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ROTFUCHS/123: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 169 - Februar 2012


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

15. Jahrgang, Nr. 169, Februar 2012



Inhalt
Fragen nach der Lektüre des Erfurter PDL-Programms
Nicht Zerrspiegel, sondern Spiegelbild
SVZ-Leser gegen Verbot von DDR-Symbolen
40 Jahre nach dem "Radikalenerlaß"
Willy Brandt war der Einpeitscher
Walter Ruge: Ein beispielhafter Kommunist
Wenn die Glienicker Brücke reden könnte ...
Ein Rundgang durch Neuhaus
Macht die Partei nicht kaputt!
Linke Alternative oder Selbstbedienungsladen mit konträren Angeboten?
Lenin: Geschlagene Armeen lernen gut
Glanzvolle Karriere vom DDR-Sprungbrett
Albert Stierwald: Interbrigadist, Partisan und Sozialismus-Erbauer
Nachdenken über Gott und die Welt
Christentum und Kommunismus
Ein Blick in Sarrazins Doktorarbeit
Thüringen: Fritz Sauckels Auferstehung
Marxismus für Einsteiger: Theorie und Praxis
Die Kettenhunde des Klassenfeindes
Geheimdienste des Kapitals seit 1917
Spätes Geständnis
"Blitzsauberer" Sport als Doping-Dorado
RF-Extra - Die BRD - der einzige Staat ohne Verfassung?
RF-Extra - Otto Winzer zur Nazi-Brut im Bonner AA
Warum die USA Assads Kopf wollen
Brüssels Griff zur Notbremse in Athen und Rom
EU installierte "Technokraten"-Kabinette
Tausende Tote, über die man nicht spricht
Zur "Mordmauer" an Mexikos Grenze
Erinnern an den Helden von Dien Bien Phu
Polens KP-Blatt wieder mit Hammer und Sichel
Visite im Hochsicherheitstrakt
Bei Gerado von den "Cuban Five"
Selbsttor eines "Friedensnobelpreisträgers"
Das Beispiel der Indianer Nordamerikas
"Towarischtsch" wurde wieder zu "Gorch Fock"
Entschleierung preußischer Mythen
Cornelias kleine große DDR (3)
Aus Hellges Anekdotenkiste: Eine Saat, die aufgegangen ist
Archie und die "zwei Diktaturen"
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Ausgefuchst und eingefuchst

Ausdauer und Beharrungsvermögen sind auch im linken Journalismus eine elementare Voraussetzung für Durchsetzungskraft und Erfolg. Wer schnell die Flinte wieder ins Korn wirft, gerät rasch in Vergessenheit. Der "RotFuchs" tritt mit dieser Ausgabe in das 15. Jahr seines Erscheinens ein. Die Weimarer Republik bestand vergleichsweise nicht mehr als 14 Jahre. Da neuere "Generationen" von RF-Lesern kaum etwas über unsere Anfänge wissen dürften, wollen wir ihnen die Geschichte kurz erzählen:

Als wir auf den Gedanken kamen, eine solche Zeitschrift herauszugeben, suchten wir natürlich zunächst nach einem Titel, der zündend, aber nicht abgegriffen sein sollte. Uns gefiel die Verbindung von füchsischer Schlauheit und roter Färbung. Der unvergessene DDR-Grafiker Arno Fleischer begab sich daraufhin in den Berliner Tierpark, um ein geeignetes "Wappentier" für den Kopf des RF an Ort und Stelle zu porträtieren.

Die Nr. 1 der damals noch um etliche Seiten schmächtigeren, auf einem giftigen Dunst erzeugenden Kopiergerät hergestellten, schon bald in der Wohnung von Kurt und Lena Andrä per Hand gehefteten und dort auch zum Versand vorbereiteten Zeitschrift erschien Anfang Februar 1998. Die Startauflage betrug nicht mehr als 200 Exemplare. Das schmale Blättchen wurde zunächst durch die DKP-Gruppe Berlin Nordost, die in stürmischen innerparteilichen Zeiten für klare marxistisch-leninistische Positionen stand, herausgegeben. Damals spendierten uns engagierte Genossen aus Ratingen in NRW für den schweren Anfang benötigte Mittel. Um die Zeitschrift begannen sich schon bald Aufrechte zu sammeln.

Zu ihren ersten Autoren gehörten der nicht nur vom Klassenfeind angefallene Fernsehpublizist Karl-Eduard von Schnitzler - unser Kled - und "Topas", der einstige DDR-Kundschafter im Brüsseler NATO-Hauptquartier Rainer Rupp, der seine Korrespondenzen aus einer Saarbrückener Gefängniszelle übermitteln mußte. Zum "Team des Aufbruchs" zählten auch die marxistischen Professoren Ulrich Huar, Erich Buchholz, Eike Kopf und Werner Roß sowie Dr. Kurt Gossweiler. Uns auf das engste verbunden waren der Dichter und Dramatiker Peter Hacks, der Maler Walter Womacka, die Schriftsteller Dieter Noll, Günter Görlich und Gerhard Bengsch sowie der Schauspieler Eberhard Esche. Dieser notierte in seinem Buch "Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen", er rechne nach dem (leider allzu früh eingetretenen) Ableben fest mit einem Nachruf des "RotFuchs". Der RF ist froh, mit Erik Neutsch seine eigene "Spur der Steine" ziehen und der Solidarität Armin Stolpers gewiß sein zu können.

Zweieinhalb Jahre waren vergangen, als 2001 eine Abkopplung des RF von der DKP, deren damalige Führungsmehrheit das in ihren Augen zu linkslastige Blatt nicht länger unter ihrem Dach behalten wollte, erfolgen mußte. Der nunmehr parteipolitisch ungebundene RF, der Mitstreiter aus mehreren linken Formationen sowie Nichtorganisierte dieses Spektrums vereinte, wurde somit auf eine breitere Grundlage gestellt. Er wählte bereits damals die anspruchsvolle Unterzeile "Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland".

Herausgeber der Zeitschrift war nun der von einer Handvoll Enthusiasten im Karower Garten von Annemarie und Frank Mühlefeldt gegründete und heute etwa 1550 Mitglieder zählende RF-Förderverein. Nach Überwindung eigener sektiererischer Schwächen, die ihren Gegnern und Feinden in die Hände spielten, sowie der Abwehr von Versuchen, die Zeitschrift politisch-ideologisch ins "Ghetto" zu sperren und damit schmalbrüstiger zu machen, wurde der RF auch für neue Leserschichten attraktiv. Als Richtschnur redaktionellen Handelns betrachteten wir zunächst das Ziel, Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch auf marxistischer Grundlage zusammenzuführen. Dieser Rahmen erwies sich aber bald als zu eng. Heute besteht unsere Leserschaft nicht nur aus zahlreichen weiterhin standhaften Genossinnen und Genossen, die in der DDR an verschiedenen Abschnitten Verantwortung trugen, dem Sozialismus treu gebliebenen Basisaktivisten und Funktionären der Linkspartei sowie Mitstreitern aus DKP und KPD. Auch Gewerkschafter, Studenten und andere junge Leute unter den etwa 35.000 Downloadern unserer Internet-Ausgabe sowie einstige Angehörige aller fünf DDR-Blockparteien und Kampfgefährten aus dem antifaschistisch-demokratischen Lager gehören dazu. Der Anruf eines Hamburger Genossen, der sich unlängst als "Urgestein der hanseatischen SPD" vorstellte und gleich mehrere RF-Exemplare für seinen Freundeskreis orderte, bildet inzwischen ebensowenig eine Ausnahme wie jene Protestantin aus Sachsen, welche unser Blatt vor allem auch deshalb in ihr Herz geschlossen hat, weil man - in ihren Worten - "Jesus nur lieben kann, wenn man zugleich Kommunist ist".

Das beachtliche Feld bereits profilierter und immer neuer Autoren sowie die ständig wachsende Zahl den RF mit wertvollen Informationen, Meinungsäußerungen, Anregungen und kritischen Bemerkungen versorgender Leserbriefschreiber hat unserer Zeitschrift Profil und Prestige verliehen. Nicht wenige Bezieher lassen uns wissen, daß sie das Blatt stets mit Sehnsucht erwarten und von vorne bis hinten lesen, wobei sie auf der letzten Seite nun schon seit vielen Jahren die ausdrucksvollen Grafiken Klaus Parches betrachten können.

Außer solchen sehr früh zum RF gestoßenen Autoren wie Wolfgang Clausner, einst stellvertretender Chefredakteur des "horizont", dem bereits verstorbenen Journalisten Walter Florath und der ebenfalls von uns gegangenen Isolda Bohler, dem profunden Italienkenner Dr. Gerhard Feldbauer, dem Hamburger Antifaschisten Werner Hoppe, dem evangelisch-lutherischen Theologen Peter Franz, unserem "Dekan der Historiker" Prof. Horst Schneider, den beiden "Porträtmalern" Günter Freyer und Dieter Fechner, dem großartigen Filmemacher Rudi Kurz, dem ebenso leisen wie aussagekräftigen Prof. Georg Grasnick, dem draufgängerischen Dr. Bernhard Majorow, dem ideenreichen Hans Horn und Archie-Erfinder Manfred Hocke veröffentlichten inzwischen auch viele andere Sachkundige, darunter Träger bekannter Namen, Artikel im RF. Genannt seien hier nur die Kommunisten Herbert Mies und Willi Gerns sowie die prominenten PDL-Politiker Oskar Lafontaine, Christine Buchholz, Ulla Jelpke und Sahra Wagenknecht. Wir sind stolz darauf, daß sich der unlängst verstorbene herausragende marxistische Philosoph Prof. Hans Heinz Holz mit unserer Zeitschrift auf das engste verbunden hat. In unserem Gedächtnis lebt auch der standhafte Kommunist und RF-Autor Walter Ruge weiter, den wir am 9. Dezember in Potsdam zu Grabe getragen haben. Unsere langjährige Australien-Korrespondentin Dr. Vera Butler, der afghanische Universitätsdozent Dr. Matin Baraki, die in Frankreich lebende Literaturwissenschaftlerin Prof. Heidi Urbahn de Jauregui und unser lieber polnischer Freund Prof. Zbigniew Wiktor stehen - um nur einige zu erwähnen - fest an unserer Seite.

Hier verdienen auch unsere Poeten und künstlerischen Mitarbeiter mit ihren dem Dienstalter nach als deren "Doyens" zu bezeichnenden Wegbereitern E. Rasmus und Heinz Herresbach anerkennende Erwähnung. Sie und nicht zuletzt die Internetverantwortliche, die beiden Genossinnen des Redaktionssekretariats, der Korrektor, der Gestalter, die über 40 in Vertrieb und Versand wirkenden "Rot-Füchse", von denen wir nur Sonja Brendel als deren Urgestein" hervorheben wollen, und unser leider erkrankter früherer Vertriebsleiter Armin Neumann sind ebenfalls zu würdigen. Seit 2001 stellt die bewährte Mannschaft der Druckerei Bunter Hund unser kleines und zugleich großes Blatt, das derzeit rund 30.000 ständige Leser in der BRD sowie Bezieher in 39 anderen Staaten erreicht, verläßlich her. Alle Beteiligten - so auch unsere 32 Regionalgruppen - haben dafür gesorgt, daß man den RF inzwischen ebenfalls als weithin bekannten "bunten Hund" bezeichnen kann. Noch ein Wort zu unserer Position: Wir lassen uns weder in das seichte Gewässer politischer Beliebigkeit ziehen, noch sind wir von dem Gedanken "Viel Feind, viel Ehr" beseelt, sondern halten unser Pulver für jene trocken, die auf der gegnerischen Seite der Klassenbarrikade stehen. Wenn wir uns bisweilen gezwungen sehen, auch anderen den Kopf zu waschen, dann bedeutet das keineswegs, daß der eigene Kopf von kritischer und selbstkritischer Wäsche verschont bleiben sollte.

Als der RF ganz am Beginn seiner Entwicklung stand, gaben unser damaliger Vertriebsleiter Kurt Andrä und dessen Frau ihre Privatanschrift als Redaktionsadresse an. Nach einem Umzug teilten sie ihren veränderten Wohnsitz der Leserschaft auf dem Versandkuvert mit, woraufhin bei ihnen folgende Gratulation einging: "Herzlichen Glückwunsch zum neuen Redaktionsgebäude."

So weit haben wir es allerdings auch nach 14 Jahren noch nicht gebracht. Doch unser Arbeitsplatz in der Berliner Rheinsteinstraße befindet sich nur wenige hundert Meter von jener zum Karlshorster Museum umgestalteten einstigen Heerespionierschule der Nazi-Wehrmacht entfernt, in deren Räumen Anfang Mai 1945 Hitlers später in Nürnberg gehenkter Generalfeldmarschall Keitel vor dem sowjetischen Marschall Shukow bedingungslos kapitulieren mußte. Kein schlechter Ort für ein rotes Blatt bei starkem Gegenwind, will uns scheinen.

Zum Abschluß noch ein Vorschlag für das 15. Jahr des RF: Wenn jeder Bezieher der Printausgabe 2012 auch nur einen neuen Interessenten für den "RotFuchs" - heute bereits die meistverbreitete marxistische Monatsschrift in Deutschland - gewinnen würde, wäre das eine gewaltige Stärkung unseres Potentials, zu der sicher auch manche Internet-Leser beitragen könnten.

Eine ausgefuchste Idee Eingefuchster? Mag sie jene, welche uns im Visier haben, fuchsteufelswild machen!

Klaus Steiniger

Raute

Fragen nach der Lektüre des "Erfurter Programms"

Wer versuchte den Sozialismus "im Osten Deutschlands"?
Im Beschluß steht es nicht.
Im Beschluß steht, daß dort "Ostdeutsche" lebten und "Erfahrungen machten".
Trug nicht zur Zeit der "Prägung" dieser "Osten Deutschlands" einen eigenen Namen?
Ich, mit sächsisch-thüringischen Wurzeln, habe dort gelebt, aber mit "Ostdeutscher" wurde ich nie angeredet.
Als das "System" gebrochen wurde, soll es der "Stalinismus" gewesen sein.
Was wurde noch gebrochen?
Hatten wir 1989 einen Großen Autoritären Steuermann namens Stalin?
Im Beschluß steht, daß auch Die Linke mit dem "Stalinismus" bricht.
Lebte er 2007 noch?
Im Beschluß steht, daß dieser "Bruch" auch für den Westen hohe Bedeutung habe.
Und was ist mit Norden und Süden?-
In der DDR gab es eine reiche kulturelle und geistige Landschaft und eine engagierte Vermittlung von Kultur und Bildung in die Bevölkerung, heißt es im Beschluß.
Sind die Vermittler und Landschaftsbildner Außerirdische gewesen?
Undemokraten? Unrechtsstaatler?
In der "Bundesrepublik Deutschland" wurde 1956 die KPD verboten, steht im Beschluß.
Die Menschen in der "Bundesrepublik" erfuhren parlamentarische Demokratie, steht auch im Beschluß, fünf Sätze später.
Dazu habe ich keine Frage.

Es gäbe Alternativen zur "herrschenden Politik" und zum "kapitalistischen System", verkündet der Beschluß.
Hat dieses System keinen Herrscher, keine Autorität?
Und wie hieß noch mal das "System", welches 1989 im Osten gebrochen wurde? -
Der Versuch, eine nichtkapitalistische Ordnung aufzubauen, ist an mangelnder Demokratie, Überzentralisation und ökonomischer Ineffizienz gescheitert.
Steht im Beschluß.
Was haben die Demokraten, die Unobrigen und Kreativwirtschaftler, getan, als erbombte Demokratie, globales "Playing" und aufgeblasene Finanz-Nullen siegten?
Und was scheuen und unterlassen sie?
Die Bundesrepublik Deutschland soll ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat sein.
Steht im Beschluß, grundgesetzkonform.
Ist sie doch schon - spätestens seit 1956, als die KPD verboten wurde.
Was soll sich wirklich ändern?
"Die Linke hat begonnen, die politischen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik zu verändern", steht im Beschluß.
Warum merk' ich das bloß nicht?

So viel Beschlossenes.
So viele Fragen.

Hermann Wollner

Raute

Worin die ärmere DDR der reicheren BRD haushoch überlegen war

Nicht Zerrspiegel, sondern Spiegelbild

Mit der "Wiedervereinigung" wurden den einstigen DDR-Bürgern "blühende Landschaften" vorgegaukelt. Was aber trat in Wirklichkeit ein?

Zunächst einmal wurde das durch jahrzehntelange Arbeit von Millionen Menschen geschaffene Wirtschaftsvermögen der DDR durch die schon zu Zeiten der Modrow-Regierung in anderer Absicht geschaffene und dann unter Kohl "umfunktionierte" und "erweiterte" Liquidierungszentrale Treuhand restlos vernichtet. Millionen verloren fast von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit.

Der DDR-Bürger war mit seinem Girokonto, einem Sparkassenbuch (3 % Einheitszinsen), zinsloser Kreditgewährung, einer Haftpflicht- und Hausratsversicherung sowie einem Sozialversicherungsausweis durchs Leben spaziert, ohne einen einzigen trüben Gedanken an Steuern verschwenden zu müssen. Das im Westen jedermann seit Jahrzehnten geläufige Wort Mehrwertsteuer kam in seinem Vokabular nicht vor. Das galt auch für das Arbeitsamt. Mit Finanzämtern mußte er nicht korrespondieren: Die Abgaben errechneten Kollegen im Gehaltsbüro auf der Grundlage entsprechender Tabellen. Das war's!

Zur Last des ungekannten Steuersystems kam eine Bürokratie mit allen nur denkbaren Reglementierungen über ihn, die es in sich hatte. Zu DDR-Zeiten besaß man keine genaueren Vorstellungen von deren Allmacht und Umfang. Wenn sich die BRD heute fünf Millionen öffentlich Bedienstete, zwei Millionen Beamte sowie insgesamt 170 Ministerien des Bundes und der Länder leisten kann, dann zeugt das von einem immensen "Wasserkopf", für dessen Unterhaltung die Gesellschaft aufkommen muß. Statistisch betrachtet entfällt auf jeden 16. Bundesbürger ein Staatsangestellter. In der DDR betrugen die im Budget für den Staatsapparat vorgesehenen Ausgaben pro Einwohner - in Euro umgerechnet - 141 €, in der "alten" BRD hingegen bereits 6708 €. Heute liegt diese Summe pro Kopf der Bevölkerung bei sage und schreibe 12.000 €.

Es gehört in vielen Ländern zur gängigen Praxis, Waren oder Dienstleistungen direkt oder indirekt zu stützen, um deren Preise möglichst niedrig zu halten. Hierzulande müßten vor allem die Subventionen für die kapitalistische Industrie auf den Prüfstand. Das Kieler Weltwirtschaftsinstitut schätzt nämlich die mittelbaren und die unmittelbaren Subventionen für Großunternehmen auf jährlich 90 Milliarden Euro.

Auch hier ist ein Vergleich angebracht: Die DDR gab etwa 17 Milliarden für Stützungszwecke aus. Sie hielt auf diese Weise Mieten, Tarife, Preise für Lebensmittel und Kinderbekleidung und vieles andere künstlich niedrig. Nicht vergessen werden sollte, daß enorme Summen dafür bereitgestellt wurden, die Kultur den Massen zugänglich zu machen. Zu Recht sprach man von der zweiten Lohntüte jedes DDR-Bürgers.

Die Sache hatte allerdings einen Haken: Der Staat zahlte nämlich bei jedem, ohne Unterschied des Einkommens, das gleiche zu. Er subventionierte die Preise für den gut verdienenden Handwerksmeister wie für den Rentner mit schmalem Budget. Nutznießer waren Kranke wie Gesunde, Aktive wie Passive. Ein Vierpfundbrot für 1,04 M kaufte der Familienvater, aber auch der LPG-Bauer, der es an seine privat gehaltenen Schweine verfütterte, weil es ihn weniger kostete als Getreide. Und der Kleingärtner verkaufte seine Tomaten an die HO oder den Konsum, wofür er mehr bekam, als die Produkte später im Laden kosteten. Die Subventionen verwandelten sich also auch in den Gewinn einzelner. Das war zweifellos eine verdrehte Welt.

Die Miete für unsere 60 Quadratmeter-Wohnung betrug zu DDR-Zeiten einschließlich Wasser und Heizung nur 68 M im Monat. So etwas ist heute einfach unvorstellbar.

Ähnlich verhielt es sich bei der Familienförderung. Abgesehen von Geburten- und Kindergeld gab es günstige Kredite für Eheleute, die bei Zuwachs sukzessive getilgt wurden. Junge Ehepaare konnten zunächst einen zinslosen Kredit von 5000 M erhalten, später wurde die Summe sogar auf 7000 M aufgestockt. Nach der Geburt des ersten Kindes wurden 1000 M, eines zweiten 1500 M und eines dritten Kindes dann der Gesamtbetrag erlassen. Die im Laufe der Zeit flächendeckende Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen war in Europa beispielhaft. Auch die BRD braucht dringend Nachwuchs. Doch wenn heute von Kindern die Rede ist, spricht man zunächst über Geld.

Nur am Rande erwähne ich hier das vorbildlich organisierte Gesundheitswesen der DDR, da alle Welt weiß: Die medizinische Behandlung wie die Vorsorge, der Arztbesuch wie die Medikamente waren unentgeltlich. Das betraf genauso die Pille wie die Zahnprothese oder Sehhilfen. Und: Es gab keine kassenärztlichen Vereinigungen oder gar Hunderte von Kassen, für deren Paläste die Versicherten auch noch aufkommen müssen. Heute gilt wieder die Devise: "Weil Du arm bist, mußt Du früher sterben."

"Die Politik", wie es aus Irreführungsgründen summarisch heißt, vertritt auf allen Ebenen die Interessen der ökonomisch Herrschenden und setzt diese mit staatlichen Mitteln durch. Nicht zufällig sind in Berlin mehr Lobbyisten-Verbände als Abgeordnetenbüros angesiedelt. Der Einfluß dieser Agenten des Kapitals auf die "Entscheidungsträger" ist verheerend.

In der DDR konnte man sich bei einem Verdienst von 700 bis 800 M zu Monatsbeginn immer etwas für größere Anschaffungen und alle Fälle zurücklegen. Jetzt müssen wir stets etwas vom Ersparten abheben, um einigermaßen zurechtzukommen.

Dipl.-Ing. Hermann Ziegenbalg, Riesa-Weida

Raute

SVZ-Leser gegen Verbot von DDR-Symbolen

Auf dem Bundesparteitag der CDU stellte die Junge Union den Antrag, "Symbole, die in besonderer Weise für das SED-Unrechtsregime" stehen, zu verbieten. Zuwiderhandlungen sollten mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Leser der keineswegs linksgerichteten "Schweriner Volkszeitung" lehnten die Initiative ab. Von 1006 Teilnehmern einer Umfrage sprachen sich 86,2 % gegen ein Verbot aus, nur 10,3 % befürworteten es.

In einem Leserbrief schrieb Sigrid Kadow an die SVZ:

"Da hätte ich doch gleich noch ein paar Vorschläge, um dem Irrsinn die Krone aufzusetzen - Rotkäppchensekt: verbieten! Spee, Fit, Florena: verbieten! Trabbi und deren Fanclubs: verbieten! DEFA-Filme: verbieten! City, Karat, Puhdys: verbieten! Und wo ich grad so schön dabei bin, Peter Maffay Berufsverbot erteilen! Schließlich hat er mit dem Titel 'Über sieben Brücken' ein Ostprodukt über die Grenze geschmuggelt. Was schreib' ich eigentlich demnächst in meinen Lebenslauf unter Schulbildung: Polytechnische Oberschule? Berufsausbildung: im VEB ...? Sind diese Begriffe eventuell auch strafbar?"

Raute

Willy Brandt war der Einpeitscher der Berufsverbote in der BRD

40 Jahre nach dem "Radikalenerlaß"

Unter der Schlagzeile "40 Jahre Berufsverbot - Betroffene fordern Rehabilitierung und warnen vor Demokratieabbau" haben sich Opfer des menschenrechtswidrigen Gesinnungsterrors, der unter der deutschen Bezeichnung "Berufsverbote" weltweite Empörung auslöste, an die demokratische Öffentlichkeit der BRD gewandt. Wir dokumentieren diese Erklärung.


Vor 40 Jahren, am 28. Januar 1972, beschloß die Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt den sogenannten "Radikalenerlaß": Zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde sollten " Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten", aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten bzw. entlassen werden. Mit Hilfe der "Regelanfrage" wurden etwa 3,5 Millionen Bewerberinnen und Bewerber vom "Verfassungsschutz" auf ihre politische "Zuverlässigkeit" durchleuchtet. In der Folge kam es zu 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2200 Disziplinarverfahren, 1250 abgelehnten Bewerbungen und 265 Entlassungen. Formell richtete sich der Erlaß gegen "Links- und Rechtsextremisten", in der Praxis traf er vor allem Linke: Mitglieder der DKP, sozialistischer und anderer linksorientierter Gruppierungen, von Friedensinitiativen bis hin zu SPD-nahen Studierendenorganisationen. Mit dem Kampfbegriff "Verfassungsfeindlichkeit" wurden mißliebige und systemkritische Organisationen und Personen an den Rand der Legalität gedrängt, die Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs- und Organisationsfreiheit bedroht und bestraft.

Der "Radikalenerlaß" führte zum faktischen Berufsverbot für Tausende von Menschen, die als Lehrerinnen und Lehrer, in der Sozialarbeit, in der Briefzustellung, als Lokführer oder in der Rechtspflege tätig waren oder sich auf solche Berufe vorbereiteten und für sie bewarben. Bis weit in die 80er Jahre vergiftete die staatlich betriebene Jagd auf vermeintliche Radikale das politische Klima. Der "Radikalenerlaß" diente der Einschüchterung, nicht nur der aktiven Linken. Die existentielle Bedrohung durch die Verweigerung des erlernten oder bereits ausgeübten Berufes war eine Maßnahme zur Unterdrückung außerparlamentarischer Bewegungen insgesamt. Statt Zivilcourage wurde Duckmäusertum gefördert.

Erst Ende der 80er Jahre zogen sozialdemokratisch geführte Landesregierungen die Konsequenz aus dem von Willy Brandt selbst eingeräumten "Irrtum" und schafften die entsprechenden Erlasse in ihren Ländern ab. Einige der früher abgewiesenen Anwärterinnen und Anwärter und zum Teil sogar aus dem Beamtenverhältnis Entlassenen wurden doch noch übernommen, meist im Angestelltenverhältnis. Viele mußten sich allerdings nach zermürbenden und jahrelangen Prozessen beruflich anderweitig orientieren.

Heute gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das eine Diskriminierung wegen politischer Überzeugungen verbietet. Damit wurde eine entsprechende EU-Richtlinie umgesetzt. Doch ein öffentliches Eingeständnis, daß der "Radikalenerlaß" Unrecht war, unterblieb. Er hat Tausenden von Menschen die berufliche Perspektive genommen und sie in schwerwiegende Existenzprobleme gestürzt. Eine materielle, moralische und politische Rehabilitierung der Betroffenen fand nicht statt.

Die Bedrohung durch den "Radikalenerlaß" gehört auch 2012 keineswegs der Vergangenheit an: 2004 belegten die Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen den Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy mit Berufsverbot, weil er sich in antifaschistischen Gruppen engagiert hatte. Erst 2007 wurde seine Ablehnung für den Schuldienst durch die Gerichte endgültig für unrechtmäßig erklärt.

Trotzdem wird in Bayern Bewerberinnen und Bewerbern für den öffentlichen Dienst weiterhin per Formular die Distanzierung von Organisationen abverlangt, die vom "Verfassungsschutz" als "linksextremistisch" diffamiert werden. Und eine "Extremismus"-Klausel, die sich auf die Ideologie und die mehr als fragwürdigen Einschätzungen des "Verfassungsschutzes" stützt, bedroht existentiell die wichtige Arbeit antifaschistischer, antirassistischer und anderer demokratischer Projekte.

Eine politische Auseinandersetzung über die schwerwiegende Beschädigung der demokratischen Kultur durch die Berufsverbotspolitik steht bis heute aus. Sie ist dringlicher denn je. Unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus werden wesentliche demokratische Rechte eingeschränkt. Die in den letzten Monaten des Jahres 2011 zutage getretenen "Verfassungsschutz"-Skandale haben gezeigt, wie tief der Inlandsgeheimdienst ideologisch und personell in die neonazistische Szene verstrickt ist. Seit seiner Gründung im Jahr 1950 - unter Beteiligung von NS-Verbrechern - hat der "Verfassungsschutz" an der Ausgrenzung, Einschüchterung und letztendlichen Kriminalisierung antifaschistischer Politik und linker Opposition gearbeitet. Dieser antidemokratische Geheimdienst ist nicht reformierbar, er muß abgeschafft werden.

Der "Radikalenerlaß" und die ihn stützende Rechtssprechung bleiben ein juristisches, politisches und menschliches Unrecht. Wir als damalige Betroffene des "Radikalenerlasses" fordern von den Verantwortlichen in Verwaltung und Justiz, in Bund und Ländern unsere vollständige Rehabilitierung. Die Bespitzelung kritischer politischer Opposition muß ein Ende haben. Wir fordern die Herausgabe und Vernichtung der "Verfassungsschutz"-Akten, wir verlangen die Aufhebung der diskriminierenden Urteile und eine materielle Entschädigung der Betroffenen.

Als Erstunterzeichner:
Sigrid Altherr-König (Esslingen), Michael Csaszkóczy (Heidelberg), Lothar Letsche (Weinstadt/Tübingen), Klaus Lipps (Baden-Baden), Hans Schaefer (Reutlingen), Werner Siebler (Freiburg)

Raute

Mit Walter Ruges Standhaftigkeit den Kampf fortsetzen!

Ein beispielhafter Kommunist

Unvorstellbar, aber leider wahr: Der unbeugsame Kommunist Walter Ruge lebt nicht mehr.

Er war aber - wenn auch nicht in Person - selbst nach seinem Tode noch einmal quicklebendig, altersweise, humorvoll und ungebrochen unter uns, als seine Familie, seine Freunde und Genossen zu Walters Würdigung am 27. November ins Potsdamer Filmmuseum kamen, um gemeinsam dem Stationen seines Weges skizzierenden Streifen "Über die Schwelle" zu folgen. Der Beifall setzte zunächst zögerlich ein, um sich dann zum stürmischen Applaus zu steigern. Der eindrucksvolle Film rief auch in mir die Erinnerung an viele persönliche Begegnungen mit diesem außergewöhnlichen Menschen wach.

Als ich Walter zu DDR-Zeiten erstmals bewußt wahrnahm, war er Organisator einer sportlichen Großveranstaltung: Hunderte Radfahrer folgten seinem Aufruf, an einem Rundkurs in Potsdam teilzunehmen. Ich gehörte zu den mit ihren Tourenrädern erschienenen Teilnehmern und dürfte Walter kaum aufgefallen sein.

Bei anderer Gelegenheit - schon nach dem als Wende fehlinterpretierten Rückfall in den Kapitalismus - trafen wir uns bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Potsdam-Babelsberg. In der Diskussion widersprach ich Walter, nachdem er den Standpunkt vertreten hatte, "bestimmte Berufsgruppen" seien in der DDR privilegiert worden, was ich am eigenen Beispiel widerlegen konnte.

Eines Tages lud er mich zu sich nach Hause ein. Dort begegnete ich der französischen Germanistin Prof. Dr. Anne Marie Pailhès, die sich mit der staatlichen Förderung von Organisationen und Verbänden in der DDR thematisch befaßte und Walters Rat einholte. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß die sympathische Besucherin aus Paris an der 2004 erfolgten Herausgabe des Buches "Prisonnier No. 8403" maßgeblich beteiligt gewesen war. Ich suchte in Erfahrung zu bringen, warum Walters autobiographischer Bericht nur in Frankreich erschienen sei. 2006 brachte ihn ja dann auch der GNN-Verlag unter dem Titel "Treibeis am Jenissei" heraus, wodurch der Autor weiteren Kreisen bekannt wurde. Und schon im Jahr darauf erschien dort auch sein zweites Buch "Wider das Vergessen", das die Blockade Leningrads und das Martyrium der dort Eingekesselten zum Gegenstand hatte.

Seit etwa 2002 arbeiteten wir - eine unabhängige Autorengemeinschaft - an dem Zeitzeugenbuch "Vereinnahmung der DDR", in dem mehr als 50 Autoren zu Wort kommen. Es versteht sich von selbst, daß wir auf Walter nicht verzichten wollten. Er steuerte die interessante Geschichte "Tag der Einheit, der eßbaren und der giftigen Pilze" bei. Seit dieser Zeit vertieften sich unsere freundschaftlichen Kontakte. Walter unterstützte auch unsere Bemühungen um die sechs folgenden Bände mit klugen und interessanten Beiträgen sowie manchem nützlichen Hinweis. Die Titel seiner Texte lauteten: "Molodzy" (Prachtkerle), "Schwarz benötigt viel Licht", "Turbulente Nebenrollen", "Aus voller Kehle gesungen", "Da sind noch Freunde", "Ehre den Standhaften", "Taschenformat DDR" und "Radkorso". In Heidelberg planten Antifaschisten der VVN-BdA zusammen mit Mannheimer Genossen eine Veranstaltung, zu der sie den aus Schwaben stammenden Berliner Historiker Dr. Kurt Gossweiler eingeladen hatten. Als dieser wegen Erkrankung absagen mußte, sprang Walter ein, zumal sich beide bereits seit dem gemeinsamen Besuch der Neuköllner Karl-Marx-Schule in den 30er Jahren kannten. Sein Auftritt in Heidelberg war alles andere als ein "Lückenfüller".

Unvergeßlich ist mir eine Tagesfahrt mit Walter nach Kleinmühlingen zwischen Magdeburg und Schönebeck, wo in Gegenwart Täve Schurs und Heinz-Florian Oertels das Friedensfahrtmuseum eingeweiht wurde. Die Herzlichkeit zwischen Walter und Täve wirkte keineswegs aufgesetzt, sondern entsprang echter Freundschaft und gegenseitiger Wertschätzung zweier Männer, die beide - wenn auch auf durchaus unterschiedliche Weise - im Radsport der DDR Großes geleistet hatten.

Als in Potsdam die VVN-BdA ihrer Tätigkeit neuen Schwung verlieh, gehörte Walter zu den Initiatoren und Hauptrednern der Auftaktveranstaltung. Dabei hatte er einen Disput mit einem anderen Antifaschisten, der - wie mir schien - den "Zeitgeist" allzusehr eingeatmet hatte, während Walter seiner marxistisch-leninistischen Überzeugung treu blieb.

Immer wieder beeindruckte der durch eine harte Lebensschule Gegangene Freunde und Genossen durch sein fundiertes Wissen und eine solide, keineswegs nur auf Politisches beschränkte Allgemeinbildung sowie seine sprachlichen Fähigkeiten. Wenn ich ihn in der Waldstadt-Wohnung besuchte, wurde unser Gespräch des öfteren durch Anrufe unterbrochen. Am Telefon wußte Walter dann seine russischen, französischen und englischen Vokabeln gekonnt einzusetzen.

Mehr als einmal war er bei unseren Potsdamer Veranstaltungen der GBM und des "RotFuchs"-Fördervereins, an denen stets Mitglieder beider Organisationen teilnahmen, zugegen. Seine qualifizierten Diskussionsbeiträge fanden stets Resonanz.

Übrigens hielt er mit seiner Kritik nicht hinter dem Berge, wenn ich seiner Ansicht nach etwas "überzogen" dargestellt oder selbst zuviel geredet hatte.

Obwohl die Ruge-Brüder Walter und Wolfgang gleiches oder ähnliches erlebt hatten - von der Emigration in die UdSSR über die willkürliche Beschuldigung als Staatsfeinde, die Verurteilung zu hohen Haftstrafen und die spätere Rehabilitierung, die der Verbannung nach Sibirien folgte, bis zur Ausreise in die DDR, jeweils mit einer russischen Frau - gab es gravierende Unterschiede im politischen Verhalten beider. Der Historiker Wolfgang, in der DDR Akademiemitglied und Nationalpreisträger, "modifizierte" nach 1989 seine Weltanschauung, während Walter die Gesinnung nicht von Sieg oder Niederlage abhängig machte. Eine Zeitlang schloß man fälschlicherweise auch beim RF von dem einen auf den anderen. Doch nach einer gemeinsamen Reise von "RotFüchsen" und Walter zum Pressefest der portugiesischen KP-Zeitung "Avante!" stand bald auch der Name Walter Ruge auf der Autoren-Liste des RF.

Am 8. Mai 2011 versammelten sich Hunderte - Deutsche wie Russen - am sowjetischen Ehrenmal in Potsdam, um des Tages der Befreiung zu gedenken. Botschaftsvertreter und andere traten dort als Redner auf. Da erhob sich Walter von seinem Klappstühlchen in der ersten Reihe und nahm das Wort. Seine markante Stimme, die keines Mikrophons bedurfte, hallte über den Bassinplatz. Auf Deutsch und Russisch geißelte der standhaft Gebliebene die Verursacher des faschistischen Völkermords, deren Hintermänner in den Konzernzentralen und auch heute Tonangebende. So hörten die Versammelten am Ende doch noch das Wort eines Kommunisten, auf das viele gewartet hatten.

Am 7. November klingelte mein Telefon. Walter beglückwünschte mich zum Jahrestag der Oktoberrevolution. "Ich erwarte Dich dann am Neunten um zehn", schloß er. An jenem Tag aber rief mich seine Tochter Tatjana an, um im Namen ihres Vaters abzusagen. Sie ließ mich wissen, daß dieser sich in einem Brief an die "junge Welt" vom hochgelobten und hochdotierten "literarischen Werk" seines Neffen Eugen scharf distanziert habe.

Tags darauf starb Walter Ruge um 0.30 Uhr in seiner Potsdamer Wohnung.

Den Film "Über die Schwelle" beschließen die Worte dieses exemplarischen Kommunisten: "Mit der Jugend jung bleiben!" Ergänzen wir sein Vermächtnis, indem wir sagen: Mit Walter Ruges Standhaftigkeit weiterkämpfen!

Horst Jäkel, Potsdam

Raute

Wenn die Glienicker Brücke reden könnte ...

Vor 50 Jahren war die Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam Schauplatz einer "Premiere" besonderer Art: Zum ersten Mal in deren Geschichte wurden wegen Spionage inhaftierte und verurteilte Mitarbeiter der Geheimdienste beider sich im Kalten Krieg als erbitterte Feinde gegenüberstehenden Gesellschaftssysteme auf der Grundlage eines Kompromisses ausgetauscht.

Im Völkerrecht gehört Spionage zu den legalen Instrumenten aller Staaten. "Ebenso wie wir ohne bestimmtes Feindbild eine Bundeswehr benötigen, brauchen wir unsere Nachrichtendienste. Zu wissen, was ein anderer Staat kann und macht oder machen will, ist das legitime Interesse eines auf seine Sicherheit bedachten Staates. Die Nachrichtendienste ... sind Ausdruck seiner Souveränität", erklärte ein BRD-Minister.

In der Regel schützen sich Staaten gegen Spionage mit entsprechenden Strafrechtsnormen. Sie wird oft mit hohen Freiheitsstrafen belegt und nicht selten sogar mit lebenslanger Haft oder der Todesstrafe geahndet. Hier sei nur an das Schicksal sowjetischer Aufklärer aus dem Kreis der "Roten Kapelle" erinnert, deren Todesurteile in der faschistischen Hinrichtungsstätte Plötzensee vollstreckt wurden. Nicht anders erging es dem sowjetischen Kundschafter Dr. Richard Sorge, der aus der Tokioter Nazibotschaft Moskau den bevorstehenden Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR signalisierte und in Japan exekutiert wurde.

Am 10. Februar 1962 wurde auf der Glienicker Brücke Geschichte geschrieben. Auf der östlichen Seite stand damals Gary Powers, Pilot eines bei Swerdlowsk durch die Luftabwehr der UdSSR vom Himmel geholten US-Spionageflugzeugs U2. Er hatte von der sowjetischen Justiz eine langjährige Freiheitsstrafe erhalten. Auf der westlichen Seite der Brücke stand Dr. Rudolf Abel, Oberst des sowjetischen Auslandsnachrichtendienstes, der für Moskau in den Vereinigten Staaten als Kundschafter tätig gewesen, in die Hände der US-Abwehrorgane geraten und ebenfalls zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Powers, der wesentlich Jüngere, hatte die Chance, in fortgeschrittenem Alter in sein Land zurückzukehren. Abel mußte damit rechnen, sein Leben in einem USA-Hochsicherheitszuchthaus zu beenden.

Mit dem Austausch von Spionen auf der Glienicker Brücke eröffneten sich bis dahin ungekannte Möglichkeiten, nachrichtendienstliche Quellen im Falle ihrer Enttarnung und Verurteilung per Austausch heimzuholen.

Während der mehr als zweieinhalb Jahrzehnte bis zum Sieg der Konterrevolution in den sozialistischen Staaten Europas folgten noch zahlreiche Austauschaktionen der geschilderten Art.

Zu den unvergessenen Erlebnissen meiner langjährigen Tätigkeit in den Sicherheitsorganen der DDR zählt übrigens eine Begegnung mit Oberst Dr. Rudolf Abel in Dresden. Er berichtete dort vor seinen Waffengefährten aus der DDR vom Wirken in der "Höhle des imperialistischen Löwen".

Ich bin stolz darauf, viele Jahre meines Lebens an derselben Front gestanden zu haben.

Generalmajor a. D. Dr. Dieter Lehmann, Dresden

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Alternativer Stadtrundgang durch Neuhaus

Für viele Menschen in Ost und West ist das Hochglanzbild des Kapitalismus verblaßt. Immer mehr schlagen sich mit Hartz IV durch oder sind sogar auf Suppenküchen angewiesen. Besonders Rentner leben oftmals an oder unter der Armutsgrenze. Aber auch Menschen in Lohn und Brot können häufig nicht von ihrem Einkommen leben und müssen beim Staat Almosen erbitten. Das gilt sogar für manche aus der "Mittelschicht", die noch ein halbwegs "normales" Leben führen können. Auch sie wissen nicht, ob es so bleibt.

Da erinnern sich etliche an das unspektakuläre, aber sichere Dasein in der DDR. Auf Initiative einer DKP-Genossin trafen sich in Neuhaus an der Elbe, einer Kleinstadt der einstigen DDR, Sozialisten und Kommunisten aus Hamburg-Bergedorf, um sich mit Realitäten beider Gesellschaftssysteme vertraut zu machen.

Nun konnten wir den Kapitalismus auch im Osten besichtigen: allenthalben zugeklebte Fenster und leerstehende Läden. Dafür aber eine auffallend große Zahl kleiner Mode-Boutiquen, deren Eigentümerinnen recht und schlecht über die Runden kommen. Ein kundiger Stadtführer zeigte uns, wo einmal Bäcker, Fleischer, Molkereiladen und andere Handelseinrichtungen eine funktionierende Nahversorgung gesichert haben. Sie konnten gegen die Konkurrenz kapitalstarker Konzerne nicht bestehen. Mit Geschäften und kleinen Handwerksbetrieben gingen auch viele Arbeitsplätze verloren.

Wir erfuhren, daß sich Produktion und Verteilung - bei allen eingeräumten Schwächen - am Bedarf der Bevölkerung orientierten und nicht an den Profiterwartungen der Kapitalbesitzer. Arbeitsproduktivität, Einkommen und Lebensstandard waren zwar niedriger als in der Bundesrepublik, aber alle Menschen hatten Arbeit, Wohnung und genug zu essen. Als Ärgernis erwies sich, daß das im Umlauf befindliche Geld die vorhandene Warenmenge überstieg, so daß es durch sogenannte Exquisitläden abgeschöpft werden mußte.

Im Gesundheits- und Bildungswesen war die kleine Stadt gut versorgt. Zwar entsprach das Erscheinungsbild der Fassaden vieler alter Gebäude nicht den von Stahl und Glas geprägten Neubauten im Westen. Es gab aber eine Klinik mit Ambulanz und eine Polytechnische Oberschule, die allen Kindern und Jugendlichen ein gutes Bildungsniveau garantierte. Oft reichte die Zahl der Bewerber für bestimmte Berufe nicht aus. Heute stellt sich die Lage ganz anders dar. Der alte Landarzt ist wieder im Dienst. Das dreigliedrige Schulsystem, das wir auch bei uns kennen, wurde erneut eingeführt.

Ein solcher Tag in dieser für viele von uns "fremden Welt" konnte natürlich nur einen ersten Eindruck vermitteln. Interessant wäre es zu erfahren, wie die Menschen im Ort ihr Leben früher und heute selbst beurteilen.

Haben sich die Werktätigen in einem sozialistischen Betrieb damals als "Herren der Produktion" gesehen oder - wie in der Bundesrepublik - als Lohnarbeiter gefühlt? "Man weiß oft erst hinterher, was man gehabt hat", hörten wir wiederholt. Grund genug, Gespräche dieser Art bei weiteren Alternativen Stadtrundgängen fortzusetzen.

(Siehe hierzu auch den Leserbrief von Elke Schürmann aus Laake, d. Red.)

Peter Gohl, Hamburg

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Wie ein über 80jähriger Sympathisant auf die PDL blickt

Macht die Partei nicht kaputt!

Nach einem langen, politisch engagierten Leben schmerzt es, mit ansehen zu müssen, wie vor allem junge, intelligente, nicht unwissende Funktionäre der "Linken" in Reformismus machen, was seit Jahren dazu geführt hat, daß die Partei das Vertrauen nicht weniger Mitglieder und vieler Wähler verspielte. Mit ihren Vorstellungen von Pluralismus zerlegte sie sich selbst. Das Gerangel um Posten und Pöstchen, die lächerlich wirkenden Versuche, sich durch Kniefälle vor allem bei der SPD beliebt zu machen, das Bestreben, einen lupenreinen "demokratischen Sozialismus" aus der Retorte zu ziehen, wirken abstoßend.

"Die Linke", vormals PDS, stand schon mehrere Male am Abgrund, besonders durch die dauernden Querelen ihrer Funktionäre und die Prinzipienlosigkeit jener, welche um jeden Preis regieren wollen. Das war in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin so, auch in Brandenburg dürfte das Endergebnis kaum anders ausfallen.

Das Wichtigste für eine sozialistische Partei ist deren Geschlossenheit auf prinzipieller Basis. Wer seine Grundsätze verkauft, hat verloren. Wann werden gewisse Funktionäre der PDL endlich den Mut aufbringen, wissentlichen Entstellungen der DDR-Geschichte zu widersprechen und das Büßerhemd abzuwerfen?

Die meisten PDL-Wähler interessiert es übrigens nicht, ob sich Spitzenpolitiker der Linkspartei Gedanken über den noch in weiter Ferne liegenden Kommunismus machen und wie sie Fidel Castro zum 85. Geburtstag gratulieren, wobei es natürlich absurd wäre, eine Gratulation mit Kritik zu verbinden. Auch das Mauerthema haben die meisten längst hinter sich gelassen, weil - wie selbst Egon Bahr gesagt hat - darüber genug gesprochen und geschrieben worden ist.

Absurd wirkt, wenn Roland Claus, der sich einst bei USA-Präsident Bush für das Friedenstransparent einiger aus seiner Fraktion entschuldigte und jetzt den Ostkoordinator der PDL gibt, schon kurz nach der Berliner Wahl verkündete, "Die Linke" habe "den Osten vernachlässigt". Nach "den schwierigen Wahlergebnissen" müsse man "den Osten wieder zu ihrer Kernkompetenz entwickeln". Claus weiß genau, daß es keine "schwierigen Wahlergebnisse" sondern nur Schlappen gibt. Offenbar wollte er vor Lafontaines Rückkehr warnen. Ein gerüttelt Maß Überheblichkeit gegenüber den Genossen im Westen!

Wer die Entwicklung der PDS/PDL sachlichkritisch verfolgt hat, stellt ein einziges Auf und Ab fest, weil politische Inhalte und praktische Politik nicht übereinstimmten. Man suchte die Fehler immer dort, wo sie gar nicht waren. Meist fehlte es an Selbstkritik. Dabei gingen die Streitigkeiten nicht selten von einstigen PDS-Funktionären aus, die so taten, als hätten sie den Sozialismus "mit Löffeln gefressen", während sie sich tatsächlich von ihm abwandten. Zugleich klebten sie standhaft gebliebenen Marxisten Etiketten wie Betonköpfe, Stalinisten, Altkommunisten und Ewiggestrige auf. Frau Pau, die längst auf gegnerische Positionen übergegangen ist, blies in das Horn derer, welche die DDR als "Unrechtsstaat" verunglimpfen. Schritt für Schritt war die PDS bereits durch den als "Vordenker" posierenden Rechtsaußen André Brie ihres sozialistischen Inhalts beraubt worden. Mit der Präsentation seiner Theorien, die eine unmißverständliche Abkehr vom Marxismus darstellten, begann der innerparteiliche Kampf, erfolgte die Bildung zweier Lager innerhalb der PDS. Man kann getrost Klaus Steinigers Formulierung im Leitartikel des Oktober-RF übernehmen: "Die PDL zerfällt augenscheinlich in eine linkssozialistische und eine in rechtssozialdemokratischen Gewässern navigierende Gruppierung."

Ich erinnere mich jenes spektakulären Parteitags, auf dem sich Gysi, Brie, Dietmar Bartsch und andere zeitweilig und nicht gerade rühmlich aus den Führungspositionen abseilten. Nach dem Intermezzo der später nach Brüssel verfrachteten Gabi Zimmer traten Gysi und Bisky wieder an die Parteispitze. Doch auch das von ihnen als Wunderwaffe ins Spiel gebrachte "strategische Dreieck" erwies sich als Schuß in den Ofen. Die PDS erreichte nicht mehr den Status einer Fraktion und mußte sich im Bundestag mit zwei Abgeordneten begnügen. Gysi erwies sich im Laufe der Jahre als glänzender Rhetoriker mit populistischer Ausstrahlung, aber ohne theoretisch-ideologischen Tiefgang. Auf eine Frage des ND, ob er deutliche Kritik scheue und bei niemandem anecken wolle, antwortete Gysi: "Ja, das ist ein Problem meines ganzen Lebens ... Ich bin Zentrist, der sich zur Aufgabe gestellt hat, die verschiedenen Richtungen zusammenzuhalten. Das ist gelegentlich auch eine einsame Rolle zwischen allen Stühlen."

Manche gingen noch weiter. Bereits am 25. Juni 2002 erklärte der damalige Berliner PDS-Vorsitzende Stefan Liebich, die PDS müsse sich bei der Regierungsbeteiligung "auch ein wenig als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus betätigen, was ihrer Autorität nicht schadet". Damals verließen Genossen scharenweise ihre Partei, die einen schweren Vertrauensverlust erlitt.

Nach der Vereinigung von WASG und PDS zur PDL bestand noch einmal die Möglichkeit, daß sich die neue politische Formation trotz allen Ränkespiels und der unterschwelligen Ablehnung Lafontaines zu einer linken Volkspartei entwickeln könnte. Während es ihr gelang, mit beachtlicher Fraktionsstärke wieder in den Bundestag einzuziehen, attackierte André Brie 2009 in einem "Spiegel"-Essay den "Lafontainismus". Die als Reformer und Zentristen verkleideten Rechtsopportunisten untergruben systematisch das Prestige des Saarländers, um seinen Rückzug aus der PDL-Bundespolitik zu erreichen, wobei dessen damalige Erkrankung ihr Spiel erleichterte.

Den großen Einbruch brachte der Herbst 2011. Vor allem das von den "Realos" zu verantwortende Debakel bei den Berliner Wahlen schlug dem Faß den Boden aus. Soll "Die Linke" weiterbestehen und aus ihrer derzeitigen Lage herauskommen, dann müßte sie prägnanten Leitlinien folgen. Dazu gehörte in erster Linie der Verzicht auf faule Regierungskompromisse, die Forderung, die Banken und die Schlüsselindustrie zu verstaatlichen, das Verlangen nach Verzicht auf jeglichen Bundeswehreinsatz in anderen Ländern sowie die von Oskar Lafontaine postulierte Legalisierung des politischen Generalstreiks als Kampfform.

Rouzbek Taheri stellte im November 2004 dem ND gegenüber fest: "Die Glaubwürdigkeit einer Partei resultiert aus zweiQuellen: dem, was sie sagt und dem, was sie tut."

Mit meinen hier niedergeschriebenen Gedanken wende ich mich als über 80jähriger vor allem an jene Linken, welche derzeit Parteifunktionen innehaben und von denen ich genau weiß, daß sie den "RotFuchs" zwar lesen, aber an den meisten Artikeln etwas auszusetzen haben, da Kommunistenschelte nun einmal ihr Metier ist. Dabei ziehen sie Jahr für Jahr ohne Zögern unter roten Fahnen zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde, wo Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht - die Begründer der KPD - ruhen.

Wir Alten hoffen, daß nicht alles umsonst gewesen ist, was wir begonnen haben. Wir wollen keinen Dank, denn wir haben nur unsere Pflicht getan. Was wir indes einfordern möchten, ist Respekt vor den Leistungen unserer Generation. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, was wir sagen und wovor wir warnen. Schließlich sollte nicht vergessen werden, daß vor allem wir es waren, die 1989/90 in besonderem Maße dafür gesorgt haben, daß eine sozialistische Partei in Deutschland erhalten blieb. Macht sie nicht kaputt!

Oberstleutnant a. D. Günter Bartsch, Berlin

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Linke Alternative oder Selbstbedienungsladen mit konträren Angeboten?

Überlegungen eines Marxisten in der PDL

Insgesamt ist dieses Programm gewiß kein marxistisches, aber weitgehend antikapitalistisch, antifaschistisch und klar auf Frieden orientiert. ... Entscheidend wird die politische Praxis sein", urteilte das DKP-Organ "Unsere Zeit" am 28. Oktober in seiner Analyse des in Erfurt beschlossenen Grundsatzdokuments. So beschreibt man in aller Regel eine tendenziell fortschrittliche Kraft, die einen wichtigen Bündnispartner darstellt, an dessen Erhalt man interessiert ist.

Ich bin indes der Meinung, daß sich Marxisten - auch jene innerhalb der PDL - in ihrer Kritik an rechtslastigen Kräften allzu defensiv und zurückhaltend bewegt haben. Allein aus Gründen des Erhalts der Einheit der Partei um jeden Preis alles andere zurückstellend haben sie allenfalls ein Patt, wohl eher aber eine taktische Niederlage hingenommen.

Eine Analyse der teils aus bourgeoisen, teils aus marxistischen Quellen unter Berücksichtigung sämtlicher Partikularinteressen innerhalb der PDL bunt zusammengemixten Programmpunkte soll hier nicht stattfinden, zumal sich ja Prof. Ingo Wagner in der Januarausgabe des RF dazu recht umfassend geäußert und Stärken wie Schwächen untersucht hat.

Eine marxistische Kritik des Kurses einer Partei oder Gruppe unter Zugrundelegung ihrer jeweiligen Programminhalte und bei Beachtung ihres Führungspersonals ist indes unabdingbar. Bei der PDL besteht die Gefahr einer offenen oder schleichenden Sozialdemokratisierung, wobei sich auch manche, die bisher für ihren marxistischen Durchblick bekannt waren, in die Gefilde einer nebulösen "Mitte" begeben und den Verlockungen der "Profilierung" in bürgerlichen Medien nicht widerstehen können. Über gute Kenntnisse im Marxismus verfügende Kräfte in der Partei gehen da das Risiko ein, als "Alibi-Linke" und Feigenblatt für die ganz anders geartete Politik tonangebender Reformisten in der PDL betrachtet zu werden. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an Christian Ströbeles Los bei den Grünen. Er dient als ein aufrechter linksgerichteter Politiker einer völlig anders gearteten Mehrheit seiner Partei als Aushängeschild.

Indes ist auch die von einigen vertretene These, ein Linker unter Rechtsabweichlern sei generell schädlicher als diese selbst, nicht zu akzeptieren, wie uns Erfahrungen der Bündnispolitik lehren.

Betrachten wir "Die Linke" nicht unter dem von ihr selbst ja keineswegs erhobenen Anspruch, eine marxistische Partei zu sein oder sein zu wollen, sondern als eine derzeit unverzichtbare antifaschistisch-demokratische Friedens- und Sozialpartei mit vorerst beachtlicher parlamentarischer Verankerung in der BRD. Unter den Bedingungen faschistoider Bedrohung im nationalen und europäischen Maßstab kommt es für konsequent links orientierte Kräfte mehr denn je darauf an, sich gegenüber allen zu öffnen, die dieser Gefahr gemeinsam begegnen wollen. Unter einem solchen Blickwinkel macht es durchaus Sinn, sich in der PDL oder im Rahmen einer Bürgerinitiative für begrenzte taktische Teilforderungen einzusetzen. Zu messen ist die Partei weniger an ihrem durchaus begrenzten Vorzeigeprogramm, sondern vor allem an ihrer politischen Praxis und realen Bündnisfähigkeit vor Ort. In Hamburg und Hessen arbeitet die PDL z. B. kameradschaftlich mit der DKP zusammen, in Niedersachsen ist das seit dem unerfreulichen Verhalten der PDL-Fraktion gegenüber der DKP-Landtagsabgeordneten Christel Wegner vorerst nicht der Fall.

Auf allen Parlamentsebenen, wo Leute wie die Liebichs, Lederers und Wolfs mit der SPD prinzipienlos koalieren, wurden nicht einmal Teilziele erreicht, sondern geradezu reaktionäre Entscheidungen zum Schaden der arbeitenden Bevölkerung begünstigt. Andererseits setzen sich Mitglieder der Linkspartei in zahlreichen Stadt- und Gemeindeparlamenten engagiert und erfolgreich für wichtige Anliegen ein. Die Sammlung fortschrittlicher Kräfte im weitesten Sinne - auch in Bürgerinitiativen - sollte die Richtschnur für das Handeln von Kommunisten in der PDL sein.

Wo sich die Partei hingegen objektiv reaktionär verhält, verhindert sie selbst die Zusammenarbeit. Sie wird vom Konflikt zwischen dem Anspruch ihres Programms und der Subjektivität ihrer Praxis beherrscht. Man konstatiert dabei völlig gegenläufige Aktivitäten und Haltungen in bezug auf kommunale Vorhaben, Fragen der jüngeren Geschichte und der internationalen Solidarität. Leider erfährt diese gegenüber Palästina, Kuba und revolutionären Kräften in der Dritten Welt eine rückläufige Entwicklung. Ebenso verhält es sich mit der Geschichtsbewertung, vor allem im Hinblick auf die Darstellung der DDR und anderer vormals sozialistischer Länder. Zum Rechtsopportunismus tendierende Gliederungen der PDL, die in vorauseilendem Gehorsam bei Mauer-Verdammnis-Feiern klein beigeben oder im Bildzeitungsstil in das Horn der Verfechter eines Anzeigenboykotts gegen die "junge Welt" stoßen, sind aus meiner Sicht weder wählbar noch stellen sie eine politische Heimat für linke Parteimitglieder oder junge Genossen dar, an denen es nach wie vor mangelt.

Solange Kommunisten in der Partei geduldet werden, sollten sie ihren Widerstand gegen eine sich besonders mit der Bartsch-Kandidatur abzeichnende Rechtsentwicklung nicht aufgeben. Leider darf auch nach dem Erfurter Parteitag, der - vor allem auch aus taktischen Gründen - eine bemerkenswerte Geschlossenheit demonstrierte, in der PDL weiterhin "jeder Hans und Franz" seine teilweise abstrusen politischen Stilblüten unter dem Dach eines trügerischen Pluralismus und mit dem Anspruch gleichberechtigten politischen Gewichts von sich geben.

Die Zerrissenheit dauert an, und der Kampf um die Führung der PDL entbrennt gerade erst. Im Vorfeld des Göttinger Parteitags ist damit zu rechnen, daß erbitterte Auseinandersetzungen um die neue Spitze stattfinden werden.

Das durchaus widerspruchsvolle Erfurter Parteiprogramm verdeckt einstweilen noch den knallharten Konflikt zweier miteinander unvereinbarer Linien, zumal in theoretisch-ideologischen Fragen tatsächlich keine Klarheit und Verbindlichkeit geschaffen worden ist. Auch wenn in Erfurt eine offene Spaltung oder gar Auflösung der PDL abgewendet wurde, hängt dieses Damoklesschwert weiter über der Partei. Zur Zeit läßt der in der thüringischen Landeshauptstadt ausgehandelte "große Kompromiß" wohl eher auf ein Übergewicht jener Zentristen schließen, die nunmehr Willy Brandt unter die Großen der Partei einreihen möchten, als auf eine profilierte Lösung im Sinne der Vorstellungen marxistischer Kräfte in der Partei.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Nach der erlittenen Niederlage sollte uns Lenins Leitsatz inspirieren:

Geschlagene Armeen lernen gut

Nach mehr als 21 Jahren "deutscher Einheit" schärfen sich jetzt die Vorstellungen darüber, was dieses Ereignis eigentlich bewirkt hat. Zunächst einmal: Für den damals ökonomisch schwer angeschlagenen deutschen Imperialismus bedeutete der Anschluß der DDR an die BRD einen "Befreiungsschlag". Er konnte einer unmittelbar drohenden Krise durch die Eroberung neuer Ressourcen und Absatzmärkte entrinnen. Die BRD wurde innerhalb von zwei Jahrzehnten zu einer wirtschaftlichen und politischen Macht ersten Ranges. Sie übt inzwischen - mit Frankreich im Schlepptau - die Vorherrschaft über ganz Europa aus. Der deutsche Imperialismus ist dabei, den Zweiten Weltkrieg - wenn auch nicht mit militärischen Mitteln - nachträglich doch noch zu gewinnen. Heute gilt wieder die Devise: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen oder - in den Worten des CDU-Fraktionsführers Volker Kauder: "Europa spricht wieder deutsch!" Der rechtskonservative Jaroslaw Kaczinski schreibt in seinem Buch "Das Polen unserer Träume", Angela Merkel vertrete eine Generation von Politikern, die Deutschland wieder zur Großmacht aufbauen wolle. Anzeichen für eine solche Strategie liefert die komplexe europäische Wirtschafts- und Finanzkrise, bei deren "Bewältigung" die BRD immer hörbarer die erste Geige spielt.

Lenin hatte recht, als er 1915 die von der Sozialdemokratie kreierte Losung eines vereinigten Europas mit den Worten kommentierte: "Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d. h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die 'fortgeschrittenen' und 'zivilisierten' Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär." Natürlich seien zeitweilige Abkommen der europäischen Kapitalisten nicht auszuschließen. Und Lenin fragte: "Worüber? Lediglich darüber, wie man gemeinsam den Sozialismus in Europa unterdrücken kann." (LW 21, S. 343/345)

Die gegenwärtige Krise bestätigt anschaulich, daß der Imperialismus als System historisch überholt ist und der Sozialismus "vor der Tür steht", wobei es allerdings am Reifegrad des subjektiven Faktors, d. h. der Gegenkräfte, fehlt, die eine solche Schwäche zu seiner Überwindung nutzen könnten. Der sozialistische Gedanke bewegt seit Jahrhunderten nicht wenige Menschen. Doch die utopischen Sozialisten kamen mit ihren Vorstellungen zu früh, die Pariser Kommunarden des Jahres 1871 waren zu unerfahren und überdies auf eine Stadt beschränkt. Noch konnte der aufsteigende Kapitalismus seine fortschrittlichen Potenzen unter Beweis stellen. Selbst Marx und Engels hoben im Kommunistischen Manifest die Tatsache der sich rasch vollziehenden Entwicklung der Produktivkräfte hervor, sahen aber bereits die reaktionären Seiten des Kapitalismus, wie sie bei der sich anbahnenden Aufteilung der Welt in Einflußsphären und in der Ausdehnung der Kolonialherrschaft zutage traten. Der Imperialismus war und ist nicht allein an einer rasanten wirtschaftlich-technischen Entwicklung zu messen, sondern vor allem auch an seiner Todfeindschaft gegenüber sozialen Lösungsmodellen sowie an seiner Unterdrückungs- und Expansionspolitik.

Lenin hat all das in seiner 1916 geschriebenen Arbeit "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" bereits nachgewiesen. Es wäre angebracht, auch für die Bewertung des aktuellen Geschehens dieses Werk immer wieder zu Rate zu ziehen. Vor allem zwei Aussagen treffen auf die heutige Situation exakt zu. Lenin schrieb: "Der Imperialismus ist die fortschreitende Unterdrückung der Nationen der Welt durch eine Handvoll Großmächte. Er ist die Epoche der Kriege zwischen ihnen um die Erweiterung und Festigung der nationalen Unterdrückung" (LW 21, S. 416). Überdies traf er die Feststellung: "Der Imperialismus, d. h. der monopolistische Kapitalismus, zeichnet sich kraft seiner grundlegenden ökonomischen Eigenschaften durch geringe Friedfertigkeit und Freiheitsliebe und sehr große, überall wahrzunehmende Entwicklung des Militarismus aus" (LW 28, S. 237).

Ein historischer Anlauf, dem Imperialismus, der den Ersten Weltkrieg entfesselt hatte, ein Ende zu bereiten, war 1917 die Oktoberrevolution. Lenin und der bolschewistischen Partei zu unterstellen, sie hätten "die Geschichte überlisten" wollen, ist trivial und hat mit seriöser Geschichtsbetrachtung nichts gemein. Den Bolschewiki gebührt vielmehr das Verdienst, aus der objektiven Entwicklung die notwendigen Schlüsse gezogen zu haben.

Natürlich ließ sich Lenin von der Hoffnung leiten, das westeuropäische Proletariat, insbesondere das deutsche, werde dem russischen Beispiel folgen. Er gestand sogar ein, "daß nach dem Sieg der Revolution auch nur in einem der fortgeschrittenen Länder" (wobei er besonders Deutschland im Auge hatte - R. D.) "aller Wahrscheinlichkeit nach ein jäher Umschwung eintreten" werde, "so daß Rußland bald nicht mehr ein vorbildliches, sondern wieder ein (im sozialistischen Sinne - R. D.) rückständiges Land sein wird" (LW 31, S. 5/6). Theoretische Schwäche und politische Feigheit der Führer der westeuropäischen Arbeiterparteien, vor allem der SPD, waren die Ursache dafür, daß die Russen allein gelassen wurden.

Der Weg Lenins und seiner Partei war kühn und richtig, wenn auch voller Probleme. Fehler und Irrtümer gehörten dazu. Aber der Geschichtsverlauf ist niemals geradlinig. Der historische Prozeß vollzieht sich oftmals im Zickzack, was führenden politischen Kräften hohes Können abverlangt.

Die Oktoberrevolution war der erste Anlauf, den Erfordernissen der Zeit gerecht zu werden. Nicht anders verhielt es sich mit der späteren Entstehung des sozialistischen Weltsystems. Dessen Niederlage hatte objektive und subjektive Ursachen, die sowohl in den ökonomischen Ausgangsbedingungen der jeweiligen Länder als auch in der unzureichenden Fähigkeit von Führungen zu suchen sind. Fidel Castro traf den Nagel auf den Kopf, als er in einer Rede vor Studenten feststellte: "Unter den vielen Fehlern, die wir begangen haben, war der bedeutendste zu glauben, daß jemand etwas vom Sozialismus verstand oder wußte, wie er aufgebaut wird. Er schien eine erforschte Wissenschaft zu sein, so erforscht wie das elektrische System."

Die Oktoberrevolution der Russen, ihre Bemühungen um eine sozialistische Gesellschaft, die Herausbildung eines sozialistischen Weltsystems - all das war ein Morgenrot für die Menschheit. Das Geleistete ist zu würdigen, die Mängel muß man erfassen, um sie künftig vermeiden oder rascher korrigieren zu können. Hätte der Funke des Sozialismus damals auch auf den Westen Europas übergegriffen, sähe die Welt heute vermutlich ganz anders aus.

Lenin, der politische Fehler auf dem Weg zur sozialistischen Gesellschaft stets in seine Überlegungen einbezog, war der Meinung, daß erlittene Niederlagen den Lauf der Dinge nur zeitweilig aufhalten können. Mit seiner von historischem Optimismus geprägten Äußerung: "Geschlagene Armeen lernen gut" (LW 9, S. 138) trug er der Realität Rechnung. Auch die heutige sozialistisch-kommunistische Bewegung Europas sollte diesem Hinweis folgen und die Flinte nicht ins Korn werfen.

Dr. Rudolf Dix

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Über die ersten Sprossen einer "Karriereleiter" im Westen

Bestwerte vom DDR-Sprungbrett

Dies ist eine wahre Geschichte, obwohl die Namen der handelnden Personen wie auch die Schauplätze des Geschehens aus gutem Grund verändert wurden. Der "RotFuchs" inspirierte mich, sie aufzuschreiben: Im November-Heft leitete Philipp Legrand aus Niedersachsen seinen Beitrag mit der Feststellung ein, die soziale Herkunft der Kinder sei für eine erfolgreiche Laufbahn ganz entscheidend.

Als Zeugen dafür können auch Martin und seine alleinerziehende Mutter gelten. Beide lebten bis 1990 im Osten Berlins, der DDR-Hauptstadt. Sie besaßen und nutzten die sich dort bietenden enormen Bildungsmöglichkeiten. Denn wer an eigenem Fleiß nicht sparte, konnte "seinen Weg" oder - wie das heutzutage heißt - Karriere machen: Martins Mutter absolvierte die zwölfklassige Erweiterte Oberschule, studierte nach dem Abitur Jura und übernahm im Besitz des Diploms verantwortungsvolle Aufgaben als Justitiarin in einem volkseigenen Außenhandelsunternehmen. Später wechselte sie in ein Institut der Akademie der Wissenschaften der DDR, wo sie promovierte und Spezialistin für ausländisches Recht und Rechtsvergleich wurde. Auch ihr Sohn Martin ließ es weder an Wißbegier noch an Lerneifer fehlen. Seit dem ersten Schuljahr gehörte er zu den Besten in seiner Klasse.

Dann jedoch mußten beide zunächst mit einem scharfen Einschnitt in ihrem Lebenslauf zurechtkommen. Nach dem Untergang der DDR und deren Anschluß an die BRD verlor Martins Mutter ihren Arbeitsplatz. Die Suche nach Möglichkeiten einer neuen Existenz führte sie nach Westdeutschland, wo es ihr schließlich gelang, in Düsseldorf als Rechtsanwältin zugelassen zu werden. Martin mußte die Berliner Schulbank mit einem Gymnasiumsplatz in der Rheinmetropole tauschen.

Beide waren zum Zeitpunkt ihrer Übersiedlung in den Westen nicht ganz mittellos. Aus der DDR brachten sie ein beachtliches Kapital mit, das sich zwar nicht in Scheinen oder Aktien ausdrückte, doch einen weit höheren Wert besaß. Durch ihre im sozialistischen deutschen Staat erworbene berufliche oder schulische Qualifikation gehörten sie - obwohl aus "einfachen Verhältnissen" kommend - im Westen auf einmal zur "sozial gehobenen Schicht".

Das bewahrte sie nicht vor Schwierigkeiten, zumal Martins Mutter angesichts der erbitterten Konkurrenzkämpfe unter den Anwälten von Beginn an gegen den Strom schwimmen mußte. Martin hingegen brauchte nur etwas Geduld und ein "dickes Fell", bis ihn seine westgeprägten Mitschüler als gleichwertig akzeptierten, wobei seine Leistungen meist über den ihren lagen. Und dann trat zu den in der DDR erworbenen Kenntnissen, die ihm gute Startbedingungen im Westen verschafft hatten, auch noch "Vetter Zufall" auf den Plan. Während einer Pause trieb ihm der Wind auf dem Düsseldorfer Schulhof einen Flyer buchstäblich vor die Füße. Neugierig hob er ihn auf und hielt ein verlockendes Angebot in Händen: Man suchte Austauschschüler, die für ein ganzes Jahr in die Vereinigten Staaten zu gehen bereit waren. Ohne Kosten für die Interessenten, hieß es da. Ein Abgeordneter des Bundestages, der gemeinsam mit dem USA-Kongreß Träger des Austausches sei, nehme die Bewerbungen entgegen. Auf dem Papier waren auch die Koordinaten des für den Wohnort von Martin zuständigen Ansprechpartners notiert. Es handelte sich um einen Herrn aus der FDP-Fraktion, der obendrein Rechtsanwalt war. Ohne Wissen seiner Mutter versuchte Martin sein Glück. Er schickte dem Verteiler eines Freiplatzes in "Gottes eigenem Land" seine Bewerbung und erhielt die Zusage.

Genauer betrachtet trat der Zufall indes nicht als blinder Glücksbringer in das Leben des jungen Mannes. Dessen langjährig glänzende Schulzensuren stellten natürlich die Vorbedingung für das Erlangen des Flugtickets und des Studienplatzes in den USA dar. Doch den Ausschlag gab auch hier die "soziale Herkunft": Als Sohn einer promovierten Rechtsanwältin mit dem "Stallgeruch" jener Klasse, aus welcher der FDP-Mäzen mit Bundestagsmandat selbst stammte, lag Martin meilenweit vor seinen Mitbewerbern. Auch dieses Mal entsprach der Vorgang den "Gesetzmäßigkeiten der sozialen Selektion".

Ich stellte mir im Umkehrschluß vor, was wohl geschehen wäre, hätte unser Bewerber in seinem Schreiben als Beruf der Mutter "Kassiererin bei ALDI" oder "Reinigungskraft" angeben müssen. Der kurze Weg in den Papierkorb wäre seinem Ersuchen sicher gewesen. Das Tor zum Ein-Jahres-Schulbesuch im USA-Bundesstaat Kalifornien hätte sich für Martin nie und nimmer geöffnet.

So also erwies sich das in der DDR erworbene Bildungserbe von Mutter und Sohn als Sprungbrett für Martin in respektable berufliche Perspektiven. Aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt, wo sich unser Freund sehr schnell englische Sprachkenntnisse aneignete, machte er das Abitur, studierte Geowissenschaften und promovierte am Max-Planck-Institut zum Dr. rer. nat. mit einer Dissertation, deren hohe Qualität ihm obendrein noch einen Wissenschaftspreis verschaffte.

Dem "vereinigten Deutschland" ging Martin allerdings - wie unzählige andere Talente - als hochgebildeter, kreativer Nachwuchswissenschaftler verloren. Er zog es vor, sich anderswo nach einer geeigneten Arbeitsstelle umzusehen. Prestigereiche Institute in der Schweiz, Australien und den USA suchten ihn für ihre naturwissenschaftlichen Forschungen zu gewinnen. Er entschied sich schließlich für eine Einrichtung in den Vereinigten Staaten.

Ich weiß nicht, ob sich Martin heute noch darauf besinnt, daß seine "Karriere" ihre frühen Wurzeln in der vor mehr als 21 Jahren untergegangenen DDR hatte. Dem dümmlich-gehässigen Zerrbild seiner einstigen Heimat, das einer diesbezüglich erfahrungslosen Generation aufgedrängt wird, dürfte er wohl kaum Glauben schenken. Denn das Land, dem Martin und dessen Mutter ihren "sozialen Aufstieg" im Westen auch verdanken, war natürlich ein völlig anderes als jenes, welches die kapitalistischen Sieger dieser Runde der Geschichte und deren verlogene Journaille zu verbreiten bemüht sind.

Wolfgang Clausner

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Interbrigadist, Partisan und engagierter DDR-Bürger: Albert Stierwald

An drei Fronten gegen die Faschisten

Der Lebensweg Albert Stierwalds begann in der Salz- und Kalisalzbergwerksregion Staßfurt. Am 1. Januar 1903 wurde er im dortigen Löderburg geboren, wo er seine Jugend verlebte und in einer proletarischen, politisch aktiven Familie aufwuchs.

Albert hat mir seine Lebenserinnerungen in der Hoffnung anvertraut, diese so auch nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen. Als Pate der von mir unterrichteten und geleiteten 7. Klasse der damal igen Polytechnischen Oberschule in Löderburg sagte er den Schülern immer wieder: "Lernt aus dem, was wir in den verschiedensten Klassenkampfsituationen durchstehen mußten! Zieht daraus Schlüsse für euer eigenes Leben!"

Albert Stierwald sprach - einer Bitte der Kreisgeschichtskommission nachkommend - seine Lebenserinnerungen auch auf Tonband, womit er den Geschichtsunterricht an sämtlichen Schulen des damaligen Kreises Staßfurt wirksam unterstützte.

Schon als junger Metallarbeiter fand Albert den Weg zu den Klassenorganisationen der Arbeiter. 1919 wurde er Mitglied des Deutschen Metallarbeiterverbandes, 1931 trat er der KPD bei. Der Verhaftung durch die Gestapo konnte er sich 1936 durch die Flucht nach Frankreich entziehen. Als die Franco-Faschisten die Spanische Republik bedrohten, ging er als Kämpfer der Interbrigaden an die Front.

Zunächst gehörte Albert Stierwald der Gruppe Thälmann, dann der "Centuria Thälmann" an, die unter dem Kommando des deutschen Kommunisten Albert Schreiner stand. Er nahm zwischen 1936 und 1939 an zahlreichen Kämpfen teil. In seinem Einsatzbuch stehen u. a.: "Brunete, Quinto Belchite, Aragon-Front, Tardienta-Front, Verteidigung Madrids, Schlacht am Jamara, Entlastungsoffensive an der Ebro-Front."

Als die Internationalen Brigaden 1939 auf Beschluß der spanischen Volksfront-Regierung unter dem Druck des "Nichteinmischungskomitees" der Westmächte abgezogen wurden, während Hitlers und Mussolinis Legionen im Lande verblieben, meldeten sich viele Interbrigadisten, unter ihnen Albert Stierwald, ein zweites Mal zum Einsatz, um den Vormarsch der Faschisten in Katalonien aufzuhalten. In seinen Erinnerungen notierte Albert dazu: "Hier waren wir jeden Tag im Kessel und kämpften mutig und verzweifelt gegen die Feinde des spanischen Volkes, die ja auch unsere Feinde waren. Wir gaben unser Letztes, konnten aber der zahlenmäßigen Überlegenheit der faschistischen Truppen nicht standhalten und mußten am 10. Februar 1939 Katalonien aufgeben. In einem Pyrenäen-Grenzort hatten wir unsere Waffen abzuliefern und wurden in einem Lager auf französischem Territorium interniert.

Trotz heldenhaften Widerstandes und erfolgreicher Offensiven unterlag die Republik der Reaktion. Am 25. Januar fiel Barcelona, und am 28. März mußte auch die Hauptstadt Madrid infolge Verrats kapitulieren."

Mit Hilfe französischer Partisanen konnte sich Albert Stierwald aus dem Lager befreien, um in den Reihen der Résistance den Kampf gegen die Faschisten fortzusetzen. Er gehörte dem 2. Partisanenbataillon an und wurde von Frankreich für seine Einsätze mit dem Croix de Guerre avec etoile de bronze (Kriegskreuz mit Bronzestern) ausgezeichnet. Bis 1946 stellte er sich dem "Nationalkomitee Freies Deutschland" in Paris zur Verfügung. Noch im selben Jahr im Range eines französischen Leutnants nach Löderburg zurückgekehrt, setzte er sich mit ganzer Kraft als Ortssekretär der KPD für ein neues demokratisches Deutschland ein. Mit der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien Mitglied der SED geworden, leistete er eine beispielgebende Arbeit. Bis zu seiner Pensionierung im August 1954 war Genosse Stierwald im Apparat des ZK der SED tätig.

Als er am 13. Mai 1973 verstarb, wurde dem Sarg ein Trauerkissen mit Auszeichnungen vorangetragen. Neben dem Vaterländischen Verdienstorden und der bereits erwähnten französischen Partisanenauszeichnung waren dort die Medaille "Kämpfer gegen den Faschismus 1933-1945" und die Hans-Beimler-Medaille der Interbrigadisten aufgesteckt.

Um Albert Stierwalds Namen bewarben sich in der DDR etliche Kollektive, darunter eine Pioniergruppe der Polytechnischen Oberschule Löderburg, die ihn seit 1970 trug. Auch die Kampfgruppenhundertschaft des Fernsehgerätewerkes Staßfurt wurde 1981 damit ausgezeichnet.

Am 6. Oktober 1988 erhielt die Neubauschule am Staßfurter Tierpark Albert Stierwalds Namen. Natürlich haben ihn die "Denkmalstürmer" der Konterrevolution schon bald nach ihrem zeitweiligen Triumph über den sozialistischen deutschen Staat überall gelöscht. Doch das weiterwirkende Vermächtnis des deutschen Patrioten und proletarischen Internationalisten Albert Stierwald vermochten sie damit nicht auszutilgen.

Dr. Wolfgang Reuter, Magdeburg

Raute

Was "reines Christentum" mit "reinem Kommunismus" gemein hat

Nachdenken über Gott und die Welt

Da ich - selbst in einem medizinischen Beruf tätig - die Welt der Diakonissen besser verstehen wollte, meldete ich mich wenige Jahre nach dem Krieg in der "Jungen Gemeinde für Ältere" an. Am Anfang sangen wir immer ein Kirchenlied, mehr schlecht als recht, beteten aber auch mit dem jungen Pfarrer, um ihm eine Freude zu machen, hatte er es doch nicht leicht mit uns. Wir waren eine bunte Truppe vom frommen Gemeindeglied bis zum aufmüpfigen Studenten, der bereits in der ersten Stunde Gott als eine Erfindung des Menschen in Frage stellte.

Warum sollte er, der Mensch, sich Gott erschaffen haben? Braucht er einen Ansprechpartner in der Not, den er um Hilfe bitten, mit dem er hadern, dem er auch danken kann? Wer oder was ist Gott? Die Menschen aller Religionen glauben an ihn. Er ist der Veranlasser unserer Existenz, aller Freuden und Leiden, aller Völkermorde, Naturkatastrophen, Krankheiten, Unglücke, die Gläubige und Ungläubige gleichermaßen treffen können. Gott macht da keinen Unterschied. Das muß ich hinnehmen, auch wenn ich es als ungerecht empfinde. Der Mensch ist der Bibel zufolge die Krone der Schöpfung, spirituell denken zu können der Edelstein auf ihr. Was Gott tut, das ist wohlgetan, heißt es in der Bibel. Warum soll ich aber an Gott glauben, wenn er keinen Unterschied in der Behandlung von Guten und Bösen kennt?

Ach, wir Menschen können und sollen nicht alles wissen, wir sollen eben - glauben! Das Göttliche ist unfaßbar und unerklärbar wie die Existenz des Weltalls, sein Werden und Vergehen. Gott ist unergründlich. Damit muß ich mich zufriedengeben. Punktum.

Wir haben viel hin und her diskutiert, leider oft genug über unseren guten Pfarrer hinweg, bis der mal erzürnt auf die Bibel schlug: "Darin ist Gott und die Wahrheit!" Wir verlegten schließlich den "Debattierklub", wie Herr W. bitter bemerkte, in unsere Wohnungen, stritten und zweifelten weiter und suchten darüber hinaus nach der besten Art und Weise, wie ein neues, ein ganz neues Deutschland aufgebaut werden könnte - mit oder ohne Gott. Noch war die sozialistische Staatsform nur in ahnungsvollen Ansätzen verwirklicht. Wäre sie je in der Lage, das von Christus und anderen großen Religionsstiftern prophezeite Paradies auf Erden unter bestimmten Bedingungen auf menschliche Maßstäbe zurechtzuschneidern?

Die Verfechter sämtlicher großer Religionen haben sich doch bisher stets an der Seite der oberen Klassen und "Eliten" am einfachen arbeitenden Volke vorbeigebetet, dessen Nöte wohl erkannt, aber nichts dagegen getan oder tun können.

Warum sperrte sich die Kirche so besessen gegen die neue Staatsform, die doch dasselbe wollte, was die zehn Gebote im Alten Testament und die Bergpredigt forderten? Warum nahm die Kirche, die sich so weit von ihren segensreichen Quellen entfernt hat, das Leitmotiv der sozialistischen Gesellschaftsordnung - die Solidarität - nicht wahr und versuchte eine Annäherung anstelle unverblümter Kampfansagen an diejenigen, die aus dem zarten Pflänzchen institutionalisierter Menschlichkeit einen gesunden Baum Humanismus für alle Völker wachsen lassen wollten? War es, weil die versuchten, das ohne Gott zu machen? Das allein kann es wohl kaum gewesen sein.

Gott ist größer, Gott ist allmächtig, Gott ist materiell nichts, aber geistlich alles. Seine Leugnung durch die kleinen Menschen sollte ihm nichts anhaben können. Am lautesten beklagten das die Kirchen, die sich ihrer ideologischen und finanziellen Stützen beraubt sahen.

Die evangelischen Pfarrer bei uns in Neustadt unweit von Dresden waren zu keinem Kompromiß bereit. Stadtpfarrer R. tat alles, jene Bürger, welche ans Werk gingen, mit seinem Zorn auf die neue Ordnung zu verprellen. Sei es in Gesprächen daheim oder im Krankenhaus; auch die sonntägliche Predigt, sogar die Christmette, die wenigstens einmal im Jahr eine volle Kirche versprach, mußten herhalten, damit er von der Kanzel herab gegen den Teufel in Gestalt des Kommunismus zetern konnte.

Am 1. Mai versuchte er mit dröhnendem Glockengeläut die Reden und die Musik auf dem Markt zu übertönen. Er rief seine Gemeindeglieder auf, nicht in staatlichen Läden zu kaufen, nicht in volkseigenen Betrieben, die dringend Arbeitskräfte suchten, tätig zu sein. Hartnäckig verwendete er die alten Namen: So blieb die Clara-Zetkin-Straße weiterhin die König-Albert-Straße, bis er einsehen mußte, daß auch das Kirchenvolk die neuen Bezeichnungen problemlos übernommen hatte.

Er klammerte sich an alte Moralvorstellungen: die größte Leistung der Frau sei das Kinderkriegen, ihr Weben und Wirken in der Familie. Neue Freiheiten, die sich die Frauen nahmen, machten ihm Angst. Neustadts katholischer Priester war da übrigens toleranter. Er hatte ein freundlich-sachliches Verhältnis zu den Behörden aufgebaut. So stand seiner Bitte, das Fronleichnamsfest im Stadtpark feiern zu dürfen, nichts im Wege. Also wurde dieser für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Der feierliche Umzug durch die frühsommerliche Pracht der Anlage lockte etliche Zuschauer an, die Gott wie der SED für dieses Erlebnis dankten.

Doch der Streit zwischen Kirche und Staat vertiefte sich, keiner hörte dem anderen zu. Der Kirche fehlte es an Erneuerungswillen und dem jungen Staat noch an Weisheit. Beide konnten sich nicht miteinander arrangieren. Der Staat nutzte seine Macht und nahm der Kirche jene politischen Rechte, welche ihr unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen im Laufe der Jahrhunderte zugewachsen waren. Er drängte sie unter das Kirchendach zurück. Dabei hätten beide ein recht gutes Gespann abgeben können: Der Sozialismus mit seinen praktikablen Rezepten für Solidarität im weitesten Sinne und die christliche Kirche mit ihrer wundervollen Forderung: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!

Über den lokalen und religiösen Problemen vergaßen wir niemals die bohrenden politischen Fragen, die uns Anfang der 50er Jahre mehr als alles andere bewegten: War denn die Staatsordnung, die sich im Westen etablierte, christlicher und die einzige Alternative zum Faschismus? War sie nicht eine durch und durch bürgerlichkonservative Gesellschaft, die angesichts des "gottlosen Systems da drüben in der Zone" mit Gott auf den Lippen die zwölf Jahre Gewaltherrschaft überging, ein bißchen strafte und ein bißchen verzieh und guten Mutes in den Fußstapfen der Weimarer Republik weitermarschierte, wobei sie deren Mief ein wenig aufzubessern versuchte? Dessenungeachtet fühlte sich die Kirche in den Westzonen besser aufgehoben, heimischer.

Ob dort allerdings die überholten Denkmuster mit ihren kapitalistischen Tänzen um das Goldene Kalb einen Fortschritt in der Erfüllung christlicher Gebote erkennen ließen, sollte dahingestellt sein. Die Kommentare der westdeutschen Publizisten zur Entwicklung in der DDR, die sich auf Bibelzitate stützten, blieben merkwürdig blutarm. Wie konnten sie auch grundsätzliche Argumente gegen den Sozialismus finden, wenn sie die Bergpredigt ernst nahmen?

Ich las das Kommunistische Manifest in einem Zuge. Dieses schmale Bändchen von Marx und Engels verhalf mir zu neuen Einsichten. Die überraschendste war, daß der Kommunismus, der reine, sehr viel gemein hat mit dem Christentum, dem reinen, läßt man alle Ideologien beiseite. Wer an Gott glaubt, mag vermuten, daß der Allmächtige den Schreibern dieses Büchleins die Hand geführt hat, auch wenn diese überzeugte Atheisten waren.

Renate Teller, Worpswede

Raute

Schon zu Beginn der 70er Jahre badete der Sozialdarwinist in rassistischem Schaum

Ein Blick in Sarrazins Doktorarbeit

1973 legte der damals 28jährige Thilo Sarrazin seine Doktorarbeit der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn vor. Er hatte an dieser Bildungsstätte ein vierjähriges Studium der Volkswirtschaft erfolgreich absolviert und fand dort als Assistent eine Beschäftigung. Sarrazin war klug und zielstrebig. Er wollte hoch hinaus. Seine Doktorarbeit befaßte sich mit wissenschaftstheoretischen Aspekten der Wirtschaftsgeschichte. Sie erschien als Band 109 in der Forschungsreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung und wurde auch von der Bonner Universität publiziert. Heute ist diese frühe Arbeit Thilo Sarrazins nur noch schwer erhältlich. Ich wurde erst durch das Buch Otto Köhlers "Die große Enteignung" darauf aufmerksam, welches sich mit dem skrupellosen Wirken der Treuhand und Sarrazins damit verbundenem Treiben in Ostdeutschland beschäftigt. Die hier veröffentlichten Zitate aus seiner Doktorarbeit sollte man sich getrost auf der Zunge zergehen lassen, auch wenn einem dabei speiübel werden kann.

Sarrazin will in die "New Economic History" einführen. Dieser Schule gelang es 1960, die Wirtschaftsgeschichte der USA aus bürgerlich-nationalökonomischer Sicht zu interpretieren. Gerade weil es sich um eine Denkschule aus den Vereinigten Staaten handelte, befaßte sich Sarrazin sehr ausgiebig mit ihren Ursprüngen, wobei er den Begründer des kritischen Rationalismus Karl R. Popper und Hans Albert mit besonderer Vorliebe zitierte.

Ein Teil der 168 Seiten umfassenden Dissertation befaßt sich mit der Geschichte der Sklaverei in den USA-Südstaaten. Sarrazin betrachtet diese einzig und allein aus dem Blickwinkel des kühlen, die Rentabilität der Sklaven ins Kalkül ziehenden Rationalisten. Das klingt dann so: "Folgende Größen gehen in die Ermittlung der Nettoeinnahmen für männliche Sklaven ein: Die Nettoverkaufspreise für Baumwolle ab Farm, also die Handelspreise minus Abschlag für Transport, Versicherung etc. Weiterhin die jährliche Produktion eines Sklaven und die laufenden Kosten für seinen Unterhalt. Auf dieser Grundlage werden unter wechselnden Annahmen bzgl. Kapitalkosten pro Kopf und Jahr, durchschnittlicher Nettoverkaufspreis etc. fast durchweg positive Kapitalwerte ermittelt."

Selbstverständlich legte Sarrazin eine ähnliche Berechnung des Nutzwertes von Sklavinnen vor, wobei er feststellte, daß bei Männern "die Produktivität um ein Drittel bis um die Hälfte höher" ist. Dafür aber "bekamen die Frauen Kinder, welche auch wieder Einnahmen brachten". Denn "jede Negerfrau produzierte während ihres Lebens 5 bis 10 Kinder, welche in der Produktion verwendet oder verkauft werden konnten". Weiter heißt es: "Die Negersklavin besaß die Hälfte bis zwei Drittel der Produktivität eines männlichen Sklaven. Dieses Verhältnis wurde ermittelt anhand der Relation der Mietpreise bei der Sklavenvermietung. Jede Schwangerschaft kostete drei Monate Arbeitszeit."

Auch die Kinder vergaß Sarrazin nicht: "Die Kinder begannen mit 6 Jahren zu arbeiten. Die Jungen konnten sich ab dem 9. Lebensjahr selbst erhalten, die Mädchen vom 13. Lebensjahr an." Deshalb ergaben "sich für weibliche Sklaven höhere Kapitalwerte und interne Zinsfüße als bei den Männern". Aber die "Investition in einen weiblichen Sklaven trug längerfristigen Charakter und war darum mit höherem Risiko belastet". Und auch das liest man bei Sarrazin: "Die Fruchtbarkeit weiblicher Sklaven war bei Kauf nicht immer bewiesen. Sklavinnen, welche schon ein Kind bekommen hatten, dürften höhere Preise erzielt haben."

Dennoch stellt der Autor fest: "Sklavenaufzucht und -handel genossen kein sehr hohes Prestige." Für Sarrazin ist das völlig unverständlich, denn immerhin kommt er zu dem befriedigenden Ergebnis: "Insgesamt läßt sich der Schluß ziehen, daß die Sklavenhaltung mindestens ebenso profitabel war wie alternative Verwendungen des eingesetzten Kapitals."

Allein die Sprache macht einen frösteln! Menschen als purer Kapitalwert! Sarrazin benutzt ganz selbstverständlich die Terminologie des weißen Rassismus. Er schreibt von Negern, ihrer Aufzucht, ihrem Preis und über die Selbsterhaltung und Nützlichkeit ihrer Kinder. Man kann sich unschwer vorstellen, daß Himmler oder ein KZ-Kommandant zu Nazizeiten ähnlich klingende Nutzwertberechnungen über Häftlinge gemacht haben dürfte. Hier spürt man die eisige Kälte des puren, entfesselten Kapitalismus, der den Menschen als entpersonifiziertes Objekt betrachtet, das allein der Profitmaximierung zu dienen hat.

Daß Thilo Sarrazin für dieses faschistoide Elaborat in der BRD einen Doktorhut erhielt, ist bezeichnend. Man stelle sich vor, irgend jemand hätte ein ähnliches Machwerk an einer Universität der DDR einzureichen gewagt. Eine absurde Idee! Der heute völlig unverblümt kundgetane Sozialdarwinismus Thilo Sarrazins klang also bereits in seiner Dissertation an. Der Mensch, der als seelenlose Masse zur Maximierung der ökonomischen Effizienz zu dienen hat, wobei eine zur Herrschaft prädestinierte Minderheit den dabei erzielten Profit einstreicht, ist heute noch eines seiner Lieblingsthemen. Wenn das "Humankapital" diesen Zweck erfüllt, wird es immer mit minimalem Aufwand am Leben erhalten. Wer aber die Erwartungen der Herrenschicht nicht erfüllt, ist als überflüssiger Ballast über Bord zu werfen.

So entsorgte Sarrazin schließlich im Verein mit Helmut Kohl, Theo Waigel, Horst Köhler und Birgit Breuel Millionen von der Treuhand auf die soziale Abschußliste gesetzte einstige DDR-Bürger als "unnützes Menschenmaterial". Mit solcher Denkungsart kann man in der BRD ein "gut aufgestellter" Akademiker, Politiker und schließlich obendrein noch ein millionenschwerer Buchautor werden.

Ergänzend sei bemerkt: Der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel zog eine neue Partei mit dem früheren BDI-Geschäftsführer und Kopf der CDU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz, dem SPD-Rechtsaußen Wolfgang Clement und - aparterweise - Thilo Sarrazin in Erwägung. Um was es sich dabei handelt, kann man sich ausrechnen.

Ulrich Guhl

Raute

Thüringen: Fritz Sauckels Auferstehung

Wenn es um Neonazis geht, liegt das Thüringer Land immer ganz vorn. Da trifft sich der Mob in Jena, mietet in Oberweißbach einen Gasthof an oder marschiert fast regelmäßig durch Rudolstadt und Weimar. Wie bekannt, unternahmen von Thüringen aus Mitglieder einer Terrorzelle Streifzüge durch die gesamte BRD, überfielen Banken und ermordeten ausländische Mitbürger sowie eine Polizistin.

Thüringens Ministerpräsidentin Lieberknecht (CDU) zeigt sich ungeachtet des seit Jahren bekannten Gesamtsachverhalts entsetzt und wälzt erst einmal alles auf eine Kommission ab. In Interviews gibt sie zum Besten, von der Terrorzelle gehe keine Gefahr mehr aus, da ja bekanntlich zwei der Nazis tot seien und sich die dritte Person selbst gestellt habe.

Doch in bezug auf Faschisten besitzt der Freistaat wahrlich eine lange Tradition. Wenn es gegen Juden oder Kommunisten ging, marschierten nicht wenige Thüringer vorneweg. Manche der Älteren schauen noch heute stolz auf den Balkon des Weimarer Hotels "Elephant", von dem der braune Häuptling einstmals stolz seinen "unausbleiblichen Endsieg" angekündigt hatte.

Nun aber will man von den neuesten Enthüllungen ablenken und keinerlei Erinnerungen an jene finsteren Zeiten in der Geschichte Thüringens aufkommen lassen. Damals gab es das NSDAP-Mitglied Nr. 17357 namens Ernst Friedrich Christoph (Fritz) Sauckel, das bereits seit dem 1. Januar 1923 Hitler zu Diensten sein wollte. Der 1894 Geborene machte zunächst als Zeitungsverleger von sich reden. Er gründete in Ilmenau das NS-Lokalblatt "Deutscher Aar", das mit der Weimarer Nazizeitung "Der Völkische" fusionierte, aus der dann "Der Nationalsozialist" hervorging.

Nachdem 1924 das Verbot der Nazipartei aufgehoben und zwei Jahre später in Weimar der erste Reichsparteitag der NSDAP abgehalten worden waren, "arbeitete ganz Thüringen" für Sauckel. Kurz danach wurde Hitlers Kumpan Gauleiter. Nun ging es Schlag auf Schlag. Schon 1932 wurden in Thüringen 42 % aller Stimmen für die Nazis abgegeben, was bis heute als "vorgezogene Machtübernahme" beschrieben wird. So konnte Sauckel, der als Reichsstatthalter über ein erhebliches Hinterland verfügte, Thüringen zum "Schutz- und Trutzgau im Herzen Deutschlands" erklären.

Um das kleine, waldreiche Land im "Reich" ganz nach oben zu bringen, berief er den "Rasseforscher" Karl Astel zum Rektor der Universität Jena, womit er das willige Bildungsbürgertum an seine Ideologie und "Kulturpolitik" zu binden suchte. Er ließ Hitlers Lieblingshotel "Elephant" neu gestalten, "arisierte" die Suhler Simson-Werke und errichtete das faschistische Konzentrationslager Buchenwald, in dem mehr als 50.000 Menschen von der SS ermordet wurden oder an Hunger und Seuchen starben.

Ab 1942 mobilisierte Thüringens Gau-Diktator die "Heimatfront". Die Rüstungsproduktion wurde forciert, der "totale Krieg" zur Norm des Handelns. Immer mehr Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge wurden in der Rüstungsindustrie verheizt. Nachdem Sauckel die Thüringer bis zuletzt zum "erbitterten Widerstand" gegen die anrückenden Amerikaner aufgerufen hatte, floh er im April 1945 feige gen Süden, wurde gefaßt und landete als einer von 22 Hauptkriegsverbrechern auf der Nürnberger Anklagebank. Das Urteil des Internationalen Militärtribunals lautete: Tod durch den Strang.

Seit der Einverleibung auch des heutigen Freistaates Thüringen in die BRD feiert der Naziterror fröhliche Urständ. Unter dem Dach der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" sind die braunen Banditen zurückgekehrt.

Angesichts der ruchbar gewordenen neuen Untaten müssen alle Antifaschisten die Forderung erheben, daß die Nazi-Pest ausgerottet wird, sämtliche faschistischen Untaten aufgeklärt werden und die NPD verboten wird.

Thomas Behlert, Gotha

Raute

Marxismus für Einsteiger - Theorie und Praxis

Theorien sind Formen ideeller Widerspiegelung der objektiven Realität, systematisch geordnetes Wissen über einen ihrer Bereiche oder des geistigen Lebens. Eine Theorie kann richtig oder falsch sein. In den Naturwissenschaften bedient man sich vorwiegend des Experiments, um das zu prüfen. Verlaufen Experimente so wie angenommen und führen sie exakt zum vorhergesehenen Resultat, ist die Richtigkeit erwiesen. Auch eine mathematisch im voraus berechnete Mondfinsternis beweist durch ihr pünktliches Stattfinden, daß die Erde mit ihrem Trabanten um die Sonne kreist und nicht umgekehrt.

Komplexer geht es zu, wenn Theorien im Bereich der Gesellschaft zu prüfen sind. Hier kann nur als Ausnahmefall ein Experiment helfen, z. B. eine Gruppe von Menschen über Monate ohne jeden Kontakt mit dem Umfeld wie in einer Weltraumstation isoliert leben zu lassen, um zu erkunden, was unter diesen extremen Umständen geschieht.

Es ist die Praxis, die offenbart, ob eine die gesellschaftlichen Prozesse betreffende Theorie richtig oder falsch ist. "Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung", so Marx, "kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden." (MEW, Bd. 3, S. 6) Die Praxis ist das Kriterium der Wahrheit. Sie ist selbst ein objektiver Prozeß, der konkret-historisch durch unabhängig von unserem Bewußtsein existierende gesellschaftliche Verhältnisse bestimmt wird.

Der Marxismus-Leninismus muß sich wie jede andere Theorie dieser Prüfung stellen. Nur so ist dogmatische Erstarrung zu verhindern. Ein Beispiel: Marxisten definieren das menschliche Wesen als "das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse". (Ebenda) Der Mensch ist weder ein Produkt einmaliger göttlicher Schöpfung, und schon gar nicht eine durch und durch egoistische Kreatur, wie geschaffen für den Kapitalismus. Der Sozialismus - so trommeln die Gegner auf uns ein - sei zwar eine anheimelnde Idee, aber angesichts der Unveränderlichkeit des aus dem Tierreich stammenden "sündigen" Menschen eben unrealisierbar. Das könne man bedauern - ändern könne man es nicht. Um nicht zu vereinfachen: Die in der Geschichte des Sozialismus mehrmals zu verzeichnende übertrieben optimistische Annahme, die Menschen würden in revolutionären Umwälzungen binnen weniger Jahre ihre über Jahrhunderte von Ausbeutergesellschaften geprägten Verhaltensweisen ablegen, und sehr rasch werde wegen der sozialistischen Verhältnisse ein "neuer Mensch" das Erdenrund bevölkern, ist zu hinterfragen. Offenkundig sind die Fristen neu zu bemessen, bis eine andere Sittlichkeit, selbstverständliche Solidarität und bewußt gelebter Internationalismus zu gewohnheitsgemäßen, unumkehrbar verankerten Lebensnormen geworden sind. Es ist dabei auch zu berücksichtigen, auf welchen Entwicklungsstand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Menschen die Klassiker sich stützen konnten - und worauf noch nicht. Die menschliche Natur wurzelt ja in der Tat sowohl in sozialer Prägung als auch in Vererbung. Deren Relationen gilt es erneut zu bestimmen. Denn Karl Marx konnte Ergebnisse der modernen Genetik, bis hin zur Entschlüsselung des kompletten menschlichen Genoms, selbstverständlich noch nicht kennen.

Man darf aber diesbezüglich nicht vergessen, daß insbesondere Lenin durchaus nicht dazu neigte, die Fristen des Absterbens überkommener Laster kurz zu bemessen. Er sah, wie den Schriften aus seinen letzten Jahren zu entnehmen ist, große Gefahren, die "von nur leicht mit Sowjetöl Gesalbten" ausgehen. Seine Mahnung war - wie wir erfahren mußten - berechtigt.

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Warum Geheime im Dienste des Kapitals seit 1917 nur noch rot sehen

Die Kettenhunde des Klassenfeindes

Oberst a. D. Helmut Wagner - seit Beginn der 60er Jahre in der Spionageabwehr des MfS der DDR tätig und mit dem Bundesnachrichtendienst (BND), dem Verfassungsschutz (BfV) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) befaßt gewesen - hat nach "Grüße aus Pullach" ein neues Buch vorgelegt. Seine Analyse der Tätigkeit deutscher Geheimdienste seit 1917 in der Konfrontation mit der Abwehrarbeit der russisch-sowjetischen Organe gerät zu einem besonders aufklärerischen und zugleich spannenden Geschichtsbuch.

Nicht daß es bislang an Literatur über diesbezügliche kaiserliche, faschistische und bundesdeutsche Spionageaktivitäten gemangelt hätte - allein die Autorenliste spricht für sich: Es begann bereits 1950 mit dem im Nibelungen-Verlag Linz und Wien erschienenen Buch von Walter Hagen "Die geheime Front", der mit seinem Klarnamen Dr. Wilhelm Hoettl hieß, SS-Sturmbannführer und persönlicher Vertrauter Kaltenbrunners war, des Chefs im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Hoettl trug auch für Gestapoeinsätze in Jugoslawien zeitweilig die Verantwortung.

1967 schrieb Dr. Wilhelm Ritter von Schramm ein Buch mit dem bezeichnenden Titel "Verrat im Zweiten Weltkrieg", das im Econ-Verlag Düsseldorf/Wien herauskam. Er wiederum war Stabsoffizier des Oberkommandos der Wehrmacht im Führerhauptquartier und nach 1945 als Bundeswehrreferent und Lehrbeauftragter für Wehrphilosophie und Zeitgeschichte tätig.

Auch Reinhard Gehlen meldete sich 1971 zu Wort. Bei von Hase & Koehler, Mainz-Wiesbaden, erschienen seine Memoiren unter dem schlichten Titel "Der Dienst". Ohne Skrupel durfte der Hitlergeneral in der BRD über die Kontinuität seiner unheilvollen Tätigkeit bei der Gruppe Fremde Heere Ost und seine darauf folgenden Kontakte zu USA-Geheimdiensten bis zu dem durch ihn geleiteten Aufbau des BND schwadronieren.

Die Aufdeckung des kriminellen Wirkens sämtlicher Geheimdienste des deutschen Imperialismus - vom Kaiserreich bis zum Kalten Krieg gegen die UdSSR und die anderen sozialistischen Staaten - ist eine der Stärken des Wagner-Buches.

Die Untersuchungen der mit geheimdienstlichen Aktivitäten befaßten Historiker und Experten der DDR setzten bislang meist erst nach der Befreiung vom Faschismus 1945 ein. Mit dieser Langfrist-Analyse seit 1917 betritt die edition ost in der Eulenspiegel-Verlagsgruppe gewissermaßen Neuland, denn seit der Oktoberrevolution erfolgte in der Tat der Übergang zu einer neuen Etappe in der Geheimdiensttätigkeit. Waren es bisher nur konkurrierende imperialistische Dienste, so standen sich nun die Organe zweier fundamental entgegengesetzter Gesellschaftsordnungen gegenüber. Der Autor beweist an Hand von sorgfältig ausgewählten Beispielen die moralische Überlegenheit der sozialistischen Sicherheitsorgane im Kampf gegen jene, welche alle Register der Spionage, Sabotage und Diversion zogen, um die Sowjetmacht zu Fall zu bringen, wobei sie vor keinem Verbrechen zurückschreckten.

Die ersten Jahre dieses Kampfes waren mit dem Namen Feliks Dzierzynskis verknüpft, der zum Vorbild ganzer Generationen von Tschekisten nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in der DDR und anderen sozialistischen Staaten wurde. Zu seiner Zeit konnte Sowjetrußland bereits erste Kundschafter in gegnerischen Organisationen und Apparaten plazieren. Im Rahmen der Operation "Trust" gelang es der Tscheka, sämtliche weißgardistischen Auslandsorganisationen zu durchdringen, wobei auch mit Hilfe eines vermeintlichen Emigrantenverbandes die Geheimdienste aus Frankreich, England, Deutschland, Polen, Finnland, Estland, der Tschechoslowakei und Rumänien getäuscht werden konnten.

Die deutschen Geheimdienste hatten nur geringe Chancen, die Sowjetunion und deren Rote Armee auszuspionieren. Sie mußten angesichts dieser Situation ihre Agenten vor allem aus Kreisen Zarentreuer rekrutieren.

Der Nachrichtendienst der KPD lieferte der Sowjetunion wichtige Informationen, zumal er auch über Quellen im bürgerlichen und rechtsgerichteten Milieu, so in der NSDAP, bei der Presse, der Obersten Heeresleitung und im Auswärtigen Amt verfügte.

Hitlers Geheimdienst erlangte durch die Zusammenlegung der Sicherheitspolizei (Sipo) und des Sicherheitsdienstes der SS (SD) im von Heydrich geführten Reichssicherheitshauptamt (RSHA) eine gefährliche Dimension. Sein Wirken war nicht mehr allein auf Erkundung, sondern auf die Auslöschung fremder Staaten gerichtet. Er bediente sich aller Methoden des Terrors, aber auch gezielter Irreführung und gefälschter Dokumente, um die sowjetische Führung zu Fehlentscheidungen zu veranlassen. Dabei kam es zur sogenannten Affäre Tuchatschewski. Im Gefolge dieser lancierten Intrige wurden 1937 eine große Zahl hoher und höchster Militärs, aber auch nicht wenige Truppenkommandeure der Roten Armee exekutiert. Heydrich hatte Stalins Hang zu grundsätzlichem Mißtrauen eiskalt in Rechnung gestellt.

Nach Heydrichs gewaltsamem Tod arbeitete das RSHA fortan in Abstimmung mit dem Nachrichtendienst des von Ribbentrop geleiteten Außenministeriums zusammen.

Ein besonderes Kapitel in Wagners Buch ist der Partisanenbewegung gewidmet. Hier vereinten sich Kräfte der Partei, Bürger der besetzten Gebiete, versprengte Sowjetsoldaten und im Spezialauftrag tätige Mitarbeiter der sowjetischen Aufklärung sowie Spezialisten der Roten Armee. Die Partisaneneinheiten hatten enormen Zulauf, während die faschistischen Okkupanten kaum Rückhalt in der sowjetischen Bevölkerung fanden.

Auch der von Schellenberg (Leiter des Ausland-SD) befohlene Einsatz Kriegsgefangener für Spionage, Sabotage und Diversion gegen die UdSSR erwies sich als Fehlschlag. Die überwiegende Mehrheit zwangsweise rekrutierter Sowjetsoldaten lief beim ersten Einsatz sofort zur Roten Armee oder den Partisanen über.

Aus Platzgründen kann hier nicht näher auf weitere Aktivitäten und Operationen wie das Wirken der "Roten Kapelle" eingegangen werden. Interessierte mögen zu diesem Buch greifen und bei der spannenden Lektüre auf der Suche nach weiteren Details fündig werden.

Konstantin Brandt, Berlin

Helmut Wagner: Der Krieg deutscher Geheimdienste gegen den Osten seit 1917,
edition ost, Berlin 2011, 640 S., 24,95 Euro

Raute

Wie sich "blitzsauberer" Sport als Doping-Dorado entpuppte

Spätes Geständnis

Der "Spiegel" vom 26. September 2011 brachte es ans Licht der Öffentlichkeit: In Westdeutschland gab es vor 1989 offenbar ein staatlich gefördertes Dopingsystem. Zwei Jahre intensiver Forschung waren angeblich notwendig, um diese Tatsache mit 20jähriger Verspätung zuzugeben. Mitten im Kalten Krieg, der auch den Sport nicht aussparte, wurde 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko die Überlegenheit der DDR-Athleten gegenüber denen der BRD deutlich (3. Rang DDR, 8. Rang BRD). Das ließ für die Spiele 1972 in München, wo gegen westdeutschen Widerstand erstmals selbständige Mannschaften der DDR und der BRD Startrecht hatten, aus BRD-Sicht Schlimmes befürchten. Die für den Sport zuständigen Innenminister forderten Erfolge und ließen erkennen, daß sie hinsichtlich der Wahl der Mittel nicht kleinlich sein würden.

1970 wurde in Köln das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) unter Leitung von August Kirsch - dem langjährigen Präsidenten des westdeutschen Leichtathletikverbandes - gegründet. Die staatlicherseits großzügig geförderten sportmedizinischen Abteilungen des BISp und der Universität Freiburg fungierten fortan als Dopingzentralen der BRD. An ihrer Spitze standen die Professoren Wildor Hollmann (Köln) und Joseph Keul (Freiburg). Über den Letztgenannten sagte man in den 70er Jahren, daß sich bei ihm die westdeutsche Sportelite die Klinke in die Hand gebe. Mögliche gesundheitliche Schäden durch leistungssteigernde Mittel wurden von beiden Professoren in Abrede gestellt. (Die Leichtathletin Dressel, der Kugelstoßer Reichenbach und weitere drei Sportler starben später an Dopingfolgen!)

Auch der Einsatz leistungsfördernder Mittel beim BRD-Team konnte in München eine deutliche Überlegenheit der DDR-Olympiamannschaft nicht verhindern.

Das Ausmaß des westdeutschen Dopings wurde 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal erkennbar. Dort beschwerte sich der Ruderer Kolbe, der in führender Position kurz vor dem Ziel einen Einbruch erlitt und den Sieg an den Finnen Karppinen verlor, daß daran ein ihm gespritztes Mittel schuld gewesen sei. Inzwischen steht fest, daß dieses damals noch nicht nachweisbare Präparat den 330 Mitgliedern der Mannschaft der BRD insgesamt 1200 Mal (!) injiziert wurde. Übrigens war in Montreal der heutige Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Dr. Thomas Bach, Olympiasieger mit dem Florett.

Außer den bereits genannten Professoren wird im "Spiegel" auf DSB-Präsident Willi Daume verwiesen, ohne den das alles nicht möglich gewesen wäre. Erwähnt werden überdies die Namen von zwei aus der DDR geflüchteten Sportärzten (Mader und Riedel), die mit offenen Armen aufgenommen und sofort in das System integriert worden seien. Daume, Kirsch und Keul leben nicht mehr, Hollmann streitet alles ab, und andere Akteure oder Mitwisser aus den Kreisen der Politik, der Sportfunktionäre und der Sportmedizin dürfen aus Gründen ihrer datengeschützten Persönlichkeitsrechte nicht genannt werden. Gegenüber Bürgern der DDR verfährt man da ganz anders. Jeder, auf den sich ein Verdacht lenken läßt, kann den Medien zur öffentlichen Hinrichtung ausgeliefert werden.

Die Arbeitsgruppe Sport der GRH hat seit 2001 mehrere Sonderdrucke mit Veröffentlichungen u.a. von Prof. Dr. Günter Erbach, Dr. Klaus Huhn, Helmut Horatschke und Erhard Richter herausgegeben. Darin wandten sich die Autoren gegen die politisch motivierte Dopingpropaganda der BRD zur Diskreditierung des DDR-Sports. Neu ist indes, daß über Doping in Westdeutschland jetzt gerade das zugegeben wird, was 20 Jahre weggelogen wurde. Das späte Geständnis kommt aber nicht aus regierungsamtlichen Kreisen oder dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), sondern von zwei "unabhängigen" Sporthistorikern, denen man jederzeit widersprechen kann, wenn man es für ratsam hält.

Nach 1989 wurde der Kalte Krieg mit dem erklärten Ziel der politischen Delegitimierung der DDR fortgesetzt. Der Sport gehörte zu ihren Qualitätsmerkmalen - er war international bekannt und anerkannt. So ging es darum, diesen Ruf zu zerstören und sich nachträglich am überlegenen Gegner zu rächen. Zuzugeben, daß man selbst beim Einsatz leistungsfördernder Mittel keinesfalls zimperlicher war als die DDR, hätte zwangsläufig zu der Schlußfolgerung geführt, daß die Ursache der Überlegenheit der DDR offensichtlich in deren wissenschaftlich fundierten Trainingssystemen, der landesweiten Auswahl und Förderung von Talenten, der Anzahl und Qualifikation der Trainer und Übungsleiter und einer nahezu perfekten Organisation des Leistungssports begründet lag. Die DDR-Ruderer eroberten z. B. 1965 die Weltspitze, nachdem das Trainingspensum in zwei Jahren bei gleichzeitiger Neugestaltung vieler Komponenten verdoppelt worden war. Bis in die 80er Jahre wurde es erneut verdoppelt. So bestimmte das DDR-Rudern 25 Jahre lang unangefochten das Weltniveau.

Die meisten nunmehr gesamtdeutschen Sportverbände wollten nach 1990 nur die leistungsstarken Sportler übernehmen. Viele, nun stellungslose DDR-Trainer gingen ins Ausland. Der Verbandstrainer für das DDR-Frauenrudern hat inzwischen den britischen Rudersport als dessen Cheftrainer ganz nach vorne gebracht. Infolge dieser ignoranten Politik sackte das gesamtdeutsche Leistungsniveau bis 2004 auf den Stand der Alt-BRD von 1988 ab. Wie hätte man angesichts solcher Tatsachen die DDR delegitimieren und einseitig Dopingprozesse führen können? Dazu bedurfte es eines sauberen dopingfreien westdeutschen Hinterlandes. Da schon damals Dopingverstöße nicht völlig geleugnet werden konnten, erfand man die Lüge von nur "punktuellen" und durch niemanden zu verantwortenden Einzelfällen. Damit sie Bestand haben konnte, blieben Dokumente zum westdeutschen Doping - in wesentlichen Teilen bis heute - unter Verschluß.

Das war die Voraussetzung für einseitiges juristisches Vorgehen gegen den DDR-Sport. Mit einer speziellen Rechtskonstruktion wurde die Verabreichung leistungsfördernder Mittel rückwirkend zur Körperverletzung und damit zum Verstoß gegen Menschenrechte erklärt. Der medizinische Nachweis einer tatsächlich begangenen Körperverletzung fiel damit weg, was Trittbrettfahrer geradezu einlud. Übrigens soll diese eindeutig politische Inszenierung mindestens 130 Millionen DM gekostet haben.

Inzwischen plaudern nicht wenige einstige BRD-Spitzenathleten über ihre Dopingvergangenheit. Der schöne Schein ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Folgen sind nicht zu befürchten. Man darf sicher sein, daß es derartige Offenbarungen nicht gegeben hätte, wäre nicht alles verjährt.

Eine Tatsache soll hier nicht vergessen werden: Im Rahmen des kapitalistischen Warenfächers gibt es seit Jahrzehnten das Segment leistungssteigernder Mittel. Es wird von großen Pharmakonzernen auf den Markt gebracht und ständig mit anderen, bei Dopingkontrollen noch nicht nachweisbaren Produkten beliefert. Wer sie vertreibt, verdient mit. Der Absatz bringt Milliardenprofite. Die Dopingfahnder des IOC versuchen dem entgegenzusteuern, indem sie die Kontrollproben für acht Jahre einfrieren, um sie dann mit neuen Verfahren zu untersuchen. Das kann für Sportler zur nachträglichen Aberkennung von Medaillen führen.

Die Lieferanten und deren Doper-Armee aber bleiben ungeschoren.

Helmut Horatschke

Aus: Sonderdruck der AG Sport der GRH

Raute

RF-Extra

Nach über 72 Jahren ist das Grundgesetz noch immer ein Provisorium

Die BRD - der einzige Staat ohne Verfassung?

Mitunter wird der 23. Mai 1949 als Gründungsdatum der BRD betrachtet. An jenem Tag hat ein "Parlamentarischer Rat" die Annahme eines Grundgesetzes durch Länderparlamente "festgestellt". Auch der 7. September 1949, an dem der erste gewählte Bundestag zusammentrat, wird von einigen als Ausgangspunkt genommen.

In der 1990 durch den Anschluß der DDR größer gewordenen Bundesrepublik leben die Bürger - nach wie vor - lediglich unter einem Grundgesetz, erklärtermaßen einem Provisorium, nicht aber mit einer Verfassung. Es dürfte weltweit wohl kaum einen Staat geben, der keine Verfassung besitzt!

Warum ist das auch nach mehr als 72 Jahren noch immer so?

Bereits im September 1946 begannen verantwortungsbewußte Deutsche, darunter Juristen wie Prof. Dr. Peter Alfons Steiniger die Diskussion um eine neue gesamtdeutsche Verfassung. An der bis 1949 geführten Debatte nahmen Menschen aus ganz Deutschland in vielfältiger Form aktiv teil. Zum ersten Mal in seiner Geschichte kümmerte sich das deutsche Volk in großer Breite und auf demokratische Weise um das Werden seiner eigenen Verfassung.

Im Oktober 1948 war der ausformulierte Entwurf vom durch Otto Grotewohl geleiteten Verfassungsausschuß des Deutschen Volksrates gutgeheißen und der gesamten Bevölkerung zur Stellungnahme unterbreitet worden. In den folgenden Monaten hatten Deutsche aus Ost und West in unzähligen Versammlungen der politischen Parteien, der Massenorganisationen sowie in Presse und Rundfunk, im Osten vor allem aber auch in den Betrieben, selbst das Wort ergriffen.

Am 29. Mai 1949 versammelten sich dann 1969 Delegierte aus allen Besatzungszonen in Berlin zum 3. Deutschen Volkskongreß, auf dem der vorgelegte Entwurf einer "Verfassung für eine Deutsche Demokratische Republik" verabschiedet wurde. Dieser für eine gesamtdeutsche Republik gedachte Text war auf beispiellos demokratischem Wege zustande gekommen.

Nun ging es darum, ihn auch staatsrechtlich zur Verfassung einer das ganze Land umfassenden "Deutschen Demokratischen Republik" zu machen. Die Deutschen in Ost und West wollten keine Spaltung ihres Landes, sondern engagierten sich für dessen Einheit. Sie forderten gesamtdeutsche freie Wahlen, einen Friedensvertrag mit Deutschland und den Abzug aller Besatzungstruppen. Das aber wurde durch die westlichen Alliierten, durch Adenauer und dessen Parteigänger verhindert. Diese wollten kein einheitliches demokratisches Deutschland, sondern lieber das "halbe Deutschland ganz", wie es der Kanzler unumwunden formulierte.

Aus machtpolitischen Erwägungen, vor allem aber aus Angst vor "dem Kommunismus" forcierten sie die Spaltung Deutschlands und die Bildung eines westdeutschen Separatstaates als Speerspitze der NATO gegen den Osten. Sie nahmen wissentlich einen Bruderkrieg in Kauf oder kalkuliertem ihn sogar ein.

Erinnern wir uns: Der maßgebliche Anteil der Roten Armee an der Niederwerfung des Hitlerfaschismus brachte der UdSSR einen enormen Prestigegewinn in der ganzen Welt ein. Die kommunistischen Parteien auch vieler Länder Westeuropas erlangten hohes Ansehen. In Frankreich, Italien und weiteren Staaten waren sie regierungsbeteiligt. In den durch Rotarmisten befreiten osteuropäischen Ländern sowie in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands konnten Kommunisten bei der Gestaltung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse eine führende Rolle übernehmen. In Ostasien gelang es der durch Mao Zedong geführten Volksbefreiungsarmee, nach der Vertreibung der japanischen Okkupanten die Macht zu erobern.

In dieser Nachkriegsentwicklung sahen die imperialistischen Staaten des Westens, besonders die USA, aber auch die durch Hitlerdeutschlands Niederlage zwar geschwächten, aber nicht entmachteten Monopolherren Westdeutschlands eine erhebliche Bedrohung, die sie den Bürgern als Schreckgespenst der "roten Gefahr" einzureden bemüht waren.

Im eigenen politischen, ökonomischen und militärischen Herrschaftsinteresse wollten sie dieser Entwicklung um jeden Preis Einhalt gebieten.

Dabei war durchaus auch an Krieg gegen die Sowjetunion gedacht, zumal die USA mit dem Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki waffentechnische Stärke demonstriert und de facto den Kalten Krieg eröffnet hatten. Ein heißer Krieg war damals nicht fern!

Nach Churchills Fulton-Rede, die offiziell als Auftakt des Kalten Krieges bewertet wird, waren die USA, ihre Verbündeten und gleichgesinnte Kräfte in Westdeutschland entschlossen, die progressive Entwicklung in Osteuropa abzublocken.

Vor allem Westdeutschland als mächtige kapitalistische Wirtschaftsmacht mußte vor dem "Kommunismus" bewahrt, aber auch als militärisches Potential für einen ins Kalkül zu ziehenden Krieg gegen die Sowjetunion erhalten und gestärkt werden. Ausgangspunkt dafür war die 1954 erfolgte Eingliederung der BRD in die NATO.

Da der Einsatz militärischer Mittel aus weltpolitischen Gründen so kurz nach dem Sieg über Hitlerdeutschland in Europa nicht angezeigt war, griff das Monopolkapital zu seiner Standardwaffe, zum Geld.

Mitte 1947 hatten sich die USA unter Bruch des Potsdamer Abkommens entschieden, in Westdeutschland eine separate Währungsreform durchzuführen, um damit die finanzpolitischen Voraussetzungen für eine mächtige Kapitalspritze in Gestalt des Marshallplans zu schaffen. Am 5. Juni 1947 war durch US-Außenminister Marshall dessen Projekt in einer Rede an der Harvard-Universität als "Wiederaufbauhilfe für Europa" vorgestellt worden. Auf der Pariser Konferenz (12. Juli bis 22. September 1947) wurde die Einbeziehung Westdeutschlands in diese Finanzoperation festgelegt.

Die am 20. Juni 1948 von den Westalliierten durchgeführte separate Währungsreform bezog unter Bruch des Völkerrechts auch Westberlin ein. Eine unmittelbare Folge war dann die von den imperialistischen Mächten verursachte sogenannte Berlin-Krise und die "Luftbrücke" mit dem militärisch-logistische Manöverfunktionen erfüllenden Einsatz von US-Militärflugzeugen zur "Entsetzung" Westberlins.

Die separate Währungsreform war der erste durchschlagende Schritt zur Spaltung Deutschlands. Es folgte bald darauf die langfristig vorbereitete politische Teilung Deutschlands. Am 1. Januar 1947 trat ein zwischen den Außenministern der USA und Großbritanniens bereits am 2. Dezember 1946 (!) unterzeichnetes Abkommen über die Schaffung einer die amerikanische und die britische Zone umfassenden "Bi-Zone" in Kraft. Dazu gehörte der am 29.5.1947 gebildete Zwei-Zonen-Wirtschaftsrat in Frankfurt/M. als eine Art vorläufiger westdeutscher Regierung.

Am 1. Juli 1948 verlangten die Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen, General Lucius D. Clay, General Brian G. Robertson und General Pierre Koenig, von den Landesregierungen der elf westdeutschen Länder im sogenannten Frankfurter Dokument I die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung bis zum 1.9.1948. Die separate Währungsreform sowie die Ausarbeitung einer Verfassung bzw. eines Grundgesetzes und die Errichtung eines Separatstaates erfolgten ausnahmslos auf der Grundlage von Entscheidungen der westlichen Militärbefehlshaber. Die von diesen geforderte Verfassunggebende Versammlung sollte eine Konstitution für Westdeutschland ausarbeiten und verabschieden, um die vom Westen seit langem vorbereitete staatsrechtliche Spaltung Deutschlands zu vollziehen.

Die USA setzten das kraft ihrer militärischen Befehlsgewalt gegen den Willen der westdeutschen Länderregierungen durch, die anfangs noch alles vermeiden wollten, was die Spaltung zwischen West und Ost weiter hätte vertiefen können.

Am 1. September 1948 wurde in Bonn aus 65 Abgeordneten der westdeutschen Landtage ein sogenannter Parlamentarischer Rat als "Verfassungskonvent" gebildet, zu dessen Vorsitzendem sich Adenauer als Ältester der Anwesenden erklärte.

Dieser Rat sollte ein vorläufiges "Grundgesetz" für eine einheitliche Verwaltung Westdeutschlands ausarbeiten, "um dem staatlichen Leben während einer Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben", wie es später in der Präambel des Grundgesetzes hieß. Als Bezeichnung des Staates, für den dieser Entwurf gelten sollte, wurde der Name Bundesrepublik Deutschland gewählt, um damit gesamtdeutsche Ansprüche geltend zu machen.

Nach genereller Einigung mit den Alliierten wurde ein Sachverständigenausschuß berufen, der einen Entwurf in der Zeit vom 10. bis 23. August 1948 - also in weniger als zwei Wochen! - im bayerischen Königsschloß Herrenchiemsee zu Papier brachte. Am 2. März 1949 überreichten die drei westlichen Militärbefehlshaber ihre Stellungnahme zu dem Entwurf. In ihrem Genehmigungsschreiben vom 12. Mai bekräftigten sie dann erneut, daß Groß-Berlin nicht zum Bund gehöre. Am 14. Mai 1949 wurde das Besatzungsstatut für Berlin West erlassen, das - mit einigen Änderungen - bis 1990 galt. Am 8. Mai 1949 wurde der Entwurf aus Herrenchiemsee im Parlamentarischen Rat mit 53 gegen zwölf Stimmen angenommen, der bereits 15 Tage später "feststellte", daß dieses Grundgesetz (GG) in der Woche vom 16. bis 22. Mai 1949 durch die Volksvertretungen von mehr als zwei Dritteln der beteiligten deutschen Länder akzeptiert worden sei.

In dieser kurzen Zeit hatten die westdeutschen Landtage lediglich Gelegenheit, dem Grundgesetz zuzustimmen. Es gab für sie keine Alternative. Änderungen am Text waren ausgeschlossen. Art. 144 des GG sah ausdrücklich keine Volksabstimmung oder einen Volksentscheid über dieses GG vor. Am 7. September 1949 trat der im August gewählte Bundestag zusammen.

An der Erarbeitung dieses Grundgesetzes hatte die Bevölkerung Westdeutschlands keinerlei Anteil. Sein Text kam auf beispiellos undemokratische Art und Weise zustande. Dessen sind sich die Verfassungsrechtler durchaus bewußt.

Die in der Präambel formulierte Aussage, daß "sich das deutsche Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben" habe, ist absolut unzutreffend. Es hat niemals eine Volksabstimmung oder eine andere Entscheidung des deutschen Volkes über das Grundgesetz gegeben.

An diesem unheilbaren Geburtsfehler krankt die Bundesrepublik bis heute! Wenn es in der Präambel des GG heißt, daß "auch für jene Deutschen gehandelt wurde, denen mitzuwirken versagt war", so ist das eine dreiste Anmaßung!

Die "Väter" des Grundgesetzes, die sachverständigen Herren, die den Entwurf ausgearbeitet hatten, wie auch der Parlamentarische Rat und die westdeutschen Landtage sahen das GG stets als ein Provisorium an. Im Art. 146 ist juristisch unmißverständlich und verbindlich festgelegt worden: Das GG "verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist". Diesen Tag hat es nicht gegeben. Bis heute bleibt dem deutschen Volk verwehrt, in freier Entscheidung eine Verfassung zu beschließen.

Bei den Diskussionen im März und April 1990 ging es vor allem um die Frage, ob die Vereinigung nach dem für diesen Fall vorgesehenen Art. 146 GG oder auf der Grundlage von Art. 23 GG erfolgen solle.

Das GG hatte den Weg für den Fall der Vereinigung in der Präambel vorgegeben: "Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden." Diese Vollendung war somit - bereits im Jahre 1949 - in Gestalt des Artikels 146 eindeutig geregelt: Nach dem Wortlaut des GG gab es dazu keine Alternative, keinen Raum für die Erwägung einer anderen juristischen Form der Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands als über eine Volksabstimmung.

Dennoch wurde von der Bundesregierung und den sie unterstützenden politischen Kräften statt dessen unzulässigerweise der Artikel 23 GG ins Spiel gebracht, der unter der Überschrift "Geltungsbereich des Grundgesetzes" einen Beitritt vorsieht. Auch ein Nichtjurist erkennt, daß Art. 23 GG einen ganz anderen Fall regelt.

Er war für Situationen wie den Beitritt des Saarlandes zum Bund (nach einer Volksabstimmung) am 23.5.1955 vorgesehen, wodurch dieses das 12. Bundesland wurde.

Offensichtlich politische Gründe bewogen die Bundesregierung dazu, unter Bruch des Grundgesetzes den Artikel 23 ins Spiel zu bringen. So konnte die DDR am schnellsten und einfachsten vereinnahmt werden.

Dieser "Beitritt" ist ein besonders eklatanter Beweis dafür, welcher Stellenwert im Rechtsstaat BRD dem Gesetzeswortlaut beigemessen wird, wenn er "der Politik" im Wege steht.

Prof. Dr. Erich Buchholz, Berlin


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Der KPD-Vorsitzende Max Reimann stimmte im Parlamentarischen Rat gegen das GG und erklärte, der Tag werde kommen, an dem die Kommunisten das Grundgesetz gegen seine Befürworter verteidigen müßten.

- Die Zonen-Befehlshaber der Westalliierten - hier die Generale Robertson und Clay - beaufsichtigten das Entstehen des Grundgesetzes.

- Blick in den Beratungssaal des Parlamentarischen Rates

Raute

Von Rippentrop zu Adenauer

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Ende RF-Extra

Raute

Nach libyschem Muster soll auch Syrien aufgerollt werden

Warum die USA Assads Kopf wollen

Obwohl sich die Lage in und um Syrien in mancher Hinsicht von der Situation Libyens unmittelbar vor dem NATO-Überfall unterscheidet, sind die vom Westen verfolgten strategischen Ziele weitgehend deckungsgleich: In beiden Fällen geht es den tonangebenden NATO-Mächten im Bunde mit Israel und reaktionären arabischen Regimes um die Zerschlagung unabhängiger Staaten durch Ausschaltung nicht zur Botmäßigkeit gegenüber dem Imperialismus bereiter politischer Führungen. Nachdem Gaddafi so oder so umgebracht worden ist, fordern jetzt Syriens Verderber auch den Kopf Baschar Al-Assads.

Werfen wir einen Blick auf die bewegte und wechselvolle Geschichte dieses nahöstlichen Kern- und Schlüssellandes, dessen "Transformation" in einen dem Westen hörigen Satelliten-Staat die genannte "Unheilige Allianz" ins Auge gefaßt hat. In ihr spielt zweifellos Israels zionistische Machtclique, die im Sechtagekrieg von 1967 Syrien bereits die Golanhöhen entrissen hat, eine maßgebliche Rolle.

Seit der 1946 erfolgten Befreiung Syriens von der französischen Okkupation haben immer neue innere Konflikte und Spannungen die Stabilität dieses arabischen Landes untergraben. Dafür gibt es historische und aktuelle Gründe.

Vom 16. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg gehörte das Territorium zum Ottomanischen Reich. Vier Jahrhunderte lang stellten moslemische Sunniten nicht nur wie heute die Mehrheit der Bevölkerung, sondern bildeten auch die herrschende Feudalklasse. Angehörige anderer Glaubensrichtungen - schiitische Alaouiten, Drusen und Christen - waren die von ihnen brutal unterdrückten Minderheiten.

In jener Epoche erstreckte sich das Territorium von Groß-Syrien über Libanon, Palästina, Jordanien und sogar Teile der Türkei. Nach dem 1. Weltkrieg geriet Syrien unter französische Kontrolle. Nun wurden den zuvor drangsalierten Minderheiten ihnen bisher verweigerte Bildungs- und Aufstiegschancen eingeräumt, nicht zuletzt auch in der Armee. Die Pariser Kolonialverwaltung unterteilte Groß-Syrien in zwei Regionen: Syrien und Libanon. Aus ihnen gingen nach dem 2. Weltkrieg zwei voneinander unabhängige Staaten hervor.

In jener Zeit formierte sich die Arabische Sozialistische Baath-Partei, deren Anhänger vor allem im Kampf gegen die französische Okkupation ihren Nationalismus geschärft hatten. Unter Baathisten gab es von Beginn an zwei Strömungen. Während von städtischen Intellektuellen besonders arabisch-nationalistische Aspekte betont wurden, setzten sich die ländlichen Anhänger der Partei eher für soziale Veränderungen zugunsten der Unterdrückten und für eine demokratische Bodenreform ein. Diese Linie verfolgten vor allem die schiitischen Alaouiten, zu denen der heutige Präsident Baschar Al-Assad gehört.

1963 übernahm die Baath-Partei, die inzwischen wichtige Positionen in der Armee unter ihre Kontrolle gebracht hatte, in Syrien die politische Macht. Damals wurden - dem Beispiel Nassers in Ägypten folgend - alle anderen Parteien verboten.

1970 gelangte dann der Luftwaffengeneral Hafez Al-Assad - der Vater des jetzigen Präsidenten - ans Ruder. Er zeigte sich sozialen Veränderungen gegenüber aufgeschlossen. 1973 übertrug er die Staatsgewalt einer aus verschiedenen Parteien, darunter auch die KP Syriens und die Nasseristen, bestehenden landesweiten "Front" unter Führung der Baathisten. Assad sen. sorgte dafür, daß die feudalen Kräfte entmachtet und die Fundamente eines laizistischen Staates ohne Bindung an eine bestimmte Religion gelegt wurden. So entstand eine Kombination aus Antiimperialismus, Nationalismus und Staatskapitalismus.

Ab 1975 wurde Syrien in einen blutigen Bürgerkrieg zwischen verschiedenen religiösen Gruppen und Sekten des benachbarten Libanon verstrickt. 1982 kam es in der syrischen Großstadt Hama zu einer Revolte gegen die national-progressive Entwicklung des Landes operierender Moslem-Brüder, die mit einer Serie terroristischer Attentate eingeleitet wurde. Damals verloren etwa 10.000 Menschen ihr Leben, als die syrische Armee in schweren Kämpfen die Stadt zurückeroberte.

Seit dem Frühsommer 2011 haben die äußeren und inneren Gegner des Präsidenten, die sich auf Teile der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit stützen können und unter denen die Moslem-Brüder weiterhin erheblichen Einfluß besitzen, alles unternommen, um Unzufriedenheit zu schüren, die schiitische Führung zu schwächen und zu Fall zu bringen. Dabei sind auch Prominente aus dem Regierungslager - wie in Libyen - zu den von imperialistischen Geheimdiensten ausgerüsteten und finanzierten Gegnern Baschar Al-Assads übergelaufen. Unter ihnen befindet sich mit Rifad Assad ein Onkel des Präsidenten, der 1982 die blutigen Ausschreitungen der Armee in Hama veranlaßte und forcierte. Heute befehligt er die vom "Westen" - d. h. mehreren NATO-Staaten und Israel - nach dem Muster der libyschen "Rebellen" installierte "Freie Syrische Armee". Zweiter Mann in dieser "5. Kolonne" des Imperialismus ist mit Abdul Halim Khaddam ein alter Gefolgsmann Assads. Er war von 1984 bis 2005 Syriens Vizepräsident, bevor er sich nach seiner Entmachtung in die Türkei absetzte, die eine zentrale Rolle im heimtückischen Spiel gegen Assad übernommen hat.

Die türkische Regierung unter Ministerpräsident Erdogan, die sich - offenbar auf Empfehlung Washingtons - seit geraumer Zeit durch prononciert scharfes Auftreten gegen Israel unter Arabern eine gewisse Popularität verschafft hat, ist unter einer Bedingung an guten Beziehungen zu Syrien interessiert: der Ersetzung des Führungspersonals in Damaskus durch prowestliche Sunniten. Auch die von Saudi-Arabien und den reaktionären Golf-Emiraten beherrschte Arabische Liga arbeitet auf einen Machtwechsel in Syrien hin.

Natürlich besteht kein Zweifel daran, wer im antisyrischen Spiel Regie führt. Die USA-Administration verfolgt dabei weit über einen Sturz Assads hinausgehende Ziele. Während die NATO wie im Falle Libyens alle Register zieht - von beispielloser Diffamierung über diplomatische Isolierung Assads und ökonomischen Boykott bis zur Aufstellung militärischer Gegenkräfte - betrachtet sie den Regimewechsel in Syrien lediglich als Vorstufe eines weiteren Schrittes: den seit langem geplanten und 2012 drohenden Angriff auf Iran.

Dessen politische Führung setzt - wie einst das irakische Baath-Regime Saddam Husseins - dem Imperialismus trotz eines innenpolitischen Kurses rabiater Unterdrückung der linken und demokratischen Kräfte - Widerstand entgegen. Ein Angriff auf Teheran würde indes Russen wie Chinesen auf den Plan rufen und die Gefahr eines dritten Weltkrieges heraufbeschwören.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Angehörige der "Freien Syrischen Armee" an einem Sammelpunkt im Nord-Libanon

Raute

Weshalb die EU den Griechen und Italienern "Technokraten"-Kabinette verordnete

Brüssels Griff zur Notbremse

Betrachten wir die Situation in Griechenland und Italien ganz nüchtern, dann ergibt sich, daß Papandreou wie Berlusconi auf Betreiben der Spitzenpolitiker der BRD und Frankreichs aus dem Verkehr gezogen worden sind. Sie wurden unter Umgehung allgemeiner Wahlen auf die kalte Tour durch Lucas Papadimos und Mario Monti ersetzt. Damit übernahmen zwei Top-Banker bei gleichzeitiger Aushebelung der bürgerlichen Demokratie die politische Macht. Mit ihrer Inthronisierung ändert sich an der Verschuldungssituation beider Länder oder an den Forderungen der Europäischen Union (EU), der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Staatssanierung kein Jota. Hier handelt es sich vielmehr um den Versuch, den Widerstand der Griechen und Italiener mit Brachialgewalt zu brechen. Außer der Tatsache, daß die durch Brüssel installierten Ministerpräsidenten parteilose "Technokraten" sind, bestehen noch weitere Gemeinsamkeiten.

Werfen wir zunächst einen Blick nach Athen, wo die rechtssozialdemokratische PASOK drei ihrer 16 Ministerposten abtreten mußte. Während das Außen- und das Verteidigungsministerium an die konservative Neue Demokratie gingen, übernahm ein Mitglied der noch weiter rechts stahenden LAOS-Partei das Verkehrsressort. Auch unter Premier Papadimos blieb der "Sozialdemokrat" Evangelos Venizelos - ein Strohmann der Monopole und des Bankkapitals - Finanzminister.

Der 1947 geborene Papadimos studierte und promovierte in den USA auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Von 1975 bis 1984 war er Professor für Ökonomie an der New Yorker Columbia University. 1980 wurde er leitender Volkswirt der Federal Reserve Bank in Boston. Eigentümer dieses mit der Geldemission beauftragten und de facto als Staatsbank fungierenden Finanzinstituts sind private Großbanken, die US-Regierung und weitere Institutionen. 1987 kehrte der Rechtskonservative mit "neoliberalem" Anstrich nach Hellas zurück, wo er bei der Bank von Griechenland sofort Karriere machte und zugleich Wirtschaftsprofessor an der Athener Universität wurde. Unter der rechtssozialdemokratischen Regierung Papandreous war er 2001 der "Architekt" des Euro-Beitritts. Die von Griechenland dafür eingereichten Dokumente basierten auf manipulierten Angaben und entsprechendem Zahlenmaterial. Sicherlich war Hellas nicht das einzige Land, das in Brüssel geschönte Unterlagen zur Höhe seiner Staatsverschuldung, zur Inflationsrate und zum Haushaltsdefizit unter Verschleierung der Nichteinhaltung von Konvergenzkriterien präsentierte. Einem Bericht zufolge soll das EU-Statistikamt die Zahlen überdies nicht ordentlich geprüft haben, da man an der "Einbindung" Athens interessiert war. Eine "tiefergehende Analyse" sei nicht vorgenommen worden, verlautete. 1998 und 1999 lag das Defizit der öffentlichen Kassen erheblich über drei Prozent.

2002 wechselte Papadimos als Vizepräsident zur EZB nach Frankfurt am Main. 2010 schied er dort aus. Im gleichen Jahr berichtete die "New York Times", die Wall Street habe Griechenland systematisch dabei geholfen, seine Schulden zu vertuschen. Wie zu erfahren war, soll die US-Bank Goldman Sachs im Jahr 2001 für ein "Taschengeld" von 300 Millionen Dollar die Athener Regierung beim Frisieren ihrer Statistiken unterstützt haben. Die Aufnahme eines Kredits von mehreren Milliarden Dollar habe man als Devisenkauf getarnt, heißt es. Weiterhin wurden künftige Zahlungsströme verbrieft. Athen erhielt von Goldman Sachs Bargeld für die Übertragung des Rechtes, künftig auf den griechischen Flughäfen abkassieren zu können. Ähnlich verfuhr man mit den Erlösen der staatlichen Lotterie.

Mario Monti, Jahrgang 1943, promovierte an der Mailänder Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi zum Doktor der Ökonomie. Danach erhielt er seinen Feinschliff in einem postgradualen Studium an der USA-Eliteuniversität New Haven (Connecticut). Monti wirkte als Professor an den Universitäten Mailand, Trient und Turin. Von 1989 bis 1994 war er zunächst Rektor der Bocconi-Universität und dann bis 1999 deren Präsident. Seit 2004 hatte er dort abermals dieses Amt inne. In den 80er Jahren arbeitete Monti zunächst im italienischen Finanzministerium, Ende der 80er übersiedelte er in das Industrieressort. Zugleich bekleidete er etliche lukrative Posten in großen Unternehmen. 1995 berief man ihn zum EU-Kommissar für den Binnenmarkt. Von 1999 bis 2004 war er Brüssels "Wettbewerbs"-Kommissar.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung der großbürgerlichen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 16. Februar 2010, die JP Morgan Bank habe Italien Mitte der 90er Jahre durch eine ähnliche Transaktion wie Goldman Sachs in bezug auf Griechenland zur Reduzierung des Haushaltsdefizits verholfen. Es ist kaum vorstellbar, daß der große Finanzspezialist und Technokrat Monti davon nichts gewußt hat.

Bei der praktischen Umsetzung der Euro-Raum-Idee in heute 17 Mitgliedsstaaten der EU zielte die ungehemmte Kapitalverwertung auf Profit für Banken und Industriekonzerne bei gleichzeitiger Ausschaltung nationalstaatlicher Kontrollmechanismen. Die Einführung des Euro schuf eine völlig neue weltpolitische und weltwirtschaftliche Situation, da sie die USA-Führungsmacht und ihren Dollar in Frage stellt. Deshalb erscheint es nicht unlogisch, daß Griechenland wie Italien bei der Erfüllung der Beitrittskriterien zum Euro-Raum "Unterstützung" seitens des US-Finanz- und -Monopolkapitals erhalten haben - und zwar nicht ohne Wissen der Washingtoner Administration. So sicherten sich die Vereinigten Staaten eine Zugriffsmöglichkeit auf wichtige Entscheidungsprozesse in der Euro-Zone.

Angeschlagene EU-Mitgliedsstaaten werden vor allem durch Berlin und Paris unter massiven Druck gesetzt. Sie müssen immer höhere Zinsen für Staatsanleihen entrichten, um ihre Zahlungsverpflichtungen erfüllen und die Zahlungsbilanzen ausgleichen zu können. Dabei waren und sind Griechenland wie Italien gewiß nicht die einzigen Trojanischen Pferde derer, die der EU den Garaus machen wollen. Der Kampf um die Vorherrschaft sowohl in der EU/Euro-Zone als auch in der Weltwirtschaft wird mit äußerst harten Bandagen geführt. Die "Sanierung" der Euro-Zone entscheidet darüber, welche Währung - Euro oder Dollar - Erfolg oder Mißerfolg erfahren und welche Staaten künftig das Sagen bei den als "Globalisierung" bezeichneten Internationalisierungsprozessen haben werden. Ganze Volkswirtschaften und somit die Existenzbedingungen der betroffenen Völker werden dabei unter den Tisch gekehrt.

"Technokraten" wie Papadimos und Monti sind am besten zur Täuschung der Opfer und zur Verschleierung der wirklichen Abläufe geeignet. Die beiden in den USA abgerichteten Banker-Professoren sollen jetzt den von der EU vorgegebenen harten Kurs der Staatssanierung auf dem Rücken der Griechen und Italiener durchsetzen. Ihr Auftrag lautet darüber hinaus, die Gesamtinteressen des Kapitals außer- wie innerhalb des Euro-Raums abzusichern.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

Raute

Wie die Mordmauer zu Mexiko als "Grenzzaun" verklärt wird

Tausende Tote, über die man nicht spricht

Grenzen markierende Mauern hat es seit den Tagen des römischen Kaisers Hadrian in der Geschichte schon etliche gegeben. Von der Großen Mauer, mit der sich Chinas Herrscherdynastien ihrer Feinde erwehrten, bis zur Berliner Mauer, die bei Licht- und Schattenseiten einem Drittel Deutschlands 28 Jahre Sozialismus bewahrte, reicht die historische Skala. Professionelle Geschichtsfälscher feuern immer neue Schmähkanonaden auf jene ab, welche 1961 die DDR durch Befestigung ihrer Grenzen und deren verläßlichen Schutz vor dem schon damals geplanten Zugriff der Kapitalisten bewahrten.

Nur wenige sind sich dessen bewußt, daß die Gedenkrituale und Haßorgien der Klassenfeinde samt ihrer Medien und hysterisch agierenden Historiker ganz andere Mauern vergessen machen sollen. Gemeint ist hier nicht allein der menschen- und völkerrechtswidrige Apartheid-Wall, der von den Machthabern in Tel Aviv auf dem Boden der palästinensischen Westbank errichtet wurde. Seine Höhe und Länge übertreffen die der Berliner Mauer bei weitem. (Man stelle sich überdies vor, was passiert wäre, hätte es die DDR im August 1961 gewagt, ihre Grenzanlagen bis auf das Gebiet Westberlins vorzuschieben!)

Nein, hier wollen wir den Finger in die blutende Wunde der schwer befestigten Trennlinie zwischen den USA und Mexiko legen, die von ihren Erfindern in Washington in schlecht gespielter Harmlosigkeit als "Grenzzaun" deklariert wird. Tatsächlich handelt es sich um die mörderischste Grenzbefestigung der Gegenwart. An ihr sind inzwischen Tausende Lateinamerikaner ums Leben gekommen. Waren es 1995 "nur" 61, so stieg die Opferzahl auf 488 im Jahr 2000 an. In den 2008 abgeschlossenen "Ausbau" der nach amerikanischen Maßen 670 Meilen langen und fünfeinhalb Meter hohen Grenzbefestigung wurden viele Milliarden Dollar investiert. Als Material verwendete der Bauherr - das USA-Ministerium für Heimatschutz (Department of Homeland Security - DHS) - Stahl, Betonsegmente und Stacheldraht. Die gigantische Anlage wird überdies durch Radar- und TV-Kontrollmechanismen gesichert.

Dem Super-Mauerbau an der Todesgrenze lag der unter Präsident George W. Bush 2006 eingeführte Secure Fence Act zugrunde. Ziel sei die "effektive Kontrolle der US-Grenzen zu Mexiko", hieß es. Dieser angebliche Zaun (Fence), an dem unterdessen 20.000 schwerbewaffnete Wächter patrouillieren, ist wohl von niemandem mit gesundem Menschenverstand als solcher zu betrachten. Auf der Website des DHS, das treffender als Ministerium für innere und äußere Unterdrückung zu bezeichnen wäre, wurden die wahren Gründe für die Einführung eines derart mörderischen Regimes an der Grenze zum Nachbarstaat genannt: Es gehe um die Abwehr von "Terroristen", die Unterbindung des Drogen- und Menschenschmuggels, die Abwehr illegaler Einwanderer, verbesserten Umweltschutz in der Grenzregion und das Verhindern der Ausbreitung gefährlicher Seuchen.

Aufschlußreich ist die Tatsache, daß zwar die Grenze der USA zum südlichen Teil des Kontinents aus überwiegend vorgeschobenen Gründen hermetisch abgeriegelt wurde, ähnliche Maßnahmen gegenüber Kanada aber unterblieben.

In einem erst kürzlich produzierten Dokumentarfilm mit dem Titel "La Barda" (Der Zaun) wird die unterstellte Bedrohung der USA durch Terroristen aus Mexiko ad absurdum geführt. 1993 - lange vor Errichtung der Mauer zu Mexiko - wurden in den USA insgesamt 29 terroristische Anschläge registriert: 24 Täter waren per Flugzeug eingereist, fünf wurden in den USA geboren. Unter den 24 Erstgenannten befand sich kein einziger Mexikaner.

Die derzeitige Außenministerin Hillary Clinton mußte zur Narkotika-Problematik eingestehen: "Unser unersättliches Verlangen nach Rauschgift befeuert den illegalen Drogenhandel." Die Vereinigten Staaten seien mitverantwortlich für die in Mexiko im Zusammenhang mit Drogen herrschende Gewalttätigkeit. Ohne die Riesenausmaße annehmende Kokain-, Heroin- und Marihuana-"Nachfrage" gäbe es die blutigen Straßenschlachten zwischen mexikanischen Drogenhändler-Banden, besonders in den Grenzstädten Juarez, Tijuana und Nogales, wohl kaum, fügte sie hinzu.

Seit 2009 - also nach Errichtung des "Grenzzaunes" - sind weitere 200.000 illegale Immigranten aus Mexiko in die USA eingesickert. Und das ungeachtet der Tatsache, daß das Risiko, an der schwerbewachten Grenze ums Leben zu kommen, 2009 eineinhalbmal größer war als 2004.

Bei der "Mauer des Hasses", wie das überdimensionale Befestigungssystem in linken Medien bezeichnet wird, geht es weniger um Sicherheit als um Paranoia und Profit. Für antikommunistischen Verfolgungswahn sorgt das dem Multimilliardär Rupert Murdoch gehörende TV-Netz Fox News, das immer neue "Terroristen" aus dem Zylinder zieht.

Um den Profit kümmert sich ein privater Vertragspartner der US-Regierung, dem der Mauerbau auf seiner Gesamtlänge zugeschlagen wurde: der gigantische Luftfahrtund Rüstungskonzern Boeing. Unter dessen rund 100 Nachauftragnehmern befindet sich aparterweise der israelische Konzern Elbits, der bereits beim Bau des "Apartheid-Walls" im Westjordanland einschlägige Erfahrungen sammeln konnte. Die staatlichen Gesamtausgaben der USA für die "Mauer des Hasses" sind hinsichtlich der nächsten 25 Jahre vorerst mit 53 Milliarden Dollar veranschlagt worden.

Die USA - das größte Einwanderungsland der Neuzeit -, deren Freiheitsstatue vor den Toren New Yorks einst "die ermatteten, armen und gequälten Massen" bei ihrer Ankunft an den Grenzen willkommen hieß, begegnet diesen heute mit Kugeln und stahlbewehrtem Beton. Ist es da nicht längst überfällig, die Haßausbrüche gegen die Berliner Mauer des Antifaschismus zu beenden und das verbale Feuer auf die wahren "Mauern der Schande" in Israel und den USA zu lenken?

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Die Mauer teilt die Stadt Nogales in zwei Hälften.

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General Vo Nguyen Giap führte Vietnams Volksarmee zweimal zum Sieg

Erinnern an den Helden von Dien Bien Phu

General Vo Nguyen Giap, der am 25. August 2011 seinen 100. Geburtstag begehen konnte, ist heute ein gebrechlicher Greis, der in einer medizinischen Einrichtung lebt. Einst lehrte er die Interventionstruppen der Franzosen und Amerikaner das Fürchten. Der legendäre Befehlshaber in beiden vietnamesischen Befreiungskriegen ist in seiner Heimat eine Berühmtheit, symbolisiert er doch die Erlösung Vietnams von kolonialer und imperialistischer Unterdrückung.

Der Bauernsohn Giap wandte sich schon frühzeitig gegen die 1911 in Vietnam errichtete französische Kolonialherrschaft. 1925 schloß er sich einer patriotischen Jugendgruppe an, was ihm Verhaftung und Gefängnisjahre eintrug. Nach seiner Freilassung trat Giap 1931 der im heutigen Vietnam, Laos und Kambodscha aktiven KP Indochinas bei. Er arbeitete zunächst als Lehrer, dann als Journalist linker Publikationen. Ende der 30er Jahre wurde Giap von der Partei nach China entsandt, um gemeinsam mit Ho Chi Minh unter dort lebenden Vietnamesen politisch tätig zu sein.

Im Zweiten Weltkrieg verdrängten die japanischen Okkupanten für einige Jahre die französischen Kolonialisten. Giap kehrte nun nach Vietnam zurück, um sich an der Organisierung des Widerstandes gegen die neuen Eindringlinge zu beteiligen. Nachdem die August-Revolution von 1945 die japanische Herrschaft hinweggefegt hatte, wurde er Innenminister in der von Ho Chi Minh gebildeten Regierung. Doch schon im Herbst 1945 kehrten die französischen Beutejäger zurück.

Die KP Indochinas beschloß nun, zum wirksameren Kampf gegen das neuerliche Kolonialjoch eine Armee aufzustellen, deren Formierung und Führung Giap übertragen wurde. 1954 brachte der den französischen Truppen und deren Fremdenlegionären in der historischen Schlacht von Dien Bien Phu eine vernichtende Niederlage bei. Dieser war die zweimonatige Belagerung der im nordwestlichen Hügelland Vietnams errichteten Trutzburg der Kolonialisten vorausgegangen. Während 100.000 die Wende des Krieges herbeiführende Soldaten Giaps die eingeschlossene Festung belagerten, sicherten weitere 100.000 Vietnamesen - überwiegend Frauen und Jugendliche - durch logistische Hilfsdienste aller Art den Ausgang des erbitterten Ringens. Sie sorgten für den Nachschub an Nahrungsgütern, schafften Waffen und Munition durch den Dschungel heran.

Als die Schlacht endete, begaben sich 11.000 Elitesoldaten Frankreichs in die Gefangenschaft der Giap-Armee. Bevor Paris seine eigenen Verbände abzog, sorgte der französische Imperialismus für Nachfolger.

Im Süden des Landes wurde das Regime des Operettenkaisers Bao Dai installiert, dem Washington sofort unter die Arme griff, um gesamtvietnamesische Wahlen zu verhindern, aus denen Ho Chi Minh zweifelsfrei als Sieger hervorgegangen wäre. Nachdem die USA in Saigon - dem heutigen Ho-Chi-Minh-Stadt - ein ihnen höriges Marionettenregime unter "Präsident" Diem errichtet hatten, entsandte das Pentagon 1965 erste eigene Kampfeinheiten nach Vietnam, die in kurzen Zeitabständen immer wieder aufgestockt wurden. 1968 gingen die über den sogenannten Ho-Chi-Minh-Pfad eingesickerten nordvietnamesischen Divisionen gemeinsam mit Verbänden der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams zur inzwischen legendären Tet-Offensive über, bei der die US-Besatzer und deren einheimische Satelliten buchstäblich überrannt wurden. Das Kommando führte wiederum General Giap. Am Ende der Kampfhandlungen mußten die Aggressoren aus Übersee mehr als 58.000 gefallene und Tausende vermißte GIs vermelden. Lange zuvor war der unpopuläre Krieg bei der USA-Bevölkerung auf immer heftigeren Protest und Widerstand gestoßen.

Am 3. April 1995 bezifferte Hanoi die Verluste er vietnamesischen Volksarmee mit einer Million Gefallener, der Zivilbevölkerung mit vier Millionen Opfern - überwiegend durch Bombenangriffe und Napalm-Einsatz der U.S. Air Force.

Noch immer leiden unzählige Vietnamesen und deren Nachkommenschaft unter den Auswirkungen des als "Entlaubungschemikalie" verharmlosten Kampfstoffes Agent Orange. So wirft die Vergangenheit ihre Schatten bis in unsere Tage.

Ungeachtet neuer Entwicklungen in und um Vietnam, dem Angela Merkel im Vorjahr bei einer Visite namens des deutschen Imperialismus "wärmste Gefühle" übermittelte, sind die unsterblichen Heldentaten des Volkes von Ho Chi Minh und Vo Nguyen Giap im Gedächtnis der Völker nicht verblaßt. Onkel Ho und der Held von Dien Bien Phu symbolisieren für immer jenes Volk, mit dem wir einst gehofft und gebangt haben, bis am 1. Mai 1975 der weltweit vernommene Ruf erscholl: "Vietnam ist frei!"

RF, gestützt auf "The New Worker", London

Raute

Gruß an Polens Kommunisten:

Sto lat, drodzy towarzysze!

Brzask (Morgenröte) - die Monatsschrift der Kommunistischen Partei Polens - läßt mit der Rückkehr zur alten Aufmachung ihrer Titelseite auch bei der Sprache unkundigen Betrachtern ein Gefühl der Freude aufkommen: Rot und leuchtend springen neben der Titelzeile jetzt wieder Hammer und Sichel ins Auge. Einige Zeit las man dort in schwarzen Lettern lediglich die drei Worte "Hammer und Sichel" mit dem Vermerk, die Abbildung kommunistischer Symbole sei in Polen gesetzlich verboten.

Die schwer rechtslastigen Kacznski-Brüder hatten ihr Land auf den Weg der immer offeneren Faschisierung gestoßen, was sich nicht zuletzt in solchen Ausbrüchen des antikommunistischen Gesinnungsterrors manifestierte.

Wenn "Brzask" nicht nur der alten Losung des Manifests von Marx und Engels "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" folgt, sondern auch wieder unter den Insignien der kommunistischen Weltbewegung erscheint, erfüllt uns das mit Stolz auf unsere polnischen Genossen, die wir zu ihrer Courage und Standhaftigkeit von ganzem Herzen beglückwünschen. Es lebe die Kommunistische Partei Polens! Niech zyje KPP! Sto lat, drodzy towarzysze!

RF

Raute

Belgischer Besuch bei Gerardo Hernández von den "Cuban Five"

Visite im Hochsicherheitstrakt

Katrien Demuynck, die Koordinatorin der belgischen Initiativa Cuba Socialista, und der flämische Schriftsteller Marc Vandepitte hatten den seit 13 Jahren im Hochsicherheitsgefängnis der USA arretierten kubanischen Kundschafter Gerardo Hernández bereits im Juli 2004 besuchen können. Gerardo ist - wie vier seiner Genossen - wegen der Ausspähung gegen sein Land von Miami aus operierender antikubanischer Terrorgruppen zu einer drakonischen Strafe verurteilt worden. Die "Cuban Five", wie das Quintett der Wagemutigen inzwischen weltweit genannt wird, waren nach dem Richterspruch auf weit voneinander entfernte spezielle Haftanstalten für Schwerverbrecher in verschiedenen USA-Bundesstaaten verteilt worden.

Die beiden beherzten Belgier erhielten unerwarteterweise grünes Licht für eine erneute Gelegenheit, Gerardo zu sehen. Er befindet sich derzeit in dem aus einem früheren Militärobjekt zum Bundesgefängnis umgebauten, rund 100 km von Los Angeles entfernten riesigen Zellenkomplex bei Victorville in der Mojavewüste. Das hermetisch abgeriegelte Terrain hat die etwa 100fache Ausdehnung eines Fußballfeldes.

Gerardo, der täglich Post aus aller Welt und viele Anrufe erhält sowie häufiger als andere Besucher empfängt, wird vom Wachpersonal inzwischen mit einem gewissen Respekt behandelt. Doch seine tapfere Frau Adriana hat Gerardo seit 13 Jahren nicht gesehen und bemüht sich seitdem vergeblich darum, ein Einreisevisum in die Vereinigten Staaten zu erhalten.

Als die namhaften belgischen Antifaschisten ihren kubanischen Gesinnungsgenossen im großen Besuchersaal der Haftanstalt, wo 25 von Sitzgelegenheiten eingefaßte kleine Tische aufgestellt sind, begegnen, wirkt Gerardo trotz härtester Haftbedingungen auf sie nicht nur heiter und gelassen, sondern sprüht geradezu vor revolutionärem Optimismus. Er erzählt seinen Freunden aus Westeuropa, wie er es zuwege gebracht habe, daß ihnen trotz anfänglicher Zugeknöpftheit der Anstaltsleitung eine zweite Besuchserlaubnis erteilt worden sei.

Ein im Gefängnis beschäftigter Sozialarbeiter sei dafür gerüffelt worden, daß er den bekannten Schauspieler Danny Glover auf Gerardos Besucherliste gesetzt habe, obwohl dieser als "Außenstehender" nicht hätte zugelassen werden dürfen. Die Ablehnung des in den USA populären Darstellers habe in den Medien für einigen Wirbel gesorgt. Um die Wogen etwas zu glätten, sei daraufhin mit Katrien und Marc gnädig verfahren worden, zumal er, Gerardo, ein Foto mit den beiden habe vorweisen können, was bei deren erster Visite im Besucherraum der Anstalt gemacht worden sei.

Auf Fragen der Belgier nach den Vollzugsbedingungen in Victorville berichtete ihnen der prominenteste Insasse des Gefängniskomplexes, daß sich in der für 960 Personen ausgelegten Anstalt derzeit mehr als 1600 Häftlinge befänden, die - von ihm abgesehen - ausnahmslos wegen krimineller Delikte bestraft worden seien. Trotz der strengen Überwachung bestehe im Hochsicherheitstrakt kein Mangel an Rauschgift, Alkohol und Messern, für deren Vertrieb im Gefängnis operierende Gangs zuständig seien. Überdies begünstige die enorme Überbelegung ständige Reibereien und Gewalttätigkeiten unter den Einsitzenden. Er selbst habe in dieser Hinsicht allerdings bislang Glück gehabt, auch sei er auf Grund seines eher europäischen Aussehens von rassistischen oder rechtsextremistischen Anfeindungen verschont geblieben.

Inzwischen wisse in Victorville wohl nahezu jeder, daß er Kubaner und Kommunist sei, sagte Gerardo. Er habe sogar den Spitznamen "Cuba" erhalten. Übrigens genieße er unterdessen bei etlichen Mitgefangenen ein gewisses Ansehen. Nach dreistündiger Unterhaltung wurde Katrien und Marc mitgeteilt, daß die Besuchszeit nunmehr beendet sei, obwohl den beiden Belgiern laut Genehmigungsschein fünf Stunden zugebilligt worden waren. Die intensiven Kontrollen und schier endlose Wartezeiten wurden mit angerechnet.

Die aus Europa angereisten Genossen waren jedoch auch so mit dem äußerst lebhaften, viele wichtige Themen - von der längst weltumspannenden Kampagne für die Freilassung der "Cuban Five" bis zur gefährlichen Lage in verschiedenen Regionen der Welt - berührenden Gespräch sehr zufrieden. Sie verließen Gerardo glücklich und tief beeindruckt. "Sein Optimismus und sein unerschütterliches Zukunftsvertrauen bewegen uns ebenso wie die Tatsache, daß er trotz all des Schweren, was er durchmacht, seinen Sinn für Humor behalten hat", bemerkte Katrien später gegenüber der belgischen Wochenzeitung "Solidaire": "Mehr als einmal haben wir bis zu Tränen gelacht - trotz der hohen Mauern und des Stacheldrahtes, hinter denen unser Gespräch stattfand."

Mit Adriana telefoniere und korrespondiere Gerardo regelmäßig, habe er die beiden Besucher wissen lassen. Weder der Schmerz noch die lange Trennung von seiner Frau hätten ihre Beziehung getrübt. Und mit Blick auf die sicher nicht kurze Wegstrecke bis zu seiner Freilassung - Präsident Obama hätte ihn jederzeit begnadigen oder eine Haftverkürzung anordnen können, wenn er gewollt hätte, womit wohl kaum zu rechnen sein werde - sagte Gerardo bei der Verabschiedung Katriens und Marcs: "Was auch immer geschehen wird - ich stehe hundertprozentig zur Revolution und zu Fidel. Nichts vermag meine Sicht auf die Dinge zu ändern."

"Und Gerardo" - schließen die beiden Belgier ihren bewegenden Report - "kann mit uns rechnen. Wir werden den Kampf für ihn und seine Kameraden nun noch mehr verstärken!"

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Scharfmacher Henry Kissinger zur doppelzüngigen Außenpolitik der Vereinigten Staaten

Selbsttor eines "Friedensnobelpreisträgers"

Als ich unlängst Henry Kissingers Buch "China zwischen Tradition und Herausforderung" aus der Hand legte, kamen mir jene Giftpfeile in den Sinn, welche die Medien der Bourgeoisie auf Egon Krenz wegen dessen Bewertung des Geschehens auf dem Beijinger Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) im Juni 1989 vor geraumer Zeit abfeuerten. In einem langen Kapitel geht der frühere Außenminister der USA auf dieses Thema ein. Er schildert das Reagieren der Washingtoner Administration unter George Bush sen., das etwas anders aussah, als es durch den bundesdeutschen Blätterwald jener Zeit rauschte. So ist es hochinteressant, die geschwätzige Eitelkeit dieses Mannes aufzugreifen und zu erfahren, was Kissinger als selbsternannter China-Experte der USA auszuplaudern weiß.

In der Öffentlichkeit und vor dem Kongreß der Vereinigten Staaten gab sich Präsident Bush sen. als empörter Verteidiger der durch China angeblich brutal verletzten bürgerlichen Freiheiten, wobei er in das sattsam bekannte Menschenrechtsgeheul der Medienmeute einstimmte. Begegnungen auf hoher Ebene sagte er brüsk ab, stellte die militärische Zusammenarbeit ein und verfolgte die Strategie, mit Beijing bereits vereinbarte Lieferungen zu stoppen. Überdies drohte Bush mit Widerstand gegen neue Kredite der Weltbank und anderer internationaler Finanzinstitute für China.

Doch bereits am 1. Juli - gerade einmal drei Wochen nach den Ereignissen auf dem Tiananmen - schickte Bush hochrangige Vertreter in die chinesische Hauptstadt, um seine heftigen propagandistischen Ausbrüche "zu erklären". Chef-Sicherheitsberater Brent Scowcroft und der stellvertretende Außenminister Lawrence Eagelburger brachen in einer nicht gekennzeichneten Transportmaschine der U.S. Air Force zu einer streng geheimen Mission auf, in die nur eine Handvoll Regierungsbeamte eingeweiht wurde. Nach Kissingers Beschreibung betankte man das Flugzeug in der Luft, um eine Zwischenlandung zu vermeiden. Man hißte weder Fahnen, noch gab es irgendwelche Pressemeldungen zum Besuch. Die direkte Kommunikation mit dem Weißen Haus aber war in der ganzen Zeit gewährleistet. Es kursierte das Gerücht, die US-Delegation hätte sich so diskret ins Reich der Mitte "geschlichen", daß die Luftabwehr der VR China beim Staatspräsidenten angefragt habe, ob das geheimnisumwitterte Flugzeug abzuschießen sei.

Die Delegation, die von Deng Xiaoping empfangen wurde, übermittelte die Botschaft des US-Präsidenten, er habe aufgrund der Stimmung und der völlig anderen Sicht der USA auf die Ereignisse reagieren müssen. Es wurde indes keine Protestnote überreicht. Vielmehr erging der Appell an Beijing, die Zusammenarbeit beider Länder fortzusetzen. Handelte es sich hier um eine Stimme der Vernunft? Hatte auch Bush erkannt, daß auf dem Platz des Himmlischen Friedens "etwas getan wurde, um die Ordnung wiederherzustellen", wie Egon Krenz es formulierte? Vielleicht - doch in Washington verstand man unter "Ordnung" natürlich etwas völlig anderes. O-Ton Kissinger: "Globalisierung ist nur ein anderes Wort für US-Herrschaft."

Ein weiteres Beispiel politischer Doppelzüngigkeit lieferte der Ex-Außenminister in Bezug auf Fang Lizhi, einen Physiker, der -in den Worten Kissingers - "schon lange die Toleranzschwelle des chinesischen Staates getestet" hatte. Anderenorts nennt der einstige US-Topdiplomat "Freiheitskämpfer" dieses Schlages "selbsternannte Dissidenten". Ohne verfolgt zu werden, begab sich Fang Lizhi unmittelbar nach dem Geschehen auf dem Tiananmen samt Frau in die US-Botschaft, wobei er sich als "potentiell gefährdet" darstellte. Das war dann ein Grund für die chinesischen Behörden, einen Haftbefehl gegen ihn zu erlassen.

Doch die Amis hatten den "selbsternannten Dissidenten" nun auf dem Hals oder - genauer gesagt - in ihrer Botschaft. Ein solcher "Gast" kann sich in Zeiten der Konfrontation bisweilen als nützlich erweisen. Aber die US-Führung wollte nicht Fang, sondern ihre Beziehungen zu China aufrechterhalten. Auch dazu konnte der Botschaftsflüchtling dienen. Die von Washington verhängten Sanktionen wurden nämlich im Gegenzug für Fangs Ausweisung, ohne das Gesicht zu verlieren, wieder aufgehoben. Seitdem ist viel Wasser den Jangtse und den Potomac hinabgeflossen. Das Kräfteverhältnis zwischen China und den USA hat sich fundamental verändert.

1989 waren die Volkswirtschaften beider Länder weit weniger miteinander verflochten als heute. Zwischen 1979 und 1989 überstiegen die Devisenbestände der VR China niemals 20 Milliarden US-Dollar, während sie seit März 2011 bei über 3 Billionen liegen! Damals gab es also keinen offensichtlichen Grund für die Vereinigten Staaten, auf Beijing aus ökonomischen Erwägungen zuzugehen. Auch das militärische Erstarken der VR China stellte zu jener Zeit für Washington kein Problem dar. Und weltstrategisch bildeten die im Niedergang befindliche Sowjetunion sowie die mit ihr verbundenen sozialistischen Staaten Europas trotz aller Schwächung noch immer das offizielle Gegengewicht zur "Supermacht" USA.

Man könnte bei der Lektüre des Kissinger-Buches den Eindruck gewinnen, der wie Afghanistan-"Befrieder" Barack Obama mit dem Friedensnobelpreis bedachte seinerzeitige Scharfmacher im State Department setze auf Leser mit Gedächtnisschwund, die sich seiner Schlüsselrolle beim CIA-gelenkten Putsch Pinochets gegen Chiles rechtmäßigen Präsidenten Salvador Allende nicht mehr erinnern können. Die von Kissinger behauptete Äußerung gegenüber Mao Zedong, "die Vereinigten Staaten" würden "zur Verteidigung Europas ganz bestimmt Kernwaffen einsetzen", zeigt, wes Geistes Kind der Autor ist. Bei aller zur Schau gestellten Objektivität und Sachlichkeit beurteilt Washingtons einstiger Top-Diplomat die Beziehungen zu anderen Ländern - darunter auch der VR China - allein aus der Sicht der Interessen des USA-Imperialismus.

Bernd Gutte


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Nicht immer wahren die Spitzen des U.S. State Department das diplomatische Dekor: Außenministerin Hillary Clinton - hier am 18. Oktober 2011 mit "Rebellen" im "erlösten" Tripolis - läßt ihrer Freude über die geglückte NATO-Intervention freien Lauf.

Raute

Wie Nordamerikas Ureinwohner ihre natürliche Umwelt und die Gesellschaft wahrnahmen

Das Beispiel der Indianer

Den an hierarchische und patriarchische Systeme gewöhnten Europäern fiel es schwer, die typisch indianischen Formen gesellschaftlicher Gleichberechtigung zu verstehen. Nördlich von Mexiko waren nirgends Elemente eines Nationalstaates wie Regierungsapparate, Steuern, Vollzugseinrichtungen, Adelshierarchien oder ähnliches zu finden. Selbst dort, wo das Amt des Häuptlings innerhalb einer Familie erblich war, verband es sich nicht mit dem Beiwerk der Macht oder einer hervorgehobenen sozialen Position. Es gab zwar Regeln und Gesetze, für deren Einhaltung Sanktionen und Tabus sorgten. Doch der einzelne ließ sich überwiegend von seinem Sinn für die Gemeinschaft (auch mit der Natur) leiten, nicht aber von Obrigkeitsdenken, Gehorsam oder Angst vor Bestrafung.

Frauen genossen in den indianischen Gesellschaften im allgemein hohes Ansehen und waren in politischen wie in wirtschaftlichen Fragen und Bereichen gleichberechtigt. Bei den Stämmen an der Ostküste bestand die Möglichkeit, daß Frauen durch weibliche Erbfolge Häuptlinge und manchmal auch Schamanen wurden.

Zweifellos hatten die Indianer ein wesentlich besseres System der Lebensmittelversorgung, sowohl was die Effizienz als auch die Nahrung selbst betraf. Die meisten Stämme nördlich von Mexiko ernährten sich zu zwei Dritteln vom Fleisch erlegter Tiere und gesammelten Wildfrüchten, zu einem Drittel von Mais, Bohnen und Kürbissen, die auf wechselnden Flächen angebaut wurden. Ackerbau, Jagd und Fischfang betrieben sie so, daß nichts verschwendet wurde oder umkam.

Die Schamanen besaßen Kenntnisse in Chirurgie, Massage, Geburtshilfe und Psychotherapie sowie auf dem Gebiet der Pharmakologie, worin sie die Europäer übertrafen. Hundertfünfzig Arzneien der nordamerikanischen Indianer und etwa fünfzig derer aus Südamerika fanden Aufnahme in die gegenwärtige Arzneimittelliste der USA.

Sauberkeit und Hygiene der Indianer schnitten im Vergleich zu Europa ebenfalls besser ab. Überdies berichteten englische Chronisten, die Indianer seien herzlich, hilfsbereit und höflich.

Der Umgang zwischen Eltern und Kindern sei liebevoll, auch wären den Indianern körperliche Züchtigungen Minderjähriger unbekannt.

Was in der Welt der Indianer des östlichen Waldlandes fortdauerte, war das beschriebene Grundgefüge: das erbliche Amt des Häuptlings, die matrilinearen Stammesstrukturen, bestimmte Techniken in Handwerk und Landwirtschaft. Am nachhaltigsten wirkte aber - in diesen wie in allen anderen Indianerkulturen - die enge und stabile Beziehung zur Natur weiter.

Luther Standing Bear, ein Häuptling der Oglala Sioux, sagte: "Der Indianer (wurde), wie alle anderen Wesen, die geboren wurden und wuchsen, von der gemeinsamen Mutter genährt - der Erde." Ein neueres Dokument von den Irokesen lautet folgendermaßen: "In unseren Sprachen ist die Erde unsere Mutter Erde, die Sonne unsere älteste Schwester, der Mond unser Großvater. Unser Volk glaubt daran, daß alle Elemente der Natur zum Nutzen alles Lebenden geschaffen wurden und daß wir, die Menschen, zu den Schwächsten zählen, weil unser Überleben von der gesamten Schöpfung abhängig ist."

Bestimmte Rituale vermittelten den Heranwachsenden die Einheit mit der Natur. Gesellschaften ohne diese "aufrichtige Verehrung der Erde", folgert der amerikanische Ökologe Paul Shepard, seien durchaus als wahnwitzig zu bezeichnen.

Alles deutet darauf hin, daß die indigenen Völker auf dem amerikanischen Kontinent wirklich die ersten ökologisch denkenden Menschen waren; sie entwickelten Glaubenssysteme, die sie so werden ließen, zugleich verhielten sie sich entsprechend, weil sie wußten, daß ihr Überleben und ihr Glück - und in ihren Augen auch das Überleben und das Glück aller anderen Kreaturen - davon abhingen.

Welch ein Gegensatz zu Europa! Dort war man im Denken wie im Handeln seiner natürlichen Umgebung entfremdet. Seit Jahrtausenden zerstörten die Europäer den Boden und das Wasser, von dem sie abhängig waren und suchten in verschiedenen Glaubensbekenntnissen und Anschauungen dafür eine Rechtfertigung. Ursache ist vermutlich ihre Angst vor den Naturelementen, die auf Ignoranz beruht und einer Unwissenheit auch in damals gelehrten Kreisen Europas. Diese Entfernung von der Natur, die Entfremdung vom Reich des Wilden ist wohl in keiner anderen komplexen Kultur der Welt so zu finden.

In ihrem Verhalten der Wildnis gegenüber, das ihrer tiefsitzenden Abneigung gegen die Natur im allgemeinen entsprach, schuf die europäische Kultur eine beängstigende Distanz zwischen dem Menschlichen und dem Natürlichen, zwischen den verborgenen, unhörbaren Rhythmen der Welt, zwischen den elementaren und ewigen Prozessen des Universums und der körperlichen wie geistigen Wahrnehmungsfähigkeit, mit deren Hilfe wir das Universum begreifen und unseren Platz darin finden. Menschen, welche die Wildnis, die Natur als heilig ansahen, wurden als Ketzer verfolgt und - weil sie angeblich mit dem Teufel im Bunde waren - auf Scheiterhaufen verbrannt.

Die Wurzeln dieser Haltung sind in der Bibel zu finden, in dem zentralen Schöpfungsmythos. Der Gott Jahwe, der so wenig Teil der Natur ist, daß er seine Elemente vor allem einsetzt, um Rache an seiner Herde zu üben, befiehlt dem Menschen, sich die Erde untertan zu machen. Ignoranz und Angst, Entfremdung und Feindschaft, Dominanz und Ausbeutung ergeben ein deutliches Bild: Wir haben es mit einer am Mechanischen orientierten Welt zu tun, aus der Nähe, Verehrung und Ehrfurcht verschwunden sind und in der immer mehr Kälte, Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit herrschen.

Was wir sonst über das ökologische Erbe Europas wissen, steht dem Land "ins Gesicht" geschrieben. Mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen ist es eine Geschichte von Rodung und Erosion, Verschlammung, Auslaugung, Verschmutzung, Grausamkeit, Zerstörung und Ausplünderung, unternommen zum Nutzen der Menschen und nicht selten aus simpler Unwissenheit.

Von der Antike an dehnte sich die Verwüstung des Mittelmeerraumes bis in den Norden Europas aus. Es war tatsächlich eine Schlacht voller Feindschaft und Gewalt.

Marx stellte später fest, daß der Mensch sich gegen die Natur auflehne, um sich deren Produkte anzueignen.

Besonders stark ausgeprägt war in Europa schließlich das Streben nach materiellen Gütern, die im allgemeinen auf Kosten der Natur erworben und angehäuft wurden. Der Hauptgrund war die Macht des kapitalistischen Systems, das nirgends seinesgleichen fand und der moralischen Restriktionen entbehrte, die in anderen hochentwickelten Kulturen zu finden waren. Unsere Zivilisation ist nicht im Einklang mit sich selbst im Kreislauf der Natur; sie erweist sich als unfähig, ihre grenzenlose Begabung einer begrenzten Welt anzupassen.

Es ist an der Zeit, daß Menschen, die Verantwortung tragen, endlich die Erschöpfbarkeit der Ressourcen und die Tatsache begreifen, daß wir nur einen Planeten haben. Es ist an der Zeit, Kurs auf ein Gesellschaftssystem zu nehmen, das nicht auf Ausbeutung und Privateigentum an Produktionsmitteln beruht: den Kommunismus.

Arnim Johanning, Plön


Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.
Karl Marx

Raute

Über die Namensgleichheit zweier Großsegler unter BRD-Flagge

"Towarischtsch" wurde wieder zu "Gorch Fock"

Die "Gorch Fock" der bundesdeutschen Marine und deren Kriegsmarine-Vorgängerin haben den gleichen Namen: das Pseudonym des niederdeutschen Schriftstellers Johann Kinau. Der 1880 auf der Hamburger Elbinsel Finkenwerder geborene Fischersohn fühlte sich der See und den Menschen an der Waterkant eng verbunden. Er besang sie in platt- und hochdeutschen Erzählungen. Doch er selbst war für Seefahrerberufe nicht geeignet, wurde Kaufmann und Buchhalter. Nebenbei betätigte er sich als Schriftsteller. Seine wenigen Arbeiten sind heute weitgehend vergessen, obwohl die nationalistische und militaristische deutsche Flottenpropaganda vor allem sein 1913 erschienenes Hauptwerk "Seefahrt ist not" immer wieder hochlobte. Sogar als Stoff für einen Film mußte die Geschichte um den jungen Fischer Klaus Mewes, genannt Störtebeker, herhalten. Dieser "Roman" ist eher eine literarisierte Agitationsschrift im Sinne wilhelminischer Seemachtpolitik, deren Hauptparole Kinau als Buchtitel übernahm.

Im August 1914 meldete er sich - wie andere mehr oder weniger populäre Literaten ganz dem "Zeitgeist" verfallen - als Freiwilliger und verherrlichte in Versen und Sprüchen die chauvinistischen Kriegsziele der deutschen Imperialisten. Zu seiner Enttäuschung wurde der "See-Dichter" zum Heer einberufen. Mit Hilfe von Gönnern gelang es ihm aber, 1916 von der Kaiserlichen Marine übernommen zu werden. An Bord des Kleinen Kreuzers "Wiesbaden" ging er mit diesem in der Skagerrakschlacht unter.

Die faschistische Kriegsmarine erhob ihn zum Helden und Vorbild. Daß die Bundesmarine seinen Namen ebenfalls für ihr Schulschiff wählte, entspricht deren Traditionsverständnis. Nachsichtig könnte man sagen, daß Gorch Fock im Vergleich zu Mölders, Rommel und Lüttjens, deren Namen BRD-Zerstörer tragen, noch harmlos ist.

Gorch Fock alias Johann Kinau wurde am 2. Juli 1916 auf der westschwedischen Schäreninsel Stensholmen beigesetzt, wo seine Leiche an Land gespült worden war.

Seit dem 25. September 2003 liegt die "Gorch Fock" zuvor "Towarischtsch" und noch früher ebenfalls "Gorch Fock" in Stralsund. Ihr Ankerplatz befindet sich in Sichtweite jenes Ortes, an dem 1945 ihr erstes Leben gewaltsam zu Ende gegangen war. Zur Geschichte der Bark nur so viel: Als Ersatz für das am 26. Juli 1932 durch eine Gewitter-Fallbö im Fehmarnbelt untergegangene Segelschulschiff "Niobe" der Reichsmarine lief am 3. Mai 1933 bei Blohm & Voss eine Dreimastbark vom Stapel, die den Namen Gorch Fock erhielt. Nach dem gleichem Grundplan baute die Hamburger Werft noch fünf weitere Schiffe: "Mircea" (1938) für Rumäniens Marine, "Horst Wessel" (1936, heute "Eagle"/USA) und "Albert Leo Schlageter" (1938, heute "Sagres"/Portugal) für die faschistische deutsche Kriegsmarine sowie 1957 die zweite "Gorch Fock" für die Bundesmarine der BRD.

Die "Gorch Fock" (I) unternahm bis 1939 einige große und kleinere Fahrten, teilweise im Verband mit den beiden anderen Marine-Schulseglern. Während des Zweiten Weltkrieges verblieb der Windjammer in der Ostsee und lag dabei häufig in Stralsund, wo sich vier Schiffstammabteilungen der Kriegsmarine befanden.

In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1945 rückte die Rote Armee in Stralsund ein. Wehrmachtspioniere versenkten unmittelbar zuvor die westlich der Rügen-Halbinsel Drigge ankernde und am 27. März bereits außer Dienst gestellte "Gorch Fock", wonach einige Aufbauten und die Masten noch aus dem flachen Wasser ragten. Die sowjetische Besatzungsmacht ließ den Segler heben und in der Rostocker Neptun-Werft sowie durch die Wismarer Werft instandsetzen.

Nach Überwindung vieler Schwierigkeiten (es fehlte besonders an Fachleuten und Material) wurde die Bark, die nunmehr für eine 47köpfige Stammbesatzung und 134 Seefahrtsschüler eingerichtet war, am 15. Juni 1950 unter dem neuen Namen "Towarischtsch" (Genosse) der UdSSR übergeben und als Segelschulschiff der Handelsflotte mit dem Heimathafen Odessa, ab 1975 Cherson, den dortigen Seefahrtsschulen zur Verfügung gestellt.

Als 1974 in der Ostsee die internationale Windjammer-Regatta "Operation Sail", stattfand, nahmen daran von sowjetischer Seite die Viermastbark "Krusenstern" (Ex-"Padua") und die "Towarischtsch" teil. An Rahseglern waren außerdem das Vollschiff "Dar Pomorza" (Polen), die "Gorch Fock" der Bundesmarine, das Vollschiff "Georg Stage" (Dänemark) und die Schonerbrigg "Wilhelm Pieck (DDR, die heutige "Greif") beteiligt. Der Start erfolgte am 14. Juli 1974 nachmittags bei böigem stürmischem Wind, leichtem Regen und rauher See. Die "Towarischtsch" hatte als erstes Schiff ihre Segel oben und flog dem Feld förmlich davon. Die Ausnutzung des kräftigen Windes in dieser Auftaktphase sollte sich als entscheidend erweisen. Es hieß später zwar hinter vorgehaltener Hand, die Bark wäre zu früh gestartet. Beobachter konnten aber erkennen, daß die sowjetische Besatzung offensichtlich hervorragend ausgebildet war und ihre Segel deshalb in entschieden kürzerer Zeit gesetzt hatte als die Konkurrenten. Der Wind ließ in der Nacht nach und schlief am folgenden Mittag fast ein. Die "Towarischtsch" lag zu dieser Zeit bereits weit in Front und ging am Morgen des 16. Juli, nach 36 Stunden und 20 Minuten, als erste über die Ziellinie bei Hela. Nicht weniger als 16 Stunden später folgten die "Gorch Fock" und die "Dar Pomorza", schließlich die "Krusenstern", die "Wilhelm Pieck" und die "Georg Stage". Der Sieg der "Towarischtsch" mit so spektakulärem Vorsprung rief sowohl Be- als auch Verwunderung hervor. Die Offiziellen und die Medien der Sowjetunion stimmten Jubelgesänge an. Die polnischen Gastgeber mischten in ihr Lob für den Sieger ein wenig Enttäuschung über den "nur" dritten Platz ihres Schiffes, das allerdings schon sehr alt sei. In der DDR wurde die Leistung von Kapitän Oleg Wandenko und seiner Crew ebenfalls entsprechend gewürdigt. Daß die "Wilhelm Pieck" nur den fünften Platz belegte, mußte man nicht kommentieren, war sie doch das kleinste teilnehmende Schiff. Die bundesdeutschen Medien gerieten zumeist in Erklärungsnöte, weil sie die "Gorch Fock" schon vor dem Start als haushohen Favoriten und voraussichtlichen Sieger gekürt hatten. Den "Russen" hatte man ganz einfach nicht viel zugetraut.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde nicht nur die Rote Flotte unter mehreren Nachfolgestaaten aufgeteilt, sondern auch die Handels- und Fischereiflotten und somit die Segelschulschiffe. So erhielt die Ukraine u. a. auch die traditionsreiche "Towarischtsch". Nachdem Jahre später alle Bemühungen fehlgeschlagen waren, den inzwischen arg lädierten "Genossen" mit Hilfe von Spenden auf britischen Werften restaurieren zu lassen, wurde das faktische Wrack schließlich per Huckepackschiff nach Stralsund überführt. In der dortigen Volkswerft erfolgten 2003 dann erste wichtige Arbeiten, ehe die Bark ihren kostenfreien Liegeplatz im Hafen erhielt, wo sie auf den alten Namen "Gorch Fock" zurückgetauft wurde. "Traditionalisten" bestanden auf diesem Namen, obwohl es doch bereits die "Gorch Fock" der Bundesmarine gibt, was zu Verwechslungen führen kann. Es ist beabsichtigt, den Segler wieder seetüchtig zu machen und in Fahrt zu bringen. Doch ob es gelingen wird, das dafür benötigte Geld in Millionenhöhe für die umfangreichen Restaurierungen und Modernisierungen aufzutreiben, wird sich zeigen.

Fregattenkapitän a. D. Dr. Robert Rosentreter, Rostock

Raute

Bremer Donat-Verlag schwimmt gegen den Strom der Glorifizierung

Entschleierung preußischer Mythen

Wie zu erwarten war, nahmen die BRD und deren Medien den 300. Geburtstag Friedrich II. am 24. Januar zum Anlaß, eine neue "Preußen-Welle" anzukurbeln. Der preußische Staat, der 20 Jahre nach dem Tod des "alten Fritzen" unter den Schlägen des napoleonischen Heeres zum ersten Mal zusammenbrach, wurde von den deutschen Imperialisten, ganz besonders während des "Tausendjährigen Reiches" der Nazis, zum Idol "deutscher Manneszucht" und "heldischer Tugend" hochstilisiert. Daran knüpft die reaktionäre Geschichtsschreibung auch 65 Jahre nach der völkerrechtlichen Liquidierung Preußens durch die Alliierten der Antihitlerkoalition an, um nationalistisch-chauvinistische Stimmungen im öffentlichen Bewußtsein wachzuhalten. Desto verdienstvoller ist es, daß der Bremer Donat-Verlag solchen Bestrebungen mit einer gediegenen Veröffentlichung - "Preußische Mythen" von Gerd Fesser - entgegentritt.

Die historische Betrachtung bietet keinen trockenen Geschichtsunterricht, sondern ermöglicht es den Lesern, die Zeit zwischen 1806 und 1815 anschaulich mitzuerleben: die preußischen Niederlagen, Kolberg, Tauroggen und die Befreiungskriege. Stein und Hardenberg, Scharnhorst und Gneisenau, Schill und Yorck erstehen in der Widersprüchlichkeit ihrer Bedeutung und ihres Handelns vor unserem geistigen Auge.

Das Spannungsfeld des Buches besteht im Widerspruch jener Zeit: Der antifeudale historische Fortschritt kommt aus dem Frankreich der bürgerlichen Revolution, zugleich aber auch das napoleonische Joch, das den Deutschen viel Unglück beschert. Da erweist sich das preußische Königtum als diensteifriger Helfershelfer des französischen Eroberers, während die fortschrittlichsten Kräfte Deutschlands danach streben, durch bürgerlich-demokratische Reformen nach französischem Vorbild die Bedingungen zur Befreiung von der Fremdherrschaft herbeizuführen.

Wir erleben das Debakel von Jena und Auerstedt. Während Bismarck noch 85 Jahre danach erklärte, der Name Jena habe für ihn als Sohn einer preußischen Offiziersfamilie einen "schmerzhaften und niederdrückenden Klang" gehabt, nennt Friedrich Engels diese Niederlage "ein glorreiches Datum, da das alte vorrevolutionäre Preußen zusammenbrach". (MEW 38/180) Wir erfahren von Schlachtenlenkern, denen die Aufsicht über ihre in die Armee gepreßten, dort geprügelten, Spießruten laufenden und daher zum Desertieren neigenden Söldner wichtiger ist als der Sieg über den Feind. Wir werden Zeugen der Verteidigung Kolbergs - militärisch eindrucksvoll, politisch sinnlos, von den Nazis noch 1945 mit dem Monumentalfilm Veit Harlans und allen Kollaborateuren der Faschisten, derer die UFA habhaft werden konnte, zum Vorbild des "totalen Krieges" zurechtgebogen.

Goebbels veranlaßte persönlich die grobe Verfälschung des wirklichen Geschehens. Nicht ohne Grund hat der Autor eine treffsichere Karikatur in sein Buch aufgenommen: Sie zeigt einen SA-Mann in der Maske Friedrichs II. Wir erkennen die Bedeutung der gegen den hartnäckigen Widerstand der Hofkamarilla durchgesetzten Stein/Hardenbergschen Reformen: Aufhebung der Leibeigenschaft, Städte-Ordnung, Heeresreform - alles erste Schritte zur Liquidierung des absolutistischen Herrschaftssystems. Aber Stein mußte das Land und Gneisenau - als Jakobiner verdächtigt - die Armee verlassen; Schill, Kommandeur seiner 1300 Mann starken Freischar, wurde vom Preußenkönig ärger verfolgt als durch Napoleon.

Ein besonderes Kapitel behandelt den Vertrag von Tauroggen. General Yorck verpflichtet sich - den Willen des Königs mißachtend seine Truppen nicht gegen die russische Armee ins Feld zu führen. So ist es kein Zufall, daß sich das Nationalkomitee "Freies Deutschland" bei seiner Gründung 1943 im Kampf gegen die Nazidiktatur auf Yorck, Stein und Clausewitz berief. Beethovens "Yorckscher Marsch" wurde zum Parademarsch der Nationalen Volksarmee der DDR. Übrigens ist mir in diesem Zusammenhang nicht erklärlich, wie der Autor zu seiner These gelangt, seit Ende der 70er Jahre seien in Ost und West die vorherrschenden Preußenbilder einander immer ähnlicher geworden (S. 153).

Aus meiner Sicht bleibt zudem unverständlich, warum Gerd Fesser, der einen vorzüglichen "Apparat" mit Anmerkungen, Bibliographie und Personenregister beigegeben hat, auf so wichtige Quellen wie Marx und Engels nicht zurückgegriffen hat. Der Plan des Volkskrieges nach dem Vorbild der spanischen Guerilla, die Bildung von Freikorps sowie das Wirken von Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz wurde gerade durch Friedrich Engels meisterhaft analysiert. Allein über Blücher, den General "Vorwärts", haben Marx und Engels 1857 einen ausführlichen Beitrag für die "Neue amerikanische Enzyklopädie" geschrieben (MEW 14/170 ff.), in dem die militärischen Operationen von 1813 bis 1815 als teils regulärer Krieg und teils "Insurrektionskrieg" gewertet werden (ebenda, S. 186).

Engels nennt Gneisenau den "Theoretiker des Freischärlertums" und "großen philosophischen Franktireur" (MEW 17/205), der den Plan des Volkskrieges mit Partisanen ausarbeitete. Er spricht von der "halbrevolutionären" Landsturm-Ordnung; sie sei im Geiste "unversöhnlichen nationalen Widerstandes abgefaßt, dem alle Mittel recht und die wirksamsten die besten sind. Aber all das sollte damals von den Preußen gegen die Franzosen angewandt werden; wenn jedoch die Franzosen dieselbe Methode gegen die Preußen anwenden, so ist das etwas ganz anderes. Was in dem einen Fall Patriotismus war, wird in dem anderen zu Banditentum und feigem Meuchelmord" (MEW 17/170 f.). Ist das nicht angesichts des heutigen "Kampfes gegen den Terrorismus" von brennender Aktualität? Engels spricht davon, daß Preußen seine bürgerliche Revolution 1808 bis 1813 begann und 1848 ein Stück weiter, aber nicht zu Ende führte (MEW 18/513). Die "Zerstörung der preußischen Legende" sei "absolut nötig" (MEW 38/308).

Nicht zufällig nennt Fesser sein Buch "Preußische Mythen" und meint damit falsche Abbilder der Wirklichkeit. Das Preußentum eignet sich wie kaum ein anderes Thema zur Glorifizierung von Personen und Ereignissen der deutschen Geschichte. Dabei handelt es sich in Wahrheit um den "widerwärtigsten Despotismus ... in seiner ganzen Nacktheit", so daß man, um mit Marx zu sprechen, nicht Nationalstolz, sondern Nationalscham empfinden muß (MEW 1/337), selbst über den spezifisch preußischen Charakter - ob es sich um die Bürokratie oder das Offizierskorps handelt - Kennzeichen: Hochmut, Beschränktheit und Arroganz, im Inland verhaßt, im Ausland wenig respektiert ... (MEW 22/504)

Ist dieser "spezifisch preußische Charakter" im heutigen Deutschland nicht höchst lebendig? Fessers "Preußische Mythen" sind also auch dank ihrer Aktualität sehr lesenswert. Das Buch ist reich bebildert. Es kann jedem Nachdenklichen nur als Lektüre empfohlen werden.

Dr. Ernst Heinz


Gerd Fesser: Preußische Mythen. Ereignisse und Gestalten aus der Zeit der Stein/Hardenbergschen Reformen und der Befreiungskriege.
Donat-Verlag. Bremen 2012, 192 Seiten, 62 Abbildungen, Hardcover. 16,80 Euro. ISBN 978-3-943425-01-7

Raute

Vom ganz normalen Aufwachsen und Leben im Sozialismus

Cornelias kleine große DDR (3)

Mittlerweile war ich zehn. Wenn ich gewußt hätte, daß 1967 mein letztes Jahr in Eisenhüttenstadt werden sollte, hätte ich es sicher etwas intensiver genutzt. In der Schule bereiteten wir uns allmählich darauf vor, in den Kreis der Thälmann-Pioniere aufgenommen zu werden. Während wir "Teddys" Leben gründlich zu erforschen bemüht waren, beschäftigten wir uns intensiv mit der Zeit des Faschismus. "Die Jagd nach dem Stiefel" oder "Der kleine Trompeter" waren spannende Bücher aus einer Zeit, über die wir sonst nur von den Eltern und Großeltern etwas in Erfahrung bringen konnten. Auch an der Pflege des sowjetischen Ehrenmals beteiligten wir uns. Die Beiträge, die wir für die Wandzeitung verfaßten, wurden jetzt ausführlicher und parteilicher.

Im Handarbeitsunterricht sollten wir nach Stopfen, Stricken und dem Annähen von Knöpfen zum Abschluß eine Schürze liefern, die mit der Nähmaschine anzufertigen war. Gut, daß Oma mir zur Seite stand und wir so lange übten, bis das Prachtstück zustande gebracht war, wofür ich dann toll gelobt wurde. Auch der Werkunterricht bekam unseren praktischen Fähigkeiten gut. Am liebsten habe ich gezeichnet, einige Schulausstellungen dadurch bereichert und sogar Preise geholt. Damals wußte ich noch nicht, daß aus meinem großen Hobby einmal mein Beruf werden könnte.

In diesem Winter grassierte in der Stadt die Ruhr, was dazu führte, daß wir in der Schule jeden Morgen unsere Hände in Schüsseln mit Desinfektionsmitteln tauchen mußten und uns nicht per Handschlag begrüßen durften. Alles wurde sehr diszipliniert befolgt. Bekamen wir im Sommer schon mal hitzefrei, so gab es - was selten war - jetzt kältefrei. Sämtliche Schulen wurden angesichts des strengen Frostes geschlossen. Wir Hortkinder konnten dem jedoch etwas Positives abgewinnen: Wir malten Eisblumen und hauchten Löcher in die Scheiben. Der Garten stand voller Schneefiguren, und manch einer trug von den Schneeballschlachten Beulen davon.

Anfang April beobachtete ich wie jedes Jahr sorgenvoll das Wetter, denn am 14. jenes Monats habe ich Geburtstag. Mein Ehrgeiz bestand immer darin, das erste Mal im Jahr mit Kniestrümpfen in die Schule zu gehen, was Mama aber bei schlechtem Wetter verbot. Dennoch brachte ich es stets fertig, auch wenn mir die Gänsehaut am Körper emporkroch. Geburtstage wurden in Schule und Hort sehr lieb ausgerichtet. Da stand man einen ganzen Tag lang im Mittelpunkt und bekam ausnahmsweise auch mal keine Schularbeiten aufgebrummt.

Ich war nicht das Kind, das es stundenlang bei Brett- oder Kartenspielen aushielt, sondern eher Puppenmutti und Bastlerin. Vor allem aber war ich eine Leseratte. Ob die für DDR-Kinder gemachte "Frösi", die eigentlich "Fröhlich sein und Singen" hieß, die ABC-Zeitung oder Trompeter- und Robinson-Bücher - ich verschlang alles mit Inbrunst. Damals entwickelte sich auch eine Vorliebe für Gedichte. In dieser Hinsicht war ich geradezu eine Vorzeige-Schülerin, zumal ich auch gelegentlich eigene Verse schrieb.

In Eisenhüttenstadt gab es eine Besonderheit. Jeden Morgen standen Milchflaschen vor den Haustüren, hingen frische Brötchen an deren Klinken. Obwohl diese Dinge natürlich Geld kosteten, stahl sie niemand. Gerne erinnere ich mich an unser Milchgeschäft, wo es so gut roch. Butter, Quark und Milch wurden damals noch lose abgegeben. Als man erste Kaufhallen baute, war das für mich nicht weniger interessant. Aus Omas Küchenfenster konnte ich die Warenannahme beobachten und dann schnell rüberhuschen. Da war dann schon mal eine Kugel Eis mit Löffelchen oder das herrliche Sauerkraut auf Pergamentpapier, lose aus dem Faß, drin. Brausepulver, Lakritzstangen, Glanzbonbons und runde Kaugummis galten für uns als Renner, natürlich in Maßen. Schließlich mußten wir uns ja regelmäßig dem Schulzahnarzt vorstellen, und das Geld saß zu Hause auch nicht so locker. Manch altes Einweckglas von Oma wechselte so zum Rumpelmännchen. Ich beobachtete auch gerne, wenn die Kneipe nebenan mit dem Pferdewagen Bier und Brause in Holzfässern angeliefert bekam.

Schon das ganze Frühjahr kreiselte ich um unseren Friseursalon. Ich wollte mir endlich die Ziepe-Zöpfe abschneiden lassen. Der Mann mit der Schere weigerte sich zunächst und verlangte, daß ich mit einem Erwachsenen erscheinen sollte. Zu Hause war harte Überzeugungsarbeit zu leisten. Schließlich gab Mama nach, und Oma wagte mit mir den Schritt zum Friseur. Duftend, aber am Hals frierend, verließ ich als Schönste den Salon und erwartete nun, daß alle meinen "neuen Kopf" bewundern würden. Papa und Opa waren nicht allzu erbaut, sah ich doch auf einmal wie die meisten Mädchen meines Alters aus. Doch gemach: Lange Haare werden noch einmal mein "Markenzeichen" sein!

Langsam näherte sich auch dieses Schuljahr seinem Ende. Das Zeugnis fiel ganz ordentlich aus. Und wieder ging es an die Ostsee ins Betriebsferienlager des EKO. Ich freute mich darauf, obwohl ich wußte, daß anschließend nichts mehr so sein würde wie bisher. Ich sollte Eisenhüttenstadt verlassen und nach Frankfurt/Oder umziehen. Die Übersiedlung in die fremde Stadt, wo wir eine etwas kleinere Neubauwohnung mit Ofenheizung bezogen, war mir unheimlich. Die Schule und viele Gebäude wirkten auf mich, als sei der Krieg hier gerade erst zu Ende gegangen. Außerdem fehlten mir zunächst die Freunde.

Nun war sie zu Ende, die herrliche Zeit in der ersten sozialistischen Stadt der DDR, wo alles neu und selbstverständlich war. Dort hatte ich nie danach gefragt, warum ich mich hier geborgen fühlen durfte. Es war eben so. Diese Stadt sollte mich für mein Leben prägen, obwohl ich fortan nur noch besuchsweise hinkam. Eisenhüttenstadt - das war für mich gelebter Sozialismus und wird es immer bleiben, selbst wenn es sich inzwischen arg zu seinem Nachteil verändert hat. Da können die heutigen Besitzer unsere "Stalin-Bauten", wie die ersten Gebäude im damaligen Stalinstadt genannt wurden, mit noch so bunten Fassaden versehen - in meinen Augen hat die Stadt ihr ursprüngliches Gesicht verloren. Nur im Städtischen Museum und in alten Bildbänden entdecke ich noch das, was mich an meine schöne Kindheit erinnert. Eisenhüttenstadt - das war wirklich ein von allen gewolltes Miteinander: Ganz gleich, wo einer herkam - ob er sächsisch, mecklenburgisch oder "umsiedlerisch" sprach - keiner wurde ausgegrenzt. Ich hoffe, daß auch andere, die das Glück hatten, dort aufzuwachsen, sich heute noch gerne ihrer Kindheit und Jugend erinnern und diesen Erfahrungsschatz an die später Geborenen weitergeben. Eisenhüttenstadt - da war ich Mensch, da konnt' ich's sein!

Cornelia Noack, Seelow

Raute

Aus Hellges Anekdotenkiste

Eine Saat, die aufgegangen ist

Kürzlich erhielt ich einen Anruf, der mich - was den folgenden Gesprächsinhalt angeht - außerordentlich überraschte. Vom anderen Ende der Leitung meldete sich eine Dame, die sich als Karin Fischer aus Schwarzholz vorstellte und behauptete, wir würden uns kennen. Wir hätten uns zwar 53 Jahre nicht gesehen, sie sei aber Mitte der 50er Studentin des Instituts für Lehrerbildung in Kyritz und ich ihr Dozent im Fach Marxismus-Leninismus gewesen. Sie erzählte dann weiter, daß sie seit geraumer Zeit die Beiträge eines gewissen H. H. im "RotFuchs", dessen Abonnentin sie seit etlichen Jahren wäre, mit besonderem Interesse verfolgt habe. Sie hätte dabei auch jenen Leserbrief im Novemberheft entdeckt, in dem besagter H. H. davon berichtete, nun endlich seinen 50. Abonnenten gewonnen zu haben. Darauf folgte ihre mich verblüffende Forderung, im nachhinein zu jenen hinzugezählt zu werden, die ich für den RF gewonnen hätte. Schließlich sei sie ja durch meinen ML-Unterricht mit der richtigen Weltanschauung vertraut gemacht worden. Sie brachte dann noch ein Beispiel aus meinen Lektionen, das sie damals besonders beeindruckt hätte. Dabei ging es um das Thema "Wesen und Erscheinung".

Zum besseren Verständnis: Mitten durch unser Institutsgelände verlief die Fernverkehrsstraße F5, welche die Kraftfahrer von Westberlin nach Hamburg und in umgekehrter Richtung nutzten. Auf der einen Straßenseite stand das Verwaltungsgebäude, in dem auch der Unterricht stattfand, auf der anderen befand sich das Internat mit Arbeits- und Schlafräumen der Studenten. Nach Unterrichtsschluß mußten die jungen Leute immer die F5 überqueren, die pausenlos von Mercedes, Ford, Opel, BMW und anderen Karossen befahren wurde.

Natürlich beeindruckten diese Fahrzeuge unsere 17jährigen sehr und machten die Unterrichtsarbeit der ML-Lehrer nicht gerade leichter. Der Glitzerkapitalismus, wie wir ihn in potenzierter Form auch heute erleben, erzielte in den Köpfen der mit dessen Finessen nicht vertrauten Studenten durchaus Wirkung. Meine Argumentation, das "lackierte Blech", welches durch das Institutsgelände donnere, sei nur die Erscheinung, die das Wesen des menschenverachtenden kapitalistischen Systems verdecken solle, überzeugte natürlich keineswegs alle meine Zuhörer - wohl aber, wie ich nun nach 50 Jahren erfuhr, die damalige Studentin Karin Fischer.

Ich bin mit der inzwischen über 70jährigen Kollegin und Genossin so verblieben, daß wir unseren Kontakt künftig als Briefwechsel fortsetzen werden.

Auch mit etlichen anderen Studenten des IfL Kyritz, dessen Direktor ich einige Jahre war, stehe ich noch oder wieder in Verbindung. So war Karins positives Signal nicht das einzige dieser Art, das ich in letzter Zeit empfangen habe. Schon Ende September hatte mich Anni Wiese angerufen und darum gebeten, sie für den Bezug des RF anzumelden, was ich natürlich gerne getan habe. Auf diese Weise kam ich auf 51 gewonnene Leser.

Später schrieb mir Anni aus Neubrandenburg zu meiner Teilnahme an einem Klassentreffen in Kyritz: "Da betrat ganz unerwartet eine Person, die sich recht locker und aufgeschlossen gab, unseren Raum. Diesen Mann kannte ich nicht. Ein Raunen ging durch unsere Reihen. Wer ist denn das? Wir waren erstaunt zu erfahren, wen wir vor uns hatten, und meine Freude war riesig. Mit meinen Nachbarinnen war ich mir sofort einig, Sie viel größer in Erinnerung zu haben. Und sicherlich hat das etwas mit der Autorität zu tun, die Sie damals für uns waren. Ihren ML-Unterricht mochte ich, und er hat mich wesentlich geprägt. Ich erinnere mich gern daran. Die Diskussionen waren freundlich, offen, anspruchsvoll und forderten zum Mitdenken auf. Man hat gespürt, daß Sie mit Ihrer ganzen Person hinter der Sache standen. Und wie Sie kürzlich schilderten, sind Sie Ihrer Linie treu geblieben."

Und auch von Karin Gruhne aus Staupitz erhielt ich Post. "Ich freue mich immer, wenn Ich Ihren Namen in einer Zeitschrift entdecke, ob unter einer Anekdote oder unter einem Leserbrief, wie im jüngsten 'RotFuchs'. Dann bin ich erstaunt, wie Sie als 89jähriger noch die Feder führen, denn diese Beiträge sind immer wieder schön zu lesen. Sie sprechen voll aus meinem Herzen. Daß Sie in Kyritz beim Treffen einer Parallelklasse waren, ist ja wunderbar. Im Juni findet auch eine Begegnung unserer Klasse im Spreewald statt. Ich werde ein paar 'RotFüchse' dorthin mitnehmen und unseren ehemaligen Direktor in Erinnerung bringen."

Helmuth Hellge


Raute

Archie und die "zwei Diktaturen"

Sie hatten eigentlich vor, wie eine große Familie zu leben, als sie zu DDR-Zeiten in die AWG-Wohnung einzogen. Es war eine Arbeiterwohnungsbaugesellschaft, an der sich mehrere Verlage beteiligten. Und so kam es dazu, daß in seinem Wohnblock in Berlin-Baumschulenweg lauter Mitarbeiter des eigenen Buchhauses und anderer Verlage wohnten, woraus sich Vor- und Nachteile ergaben. Man wurde die Verlagsatmosphäre nie ganz los.

Die Blöcke schräg gegenüber gehörten dem in Adlershof angesiedelten Fernsehen der DDR. So traf Archie des öfteren bekannte Ansagerinnen oder Schauspielerinnen wie Angelika Domröse beim Einkauf. Dabei verlief alles ganz normal. Man grüßte und wurde wieder gegrüßt oder auch nicht, wie unter normalen Leuten auch. Da gab es keinen herausgehobenen Promi-Status, keine Autogrammjägerei. Die sich hier begegneten, waren lediglich auf unterschiedlichen Gebieten tätig. Nicht mehr und nicht weniger.

In den alten Kneipen von Baumschulenweg standen der Aufnahmeleiter, der Lektor, der Regieassistent und der Mann aus der Pförtnerloge auf ein Bier am Tresen nebeneinander und unterhielten sich über das Fernsehprogramm oder die Kulturpolitik, übers Wetter oder auch darüber, wo es gerade was zu kaufen gab. Sie taten das keineswegs zaghaft oder hinter ängstlich vorgehaltener Hand, sondern eher laut und deftig, bisweilen auch lästig für die Nachbarn. Da riefen schon mal die Skatbrüder vom Nebentisch: "Eh, Kumpels, geht's nicht ein bißchen leiser? Man versteht ja das eigene Wort nicht mehr!" Ja, manch einer redete sich da schon in Rage. Und meist drehte es sich um die Arbeit oder um Politik. Auch dabei nahm keiner ein Blatt vor den Mund. Selbst auf dem Heimweg zu den Neubaublöcken diskutierten sie noch lebhaft miteinander. Ob jemand von der "Stasi" zugegen war oder nicht, interessierte niemanden.

Eigentlich hatte man sich ja eine Club-Gaststätte im eigenen Viertel - wie anderswo auch - gewünscht, doch Schule, Krippe und Kindergarten, Poliklinik und Sportplatz, dazu noch die Kaufhalle hatten Vorrang. Sonst begrünten alle gemeinsam die Vorgärten, pflanzten Bäumchen, räumten im Winter die Gehwege, kümmerten sich um den Frühjahrsputz, teilten sich die Hausreinigung, achteten auf die Mülltonnen und kämpften später um die begehrte Goldene Hausnummer. Das alles taten sie mehr oder weniger aus eigenem Antrieb, aus Einsicht in die Notwendigkeit.

Es gab auch eine Kasse der Hausgemeinschaft, die sich durch die gemeinsam geleistete Arbeit füllte. Mit dem Geld veranstaltete man rauschende Sommerfeste auf der Wiese mit einem zünftigen Lampionumzug für die Kinder. Inzwischen lassen die Bäumchen, die sie damals gepflanzt hatten, das ganze Areal im Grünen versinken, wie Archie im letzten Sommer bei einer Fahrt durch das Viertel feststellen konnte.

Manchmal trifft er auch Leute aus jener Gegend. Das ist dann wie ein Wetterleuchten aus verschollener glücklicher Zeit. Es war eben die Stimmung des Aufbruchs in eine neue Welt, in der das leidige Geld nicht mehr die Hauptrolle im Leben der Gesellschaft spielen sollte. Natürlich gab es auch Ärger mit Behörden und Unstimmigkeiten untereinander, aber so etwas hielt sich in Grenzen.

Was allerdings fehlte, waren Menschen ohne Arbeit, Bettler, Obdachlose, Nepper, Schlepper und Bauernfänger. Das gemeinsame Anliegen bestand darin, sich umeinander zu kümmern, alte Leute bei deren Einkäufen und junge Familien mit Kleinkindern zu unterstützen. Nachbarschaftshilfe stand hoch im Kurs.

Es hört sich heute fast wie ein Märchen aus ferner Vergangenheit an, doch es war so, wie man von damaligen "Erstbeziehern", wie man sie nannte, immer wieder hören und erfahren kann. Die bis zum Erbrechen strapazierte Behauptung, die "DDR-Diktatur" sei in die Familien eingedrungen und habe alles zu "Grau in Grau" nivelliert oder andere nachgeplapperte Ungereimtheiten rufen bei meiner Neubau-Generation nur Unverständnis, Empörung oder zumindest Kopfschütteln hervor.

"Schreib das mal alles auf", sagte unlängst ein "RotFuchs"-Leser in Baumschulenweg zu Archie, als sich dieser in seinem einstigen Revier mit den inzwischen mietsteigernd verglasten Balkons umsah. "Irgendwann glaubt uns das keiner mehr, daß die sogenannte Diktatur eigentlich nur aus uns selbst bestand. Wir hatten eben die Marxsche Lehre, die uns beigebracht worden war, wirklich verinnerlicht. Das ganz offen zu sagen, traut sich heute fast niemand, auch gewisse Linke nicht, die unter offenkundigem Gedächtnisschwund leiden", sagte einer, der damals wie Archie "Erstbezieher" gewesen war.

Da fragt man sich: Was ist das eigentlich für ein Staat, der verarmte Bevölkerungsschichten komplett auf die Straße setzt, Menschen aus Wohnungen und Häusern wirft und das Dasein der Hartz-IV-Empfänger auf ein lebensunwertes Minimum herunterschraubt? Ist das nicht jene Diktatur, die man anderen in die Schuhe zu schieben versucht?

Archie wird das Gefühl nicht los, daß an die Stelle der Diktatur des Proletariats wie die Männer mit den langen Bärten einst die von ihnen ersehnte Arbeitermacht nannten, eine ganz andere Diktatur getreten ist: die des Kapitals. Darüber aber findet man in den bürgerlichen Zeitungen kein Sterbenswörtchen.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an RotFuchs

Herzlichste Grüße aus Wroclaw! Vielen Dank für das nach wie vor sehr informative "RotFuchs"-Heft. Viele Artikel bieten interessante Analysen, Informationen und historische Details zu unserer Sache. Ich wünsche Euch allen viele weitere Erfolge im Kampf gegen den Kapitalismus, für den Sozialismus.

Alles Gute für 2012! Möge es ein Jahr ohne neue Kriege und ohne Verfolgung sein. Aufrichtigen Dank für Eure Unterstützung in meinem Ringen gegen die akademische Diskriminierung.

Prof. Dr. Zbigniew Wiktor, Wroclaw


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Im Dezember-RF las ich, daß Polens herrschende Antikommunisten dem bekannten, nicht nur bei Studenten beliebten marxistischen Hochschullehrer Zbigniew Wiktor aus fadenscheinigen Gründen und politischem Haß den Professorentitel aberkennen wollen. Wieder einmal wird der Versuch unternommen, einen renommierten Wissenschaftler herabzustufen. Das Motiv ist offenbar Angst vor der marxistischen Lehre und Wahrheit.

Ich kenne Zbigniew Wiktor von vielen Begegnungen. Seine Sachkunde, politische Geradlinigkeit und sein großes Wissen, aber auch seine menschliche Wärme haben ihm hohe Achtung eingebracht.

Es ist eine Schande für Polen, dessen Bürger vor und nach der Periode der Volksmacht viel Leid zu ertragen hatten, wenn seine Hochschulen solche Wissenschaftler herunterstufen wollen. Der Schritt zur Bücherverbrennung ist nicht mehr allzu weit davon entfernt.

Dieter Ammer, Chemnitz


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Am 28. November ist unser lieber Genosse und Kampfgefährte, der zutiefst engagierte Internationalist Arthur Schmerl, im hohen Alter von 101 Jahren gestorben. Sein Beispiel hat uns immer aufs neue inspiriert. Arthur war der älteste Freidenker in Deutschland und seit den 20er Jahren Kommunist. Von den Nazis eingekerkert, überstand er Zuchthaus, Folter und Demütigungen. Nichts konnte ihn brechen. Er war immer bemüht, über ideologische und organisatorische Schranken hinweg Antifaschisten, Kommunisten und Sozialisten zu sammeln und zu einen. Enge Bande unterhielt er zu Kampfgefährten in Polen. Wir werden sein Andenken in Ehren halten.

Im Namen der Dresdner RF-Regionalgruppe:
Ferdinand Goldscheidt, Dresden


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Mit dem plötzlich verstorbenen standhaften Kommunisten und Mitglied des RF-Fördervereins Leonhard Helmschrott verbindet mich sehr viel. Er war es, der mir den "RotFuchs", diese inzwischen für mich bedeutsam gewordene politische Zeitschrift, empfahl. Ihm habe ich es auch zu verdanken, daß ich als junger Bauern-Korrespondent 1963 die Chance erhielt, in dem durch ihn geleiteten "Bauern-Echo" Bezirksredakteur zu werden. Die wiederholten Begegnungen mit L. H. und das gemeinsame Wirken im Zentralvorstand des VDJ in Berlin prägten mein politisches Wissen. Sein sachliches Wesen und der Wille, bei Schwierigkeiten nie aufzugeben, halfen mir auf meinem weiteren Lebensweg. Inzwischen 82, bin ich noch immer gesellschaftlich aktiv.

Wolfgang Müller, Schwerin


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"Wenn auch der Weg schwer ist und länger, als wir einmal erhofften - die Zukunft muß unseren Sieg bringen, wenn die Menschheit bestehen soll." Das schrieb mir Hans Heinz Holz am 2. September 2009 als Reaktion auf meine Parteinahme gegen Angriffe aus den eigenen Reihen. Ich danke dem RF für den damaligen Abdruck meiner Zuschrift. Vor allem aber möchte ich Hans Heinz - über den Tod hinaus - sagen: Hab Dank für alles!

Ronald Brunkhorst, Kassel


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Mich überrascht weder die ansteigende Flut faschistischer Gewalt noch der Umstand, daß die Behörden der BRD bei der Aufklärung solcher Verbrechen "nicht besonders viel Energie" an den Tag legen. Das muß nicht verwundern, denn rechte Kontinuität gibt es seit Bestehen des selbsterklärten Nachfolgestaates der NS-Herrschaft.

In den Anfangsjahren hatte man keine Bedenken, auf internationalen Fahndungslisten stehende Nazikriegsverbrecher als Beamte einzustellen. Darunter befanden sich sogar ehemalige KZ-Aufseher und Gestapo-Beamte, die in der BRD unbehelligt ihre Pensionen verzehren durften. Andererseits galt bis 2002 ein Wehrmachtsdeserteur als Straftäter ohne Anspruch auf Entschädigung.

Heinrich Lübke, der Unterzeichner von KZ-Bauplänen, wurde Bundespräsident, das unter Hitler zum Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung aufgestiegene NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger Bundeskanzler. In der BRD wurde unter Führung eines SS-Generals die "Hilfsorganisation ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS" (HIAG) gegründet. Ihr folgte die NPD. Zugleich stellte man die KPD außerhalb von Recht und Gesetz.

Nun wird angesichts der "NSU"-Mordserie auf einmal Überraschung geheuchelt. Bei all dem, was in Deutschland so abgeht, ist es jedoch keineswegs verwunderlich, daß der rechtsäugig blinde Verfassungsschutz nichts zur Aufklärung beitragen konnte. Das wäre sicherlich völlig anders gelaufen, wären die Mörder doch nur ein bißchen links gewesen.

Seit zehn Jahren lebe ich mit meiner Familie in Schweden. Bevor wir in die DDR übersiedelten, hatte ich als Junge in der BRD der 50er Jahre ein unauslöschliches Erlebnis. Mit Halstüchern waren meine Schwester und ich auf dem Weg zum Pioniernachmittag, als der katholische Pfarrer eigens die Kreuzung überquerte, um uns Unverbesserlichen auf offener Straße "ganz demokratisch" ein paar Ohrfeigen zu verpassen. So "engagiert" kümmerten sich manche im Westen schon damals darum, die aufkeimende linke Gefahr abzuwehren.

Bodo Endres, Vimmerby (Schweden)


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"Das ist eine Schande für Deutschland", meinte die Bundeskanzlerin zur 13jährigen Verbrechensbilanz von Neonazis in der BRD. In diesem Fall ist ihr ausnahmsweise nicht zu widersprechen. Leider verschweigt nicht nur sie, wie es zu dieser Schande kommen konnte. Mit Argusaugen haben Adenauer und seine Gefolgsleute nach jenen Alt-Nazis Ausschau gehalten, welche sich "weiter verwenden" ließen. Sie prägten das Gesicht der frühen BRD und hinterließen ihre braunen Spuren bis in die Gegenwart.

Wenn jetzt in oberen Regierungsetagen plötzlich die Alarmglocken geläutet werden und Merkel von einer "Schande für Deutschland" spricht, dann geht es dabei doch nur um ein notdürftiges Aufpolieren des international angeschlagenen Images der BRD.

Waldemar Arndt, Vellahn


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Eine Neonazigruppe zog mordend durch das Land. Niemand bemerkte etwas, niemandem fiel etwas auf, taten sie es doch im dunkeln, weil sie ein Geheimdienst dabei begleitete. Jetzt, da die Mörder bekannt sind, ebnet man rasch ihr Wohnhaus ein und erklärt sie zu Unpersonen, als seien sie seinerzeit aus dem Nichts aufgetaucht und hätten mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld niemals etwas zu tun gehabt. Hatten wir das nicht schon einmal, als die Verbrechen der Nazis ans Tageslicht kamen und die meisten Deutschen so taten, als ob sie keine Ahnung gehabt hätten? Geheimdienste verdeckten auch den Terror der Nazis, waren sie doch selbst ein Teil des Terrors. Sie einte dieselbe ideologische Basis: der Antikommunismus. Damit nicht genug, finanzieren Neonazis ihren Mörderklub auch noch mit der Spitzelkohle ihrer "verdeckten Ermittler", die ebenfalls offene Antikommunisten sind und eher verdeckte Neonazis. Ob ein Geheimdienst wohl noch einer ist, wenn seine Mitarbeiter und Informanten in der observierten Organisation bestens bekannt sind und einen festen Platz in ihr haben? Aber vielleicht ist es ja auch ganz günstig, einen staatlichen Fuß in die kriminelle Vereinigung zu setzen, die notfalls politisch unbequeme Personen verschwinden läßt oder auch mal wieder einen Reichstag anzündet.

Jochen Singer, Leipzig


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Auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung wurde den Neonazis am 19. Februar 2011 abermals eine Demonstration in Dresden gestattet, obwohl die Stadt keine Genehmigung dazu erteilt hatte. Tags darauf brachte der MDR eine "Fakt ist"-Sendung zu dem, was sich bei uns zugetragen hatte. Ein an der Gesprächsrunde beteiligter Jurist behauptete stereotyp, das Demonstrationsrecht sei gemäß Art. 8 des Grundgesetzes ein hohes verfassungsrechtliches Gut, das man niemandem verwehren dürfe. Dabei heißt es im Art. 9 Abs. 2 eindeutig: "Vereinigungen, deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten."

Weiter gibt es den Art. 18 GG: "Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit ..., die Lehrfreiheit ..., die Versammlungsfreiheit ..., die Vereinigungsfreiheit ..., das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ..., das Eigentum ... oder das Asylrecht ­... zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirklicht diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen."

Schließlich sei noch Art. 20 GG Abs. 4 erwähnt: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."

Die Gerichte der BRD sind also nicht alternativlos an den Art. 8 gebunden, sondern haben einen weiten Ermessensspielraum bei der Genehmigung oder Nichtgenehmigung von Naziaufmärschen. Ist es nicht eigenartig, wenn ihre Entscheidungen stets zugunsten des Art. 8, also zum Vorteil der Nazis ausfallen? Diese Spielchen wiederholen sich Jahr für Jahr in Dresden und an vielen anderen Orten. Da kann man der bundesdeutschen Juristerei doch wohl nur eine generelle Rechtslastigkeit bescheinigen.

Ohne einen wirklichen politischen Willen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, wird man hier nicht auskommen. Es fragt sich nur, ob und wieweit dieser Wille vorhanden ist. Warum nehmen die Richter nicht für sich das Recht auf Widerstand nach Art. 20 in Anspruch, um die Naziaktivitäten zu unterbinden?

Prof. Dr. Berthold Kühn, Dresden


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Über das Verbot der NPD wird wieder heftig diskutiert. Dessen Gegner erklären, "eine Ideologie" könne man nicht verbieten. Das ist wohl richtig, aber die NPD als Partei ist Träger einer menschenfeindlichen Ideologie. Die NPD darf nicht unter Obhut des Staates gestellt werden und öffentlich ihr Gift verspritzen. Wie die Morde zeigen, haben die Nazis ihre "Ideologie" bereits in die Praxis umgesetzt. Es darf nicht sein, daß die Parlamentsfraktionen der NPD, die sich als Wölfe im Schafspelz geben, auch noch durch Steuermittel finanziert werden. Das alles hat mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun, sondern sieht eher nach kaum verdeckter Schützenhilfe für die Neonazis aus. Deren Hauptpartei aber ist die NPD. Das Verbot aller Organisationen dieses Schlages muß erzwungen werden.

Ursula und Georg Gensel, Strausberg


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Schon die Hälfte der Informationen zur Rolle von Verfassungsschutzbeamten in der neofaschistisch-terroristischen Szene erzeugt den Eindruck von wohlwollender Begleitung. Bei solchen V-Leuten frage ich mich, wer hier eigentlich wen geführt hat. Die Beschaffung von Informationen über die rechte Szene steht jedenfalls nicht im Vordergrund.

Was die Linke betrifft, besteht die Hauptaufgabe der V-Leute im Hineintragen antimarxistischer Theorien, um Spaltungstendenzen, Zwietracht, Personalquerelen und Geschwätzigkeit gegenüber den bürgerlichen Medien zu schüren sowie die Bereitschaft zu noch gesteigerter Diffamierung der DDR zu befördern.

Hans Schneider, Erfurt


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"Wo Bücher brennen, brennen auch bald Menschen." Wie recht Heinrich Heine damit hatte, bewies die Geschichte. Bei den öffentlichen Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 wurde "der undeutsche Geist" von den deutschen Faschisten in die Flammen geworfen. Das war nur eine Vorstufe zum 1. September 1939, als sie mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brachen.

Doch der tatsächliche Ungeist lebt hierzulande fort. Frau Merkels heutiger Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) äußerte sich am 3. November 1977 zu Erich Frieds Werken im Bremer Landtag folgendermaßen: "So etwas würde ich lieber verbrannt sehen, das will ich hier mal ganz deutlich zum Ausdruck bringen" (zitiert nach Dietrich Kittner). Dieser Mann sitzt heute an einem Schalthebel. Soviel zum derzeit zur Schau gestellten Antifaschismus Angela Merkels.

Uwe Moldenhauer, Altena


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Der Begriff "humanitäre Intervention" soll lediglich eine um Märkte, Rohstoffe und Handelswege geführte blutige Aggression, die viele Opfer fordert und nichts Humanes in sich birgt, verschleiern. Er zielt allein auf Täuschung der Öffentlichkeit, funktioniert aber, wie ich an einem persönlichen Erlebnis schildern will: Nach einer Operation befand ich mich im Krankenhaus, als zwei Bundeswehrangehörige zur Beobachtung auf unser Zimmer gelegt wurden. Beide begannen sofort hemmungslos über Auslandseinsätze zu sprechen. Sie verglichen dabei die finanziellen Zuschläge, die Versorgung und die dienstlichen Belastungen an verschiedenen Einsatzorten. Über Zweck und Rechtmäßigkeit ihrer Verwendung nachzudenken, kam ihnen nicht in den Sinn. "Sterben und Töten" wurden wie ein möglicher "Betriebsunfall" erwähnt.

Auf uns ungewollte Zuhörer wirkte das Ganze wie ein Gespräch über eine Abenteuersafari. Als die beiden Bundeswehrsoldaten nach zwei Tagen entlassen wurden, atmeten die übrigen Patienten auf.

Oberst a. D. Joachim Wolf, Strausberg


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Für eine Studie/Publikation über Jugendpolitik in den ersten Jahren nach 1945 suche ich damalige Periodika der FDJ bzw. ihr nahestehende Publikationen. Mir geht es um "Start", "Neues Leben", "Junge Welt" und "Forum" aus der Zeit bis 1949, auch leihweise. (Die Archive sind in dieser Hinsicht schwach bestückt.) Könnten mir RF-Leser bei der Suche behilflich sein?

Meine Adresse lautet: Am Waldplatz 32, 33098 Paderborn, Tel. 052 51/6 29 44

Prof. Dr. Arno Klönne, Paderborn


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Herzliche Grüße an alle "RotFüchse". Ich freue mich jeden Monat aufs neue, wenn der große Umschlag im Briefkasten liegt und es endlich etwas zu lesen gibt, das sich von dem ewig gleichen Müll unterscheidet, der uns sonst vorgesetzt wird. So mancher Beitrag hat mir schon geholfen, Ordnung in die eigenen Gedanken und Empfindungen zu bringen oder gewonnene Auffassungen bestätigt zu erhalten. Manche Dinge betrachte ich dann aus einem anderen Blickwinkel. Kurz gesagt: Ich danke für Eure Arbeit.

In letzter Zeit erinnere ich mich oft an eine "Lektion", die mir mein Vater - er war seit seiner Jugend Kommunist und dann DDR-Grenzoffizier - erteilte. Ich war noch ein kleines Mädchen, als er mir sagte: "Du mußt dir merken: Wenn dich deine Gegner loben, dann sei mißtrauisch, weil du irgend etwas verkehrt gemacht hast. Wenn Sie dich aber attackieren, kannst du dessen gewiß sein, daß du auf dem richtigen Wege bist."

Wenn ich so höre und sehe, wie unsere Gegner noch heute die DDR, die UdSSR und den Sozialismus, zu dem wir ja erst auf dem Weg waren, verteufeln und mit aller Gewalt als etwas abgrundtief Schlechtes hinstellen wollen, dann liefern sie uns unfreiwillig doch nur den Beweis: Was wir gemacht haben, kann nicht falsch gewesen sein. Vielleicht haben wir es versäumt, auf dem richtigen Weg die Menschen wirklich mitzunehmen oder auch manches vorausgesetzt, was tatsächlich gar nicht da war.

Brunhilde Notroff, Seewald-Besenfeld (Schwarzwald)


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In meinem Artikel "Nachtigall, ick hör dir trapsen!" (RF 163) habe ich zu einer Äußerung des PDL-Fraktions-Vize Dietmar Bartsch im Gespräch mit dem SPD-Vorsitzenden Siegmar Gabriel (ND 28./29.5.2011) Stellung genommen. Bartsch hatte gegenüber Gabriel geäußert, durch den KGB sei mancher erst zum Sozialdemokraten geworden. Als Beispiel nannte er Herbert Wehner. Dieser sei als Kommunist nach Moskau gegangen und als Sozialdemokrat von dort zurückgekehrt.

Zum Sachverhalt: Wehner befand sich von 1935 bis 1941 in Moskau. Als Mitglied der Parteiführung ging er im Auftrag des ZK der KPD 1942 nach Stockholm, wo er verhaftet wurde und bis zum Kriegsende blieb. Der KGB hingegen wurde erst 1954 gegründet, also acht Jahre nach Wehners 1946 erfolgtem Ausschluß aus der KPD und seinem noch im selben Jahr vollzogenen Eintritt in die SPD.

Nach Öffnung der Moskauer Archive 1991 wurde übrigens zusätzliches Belastungsmaterial über die verräterische Rolle des damaligen KPD-Funktionärs in der Zeit seines Exils gefunden. Was konnte Herbert Wehner alias Kurt Funke da Besseres passieren, als bei der SPD unterzukriechen?

Oberstleutnant a. D. Günter Bartsch, Berlin


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Zunächst möchte ich mich herzlich dafür bedanken, daß ich trotz meines "schmalen Budgets" schon so viele Monate den "RotFuchs" lesen kann. Seitdem weiß ich, daß es viele Gleichgesinnte gibt.

Gleichgesinnte ... Dieser Gedanke beschäftigt mich genauso wie Dr. Peter Brenner aus Bonn, der in seinem Leserbrief beschreibt, welche Zersplitterung der linken Kräfte uns derzeit belastet. Genosse Brenner geht auch der Frage nach, warum diese so uneinig sind. Ich habe oft beim Meinungsaustausch und der Darlegung von Standpunkten heraushören müssen, daß es da nicht zuletzt so manche "Kompetenzstreitigkeit" gibt und etliche einander übertreffen wollen. Es wäre gut, überhöhte Vorstellungen, Besserwisserei und Arroganz zurückzunehmen. Zugleich stelle man sich einmal vor, alle eigentlich Gleichgesinnten würden sich zusammentun, wo immer sie auch organisiert sind oder derzeit auch nicht - was wäre das für eine Macht!

Liebe "RotFuchs"-Genossen! Macht weiter so - wir da draußen brauchen Euch!

Christine Vogel, Döbeln


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Welch Freude, die Erinnerungen Cornelia Noacks lesen zu können! Danke! Ja, jede Zeile kann ich in meinen Erinnerungen mit ihr teilen.

Im Jahr 2007 versandte der Deutsche Journalistenverband auf Bitten des Wartbergverlages in Gudensberg-Gleichen (Alt-BRD) ein Schreiben an seine Mitglieder. Es wurde nach Autoren gesucht, die zwischen 1935 und 1979 geboren wurden, ihre Kindheit und Jugend in der DDR verbracht hatten und darüber berichten wollten. Es ging um die Veröffentlichung objektiver Zeitzeugnisse über das Geschehen während der ersten 18 Lebensjahre.

Ich war dabei. Mein Paralleljahrgang 1948 hatte sich aus der Sicht eines in der BRD Aufgewachsenen bereits geäußert. Das Buch war schon auf dem Markt. Das Verlagskonzept war in jeder Hinsicht erfolgreich. Auch mein Buch erscheint jetzt bereits in dritter Auflage.

Während meiner Kindheit und Jugend gab es keine inoffizielle und offizielle Meinung, keine für "drinnen und draußen" (wofür ich meinen Eltern, die übrigens nicht der SED angehörten, noch heute sehr dankbar bin, weil ich so nie in Konflikte gestürzt wurde). Wenn etwas störte, sprach man offen darüber und diskutierte das Problem inner- wie außerhalb der Familie.

Repressalien seitens des Staates habe ich nicht erlebt. Sicher, es bedurfte zunehmend des Mutes, stärkte aber auch das eigene Rückgrat. Vielleicht treibt mich bis heute diese Wut auf all jene, die kuschten, dazu immer wieder die Antwort auf die Frage finden zu wollen: Warum schwiegen so viele bei Mißständen, Amtsmißbrauch, Sich-Verstecken hinter denen "da oben", Hörigkeit gegenüber Beschlüssen ab einer bestimmten Leitungsebene ...? Warum mischte man sich nicht ein und kämpfte? Es passierte einem doch nichts, wenn man es tat. Eingabekommissionen arbeiteten ganz objektiv, wenn Informationen zu ihnen gelangten. Daß eine Doppelmoral auch unter manchen Funktionären herrschte und fatale Folgen nach sich zog - später, als die Angst vor gerechtfertigter Kritik in einigen Bereichen zunahm und die humanistischen Werte einer sozialistische Gesellschaft immer mehr der Jagd nach Mammon geopfert wurden (ich denke da z. B. an den Intershop-Rausch), war wohl auch ein Sargnagel für eine so wunderbare Idee.

Heute lebe ich von einer Erwerbsminderungsrente, die unter der durch die BRD definierten Armutsgrenze liegt, womit ich in einer Reihe mit Millionen ehemaliger DDR-Bürger stehe. Welch historische "Errungenschaft"! Doch: Wo fängt die Zukunft an, wenn nicht in ihrer Vergangenheit ...

Christel Müller, Erfurt


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Beim Lesen des Artikels "Cornelias kleine große DDR" ging mir das Herz auf. Ich ertappte mich dabei, Vergleiche zu ziehen und stellte fest, daß meine eigene Kindheit in ähnlichen Bahnen verlaufen ist. Um so schmerzlicher wurde mir wieder bewußt, wie leichtfertig wir doch vor über 20 Jahren diesen hervorragenden Teil Deutschlands über Bord geworfen haben. Auch ich wurde durch meine Eltern als Sozialist und Humanist erzogen und bin ihnen dafür noch heute sehr dankbar. So habe ich das gute Deutschland mit der Waffe in der Hand verteidigt. Als 18jähriger trat ich meinen Dienst an und versah ihn dann bis zum Sieg der Konterrevolution als Offizier im MfS.

Täglich überfluten uns nun Unwahrheiten, Lügen und Verleumdungen über die DDR. Das verstärkt mich nur in der Annahme, daß unsere Gegner nach wie vor Angst vor Zeitzeugen haben, die über unser wirkliches Leben berichten können.

In wenigen Monaten wird mir das Glück zuteil, ein Enkelkind zu bekommen, was mich mit Freude, aber auch mit Angst erfüllt, weil es niemals eine so glückliche Kindheit wie ich zu erleben vermag. Es wird mit sozialen Grausamkeiten groß werden, welche wir als Kinder nur aus Lehrbüchern und Erzählungen unserer Eltern kannten. Es wird in einer Gesellschaft aufwachsen, in der es aus Schulbüchern und Medien lauter Unwahrheiten über die DDR zu lesen und zu hören bekommt. Um so wichtiger ist es, daß es die wahre Geschichte darüber erfährt, wie 40 Jahre lang ein friedlicher und humaner deutscher Staat den Lauf der Geschichte Europas mitbestimmt hat. Das habe ich mir vorgenommen.

Mich empört, daß die Vereinnahmung bestimmter Führungskräfte der "Linken" durch die gegnerische Ideologie bereits bis zur Entschuldigung für die bloße Existenz der DDR geht.

Jürgen Weinhold, Reichenbach


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Zu DDR-Zeiten war ich Abschnittbevollmächtigter der Deutschen Volkspolizei in Berlin. In meinem Kiez, gleich "um die Ecke", wohnte Wolfgang Clausner, damals stellvertretender Chefredakteur der außenpolitischen Wochenzeitung "Horizont". So kamen wir miteinander in Kontakt. Nach der Konterrevolution hat es mich ins Bayerische verschlagen, während Wolfgang jetzt in Schwerin lebt. Unlängst haben wir wieder einmal miteinander telefoniert. Obwohl ich weiß, daß es Wolfgang nicht besonders gut geht, hoffe ich sehr, daß er bald wieder soweit in Schwung kommt, etwas für den RF schreiben zu können. Es würde mich sehr freuen, auch auf diese Weise in unserer Zeitschrift einem wunderbaren Menschen wiederzubegegnen.

Manfred Liepe, E-Mail


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Die "Leipziger Volkszeitung" wurde nach der Rückwende mit ihren 350.000 Abonnenten für Springer und Madsack, die jeweils 50 % erwarben, ein Schnäppchen. Besonders in Vorwahlzeiten kommt das heutige Konzernblatt LVZ seinen Gönnern aus FDP und CDU noch massiver zu Hilfe. Das halte ich für normal: Bourgeois unter sich.

Doch uns fällt auf, daß auch ein Spitzenfunktionär der Partei Die Linke, Herr Dietmar Bartsch, häufig in dieser Zeitung freundliche Erwähnung findet. Er wird von den großbürgerlichen Medien wohlwollend als Reformer eingestuft. Eine Reform aber ist heutzutage und hierzulande etwas durchaus Negatives, wurden wir doch von Kohl über Schröder bis zu Merkel mit "Reformen" übelster Art nicht nur einmal hereingelegt. Sie waren durchaus nützlich, allerdings nur für die Reichen. Deshalb haben wir keinen Bedarf an Reformen und Reformern.

Werner Juhlemann, Geithain


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Eine Bemerkung zum Artikel "Wo der Geist von Goebbels wieder spukt" von Ulrich Guhl im Dezember-RF. Vor einiger Zeit waren wir in der Schorfheide unterwegs. Dabei besuchten wir - ich war in der sozialistischen Landwirtschaft der DDR nach Abschluß meines Studiums an verantwortlicher Stelle tätig - auch das Agrarmuseum Wandlitz und die einstige zentrale Schulungsstätte der FDJ am Bogensee. Unser früherer Lehrer für Gesellschaftswissenschaft Dr. Heinz Kruse erwies sich dabei als ein kompetenter Führer. Er war selbst einige Zeit als Dozent an der Jugendhochschule tätig gewesen. Der Gebäudekomplex beeindruckte uns sehr. Keiner konnte es fassen, daß ein solches Objekt dem Verfall preisgegeben und den Neonazis, von deren Aktivitäten wir an Ort und Stelle erfuhren, überlassen wird. Noch ist es nicht zu spät, diese geschichtsträchtige Anlage zu erhalten und sinnvoll zu nutzen.

Gerhard Seyring, Bitterfeld/Wolfen


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Der Beitrag von Herrn Liebscher im November-Heft hat mich nachdenklich gestimmt. Hier werden Grundprobleme des RF dargestellt. An die DDR-Vergangenheit zu erinnern, ist eine Aufgabe, in dieser Zeit begangene Fehler nicht zu verniedlichen, eine andere. Der Leserkreis ist damit auf die "Veteranen" eingeengt. Nach meiner Auffassung müßte aber die schonungslose Aufdeckung der Schwächen des jetzigen Systems in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht im Vordergrund stehen. Das wäre dann der künftige Schwerpunkt. Damit käme man dichter an die junge Generation heran, was ein großer Gewinn wäre. Dazu gibt es eine Reihe aufschlußreicher Bücher, die ich gelesen habe und anderen empfehlen kann. Hier eine Auswahl: "Sind wir noch zu retten?" von Klaus Schweinsberg (Warum Staat, Markt und Gesellschaft auf einen Systemkollaps zusteuern); "Mythos Informationsgesellschaft - Was wir aus den Medien nicht erfahren" von Viktor Farkas; "Die Billionen-Dollar-Verschwörung - Auf dem Weg zur neuen Weltordnung" von Jim Marrs und "Angela Merkel - Ein Irrtum. Eine Abrechnung mit der Kanzlerin" von Cora Stephan.

Aus der Literatur wird ersichtlich, daß dieses System - um mit Lenin zu sprechen - "faulender, sterbender Kapitalismus" ist.

Nach meiner Auffassung kam unsere Umwälzung historisch zu früh, aber sie hinterläßt deutliche Spuren, die für künftige Generationen von Nutzen sein können.

Das sind nur Anregungen für die inhaltliche Gestaltung des RF, die teilweise schon anklingen, aber erweitert werden müssen, soll die Zeitschrift eine Zukunft haben.

Klaus Peter Lange, Jena


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Hiermit möchte ich mich zum Leserbrief von Uwe Liebscher äußern. Es gibt immer Menschen, die versuchen, der Denkweise des Marxismus die Spitze zu brechen. Daß Uwe Liebscher dazugehört, will ich nicht behaupten, doch sind seine Thesen, gelinde gesagt, recht seicht. Es mangelt an der Beweisführung. Seine Bemerkung, die Klassiker hätten in der Vergangenheit Gültigkeit besessen, heute aber nicht mehr, weil "die Welt komplizierter und dynamischer geworden" sei, kann man so nicht stehen lassen. Herr Liebscher sollte Lenins Werk über den Imperialismus lesen. Seine Worte sind vielleicht nicht "geil" und "cool", aber er schreibt korrekt und analysiert genau.

Herr Liebscher sollte nicht auf den "RotFuchs" verzichten und weiterhin mitdenken.

Wolfgang Gleibe, Velbert-Langenberg


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Seit einigen Jahren bin ich Leserin des "RotFuchs" und halte Eure Arbeit zur Verbreitung der Idee des Sozialismus für sehr wichtig. Durch meine Tätigkeit in der Schule weiß ich aber, wie neben dem geschriebenen auch das gesprochene Wort von Zeitzeugen Gewicht hat. So überlegten wir - eine Gruppe der DKP Hamburg-Bergedorf -, wie wir die Erfahrungen aus bei uns eingeführten alternativen Stadtrundgängen zu Orten des Widerstandes gegen den Faschismus auch in Städten und Gemeinden der einstigen DDR nutzen könnten.

In Neuhaus an der Elbe (siehe auch Beitrag auf S. 6 - d. Red.) gelang uns ein beeindruckender Anfang. Alle Teilnehmer waren sich darin einig, die dabei gewonnenen Eindrücke zu vertiefen, indem wir z. B. frühere LPG-Vorsitzende und Betriebsleiter bitten, uns über ihre Arbeit an Ort und Stelle zu berichten, damit wir all das, was an Erfahrungen erhaltenswert ist, für uns und kommende Generationen sichern können. Deshalb werden wir alternative Stadtrundgänge dieser Art weiter anbieten.

Elke Schürmann, Laake


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Ich möchte noch einmal auf den im November-RF erschienenen Beitrag über den Mehrwert zurückkommen. Als Studenten diskutierten wir darüber, ob Mehrwert auch unter sozialistischen Produktionsverhältnissen erzeugt wird. Dabei gelangten wir zu dem Schluß: Ja, Mehrwert gibt es auch dann. Wesentlich ist aber, in wessen Tasche er fließt und wofür er genutzt wird. Hatten wir damit recht, oder täuschten wir uns? Hierüber Klarheit zu erhalten, wäre nicht nur für mich von Interesse.

Karl Pfaff, Dresden


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Eure Arbeit ist für uns alle von großem Wert. Ihr macht uns immer wieder Mut und gebt uns viele aktuelle Informationen und Anregungen für eigene Überlegungen. Vor allem aber: Ihr verteidigt unsere marxistisch-leninistischen Positionen. Dafür, daß Ihr im "RotFuchs" schreibt, ihn gestaltet und unter die Leute bringt, gebühren Euch Dank und Anerkennung.

Brigitte und Siegfried Schott, Vietmannsdorf


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Seit einigen Jahren bin ich begeisterter "RotFuchs"-Leser. Die Zeitschrift wird von mir an Bekannte weitergereicht. Mir gibt die Lektüre sehr viel, da sie die Überzeugung stärkt, daß man stolz darauf sein kann, im einzigen sozialistischen Staat gelebt zu haben, den es je auf deutschem Boden gegeben hat. Es wird immer deutlicher, daß nur der Sozialismus die Alternative zur korrupten, kriminellen und menschenverachtenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist, der wir uns heute gegenübersehen. Ich muß allerdings feststellen, daß in den RF-Beiträgen ganz überwiegend Menschen in fortgeschrittenem Alter zu Wort kommen und es vorerst noch an Nachwuchs fehlt. Natürlich können nur wir Älteren die Entwicklung der DDR sowie den Aufstieg und Fall des Sozialismus in Europa umfassender beurteilen, da wir ja alles selbst erlebt haben. Bedauerlich ist, daß Kinder und Jugendliche in der wieder über uns gekommenen kapitalistischen Gesellschaft marxistisches und sozialistisches Gedankengut nicht mehr vermittelt bekommen.

Mir gehen die Worte von Thomas Morus durch den Kopf: "Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme." Oder in den Worten Bert Brechts: "Man muß vom Alten lernen, um Neues zu machen."

Horst Kallmeyer, Falkensee


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Als Frischling bei der Lektüre des RF mußte ich etliche Ausgaben nachlesen, da ich auch um ältere Exemplare gebeten hatte. Nicht wenige Äußerungen springen mich regelrecht an. Mir ist aufgefallen, daß die Kaderpolitik der bewaffneten Organe der DDR gut gewesen sein muß, da viele Zuschriften und Artikel aus dieser Ecke kommen.

Obwohl ich seinerzeit die Bezirksparteischule der SED absolvierte, habe ich damals - ehrlich gesagt - unsere Lehre noch nicht richtig begriffen. Meine praktischen Wirtschaftsaufgaben in der LPG überdeckten ganz einfach das Studium der marxistischen Theorie. Ich habe unserem Lektor im Parteilehr manche provokante Frage gestellt, um ökonomische Zwänge zur Sprache zu bringen. Einen Bezug zum ML habe ich indes nicht herstellen können.

Doch heute fällt alles bei mir auf fruchtbaren Boden - dank der Lektüre des RF.

Dipl.-Agraringenieur Jürgen Bauch, Dresden


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Ich möchte mich zu der Frage des Lebens in der DDR am Beispiel unserer Einkünfte äußern. Nach 21 Jahren habe ich keine genauen Zahlen mehr im Kopf, damalige Lohn- und Gehaltsabrechnungen wurden von mir nicht aufgehoben. Im allgemeinen sagen die Leute, beide Einkommensformen wären damals niedriger als in der BRD gewesen. Dabei komme ich zu ganz anderen Ergebnissen. Legen wir ein Einkommen von 800 Mark der DDR zugrunde. Die Miete betrug - abhängig von der Wohnungsgröße - zwischen 50 und 100 Mark. Und heute? Bescheiden gerechnet, beträgt sie von 250 € aufwärts, wobei es sich jetzt in der Regel um Kaltmiete handelt, zu der noch die Aufschläge für Heizung, Wasser und viele andere "Leistungen" kommen. Ein Brot kostete im Schnitt 78 Pfg., ein Brötchen 5. Für eine Straßenbahnfahrt in Leipzig zahlte man 20 Pfg., mit Karte nur 16. Eine Reise der Reichsbahn von Leipzig nach Berlin und zurück kam mich ganze 32 Mark. Heute?

Man wird feststellen, daß eine totale Veränderung der Situation eingetreten ist. Wenn ich dann noch die sozialen Zuwendungen in Betracht ziehe, dann war mein DDR-Gehalt wesentlich höher als heutige Einkünfte von BRD-"Normalverdienern". Wir sprachen ja zu Recht von einer "zweiten Lohntüte", die jedem DDR-Bürger zugute kam. Daß es sie tatsächlich gab, weiß mittlerweile "jedes Kind".

Bau-Ing. Gerhard Masuch, Leipzig


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Noch einmal zum Beitrag von Dr. Dr. Ernst Albrecht im RF 165. In jüngster Zeit sind etliche Publikationen mit Titeln wie "Das Ende der Arbeit" oder "Das Ende der Arbeitsgesellschaft" erschienen. Dabei geht es stets um Lohnarbeit und die Lohnarbeitsgesellschaft. Diese aber hat einen Namen: Kapitalismus. Mit ihm geht es - im historischen Sinne - zu Ende, nicht aber mit der Arbeit. Die bleibt und ist die notwendige Existenzgrundlage der menschlichen Gesellschaft, der unentbehrliche Stoffwechsel des Menschen mit der Natur.

In der Auseinandersetzung mit den Verfechtern eines bedingungslosen Grundeinkommens handelt es sich zweifelsfrei um die Lohnarbeit. Ernst Albrecht aber verwendet einen sozialökonomisch raum- und zeitlosen Arbeitsbegriff.

Wenn die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ein "eklatanter Angriff auf die Rolle der Arbeit" wäre, wie Albrecht schreibt, dann entspräche das ja einer rühmlichen Tradition der Arbeiterbewegung, deren gesamte Geschichte aus Angriffen auf die Lohnsklaverei, die auf Lohnarbeit beruhende kapitalistische Produktionsweise, ist.

Ernst Albrecht kritisiert, daß die Menschen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen "in Abhängigkeit von den Machthabern" geraten würden. Offenbar sieht er in der Abhängigkeit der Lohnarbeiter von den Unternehmern das kleinere Übel. Er beklagt auch, daß "das Ziel einer Vollbeschäftigung endgültig aufgegeben wird". Eine Illusion aufzugeben, ist jedoch kein Verlust. Denn das Ende der Lohnarbeitsgesellschaft ist ein unumkehrbarer ökonomischer Prozeß, aber nicht beklagenswert.

Sebastian Brant, Wismar

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

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(Redaktionsadresse)

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Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2012