 Jahre "Beitritt" der DDR zur Bundesrepublik - zwei Daten in diesem und im nächsten Jahr, die einiges von den bürgerlichen Medien erwarten lassen. Die vage Hoffnung auf eine objektive Aufarbeitung der Geschichte ist bisher enttäuscht worden. Woran das liegt, ist deutlich genug. Man will es nicht. So ist bisher viel zu wenig untersucht worden, wie es zur Gründung der DDR kam. Es reichte der offiziellen Geschichtsschreibung und den Medien, über ihre Schattenseiten und Unzulänglichkeiten zu reden und sie von Anfang bis Ende zu verteufeln, ja sie oft sogar mit der Nazidiktatur zu vergleichen.
Und zweitens fehlt fast völlig eine sachliche Beurteilung der vergangenen 30 Jahre mit der Deindustriealisierung eines Landes, der Enteignung und Enttäuschung ihrer Bürger. Erst das Aufkommen nationalistischer Tendenzen, besonders in diesem Teil Deutschlands, führt zu einigen bisher halbherzigen Versuchen, diese Entwicklung näher zu untersuchen. Sicher sind die bevorstehenden Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern der eigentliche Auslöser dieser Aktivitäten.
Wie kam es zur Gründung der DDR? Nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges gehörte es zum geostrategischen Konzept der beiden alliierten Hauptmächte, den USA und der Sowjetunion, sich die im Ergebnis des Krieges geschaffenen Einflußzonen zu sichern. Die Sowjetunion, die die größten Opfer und Zerstörungen erlitten hatte, wollte Sicherheit, um ihre durch den Krieg unterbrochene gesellschaftliche Entwicklung fortzusetzen. Dazu waren Frieden und Verbündete notwendig oder zumindest neutrale Partner. Mit der Neutralisierung Österreichs gelang es; in Deutschland scheiterten die bis in die 50er Jahre gehenden Versuche, es als Einheit zu neutralisieren. In Westeuropa dominierten die USA mit Marshallplan und NATO-Gründung die Entwicklung. Sie nutzten die im Krieg errungene Stärke, um Positionen zu beziehen, die letztlich zum "Eisernen Vorhang" und zum kalten Krieg führten. Medial ist es dem Westen gelungen, die damit verbundene Spaltung Europas und Deutschlands dem Osten anzulasten. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde die DDR gegründet, nach dem Beitritt der BRD zur NATO wurde die DDR Mitglied des Warschauer Vertrages. Beide Staaten waren sowohl ökonomisch und erst recht politisch total von der Sowjetunion bzw. den USA abhängig. In gewissem Sinne waren sie Verhandlungsmasse zwischen den Großmächten. Die Bundesrepublik befindet sich weitestgehend noch heute in dieser Rolle, wie der aktuelle US-Botschafter in Berlin immer wieder beweist.
Nun zu den letzten 30 Jahren. Sie werden als Befreiung deklariert. Die Mauer fiel, die Menschen konnten reisen. Das Konsumangebot war kaum faßbar, die Medien weltoffen, Freiheit, wohin man blickte. Dieser Konsumund Freiheitsrausch überdeckte lange Zeit die Probleme, die neu auf die Menschen zukamen. Mit der Treuhand begann die Deindustrialisierung, mit der Restitution, der Rückgabe vor Entschädigung, begann die Enteignung, mit der Auflösung der Wissenschafts- und Kultureinrichtungen begann die Entsorgung der Eliten, mit der Einführung neuer Gesetze und Verhaltensweisen begann ein totaler Umbau der Gesellschaft, des Alltags, der ganz persönlichen Existenzgrundlagen. Für viele wurde die DDR als wertloses Leben deklariert. Die Meinungshoheit über diese Zeit lag bei den neuen Machthabern und denen, die diesen untergegangenen Staat von Beginn an abgelehnt hatten oder von ihm enttäuscht worden waren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil, nationalistische Kräfte nutzen das beginnende Erwachen über die Ohnmacht des einzelnen, über seine aktuelle Angst vor Alter, Arbeitslosigkeit und Wohnungsverlust, um eigene Interessen im politischen Kräftespiel zu verwirklichen.

Franz Tallowitz, Saterland


Was bedeutet den heute in Deutschland Herrschenden ihr unverkennbares Streben nach Weltmacht? Offensichtlich ist, daß das kürzlich abgehaltene Treffen der Bundeskanzlerin mit führenden Vertretern der deutschen Industrie genau diesem Ziel diente. Man braucht eine EU, die deutsch ist. Ist dies für Großbritannien ein Grund, sich mit dem Brexit von der deutschen Vorherrschaft in der EU befreien zu wollen?

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Wie ist das noch zu verstehen? Medial TV und große Bühne für den Seenotretter C-P. Reisch und Auszeichnung mit einem Preis für Frieden und Menschenrechte. Dank seiner Aktion wurden zahlreiche Menschen vor dem Tod im Mittelmeer gerettet. Zur gleichen Zeit und Stunde ertrinken noch mehr und weiter Flüchtlinge im Mittelmeer infolge der Abschottungspolitik Deutschlands und dieser EU. Wie paßt das zusammen? Warum muß das so sein? Fehlt es an den Mitteln oder dem politischen Willen? Fehlt es an Einsatz für oft gelobte Werte und Menschenrechte, oder beläßt man es bei verbalen Bekenntnissen, sonnt sich in privaten Initiativen und verschweigt ansonsten das tägliche Sterben?
Libyen, wie wir wissen, spielt für die EU eine unsägliche Rolle bei der Flüchtlingsabwehr. Wer skandalisiert diese Zustände, wie wir zu Venezuela oder anderswo gern informiert werden? Wieder Krieg in Libyen sehen und hören wir. Was heißt das für Menschen auf der Flucht, und wer vor allem stellt die Frage, wer und was Libyen zu dem gemacht hat, was es heute ist. Wie so oft eben die Stunde Null. Es gab kein Vorher, keine Verursacher, keine Schuldigen und keine Kriegstreiber, Interessen, die heute überall auf der Welt militärisch gelöst werden sollen. Heuchelei, Unmenschlichkeit, Menschenverachtung in einer Welt, die sich in höchsten Tönen lobt und preist. Wofür? Stinknormaler Kapitalismus, Imperialismus, der mehr denn je mordet und tötet. Mehr als der Wahnsinn, der das Ende signalisiert, aber dem das Ende auch bereitet werden muß.

Roland Winkler, Aue


Wer den Namen des Ortes Garzau bei Strausberg/Rehfelde hört, kann wohl zunächst nur wenig damit anfangen. Spuren jüdischer Zwangsarbeit während der Nazizeit waren nicht zu finden, und auch die heutige Gemeindevertretung weiß wohl kaum etwas darüber. Die Philosophin Dr. Erika Schwarz und ihr Mann, der ehemalige DDR-Diplomat Gerhard Schwarz, aus Rehfelde haben durch ihre umfangreichen Forschungen im In- und Ausland versucht, eine Gedächtnis- und Geschichtslücke zu schließen, die von der "amtlichen" Geschichtsforschung weitgehend unbeachtet geblieben war. Beide stellten vor einiger Zeit ihr Buch "Das Rittergut Garzau und jüdische Zwangsarbeit" im Zusammenwirken mit der "RotFuchs"-Regionalgruppe Frankfurt/Oder in der hiesigen Jüdischen Gemeinde vor.
Die Mißachtung der Menschenwürde, die Aberkennung jeglicher Bürger- und Menschenrechte, zunehmende Schikanen bis hin zu brutalen Gewaltakten bestimmten insbesondere nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 das Leben der jüdischen Bevölkerung in Deutschland. Wer nicht zu denen gehörte, die noch rechtzeitig ins Ausland emigrieren konnten, oder wer noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben hatte und meinte, der faschistische Spuk müsse ja bald vorbei sein, sah sich getäuscht und zunehmend seiner materiellen und ideellen Existenzgrundlagen beraubt. Neben unzähligen Berufs- und Gewerbeverboten wurde es Juden u. a. untersagt, Kulturveranstaltungen zu besuchen. Kinder wurden aus Schulen, Studenten und Dozenten aus Hochschulen und Universitäten verbannt. Erwerblose und verarmte Juden wurden durch extra für sie eingerichtete Arbeitsämter erfaßt, vermittelt und rekrutiert, um dann zwangsverpflichtet, gruppenweise im "geschlossenen Arbeitseinsatz" in privaten und kommunalen Betrieben zu schuften. Nach Kriegsbeginn wurden sie verstärkt in der Rüstungsindustrie und kriegswichtigen Betrieben, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt und anschließend in den Tod deportiert.

Volker Link, Frankfurt (Oder)


Die bürgerlichen Medien haben keine Skrupel, die Bevölkerung auf einen kommenden Krieg vorzubereiten. Deshalb hier eine Stimme, die bereits vor Jahrzehnten gegen Kriegspropaganda und Krieg zu Felde zog. Die Schweizer Zeitung "Neue Wege", eine Publikation mit Beiträgen zu Religion und Sozialismus, brachte 1983 in ihrem Heft 11 folgenden "Brief eines Feiglings" (als Nachdruck aus der christlich-sozialistischen "CfS-Korrespondenz" Nr. 40):
Liebe Regierung in Bonn und auf der Hardthöhe! Da ich mich von den Russen nicht so bedroht fühle, wieviel uns das kostet, möchte ich gerne meine monatliche Einlage für die Abschreckung der Russen, die sogenannte Abschreckungszwangsgebühr, mit meiner Einkommenssteuer aufrechnen und beantrage hiermit, mir meine Verteidigung selbst zu überlassen.
Begründung: So gefährlich, wie unsere jetzige Abschreckung vor den Russen ist, können die Russen selber gar nicht sein. Auch hat mein Vater kein Land, so daß ich über kein Vaterland im eigentlichen Sinne verfüge. Sollen doch die das Vaterland verteidigen, die auch genügend Land haben. Sollte es sich jedoch bei dem Vaterland um jenes übergeordnete Land handeln, das angeblich die Landlosen mit den Landbesitzern so innig verbindet, so bitte ich Sie, hohe Regierung, noch einmal die vielen Birkenkreuze zu zählen, mit denen der Idealismus des einfachen Volkes so oft geendet hat.
Ich habe lediglich mich selber, eine Gattin, zwei Kinder und einige gebrauchte Möbel zu verstaatlichen, was eine mögliche Enteignung in Grenzen hält. Ich bitte, mich lediglich mit einer weithin sichtbaren weißen Fahne auszustatten, denn wie ich mich kenne, bin ich im Notfall doch lieber rot als tot ... Im Grunde ist mir heute schon die Vorstellung lieber, zum Beispiel als angeschlossenes Mitglied der Italienischen Kommunistischen Partei, lebend Lasagne in Bologna zu essen, als für Ronald Reagan ins Gras zu beißen und tot zu sein. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß man, wenn man tot ist, gar nichts mehr ändern kann, dagegen, wenn man rot ist, immer noch etwas, da man dann ja noch lebt. Und solange die Rüstungsindustrie bei uns in privaten Händen ist, glaube ich sowieso kaum noch ein Wort über die Bedrohung aus dem Osten. Da wollen sich doch nur einige etwas in die Westentasche stecken.
Zum letzten bin ich gar nicht so sicher, daß die Russen kommen.
Ich weiß nur, daß die Amerikaner schon da sind.
Mit freundlichen Grüßen

gez. Ein Feigling(*)


Der "Brief eines Feiglings" ist 36 Jahren nach seinem Erscheinen immer noch aktuell. Ob er allerdings heute außer im "RotFuchs" noch gedruckt werden würde, bin ich mir nicht sicher.

Johann Weber, Niederbayern

(*) Verfasser des Briefes war der süddeutsche Kabarettist, Autor, Regisseur und Schauspieler Helmut Ruge (1940-2014)


Zu "Keine neuen US-Raketen in Europa!", RF 255, S. 2
Nachdem der INF-Vertrag nun Geschichte ist, droht ein neues atomares Wettrüsten zwischen den USA und Rußland. Europa kann dabei sehr schnell zu einem Spielball der atomaren Aufrüstung der USA werden, denn wo sonst sollten die Vereinigten Staaten von Amerika ihre atomaren Mittelstreckenwaffen stationierten wollen? Es sollte nicht nur heißen "Keine neuen Atomwaffen der USA in Europa", sondern auch, alle Atomwaffen der US-Streitkräfte raus aus der BRD! Weder alte noch neue Atomwaffen in der BRD! Alle US-Stützpunkte wie zum Beispiel die Ramstein Air Base gehören geschlossen. Die Bundesregierung könnte ein wichtiges Zeichen setzen, indem sie endlich den UN-Vertrag zur Ächtung von Atomwaffen unterzeichnet.

René Osselmann, Magdeburg


Zu Dr. Peter Elz: Der Kapitalismus hat seine Schuldigkeit getan ­..., RF 255, S. 25
Dieser Beitrag ist für mich ein Schnelldurchgang bei der Skizzierung der Entwicklung des Kapitalismus, mit der Schlußfolgerung, daß dieser abtreten kann oder anders gesagt, dessen Überwindung überfällig ist.
Doch ist die Situation tatsächlich bereits herangereift, daß die Überwindung des Kapitalismus wirklich auf der Tagesordnung steht?
Ich bin mir sicher, daß der Autor diese und die anderen offenen Fragen nicht abschließend beantworten kann und es auch gar nicht in seiner Absicht lag, eine Antwort vorzugeben. Vielmehr ist der Artikel nicht nur ein Anreiz, sondern auch als ein Aufruf zu verstehen, nach Lösungswegen zu suchen. Es wäre wünschenswert, wenn im "RotFuchs" dazu ein intensiver Gedankenaustausch stattfinden würde, der auch Meinungen und Visionen zuläßt, die nicht gleich eine breite Zustimmung erwarten lassen. Ich finde, gerade dieser sachlich geführte Gedankenaustausch ist für die gesamte linke Bewegung von Bedeutung. Wenn man sich über diese Thematik austauscht, wird man automatisch dazu animiert, bei unseren Klassikern und weiteren fortschrittlichen Kräften nachzulesen.
Das Fazit des Autors ist mehr als logisch, denn im Grunde steht nicht mehr und nicht weniger auf dem Spiel als die weitere Existenz der Menschheit auf diesem Planeten. Die Historie der kapitalistischen Entwicklung hat bewiesen, daß die Gier nach Maximalprofiten den Konkurrenzkampf und den Egoismus so verschärft, daß der Kampf um Rohstoffe, Absatzmärkte und Macht mit kriegerischen Mitteln erfolgen wird. Da die Rüstungsindustrie derart politischen wie wirtschaftlichen Einfluß besitzt, ist die Gefahr eines erneuten Infernos für die Menschheit jederzeit präsent. Allein schon aus diesem Grund ist die Überwindung des Kapitalismus vordringliche Aufgabe der heutigen Zeit.

Carsten Hanke, Rostock


Die Probleme, vor denen wir heute stehen, sind nicht ausschließlich Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Manche sind wesentlich älter. Schon zur Zeit der Sklavenhalter wurde die "materiell-technische Basis der gesamten Gesellschaft" auf Kosten von "Barbaren" und der Umwelt ausgebaut - Marine, Militärtechnologie, Bewässerung, Architektur usw.
Nutznießer waren die nicht Versklavten, und auch Roms Plebejer waren nicht gegen die Sklaverei, sondern nur an einem gesicherten und größeren Anteil an den von der Beute abfallenden Brosamen interessiert.
Bauernkrieger und aufständische Handwerker kämpften nicht gegen das Feudalsystem, für dessen Raubzüge sie die materielle Basis schufen, sondern isoliert nur gegen dessen Auswirkungen, die sie selbst betrafen.
Arbeiter in der Rüstungsproduktion waren nicht gegen militärische Überfälle auf "Eingeborene", für die sie die materielle Basis lieferten. Sie kämpften gegen die ungerechte Verteilung der Beute, von der sie viel zu wenig abbekamen. Bisher ist jede Widerstandsbewegung auch wegen dieser jahrtausendelang tradierten und anerzogenen kurzsichtigen Partikularinteressen gescheitert. Heute treten selbst Linke nicht gegen Kapitalismus, Neokolonialismus, NATO-Überfälle oder die Plünderung der in die EU gelockten schwächeren Volkswirtschaften durch das deutsche Kapital auf. Sie sind nur dagegen, daß der Beuteanteil der Arbeiterklasse immer geringer wird.
Nur durch Aufklärung und politische Schulung ist dieses Gedankenleergut aus den Köpfen zu entfernen.

Otto Kustka, Litschau (Österreich)


Jetzt 95jährig, wurde ich Ostern vor 89 Jahren in der "Freien Schule" in Köln eingeschult, die aber im faschistischen Deutschland 1934 verboten und geschlossen wurde.
Meine Eltern waren Kommunisten. In diesem Sinne wurden wir, meine drei Brüder und ich, erzogen.
Ich erinnere mich daran, daß mein Vater (er war schon vier Jahre arbeitslos) sich einen "Detektor", ein radioähnliches Gerät, gebastelt hatte, sogar den Sender Moskau hereinbekam und uns Kindern abwechselnd den Kopfhörer überstülpte und Freudentränen in den Augen hatte, die Stimme aus der Sowjetunion zu hören. Beim Kartoffelschälen saß ich vor ihm auf der Fußbank, er hat mir die "Internationale" erklärt: Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun, uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun.
Am 2. Januar 1933, einen Tag nach meinem neunten Geburtstag, haben die Faschisten meinen Vater auf der Heimfahrt nach einer KPD-Versammlung auf der Straße bei Andernach überfahren und sterbend liegengelassen!
Am 8. Januar waren 4000 Menschen zur Urnenbeisetzung gekommen. Es folgten zwölf Jahre Faschismus mit sechs Kriegsjahren. Das war es, was ein kapitalistisches System in sich trägt. Ich hatte Glück, 35 Jahre mit meinen Kindern in der DDR, in einem sozialistischen Land, wo die Friedenstaube zu Hause war, zu leben.

Elisabeth Monsig, Gartz


Zum Leserbrief von Manfred Wild, RF 255, S. 33
Seinem Vorschlag, eine Zusammenstellung all dessen anzufertigen, was in der DDR fehlte, würde ich entgegenhalten, all das zusammenzustellen, was es in der DDR gab und woran es heute fehlt bzw. mangelt, z. B. soziale Sicherheit und Geborgenheit, kostenlose Medikamente und medizinische Versorgung, von guter Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft gekennzeichnete Arbeitsverhältnisse, preiswertes Wohnen, hohes Bildungsniveau und kostenloser Zugang zu allen Ebenen des Bildungssystems, staatlich und betrieblich geförderte Kinderbetreuung und Freizeitgestaltung. Eine strikte Friedenspolitik und freundschaftliche Zusammenarbeit mit vielen Staaten und kein Geschäft mit der Rüstung.

Dr. Werner Kulitzscher, Berlin


Zu David Goeßmann: Die Erfindung der bedrohten Republik, RF 256, S. 8
Das ist das Buch, auf das ich während des grassierenden Rechtsrucks der Jahre 2015 bis 2019 manchmal geradezu verzweifelt gewartet habe. Als nämlich die Xenophoben mit ihrer Panikmache zu obsiegen drohten und die ganze politische Debatte bis weit in "Mitte" und Linke hinein vor sich her - also nach rechts - zu treiben vermochten. Was haben wir uns nicht alles anhören müssen von Leuten, die anscheinend immer die Vernunft für sich gepachtet hatten und uns in die Ecke naiven Gutmenschentums zu drängen versuchten. Dabei ist es alles andere als vernünftig, zu glauben, daß man mit Mauern Probleme lösen und mit Härte gegen Schwache ein Land stark machen kann.
Atomkrieg? Umweltkollaps? Die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten? Nein, die größte Bedrohung unserer Epoche waren nach fast einhelliger Meinung "die Flüchtlinge". Quer durch die politischen Lager wurde beschworen: "2015 darf sich nicht wiederholen." Anstelle des Nachkriegs-Bekenntnisses "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!" heißt es jetzt "Nie wieder Willkommenskultur!" So weit ist es gekommen. Diese egoistische, für die wahren Ursachen völlig blinde Abschottungspolitik hat gefährliche Rechtsparteien salonfähig gemacht; sie hat ungezählten Geflüchteten ihre Freiheit und das Leben gekostet.
David Goeßmann beschreibt in seinem aufrüttelnden Buch, mit welch perfiden Methoden immer wieder mit Angst Politik gemacht wurde und wie insbesondere die "Flüchtlingskrise" als Vorwand diente, um reaktionäre Politikentwürfe durchzusetzen. Wir erfahren, daß die Mär vom totalen Kontrollverlust des Jahres 2015 und von den aufrechten Politikern, die jetzt endlich für Ordnung im Land sorgen, eben auch nur dies war: eine Erzählung, erdacht von Menschen mit wenig Herz und viel knallhartem Eigeninteresse. Diesem fürchterlichen Verrohungs-Narrativ von der "Flüchtlingsschwemme" hat Goeßmann endlich die Maske vom Gesicht gerissen. Unbedingt lesen!

Konstantin Wecker

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.
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Das Impressum für die obenstehende Ausgabe ist zu finden unter:
www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2019/RF-257-06-19.pdf

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Quelle:
RotFuchs Nr. 257, 22. Jahrgang, Juni 2019
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2019

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