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ROTFUCHS/091: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 137 - Juni 2009


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

12. Jahrgang, Nr. 137, Juni 2009



Inhalt
Kostenfreie Beratung von unten
Wie polnische Kommunisten den "RotFuchs" sehen
Sozialismus als "Tagesaufgabe"
Heinz Scheuer und die SPD
Harry Nick redet Tacheles
Zynische Spiegelfechterei
Die Dollarkrise in australischer Sicht
Bestseller zum "Mauerfall"
Das Geheimnis des Franz Masanetz
Mitgestalter im Zeugenstand: Erich Buchholz zum Strafrecht der DDR
Das entscheidende Kettenglied
Wie Hermann von Berg den "Spiegel" bediente
Walter Ruge: Bringeschuld
Max Zimmering über den 17. Juni
In der Höhle des Löwen
Gehlens und Globkes "Rechtsstaat"
Böhmer: Mehr Verständnis für Westinteressen!
Besorgter Brief aus Thüringen
RF-Extra Darf es ein bißchen DDR sein?
RF-Extra Das grüne Ungeheuer
Etikettenschwindel: "Fair Trade"
"Schweinegrippe"-Epidemie des Profits
Die NATO im Brennglas
Wie repräsentativ ist die EL?
Colombos Krieg gegen Tamilen
Irak: Historischer Schuhwurf
Afghanistan: Schlafmohn über alles
Linksruck in El Salvador
China zu USA-Menschenrechtsdefiziten
Seele eines Migrantenkindes
Verzerrte Fernsicht
Omis Denkanstöße
Der "Fall Strittmatter"
Im Blätterwald der U-Bahn
Walter Meyer: Epilog
Apropos FKK
Elfriede Brüning: Korrespondenz eines Dreivierteljahrhunderts
Archie und das Kaiserschloß
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

In der BRD angekommen?

Wenn die selbsternannten Eliten der BRD von früheren DDR-Bürgern verlangen, sie müßten endlich im Staat der Hundts und Ackermanns "ankommen", dann ist das blanker Hohn. In Wirklichkeit meinen sie ja etwas ganz anderes: Die "Ostler" sollten sich - ideologisch nackt und entwaffnet - zum als "freiheitlich-demokratische Grundordnung" mit "sozialer Marktwirtschaft" verklärten kapitalistischen System bekennen. Das fordert man übrigens seit Jahr und Tag auch von all jenen im Westen, welche ebenfalls niemals in dieser Gesellschaft brutalster Ausbeutung der meisten und schamlosester Bereicherung Weniger angekommen sind. Es wäre grotesk gewesen, Max Reimann oder Herbert Mies so etwas anzutragen!

Worum geht es? Ohne Zweifel handelt es sich um den Kern der Dinge: die Klassenfrage. Sie eindeutig beantworten zu können, erfordert mehr als gesunden Menschenverstand. Der Kompaß, der aus dem Labyrinth herausführt, heißt Klassenbewußtsein.

Natürlich stellen wir uns der Realität, wider Willen Bürger der BRD geworden zu sein. Deren Staatsmacht aber haben wir aus gutem Grund stets als die politische Herrschaft unserer Klassenfeinde betrachtet. Wir halten uns indes an das geltende Recht, wobei wir wissen, daß auch dieses nur der zum Gesetz erhobene Wille der herrschenden Klasse der BRD ist. Da wir nicht zu den Träumern gehören, ziehen wir das Geflecht seiner oftmals gegen uns gerichteten Normen nüchtern ins Kalkül. Denn Staat und Recht der DDR, die objektiv auch den Interessen der Arbeitenden im Westen entsprachen, sind mit der Konterrevolution von 1989/90 untergegangen. Die nicht zuletzt durch eigene Schuld erlittene schwere Niederlage der sozialistisch-kommunistischen Kräfte Europas, vor allem aber die dabei verspielte historische Chance werden uns noch lange zu schaffen machen.

Wir wenden uns gegen alle Versuche, das niemals zu einer wirklichen Verfassung gewordene Provisorium Grundgesetz noch weiter auszuhöhlen. Das Paradoxe der Situation besteht darin, daß jene, welche im bundesdeutschen Kapitalismus gar nicht politisch "ankommen" wollen, angesichts der wachsenden Bedrohung der bürgerlichen Demokratie zu deren entschiedensten Verteidigern geworden sind.

Wir wären unredlich, würden wir behaupten, die Mehrheit der früheren DDR-Bürger und der überwältigende Teil der Alt-BRDler identifiziere sich nicht mit dem bestehenden System. Wir sehen uns vielmehr mit der Tatsache konfrontiert, daß eine Überzahl Ausgebeuteter in diesem Land derzeit kein Klassenbewußtsein besitzt. Ein dadurch blinder und tauber Proletarier aber wird zum Spielball sozialer und politischer Korrumpierbarkeit.

Auch ein anderer Faktor trägt zur Nichtentwicklung oder Verkümmerung von Bewußtheit bei: Trotz aller Verelendungs- und Krisenzeichen lebt die Mehrheit der deutschen Lohnabhängigen noch immer auf dem Niveau der internationalen Arbeiteraristokratie. So werden zwar ökonomische Konflikte ausgetragen, ein politischer Generalangriff auf die Festen des Kapitals aber erscheint vorerst wenig wahrscheinlich. Es fehlt eine massengestützte revolutionäre Partei.

Wie verhält es sich nun mit dem "Ankommen" der Ostdeutschen in der BRD? Auch in dieser Hinsicht darf man keine Illusionen haben: Es mangelt nicht an Angepaßten und Mantelwendern. In der aufgeschwemmten, inhaltlich immer mehr verwässerten Massenpartei der 2,3 Millionen SED-Mitglieder gab es dafür zunehmend einen Nährboden. Die glitzernde BRD-Scheinwelt mit ihrem Überangebot an Waren trug dazu bei, breite Bevölkerungsschichten der bürgerlichen Sichtweise zuzuführen. Die Wahlergebnisse seit dem März 1990 widerspiegeln das. Menschen ohne tiefere Wurzeln im Sozialismus, vor allem Jüngere, haben sich als manipulierbar erwiesen.

Dennoch blieben bei vielen wichtige Erkenntnisse bewahrt. So schrieb Jens Müller aus Nordhausen in "Neuland": "Hätte ich die DDR nicht bewußt erlebt, dann hätte ich mich besser mit dem Kapitalismus arrangieren können. Aber meine sozialen und politischen Sinne waren geschärft. Was wir in der DDR in Staatsbürgerkunde und ML über dieses wunderschöne kapitalistische System gelesen und gelernt haben, war völlig richtig."

Besonders Ältere haben inzwischen etliche Anfangsillusionen über Bord geworfen. Und viele von jenen, welche ideologisch fast schon in der BRD gestrandet waren, durchschauen unterdessen die hohlen Versprechungen. Sie zweifeln an früheren Überlegungen und manchen voreiligen Schlüssen.

Für uns Kommunisten, Sozialisten und andere Linksgesinnte aber gilt: Wir werden den Machthabern der BRD nicht ins Netz gehen, bleiben wir doch nach gewissenhafter Bilanzierung von Plus und Minus der Erfahrungen mit Sozialismus und Kapitalismus unverrückbar bei den fundamentalen Erkenntnissen von Marx, Engels und Lenin. Wie könnten wir da ausgerechnet bei Merkel, Westerwelle, Steinmeier oder Seehofer unser Heil suchen?

In der BRD angekommen? Die Frage beantwortet sich für uns wohl von selbst.

Klaus Steiniger

Raute

Brief eines nordfriesischen Lohnsteuerzahlers an die Regierenden

Kostenfreie Beratung von unten

Ich möchte mit Ihnen einen Beratungsversuch starten, auch wenn ich vermute, daß Sie sich wie in der Vergangenheit als beratungsresistent erweisen werden. Sei's drum. Hören Sie mir erst einmal zu. Ich versichere Ihnen, daß meine Erwartungshaltung Ihnen gegenüber so gering ist, daß Sie mich kaum enttäuschen können. Ich werde auch gar nicht weiter auf die überführten Steuerhinterzieher (Zumwinkel & Co.), Puffreisen vermittelnde Gewerkschaftsdiskreditierer (Hartz I bis IV) und andere Delinquenten eingehen, die bei früheren Regierungen Ihrer Couleur nicht nur ein offenes Ohr gefunden, sondern deren praktische Ratschläge Sie uns bedingungslos zugemutet haben. Da muß es doch erfrischend sein, von einem ehrlichen Lohnsteuerzahler beraten zu werden. Zumal wir kleinen Leute ja mit einem Drittel des gesamten Steueraufkommens die Stütze des Staatswesens sind. Ich bin zutiefst bestürzt, daß Sie mit den über 100 Mrd. Euro für die "Hypo-Real" bereits 80 % des gesamten Lohnsteueraufkommens eines Jahres den Bankrotteuren zugeschanzt haben. Wenn das so weitergeht, müssen wir Insolvenz anmelden und Sie samt Hofstaat vorzeitig entlassen. Jedenfalls möchte ich meine Pro-Kopf-Verschuldung nicht noch weiter in die Höhe getrieben sehen, nur um HRE und Ihnen die Fortsetzung einer Party zu gewährleisten, die längst schon zu Ende sein müßte.

Zur Sache: Beratungsanlaß ist das harmlos klingende "Bankenrettungspaket". Oberflächlich vermittelt es durch die geschickte Wortwahl zunächst den Eindruck von etwas Positivem. Doch betrachten wir es näher.

Bildlich gesprochen ist das Verfahren mit dem Hütchen-Spiel vergleichbar. Unter einem Hütchen befindet sich ein Tender, vollbeladen mit Kohle - unseren Steuergeldern. Sie liegt auf Abruf zum Verfeuern bereit, ein Teil davon ist schon im Heizkessel. Bestimmungsbahnhöfe sind verschiedene Großbanken und deren Manager. Unter einem zweiten Hütchen steckt ein zusätzliches Geschenkpaket für die Reichen und Superreichen. Der Rest sind Leerverkäufe, also leere Hütchen. Der regierenden Spielleitung stehen verschiedene hochdotierte Assis (Berater und andere Lobbyisten) zur Seite. Wir Bürger werden zum Mitspielen angeregt. Wir sollen unsere schrumpfenden Löhne und Sozialabgaben einsetzen. Einige machen, wie alkoholisiert, freiwillig mit, die meisten werden durch verführerische Animation dazu genötigt, der Rest besteht aus Zwangsrekrutierten.

Bei diesem verbotenen Glücksspiel ist selbst mit viel Glück auf Dauer nichts zu gewinnen. Aber es gibt Alternativen, die sozial ausgewogen und realisierbar sind. Überdies erfolgversprechend. Die Regierung könnte z. B. ein Fax in die Chefetagen mit der Aufschrift senden: "Die Party ist vorüber!" Das hätte etwas! Man kann das auch etwas vornehmer formulieren: "Banken in Insolvenz gehen lassen - Manager rausschmeißen." So ähnlich hat es James Galbraith im Februar d. J. formuliert.

Es reicht völlig aus, wenn nur die Spareinlagen der kleinen Leute abgesichert werden. Und wer so verblendet war, sich Traumrenditen einreden zu lassen und sogar noch an den sicheren Erfolg dieses Vabanquespiels geglaubt hat, soll ruhig einmal in die Röhre gucken. Damit ein für allemal klar ist: Kohle, Moneten, Zaster etc. vermehren sich nicht durch Zellteilung. Geld(vermögen) wächst entweder durch Arbeit oder durch Raub. Auch wenn die bittere Realität einer kapitalistischen Gesellschaft diesen legitimiert und den Räuber sogar noch fördert, bleibt der Akt schamlos und unmoralisch. Auch dann, wenn man nur ein Stück vom Raub abhaben möchte. Ausnahmen gelten für die Beraubten, die selbstverständlich berechtigt sind, sich das Geraubte zurückzuholen. Den Räubern aber muß man auf die Finger schlagen, statt dieses kriminelle Verhalten auch noch zu dulden oder gar zu fördern. Den großen Gangstern sollte man überdies die Hände fesseln, damit die durch das kapitalistische System ausgelösten Pawlowschen Reflexe geldgierigen Speichelflusses nicht abermals angeregt werden.

Ich würde gerne jeden verantwortlichen Akteur, der meine/unsere Steuergelder so maßlos verschleudert und die Verschuldung jedes einzelnen in schwindelerregende Höhen treibt (allein die für die "Hypo-Real" reservierten Gelder machen bei unserer vierköpfigen Familie ein Verschuldungspotential von 4950 Euro) gehörig züchtigen. Da ich das aber nicht darf, muß ich mich leider im Zaum halten. Es wäre auch nur eine trügerische Befriedigung. Doch ich kenne wirklich erfolgversprechende Mittel. Auch, aber bei weitem nicht nur parlamentarische. Es empört mich, wie die politisch Verantwortlichen faktisch am Tod vieler tausend armer Menschen - vor allem durch unterlassene Hilfeleistung - ständig das Scheinargument bemühen: Es ist kein Geld da. Damit haben sie uns angelogen und tun es immer noch. Kein Geld für die Beseitigung von Hunger und Not. Kein Geld für die Versorgung der Kranken. Kein Geld für die Überwindung der Kinderarmut. All dies Eingesparte geht nun an die Banker.

Es ist bestätigend, aber nicht tröstend, daß das Luxemburg-Wort "Sozialismus oder Barbarei" sich so qualvoll manifestiert. Denn dieses System vernichtet nicht nur Geld und materielle Ressourcen. Es tötet auch Menschen und zerstört deren Chancen. Durch die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben wird den Bedürftigen, den Kranken, den Alten sowie den Kindern eine menschenwürdige Existenz verwehrt.

Auf der anderen Seite sehen wir, wie asozialen Kreaturen, die diese Krise herbeigeführt haben, weiterhin ein Leben in Saus und Braus zugebilligt wird. Nein, wir vergessen nicht, wer die Freizügigkeit für die Geschäftspraktiken der Banken und Investmentklitschen erst ermöglicht hat. Wir sehen auch, daß die Täter als Berater der Regierung nicht nur weiterhin gefragt sind, sondern die Pakete selbst mitschnüren. Langfristig eingefädelt von der früheren Regierung aus SPD und Grünen, nun forciert von der jetzigen CDU/CSU-SPD-Koalition, teils unter dem Beifall der FDP, die noch dazu so tut, als sei sie oppositionell. Welch übles Spiel wird da mit uns getrieben? Nicht die Schaffung von "bad banks" (faulen Banken), sondern die schnellste Entsorgung von "bad government" (einer schlechten Regierung) ist das Gebot der Stunde.

Niki Müller, Friedrichstadt

Raute

Aus "Brzask" (Morgenröte), Organ der Kommunistischen Partei Polens (KPP)

Intelligent und listig wie ein Rotfuchs

Seit dem 1. Februar 1998 erscheint in Berlin die Monatszeitschrift "RotFuchs", "Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland", wie es im Untertitel heißt. Die Zeitschrift schart nicht nur aufopferungsvolle Mitarbeiter der Redaktion und eine Vielzahl berühmter Federn um sich, sondern auch erfahrene Layouter, Korrektoren, Techniker und Drucker. Eine vieltausendköpfige Leserschaft ist herangewachsen. Dr. Klaus Steiniger arbeitet seit Anbeginn als Chefredakteur. Zu DDR-Zeiten war er anfangs Jurist, später Redakteur und Auslandskorrespondent der Zeitung "Neues Deutschland", der u. a. aus den USA, Portugal und Lateinamerika berichtete. Bei dieser Gelegenheit sei angemerkt, daß Klaus als Junge unmittelbar nach dem Krieg in Karpacz (Krummhübel) lebte, wo sein Vater, ein Kommunist und Antifaschist, bis zur Aussiedlung der Deutschen aus diesen Gebieten Bürgermeister war.

Die Zeitschrift errang eine bedeutende Position im Feld linker Publikationen Deutschlands. Sie präsentiert sich als nicht parteigebunden, ist jedoch parteilich. Mit anderen Worten: Sie identifiziert sich nicht mit den verschiedenen kommunistischen und sozialistischen Parteien in Deutschland, schafft jedoch eine organisatorisch-ideologische Plattform, um die sich Kommunisten, Sozialisten aber auch andere Vertreter gegenwärtiger revolutionär-progressiver Strömungen in Deutschland, Europa und selbst anderer Kontinente sammeln. Ihre Grunddevise besteht darin, alles wiederzuentdecken, was jene Menschen eint, statt trennt. Wir haben einen gemeinsamen Feind, zahlreiche Gegner, eben den Imperialismus, Kapitalismus, Faschismus, Chauvinismus und Nationalismus, Intoleranz und Verfolgung. In dieser Situation geht es darum, sich über Meinungsunterschiede hinweg in einer einheitlichen Front gegenüber all diesen inneren und internationalen Bedrohungen zu vereinigen. Erinnert wird hierbei auch an die Gefahr eines Krieges.

Um die gesellschaftliche Aktivität der Zeitschrift zu verbreitern, organisierte sie einen Verein mit dem Recht zur Schaffung territorialer Strukturen, die eine umfangreiche kulturelle und Bildungstätigkeit entwickeln. Der "RotFuchs" läßt in seinen Spalten bekannte politische Karikaturisten zu Wort kommen - darunter Klaus Parche. Sie prangern mit ihren Mitteln die Barbarei der kapitalistischen Gesellschaft an. Der Verein ist keine Partei, doch die politische und ideologische Linie der Monatszeitschrift, die ständig durchgeführten Versammlungen, die interessanten Vorträge und Diskussionen sowie die bisherige publizistische Tätigkeit stellen den "RotFuchs" ganz auf die Seite der konsequenten Linken, wo er bedeutende Resultate erzielt.

Die Zeitschrift steht auf einem hohen theoretischen Niveau, greift zahlreiche Themen der gegenwärtigen Entwicklung des Marxismus-Leninismus und seiner Geschichte sowie brennende Probleme der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung auf. Einen wichtigen Teil der Aktivitäten des RF nimmt die Bewertung der Errungenschaften der Deutschen Demokratischen Republik sowie die organisatorische und ideologische Situation in den kommunistischen und sozialistischen Parteien Deutschlands ein. Es gibt auch eine Vielzahl von Informationen und Analysen zu China, Kuba und anderen Ländern. Artikel über den zeitgenössischen Imperialismus und dessen Widersprüche wie auch über die Situation in den Staaten der früheren UdSSR, in Polen usw.

Seit über elf Jahren entwickelt und perfektioniert die Zeitschrift ihren journalistischen Schliff. Es ist ihr gelungen, viele bedeutende Journalisten, Wissenschaftler und Künstler nicht nur aus der einstigen DDR zu sammeln, die nach 1989 durch die Herrschenden der BRD zumeist auf die Straße gesetzt worden waren. In dieser Hinsicht erwies und erweist sich die Situation in Deutschland schlechter als in Polen. Für die machtausübenden Kräfte der Bundesrepublik waren nicht nur Kommunisten und Sozialisten Feinde, sondern auch andere Aktivisten beim Aufbau der DDR. Zum Feind wurde faktisch die gesamte im Osten Deutschlands ausgebildete sozialistische Intelligenz, die mit deutscher Gründlichkeit durch die "demokratische" BRD bis zu den tiefsten Wurzeln zerschlagen und ausgelöscht wurde.

In dieser Situation verhielten sich die Zeitschrift "RotFuchs" und ihr Förderverein sehr klug. Nicht ohne Grund ist das Logo der Zeitschrift ein skizzierter Rotfuchs, der für List und Intelligenz steht. Die deutschen Kommunisten und Sozialisten vom "RotFuchs" haben es verstanden, das Regime zu überlisten. Es ist ihnen gelungen, eine große organisatorische und publizistische Arbeit in Gang zu setzen und zu entwickeln, in ihren Reihen viele Tausende nicht nur der älteren Generation, sondern auch immer mehr junge Leute zu sammeln. Der RF wurde für sie alle zu einer eigenen politisch-ideologischen Heimat.

Es ist zu betonen, daß die Initiative des "RotFuchs" nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern - auf dem Gebiet der früheren DDR - Fuß faßt. In immer stärkerem Maße wird er auch zur Plattform für Kommunisten und Sozialisten in Westdeutschland.

Am Rande dieser Information sind die internationalen Aktivitäten der Zeitschrift eine Notiz wert. Sie finden ihren Ausdruck u. a. in ständigen Kontakten mit vielen ausländischen Mitarbeitern und Korrespondenten, z. B. in der früheren UdSSR, China, Griechenland, Australien, auch in Polen sowie in anderen europäischen Ländern. In den Spalten der Zeitschrift erscheinen tiefgründige Analysen zu brennenden internationalen Problemen wie Berichte über Konferenzen, Parteitage usw.

Es ist zu unterstreichen, daß die Regionalgruppen zu ihren Veranstaltungen auch ausländische Gäste einladen. So hielt Prof. Zbigniew Wiktor (Wroclaw) Ende Januar bei zwei Gelegenheiten Vorträge in deutscher Sprache zum Thema "Die organisatorische Situation und die aktuellen Aufgaben der polnischen Kommunisten". Das Treffen in Chemnitz (früher Karl-Marx-Stadt), an dem auch Genossen aus Plauen und Zwickau (insgesamt 60 Personen) teilnahmen, fand im traditionellen "Rothaus", das linken Organisationen zur Verfügung steht, statt. Die zweite Begegnung war in der "Drogenmühle" Heidenau bei Dresden anberaumt. Hier hatten sich über 40 Genossen eingefunden. Mehr als 20 Fragen wurden gestellt, deren Beantwortung, einschließlich der Diskussion, den vorgesehenen Zeitraum von zwei Stunden erheblich überschritt. Die Zusammenkünfte wurden vom stellvertretenden Vorsitzenden der Regionalgruppe Wolfgang Naundorf (Chemnitz) und vom Vorsitzenden Günther Strobel (Dresden) geleitet.

Vorträge und Diskussionen über die Situation der KPP und deren aktuelle Aufgaben zeugten davon, daß sich diese Problematik eines großen Interesses in Kreisen deutscher Linker erfreut. Zugleich zeigen die Erfahrungen der deutschen Kommunisten und Sozialisten, daß man den Gegnern der sozialistischen Ideologie durchaus wirksam begegnen kann. Die Tätigkeit der Monatszeitschrift "RotFuchs" beweist das. Wir wünschen ihr weiteren Erfolg.

Zbigniew Wiktor

Übersetzung aus dem Polnischen: Stefan Warynski

Raute

Heinz Scheuer und die SPD

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Hannover 1946: Sozialismus als "Tagesaufgabe"

Angesichts des Einstürzens so vieler Kartenhäuser des Kapitalismus und der sich immer mehr vertiefenden Krise seines Systems ist es sicher nicht uninteressant zu erfahren, wie CDU und SPD sich die deutsche Gesellschaft nach 1945 vorstellten, welche Richtung sie vorgaben. Auf zwei Dokumente soll hier verwiesen werden: Im Ahlener Wirtschaftsprogramm der CDU vom 3. Februar 1947 hieß es z. B.: "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein ...

Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muß davon ausgehen, daß die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist ... Unternehmungen monopolartigen Charakters, Unternehmungen, die eine bestimmte Größe überschreiten müssen, verleihen eine wirtschaftliche und damit eine politische Macht, die die Freiheit im Staate gefährden kann ..." - Im Strategiedokument der SPD, angenommen auf deren westdeutschem Parteitag in Hannover (9. bis 11. Mai 1946) wurde u. a. festgestellt: "Die Sozialdemokratische Partei sieht ... ihre Aufgabe darin, alle demokratischen Kräfte Deutschlands im Zeichen des Sozialismus zu sammeln. Nicht nur die politischen Machtverhältnisse, sondern auch ihre ökonomischen Grundlagen müssen geändert werden.

Das heutige Deutschland ist nicht mehr in der Lage, eine privatkapitalistische Unternehmerwirtschaft zu ertragen und Unternehmerprofite, Kapitaldividenden und Grundrenten zu zahlen. Die jetzt noch herrschenden Eigentumsverhältnisse entsprechen nicht mehr den sonstigen gesellschaftlichen Zuständen und Bedürfnissen. Sie sind zu dem schwersten Hemmnis der Erholung und des Fortschritts geworden  ...

Die von der Sozialdemokratie angestrebte sozialistische Wirtschaft beruht auf einer gelenkten Wirtschaftspolitik. Entscheidend für Umfang, Richtung und Verteilung der Produktion darf nur das Interesse der Allgemeinheit sein ...

Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel erfolgt auf die verschiedenste Weise und in den verschiedensten Formen ...

Es gibt keine sozialistische Gesellschaft ohne die mannigfaltigsten Betriebsarten und Formen der Produktion. Der Sozialismus will soviel wirtschaftliche Selbstverwaltung wie möglich unter stärkster Beteiligung der Arbeiter und Verbraucher ...

Sozialismus ist nicht mehr ein fernes Ziel. Er ist die Aufgabe des Tages. Die deutsche Sozialdemokratie ruft zur sofortigen sozialistischen Initiative gegenüber allen praktischen Problemen in Staat und Wirtschaft auf allen Stufen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens auf." Der heutige Leser mag selbst beurteilen, was aus den offenbar auf Massentäuschung zielenden Programmen beider Parteien geworden ist, wie "konsequent" sie sich an ihre eigenen Versprechungen gehalten haben.

Dr. Rudolf Dix

Raute

Offener Brief an den SPD-Bezirksvorstand Berlin-Lichtenberg

Harry Nick redet Tacheles

Herrn Andreas Geisel, Vorsitzender,
Herrn Manfred Becker, Fraktionsvorsitzender in der BVV Lichtenberg

Zum wiederholten Mal muß ich mich als Moderator der "Lichtenberger Sonntagsgespräche" Ihrer Versuche, diese Gespräche zu verhindern, Ihrer unwahren Auslassungen über deren Inhalte und Ihrer ehrenrührigen Äußerungen über die hier Vortragenden erwehren.

Über unser letztes Sonntagsgespräch am 22. März war in der Berliner Zeitung vom 24.3. in einem durch Claudia Fuchs gezeichneten Beitrag unter der Überschrift "SPD kritisiert Linke wegen Vortrag von Heinrich Fink" folgendes zu lesen: "Die SPD Lichtenberg hat der Linkspartei Geschichtsklitterung vorgeworfen. Anlaß ist ein Vortrag des früheren Humboldt-Uni-Rektors Heinrich Fink, der am Sonntag vor der Lichtenberger Linkspartei über die ,kirchliche Friedensbewegung in der DDR' sprach. Fink soll als IM Heiner oppositionelle Kirchengruppen ausspioniert haben. SPD-Kreischef Andreas Geisel kritisierte, die Linke betreibe Geschichtsaufarbeitung offenbar gezielt mit Ex-Stasi-Mitarbeitern. Linke-Kreischefin Gesine Lötzsch sah 'nichts Anstößiges in der Veranstaltung'. Heinrich Fink hatte die IM-Vorwürfe stets zurückgewiesen."

Hierzu erkläre ich:

Herr Professor Fink, Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und des Bundes der Antifaschisten (VVN/BDA), sprach nicht in einer Parteiversammlung der Linkspartei, sondern im seit 1991 regelmäßig monatlich stattfindenden "Lichtenberger Sonntagsgespräch", einer öffentlichen Veranstaltung. Themen, Termine und Vortragende werden von den Teilnehmern für das jeweils folgende Sonntagsgespräch bestimmt. Ich gehöre wie Heinrich Fink zu den ständigen Moderatoren und habe auch das Gespräch am 23.9. moderiert. Ich lege energischen Protest gegen die verleumderischen Äußerungen über Prof. Fink ein.

Zweitens halte ich es für unzulässig über eine Veranstaltung zu berichten, an der man nicht teilgenommen hat. Weder Frau Fuchs noch Herr Geisel waren anwesend.

Jeder, der diesen Vortrag von Prof. Fink gehört hat, wird den Vorwurf der Geschichtsklitterung entschieden zurückweisen. Es war ein sehr interessanter Exkurs in biblische, kirchengeschichtliche und christlich bewegte Friedensbemühungen in Deutschland, in der Bundesrepublik wie in der DDR.

Unzweifelhaft sind all Ihre Attacken vordergründig gegen ehemalige Mitarbeiter des MfS, in Wahrheit aber gegen die Linkspartei gerichtet, eine Art Wahlkampf für Sie.

Frage 1: Haben Sie überhaupt Bücher, deren Autoren Sie als ausreichenden Grund für Ihre aggressiven und verleumderischen Medienkampagnen gebrauchen, gelesen?

Frage 2: Woher nehmen Sie das Recht, den öffentlichen Auftritt von Autoren verbieten zu wollen? Sie maßen sich hier die Befugnisse von Zensoren an. Sie sollten unserer wiederholten Versicherung vertrauen, daß es in Lichtenberg keine Zensur geben wird. Wie kommen Sie dazu, den Teilnehmern der "Lichtenberger Sonntagsgespräche" vorzuschreiben, mit welchen Themen sie sich befassen dürfen und mit welchen nicht? Ich wiederhole, daß wir das nicht akzeptieren.

Frage 3: War es, wie ich vermute, Ihre Anregung, daß Kita und Begegnungsstätte "Sonnenschein" anläßlich des Kiezfestes im Lichtenberger Fennpfuhl auf großen selbstgefertigten Plakaten verlautbarten: "An einem Platz, an dem der DDR-Spionagechef Werner Großmann Platz für gemütliche Sprechstunden hat, können wir leider keine Glücksräder rollen lassen, unbeschwert basteln und Kinder schminken."

Meinen Sie nicht auch, daß solche politische Geiselnahme von Kindern eine Ungeheuerlichkeit ist?

Frage 4: Meines Erachtens sind Sie politisch mitverantwortlich dafür, daß am 28. April 2008 der Bundeszentrale der Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde in der Lichtenberger Weitlingstraße mehrere große Fensterscheiben eingeworfen wurden. Sehen Sie das auch so? Haben Sie dazu öffentlich Stellung genommen, sich bei der GBM entschuldigt, wenigstens informiert? Es geschah vier Tage, nachdem der BVV der gemeinsame Antrag der SPD- und CDU-Fraktionen, "stasi-nahen Vereinen" jegliche bezirkliche Unterstützung (Stellung von Räumen, Werbung auf Internetseiten, Auslegung von Faltblättern etc.) zu entziehen, mit 25 gegen 25 Stimmen abgelehnt worden war. Es handelte sich um eine seit 1992 stattfindende Rentenberatung der GBM in einer öffentlichen Bibliothek in Berlin-Lichtenberg. Ob Kinder oder Rentner, ihre Interessen sind in der Lichtenberger SPD-Politik offenbar Spielmaterial eines miserablen politischen Kalküls.

Frage 5: Wie kommen Sie sich denn politisch-moralisch vor, wenn sich der SPD-Fraktionsvorsitzende der Lichtenberger BVV damit rühmt, "wir" hätten fast gewonnen, es fehlte nur noch eine Stimme - bezogen auf die Zählgemeinschaft von SPD bis NPD? Ein bemerkenswertes Bündnis, dieses "Wir"!

In den seit 18 Jahren stattfindenden "Lichtenberger Sonntagsgesprächen" wurde viel gegen die von Ihnen so beklagte "Geschichtsklitterei" geleistet, auch gegen eine nostalgische Verklärung der DDR. Da Ihnen solche Klitterei so wichtig und ahndenswert ist, erlaube ich mir ein paar Fragen, in denen Ihre Partei zur Aufhellung wichtiger historischer Vorgänge beitragen müßte, namentlich die Lichtenberger SPD in diesem Jahr der vielen Gedenktage.

Frage 6: Die Mitschuld der SPD an der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht stand immer außer Zweifel (siehe z. B. Sebastian Haffners Buch "Der Verrat"). Nun aber sind kürzlich eindeutige Beweise dieser Mitschuld, der direkten Mitverantwortung des SPD-"Bluthunds" Gustav Noske - den Titel gab er sich selber - an diesem Mord bekannt geworden: (siehe Klaus Gietinger "Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere")

Sollte auch angesichts dessen, daß sich die Gedenkstätte der Sozialisten in Lichtenberg befindet, die Lichtenberger SPD im 90. Jahr nach diesem Mord nicht dafür eintreten, daß die SPD-Mitschuld endlich aufgearbeitet und öffentlich eingestanden wird?

Frage 7: Vor 80 Jahren, am 1. Mai 1929, wurden auf Befehl des Berliner Polizeipräsidenten Zörgiebel (SPD) 31 Teilnehmer an der Maidemonstration erschossen. Sollte dieser Toten nicht öffentlich gedacht werden? Sollten Sie sich nicht endlich für ein Mahnmal der Erinnerung an sie einsetzen?

Frage 8: Am 19. Juni 1933 wurden sämtliche jüdischen Mitglieder des SPD-Parteivorstandes "abgewählt". Ausgeschlossen wurden auch zwei Vorstandsmitglieder, die die Einheitsfrontpolitik mit der KPD gegen den Faschismus befürworteten. Sollten Sie nicht über Ihre Politik "Der Feind steht links!" mal nachdenken? Wollen Sie diese fortsetzen?

Sollten Sie sich nicht besser den heute brennenden aktuellen Problemen zuwenden, statt durch Stasi-Hysterie von ihnen abzulenken? Empfinden Sie nicht auch, daß die Agenda-2010-Politik und Hartz IV aufs äußerste unsozial sind? Was sagen Sie zu ihrem Bundesarbeitsminister, der den Ausschluß der Hartz-IV-Bezieher sowohl von den Verschrottungsprämien als auch von den Kindergelderhöhungen befürwortet?

Da dieser Brief Sachverhalte betrifft, die Sie öffentlich gemacht haben, sehe ich Sie verpflichtet, auf meine Fragen auch öffentlich einzugehen.

Prof. Dr. Harry Nick

Raute

Die Lüge von der Rückkehr zur "sozialen Marktwirtschaft"

Zynische Spiegelfechterei

Die kapitalistische Welt ist seit geraumer Zeit nachhaltig aus den Fugen geraten. Da greift nicht nur eine anhaltende Finanzkrise um sich. Es gibt darüber hinaus eine netzartige Verflechtung zwischen dieser, einer sich anbahnenden erheblichen Wirtschaftsrezession, Energie-, Rohstoff- und Lebensmittelkrisen. Besonders die US-Wirtschaft ist ins Wanken geraten und deformiert ganze weltwirtschaftliche Prozesse. Das wirkt sich nachhaltig auf die meisten Länder aus. Darüber hinaus verschlingen Rüstung, Militarisierung und Staatsterrorismus enorme produktive Werte. Eine annähernde Transparenz dieser Abläufe ist nicht gegeben. Ganze Schuldengebirge werden durch die Aufdeckung immer neuer fauler Kredite in nahezu astronomischen Größenordnungen entstehen.

Die Regierungsbeauftragten der Konzerne und Banken versuchen den Eindruck zu erwecken, sie hätten mit "Rettungsschirmen" für angeschlagene Unternehmen und sogenannten Konjunkturprogrammen alles fest im Griff. Zugleich werden über die Medien am laufenden Band Horrorszenarien verbreitet. Das Motto: Allgemeine Verunsicherung ist ein günstiger Nährboden für unredliches Handeln.

Ein Blick hinter die Kulissen des geschäftigen Krisenmanagements enthüllt: Unter allen Umständen soll von der Systemkrise abgelenkt werden, um die es sich in Wahrheit handelt. Zugleich wird alles dafür getan, daß die Arbeitenden mit einer künftigen Agenda 2020 die enorme Wucher- und Spekulationsblase zu bezahlen haben.

Wird nur die Oberfläche der Politik- und Medienmanipulation betrachtet, scheint es sogar eine ernsthafte Kritik an gewissen "Leistungsträgern" in Banken und Konzernen zu geben. Plötzlich werden selbst von präsidialer Seite renommierte Geldinstitute als Monster bezeichnet. Etliche Bankiers sollen im Renditewahn Intrigen angezettelt und auf Teufel komm raus spekuliert haben. Viele faule Anlageprodukte seien angeblich von Finanzhasardeuren unter einfachen Sparern in Umlauf gebracht worden. Verbriefte Wetten und andere Abzockprodukte wurden ohne Erwähnung von Risiken angepriesen. Üppige Bonuszahlungen für kundenfeindliche Machenschaften waren die Regel. In Beratungsagenturen wurden gezielt falsche Empfehlungen gegeben. Immer neue Spekulationsballons stiegen auf. Als diese unreale Wirtschaftsweise in Konkurs ging, prägte man den Begriff Realwirtschaft. Nieten in Nadelstreifen, die jahrelang die Freiheit der Märkte propagiert und praktiziert hatten, gaben sich plötzlich als Anhänger regulierter Verhältnisse aus. Etliche von ihnen widersetzen sich allerdings inzwischen bereits wieder den Vollmachten ihres eigenen Staates zur üppigen Sanierung von Banken und Konzernen, in welche die Regierung pro forma einsteigt. Wirkliche soziale Reformen stehen überhaupt nicht zur Debatte. Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals geht weiter.

Aber warum wird bewußt Aufregung geschürt? Was haben die "schwarzen Schafe" aus den eigenen Reihen eigentlich ausgefressen? Sie haben lediglich ihr System in Gänze begriffen und entsprechend gehandelt. Um die Treffsicherheit des von Marx zitierten Mr. Dunning zu erwähnen: Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit. Bei zehn Prozent ist es noch ein scheues Reh, bei 20 wird es lebhaft, bei 50 waghalsig. Für 100 Prozent zerstampft es alle menschlichen Werte unter seinem Fuß, für 300 zeigt es sich zu jedem Verbrechen bereit.

Nicht menschliche Gier ist, wie die Medien verkünden, die Ursache allen Übels, sondern das Grundgesetz des Kapitalismus, die ins Maßlose gesteigerte Jagd nach Profit. Exakter: die Hatz nach Maximalprofit.

Aus Ablenkungsgründen wird behauptet, es gäbe ja durchaus verschiedene Kapitalismen. Vom Casino- oder vom Raubtierkapitalismus ist abfällig die Rede. Alles leeres Geschwätz: Selbst im Casino gelten Regeln, und auch Raubtiere sind weniger unersättlich als kapitalistische Profitjäger.

Zweifellos hängt der Grad der Rücksichtslosigkeit des Kapitals maßgeblich vom Widerstandswillen der Ausgebeuteten ab. Man erinnere sich an die Feststellung westdeutscher Gewerkschafter über seinerzeitige Tarifverhandlungen, bei denen - Zeit ihrer Existenz - die DDR stets als unsichtbarer dritter Beteiligter mit am Tisch gesessen habe. Ihr Fehlen hat für die Werktätigen im Westen und jetzt in der ganzen BRD auch in dieser Hinsicht zu Buch geschlagen. In den frühen 50er Jahren sah sich Ludwig Erhard dazu gezwungen, "Wohlstand für alle" zu propagieren. In der Phase des Wiederaufbaus und der Überwindung der Kriegsfolgen wurde jede Hand gebraucht. So entwickelten sich die Reallöhne durchaus positiv, während zugleich die Kluft zwischen arm und reich wuchs und der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit fortbestand.

Schröders Agenda 2010 beschleunigte den Sozialabbau, und in den Jahren des sogenannten Aufschwungs stand der Abschwung bereits in den Startlöchern. Der Markt ist also keineswegs, wie die Kapitalisten behaupten, die Quelle von Selbstheilungskräften. Dort, wo Anarchie und Konkurrenz die Produktion bestimmen, ähnelt er eher einem Haifischbecken.

Marxistisch-leninistische Ökonomen unterschätzen indes die Rolle des Marktes keineswegs. Sie bewerten seine Stellung und Funktion im Reproduktionsprozeß sachlich und objektiv, ist er doch die Sphäre der Warenzirkulation und des Zusammentreffens von Angebot und zahlungsfähiger Nachfrage. Der Markt ist jedoch nur ein Teil der Reproduktionssphäre. Ob Waren oder Kapitalmarkt - immer wird deren soziale Wirksamkeit von den Eigentumsverhältnissen geprägt. Selbst ernstzunehmende bürgerliche Ökonomen betrachten die Produktionsverhältnisse mit ihrem Kern, den Eigentumsverhältnissen, als das Ausschlaggebende.

Jeder Markt büßt seine Effektivität ein, wenn nicht Forschung, Wissenschaft und Technik zu höher entwickelten Produkten und Dienstleistungen führen, die neuen Bedarf wecken. Er wird durch einen Mangel an Kaufkraft beeinträchtigt, wenn die Binnennachfrage durch Niedriglöhne, sinkende Realeinkommen, Hartz IV und fehlende Bildungschancen negativ beeinflußt wird.

Das Attribut sozial bei der Kennzeichnung der kapitalistischen Marktwirtschaft zu verwenden, zeugt von Zynismus. Eingefleischte Vertreter des Kapitalismus sollten zu ihrem System stehen und dessen antisoziale Aggressivität nicht durch die Realität verdeckende Schöpfungen wie die Initiative "Neue Soziale Marktwirtschaft" zu kaschieren suchen.

Damit die Arbeitenden nicht wiederum die gesamte Zeche der Staatsverschuldung zu berappen haben, ist linke und gewerkschaftliche Politik als Gegenkraft herausgefordert. Neben Abwehrkämpfen und Besitzstandbehauptung geht es auch darum, weiterreichende gesellschaftliche Alternativen zum kapitalistischen System wirksam darzustellen. Das Ringen um die alltägliche Daseinsvorsorge und die Propagierung einer sozialistischen Alternative zum Kapitalismus sind zwei eng miteinander verbundene Seiten linker Politik.

Prof. Dr. Harry Milke

Raute

"Plötzliches" Debakel oder logische Folge des Vabanquespiels?

Die Dollarkrise in australischer Sicht

Wie konnte es zu der "plötzlichen" Wirtschaftskrise kommen? Wieso der Kreditstau, der mit dem Zusammenbruch eines Systems droht, das auf Pump lebte? Wo sind die Mega-Profite der Banken, der Investoren, der Versicherungsanstalten? "Wachstum auf Kredit" war die Mantra des Finanzgenies Dr. Alan Greenspan, des jahrelangen Chefs des amerikanischen Federal Reserve Systems (Fed), der immer flott die Massen ungedeckter Dollarnoten drucken ließ und zu niedrigem Zinsfuß in den Weltumlauf schleuste. Die lose Geldpolitik überbrückte defizitäre amerikanische Zahlungsbilanzen, ermöglichte es aber gleichzeitig der Privatwirtschaft, in globalem Maßstab reale Werte für eine inflationäre Währung zu ergattern.

Bereits im März 2008 sprach Chinas Premierminister Wen Jiabao in einem Interview mit der "Financial Times" von der anhaltenden Schwäche des Dollars. China, eine Handelsnation mit Valutareserven von nahezu zwei Billionen Dollar, hatte Grund zur Besorgnis.

Die fortschreitende Dollarinflation trieb die Weltmarktpreise in die Höhe. Am 9. Juni 2008 stieg Öl auf 138 und am 14. des Monats auf 145 Dollar. Der Preis pro Unze Feingold, der im April, Mai und Juni zwischen 925 und 860 Dollar schwankte, stand am 16. Juli bei 980,6 Dollar. Solche fieberhaften Preissteigerungen bedeuteten einen ernstlichen Kaufkraftverfall. Das Juni-Treffen der G-8 in Osaka forderte deshalb, daß der Dollarinflation ein Ende gesetzt werde.

Die führenden Köpfe der amerikanischen Währungspolitik begaben sich in Konklave und beschlossen Gegenmaßnahmen. Da das gesamte westliche Wirtschaftssystem durch Dollarkredite angetrieben wird, mußte die USA-Währung wieder zur Mangelware werden. Denn eine Dollarverknappung (Deflation) trüge zwar zur Verschlimmerung der Rezession bei, bringe andererseits aber gewisse Vorteile wie eine Senkung der Ölpreise mit sich, um den Arabern, Rußland, Iran und Venezuela die Flügel zu stutzen. Die Finanzwelt dürfte dabei aber nicht zu kurz kommen.

Staatliche Dollarreserven, Steuergelder wurden jetzt lockergemacht, um Finanziers, die sich verspekuliert hatten, aus dem Wasser zu ziehen. In Europa kreiste ebenfalls der Pleitegeier um die stolzen Festungen des Kapitalismus, deren Bosse in ihrer Gier nach schnellen Profiten auf Wall Streets Ramschaktien hereingefallen waren. Die "Opfer" mußten eiligst auf Kosten der Steuerzahler saniert werden.

In Panik geratene ratlose Regierungen, von Bush bis Obama, von Englands George Brown bis zu Frankreichs Nicolas Sarkozy, Angela Merkel und Berlusconi sowieso - ja, auch Japan - parierten. Man war sich einig: Das System muß gerettet werden, koste es, was es wolle! Einfach gestrickte Politiker wie die Kanzlerin der BRD sprachen von einer "Vertrauenskrise", die an allem schuld sei ... Offenbar hatte man einem Finanzsystem vertraut, das mit unproduktiven Spekulationen Profit machen wollte und jetzt zusammenbrach.

Das internationale Zahlungs- und Reservesystem, das sich 1944 mit dem Bretton-Woods-Abkommen dem Dollar und der "freien Marktwirtschaft" verschrieben hatte, besitzt keine Skrupel, sich notfalls bis zur äußersten Schmerzgrenze aus Staatsgeldern zu bedienen.

Solange die Dollars flossen, vergaben private Investitionsbanken, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank billige Anleihen - von Island bis nach Osteuropa, von Pakistan bis Argentinien. Mit dem Versiegen des Valutastroms müssen die Industrieländer nun ihre eigenen Dollarreserven anzapfen, um die Kaufkraft ihrer Kundschaft anzukurbeln und Absatzmärkte zu retten, damit die Arbeitslosigkeit nicht alle Dimensionen sprengt.

Immerhin stehen die Wachstumsraten in Polen und der Slowakei bereits auf Null, während sie in Tschechien um -2 % und in Ungarn um -5 % abgesunken sind. Von der BRD ganz zu schweigen.

Die Dollar-Deflation stürzte ein kreditabhängiges Wirtschaftssystem in die Depression. Doch auch diese ist durchaus profitabel. Denn die Wechselrate des Dollars steigt mit der Nachfrage; Preise für Immobilien und Rohstoffe befinden sich im freien Fall. Mitte Februar wurde Öl unter 40 Dollar pro Barrel gehandelt. Hypotheken, Autokauf  ... sie alle zappeln im Kreditnetz. Viele Fliegen werden mit einer Klappe geschlagen! Nur der Goldpreis ist unaufhaltsam im Anstieg - am 18. Februar betrug er wieder 978 Dollar pro Feinunze -, ein untrügliches Indiz für die Inflation der USA-Währung.

Doch die Depression hat eine Änderung der Währungspolitik notwendig gemacht, um den kompletten Stillstand der schuldenbelasteten amerikanischen Wirtschaft zu verhüten. In den Vereinigten Staaten läuft daher die Notenpresse auf Hochtouren, um Präsident Obamas enorme Defizitlöcher pro forma zu stopfen und Amerikas schrumpfende Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Die Verschuldung des Bank- und Finanzwesens hat solche Ausmaße erreicht, daß der Staat mit neuen Finanzspritzen oder gar vorübergehenden Pseudo-Nationalisierungen einspringen muß. Keynes steht Pate.

Präsident Obamas neuer Finanzminister Timothy Geithner ist ein langjähriger Wall-Street-Intimus. Noch unlängst war er Direktor der New York Federal Reserve Bank mit ständigem Sitz im Federal Open Market Committee (FOMC) der Zentralbank, das über Geldmengen und Prozentsätze entscheidet. Obamas Hauptberater für Wirtschaftsfragen, Lawrence Summers, früher bei der Weltbank, war seit jeher ein Propagandist der "Liberalisierung des Finanzwesens" - mit katastrophalen Folgen für die Weltwirtschaft, wie man heute sieht.

Der Kapitalismus ist angeschlagen, aber keineswegs bereits am Ende. Die Depression bietet ihm Gelegenheit, den sogenannten Sozialstaat einzudämmen, die Konkurrenten auf dem Weltmarkt - China, Japan, Europa - in die Schranken zu weisen und den weltgrößten Ölhändlern deren Mega-Verdienste zu beschneiden.

Der Kapitalismus gibt nicht so leicht auf wie einstmals die Sowjetunion oder die DDR, deren Bürger mit Konsumgütern und Versprechungen geködert wurden. Sollte ihm ein Zusammenbruch drohen, ist Krieg der Schurken letzter Ausweg. Dabei würde es sich nicht um solche "Scharmützel" wie Irak oder Afghanistan handeln, sondern um eine gigantische Materialschlacht, die den militärisch-industriellen Komplex noch mehr zum Zuge kommen läßt.

Dr. Vera Butler, Melbourne

Raute

Pfarrer, Literaten und Historiker ziehen in die Erinnerungsschlacht

Bestseller zum "Mauerfall"

Wer bestreitet, daß es die DDR seit fast 20 Jahren nicht mehr gibt?

Sie wurde völkerrechtswidrig stranguliert, wobei die Mächtigen in Washington, Moskau und Bonn den Strick drehten. Andere sorgten dafür, daß er stark genug wurde, um Millionen daran aufzuknüpfen. Viele zogen die Schlinge mit zu, manche jubelten gar - auffallend viele Pfarrer dabei. Es gab willige Helfer, zweifelndschweigsame Zuschauer und entsetzte Wissende.

20 Jahre später ist die DDR für Leichenfledderer zum lukrativen Geschäft geworden. An der Ausschlachtung ihrer Eingeweide beteiligen sich Dichter, Publizisten, Dokumentaristen, Politiker und Pfarrer.

Ich erlaube mir einen Blick auf jene "Werke", welche im März 2009 auf der Leipziger Buchmesse in den Mittelpunkt gerückt wurden. Deutlich wird dabei: Die "Erinnerungsschlacht" um das Geschichtsbild der DDR verschärft sich. Wenn die Medien Erich Loest, Monika Maron und Pfarrer Christian Führer ins Zentrum stellten, folgten sie zweifellos einer zentralen Regie.

Die drei Genannten erhielten den mit 60.000 Euro dotierten Nationalpreis des deutschen Buchhandels.

Sehen wir uns einige "Bestseller" an. Es wäre erstaunlich, wenn zwei Jahrzehnte nach dem "Mauerfall" dieses Thema nicht erneut vermarktet würde. So liegen gleich zwei neue Bücher vor, die beide "Die Mauer" heißen und sich nur in den Untertiteln voneinander abheben. Frederick Taylor, der schon 2005 mit seinem voluminösen Band über die Zerstörung Dresdens für Furore sorgte, bietet auf 576 Seiten einen geschichtlichen Abriß zu Vorgeschichte, Ablauf und Folgen des Ereignisses.

Edgar Wolfrum versuchte mit seinem "Mauerbau" die Geschichte der Teilung zu erfassen. Beide Autoren verzichten darauf, das Geschehen am 13. August 1963 moralisch zu verurteilen, sondern werten es als Historiker. Ihre Thesen lauten:

Der Bau habe den vitalen Interessen sowohl der Sowjetunion als auch der USA entsprochen. Beide Großmächte seien bestrebt gewesen, einen atomaren Schlagabtausch im Zusammenhang mit Berlin zu verhindern. Erst durch die Mauer habe die Entspannungspolitik an Boden gewinnen können.

Während die genannten Bücher zu keinen neuen Erkenntnissen führen, ist das bei Memoiren, Romanen und Dokumentationen differenzierter zu betrachten. Es fällt auf, daß Funk, Fernsehen und Printmedien die jüngsten Bücher von Erich Loest und Christian Führer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten. Loest wählt für seine Geschichtslektion die Form des Romans. Der Titel: "Löwenstadt". Hauptheld ist - wie schon in dem früheren Roman "Völkerschlachtdenkmal" - die Gestalt des Fredi Linden. Die Fabel schlägt den Bogen von der Völkerschlacht 1813 bis zur Gegenwart. Handelnde in den 80er Jahren sind bei Loest der damalige Leipziger SED-Bezirkssekretär, der Rektor der Universität, der Polizeichef. Der Autor läßt sogar den "ehemaligen Stasi-Zuträger Kaltow", jetzt Spitzenkandidat der Linkspartei, auftreten. Warum das Ganze? Der Rezensent des Blattes "Das Parlament" fand: "In 'Löwenstadt' spürt man hautnah, welche politisch restaurative Spannung sich im Osten aufbaut."

Loest drückt also die Furcht jener aus, die den Sieg der "friedlichen Revolution" von 1989 gefährdet sehen - aus welchen Gründen auch immer.

Pfarrer Christian Führer, der 27 Jahre an der Leipziger Nikolaikirche wirkte, schrieb 2009 über sein "Revolutionserlebnis": "Wir sind dabeigewesen. Die Revolution, die aus der Kirche kam."

Das erste ist eine Anleihe bei Goethe, der als Beobachter der Schlacht von Valmy die Wirkung und den Triumph der Französischen Revolution erahnte. Das zweite läßt kaum einen anderen Schluß als den zu: In den 80er Jahren haben evangelische Pfarrer die "Revolution" gegen die DDR organisiert. Mit anderen Worten: die Konterrevolution. Bedenkenswert ist: Seit Luthers Zeiten galt, daß der Christenmensch der Obrigkeit zu dienen habe, war sie doch gottgegeben. Doch im letzten Jahrzehnt der DDR änderte sich das Verhältnis vieler Geistlicher zum Staat. Wer war nicht alles dabei: Rainer Eppelmann als Auflöser der NVA, Joachim Gauck als moderner Großinquisitor, "Pfarrer Gnadenlos" alias Heinz Eggert als sächsischer Innenminister, Steffen Heitmann als Justizminister in Dresden, Markus Meckel als Außenminister unter de Maizière.

Was folgt daraus? Wohl doch zuerst: Kirchenleute organisierten das Fußvolk, das Kohl ständig als Jubelkulisse brauchte. Schließlich sollte die Beseitigung des Sozialismus das Werk "der Menschen" sein, nicht Ergebnis langfristiger imperialistischer Strategie.

Kirchen haben unter dem Deckmantel von Pazifismus und Umweltschutz denjenigen Raum gegeben, welche die DDR unterminierten. Bürgerliche Medien haben ihren Part hervorragend gespielt. Zwei Historiker im Solde des Kapitals sind immer zur Stelle, wenn es um die Verleumdung der DDR geht: Hubertus Knabe aus Gaucks Stall und Ilko-Sascha Kowalczuk von der Birthler-Behörde. Knabe beschäftigt sich mit "Honeckers Erben", während Kowalczuk die Ereignisse 1989 als "Endspiel" betrachtet. Die bereits erwähnte Rezension in "Das Parlament" erhebt Kowalczuks Buch in den Rang eines "Standardwerks über den Untergang der DDR". Wer diesem Urteil folgt, weiß damit, daß "Endspiel" ein "Klassiker der deutschen Historiographie" ist. Gauck und Birthler sprechen also das letzte Wort bei der "Adjustierung" des Geschichtsbildes der DDR.

Beachtenswert ist, daß Kowalczuk nicht die "Helden von Leipzig" als wichtigste Triebkraft der "Revolution" lobt, sondern den (weitgehend geheimen) Deal zwischen Gorbatschow und Kohl. Als Erfahrung könnte gelten: Je schneller und umfangreicher die Kredite nach Moskau flossen, um so mehr beschleunigte sich die Preisgabe der DDR. Die Demonstrationen und Kundgebungen zur "Wiedervereinigung" dienten als Kulisse des wirklichen Geschehens: der Ostexpansion des Kapitals. Das "Volk" erlag den Verlockungen des Konsums und den Versprechungen des Kanzlers. Es klatschte ihm sogar Beifall.

Inzwischen hat sich die Lage völlig verändert. Man denkt an Brecht: "Furchtbar die Enttäuschung, wenn die Menschen erkennen oder zu erkennen glauben, daß sie einer Illusion zum Opfer gefallen sind ...

Kein Reaktionär ist unerbittlicher als der gescheiterte Neuerer, kein Elefant ein grausamerer Feind der wilden Elefanten als der gezähmte Elefant."

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Das Geheimnis des Zwickauer illegalen Kämpfers Franz Masanetz

Der freundliche Mann am Fenster

Der 22. Februar 1891 war ein bitterkalter Tag. Da gebar die Mutter den kleinen Franz, wie damals in armen Arbeiterfamilien üblich, auf einem Strohsack.

Franz Masanetz, nicht gerade von kräftiger Statur, mußte nach der Schule als Kohlenjunge im Bergwerk unter Tage mithelfen, die Familie zu ernähren. Auch die Ausbeutung der Arbeiterkinder gehörte dazu. Später verdiente sich Franz sein spärlich Brot als Bergmann. Dann rief ihn der Kaiser in seine Armee, damit er für das Vaterland gegen die Russen zu Felde ziehen sollte. Beim ersten Fronteinsatz meldete er sich zum Spähtrupp und kehrte nicht mehr zurück. Erst lange nach dem Ende des 1. Weltkrieges soll er wieder aufgetaucht sein.

Etwa 1941 nahm ich Franz bewußt wahr. Er lebte wie wir auf dem Zwickauer Trillerberg. Seine Wohnung war ein Stück in das Gestein hineingebaut worden. So lag eines der Fenster nur gut einen Meter über dem Erdboden. Der Kriegsinvalide Franz Masanetz hatte dort seinen Platz. In Augenhöhe konnte er mit den Leuten reden. Das tat er täglich. Für die jungen Witwen der gefallenen Soldaten hatte er stets ein tröstendes Wort. Auch die einstigen Arbeitskollegen und die zusammengeschmolzene Schar der noch im Schacht Tätigen schwatzten mit Franz an seinem Ausguck. Gesprächen ging er nicht aus dem Wege. So ließ er sich vom NSDAP-Ortsgruppenleiter erklären, was der "Führer" nach einer weiteren Niederlage seiner Truppen zu tun gedenke. Auch in die Büchse der Sammler des Winterhilfswerks steckte er etwas Kleingeld. Die Damen der NS-Frauenschaft entledigten sich bei ihm ihres Unmuts darüber, daß von Jahr zu Jahr immer weniger gespendet werde.

Wir Kinder hatten stets einen Gruß für den allen gegenüber freundlichen Herrn Masanetz auf den Lippen. Er antwortete mit Glück auf oder einem lustigen Spruch.

Am Abend, wenn frontuntaugliche Hitlersoldaten einen großen Trupp sowjetischer Kriegsgefangener vorbeitrieben, zog Franz die Gardine zu. Nur wenige hundert Meter entfernt, im Saal des Gasthauses Park Eckersbach, waren sie unter unsäglichen Bedingungen die Nacht über eingepfercht. Am Tage mußten sie in der Autofabrik Horch, die für Hitlers Krieg produzierte, Zwangsarbeit leisten.

Wenn Franz nicht aus dem Fenster schaute, nahm er ein Luftbad. Seine Wege führten ihn auch zu den Basser Flugzeugwerken und zu Horch. Bei Schichtwechsel fand er stets ausreichend Gesprächspartner.

Dann kam der Mai 1945. Zunächst hatten die Amerikaner Zwickau besetzt, doch die Älteren erzählten, bald würden sie von den Russen abgelöst. Tatsächlich näherte sich eines Tages ein Panjewagen mit zwei zottigen Pferden davor und einem jungen Rotarmisten am Zügel. Das waren die "Russen". Wir Kinder schauten verwundert. Die Amerikaner hatten große Autos und schicke Uniformen.

Auf einmal erschien Herr Masanetz mit einer roten Fahne. Er begrüßte den jungen Soldaten in einer uns unbekannten Sprache, und beide umarmten sich. Dann gerieten sie kurz in Streit, und Herr Masanetz sagte etwas, das wie ein Befehl klang. Der Soldat winkte uns heran und gab jedem Kind widerwillig eines von den Broten, mit denen der Wagen beladen war. So verlief unsere erste Begegnung mit der Sowjetmacht.

Verstehen konnte ich das alles nicht. Herr Masanetz wirkte auf einmal verändert. Uns verabschiedete er von dem Pferdegespann mit den Worten: "Na, jetzt könnt Ihr wieder Guten Tag oder Glück auf sagen, vergeßt den Hitlergruß ganz schnell." Abends, als die Mutter das Brot mit den Großeltern teilte, sagte mein Opa, von dem ich nicht gewußt hatte, daß er Kommunist war, so nebenbei: "Franz ist mein Genosse. Er ist Offizier der Roten Armee."

Für die mit der Naziideologie getränkte Kinderseele war das zu viel. Bislang hatte man zu Hause nie über Politik, Krieg und die gefangenen Russen gesprochen. Die Familie trauerte allein um den vermißten Vater. Das unabdingbare Erfordernis, Kinder von illegaler antifaschistischer Widerstandsarbeit der Erwachsenen nichts wissen zu lassen, bestand nun nicht länger.

Herr Masanetz aber war ab sofort auch für uns einfach "Franz". Er blickte nur noch selten aus dem Fenster. Seinen Arbeitsplatz hatte er nun in der sowjetischen Kommandantur, die ihn als Dolmetscher benötigte. Doch freundlich wirkte er immer noch. Nur befragte er die Leute nicht mehr, sondern erklärte ihnen jetzt die neue Zeit.

Als ich 18 war, erkundigte er sich jedes Mal, wenn wir uns sahen, ob ich schon um Aufnahme in die Partei gebeten hätte. Als es dann soweit war und ich Kandidat wurde, wünschte er mir viel Glück. Ich solle die Tradition der Familie hochhalten, fügte er hinzu.

In den FDJ-Gruppen galten die älteren Genossen als die interessantesten Gesprächspartner. Wir ließen keinen aus, der im Zuchthaus gesessen hatte oder im KZ gewesen war. So fragte ich auch Franz, ob er nicht einmal zu uns kommen wolle. Doch dieser verwies auf sein Alter und die angegriffene Gesundheit, die das angeblich nicht mehr zuließen.

Als Max Nauendorf, ein früherer KZ-Häftling, 1945 Mitbegründer der Volkspolizei und schließlich Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit, in unserer Gruppe über Sabotageversuche aus Richtung BRD sprach, fragte ich ihn frei heraus, ob er sich erklären könne, warum Franz abgesagt habe. Max erwiderte nur, Genosse Masanetz dürfe als Offizier der Sowjetarmee nicht öffentlich auftreten. Ich sollte meinen Freunden aber von seiner Biographie berichten. Franz sei bereits beim ersten Fronteinsatz von den Kaiserlichen zu den Russen übergelaufen und habe sich wie Tausende deutsche Soldaten mit ihnen in den Schützengräben verbrüdert. In Budjonnys 1. Roter Reiterarmee habe er am Kampf gegen die Konterrevolution teilgenommen. Mehrere Verwundungen zeugten davon.

Um sich für den Schutz der jungen Sowjetunion einzusetzen, ließ sich Franz als Geheimdienstmitarbeiter ausbilden, damit er seine Genossen künftig aus Deutschland informieren konnte. Nach dem Machtantritt Hitlers nahm er seine Tätigkeit als Funker auf. Er übermittelte Berichte zu militärischen Erkenntnissen und zur Stimmungslage unter der deutschen Bevölkerung. Dafür wurde er mit hohen Auszeichnungen geehrt.

Der deutsche Kommunist und sowjetische Kundschafter gehörte nach 1945 zu den Aktivisten der ersten Stunde, die den Grundstein für ein neues antifaschistisches Deutschland legten. Ich sah in ihm ein großes Vorbild.

Franz Masanetz starb am 21. Januar 1967. Die Partei ließ ihn an der Seite seiner Mitkämpfer in einem Ehrengrab auf dem Zwickauer Hauptfriedhof bestatten.

Zu den ersten Amtshandlungen der 1990 in die Hände des Klassenfeindes gefallenen Stadtverwaltung gehörte es, den Stein seiner Inschrift zu entledigen. Die Gedenkstätte selbst scheint dem Verfall preisgegeben zu sein. Weder die Abgeordneten der Linkspartei noch der SPD sehen sich in der Pflicht, das Andenken der Kämpfer gegen den Faschismus zu bewahren. Angesichts der Tatsache, daß Nazis wieder hetzend und prügelnd durch die Lande ziehen, wäre das doch so dringend notwendig.

Lothar Hunger, Brand-Erbisdorf

Raute

Prof. Dr. Erich Buchholz skizziert die Strafrechtsentwicklung in der DDR

Ein Mitgestalter im Zeugenstand

Unlängst erschien ein wichtiges neues Buch aus der Feder von Prof. Dr. Erich Buchholz. Sein Titel: "Strafrecht im Osten". Niemand wäre wohl besser geeignet gewesen, sich als Autor zur Verfügung zu stellen, als dieser Jurist, der den Entwicklungsweg des DDR-Strafrechts von dessen Anfängen bis zur Schlußphase selbst miterlebt und -gestaltet hat.

Erich Buchholz studierte zwischen 1948 und 1952 an der Berliner Humboldt-Universität, erlebte in dieser Zeit die Staatsgründung und den Beginn einer neuen demokratischen Rechtsetzung. Der Alma mater blieb er bis 1990 erhalten, zunächst als wissenschaftlicher Assistent und nach erfolgter Promotion (1957) als Dozent. Zwei Jahre nach seiner Habilitation (1963) wurde er Professor mit Lehrauftrag und später als Ordinarius Leiter des Instituts für Strafrecht. Erich Buchholz gilt als Nestor der Strafrechtswissenschaftler der DDR.

Der von ihm vorgelegte Abriß wurde mit Spannung erwartet. Er kommt zur rechten Zeit auf den Markt. Die Maschinerie der Geschichtsfälscher und -klitterer läuft auf Hochtouren. Im "Jahr der Jubiläen" ist mit allem zu rechnen, was der Diffamierung und Diskreditierung der DDR dienlich ist. Ihr Strafrecht bleibt nicht ausgespart. Die DDR-Hasser wollen den Eindruck erwecken, bei den Normen des sozialistischen Rechts habe es sich nicht um Gesetze gehandelt, die auf demokratische Weise zustande gekommen seien. Sie behaupten, in der Rechtsprechung habe politische Willkür vorgeherrscht.

Solchen Verunglimpfungen tritt Buchholz entgegen. Sein Werk ist sachlich, solide, exakt und quellengestützt. Ein zusätzlicher Dokumentenband ist inzwischen ebenfalls erschienen. Mancher, der sich heute ein Urteil über das DDR-Strafrecht anmaßt, hat die Gesetzestexte nie im Original gesehen.

Erich Buchholz, der nach 1990 bis vor kurzem auch als Rechtsanwalt in Berlin tätig war, analysiert zunächst die Strafrechtssituation zum Zeitpunkt der Zerschlagung des Hitlerfaschismus, wobei er sich mit der Notwendigkeit der Aufhebung von Nazigesetzen und Urteilen faschistischer Sondergerichtsbarkeit auseinandersetzt. Ein wichtiges Thema ist neben der Entfernung von NS-Juristen die Volksrichterausbildung in Ostdeutschland. Verwiesen wird auf die Maßnahmen der Alliierten, um Nazi- und Kriegsverbrechen zu ahnden.

Buchholz geht auf die separate Währungsreform, die unterschiedliche Rechtslage in Ost- und Westberlin und die Spaltung der Justiz dieser Stadt ein. Ausgewählte Strafprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR machen deutlich, wie notwendig es war, kriminellen Machenschaften entgegenzutreten, die auf die Existenz der DDR, deren Wirtschaft und Institutionen abzielten. Die Verfolgung von Nazigewaltverbrechen in beiden deutschen Staaten ist Gegenstand einer Analyse. Dabei klammert Buchholz die Waldheim-Prozesse nicht aus. Er zeigt, wie kompliziert die Jahre zwischen 1945 und 1952 auf justizpolitischem Gebiet waren und welche wichtigen Weichenstellungen in dieser Zeit erfolgten (Kapitel I und II).

Die Kapitel III und IV beinhalten die Strafrechtsentwicklung in der frühen DDR bis zum Inkrafttreten eines neuen StGB (1968). Der Autor schildert den Weg dorthin. Zunächst waren Kompromißlösungen wie das Strafrechtsergänzungsgesetz notwendig. Die Bedeutung der gesellschaftlichen Gerichte wird ebenso hervorgehoben wie der Staatsratserlaß zur Rechtspflege in der DDR. Er trug wesentlich zur Verbesserung der Tätigkeit aller auf diesem Gebiet wirkenden Organe bei.

Das StGB von 1968 war eine völlige Neukodifizierung. Es ging darum, das Strafrecht von bürgerlichen Überlagerungen und unverständlicher Juristensprache alten Typs zu befreien. Zugleich entsprachen die erfaßten Tatbestände der Entwicklung in der DDR. Es entstand ein modernes Sanktionssystem, die Schuldfrage wurde neu geregelt. Erich Buchholz weist zugleich auf Zwiespältigkeiten im Charakter des neuen Gesetzbuches hin, das noch kein "rein sozialistisches" war, da sich die DDR mit dem gegen sie gerichteten Kalten Krieg konfrontiert sah, so daß der Schutz der Errungenschaften der neuen Gesellschaft im Vordergrund stand.

In den Kapiteln V und VI widmet sich der Autor Strafrechtsveränderungen zwischen 1969 und 1989. Er weist nach, daß das Strafrecht in der DDR nie als etwas Starres betrachtet wurde. Sowohl die Kodifizierungen als auch die Rechtsprechung mußten der fortschreitenden gesellschaftlichen Entwicklung angepaßt werden. Die fünf Strafrechtsänderungsgesetze bis 1988 werden erörtert. In einem kleinen Exkurs geht Erich Buchholz auf das bundesdeutsche Strafrecht ein. Die Kriminalitätsentwicklung in beiden deutschen Staaten spielt dabei keine unwesentliche Rolle. Dazu werden Zahlen, Daten und Fakten präsentiert.

Wer das Buchholz-Werk gelesen hat, wird die Strafrechtsentwicklung in der DDR besser verstehen und erkennen können, in welchem Spannungsfeld der Systeme sich der sozialistische deutsche Staat bewegen mußte. Deutlich wird, in welchem Maße vor gesetzlichen Veränderungen freimütige und umfassende Erörterungen der neuen Entwürfe - keineswegs nur in Fachkreisen - stattfanden. Die Bevölkerung wurde unmittelbar einbezogen.

Es steht außer Zweifel, daß Erich Buchholz eine Arbeit vorgelegt hat, wie sie durch einen Strafrechtler der alten BRD wohl kaum hätte bewältigt werden können. Nur ein Zeitzeuge und Mitgestalter, der von den moralischen Maximen der DDR-Rechtsordnung ausgeht, dürfte dazu in der Lage sein.

Erich Buchholz legt Wert darauf, daß es sein Buch ist und mithin auch sein Blickwinkel. Dennoch besitzt die Arbeit durchaus Verallgemeinerungswert. Sie ist keineswegs nur für Juristen geschrieben, sondern für jeden zeitgeschichtlich Interessierten, der mit Blick auf die Strafrechtsentwicklung in der DDR nach Fairneß strebt. Vor allem jungen Menschen, die diese Entwicklungsperiode deutscher Geschichte nicht miterlebt haben, sei das Buch ans Herz gelegt.

RA Ralph Dobrawa

Erich Buchholz: Strafrecht im Osten. Ein Abriß über die Geschichte des Strafrechts der DDR. Kai-Homilius-Verlag 2008, Edition Zeitgeschichte, Band 37, 662 Seiten, 58 €

Raute

Was sind die Kriterien einer revolutionären Situation?

Das entscheidende Kettenglied

Nach Niederlagen steht die Arbeiterbewegung stets vor großen theoretischen Herausforderungen, deren Bewältigung unabdingbar ist für ihren Wiederaufstieg und die Vereinigung aller klassenbewußten Kräfte. Das war so nach 1849 und erst recht nach dem schmählichen Zusammenbruch der II. Internationale zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Es ist heute nicht anders.

Alles gerät auf den Prüfstand. Im Kern geht es stets um exaktes Erfassen des komplizierten Wechselverhältnisses von Ökonomie, Politik und Ideologie unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen. Denn nur auf dieser Basis können Einheit wachsen und eine korrekte Strategie und Taktik erarbeitet werden. Damals haben in erster Linie Marx und Lenin die brennenden Fragen schlüssig beantwortet; unsere Theorie trägt deshalb zu Recht ihre Namen. In Ermangelung ebenbürtiger Genies benötigen wir heute ein fruchtbares Zusammenwirken marxistischer Politökonomen, Wirtschaftshistoriker, Praktiker auf dem Felde der Politik und nicht zuletzt Philosophen, weil es in hohem Maße um Dialektik geht. Jeder von uns, mag er auf seinen Spezialgebieten auch über sehr gediegenes Wissen verfügen, sollte sich der Gefahr bewußt sein, die lauert, wenn er benachbarte Strecken durchmißt, auf denen er weniger firm ist, so daß er vielleicht auf dünnes Eis gerät. Ohne kameradschaftlichen Streit und gelegentliche polemische Zuspitzung wird es nicht abgehen. Davor soll man sich im Interesse von Wahrheit und Klarheit nicht fürchten. Im Leninschen Sinne gilt es, jenes entscheidende Kettenglied zu ergreifen, das den Besitz der ganzen Kette verbürgt.

Genosse Herbert Meißner hat in zwei Artikeln im "RotFuchs" (Juli 2008 und März 2009) zu Grundfragen Stellung bezogen. Seine Kernthesen lauten: "Es dürfte ... in den hoch entwickelten Ländern auf längere Sicht vermutlich keine revolutionäre Situation entstehen. Die Eigentumsverhältnisse hemmen nicht die Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Produktion, es gibt infolgedessen keine ständige Verschärfung des Widerspruchs zwischen PK und PV." Und schließlich: "Vor allem fehlt es an der Potenz des subjektiven Faktors, der entscheidenden gesellschaftsverändernden Kraft."

Es ist zu würdigen, daß Herbert Meißner so den Blickpunkt auf die sozialökonomischen Ursachen der Niederlage des Sozialismus in Europa richtet, denn die bisherige Debatte war eine vorwiegend politische. Unleugbar gab es jedoch die entscheidenden Defizite auf dem Felde der Ökonomie. Der Sozialismus vermochte es eindrucksvoll über Jahrzehnte, solange es um Elektrifizierung, um Kohle, Stahl und Chemie ging, dem Imperialismus Paroli zu bieten und stetig bedeutende Zuwächse der Arbeitsproduktivität zu erzielen. In der dann folgenden "langen Welle", als die Mikroelektronik zum bestimmenden Faktor der Produktivkraftentwicklung wurde, haben wir - unter den Bedingungen des Wettrüstens und der fortdauernden Dominanz des Imperialismus auf dem Weltmarkt - die Schlacht verloren. Es gibt also Argumente dafür, den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im Kapitalismus erneut zu durchleuchten.

Wie aber verhält es sich mit der revolutionären Situation? Hier ist Genosse Meißner bezüglich der Faktoren, die sie auslösen, theoretisch im Irrtum. Lenin hat 1915 (LW, 21/206 f.), nicht zufällig in schärfster Auseinandersetzung mit dem Opportunismus, diese Kriterien definiert. Mit Absicht stellte er dabei nicht den subjektiven Faktor in den Vordergrund. Die revolutionäre Situation erwächst aus folgenden Elementen:

"1. Für die herrschenden Klassen ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten ... . Damit es zur Revolution kommt, genügt es in der Regel nicht, daß die 'unteren Schichten' in der alten Weise 'nicht leben wollen', es ist noch erforderlich, daß die 'oberen Schichten' in der alten Weise 'nicht leben können'." In der gegenwärtigen verheerenden Weltwirtschaftskrise, einer Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus, ist das offenkundig der Fall.

Erst danach folgt bei Lenin: "2. Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus." Das ist, bei nüchterner Betrachtung, bisher in Deutschland nicht der Fall. Hinzu kommt, daß hier vorläufig offenkundig "die Stimmung besser ist als die Lage". Die Propaganda einer buntscheckigen Kohorte von "Ärzten am Krankenbett des Kapitalismus", von den erzkonservativen bis zu den sozialreformistischen Quacksalbern, überbietet sich im Wettlauf um das wirkungsvollste Rettungskonzept keynesianischen Geblüts. Allesamt verbreiten sie die Illusion, der Regen werde bald von unten nach oben strömen. Doch wie wird die Stimmung sein, wenn die Konsequenzen der Krise unübersehbar zutage treten? Die Leute werden schließlich realisieren, daß nur sie, ihre Kinder und Enkel die Kosten der milliardenschweren "Schutzschirme" und "Stützungen" zu tragen haben. Wie werden sie reagieren, wenn sie - bildlich gesprochen - begreifen, daß sie einen Bankautomaten bedienen, in den sie erst zweihundert Euro einzahlen müssen, um anschließend maximal einhundertfünfzig wieder abheben zu dürfen?

Weiter bei Lenin: "3. Infolge der erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die sich in der 'friedlichen Epoche' ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten dagegen sowohl durch die ganze Krisensituation als auch durch die 'oberen Schichten' selbst zu selbständigem historischem Handeln gedrängt werden." Auch letzteres ist im Gange.

Das sind die objektiven Kriterien der revolutionären Situation. Sie sind "unabhängig ... vom Willen nicht nur einzelner Gruppen und Parteien, sondern auch einzelner Klassen". Das ist wichtig, weil nicht jede revolutionäre Situation die Lokomotiven der Geschichte in Gang setzt. Dazu bedarf es nun tatsächlich der Fähigkeit der revolutionären Klasse, durch Massenaktionen das bisherige Regime zu Fall zu bringen. Mehr noch: Es gibt auch reaktionäre Ausgänge solcher Krisen. Gerade hierzulande darf niemals übersehen werden, daß die deutsche Geschichte mehr konterrevolutionäre "Lösungen" von Krisen aufzuweisen hat als Revolutionen von Dauer. Es wäre zudem voreilig, davon auszugehen, daß die diversen "Rettungsprogramme" völlig wirkungslos bleiben müßten. Marx und Lenin wußten, daß es für den Kapitalismus keine absolut ausweglosen Lagen aus rein ökonomischen Gründen gibt. In einigen Monaten werden wir auch diesbezüglich mehr wissen.

Um noch einmal auf den Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen zurückzukommen: Es ist möglich, daß ich irre, aber diese Frage erfordert meines Erachtens vor allem eine allseitige Betrachtung des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate im Kapitalismus. Was deckt da die jetzige Krise auf; was vermittelt sie bezüglich der Profitrate, die Marx (MEW, 25/269) den "Stachel der kapitalistischen Produktion und Bedingung wie Treiber der Akkumulation" genannt hat?

An einem solchen ergebnisoffenen Diskurs würde ich mich gern beteiligen und das Meinige einbringen.

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Wie "Der Spiegel" mit dem "Manifest" des Hermann von Berg Diversion betrieb

Wer zog damals die Strippen?

Im 20. Jahr nach der Annexion der DDR durch die BRD hat die Krise der bürgerlichen Gesellschaft bisher unbekannte Dimensionen erreicht. Mit der zunehmenden politischen Instabilität erscheint Medienmachern der Antikommunismus erneut als das probate Mittel zur Festigung der Macht der herrschenden Klasse. Welche Inhalte dabei im Mittelpunkt stehen, zeigte "Phoenix" vor einiger Zeit mit einem Bericht über die "Spiegel-Affäre Ost".

Anfang 1978 provozierte "Der Spiegel" die Schließung seines Büros in der Hauptstadt der DDR, indem er ein "Manifest des Bundes Demokratischer Kommunisten Deutschlands" publizierte. Dieses Dokument hatte sein Redakteur Ulrich Schwarz von Professor Hermann von Berg (Humboldt-Universität) erhalten.

Der Vorgang, von bürgerlichen Blättern als "Spiegel-Affäre Ost" bezeichnet, sorgte für Aufregung im Bundestag, die sich jedoch bald legte, da außer den "Gründern" niemand einen solchen "Bund" kannte, der von einer Opposition gegen die SED zeugte.

Mit der Bezeichnung ihrer Organisation als "Bund Demokratischer Kommunisten ..." erhoben seine Initiatoren den Anspruch, in der Tradition des "Manifests der Kommunistischen Partei" zu stehen. Aber wenn der "Bund" 1977/78 die Losung der deutschen Kommunisten von 1848 "Ganz Deutschland wird zu einer einigen, unteilbaren Republik erklärt" verkündete, dann bedeutete das unter den Bedingungen des restaurierten, militarisierten und in die NATO integrierten westdeutschen Imperialismus, die DDR der deutschen Bourgeoisie auszuliefern. Die Autoren jenes "Manifests" ergriffen für den Eurokommunismus Partei - das "trojanische Pferd" in der kommunistischen Bewegung. Sie wandten sich gegen den Sozialismus und gegen die Führung der sozialistischen Gesellschaften durch die kommunistischen und Arbeiterparteien. Die "demokratischen Kommunisten" beriefen sich auf Marx und Engels, bedienten sich aber eines boshaften und verleumderischen Antimarxismus. Ihr "Manifest" war ein einziger antikommunistischer Haßgesang.

So hieß es zur Gefährdung des Friedens: "Die ungleichmäßige Entwicklung des Staatskapitalismus hat dazu geführt, daß heute zwei imperialistische Supermächte, die USA und die UdSSR, existieren ... Die Kriegsgefahr geht von beiden imperialistischen Zentren aus." Doch der Leser erfuhr bald Genaueres darüber, von wem die Gefahr des Krieges wirklich drohte; nämlich von Moskau: "Die sowjetische Aufrüstung zu Lande, zu Wasser und in der Luft, das Schüren von Kriegsherden im afrikanisch-arabischen Raum durch Lieferung von Waffen, Personal und Ausbildern, die zunehmende Militarisierung des gesamten öffentlichen Lebens im Ostblock gefährden den Weltfrieden  ..." Das Ende des Kolonialsystems, so die Verfasser des "Manifests", müsse auch gegenüber dem "roten Imperialismus" durchgesetzt werden. Ihre Ergänzung fand die Auflistung vermeintlicher Sünden der Sowjetunion in der Unwahrheit, sie setze "kubanische Hiwis in Entwicklungsländern ein".

Die Stellungnahme zu Krieg und Frieden offenbart bereits, daß dieser "Bund" die sozialistischen Länder nicht als sozialistisch betrachtete. Er bevorzugte Begriffe wie "bürokratischer Staatskapitalismus", "roter Imperialismus", "asiatische Produktionsweise" und "Feudalismus". Die Entspannung zwischen der NATO und dem Warschauer Vertrag war für die "demokratischen Kommunisten" ein Vehikel zur Expansion der "Demokratie" in Deutschland und Europa. Von der Entspannungspolitik sagte man: "Nur diese schafft die Möglichkeit einer friedlichen grundsätzlichen Reformation im Innern des sowjetischen Machtbereiches, einen Übergang von der asiatischen Produktionsweise des bürokratischen Staatskapitalismus zur sozialistischen Volkswirtschaft und Gesellschaft."

Die DDR war für die Initiatoren dieses "Bundes" lediglich der "Abklatsch einer 16. Unionsrepublik der UdSSR" und ihre Führung bestand aus "Quislingen".

Die Verfasser des "Manifests" warfen der Sowjetunion nicht nur vor, dem Faschismus den Weg geebnet zu haben, sondern auch, daß sie eine dem Faschismus gleiche Gesellschaft geschaffen habe. Dazu nutzten sie Begriffe der bürgerlichen Totalitarismus-Doktrin. Sie konstatierten: "Stalinismus und Faschismus sind, unter staatsmonopolistischen Verhältnissen und geprägt vom Kampf um die Ausweitung der Macht, Zwillinge. Wir erinnern an das Wort des KZ-Häftlings Kurt Schumacher von den Stalinisten als rotlackierten Nazis. Stalin hat Hitler zur Macht verholfen, indem er die KPD auf die ,Sozialfaschisten' der SPD hetzte. Damit hat er sich Hitlers Aufstieg und dessen Angriff auf die Sowjetunion selbst mitorganisiert. Er hat die SED 1947/48 wiederum auf den ,Sozialdemokratismus' gehetzt und auch damit die Kalten Krieger, die Neonazis und Revanchisten in der BRD einflußreich gemacht."

Die Väter des "Bundes" erklärten, daß sie nicht an "Gottvater Marx", "Jesus Engels" oder an den "Heiligen Geist Lenin" glaubten. Ihre neue Partei sollte auf einer pluralistischen Grundlage entstehen, die Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR zugunsten einer "pluralistischen Demokratie" beseitigt werden. Sie behaupteten gar, der schöpferische Marx hätte heute längst die Thesen vom Klassenkampf und von der Diktatur des Proletariats aus seiner Lehre gestrichen.

Anstatt den Sozialismus in den Staaten des Warschauer Vertrages in das Weltgeschehen eingebettet zu analysieren, betrachteten die "demokratischen Kommunisten" diesen weder in seinen komplexen Entstehungsbedingungen noch als in seiner Entwicklung vom Imperialismus beeinträchtigt. Sie enthielten sich jeglicher Kritik an diesem, an der NATO, den USA, der BRD, der kapitalistischen Gesellschaftsformation oder deren Einwirkung auf den Sozialismus.

In der "Phoenix"-Sendung kam als ein Mitstreiter des Hermann von Berg der Leipziger Historiker Professor Niemann mehrfach zu Wort. Heinz Niemann war jahrelang Direktor der Sektion Marxismus-Leninismus an der Karl-Marx-Universität. Im "Manifest" des "Bundes" wurde jedoch die Abschaffung der "Staatsreligion Marxismus-Leninismus" sowie der "ML-Päpste" an den Hochschulen und Universitäten der DDR verlangt!

Der Rat der "Zentralen Koordinierungsgruppe" jenes dubiosen Bundes wandte sich mit dem Anliegen an seine Mitglieder, die Regeln der Konspiration zu beachten und zu verfeinern. Ihre Aufgabe bestand schließlich darin, im Untergrund gegen die DDR zu agieren: "Die Partei- und Staatsarbeit, das Partei- und FDJ-Studienjahr, die Zivilverteidigung und die Kampfgruppen - alle bieten die Möglichkeit, sich über die Thesen der 'Revisionisten' zu verständigen und sie - auch unter dem Vorwand der Bekämpfung - zu verbreiten."

Der "Phoenix"-Streifen zeigte, daß 30 Jahre später keiner der damaligen Hauptakteure etwas Wesentliches hinzugelernt hat. "Spiegel"-Korrespondent Ulrich Schwarz rechnete die Publikation jenes Pseudomanifests zu seinen Verdiensten. Hermann von Berg - bis 1986 Professor in der DDR - stellte sich als Opfer der "SED-Diktatur" dar. Kommentare dazu, daß die BRD inzwischen eine ständige Bedrohung für den Weltfrieden ist und der Krieg wieder offiziell als Mittel deutscher Regierungspolitik dient, fehlten völlig.

Dr. Ehrenfried Pößneck

Raute

Bewegende Mahnung eines kommunistischen Veteranen

Bringeschuld

Zum Zeitpunkt der Leningrader Blockade 1942 bis 1944 war ich gut verwahrt in Omsk - hatte also mit diesen barbarischen, tragischen Ereignissen überhaupt nichts zu tun. Dennoch blieb ein unüberwindliches Gefühl der Scham für meine fernen Landsleute, so etwas wie eine Bringeschuld, immer an diese grausamen 900 Tage zu erinnern. In meinem Buch "Wider das Vergessen" bot sich Gelegenheit, die Ereignisse zu dokumentieren. Der Erinnerungsbericht ist aus Gesprächen mit Überlebenden der Leningrader Blockade entstanden. Er spricht für sich, für diese Menschen, denn das Grauen verfolgt sie bis heute. Tatjana Milowanowa sagte zu mir: "Weißt Du, Walter, ich habe in den vergangenen 50 Jahren noch nie mit jemandem über diese Zeit gesprochen." So tief kann das sitzen.

Die Demut, die Ehrfurcht, die Scham, die Reue, zu der Deutschland, zu der dieses Volk verpflichtet wäre, erbringen diejenigen, die mit den Verbrechen von einst nicht das geringste zu tun haben, ja, die zum Teil selbst Opfer sind. Es gibt ein anderes Deutschland, das die Toten, den Widerstand ehrt - im Namen Deutschlands. Mehr noch: Das offizielle Deutschland kennt diese Reue, diese Demut nicht. Es verketzert im nachhinein Tausende Widerstandskämpfer, allen voran Kommunisten. Die spanischen Interbrigadisten, die Illegalen, die Rote Kapelle. Hier in Potsdam wurde zwischen 1978 und 1982 ein völlig neuer Stadtteil aus dem Boden gestampft: die Waldstadt II. Die Straßen wurden durchweg nach gestandenen Antifaschisten, ehemaligen KZ-Häftlingen und Spanienkämpfern benannt. Mit den neuen Herrschaften wurden pauschal alle diese Namen getilgt. Sie haben es gewagt, den Namen Georgi Dimitroffs auszulöschen, eines Mannes, an dessen Lippen einmal die Welt hing, der vom Tode bedroht seinen Henkern die Stirn bot; keine Straßen, keine Plätze, kein Dimitroff-Museum in Leipzig.

In der "abendländischen Kultur" kennen wir einen besonderen Umgang mit Sünden, mit Verbrechen. Da ist es möglich, vor Gott begangene Taten ungeschehen zu machen; durch Beichte, durch Gebet, durch Absolution, im Mittelalter sogar durch Geld (den Ablaß). Im Weltlichen will das gut überlegt sein, denn wo sich die "Sünden" - in unserem Fall die Naziverbrechen - zu hoch türmten, da hat der Heilige Stuhl nachgeholfen und für Tausende die Flucht ins sichere Franco-Spanien oder nach Südamerika ermöglicht.

Gerade im "Abendland" hat es in den letzten Jahren so manche prominente Stimme gegeben, die verlangte, endlich einen Schlußstrich unter die braune Vergangenheit zu ziehen. Das fällt allein deswegen schwer, weil vor der Vergebung (auch bei Gläubigen) das Schuldbekenntnis steht. Dieses blieb durchweg aus. Das begann im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß, wo sich alle Angeklagten lautstark für "nicht schuldig" erklärten. Auch die zweite Reihe dieser "Größen" hat sich nie bekannt. Als Muster könnte ein unlängst uraufgeführter österreichischer Dokumentarfilm über den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Paul Maria Hafner ("Hafners Paradies") gelten, der seit Kriegsende unbehelligt in Spanien lebt, dabei unverfroren kundtut, daß er ein militanter Anhänger Hitlers geblieben ist. Bei so wenig Reue fällt es schwer, unter diese kollektive Unschuld nun auch noch den "Schlußstrich" zu ziehen. Leicht getarnt kommen diese braunen Ressentiments auch auf anderen Wegen in die deutsche Wirklichkeit zurück - als "Menschenrechte". Als "Menschenrecht auf Heimat", als "Menschenrecht auf Besitzerwerb", als "Menschenrecht auf freie Wahl des Wohnsitzes", wie wir das seit Jahren von den Heimatverbänden hören. Neuerdings etabliert sich so eine Art "Menschenrecht" auf Raketenstationierung.

So ganz als Erben des braunen Terrors möchten unsere "Eliten" natürlich nicht erscheinen. So wurde (nach langem Zögern und in Alibifunktion) "der deutsche Widerstand" kreiert. Er besteht aus den "Männern des 20. Juli 1944", denen zunächst vorgehalten wurde, den "Eid auf den Führer" gebrochen zu haben. Sie hatten sich besonnen, als der Krieg eindeutig verloren war, als deutsche Antifaschisten schon einen hohen Blutzoll erbracht hatten. All das ist nichts Neues - Straßennamen wird es nicht mehr ändern; wir sollten es aber niemals vergessen.

Etwas schwieriger wird es bei dem mit viel Öffentlichkeit errichteten Monumentalbau - den in den letzten Jahren installierten Zementblöcken zum Gedenken an die Opfer des Holocaust im Zentrum Berlins. Es geht um ein fürchterliches Verbrechen an den österreichischen, polnischen, ungarischen, russischen und deutschen Juden - an den Juden auch vieler anderer Länder Europas. Dennoch verschieben diese Blöcke die Relationen im deutschen Faschismus. Wenn es denn ehrlich gemeint war, bliebe die würdigste Ehrung der ermordeten europäischen Juden immer noch ein nazifreies Deutschland. Wir wissen: Eben das wurde vermieden.

Spätestens die Stoßrichtungen der faschistischen Wehrmacht im II. Weltkrieg - ins Donezbecken und nach Baku - zeigen uns den ungeschminkten deutschen Imperialismus, lassen keinen Zweifel daran aufkommen, worum es diesen "Eliten" eigentlich ging und bis heute geht. Die Ausrottung der Juden war Bestandteil der unvorstellbaren Verbrechen des deutschen Faschismus. Neben 5 Millionen Juden sind 6 Millionen Polen vernichtet worden, in derselben Größenordnung verhungerten sowjetische Kriegsgefangene. Jeder vierte Bewohner Belorußlands wurde ermordet, der Blutzoll aller Völker der Sowjetunion übersteigt bei weitem 20 Millionen Menschen. Es ist an uns, über den Holocaust hinaus dieses gigantische Verbrechensregister nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Weder Auschwitz noch Oradour-sur-Glane noch Lidice verjähren jemals. Da gibt es nichts zu verzeihen, keinen Schlußstrich zu ziehen. Eine kollektive Scham muß den Nachgeborenen unbedingt bewahrt bleiben.

Für mein neues Buch "Wider das Vergessen" habe ich mich entschlossen, die einzigartigen Briefe meiner verstorbenen Frau Irina Andrejewna aus dem Lager am Jenissei an ihre Mutter in einem Lager bei Riga aus den Jahren 1949 bis 1951 und erhalten gebliebene eigene Briefe vom Jenissei an meine Mutter Charlotte Baumgarten in Potsdam aus den Jahren 1953 bis 1954 der Öffentlichkeit vorzustellen. Hier erfährt man mehr über das Lagerleben als in allen akademischen Abhandlungen zusammengenommen; ein Kapitel Menschheitsgeschichte, das nicht vergessen werden sollte.

Neuerdings erzählen uns ja die Zimmermädchen von Magda Goebbels, wie es damals war, und so etwas nennt sich dann "Aufarbeitung".

Im Zenit meines Lebens waren mir zwei späte Reisen nach Sibirien vergönnt. 2006 flog ich mit einem Team liebenswerter Filmstudenten an den Vater der Flüsse, den Jenissej, nach Jermakowo und lgarka über dem Polarkreis. Es handelte sich um Orte meiner Vergangenheit. 2007 ging ein alter Wunsch in Erfüllung: Ich begab mich an den legendären, als "heilig" besungenen Baikalsee. Beide Reisen gehören zum Unvergeßlichen und haben deshalb in diesem Band ihren Platz gefunden.

Walter Ruge

Aus einer Rede am 24. September 2008 - dem Tag der Präsentation seines Buches "Wider das Vergessen" im Potsdamer Kulturhaus "Altes Rathaus"

Raute

Max Zimmering über das, was er am 17. Juni 1953 erlebte

Volksaufstand oder Gangsterpogrom?

Nur ungern berichte ich davon, aber darf man die Wahrheit verschweigen, wo viele Menschen der Lüge zum Opfer fielen?

Laßt mich einfach erzählen, was ich am 17. Juni erlebte. Darüber urteilen mögt ihr selbst. Ich jedenfalls habe mich geschämt - nicht etwa, weil ich mit einem zerschlagenen Gesicht von Berlin heimgefahren bin, geschämt habe ich mich für jene, die - irregeleitet - sich an den Ausschreitungen beteiligten. Ich war von meiner Organisation, dem Deutschen Schriftstellerverband, zu einer Besprechung nach Berlin gerufen worden. Die Eisenbahnfahrkarte für den Frühzug hatte ich zurückgegeben, da Freunde, die mit ihrem Wagen ebenfalls nach Berlin mußten, mir einen Platz anboten. Gegen 10 Uhr früh passierten wir die Kontrollstelle an der Stadtgrenze. Wir sahen keine Ursache, uns auf besondere Ereignisse gefaßt zu machen. Während der Fahrt unterhielten wir uns noch eifrig über die letzten Maßnahmen unserer Regierung - gerade hatten wir in der Morgenzeitung von der Erfüllung der Arbeiterforderungen in bezug auf die ungerechtfertigten bürokratischen Erhöhungen der Normen gelesen, und wir kamen zum Schluß, daß es wohl kein Beispiel aus der Geschichte kapitalistischer Regierungen gäbe, die so offen von eigenen fehlerhaften Maßnahmen gesprochen und so mutig die Konsequenzen daraus gezogen hatten, wie es unsere Regierung getan hat.

Und dann, irgendwo in der Gegend von Grünau, begegneten wir einer Gruppe Menschen, etwa vierzig Männern und Frauen, die in einem geschlossenen Zug die Straße entlangmarschierten. Es schien uns seltsam, daß keine Fahnen und Losungen mitgetragen wurden. Auch gesungen wurde nicht. Weder Polizei noch sonst jemand kümmerte sich um die Vorüberziehenden. Ich fragte meine Nachbarin, ob eine Kundgebung zugunsten der vom Tode bedrohten Rosenbergs angekündigt sei. Vielleicht gingen diese Menschen zum Stellplatz. Auf dem Wege ins Stadtinnere begegneten wir noch mehreren ähnlichen Zügen, und es wurde uns klar, daß irgend etwas "im Gange" war. An der Stalinallee stießen wir auf eine Absperrung durch Volkspolizei. Aus vielen Fenstern dieser Straße, die durch den Fleiß der Berliner Bauarbeiter so schnell aus dem vom Kriege geschändeten Boden gewachsen ist, hingen rote Fahnen. In einer Seitenstraße rechts "demonstrierte" ein ungeregelter Zug, meist junge Burschen, die wesentlich abstachen von den Demonstranten, denen wir vorher begegnet waren. Aber auch diese wenig vertrauenerweckenden Gestalten wurden in keiner Weise von der Volkspolizei beachtet.

Wir kamen bis Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße, wo sich der Schriftstellerverband befindet. Überall standen Menschengruppen herum. Wir bogen langsam in die Friedrichstraße ein - und da geschah es: Eine randalierende Horde von gedungenen Provokateuren, Jünglingen mit karierten Hemden und dem anderen dazugehörigen Aufputz und faschistische Elemente, deren SS-Visagen unverkennbar waren, umringten den Wagen, in dem ich mich allein befand, da die anderen Mitfahrenden vorher schon bei ihrer Dienststelle ausgestiegen waren. Ein Hagel wüster Beschimpfungen und Drohungen setzte ein. "Komm raus, du Hund!", "Gib dein Abzeichen her!" und ähnliches wurde gerufen.

Ich versuchte die Gemüter mit einigen vernünftigen Worten zu beruhigen. Aber auf eine sachliche Diskussion kam es dieser Rotte nicht an. Da ich keine Anstalten machte, auszusteigen oder der Aufforderung nachzukommen, mein Abzeichen, auf dem die beiden brüderlich vereinten Hände der Arbeiterparteien zu sehen sind, auszuhändigen, warfen sie sich gegen den Wagen - der Fahrer war inzwischen ausgestiegen - und stürzten ihn auf die Seite. Ich hörte Drohrufe: "Komm raus, sonst brennen wir die Karre an!" Dann wurde der Wagen wieder auf die Räder gekippt und die Tür aufgerissen. Während ich mir mit einem Taschentuch das Blut vom verletzten Gesicht tupfte, versuchte mir einer das Abzeichen abzureißen - er hat es nicht bekommen! -, und ich wurde aus dem Wagen gezerrt.

Ich war schon auf einen ungleichen Kampf vorbereitet, als mich auf jeder Seite helfende Arme ergriffen: Zwei junge Genossinnen und ein Mann, den ich bald als den englischen Journalisten John Peet (der vor einigen Jahren die "Freiheit" des Westens gegen unsere eingetauscht hatte) erkannte, zogen mich aus dem Mob heraus.

Und das war der Augenblick, in dem mich die Scham überfiel, denn es waren deutsche Menschen, die da auf einer Straße Berlins ihr niederträchtiges Gangsterpogrom aufführten, Passanten blutig schlugen, Wagen umstürzten, ausraubten, in Brand steckten und zum Mord hetzten. Geschämt habe ich mich auch, weil sich all das unter der stummen Zeugenschaft vieler Berliner ereignete, die solches Rowdytum nicht billigten, aber nicht mutig genug waren, dem Lumpengesindel und den verhetzten Jugendlichen entgegenzutreten. Und geschämt habe ich mich auch, als ich eine halbe Stunde später mit einigen Kollegen und Angestellten des Schriftstellerverbandes zur Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße ging und den brennenden Pavillon sah. Eine brüllende Horde junger Burschen stand gaffend umher, und hysterische Weiber lachten. Sie begriffen nicht, daß die Flamme, die Dresden und Ulm und Berlin zerstörte und der in Auschwitz Millionen Angehörige vieler Nationen, darunter mehr als vier Millionen Juden, zum Opfer fielen, anfangs auch nur eine Flamme wie diese war. Und geschämt habe ich mich, als ich die Menge klatschen hörte, als der Lautsprecher mitteilte, man habe Krankenwagen überfallen und nach West-Berlin entführt. Als die Hooligan-Banden durch die Friedrichstraße zogen und eine Wohnung stürmten, um eine rote Fahne herunterzuholen, habe ich mich wieder geschämt - nicht für das faschistische Gesindel, das sich mit dieser Handlung nur als das entlarvte, was es war, sondern für die Arbeiter, die ich früh in den Berliner Vorstadtstraßen demonstrieren sah und die nicht weitsichtig genug waren, zu erkennen, welchen dunklen, arbeiterfeindlichen, verbrecherischen Kräften sie in die Hände gespielt hatten - denn ich weiß, daß die rote Fahne der Arbeiterklasse niemals von ehrlichen Arbeitern besudelt worden wäre.

Die Lehre daraus mögen unsere Werktätigen selber ziehen. Es sage keiner später einmal, er sei nicht gewarnt worden!

Raute

Wie DDR-Militäraufklärer den Krieg verhindern halfen

In der Höhle des Löwen

Millionen Bürger der DDR leisteten einen aktiven Beitrag zur Friedensbewahrung inmitten Europas. Dabei handelte es sich um eine wahrhaft historische Leistung des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Zu den Kämpfern gegen den Krieg gehörte eine kleine Gruppe - 1989 bestand sie aus etwa 2200 Personen -, die lange Zeit weitgehend unbekannt war. Es handelte sich um die Militäraufklärer der NVA. Ihr Zentrum befand sich auf einem nahezu 10 Hektar großen Areal an der Berliner Oberspreestraße. Am Haupteingang war zu lesen "Mathematisch-Physikalisches Institut der NVA". Die Hauptaufgabe dieser Genossen bestand in der allseitigen Einschätzung der NATO-Streitkräfte auf dem Territorium der BRD. Es galt, die starken und schwachen Seiten des Gegners der Armeen des Warschauer Vertrages aufdecken zu helfen, seine wahrscheinlichen Absichten und Möglichkeiten real einzuschätzen. An der sensiblen Trennlinie zwischen Sozialismus und Imperialismus, zwischen Warschauer Vertrag und NATO mußte jegliche militärische Überraschung durch den potentiellen Gegner ausgeschlossen werden. Was das konkret hieß, erfahren wir jetzt durch "Insider" mit dem Buch: "Die Militäraufklärung der NVA - ehemalige Aufklärer berichten. Im Zentrum und im Einsatz", herausgegeben von Bernd Biedermann, Harry Schreyer und Bodo Wegmann. Der Sammelband enthält erstmals Berichte von 16 Beteiligten. Einleitend ist eine kritische Anmerkung zu einem Buch über Militäraufklärung zu lesen, dessen Verfasser (Jg. 1949) im diplomatischen Dienst der DDR, u. a. als Kulturattaché, tätig war und 1990 als Journalist zu Springer ging. Den Sammelband beschließt ein Beitrag von Werner Großmann, dem letzten Chef der Auslandsaufklärung des MfS.

Die Autoren geben Einblicke in die agenturische (nachrichtendienstliche), die strategische und operativ-taktische Aufklärung sowie den Informationsdienst, der für die Verarbeitung der Einzeldaten zuständig war. Der Leser erfährt manches Detail. Fragen werden beantwortet: Wie kamen sie zur Aufklärung? Wie wurden "Illegale" geschleust? Was waren "Legalisten"? Wie waren die Militärattachés eingebunden? Wie wurden geheime Informationen und Dokumente beschafft? Wie Quellen angezapft? Wie arbeitete die Funkaufklärung? Aufgetretene Probleme werden nicht verschwiegen. Auch jene nicht, die sich aus dem Nebeneinander von Militäraufklärung der NVA und des MfS ergaben. Werner Großmann nennt es ein "gewisses Konkurrenzverhalten".

Viele Beiträge haben selbst für ehemalige Berufssoldaten der NVA einen Neuigkeitswert. Es gab über 1700 festgelegte Aufklärungsobjekte. Die militärische Aufklärung war in über 100 Einrichtungen und Räumen präsent. Die Funk- und Funktechnische Aufklärung hielt 357 Objekte unter permanenter Kontrolle. Die dezentralen Kräfte verteilten sich auf fast 100 Verbände und Truppenteile, auf mehr als 40 Kernwaffeneinsatzkräfte und -lager sowie auf ebenso viele militärische Führungsstellen. Den Aufklärern gelang es u. a., die NATO-Kommandostabsübung "Wintex/Cimex 89" vollständig aufzudecken, zu deren Szenario der Kernwaffeneinsatz gegen Dresden gehörte! Für die Beteiligten gab es wahrlich keinen Anlaß für abwegige Betrachtungen über eine angebliche Friedensfähigkeit des Imperialismus. Der Sammelband informiert über zwei Kommunisten, die diesen Bereich der NVA maßgeblich prägten. Generalleutnant a. D. Arthur Franke (1909-1992) stand von 1959 bis 1975 an der Spitze der Aufklärer: Gelernter Möbeltischler, Mitglied der KPD seit 1930, Illegalität, Spanienkämpfer im Thälmann-Bataillon, Häftling im KZ Sachsenhausen, Aktivist der ersten Stunde. Und Oberstleutnant a. D. Kurt Lewinski (1908-1998), der mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen zehn Jahre in der Aufklärung diente: Gelernter Buchdrucker/Buchbinder, illegale Parteiarbeit, von 1934 bis 1945 Zuchthaus, Häftling im KZ Dachau. Im KZ Sachsenhausen wurde er in das berüchtigte "Unternehmen Bernhard" befohlen, in dem britische Pfund-Noten gefälscht wurden. "Jeder gefälschte Schein (hieß) ein Tag Leben", schreibt er in seinen Erinnerungen, die erstmals veröffentlicht werden.

In einem gemeinsamen Beitrag sprechen Armeegeneral Heinz Keßler und Generaloberst Fritz Streletz den Militäraufklärern Dank und Anerkennung aus: "Sie haben ihren Auftrag als Angehörige einer Armee des Volkes und Bürger eines Staates, der sich zur Aufgabe gestellt hatte, von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen zu lassen, ehrenhaft erfüllt". Es ist unverständlich, daß beider Aufsatz nicht mehr in dem Sammelband aufgenommen werden konnte und deshalb auf der Homepage des Verlages Dr. Köster gelesen werden muß. Mit einer möglichen zweiten Auflage wäre dieser Mangel zu beheben. Dem Buch ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Es ist eine Bereicherung der sachlichen Berichterstattung über die NVA und eine Handreichung für die mittlerweile voll entfaltete ideologische Auseinandersetzung um die Geschichte der DDR und ihrer Landesverteidigung.

P. S. Interessierte Leser werden darauf verwiesen, daß diesem Sammelband eine Monographie vorausgeht: Bodo Wegmann, Die Militäraufklärung der NVA. Die zentrale Organisation der militärischen Aufklärung der Streitkräfte der Deutschen Demokratischen Republik. Sie ist 2007 bereits in zweiter Auflage erschienen und gilt als Standardwerk.

Dr. Dieter Hillebrenner, Oberst a. D.

Raute

Gehlens und Globkes "Rechtsstaat"

Das von erprobten deutschen Antifaschisten begründete und geführte MfS der DDR liegt seit 20 Jahren im Trommelfeuer derer, die voller Scham auf die Entstehungsgeschichte ihres Auslandsnachrichtendienstes BND zurückblicken müßten. Dessen Väter und Paten waren fanatische Nazis und überführte Kriegsverbrecher.

Nehmen wir nur den Wegbereiter Nr. 1. Er hieß Reinhard Gehlen und wurde am 3. April 1902 in Erfurt geboren. Im Oktober 1944 ernannten ihn die braunen Banditen zum Chef ihrer Auslandsspionage. Hitler persönlich beförderte ihn zum Generalmajor.

Bereits im Februar 1946 wurde Gehlen vom US-Geheimdienst OSS - dem Vorläufer der CIA - gebeten, die Leitung des Auslandsnachrichtendienstes in Deutschland zu übernehmen und seine "Arbeit" fortzusetzen. Das war die Geburtsstunde der "Organisation Gehlen".

Da die Entwicklung der dann entstehenden beiden deutschen Staaten von der Weltöffentlichkeit aufmerksam beobachtet wurde, taufte man 1956 die Organisation Gehlen einfach um. Sie hieß fortan Bundesnachrichtendienst (BND). Sein Präsident Reinhard Gehlen unterstand direkt Adenauer, dessen Staatssekretär im Bundeskanzleramt ein anderer Naziverbrecher namens Hans Globke - der berüchtigte Kommentator der Nürnberger Rassegesetze - war. Gehlen blieb bis 1968 im Amt. Er verstarb am 8. Juni 1979 nach einem "friedvollen Lebensabend" in seinem Haus am Starnberger See.

Die andere Seite der Medaille: Am 17. August 1956 wurde - zu Gehlens und Globkes Zeiten - die Partei der antifaschistischen Märtyrer, die KPD, wie bereits am 28. Februar 1933 verboten. Die Entscheidung traf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf Antrag des Innenministeriums der BRD. Das Verbot ist bis heute nicht aufgehoben worden.

Und noch ein Detail: Die legale Existenz einer offen faschistischen Partei wie der NPD harmoniert mit den Auffassungen der Regierenden vom "demokratischen Rechtsstaat BRD". Zu dessen Wegbereitern gehörten Gehlen und Globke.

RF,
gestützt auf eine Leserzuschrift

Raute

Sachsen-Anhalts Landes-Chef Böhmer: Mehr Verständnis für Westinteressen!

Vor geraumer Zeit veröffentlichte Magdeburgs "Volksstimme" ein Interview mit Landeschef Böhmer. Eine Aussage muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Auf die Frage des Journalisten, wie das "Miteinander bei den Ministerpräsidenten-Treffen" funktioniere, und ob dabei die Interessenlinien streng zwischen West und Ost verliefen, erwiderte Böhmer: "Meistens nicht. Aber bei Sonderregelungen, die den Osten bevorteilen würden, sind sich die West-Kollegen alle einig, daß das nicht geht. Das nehme ich ihnen aber auch nicht übel. Wenn man 18 Jahre lang einen großen Teil der eigenen Einnahmen an den Osten überwiesen hat, dann ist es verständlich, wenn man sagt: Nun muß auch mal Schluß sein."

Diese Äußerung verdeutlicht, daß eine wirkliche Wiedervereinigung nicht stattgefunden hat. Unstrittig ist, daß die Industrie im Osten vom Potential her der des Westens nicht gewachsen ist. Doch woran liegt das? Vor allem wohl daran, daß die DDR vom westdeutschen Kapital vereinnahmt und skrupellos ausgeplündert wurde. Erinnert sei nur an jene Heerscharen von "Beratern" und Abgesandten der BRD-Konzerne, die kurz nach der Öffnung der Grenze bei uns einfielen und den DDR-Bürgern das Blaue vom Himmel versprachen. Tatsächlich interessierte man sich für Kader, Kundenlisten und Auftragsbücher. Wo es zu einer Übernahme von DDR-Firmen - die meisten wurden plattgemacht - kam, erfolgte eine radikale Änderung des Produktionsprofils. Fast alles Lukrative verlagerte man nach dem Westen.

Der entscheidende Schlag erfolgte im Juli 1990 mit der Einführung der D-Mark. Die Hauptkunden der DDR befanden sich im nichtkapitalistischen Wirtschaftsgebiet. Sie verfügten über keine "harte" Währung, waren also außerstande, schon partiell vereinbarte Lieferungen zu bezahlen. Andererseits mußten die DDR-Betriebe ihre Löhne nun in D-Mark begleichen, ohne entsprechende Einnahmen zu erzielen. Die Folge: rigoroser Stellenabbau und rasanter Zusammenbruch der Wirtschaft.

Die noch in DDR-Regie geschaffene Treuhand ging ab Oktober in den Besitz der BRD über. Sie verschleuderte die DDR-Betriebe für "einen Appel und ein Ei". Das Augenmerk galt nicht vorrangig der Ausrüstung, obwohl einige über modernste Technik verfügten, sondern den Immobilien. Zugleich ging es um gut ausgebildete Fachkräfte und Absatzmärkte im früheren RGW-Bereich. All das bedeutete für die BRD eine beispiellose Transfusion. Wohlgemerkt: von Ost nach West. Dort boomte die Wirtschaft für einige Jahre. Die aus dem Arbeitsprozeß verdrängten "Ostler" wurden mit "sozialverträglichen Maßnahmen" zunächst ruhiggestellt. Das BRD-Industriekapital bereicherte sich schamlos, das Finanzkapital mästete sich an den Zinsen. Nachdem die DDR total ausgeblutet war, hängte man sie an den Tropf des sogenannten Solidarpaktes, für den auch die Bürger im Osten gleichermaßen aufkommen müssen. Sie haben also keinen Grund zu Dankbarkeit oder zu dem Gefühl, Almosenempfänger zu sein.

Dieter Hainke, Magdeburg

Raute

Thüringen: PDL-Schattenkabinett mit Ex-CDU-Politikern?

Besorgter Brief aus Gera

Hört man sich in Ostthüringen um und befragt Bekannte zu den in Bälde stattfindenden Landtagswahlen, so wird man selbst bei Sympathisanten der Partei Die Linke (PDL) keine ausufernde Begeisterung spüren, die Partei zu wählen, deren "Vorgängerin" und der selbst ich seit über 38 Jahren angehöre. Der Landesvorstand der PDL verspürt natürlich auch seit längerem, daß sich die Begeisterung für den Spitzenkandidaten Bodo Ramelow in Grenzen hält. Der Politquereinsteiger aus den Altbundesländern, als Gewerkschaftsfunktionär in die gerade liquidierte DDR entsandt, wurde vom ehemaligen Landesvorsitzenden der PDS, Dieter Hausold, umfassend gefördert und zunächst mit einem sicheren Listenplatz bei der Wahl zum Thüringer Landtag belohnt. Dieser versüßte ihm etwas den Abschied von der hauptamtlichen Gewerkschaftsarbeit. Später wurde er MdB, Bundeswahlleiter, usw. - ein kometenhafter Aufstieg. Der sehr redegewandte Mann läßt immer wieder von sich hören. So verlangte er vom Gericht Akteneinsicht, weil er als Abgeordneter bespitzelt wurde, und bekämpft medienwirksam den Verfassungsschutz. Übrigens auch Genossen Diether Dehm, dem er ganz vornehm "das Maul verbietet". Für seine Wahlkampfmannschaft - das sogenannte Kompetenzteam, quasi das Schattenkabinett für Thüringen - rekrutierte er mit Vorliebe ehemalige CDU-Politiker oder parteilose Persönlichkeiten. Es scheint in seinem persönlichen PDL-Um- und Sichtfeld irgendwie keine geeigneten Fachkräfte für höhere Aufgaben zu geben. Ramelow ist zutiefst ein PDL-Realo in bester grüner Tradition.

Man muß sich nur überwinden, dann kann man die Landespolitik in Thüringen auch mit der Vorstellung verwirklichen wollen, daß der Weg schon das Ziel sei. Damit stellt man als PDL-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten nachhaltig unter Beweis, daß man "mit allen kann  ...". Andererseits hat Genosse Ramelow noch nie erklärt, daß er auch nur Sympathien für marxistische Thesen hegt.

Unter dieser Konstellation - es ließe sich wahrlich noch mehr hinzufügen - tagte am 6. März der Thüringer Landesvorstand und beschloß, bei nur einer Enthaltung, eine "Erklärung zum 20 Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR". Nun mag dieses Gremium formal das Recht besitzen, für die PDL im Freistaat zu sprechen. Die geistige Vormundschaft kann dieser Landesvorstand glücklicherweise nicht über alle Genossen ausüben!

Deshalb erlaube ich mir, zu diesem Beschluß meines Landesvorstandes zu erklären:

1. Es gab vor 20 Jahren keine friedliche Revolution in der DDR, wie der LV feststellt, sondern eine Konterrevolution!

2. Als Mitglied und Funktionär der "Verbrecherorganisation SED" habe ich aus tiefster Überzeugung an der Verwirklichung der Ziele mitgearbeitet, wie sie in der Verfassung der DDR begründet sind. Ich erachte sie besonders heute als ein durch nichts zu ersetzendes Lebensziel.

3. Der Landesvorstand favorisiert in Verleugnung historischer Ereignisse die These einer friedlichen Revolution, als ob der Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution, die Beseitigung der Allende-Regierung in Chile und die Ermordung zahlloser Revolutionäre bis heute nur eine Fata Morgana gewesen wären. Sollte es darum gehen, das kapitalistische System zu beseitigen, dann stellt das eine Fehlorientierung und Fehleinschätzung ohnegleichen dar!

4. Es gab in dieser Bundesrepublik nie "... einen unbestreitbaren Zugewinn staatlicher, kommunaler ... Investitionskraft", sondern nur einen kaum noch zu definierenden Zugewinn an staatlicher und privatkapitalistischer Verschuldung, die so lange geheimgehalten wurde, wie es sich verschweigen ließ.

Das sollte mittlerweile auch ein Landesvorstand erkennen, der immer noch glaubt, der SPD Avancen machen zu müssen, um im Freistaat Thüringen endlich mitregieren zu dürfen.

Karl Fröhlich, Gera

Raute

RF-Extra

Wie man in der BRD sozialistische Erfahrungen verleugnet und nutzt

Darf es ein bißchen DDR sein?

Im vergangenen Jahr erschien ein Buch mit dem Titel "Das Kapital, ein Plädoyer für den Menschen", das es schnell auf die Bestsellerliste brachte. Der Autor ist Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising. Bewußt knüpfte er an das dreibändige Werk von Karl Marx an, der 1883 starb und dessen "Kapital" inzwischen angesichts der hierzulande grassierenden Krisen und Pleiten wieder als begehrter Lesestoff und zugleich als Vermächtnis, nicht aber aus Nostalgie, auf großes Interesse stößt.

Der Erzbischof zitiert in einem "Spiegel"-Interview (Nr. 44/2008) u. a. einen Grundgedanken aus der Enzyklika "Centesimus annus" von Johannes Paul II. Dort heißt es: "Wenn der Kapitalismus die Grundprobleme der Gerechtigkeit, der Solidarität, der Freiheit des Menschen nicht wirklich löst, sondern Gräben neu aufgerissen werden, dann kommen die alten Ideologien wieder." An anderer Stelle liest man: "Wir stehen alle auf seinen Schultern (gemeint ist Karl Marx), weil wir uns in der Geschichte und Geistesgeschichte an ihm abarbeiten - positiv oder negativ. In seiner Analyse der Situation im 19. Jahrhundert kommt Marx auf viele Punkte, die unbestritten sind."

Nicht, daß ausgerechnet Erzbischof Marx dem Marxismus in irgendeiner Weise das Wort redet. Vielmehr warnt er davor, daß die Erkenntnisse von Karl Marx eine Renaissance erleben könnten. Damit regt er die Leser seines Buches zum Nachdenken über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an.

Genau das tun viele frühere Bürger der DDR. Wenn sie ihr Wissen um das Leben dort - die positiven, aber auch die negativen Erfahrungen - als Erbe in die Gestaltung der Gesellschaft zwei Jahrzehnte nach dem Anschluß dieses Staates an die BRD einbringen wollen, werden diese als Nostalgie abgetan, ignoriert und totgeschwiegen.

So geschieht es in den Medien und Fachzeitschriften zum Beispiel mit den in fast 40 Jahren zusammengetragenen Untersuchungsergebnissen zur Betreuung von Kleinkindern.

Die interdisziplinäre Forschungsarbeit, die Erprobung der Ergebnisse in der Praxis der Krippen, den Gesundheitszustand und die Entwicklung der Kinder betreffend, begann in den 50er Jahren. Die schon in der ersten Dekade nach dem Krieg unternommenen Versuche, die Vorschulbetreuung aufzubauen, wurden in den folgenden Jahrzehnten systematisch für Stadt und Land, also flächendeckend, vertieft. Soziale und ökonomische Erfordernisse drängten auf die schnelle Schaffung eines Netzes der Krippen und Kindergärten, wobei Fehlschläge und Unzulänglichkeiten auftraten.

Untersuchungen über den Entwicklungsstand der Krippenkinder durch Mediziner, Psychologen, Pädagogen und Krippenpersonal führten zu Erkenntnissen, wo es die meisten Probleme bei der ganztägigen Betreuung gab. Die Forschungsschwerpunkte wurden formuliert, bearbeitet und die Ergebnisse in die Praxis überführt. So entstand, dem Wissensstand jener Zeit entsprechend, bereits 1956 ein Buch mit dem Titel "Die Pflege und Erziehung unserer Kinder in Krippen und Heimen". 1958 folgte der "Leitfaden für die Erziehung in Krippen und Heimen", der allen Einrichtungen als Arbeitsgrundlage diente. Untersuchungen zum Tagesablauf, zum Spiel, zur musischen Erziehung, zur Spracherziehung in den einzelnen Altersgruppen waren dann Grundlage für das Buch "Pädagogische Aufgaben und Arbeitsweise in Krippen". Es trug den Untertitel "Diskussionsgrundlagen zu einem Erziehungsprogramm für Kinder in Krippen". Dieses Werk erlebte zahlreiche Neuauflagen. Es wurde 1985 durch das vom Ministerium für Gesundheitswesen herausgegebene "Programm für die Erziehung in Krippen" abgelöst. Alle bis dahin erzielten Resultate zahlreicher interdisziplinärer Studien flossen ein und machten die Krippen zu anerkannten, erwünschten und nicht wegzudenkenden Einrichtungen für die Pflege und Erziehung der Kinder bis zu drei Jahren.

Parallel zu diesen Bildungsprogrammen wurden Lehrbücher für die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Personal mit dem spezifischen Berufsbild "Krippenerzieherin" erarbeitet und in den Fachschulen eingeführt. Das Hochschulstudium zum Diplom-Pädagogen war ebenfalls möglich.

Die Kinderbetreuung bildete ein Netzwerk, in dem sich die genannten Einrichtungen in Zusammenarbeit mit Eltern, Ärzten und Fürsorgerinnen um das Wohlergehen der Kinder kümmerten und das einen wesentlichen Bestandteil des Lebens junger Familien darstellte. Wer glaubte, daß nach den offiziellen Forderungen der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach Aufbau von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf die langjährigen Erfahrungen der DDR zurückgegriffen würde, irrte sich. Im Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSP) "Qualitätskriterien zur institutionellen Betreuung von Kindern unter drei Jahren (Krippen)" wird wiederum behauptet, es gäbe kaum Studien zu dieser Thematik in Deutschland. Im Literaturverzeichnis und Quellennachweis findet sich keine einzige Angabe zu Autoren der DDR, obwohl von diesen auch nach 1990, also für alle verfügbar, Material zu der hier behandelten Problematik publiziert wurde. Man hat dieses Erbe verspielt, das Vermächtnis offiziell nicht angenommen.

Zurück zur DDR. Die Krippen waren eingebettet in das Netz der staatlichen Fürsorge für alle Kinder von der Geburt bis zur Schulentlassung. Grundlage der Vorsorge war die "Arbeitsanleitung zur periodischen gesundheitlichen Überwachung der Kinder und Jugendlichen im Alter von 0 bis 18 Jahren" - ein Standardprogramm. In ihm legte man Termine und Inhalte ärztlicher Untersuchungen und fürsorgerischer Tätigkeit genau fest. Die Untersuchungsergebnisse wurden regelmäßig ausgewertet und territorial wie zentral entsprechende Schlußfolgerungen gezogen. Eine individuelle Dokumentation begleitete das Kind vom ersten Tag seines Lebens bis zur Berufsausbildung. So konnte in der DDR durch die Zusammenarbeit von der Schwangerenberatungsstelle über die Geburtsklinik, die Mütterberatungen, die Krippen und Kindergärten und den Kinder- und Jugendgesundheitsschutz eine fast lückenlose Informationsübermittlung erfolgen. Dadurch war gewährleistet, daß Gesundheit und Entwicklung aller Kinder in regelmäßigen Abständen überprüft wurden und bei gesundheitlichen, erzieherischen und/oder sozialen Auffälligkeiten entsprechende Maßnahmen zur Förderung oder Stabilisierung zum Tragen kamen. Gefahren wie Verwahrlosung, Mißhandlung oder sogar Kindstötung konnten auf diese Weise rechtzeitig erkannt und weitestgehend ausgeschlossen werden.

Ab 1990 wurde dieses gut funktionierende Netzwerk als angeblicher Eingriff in die persönliche Freiheit der Familien durch staatliche Kontrollen in Verruf gebracht und teilweise zerschlagen. Die Mütterberatungen wurden auf ein Mindestmaß zurückgefahren, der Kinder- und Jugendgesundheitsschutz als öffentlicher Gesundheitsdienst - und damit auch das gut ausgebildete Fachpersonal - erheblich reduziert. Von nun an übernahmen die niedergelassenen Kinderärzte/Hausärzte, wie in der alten BRD seit eh und je üblich, die präventiven Aufgaben. Das Zusammenwirken der verschiedensten Institutionen entfiel im wesentlichen, von einer Fortsetzung der umfassenden und kontinuierlichen Betreuung blieb nichts übrig. Die Gesamtverantwortung für den Schutz der Gesundheit der Kinder liegt jetzt in der Hand der Eltern, welche die durchaus vorhandenen Angebote (Untersuchungen, Impfungen usw.) annehmen können, aber nicht müssen. Eine Ausnahme bildet lediglich die Schulanfängeruntersuchung.

Die Zunahme an Kinderverwahrlosung, -mißhandlung und -tötung, durch die Medien jedem vor Augen geführt, ließ Eltern, Erzieher, Sozialarbeiter und Ärzte aufhorchen. Sie schlugen Alarm. An zahlreichen Orten wurden in der Regel unter Federführung von Kinderärzten sogenannte Netzwerke ins Leben gerufen, in denen sich ehrenamtliche Helfer um das Wohlergehen von Säuglingen und Kleinkindern kümmern, wobei sie den jungen Familien mit Rat und Tat zur Seite stehen. Auch zuständige Stellen der Bundesregierung arbeiten an einem Kinderschutzgesetz. Man soll also die Hoffnung nicht aufgeben, daß so mancher verschüttete Schatz - wenn auch unter anderen Vorzeichen - wieder gehoben wird.

Das Erbe der DDR wirkt weiter. Wir wollen das u. a. auch am Bespiel der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung in Deutschland deutlich machen. Sie ist vielfältig. Neben den verschiedenen Einrichtungen zur ambulanten medizinischen Versorgung bestehen seit 2004 in zunehmendem Maße Medizinische Versorgungszentren (MZV), für welche die Polikliniken der DDR nach Ansicht von Angela Mißlbeck ("Berliner Ärzte" 11/2008) Pate gestanden haben.

Polikliniken waren öffentliche Einrichtungen in organisatorischer Verbindung mit Krankenanstalten oder selbständiger Art, deren Aufgaben in der Verhütung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten bestanden. Eine Poliklinik verfügte wenigstens über Abteilungen für innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Kinderheilkunde und Zahnheilkunde sowie über Röntgendiagnostik, klinisches Labor, elektrophysikalische Abteilung, Apotheke und Medikamentenausgabestelle.

Neben den Polikliniken bestanden Stadt- und Landambulatorien, die wenigstens eine oder mehrere Fachabteilungen, Röntgendiagnostik und ein klinisches Labor besaßen.

In den Polikliniken, Ambulatorien und staatlichen Arztpraxen arbeiteten festangestellte Mediziner und weiteres Fachpersonal zum jeweils geltenden Tarif. Von Nutzen für die Patienten war, daß sie fachübergreifend zusammenwirkten, wenn sich das als erforderlich erwies. Die technischen Mittel wurden gemeinsam genutzt. So konnten die knappen materiellen und personellen Ressourcen rationell eingesetzt werden. Die Polikliniken sicherten großen wie kleinen Patienten eine rasche Erreichbarkeit medizinischer Einrichtungen. Mehrfachuntersuchungen konnten meist vermieden werden.

Mit dem Anschluß der DDR an die BRD wurden diese Errungenschaften bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel in Berlin und Brandenburg) zugunsten privater Niederlassungen mit großem finanziellem Aufwand für die Ärzte liquidiert. Auch die für prophylaktische Aufgaben zuständigen Organe des öffentlichen Gesundheitsdienstes wie Schwangeren- und Mütterberatungen und Betreuung der Vorschul- und Schulkinder, die in der Regel eng mit den Polikliniken zusammenarbeiteten, wurden stark reduziert.

Die seit 2004 geschaffenen Medizinischen Versorgungszentren, deren Anzahl für Berlin am 31.3.2008 mit 110 angegeben wurde, sind von unterschiedlicher Größe und Beschaffenheit. Sie sollen die Betreuung der Behandlungsbedürftigen durch patientenfreundliche Öffnungszeiten, den Zugriff auf eine gemeinsame digitale Patientenakte mit Untersuchungs- und Laborbefunden sowie Therapien verbessern. Diese Zentren können zwar nicht die Polikliniken ersetzen, stellen aber den Anfang einer zentralisierten Patientenversorgung dar und wirken vielleicht auch dem Irrsinn der Anschaffung teurer Geräte in jeder Praxis allmählich entgegen.

In einem kapitalistischen Staat können die Polikliniken nicht als Erbe des Sozialismus zum System werden. Aber ein wenig Erbmasse dürften sie schon liefern.

Ähnlich verhält es sich mit Gemeindeschwestern, die in einigen ländlichen Bereichen Brandenburgs in einem Projekt tätig wurden. Noch ist ungewiß, ob und wie diese wichtigen Helfer der Ärzte weiterhin bezahlt werden. Erfahrungen über ihre Aufgaben und ihre Ausbildung liegen ja vor. Bereits 1949 gab es auf dem Territorium der DDR 2400 Gemeindeschwestern-Stationen, deren Zahl bis 1989 auf 5585 anwuchs. Gemeindeschwestern unterstützten die Ärzte umsichtig und sachkundig. Sie waren zugleich wichtige Bezugspersonen für die Bevölkerung des jeweiligen Territoriums. Es versteht sich, daß diese Einrichtungen nach 1990 ebenfalls aufgelöst wurden.

Die genannten Ansätze zu Veränderungen im positiven Sinne stimmen vorsichtig optimistisch.

Auch dem Erzbischof Reinhard Marx dürfte nicht verborgen bleiben, daß sich neue Keime entwickeln, die - was Inhalte, gesellschaftliche Verantwortung, Eintreten für soziale Gerechtigkeit und ethische Grundstimmung betrifft - durchaus an alte Ideologien erinnern. Der geistliche Herr meinte im Interview: "Ja, wir brauchen eine gestaltete Marktwirtschaft, nicht die Revolution. Wir müssen die einfachen Fragen stellen: Was dient dem Menschen? Steht der Mensch im Mittelpunkt? Wie bekommt er Arbeit, wie Ausbildung? All das sind Dinge, die nicht über Märkte zu regeln sind. Ich wundere mich, wie diese Dinge verlorengehen konnten."

In Rückbesinnung auf Karl Marx und die Bestrebungen in verschiedenen Teilen der Welt, sozialistische Gesellschaften zu entwickeln und zu stabilisieren, aber auch eingedenk der in Europa erlittenen Niederlage sollten wir die Erfolge nicht vergessen. Sie könnten den Grundstock dafür bilden, dereinst zu Gesellschaftsformen zu finden, die in allen Bereichen den Menschen und nicht die Ware, das Geld und das Privateigentum als Mittelpunkt sehen. So verstehen wir als Zeitzeugen und Autoren (eines gleichnamigen Sammelbandes, d. Red.) das "Vermächtnis DDR" an die Nachgeborenen.

Prof. Dr. med. Gerda Niebsch,
Dr. med. Christa Grosch

Raute

United Fruit: Bananen, Anwälte und Maschinengewehre

Das grüne Ungeheuer

Die 1899 entstandene Bananengesellschaft United Fruit ließ sich innerhalb weniger Jahre in Dutzenden Ländern des Kontinents nieder. Die Pioniere des Bananenimperiums waren keine Ökonomen, weder Buchhalter noch Unternehmensverwalter, viel weniger aber Menschenfreunde. Sie waren Spekulanten, Abenteurer und Schnüffler, denen jedes Mittel recht war, sich zu bereichern.

1916 charakterisierte ein in Honduras akkreditierter US-Diplomat ein Unternehmen, das sich danach mit United Fruit zusammentat, als "einen Staat innerhalb des Staates". Und obwohl es mehrmals seinen Namen wechselte, stellte es immer eine Macht hinter dem Thron dar. Es bestach Politiker, förderte Staatsstreiche, stürzte und setzte Präsidenten ein, ließ Streikende niederschießen und unterstützte Todesschwadronen. 1970 fusionierte United Fruit mit einem weiteren Konzern und nannte sich von da ab United Brands. 1990 änderte es wieder seinen Namen: Jetzt hieß es Chiquita Brands. Mit 15 Millionen ha in Lateinamerika und fast 14 Millionen Arbeitern ist es weiterhin ein Gigant im Geschäft.

Momentan ist die Bananenstaude, nach dem Orangenanbau, die zweitgrößte Anpflanzung weltweit. In den armen Ländern ist die Frucht das nach Reis, Weizen und Mais an vierter Stelle liegende zugängliche Nahrungsmittel. In einigen Ländern Afrikas wie Ruanda und Uganda beträgt der Bananenkonsum manchmal pro Person bis zu 250 kg im Jahr.

Vor 1870 hatte die US-Bevölkerung niemals eine Banane gesehen. Aber genau in diesem Jahr exportierte der in Brooklyn geborene, erst 23jährige Eisenbahningenieur Minor Cooper Keith von Costa Rica die ersten Bananen in den Hafen von New Orleans. Nur drei Jahrzehnte später konsumierte die USA-Bevölkerung den Ertrag von ungefähr 16 Millionen Stauden im Jahr.

Der 1848 (im Jahr, in dem Marx und Engels das Kommunistische Manifest veröffentlichten) geborene Keith gibt sich von den Problemen der Epoche nicht geschlagen.

Für die Gleisverlegung von Puerto Limon nach San José heuert er 700 Kriminelle aus den Gefängnissen Louisianas an; von ihnen überleben nur 25 die harten Bedingungen des Dschungels und der Sümpfe. Der Geschäftsmann verzagt nicht und holt sich 2000 Italiener. Als diese der Bedingungen gewahr wurden, zogen es fast alle vor, in den Urwald zu entkommen. Danach ließ der Unternehmer Chinesen und Schwarze kommen, die angeblich widerstandsfähiger gegen tropische Krankheiten sein sollten. Bei der Montage der ersten 40 km Schienen sterben 5000 Arbeiter.

Der Unternehmer Keith heiratet die Tochter des Expräsidenten José Maria Castro Madriz, des ersten Mandatsträgers der Republik. Es beginnen seine Beziehungen mit der provinziellen Oberklasse Costa Ricas. Er besticht Politiker, kauft Beamte und bekommt die Konzession der neuen Eisenbahn für 99 Jahre. Jetzt kann er sich voll und ganz dem Bananenhandel widmen.

1899 sucht er einen Teilhaber und gründet in Boston die United Fruit Company, die weltweit größte Bananengesellschaft, mit Anpflanzungen in Kolumbien, Costa Rica, Kuba, Honduras, Jamaika, Nicaragua, Panama und der Dominikanischen Republik. In kurzer Zeit ist er der Besitzer von 10 % des Territoriums von Costa Rica und bekannt als "der ungekrönte König Zentralamerikas".

Außer der Eisenbahn von Costa Rica und der Bananenproduktion in Mittelamerika und der Karibik kontrollieren Keith und seine Teilhaber die lokalen Märkte, die Regionalbahnen, die Elektrizitäts- und Wasserwerke. Sie besitzen 180 km Eisenbahn, welche die Pflanzungen mit den Häfen verbinden, und sind bald ebenso die Eigner einer Schiffahrtslinie, mit der die Bananen in die Häfen der USA und Europas gebracht werden. Dieses 1907 mit vier Schiffen gegründete Meeresimperium, das bis 1930 auf hundert Schiffe aufgestockt wird, gibt es bis heute. Es heißt Gran Flota Bianca (die große weiße Flotte).

Samuel Smuri, Sohn einer jüdischen Bäuerin aus Besarabien (Moldava), kommt 1892 als 15jähriger in die USA. Mit achtzehn ändert er seinen Nachnamen in Zemurray um und beginnt zu einem niedrigen Preis Bananen, die am Verderben sind, im Hafen von New Orleans einzukaufen, die er sofort in den nahen Ortschaften absetzt. Mit 21 hat er 100.000 Dollar auf der Bank. Sam Zemurray hat keine Bildung und spricht nicht gut englisch, aber er ist für die großen Geschäfte bereit. Er heiratet die Tochter von Jakob Weinberger, dem wichtigsten Bananenverkäufer von New Orleans, erwirbt ein bankrottes Schiffsunternehmen und landet 1905 in Puerto Cortes (Honduras). Dort kauft er ein anderes bankrottes Unternehmen, die Cuyamel Fruit Company.

1910 ist er zwar Besitzer von sechs Millionen Hektar, aber bei mehreren US-Banken verschuldet. Da entscheidet er, sich des ganzen Landes mit geringen Kosten zu bemächtigen. Im darauffolgenden Jahr erreicht er dies.

Zemurray kehrt nach New Orleans zurück und sucht Manuel Bonilla, den exilierten Expräsidenten von Honduras, auf, den er von einem Staatsstreich zur Wiedererlangung der Macht überzeugt. Bonilla ist ein früherer Zimmermann, Violinist und Klarinettist, der es während des Bürgerkrieges vom Gefreiten zum General brachte. Zemurray begeistert auch den "General" Lee Christmas zur Teilnahme an dem zentralamerikanischen Abenteuer, einen reichen Soldaten, und dessen Günstling Guy "Ametralladora" (Maschinengewehr) Melony, einen Berufskiller.

Im Januar 1911 gehen die vier zusammen mit einer Bande von Freibeutern an Bord in Richtung Honduras. Nur mit einem schweren Maschinengewehr, einer Kiste mit Repetierbüchsen, 1500 kg Munition und mehreren Flaschen Bourbon-Whiskey bewaffnet, machen die Söldner ein Jahr lang alles auf ihrem Weg nieder, erreichen Tegucigalpa und setzen am 1. Februar 1912 Bonilla als Machthaber ein.

1911 gewährt der dankbare Präsident seinem "Erfinder" Zemurray eine 25jährige steuerfreie Konzession über 10.000 Hektar zum Bananenanbau. "Das von Cuyamel kontrollierte Gebiet ist ein Staat in sich selbst", berichtet 1916 der US-Konsul in Puerto Cortes. "Er beherbergt seine Angestellten, kultiviert Anpflanzungen, hat Eisenbahnen und Umschlagplätze, Dampfschiffahrtslinien, Wassersysteme, Elektrizitätswerke, Kommissariate, Klubs."

1929, inmitten der Weltwirtschaftskrise, verkauft der Geschäftsmann die Firma Cuyamel an die United Fruit im Austausch gegen 300.000 Aktien im Wert von 31 Millionen Dollar, was es ihm ermöglicht, persönlicher Hauptaktionär zu bleiben. Damals ist der Spekulant schon als "Bananenmann" bekannt.

Sam Zemurray hat bis 1957 hohe Posten bei der United Fruit Company, einschließlich der Präsidentschaft, inne. 1961 stirbt er 84jährig an der Parkinson-Krankheit. Er ist der Urheber eines in die Geschichte Mittelamerikas eingegangenen Satzes: "In Honduras ist ein Abgeordneter billiger zu erwerben als ein Esel."

1928 befand sich die United Fruit 30 Jahre in Kolumbien und bereicherte sich durch eine fehlende Arbeitsgesetzgebung. Am 6. Dezember jenes Jahres, nach fast einem Monat Streik, versammelten sich 3000 Arbeiter um die Eisenbahnstation von Cienaga im Departement von Magdalena im Norden des Landes. Es ging das Gerücht um, der Gouverneur würde kommen, um ihre Forderungen anzuhören. Der Regierungsbeamte traf niemals ein, statt dessen wurden sie niedergeschossen: Auf Ersuchen des Bananenkonzerns umstellte die Armee den Ort. Der befehlshabende General gab fünf Minuten, in denen sich die Massen auflösen sollten. Danach befahl er der Truppe, zu feuern. Nach Regierungsangaben starben "neun aufständische Kommunisten".

Doch am 29. Dezember sandte der US-Konsul in Santa Marta ein Telegramm nach Washington, in dem er von 500 bis 600 Opfern sprach. Im Januar des folgenden Jahres berichtete der Diplomat, es seien mehr als 1000 Tote gewesen. Er benennt als seine Quelle den Repräsentanten von United Fruit in Bogota. Die Leichen wurden in Zügen an die Küste gebracht und in den Atlantik geworfen.

Das Eisenbahnunternehmen der Region war im Besitz der britischen Gesellschaft Santa Marta Railway Company, aber die Mehrheit seiner Aktien hatte United Fruit.

Der New Yorker Minor Cooper Keith schiffte sich auch nach Guatemala ein. 1901 übergibt der Diktator Manuel Estrada Cabrera der United Fruit die Exklusivrechte für den Posttransport in die USA. Danach erlaubt er die Errichtung einer Eisenbahngesellschaft als Filiale des Bananenunternehmens. Später überträgt er ihr die Kontrolle über alle Transport- und Kommunikationsmittel. Und als ob dies noch nicht genug wäre, braucht das Unternehmen 99 Jahre lang keine Steuern an die Regierung zu bezahlen.

Estrada Cabrera - zentrale Figur des Romans "El Señor Presidente" von Miguel Angel Asturias - blieb 22 Jahre an der Macht, bis ihn 1922 der Kongreß für "geistig ungesund" erklärte. Aber die United Fruit hielt weiterhin die Fäden der Politik in der Hand. 75 % der Anbaufläche sind in den Händen von 2 % der Bevölkerung, und innerhalb dieses skandalösen Prozentsatzes ist die United Fruit der größte Eigentümer. Schon lange vor dieser Zeit sprach Keith in bezug auf Guatemala von "meiner Bananenrepublik". Ihm haben die Menschen aus Mittelamerika und der Karibik diese Bezeichnung zu verdanken.

1952, als Präsident Jacobo Arbenz eine durchgreifende Landreform zugunsten von Zehntausenden Bauernfamilien durchzuführen versucht, weiß United Fruit, daß mit ihren Privilegien Schluß sein wird. Sie setzt sich in Bewegung, um das zu verhindern. Die Lösung liegt in Washington.

Einer der Aktionäre des Unternehmens ist der Außenminister von Präsident Dwight D. Eisenhower: Es handelt sich um John Foster Dulles, der gleichzeitig auch der Anwalt von Prescott Bush, dem Opa des Expräsidenten George W. Bush, ist. Sein jüngerer Bruder Allen Dulles ist der erste Chef des US-Geheimdienstes CIA.

Unter dem Vorwand, der "kommunistischen Gefahr" in Guatemala begegnen zu müssen, führen die Dulles-Brüder das schmutzige Geschäft für die United Fruit aus. Am 27. Juni 1954 überfällt eine von Oberst Castillo Armas angeführte Truppe von den Bananenfeldern des Unternehmens in Honduras aus das Land. US-Piloten bombardieren die Hauptstadt. Arbenz wird abgesetzt und geht nach Mexiko ins Exil, wo er Jahre später in einer Badewanne aufgefunden wird, verbrüht mit kochendem Wasser. 12.000 Menschen werden gefangengenommen, mehr als 500 Gewerkschaften aufgelöst, 2000 ihrer Funktionäre verlassen das Land.

Der in Fort Leavenworth (Kansas) ausgebildete Armas ist "billig, gehorsam und ein Esel", so charakterisierte ihn der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano. Er wird General und übernimmt das Präsidentenamt. Armas ist der Mann, den die United Fruit braucht, um weiterhin "Besitzer der brachliegenden Felder, der Eisenbahn, der Telefon- und Telegrafenverbindungen, der Häfen, der Schiffe und der vielen Militärs, Politiker und Journalisten zu bleiben".

Die Chiquita Brands spielte ihre letzte Hauptrolle in Kolumbien, wo ihr nachgewiesen wurde, daß sie seit 1997 die Paramilitärs zur Ermordung "störender" Bauern- und Gewerkschaftsführer bezahlt. 2004 zog sie sich aus dem Land zurück, und Anfang April 2007 wurde sie von einem US-Gericht zu 25 Millionen Dollar Strafe verurteilt, nachdem sie zugegeben hatte, 1,7 Millionen Dollar an die berüchtigten Paramilitärs der "Autodefensas Unidas" (AUC) für "Sicherheitsleistungen" bezahlt zu haben.

Die Geschichte von United Fruit/Brands-Chiquita ist beinahe unendlich. Aber man kann sie mit einem Satz aus El Padrino von Mario Puzo zusammenfassen: "Einige Dutzend Männer mit Maschinengewehren sind im Vergleich zu einem einzigen Anwalt mit einer bis oben hin gefüllten Brieftasche nichts." Im Ablauf von 108 Jahren griff das Bananenimperium auf die Dienste der einen wie der anderen zurück.

Roberto Bardini

Übersetzung: Isolda Bohler

Ende RF-Extra

Raute

Warum sich die Aufkäufer der Konzerne als "faire Händler" verkleiden

Etikettenschwindel

In Deutschland ist derzeit der "faire Handel" in Mode. Doch Umweltschützer und Globalisierungsgegner attackieren die Konzerne, die sich mit diesem Etikett schmücken und dank des neuen Modells flotte Profite machen, ohne die ursprünglich damit verbundenen Prinzipien in Betracht zu ziehen.

"Comercio justo" (gerechter Handel) nennen sich Geschäftspraktiken, die vor allem den Völkern der Länder des Südens Nutzen zu bringen vorgaukeln.

Am 18. September 2008 verzehrten fast alle deutschen Kinder im schulpflichtigen Alter "Bananen des gerechten Handels". Die Kampagne lief unter dem Slogan: "Bananen essen für eine bessere Welt". An diesem einen Tag verkaufte man eine Million Bananen. Die Initiative wurde von Transfair ausgerichtet - einer Organisation, zu der verschiedene deutsche Unternehmen gehören, die ihre Gewinne dem "gerechten Handel" zu verdanken haben. Auch zahlreiche mit Kindern arbeitende Organisationen, unter ihnen UNICEF, beteiligten sich an der Aktion.

Der Direktor von Transfair, Dieter Overath, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur IPS: "2007 stieg der Absatz von Produkten aus dem Süden, die unser Etikett tragen, um 30 %."

Seit 2003 hat sich das Verkaufsvolumen der vor 17 Jahren gegründeten "Unabhängigen Siegelinitiative" in Deutschland verdreifacht. 2008 erreichte sie 213 Millionen Euro.

Der Erfolg liegt in der Vorstellung von Menschen industrialisierter Länder, daß die kleinen Bauern und Firmen des sich vermeintlich entwickelnden Südens unmittelbar an den Gewinnen ihrer Produktion beteiligt sein würden. "Mit dem Etikett 'gerechter Handel' verkaufen wir vor allem Nahrungsmittel", sagte Overath. Es handle sich um Bananen, Ananas, Kakao, Kaffee, Tee, Zucker, Honig, Reis, Wein, Fruchtsäfte u. a. Aber Transfair setze auch Baumwollerzeugnisse, Musikinstrumente, Juwelen und andere Artikel ab. 750 entsprechend gekennzeichnete Produkte würden in mehr als 800 speziellen Geschäften überall in der BRD verkauft.

Am "Tag der Banane" habe Transfair zusätzlich einen Dollar pro Kiste bezahlt, bemerkte Overath. Die Summe sei "natürlich für Erziehungs- und Gesundheitsprogramme der Erzeugergemeinden gespendet" worden.

Das Konzept "gerechter Handel" stößt bei dessen Gegnern auf heftige Kritik und Ablehnung. Demgegenüber behauptet Transfair, sein System sei vom ethischen Gesichtspunkt aus höher zu bewerten als die traditionellen Handelspraktiken. Ein Kommuniqué des Konzerns verkündet: "Wir stellen die Menschen vor den Gewinn." Abzulehnende traditionelle Praktiken seien jene, welche allein auf Gewinnmaximierung zugunsten Weniger abzielten, ohne dabei Arbeitsbedingungen, Menschen- und Umweltrechte zu berücksichtigen. Das Unternehmen verkündet, es biete seinen "Partnern" im Süden "einen gerechten Preis, langfristige Kooperation, demokratische Arbeitsprozesse und -bedingungen". Für Transfair sei gerechter Handel eine "kommerzielle Assoziation, basierend auf Dialog, Transparenz und Achtung mit dem Ziel, eine größere Gleichberechtigung in den internationalen Handelsbeziehungen zu erreichen". Man trage zur umweltfreundlichen Entwicklung bei, indem man bessere Bedingungen für die Produzenten und marginalisierten Arbeiter biete. Überdies respektiere man deren Rechte, was besonders im Süden wichtig sei.

All das seien wohltönende Sirenenklänge, bemerken Skeptiker. Das einzige, um was es gehe, sei die Erzielung von Maximalprofit. Transfair habe z. B. einen Kooperationsvertrag mit der deutschen Supermarktkette Lidl abgeschlossen, der vorgeworfen werde, Produkte zu Niedrigpreisen zu verkaufen und gleichzeitig die Rechte der eigenen Beschäftigten mit Füßen zu treten. Es handelt sich oft um Verkaufspreise, die unter den Produktionskosten der Erzeuger liegen.

Überdies ist Transfair mit internationalen Konzernen wie Nestlé im Geschäft, denen man anlastet, die Wasserreserven weiter Regionen der Welt ohne Respekt vor Bevölkerung und Umwelt auszubeuten. Attac bezeichnete den Vertrag zwischen Transfair und Lidl als "eine kosmetische Angelegenheit". Da diese Billigkette weiterhin mehr als 1200 Niedrigpreiserzeugnisse verkaufe, müsse man daraus schließen, daß ihre Kooperation mit Transfair nur Verkleidung sei. Der Konzern habe auch wegen des Fehlens von Klassifizierungskriterien für einige seiner Waren und der Verschleierung der Herkunft von Produkten die Kritik auf sich gelenkt.

Transfair-Sprecherin Claudia Brück betonte gegenüber IPS, die Kooperation mit Lidl sei "Teil der allgemeinen Unternehmensstrategie, den Verkauf von Erzeugnissen des gerechten Handels in deutschen Geschäften auszuweiten". "Wir sind eine Organisation, die Produkte bescheinigt, aber wir kontrollieren nicht das Verhalten der Firmen" fügte sie hinzu. Frau Brück gestand ein, daß die Zusammenarbeit mit Multis wie Nestlé als reiner Fassadenwechsel "mit grünem Anstrich" betrachtet werden könne. "Vor zehn Jahren war der gerechte Handel die Idee Weniger", meinte sie, "aber inzwischen wurde er zu einem riesigen Markt." Die Konzerne hätten bemerkt, daß viele Konsumenten aus dem Norden inzwischen über die Situation der Länder des Südens Bescheid wüßten und deshalb keine Waren mehr wollten, die durch Kinderausbeutung oder unter dubiosen Bedingungen hergestellt worden seien.

Da haben wir des Pudels Kern. Unternehmen wie Transfair änderten ihr Vorgehen allein aus taktischen Erwägungen, nicht aber wegen einer neuen Strategie. An den fundamentalen Verhältnissen hat sich nichts geändert. So verkauft Transfair z. B. Kaffee mexikanischer Lieferanten, die kleine Bauern in südlichen Regionen wie dem Bundesstaat Chiapas unter Druck setzen. Das versicherte Jan Braunholz, ein deutscher Kenner des "gerechten Handels", der darüber einen umfassenden Bericht schrieb. "In Chiapas nimmt die Opposition gegen die Klassifizierung als gerechter Handel zu", stellte er fest.

Wie Braunholz mitteilte, berechnet eine Organisation, die sich Fairtrade Labelling Organisation International (FLO) nennt, den kleinen mexikanischen Kaffeeproduzenten enorme Tarife für die Zuerkennung ihres Zertifikats. FLO nähere sich jetzt den großen einheimischen Unternehmen und den multinationalen Konzernen, um sie für diese Art des "gerechten Handels" zu gewinnen. Solche Annäherung und der hohe Preis, der für Qualifizierungsdokumente zu entrichten ist, treibt die Kaffeebauern direkt in die Arme der "Kojoten", wie man in Mexiko die Zutreiber der großen Würger nennt.

Julio Godoy

Übersetzung Isolda Bohler,
Bearbeitung RF

Raute

Wem die "Schweinegrippe" gerade recht kommt

Epidemie des Profits

Die neue Epidemie der "Schweinegrippe", die tagtäglich damit droht, sich auf weitere Regionen der Welt auszudehnen, ist kein isoliertes Phänomen. Sie ist Teil der allgemeinen Krise und hat ihre Wurzeln im System der von großen transnationalen Unternehmen dominierten industriellen Tierzucht.

In Mexiko vermehrten sich die Geflügelund Schweinefleischunternehmen weitgehend in den (schmutzigen) Gewässern des Freihandelsabkommens von Nordamerika (Tratado de Libre Comercio de América del Norte). Ein Beispiel ist Granjas Carroll in Veracruz, Eigentum von Smithfield Foods, dem größten Unternehmen für Schweinezucht und Verarbeitung von Schweinefleischprodukten auf der Welt mit Filialen in Nordamerika, Europa und China. An ihrem Sitz in Perote begann vor einigen Wochen eine virulente Epidemie von Atmungserkrankungen, die 60 % der Bevölkerung von La Gloria betrafen, wie von La Jornada bei verschiedener Gelegenheit aufgrund der Klagen der Bewohner des Ortes berichtet wurde. Seit Jahren führen sie einen harten Kampf gegen die Verschmutzung durch das Unternehmen und erlitten wegen ihrer Klagen sogar repressive Maßnahmen seitens der Behörden. Granjas Carroll erklärte, es gäbe weder einen Bezug zu ihm, noch sei der Konzern der Ursprung der heutigen Epidemie. Man führte an, daß die Bevölkerung eine gewöhnliche Grippe gehabt habe. Es wurden keine Analysen angefertigt, um wegen der Zweifel genau zu wissen, um welchen Virus es sich handelte.

Im Gegensatz dazu bestätigen die 2008 veröffentlichten Schlußfolgerungen der Pew-Kommission über die industrielle Tierproduktion (Pew Commission on Industrial Animal Production), daß die Bedingungen für die Aufzucht und Zwangsunterbringung vor allem von Schweinen industrieller Produktion eine perfekte Umgebung für die Neuverbindung von Viren unterschiedlichen Ursprungs schaffen. Erwähnt wird auch die Gefahr der Neuverbindung von Vogel- und Schweinegrippeverursachern und wie sich diese Kombination schließlich zu einem Virus zu entwickeln vermag, das Menschen angreift und unter ihnen übertragen werden kann. Die Pew-Kommission erwähnte ebenso, daß es über viele Wege, einschließlich der Verschmutzung von Gewässern, in entfernte Ortschaften ohne scheinbar direkten Kontakt gelangt.

Ein Beispiel, aus dem wir lernen sollten, ist das Auftreten der Vogelgrippe. Dem Bericht von GRAIN ist zu entnehmen, wie die Geflügelindustrie die Vogelgrippe schuf. (www.grain.org)

Aber die offiziellen Antworten auf diese aktuelle Krise, außer verspätet gewesen zu sein (man wartete darauf, daß zuerst die USA das Auftreten des neuen Virus bekanntgeben würden, wobei wertvolle Tage zur Bekämpfung der Epidemie verlorengingen), scheinen die wirklichen und ausschlaggebenden Ursachen zu ignorieren.

Denn auch bei der Epidemie sind es die transnationalen Konzerne, die sich am meisten bereichern: die biotechnologischen und pharmazeutischen Unternehmen, die den Impfstoff und die Antiviren monopolisieren. Die Regierung kündigte an, daß sie eine Million Dosen mit Antigenen hätte, um den neuen Ursprung der "Schweinegrippe" zu bekämpfen, aber niemals sagte sie, zu welchem Preis.

Die einzigen Antiviren, die noch Wirkung gegen den neuen Virus haben, sind zum Großteil auf der Welt patentiert und Eigentum der großen pharmazeutischen Unternehmen: zanamivir, mit dem kommerziellen Namen Relenza, vertrieben von GlaxoSmithKline und oseltamivir, dessen kommerzielle Marke Tamiflu ist, patentiert durch Gilead Sciences, lizensiert in Exklusivform von Roche. Glaxo und Roche sind auf der Weltskala das zweite und das vierte Unternehmen. Wie bei ihren übrigen Arzneimitteln sind die Epidemien ihre beste Gelegenheit für das Geschäft. Schon bei der Vogelgrippe erzielten sie Hunderte Millionen oder sogar Milliarden Dollar Gewinn. Mit der Ankündigung der neuen Epidemie in Mexiko stiegen die Aktienwerte von Gilead um 3 %, die von Roche um 4% und die von Glaxo um 6 %, und dies ist nur der Beginn.

Ein anderes saftige Geschäfte verfolgendes Unternehmen ist Baxter, das Muster des neuen Virus verlangte und ankündigte, den Impfstoff in dreizehn Wochen produzieren zu können. Baxter, global auf dem 22. Rang unter den Pharmaunternehmen, registrierte im Februar dieses Jahres einen Unfall in seiner Fabrik in Österreich. Es schickte ein Produkt gegen Grippe nach Deutschland, Slowenien und Tschechien, das selbst mit dem Virus der Vogelgrippe verseucht war. Nach Mitteilung des Unternehmens lag es an menschlichem Versagen und Problemen bei der Verarbeitung, über die es mit der Begründung keine Details verlauten ließ, man müsse sonst patentierte Vorgänge aufdecken.

Es geht darum, nicht nur der Grippeepidemie die Stirn zu bieten, sondern auch den Profitmachern.

Silvia Ribeiro

Unsere Autorin ist Forscherin der Gruppe ETC. Ihr Artikel erschien in "La Jornada".

Übersetzt von Isolda Bohler

Raute

Die NATO im Brennglas

Von Kennern gemacht und als Aufklärungsbuch inhaltsreich und anschaulich gestaltet, ist ein wichtiger Sammelband genau zu jenem Zeitpunkt erschienen, an welchem der 60. Jahrestag der NATO-Gründung lautstark gefeiert wurde. 21 prominente Autoren - stellvertretend seien Rainer Rupp, Ralph Hartmann, Elmar Schmähling, Karl Rehbaum, Horst Liebig, Klaus Eichner und Fritz Streletz genannt -, zeichnen sachkundig ein facettenreiches Bild von Entwicklung und Strategie der NATO.

Die USA als treibende und beherrschende Kraft des Pakts machten diesen zu einem Instrument ihrer Strategie des Kampfes gegen die UdSSR und die sozialistischen Staaten Europas. Besonders plastisch wird die Rolle der BRD in diesem militärischen System dargestellt. Die Gründung der NATO wurde mit dem Abschluß des Warschauer Vertrages beantwortet. Nach Einbeziehung der BRD in den Nordatlantikpakt war die Aufnahme der DDR in die Staatengruppe des Warschauer Vertrages unerläßlich. Nach dessen Auflösung und dem Ende der UdSSR hat die NATO ihre Tätigkeit keinesfalls eingestellt, sondern ihr Operationsfeld sogar noch ausgeweitet und ihr aggressives Vorgehen verschärft.

Mit dem Überfall auf Jugoslawien am 24. März 1999 begann der Pakt seinen ersten Angriffskrieg. Ralph Hartmann hat die maßgebliche Rolle der BRD hierbei anschaulich dargestellt. Erstmals nahm die Bundeswehr an einem Krieg teil. Diese Tatsache darf nicht aus dem Gedächtnis der Völker verdrängt werden.

Rainer Rupp demonstriert die Zeitnähe zwischen der Aggression gegen Jugoslawien und der beginnenden Osterweiterung der NATO durch die Aufnahme Polens, Ungarns und Tschechiens sowie zu den Schritten zur Aufhebung der geostrategischen Begrenzung des Einsatzgebiets der Paktorganisation bzw. militärischen Handlungen ohne UN-Mandat.

In mehreren Beiträgen wird die seitdem erfolgte monsterhafte Aufblähung des imperialistischen Militärbündnisses verdeutlicht. Immer mehr Staaten werden einbezogen oder vertraglich an die NATO gebunden. Damit stellen sie, wie Elmar Schmähling schreibt, ihre Territorien, finanziellen Mittel und Menschen in den Dienst der Weltherrschaftsambitionen der USA. Die Vereinigten Staaten und deren "Kampfbund" NATO sickern zunehmend in globalstrategische Positionen ein, von denen aus künftig auch China "besser bedroht" werden kann.

Das Buch zeigt die besonders robuste Aggressivität der NATO nach dem Ende der Bipolarität der Welt. Nicht zuletzt belegt dies der Krieg in Afghanistan. Er ist aber zugleich auch Beweis für die Möglichkeit, mit einer solchen Strategie das angestrebte Ziel zu erreichen. Die Bereitschaft der BRD, die Afghanistan-Aggression mit Kampftruppen zu unterstützen, ist ein Indiz für die neue Qualität militarisierter bundesdeutscher Außenpolitik. Die BRD und andere europäische NATO-Staaten verfolgen indes auch immer stärker eigene Ziele und machen ihre Machtansprüche geltend.

Karl Rehbaum verdeutlicht, weshalb der bundesdeutsche Imperialismus für die NATO besonderes Gewicht hat.

Die Darlegungen von Horst Liebig beschäftigen sich mit den langjährig verübten Provokationen der NATO an der Grenze zur DDR, die von deren Grenztruppen besonnen, mutig und entschlossen abgewehrt wurden, was einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Friedens in Europa darstellte.

Andere Abschnitte des Buches informieren anhand exakter Fakten darüber, daß ranghohes Personal der Nazi-Wehrmacht in die Bundeswehr übernommen wurde und so Eingang in die NATO einschließlich ihrer Kommandostrukturen fand.

Klaus Eichner nennt aufschlußreiche Details zur Rolle der NATO-Geheimarmee GLADIO und zur Strategie des USA-Imperialismus, die auf die Zerschlagung des Sozialismus in Europa gerichtet war. Diese "Grand-Strategy" der Administration George W. Bushs zielte auf die Veränderung des Status quo. Sie "sollte ein ständiges Entgegenkommen der Sowjetführung gemäß den Interessen und dem Diktat der USA erzwingen, letzten Endes bis zur Aufgabe ihrer eigenen Gesellschaftsordnung".

Eichner verweist darauf, daß dann die innere Entwicklung in den europäischen sozialistischen Staaten dazu führte, auf Forderungen nach einem "besseren Sozialismus" und einer "friedlichen Revolution" einzugehen. Nur wenige sahen damals die Konsequenzen dieser Abläufe, die in einem Zusammenspiel äußerer und innerer Kräfte schließlich zur Konterrevolution und damit zur Restauration des Kapitalismus führten. "In der Tat stellte diese Entwicklung das Ende des Kalten Krieges dar, aber in einem anderen Sinne. De facto bedeutete es einen Wiedereinstieg in die Phase der heißen Kriege", schreibt Eichner.

Anhand des vielseitigen Materials wird deutlich, daß die in einem der Beiträge vorgetragene These von einem "... Ende der Systemauseinandersetzung ..." nicht zutrifft. Es entspricht keineswegs der Realität, daß es "heute die unversöhnliche Gegnerschaft zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme im Weltmaßstab nicht mehr gibt" (Seite 27). Die Auseinandersetzung findet unterdessen zwar in anderer Art und Weise statt, ist aber mit der Auflösung der Gemeinschaft der Staaten des Warschauer Vertrages und der Zerstörung der UdSSR nicht aufgehoben.

In einem abschließenden Beitrag stellt Fritz Streletz die Militärdoktrin der DDR dar. Der sozialistische deutsche Staat hat als Mitglied der Organisation des Warschauer Vertrages in seiner 40jährigen Geschichte einen aktiven Beitrag zur Friedenssicherung in Europa geleistet. Die DDR war auf allen Gebieten ein verläßlicher Bündnispartner. Angesichts ihrer in diesem Jahr besonders gesteigerten Schmähung soll auf die hartnäckig verschwiegene Tatsache verwiesen werden, daß die DDR der einzige Staat in der deutschen Geschichte gewesen ist, der nie einen Krieg führte. Wo immer es nach 1949 Kriege gab, beteiligten sich NATO-Mitglieder daran. Diese Tatsache betont Egon Krenz in seinem einleitenden Beitrag.

Dem interessierten Leser liegt ein Buch vor, das tiefe Einsichten in die politischen Auseinandersetzungen seit der Mitte des letzten Jahrhunderts ermöglicht. Dank gebührt den Herausgebern Konstantin Brandt, Karl Rehbaum und Rainer Rupp sowie der GRH e. V. und dem Verlag für diese Publikation.

Rolf Berthold

Stopp NATO!
60 Jahre NATO - 60 Jahre Bedrohung des Friedens,
Verlag Wiljo Heinen, 2009, 318 Seiten,
14 Euro, ISBN 978-3-939828-38-9

Raute

Wie repräsentativ ist die EL?

Leo Mayer, stellvertretender Vorsitzender der DKP und Vertreter seiner Partei in deren Vorstand, bezeichnete die Europäische Linke (EL) als "Zusammenschluß von 31 Parteien, darunter viele kommunistische, für ein alternatives Europa". Mit anderen Worten: nicht für ein sozialistisches. Für diese Klarstellung ist zu danken.

Die 31 Parteien der EL sind nur in 22 der 46 europäischen Länder angesiedelt. 11 von ihnen, darunter die DKP, besitzen Beobachterstatus. Die Hälfte der EL-Formationen steht in offener Gegnerschaft zu den Kommunisten ihrer Länder. Zwei Drittel der kommunistischen Parteien des Kontinents - darunter Portugals PCP und Griechenlands KKE als die einflußreichsten - legen keinerlei Wert auf eine EL-Anbindung.

RF


Ausgetreten

Ende April hat die Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei (UKAP), die zu deren Gründern gehörte, die EL mit einem klaren Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus verlassen.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
UKAP-Vorsitzender Dr. Gyula Thürmer

Raute

Sri Lanka: Rassistischer Krieg gegen Tamilen

Der sich in Sri Lanka ausbreitende Schrecken ermöglicht das ihn umgebende Schweigen. In den beherrschenden Kommunikationsmedien Indiens gibt es fast keine Informationen über die Geschehnisse. Ebenso verhält es sich in der internationalen Presse. Warum?

Auf der Grundlage der wenigen durchdringenden Nachrichten urteilend scheint es, daß die Regierung Sri Lankas die Propaganda des "Krieges gegen den Terrorismus" als Feigenblatt benutzt, hinter dem sie sich versteckt, um alles der Demokratie des Landes Ähnelnde zu zerschlagen und unbeschreibliche Verbrechen gegen das tamilische Volk zu begehen. Nach dem Prinzip: Jeder Tamile ist ein Terrorist, bis das Gegenteil bewiesen ist, werden zivile Einrichtungen wie Hospitäler und Zufluchtsorte bombardiert und zu Kriegsgebieten. Vertrauliche Schätzungen sprechen von 200.000 eingeschlossenen Zivilisten. Die srilankische Armee rückt mit Panzern und Einheiten der Luftwaffe vor.

In der Zwischenzeit halten offizielle Berichte aufrecht, man habe verschiedene "Dörfer des Wohlbefindens" errichtet, um die flüchtenden Tamilen in den Distrikten Vavuniya und Mannar zu beherbergen. Nach einem Bericht des Daily Telegraph sind diese Dörfer "verbindliche Zentren für alle Zivilisten, die vor der Auseinandersetzung flüchten". Handelt es sich um einen Euphemismus für Konzentrationslager? Mangala Samaraveera, der frühere Außenminister, erklärte der Zeitung: "Vor einigen Monaten begann die Regierung die Tamilen von Colombo zahlenmäßig zu erfassen, in dem sie vorbrachte, daß sie zu einer Bedrohung für die Sicherheit werden könnten, aber dies kann für andere Vorhaben benutzt werden, wie es die Nazis in den 30er Jahren machten. Grundlegend ist, daß sie der ganzen tamilischen Bevölkerung das Etikett von möglichen Terroristen werden anhängen können."

Wenn ihr erklärtes Ziel, die Befreiungstiger von Eelam Tamil zu "eliminieren", in Betracht gezogen wird, scheint dieses böswillige Vorgehen gegen Zivilisten und "Terroristen" darauf hinzudeuten, daß die Regierung Sri Lankas im Begriff ist, ein Verbrechen zu begehen, das in einem Genozid enden könnte. Gemäß einer Schätzung der UNO starben bereits mehrere Tausend Menschen. Unzählige Verletzte befinden sich in kritischem Zustand. Die wenigen Augenzeugenberichte, die an die Öffentlichkeit drangen, sind Beschreibungen eines höllischen Alptraums.

Wessen wir beiwohnen oder besser gesagt, was in Sri Lanka geschieht - und was auf so wirkungsvolle Weise hinter einer öffentlichen Erhebung versteckt wird - ist ein unverschämter und offen rassistischer Krieg. Die Straflosigkeit, mit der die Regierung von Sri Lanka diese Verbrechen begeht, enthüllt in Wirklichkeit die tief verwurzelten rassistischen Vorurteile, die gerade anfänglich die Marginalisierung und Entfremdung der Tamilen in Sri Lanka verursachten. Dieser Rassismus hat eine lange Geschichte von gesellschaftlichem Scherbengericht, wirtschaftlichen Blockaden, Pogromen und Folter. Der brutale Charakter des jahrzehntelangen Bürgerkriegs, der als ein friedlicher Protest begann, hat seine Wurzeln darin.

Warum dieses Schweigen? In einem anderen Interview sagt Samaraveera, daß "heutzutage freie Massenmedien in Sri Lanka praktisch nicht existieren". Er spricht über die Todesbrigaden und "die Entführungen der weißen Karawane", welche bewirkten, daß die Gesellschaft "aus Angst erlahmt". Abweichende Stimmen, einschließlich derer verschiedener Journalisten, wurden zum Verstummen gebracht. Der internationale Journalistenverband klagt die Regierung Sri Lankas an, eine Kombination von antiterroristischen Gesetzen, Verschwindenlassen und Morden zu benutzen, um den Verband zum Schweigen zu bringen.

Es gibt beunruhigende, aber unbestätigte Informationen, die behaupten, daß Indien der Regierung von Sri Lanka materielle und logistische Unterstützung bei diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewährt. Falls diese Berichte stimmen, ist es ein Skandal. Und die Regierungen anderer Länder? Was tun sie, um die Situation zu verbessern oder zu verschlechtern?

Im indischen Bundesstaat Tamil Nadu nährte der Krieg in Sri Lanka Leidenschaften, die Dutzende Menschen dazu veranlaßten, sich zu opfern. Die allgemeine Angst und Wut, zum Großteil echt, zum Teil Ergebnis zynischer politischer Manipulation, wurden zu einem Wahlthema.

Es ist außergewöhnlich, daß diese Unruhe nicht in den Rest Indiens gelangte. Warum dieses Schweigen? Hier gibt es keine "Entführungen von weißen Karawanen" - zumindest keine, die etwas damit zu tun haben. Das Schweigen ist angesichts des Grades der Ereignisse in Sri Lanka unentschuldbar. Mehr noch, weil die indische Regierung während der Konflikte eine lange Geschichte von unverantwortlichem Hin und Her hat, zuerst für die einen Partei ergreifend und danach für die anderen. Mehrere von uns - ich selbst rechne mich dazu - hätten viel früher reden müssen, und wir taten es nicht, einfach wegen fehlender Information über den Krieg.

Während das Abschlachten weitergeht und Tausende von Menschen sich in Konzentrationslagern verschanzen, während mehr als 200.000 dem Hunger ausgeliefert sind und ein Völkermord lauert, herrscht in diesem großen Land Grabesstille.

Es ist eine kolossale menschliche Tragödie. Die Welt sollte eingreifen. Jetzt. Bevor es zu spät ist.

Arundhati Roy

Übersetzt von Isolda Bohler

Raute

Schuhe, die in die Geschichte eingingen

Der irakische TV-Journalist Muntadar al-Saidi wird in der arabischen Welt als Held betrachtet. Auf einer Pressekonferenz mit Kriegsverbrecher George W. Bush und dem Chef der einheimischen Marionettenregierung, die im Dezember 2008 in Bagdad stattfand, warf er seine Schuhe als "Abschiedskuß" auf den bereits abgewählten USA-Präsidenten. Dieser konnte dem Wurf nur knapp ausweichen. Die in Irak als höchster Ausdruck von Verachtung geltende Geste brachte dem mutigen Medienmann eine Anklage wegen Angriffs auf ein ausländisches Staatsoberhaupt und eine dreijährige Gefängnisstrafe ein, die inzwischen halbiert werden mußte.

Unser Foto zeigt die "Schuhstatue" in der irakischen Stadt Tikrit. Sie wurde nach eintägiger Zurschaustellung durch die Polizei des USA-hörigen Regimes abgerissen.

RF,
gestützt auf "The New Worker", London

Raute

Bekämpft die ISAF den Drogenhandel am Hindukusch?

Schlafmohn über alles

In Afghanistan will die NATO jetzt aktiv gegen den Drogenhandel vorgehen - bis zur Todesstrafe für Anbauende und Händler", schreibt Dr. Hans Watzek in seinem RF-Beitrag (April-Ausgabe). So oder so ähnlich hat die bürgerliche Presse der BRD auch darüber berichtet, um den Anschein zu erwecken, als ob die Besatzer tatsächlich in Afghanistan Drogen bekämpfen würden. Wäre dies der Fall, dann müßte die NATO ganz oben anfangen, nämlich bei ihren Marionetten. Der ehemalige CIA-Direktor und derzeitige Verteidigungsminister der USA, Robert Gates, den Obama von Bush übernahm, hat angekündigt, daß die Vereinigten Staaten und die NATO nur diejenigen Drogenhändler bekämpfen werden, die den Widerstand unterstützen. Die eigenen Hundesöhne werde man nicht antasten.

Afghanistan ist längst zu einem "Drogenmafia-Staat" geworden, wie der US-Bürger und erste Finanzminister des Protektorats Mohammad Ashraf Ghani bereits 2003 feststellte. Kabir Mersban, Senator aus der nordafghanischen Provinz Tachar und deren ehemaliger Gouverneur, beschuldigt heute öffentlich den früheren Kommandanten der Garnison Tachar-Kundus und jetzigen Staatssekretär für Rauschgiftbekämpfung im Kabuler Innenministerium, General Mohammad Daud, der Beihilfe zum Drogenhandel. Mersban berichtete, daß ein Bruder des Staatssekretärs unter seinem Schutz Mohnanbau und Drogenhandel betreibt. Einer der Großgrundbesitzer mit allein 1000 Hektar Schlafmohn unter dem Pflug ist Abdul Rahman Jam. Vor kurzem war er noch Polizeichef von Helmand, also jener Provinz, in welcher der islamische Widerstand am stärksten ist. Gouverneure, Polizeichefs und Kommandeure werden von Karsai ausgewechselt oder versetzt, die Probleme aber bestehen weiter.

Schon vor drei Jahren wurde über die diplomatische Vertretung Großbritanniens in Kabul bekannt, daß Ahmad Wali Karsai, ein Bruder des Präsidenten, in Drogengeschäfte verwickelt sei. Inzwischen ist er Vorsitzender des Rates der Provinz Kandahar und kassiert jährlich 20 Millionen US-Dollar Schutzgelder von den Heroinhändlern. Ein weiterer Bruder Karsais, nämlich Abdul Qaium Karsai, gehört ebenfalls zu den mächtigsten Politikern im Süden Afghanistans. Es ist ein offenes Geheimnis, daß dort ohne die Brüder Karsai keine Entscheidung fällt. Dementsprechend sieht auch ihr Einkommen aus: Es setzt sich aus dem Erlös von Drogengeschäften sowie Schutz- und Erpressungsgeldern zusammen. Die US-Administration macht den Präsidenten persönlich für die ins Stocken geratene Zerstörung afghanischer Mohnplantagen verantwortlich. Kein Wunder, denn die Drogenbauern werden vorab von den Einsätzen informiert - auch von ganz weit oben. Und dort sitzt bekanntlich Präsident Karsai.

"Jeder Bewohner Kabuls kann Ihnen zeigen, wo Drogenbarone leben - sie haben die größten und schönsten Häuser der Stadt", schrieb Richard Holbrooke in der "Süddeutschen Zeitung" vom 16./17. Februar 2008.

Erst seit der Besetzung des Landes im Jahre 2001 wird in allen 32 Provinzen Drogenrohstoff erzeugt, zuvor war das nur in den an Pakistan angrenzenden der Fall. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist die Mohnanbaufläche zwischen 2006 und 2007 von 165.000 auf 193.000 Hektar gestiegen. Der Ertrag ist ebenfalls gewachsen - von 6100 auf 8200 Tonnen - ein wahrlich trauriger Rekord. Somit stammen 93 Prozent des auf dem Weltmarkt gehandelten Heroins aus Afghanistan. Die Erlöse machen mehr als die Hälfte des Bruttoinlandprodukts aus.

Unterdessen wurde bekannt, daß die "internationale Gemeinschaft" Ölkonzernen gestattet, sich mit dem Ziel in Afghanistan niederzulassen, die Heroinproduktion durch moderne Labors zu steigern. Drogen und Korruption durchdringen den gesamten Staatsapparat, so daß sie zum entscheidenden Hindernis beim "Nation building" à la NATO geworden sind.

Dr. Matin Baraki, Kabul

Raute

FMLN übernimmt im Juni die Präsidentschaft El Salvadors

Linksruck nach 20 Jahren ARENA-Diktatur

Bei den Präsidentschaftswahlen, die am 16. März in der mittelamerikanischen Republik El Salvador stattfanden, hat sich die Nationale Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) als Siegerin erwiesen. Ihr Kandidat, der bekannte Fernsehjournalist Mauricio Funes - er hatte sich erst vor einem Jahr der Befreiungsfront angeschlossen und gilt als "gemäßigter Linker" - siegte mit einem knappen Vorsprung von 62.000 Stimmen (bei 4,2 Millionen Wählern). Das prozentuale Verhältnis der beiden Bewerber betrug 51:49 Prozent. Es bleibt abzuwarten, welche Entscheidungen Funes im Einzelfall treffen wird. Noch aufschlußreicher als das Votum für den neuen Staatschef ist die zugleich erfolgte Wahl des Vizepräsidenten, zieht doch bei der Amtsübergabe im Juni mit Salvador Sanchez Ceren ein ehemaliger Comandante der FMLN ein, die sich erst 1992 in der Folge des Abkommens von Chapultepec in eine legale politische Partei umwandelte. Im Verlauf des zwölfjährigen Bürgerkrieges (1980-1992), der durch die salvadorianische Rechte mit ihrer aus den berüchtigten Todesschwadronen hervorgegangenen Hauptpartei ARENA provoziert, vor allem aber aufgrund der gravierenden sozialen Konflikte im Lande ausgelöst wurde, waren 75.000 Menschen ums Leben gekommen. Man zählte außerdem 7000 Vermißte. Damals repräsentierte die FMLN den bewaffneten Arm der linken Volkskräfte.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist El Salvador von der durch Washington politisch ausgehaltenen und finanziell gestützten ARENA "regiert" worden. Auch diesmal spielte Wahlfälschung zu ihren Gunsten eine große Rolle. Nach Angaben von Hector Perla, Professor für Lateinamerikastudien an der kalifornischen Universität Santa Cruz, befanden sich allein etwa 80.000 Verstorbene in den Wählerlisten.

Bei den Märzwahlen hatte die ARENA mit Rodrigo Avila den bisherigen Polizeichef ins Rennen geschickt. Dieser gab gegenüber der spanischen Zeitung El Pais unverblümt zu, er habe seinerzeit "im Interesse der Verteidigung des Vaterlandes" den Todesschwadronen angehört. Auf deren schier endloses Blutkonto ging u. a. die Ermordung des linksgerichteten Erzbischofs von San Salvador, Msgr. Romero.

Da nahezu alle Medien des Landes von Gewährsleuten der ARENA kontrolliert werden, richtete sich gegen die FMLN eine konzertierte Hetzkampagne. "Die Kommunisten werden das Land an Chávez verkaufen, wenn sie gewinnen sollten", hieß es unter Anspielung auf die Tatsache, daß auch die Salvadorianische KP von Beginn an zu den Unterstützern der FMLN gehört hat. Obwohl der Antikommunismus an Wirkung einbüßte, führt er noch immer breite Bevölkerungsschichten irre.

Bei den Parlamentswahlen im Januar errang die FMLN erstmals die meisten Sitze - 35 von 84 -, während die ARENA nur auf 32 Mandate kam. Gemeinsam mit anderen Rechtsparteien verfügt sie indes über eine Mehrheit.

Bittere Armut und galoppierende Kriminalität sind die Hauptbelastungen für das salvadorianische Volk, dessen überwiegender Teil in tiefstem Elend vegetiert. Etwa 300 bis 400 Menschen werden Monat für Monat ermordet. "Maras" genannte Banden terrorisieren vor allem die Stadtbewohner.

Die Situation El Salvadors wird auch durch die Tatsache charakterisiert, daß etwa zwei Millionen Landesbürger - fast jeder vierte - emigrieren mußten. Ihre finanziellen Überweisungen an daheimgebliebene Angehörige - besonders aus den USA - machen rund 18 % des salvadorianischen Bruttoinlandsprodukts aus.

Noch ist in der kleinen Republik nicht aller Tage Abend. Die mit dem Imperialismus liierten Parteien der Landbesitzeroligarchie und des einheimischen Kapitals werden alles tun, um der FMLN-Regierung Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Doch erprobte Revolutionäre wie Vizepräsident Sanchez dürften die Augen offenhalten, das Bündnis mit den linken Regierungen der Region suchen und Schritt für Schritt strukturelle Reformen im Lande einleiten. Schon eine friedliche Amtsübertragung an die FMLN wäre unter den Verhältnissen El Salvadors fast eine Sensation.

RF,
gestützt auf "Solidaire", Brüssel, "People's Weekly World", New York und "The New Worker", London

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Die Sieger: Mauricio Funes (links) und Ex-Comandante Sanchez Ceren nach Bekanntwerden der Wahlresultate

Raute

Peking: Die USA trampeln auf Menschenrechten herum

Wie in jedem Jahr hat das USA-Außenministerium am 25. Februar seine sogenannten Länderberichte zu Menschenrechtspraktiken veröffentlicht. Echte oder vermeintliche Defizite in mehr als 190 Staaten und Regionen wurden benannt, ohne ein einziges Wort zu den gravierenden Mißständen im eigenen Land zu verlieren. Natürlich wird auch diesmal die VR China massiv attackiert. Doch sie zahlte mit gleicher Münze zurück. Schon zum zehnten Mal veröffentlichte das Informationsamt des Staatsrates einen Report zu Menschenrechtsverletzungen in den Vereinigten Staaten.

Der Bericht benennt konkrete Tatsachen: 2008 wurden in den USA 1,4 Millionen Gewaltverbrechen, darunter 17.000 Morde begangen. Im Jahr zuvor waren nach offiziellen Angaben 1,35 Millionen amerikanische Oberschüler auf dem Gelände ihrer Anstalten mit Waffen bedroht oder durch diese verletzt worden. Gravierend ist die Lage der 2,3 Millionen Insassen von USA-Gefängnissen, die ständiger audiovisueller Überwachung unterliegen. Im Vorjahr lebten 37,3 Millionen US-Bürger (12,5 % der Gesamtbevölkerung) unterhalb der Armutsgrenze. Fast ein Viertel aller Haushalte von Afroamerikanern ist betroffen. Während die Arbeitslosenquote im dritten Quartal 2008 bei 5,8 % lag, betrug der Anteil bei Schwarzen sogar 10,6 %. Die Vereinigten Staaten sind das einzige Land der Welt, wo selbst Kinder zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden können. Jugendliche unterliegen dem gleichen Strafrecht wie Erwachsene. 2007 verkauften die USA, die in Irak und Afghanistan Krieg führen und die Menschenrechte anderer Völker brutal mißachten, Waffen im Wert von 32 Mrd. Dollar an 174 Staaten.

RF,
gestützt auf "The Guardian", Sydney

Raute

Etwas lasisch, etwas türkisch, etwas deutsch ...

Seele eines Migrantenkindes

Ich hatte sie seit sechs Wochen nicht gesehen - sie, die aufsteigende Sonne in meinem Leben: meine Tochter Arsima. Seit dem Frühjahr 2007 lebt sie mit ihrem Vater zusammen, der sie jahrelang vermißt hatte. Sie scheint zufrieden zu sein.

Jetzt, nach eineinhalb Monaten, sitzt sie mir gegenüber. Auf einmal sehe ich in ihr fast mich selbst. Wie ich vor 28 Jahren nach Dortmund gekommen bin: neugierig, lebendig, offen für die Welt.

Sie berichtet aus ihrem Alltag, daß ihr Fernseher defekt sei. Vater und Oma langweilten sich zu Tode. Sie lernt jetzt die Familie ihres Vaters kennen, wie er fast alles aufgegeben und sein Lebensgefühl verloren hat. Sie vergleicht uns, mich und meinen Exmann.

Ich habe sie an diesem Tag wie eine gute Freundin empfangen. Das hatte ich mir schon lange gewünscht. Ich bin keine typische Mutter gewesen, worüber sie sich immer beklagt hat. Sie sagte mir oft: "Sei wie die anderen Mütter, Mama!" Diesen Wunsch konnte ich ihr nicht erfüllen. Ich hatte ihr wiederholt vorgeschlagen: "Laß uns gute Freundinnen werden!"

Es war soweit. Sie kam zu mir, zum Kaffeetrinken, zum Plaudern. Ich brachte ihre Lieblingskaffeesorte Capuccino auf den Tisch.

Nach einer Weile schlug ich ihr einen kurzen Spaziergang in unserem Stadtteil vor. Sie stimmte fröhlich zu. Wir liefen die Uhlandstraße hinunter. Bei der Albrecht-Brinkmann-Grundschule blieben wir stehen. Da ist der Spielplatz, zu dem ich sie immer gebracht habe. Ich sagte zu ihr: "Hier haben wir zusammen viel Zeit verlebt." Ich war die einzige Mutter, die dabei ein Buch in der Hand hielt.

Sie schaute mit ernsten Blicken zurück. Sah mir - wie meine Lieblingsoma - tief und fragend in die Augen. Ach, meine Oma, Didinana! Wenn sie erfahren könnte, wie ähnlich ihr die Tochter ist, die ich zur Welt gebracht habe. Als sie starb, war ich im vierten Monat schwanger. "Cur suroni". Das heißt "mit zwei Seelen", in meiner hierzulande unbekannten Muttersprache Lasisch.

Wir gingen, wie gewohnt, die Münsterstraße entlang, am Helmholtz-Gymnasium vorbei, bis zur Leopoldstraße. Dort, wohin ich sie zum Kindergarten gefahren habe. Damals war sie erst zwei Jahre alt. Die spanische Erzieherin Fahra mochte sie am liebsten. Sie konnte zuerst kein Deutsch. Die Tochter meiner Nachbarin half ihr bei der Verständigung. In kürzester Zeit lernte sie die Sprache des Landes, in dem sie zur Welt gekommen war. Damit erfüllte sich der Traum der Gastarbeiter, der Generation ihres Opas. Ich selbst kam des Studiums wegen nach Deutschland, war untergebracht bei meinem Onkel, der im Ruhrgebiet als Bergmann arbeitete.

Am Kindergarten meiner Tochter blieben wir stehen. Ich erinnerte sie: "Du wolltest mit vier unbedingt Anna heißen, habe ich dir das schon mal erzählt?" Sie wußte es nicht mehr. Dann berichtete ich ihr weiter. "Die Kinder wollten alle gleich sein, glaube ich. Du hast eines Tages eine seltsame Frage gestellt. 'Mama, ich bin ein bißchen lasisch, ein bißchen türkisch, darf ich auch ein bißchen deutsch sein?'"

Sie lachte aus ihren Augenwinkeln heraus. Jetzt fühle sie sich als Türkin, sagte sie. Die türkische Seite in ihr überwiegt. Vielleicht ist sie dazu gezwungen, diese Identität anzunehmen. Sie erlebte wie jedes ausländische Kind Vorurteile gegenüber "Gastarbeitern", sah, wie auch sie ausgeschlossen wurde. Deswegen brauchte sie eine konkrete Identität.

Wie sie neben mir steht, sehe ich eine junge Frau mit einer lasischen Seele, einem türkischen Herzen und einem deutschen Kopf. Eine innerlich reiche Person, die hier im Norden wie die Blumen auf meinen Weiden aufgewachsen ist. Ihre Blicke, die an meine lasische Oma erinnern, passen nicht gerade zu den Integrationserwartungen des Landes, in dem ich mich befinde. Sie sind eigenartig geblieben. Wie die der Kinder in meiner hier unbekannten Heimatregion.

Aber wie sie sich kleidet und durch die Nordstadt geht, da ist sie die gewöhnliche dritte Generation der Migranten. Ob sie sich als Migrantin fühlt, ist eine ganz andere Frage. Denn ihre Denkweise scheint mir typisch deutsch zu sein. So sagte ich ihr, als wir den Kindergarten verlassen hatten: "Du bist doch ein bißchen deutsch geworden, mein Kind."

Sie lächelte. Es gefiel mir am meisten, wenn sie fragend lächelte, das erinnerte mich wieder an ihren Vater. An ihn, der drei Generationen von Migranten in der Familie hat. Die sogenannten Muacirlar, die "Gastarbeiter vom Balkan". Sein Opa war in fünf verschiedenen Armeen Soldat. Zum Schluß siedelte sich die Familie in die Westtürkei an.

Wir gingen weiter in der Nordstadt umher. Vor der Nordmarkt-Grundschule blieben wir erneut stehen. Diese Schule hat sie besucht. "In den ersten Wochen wolltest Du unbedingt portugiesisch lernen", erinnerte ich sie. Sie war sprachlich begabt, dann überwog jedoch das Deutsche, die Sprache des Landes, dann erst kam Türkisch, und danach lernte sie schließlich ein paar Brocken meiner raren Muttersprache Lasisch. Sie konnte natürlich die Sprachen der Kinder aus anderen Kulturkreisen nicht in sich aufnehmen. Die von uns erwartete "Integration" ist aber zum Teil erfolgt. Deutsch wurde zur einzigen Sprache, in der sie sich schriftlich ausdrücken kann.

Zum Schluß unseres Bummels gelangten wir zum Nordmarkt, wo das Antifa-Denkmal steht. In der Mitte des Platzes suchten wir die Bäume, die wir vor Jahren nach uns benannt hatten. "Ein Baum für Mama, ein Baum für Papa, ein Baum für mich", hieß es damals. Unsere Bäume standen noch da. Am Nordmarkt, auf dem wir gerne Zeit verbracht haben, unter dem grauen Himmel.

Sie schaute sich fröhlich um. Wie sie es als Kind immer getan hatte. Die neugierigen Blicke gaben mir wie früher Licht fürs Leben. Ich habe mich an sie geklammert.

Wir gingen Richtung Fredenbaum-Park. Irgendwann standen wir vor einem Gebäude, in dem wir fast 20 Jahre gewohnt hatten. Eine Weile habe ich meine Worte zurückgehalten. Ich schaute sie bewundernd an. Meine "Prinzessin", das Kind meiner Träume. Ich brauchte keine Ängste mehr zu haben. Sie weiß, was sie will. Ihr Leben wird bestimmt sorgloser sein als das meine. Die innerlichen "Kleinkriege" wird sie wohl nicht kennenlernen. Sie wollte ja ein bißchen deutsch sein. Das Leben hat ihr gestattet, noch einheimischer in dieser Stadt zu werden als ich.

Ich bin recht beruhigt nach Hause gegangen, an diesem Tag voller Eindrücke.

Selma Kociva, Dortmund

Raute

Verzerrte Fernsicht

Gern gehen sie ins Theater und richten ihr Opernglas klargeputzt und geschliffen sogleich auf das Bühnenbild, um zu erfahren, was denn in der Inszenierung, die längst schon gelaufen ist, von Bedeutung gewesen sei. Aber weil sie, statt das Geschehene näher heranzuholen, ihr Glas falsch rum gehalten hatten, wurden alle Dinge, die Auskunft geben könnten, was einst gewesen war, sehr klein.

Da machten sie aus der Not eine Tugend und ließen ihrer Phantasie beim Rekonstruieren freien Lauf, zumal die Darsteller des seinerzeit inszenierten Stückes notgedrungen und selbstverständlich ohne Applaus die Bühne schon vor langem verlassen hatten.

Weil aber die eifrigen Betrachter persönlich niemals dabeigewesen waren und so auch nicht erfahren hatten, wie sich die Handlung des Stückes damals entwickelte, so daß daraus eine lebendige Aufführung entstanden war - mit allen Höhen und Tiefen, spannend und voller Konflikte, komisch und tragisch, manchmal auch schön -, machten sie sich eben ihr eigenes Bild. Und da saßen sie nun im ersten Rang, die kritischen Geister vom Dienst, und rätselten, wie es gewesen sein könnte. Dabei entdeckten sie, daß die einstigen Helden auf der Bühne mit wenigen Ausnahmen allesamt schiefe Nasen und riesige Ohren hatten, Glubschaugen sowieso und natürlich ein riesengroßes Maul, wie es von alters her aus dem Fragespiel zwischen Rotkäppchen und dem bösen Wolf bekannt ist.

Dennoch, man wollte ihnen helfen und bewußtmachen, worin ihre Fehler bestanden.

Aber wenn die Sünder nach 20 Jahren noch immer nicht begriffen hatten, daß sie im falschen Stück oder, um es deutlicher zu sagen, im Unrechtsstaat mitgespielt hatten, mußte man ihnen täglich Geschichten präsentieren, die abscheulich genug waren, den Rest ihres Selbstbewußtseins zu beerdigen.

Wenn aber selbst das nicht hilft, könnten sich einstige Bewohner eines Panoptikums anteilnehmend davon überzeugen, wie man Raubtiere in einem freiheitlichen Staat behandelt.

So einfach wie im Märchen - Steine in den Bauch und ab in den Brunnen - geht das freilich nicht. Da muß der Staat schon mal ein paar hundert Milliarden Euro aus der Steuerkasse lockermachen und ihnen in den Rachen werfen. Damit sie, die Wölfe und Haie und die Finanz-Hyänen, bei Kräften bleiben.

Notfalls, aber wirklich nur in der allergrößten Not, droht man damit, das Allerheiligste anzutasten: Enteignung!

Man kratzt ein bißchen am Eigentum, ein ganzes halbes Jahr, daß es alsdann, bittschön, unbefleckt weiterhecken kann.

Nachsatz: Was mit den Ameisen werden soll, den kleinen fleißigen Geschöpfen? Ist doch ganz einfach: Kurzarbeit!

Ausgleich? Man muß nicht übertreiben, schließlich sind Hügel von Natur aus immer schon niedriger und nie so ansehenswert gewesen wie Schlösser in den Bergen.

Dr. Käthe Seelig

Raute

Wie mir Omis Weltbild Denkanstöße vermittelte

RotFuchs"-Autor Dr. Ernst Heinz hat in seinem Artikel mit der Unterzeile "Wenn Kinder und Enkel uns Ältere fragen" (RF 134) dankenswerterweise an das Buch von Prof. Jürgen Kuczynski "Dialog mit meinem Urenkel" erinnert. Nun haben sicher nicht viele Kinder einen politisch so hochgebildeten Großvater. Meine Omi Alwine - Jahrgang 1867, gelernte Näherin und mit einem Buchdrucker verheiratet - führte mich in ganz anderer Weise und sicher unbewußt an das Verständnis politischen Geschehens heran.

"Omi, was bedeuten denn die großen Buchstaben?"

Ich hatte 1928/29 in der Schule das Abc beigebracht bekommen und fand alles, was ich nun entziffern konnte, hochinteressant. Aber vom Lesen zum Verstehen war es noch ein großer Schritt. Meine Frage an die Omi bezog sich auf die seltsamen Buchstabenkombinationen, die damals an Häuserwänden, Litfaßsäulen und anderswo im Stadtbild Berlins zu entdecken waren. Ich buchstabierte schon ohne Mühe: WÄHLT NSDAP, WÄHLT SPD, WÄHLT KPD ... Aber was steckte dahinter? Die Omi erklärte mir das so: "NSDAP heißt Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Die wollen durch einen neuen Krieg das zurückholen, was Deutschland beim letzten verloren hat. Das will ich aber nicht. Ich will keinen Krieg mehr! SPD heißt Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Die wollen auch keinen Krieg, sind für mehr Gerechtigkeit. Aber das verstehst Du noch nicht. Na, und KPD heißt Kommunistische Partei Deutschlands. Die sind dagegen, daß ein paar Menschen sehr reich sind und es andererseits so viele Arme gibt. Das wollen die ändern."

Aha.

"Omi, warum hängen meine Eltern eigentlich nie eine Fahne über unsere Ladentür?" fragte ich angesichts des roten Fahnenmeeres in meinem Kiez, also in der Gegend um die Ebeling-, Weißbach-, Eberty-, Kochan- und Petersburger Straße, wenn wieder Wahlen bevorstanden. Omis Erklärung: "Bei Deinen Eltern kaufen Sozialdemokraten, Nazis und Kommunisten ihre Taschenlampenbatterien, Glühbirnen und Heizkissen. Würde der Papi eine Fahne raushängen, sagen wir mal 'ne rote, dann würde er viele Kunden von den anderen Parteien verlieren - und das macht sich an der Abendkasse bemerkbar." Das leuchtete mir ein, und ich verstand nun auch, warum bei allen Geschäftsleuten, die ich kannte - also Bäcker Siebeneicher, Fleischer Schubert, Kaufmann Villwock, Gemüsehändler Engelke, Farbenhandlung Tanculski nie eine Fahne über der Ladentür wehte.

Aha.

"Omi, warum sind die Juden unser Unglück?" erkundigte ich mich einige Jahre später.

"Wer hat Dir denn solchen Quatsch eingeredet?"

"Na, neulich zu unserem Jungvolk-Heimabend machten wir einen Tischtenniswettkampf, und da war ich der Sieger. Als Gewinn durfte ich mir eines von zwei Büchern aussuchen. Das eine war ein Geschichtsbuch für die 8. Klasse, auf dem anderen stand 'Der ewige Jude'. Ich nahm das erste. Der Fähnleinführer wunderte sich und fragte, warum ich denn nicht das andere genommen hätte, das sei doch viel lustiger. Da habe ich gesagt, daß mein Kinderarzt ein Jude sei - der würde aber überhaupt nicht so aussehen wie der Mann auf der Titelseite. Auch meine Freundin Steffi wäre eine Jüdin. Die würde es bestimmt kränken, wenn ich ein solches Buch besäße." "So so", hatte der Fähnleinführer gesagt und hinzugefügt: "Da müssen wir uns wohl mal mit Deinen Eltern unterhalten."

Die Omi machte ein Gesicht, wie ich es bei ihr noch nie gesehen hatte - gewissermaßen eine Mischung aus Belustigung und Verstörtheit. Nach einer Weile sagte sie: "Du hast richtig gehandelt. Ich bin stolz auf meinen Enkel!"

Aha.

"Omi, Hindenburg ist gestorben."

Beim Spielen mit den Kindern im Nachbarhaus hatte ich die Radiomeldung aufgeschnappt. Aus der Schule wußte ich, daß dieser Mann eine "wichtige Persönlichkeit" war: der "Held von Tannenberg" nannte sich jetzt Reichspräsident.

Omi, die beim Unkrautjäten in unserem Garten war, richtete sich gar nicht erst auf. Ich hörte sie nur murmeln: "Wieder ein unnützer Fresser weniger."

Aha.

Die gute Omi Alwine konnte Jürgen Kuczynski in puncto politischer Bildung sicher nicht das Wasser reichen, hatte aber durchaus ihr eigenes Weltbild. So gab sie ihrem Enkel wichtige Denkanstöße, an die er sich gern erinnert.

Helmuth Hellge, Berlin

Raute

Kein Grund, das Bücherregal auszuräumen

Der "Fall Strittmatter"

Die Vorbereitung des uns bevorstehenden Jahrestages "Mauerfall" nimmt Fahrt auf. Die "Bearbeitung" der Geschichte der DDR wird immer schärfer und umfassender geführt. Aber auch: unbedarfter, gröber und unverfrorener. Alle Lebensbereiche jenes vergangenen deutschen Landes zwischen Oder und Elbe geraten ins Visier von Geschichts- und Moraldeutern. Was wert war, soll aus dem Gedächtnis verschwinden! Was noch Wirkung haben könnte, soll eliminiert werden.

Nun also der "Fall Strittmatter". Seit Monaten auf- und abschwellend wird er mit Getöse, sensationsgierig und pseudowissenschaftlich in Medien sowie auf Veranstaltungen rauf und runter diskutiert. Unzweifelhaft ist, daß es sich dabei nicht mehr nur um einen biographischen Fakt aus dem Leben des Schriftstellers dreht. Hier geht es um die Nichtanerkennung seines gesamten Werkes. Noch mehr: Es werden Wertigkeit und Wirkung der gesamten DDR-Literatur zur Disposition gestellt. Aber was nun? Da sitz ich armer Leser nach der monatelangen Diskutiererei über den "Fall Strittmatter" in meinem Büchersessel und grübele: Hat er mir nun in seinen Büchern etwas aus seinem Leben verschwiegen oder nicht? Meldete er sich freiwillig zur SS, oder wurde er "gezogen"? Wußte er als Kompanieschreiber in einem SS-Polizeiregiment von Verbrechen oder nicht? War er gar daran beteiligt?

Ich, heute ein älterer Mann, bin lange durch ein Leseland gewandert, geographisch ein kleines, literarisch ganz sicher nicht. Ein treuer Wegbegleiter war mir in all den Jahren neben vielen anderen, nun ja: auch ER - der Erwin Strittmatter. War mir ein unterhaltsamer Freund. Was für spannende Geschichten erzählte er mir! Merkwürdige und viele merkenswürdige, auf jeden Fall immer erkenntnisreiche. In einer wundersamen poetischen Sprache schrieb er mir sie auf. Nun ja, nicht nur mir!

In unseren häuslichen Bücherregalen stehen die meisten seiner gedruckten Geschichten: vom ersten Roman, dem "Ochsenkutscher", bis zum traurigen Abschiedsbuch "Vor der Verwandlung". Dazwischen all die anderen. Seine Bühnenhelden aus dem "Katzgraben" und der "Holländerbraut" sind mir in der Erinnerung geblieben.

Ja, was mache ich nun mit seinen Büchern? Etwa raus aus unseren Regalen? Raus damit, weil er mir vielleicht etwas nicht erzählt hat, wohin ihn "des Lebens Spiel" trieb. Wirklich raus?

Geriete ich da nicht in große Schwierigkeiten, weil ich so manchen Autor ebenfalls aus ihnen verbannen müßte? Solche, die mir aus ihrem Leben etwas nicht aufschrieben? Auszusortieren hätte ich da wohl Klassiker, etliche aus der großen bürgerlichen Literatur, manchen Modernen oder aus dem Regal "BRD-Literatur". Soll ich die Günter-Grass-Retourkutsche fahren? Oder was ist mit dem Büchern und Schriften des klugen Moralisten Walter Jens? Auch er verschwieg sich und uns ein dunkles Lebensgeheimnis. Schlimme Lücken entstünden in den Bücherregalen! Schlimmer noch: Lese-Lücken entstünden. Erkenntnismöglichkeiten gingen verloren.

Ach, ja: Müßte ich da nicht auch die Gedichtbände der Eva Strittmatter ins dauernde Exil schicken? Deshalb, weil sie als Ehefrau Strittmatters vielleicht doch etwas von einem möglichen Lebens-Geheimnis ihres Erwin wußte? Etwas, was da im Keller vom Schulzenhof unruhig schläft? Übrigens, wäre das nicht ein trefflicher Gegenstand für den nächsten literarischen Streit, wenn der jetzt diskutierte "Fall" ausgefochten zu sein scheint? Nicht zuletzt: Schicke ich nun gleich in einem Aufräumen (soll ich sagen: Abwasch?) auch die Strittmatter-Biographie von Günther Drommer vor die Tür unseres kleinen Bibliothekszimmerchens?

Meine Frau und ich, wir haben uns folgendermaßen entschieden - bekräftigt auch durch die bisherige Diskussion: Wir werden auf unserer weiteren Lesewanderung durch das Leben nicht auf die Geschichten des Erwin Strittmatter verzichten. Und auch nicht auf die Gedichte seiner Frau Eva. Sie machten und machen unser Leben reicher, auch an Erkenntnissen. Auf dem Nachttisch meiner Frau liegt zur Zeit gerade der "Tinko". Sie liest ihn noch einmal, so wie wir ihn vor vielen Jahren gemeinsam mit unseren Kindern gelesen und erlebt haben. Auf meinem Nachttisch zum Zugreifen u. a. bereit: der kleine rote Band vom Aufbau-Verlag mit sämtlichen Gedichten von Eva Strittmatter. Jeden Abend vor dem Einschlafen lese ich weiterhin zwei oder drei ihrer kleinen Kunstwerke. Das tut meiner Seele gut und macht mich ein wenig freier. Auch wenn ich nicht alle ihre Gedichte mag.

Und was die Drommer-Biographie betrifft: Auch die bleibt im Bücherregal stehen! Eine Biographie, die uns den Strittmatter näher gebracht hat. Vor zehn Jahren geschrieben - wahrhaftig, dem damaligen Kenntnisstand entsprechend, sprachlich ausgefeilt, der Literatur und dem Leser dienend. Was man in der bisherigen Diskussion um dieses Thema durchaus nicht von allen sagen kann, die sich da zu Wort meldeten.

Und da sitz ich nun, ich kleiner Leser, in meinem Bücherzimmer und fühle mich so gar nicht arm. Da wollen mich so viele über Erwin Strittmatter belehren. Unter ihnen aufgeregte Aufklärer, im Glashaus Sitzende, große Verallgemeinerer, des Dichters Werk Unkundige und schließlich diejenigen, die mit Strittmatter eigentlich die gesamte DDR-Literatur begraben wollen.

Allen sei ins Merkbüchlein geschrieben, so sie denn eines besitzen: Über das Werk des Erwin Strittmatter, über dessen Wirkung und über sein schriftstellerisches Leben haben Generationen von Lesern schon entschieden. Auflagenzahlen und die Zahl der Übersetzungen seiner Bücher beweisen das. Uns, die wir sie lasen, wird er mit seinen Geschichten in der Erinnerung bleiben. Wir werden ihn erneut lesen, und er wird weitere Leser finden!

Auch wenn nicht sein soll, was Tatsache ist: Die vierzigjährige Geschichte der DDR-Literatur stellt ein wichtiges Kapitel deutscher Nationalliteratur nach dem zweiten Weltkrieg dar. Mit gewichtigen und leichtgewichtigeren Werken, wie das in der Literaturgeschichte eben normal ist.

Was mein Grübelproblem betrifft: Darf mir ein Schriftsteller aus seinem Leben etwas verschweigen oder nicht? Da bin ich durch die Diskussion über den "Fall Strittmatter" in folgender Erkenntnis bestätigt worden: Jeder Schriftsteller holt den Stoff für seine Werke aus seiner Biographie und seiner Erlebniswelt. Was er davon für die Geschichte, die er aufschreibt, auswählt, ist allein seine Entscheidung. Für die Bewertung seines Werkes zählt nur, ob die Fabel wahrhaftig aufgeschrieben wurde, ob sie der Wirklichkeit gerecht wird. Der Schurke oder der strahlende Held in einem Roman oder Bühnenstück sind nicht mit ihrem Schöpfer, dem Schriftsteller oder Autor, identisch! Deshalb können ihr eigenes Bestehen oder Versagen durchaus Thema einer moralischen oder politischen Debatte sein. Aber ihr Leben kann nicht Gegenstand einer Diskussion über den literarischen Wert ihres Werkes werden. Auch nicht bei Erwin Strittmatter.

Dr. Malte Kerber

Raute

Im Blätterwald der U-Bahn

Um es vorwegzunehmen: Ich fahre ungern mit der U-Bahn. Das dunkle, langweilige Tunnelerlebnis ist nichts für mich. Lieber benutze ich das Fahrrad und genieße die frische Luft. Manchmal aber läßt sich der Einstieg in die ungeliebte Metro nicht vermeiden. Wenn ich schon in den sauren Apfel beißen muß, nehme ich ein Buch zur Hand oder beobachte die Menschen.

Eine Entscheidung dafür hellt meine Stimmung allerdings nicht auf. Das liegt vor allem daran, daß ich ständig irgendwelche mörderischen Schlagzeilen vor mir sehe, deren bloßer Anblick gehörig nervt. Um mich herum knistert ein undurchdringlicher Blätterwald aus "Berliner Kurier", "BZ" und "Bild". Warum gibt es hier eigentlich kein Waldsterben? Warum nehmen Menschen solche unerträglichen Verdummungsrituale in Kauf? Wurden denn alle Bibliotheken geschlossen?

Früher sprach man vom "Leseland DDR". Ich bin dort aufgewachsen und weiß, daß an diesem Wort etwas dran war. Studien, die das Leseverhalten von Ost- und Westdeutschen verglichen, führten den Nachweis, daß DDR-Bürger tatsächlich mehr als BRD-Bürger gelesen haben. Das lag mit Sicherheit auch am soliden Schulsystem der DDR, dessen Architekten auf Bildung setzten. Leider hat sich inzwischen der Osten hier dem Westen angeglichen. Tatsächlich ist die "Einheit" in dieser Hinsicht bereits vollzogen worden.

Wahrscheinlich haben wir noch nie in einer Periode gelebt, in der einerseits so viel Wissen verfügbar war und andererseits so viel Dummheit konsumiert wurde wie heute.

In der DDR-Schule brachte man mir bei, daß die Ausbeuterklassen Menschen absichtlich in Unwissenheit halten, um ihre Herrschaft zu sichern. Das war richtig. Vor allem sollen die gesellschaftlichen Zustände nicht erfaßt und verändert werden. Es geht darum, daß die Leser der bunten Blätter nicht die richtigen Fragen stellen, erst recht aber keine Antworten darauf finden. "Bild", "BZ" und "Kurier" sorgen dafür wohl am wirkungsvollsten, aber nicht als einzige. Da gibt es ja noch die Sender.

Kürzlich hat der Göttinger Professor für Didaktik des Geschichtsunterrichts Michael Sauer an dreizehn Gymnasien in Niedersachsen eine Befragung zu Geschichtsdaten durchgeführt, die den Schülern geläufig sein sollten. Den 93 Lehrern, die dabei mitmachten, wurden anfangs 248 historische Jahreszahlen vorgelegt, die man dann auf 104 reduzierte. Das Ergebnis spricht Bände: Um die Abdankung Wilhelm II. weiß man Bescheid, die Novemberrevolution aber ist unbekannt. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bestückt man mit Namen wie Hitler, Hindenburg, Woodrow Wilson oder Friedrich Ebert. Geschichte der Arbeiterbewegung? Fehlanzeige!

Noch grotesker verhält es sich mit der Personenliste der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hier genügen Adenauer und Kohl!

Ganz übersichtlich ist die Situation, wirft man einen Blick auf das internationale Geschehen. Weder die Gründung der Volksrepublik China noch die afrikanische Befreiungsbewegung verdienen Erwähnung. Es muß wohl nicht darauf verwiesen werden, wie es mit den Geschichtskenntnissen zur DDR aussieht.

Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Welche Eindrücke werde ich wohl beim U-Bahn-Fahren gewinnen, wenn noch mehr Jahre ins Land gegangen sind und die staatlich verordnete Verblödung bis in den letzten Winkel des Gehirns vorgedrungen ist? Der Gedanke daran läßt mich schaudern.

Hoffnung macht mir indes meine auch aus dem Geschichtsunterricht in der DDR abgeleitete Überzeugung, daß sich Menschen nie auf Dauer täuschen lassen. Der Wille nach Wahrheit und Erkenntnis gewinnt am Ende doch die Oberhand, weil die Suche nach beiden nun einmal zum Menschsein gehört.

Ulrich Guhl, Berlin

Raute

Epilog

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Apropos FKK

Gerne lesen wir im "RotFuchs" Erinnerungen, ernste wie auch fröhlich-anekdotische ... Mein Stichwort heute ist FKK; nein, nicht Jan Koplowitzens ziemlich verbissene Ostsee-Nacktbaderei (wie die Fama behauptete), sondern Friedrich Karl Kaul. FKK eben. Bei unserer ersten und einzigen Begegnung war er Justitiar des Berliner Rundfunks, damals noch im Westen Berlins in der Masurenallee angesiedelt. Die Stumm-Polizei hatte in einer angrenzenden Straße drei Kollegen - man kann es nicht anders nennen - gekidnapt. Von der Justiz war gegen das Trio eine Anklage wegen Menschenraubs konstruiert worden. Es kam zum Prozeß. FKK plädierte auf Freispruch und erreichte ihn auch. Der Fall machte ihn schlagartig bekannt. Mit diesem Erfolg, glaube ich, wurde seine enorme Popularität begründet.

Was lag näher, als aus den Vorgängen wie aus den Hintergründen des Geschehens ein Hörspiel zu machen. Natürlich hat er es getan. Gottfried Herrmann, Regisseur und Produktionschef beim Berliner Rundfunk, inszenierte es, ich war sein Assistent. So ergab sich die oben erwähnte Begegnung. Zwei Erinnerungen sind an sie geknüpft. Als Kauls Plädoyer vor Gericht aufgenommen werden sollte, ließ Gottfried Herrmann alle jungen Kollegen in den Hörspielkomplex kommen, um einer außerordentlichen schauspielerischen Leistung beizuwohnen: Wolfgang Langhoff hielt das Plädoyer. Das war in höchstem Maße beeindruckend: Kein zweites Mal in meiner Rundfunkzeit wurde mir Sprache so konzentriert, klar, klug, in intellektueller Schärfe, geistiger Überlegenheit und Souveränität zum Erlebnis. Friedrich Karl Kaul plus Wolfgang Langhoff eben.

Die zweite Erinnerung. Nicht immer hatten alle an der Produktion Beteiligten angespannt zu arbeiten. Pause also und FKK erzählte: Ein GI in einem sehr vornehmen britischen Klub, laut, ungeniert, Beine auf dem Tisch, winkt dem Ober. Wo denn hier eine Toilette sei. Der Befrackte beschreibt den Weg: "... und da finden Sie eine Tür, auf der steht Gentlemen. Aber gehen Sie ruhig rein!" Die Story habe er dem amerikanischen Kommandanten erzählt, berichtete FKK hintergründig grinsend.

Der "RotFuchs" sollte noch mehr als bisher daran erinnern, daß es jenseits aller Anstrengung auch fröhlichen Alltag in der DDR gab!

Werner Wüste

Raute

Elfriede Brüning: Korrespondenz eines Dreivierteljahrhunderts

Briefwechsel dokumentieren besonders authentisch das Leben und Schaffen eines Menschen, aber auch dessen Stellung zu Zeitgenossen, und offenbaren deren Anerkennung und damit auch die Resonanz auf ein Lebenswerk. Die Korrespondenz ist ursprünglich meist Verständigungsmittel, beinhaltet oft Dialoge zu den unterschiedlichsten Problemkreisen und ist nicht selten ein authentisches Zeitdokument.

Der literarische Weg der heute hochbetagten Schriftstellerin Elfriede Brüning (geb. 1910) verläuft von der Weimarer Republik und dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (1932) über die finstere Schreckensherrschaft des Faschismus, die 40jährige Geschichte der DDR bis in die Zeit der kapitalistischen Restauration. Die Autorin erreichte mit ihren Büchern in der DDR hohe Auflagen und eine breite gesellschaftliche Resonanz. Auch nach 1989 bemühte sie sich energisch darum, ihren Leserkreis zu erweitern. Neben manchen Nachauflagen ("Regine Haberkorn" u. a.) erschienen neun neue Bücher ("Und außerdem war es mein Leben", "Gedankensplitter" u. a.).

Die in Berlin lebende Schriftstellerin entschloß sich 2005, ihr literarisches Erbe (Vorlaß) dem Fritz-Hüser-Institut in Dortmund zu übergeben, das Literatur und Kultur der Arbeitswelt sammelt und erschließt. Die Autorin äußerte den Wunsch, ihre Korrespondenzen herauszugeben. Für die aufwendige Aufgabe konnte Eleonore Sent gewonnen werden. Sie stellte den Briefwechsel aus einem Dreivierteljahrhundert zusammen und kommentierte ihn akribisch. Die Herausgeberin versah die Edition mit einem detaillierten achtteiligen Anhang auf 60 Seiten, unter anderem einem fast neunseitigen Namensregister.

Einerseits vermittelt die Korrespondenz der Elfriede Brüning Auskünfte der Autorin über ihren Alltag, ihr literarisches Werk, individuelle Schaffensprobleme, die Entstehungsgeschichte ihrer Bücher, ihre Stellung zu zahlreichen Zeitgenossen. Unter den Briefen der Schriftstellerkollegen, Verleger und Lektoren finden sich solche von Berta Waterstradt, Anna Seghers, Hedda Zinner, Eva Strittmatter u. v. a. Etliche Leserbriefe reflektieren politische, menschliche, geistige, künstlerische Verbundenheit, gegenseitige Wertschätzung und Anteilnahme.

Der Briefband porträtiert den schriftstellerischen Lebensweg der Elfriede Brüning, die Einflüsse gesellschaftlicher Strukturen auf ihr Schaffen und lebensgeschichtliche Zäsuren. Ein Teil der Korrespondenzen hält werkgeschichtliche Phasen in den unterschiedlichen politischen Zeitläuften fest. Auf diese Weise gerät die Briefedition einerseits zur Ergänzung eines Lebenswerkes und andererseits zu einer Fundgrube an hautnahen Zeitzeugen-Bekundungen. Politische und künstlerische Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Erkenntnisse und Sichten auf die bewegten Epochen bilden geradezu ein Kaleidoskop, unter dem mosaikartig ein vielfarbiges Bild entsteht. Auf diese Weise wird der Leser mit dem Literaturbetrieb der DDR vertraut gemacht.

Dieses kleine Land hat ein bedeutendes Stück Literatur- und Verlagsgeschichte des 20. Jahrhunderts gestaltet. Der Briefband erhellt authentisch und überzeugend das, was Elfriede Brüning als Lebensleistung präsentiert.

Erste zustimmende und anerkennende Botschaften erhielt die Schriftstellerin u. a. von Prof. Hans-Wolfgang Lesch (Universität Würzburg), Klaus-Rainer Goll (Leiter der Lübecker Literaturgruppe) und H.A. ten Dam-Kiesselbach aus Amsterdam.

Dieter Fechner

Brüning, Elfriede: Ich mußte einfach schreiben, unbedingt ..., Briefwechsel mit Zeitgenossen 1930-2007, herausgegeben von Eleonore Sent, Schriften des Fritz-Hüser-Instituts 17, Klartext-Verlag, Essen 2008, 462 S., 34,95 Euro, ISBN 978-3-89861-846-5

Raute

Archie und das Kaiserschloß

Als am 3. März im RBB-Fernsehen wieder eine Sendung über den Palast der Republik gebracht wurde und schon in der Ankündigung die Absicht deutlich formuliert war - Triumph über seine mutwillige Zerstörung -, kam Archie der Kaffee hoch. Er schaltete kurz nach Beginn ab. Auch der Text in der Programmzeitung "HÖRZU" verursachte ihm Übelkeit. Es herrschte im Programm ein so rüder Propaganda-Stil gegen die DDR, daß er geradezu lächerlich wirkte. Da beschränkte man sich auf Vokabeln wie "pompöser Palast", genannt "Palazzo Prozzo" und "Erichs Lampenladen". Beide Bezeichnungen machten seinerzeit zwar hier und dort die Runde, waren aber vermutlich Wortschöpfungen westlicher Herkunft. Niemand begab sich in den "Palazzo Prozzo", wenn er zum Konzert oder in den "Kessel Buntes" wollte. Kein Mensch sagte: Wir gehen in "Erichs Lampenladen" essen, wenn eines der Restaurants gemeint war. Weiter aber liest man im Text: "Rund 60 Millionen Menschen sahen im 1976 eröffneten Palast der Republik Shows, feierten Feste, speisten feudal."

Eigentlich müßte es heißen: speisten normal wie in anderen Restaurants auch, zu ganz normalen Preisen, als ganz normale Werktätige. Einzige Bedingung: Man mußte Platz finden. Was jetzt die fast leeren Gaststätten in der Umgebung des plattgemachten Palastes bieten, wäre vielleicht feudal zu nennen, besonders was die Preise betrifft. Da sollte man ruhig die Palast-Speisekarten, die es in Archiven ja noch gibt, zum Vergleich heranziehen. Viele Journalisten schreiben einfach diffamierendes Zeug auf, weil das Verteufeln der DDR erwünscht ist.

Was war pompös am Palast der Republik, sollte man fragen. Ist der Potsdamer Platz nicht viel pompöser? Geschmacksfrage, Stilfrage, Klassenfrage.

Es war zu Beginn der 80er Jahre. Archie hatte Besuch von zwei seriösen älteren Westberliner Intellektuellen aus dem Bildungsbürgertum - einem pensionierten Studienrat für Kunstgeschichte und einem gutsituierten Architekturdozenten im Ruhestand. Sie blickten von den Stufen des Alten Museums hinüber zum Palast der Republik, der von der Nachmittagssonne überstrahlt wurde. Die beiden waren sich spontan darin einig, daß dieses Bauwerk dorthin paßte und sich als postmoderne Architektur durchaus sehen lassen konnte. Sie gingen durch den Lustgarten in ein Speiserestaurant des Palasts und betonten gesprächsweise, die DDR betreibe inzwischen etliche Gaststätten mit gediegener Atmosphäre. Archie dachte über das Wort "gediegen" nach. Wurden vom Theater im Palast nicht auch gediegene Inszenierungen gezeigt, z. B. Heiner Müllers Adaption des französischen Romans "Gefährliche Liebschaften" von Choderlos de Laclos? Warum distanzieren sich heutzutage einige ehemalige Theater-Macher davon und treten den Palast in den Schmutz? Um sich anzubiedern, wie sie es stets getan haben? Um im Geschäft zu bleiben, mit wem auch immer?

Archie sah damals eine Aufführung des "Canto General" von Pablo Neruda unter der Stabführung von Mikis Theodorakis im Großen Saal des Palasts und war beeindruckt!

Als er 1952 mit einem Pappkoffer nach Berlin kam, um sein Studium an der Humboldt-Universität aufzunehmen, ging er oft über den großen freien Platz in Richtung Alex, wo er zeitweilig in einer inzwischen abgerissenen Seitenstraße wohnte. Das Schloß, das früher dort stand, hatte man zu seiner Zeit schon abgetragen. Er versuchte in Bibliotheken und Filmarchiven, sich eine Vorstellung von diesem Bau zu machen. Nach den letzten Umbauten war der Komplex 192 m lang und hatte 1210 Räume. Der mächtige dunkle Klotz glich, nach zeitgenössischen Darstellungen, eher einer Festung gegen das Volk.

Als Wilhelm II. durch die Novemberrevolution zur Emigration nach Holland gezwungen wurde, zogen 1921 mehrere wissenschaftliche Institutionen und das Kunstgewerbemuseum dort ein. Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, wurde das Schloß 1950/51 gesprengt. Einen - politisch auch nicht gewollten - Wiederaufbau hätte die junge DDR wohl kaum finanzieren können. Außerdem besaß die Überwindung der ärgsten Wohnungsnot damals absoluten Vorrang.

Was ist eigentlich historisch? Das wäre auch hier zu fragen. Am 19. August 2008 schrieb die "Berliner Zeitung": "Ist ein neues Schloß historischer als der Alexanderplatz aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts? Und zeigt nicht gerade die Spandauer Vorstadt, daß sich gute, phantasievolle neue Architektur mit Altbauten glänzend verträgt? Was ist Mitte, was soll historisch sein in einer Stadt, die sich gerade durch historische Vielfalt auszeichnet - das muß geklärt werden vor jeder Gestaltungssatzung."

Übrigens, warum gibt es keine Dokumentation über asbestverseuchte öffentliche Gebäude in der Alt-BRD und in Westberlin sowie über dort nach 1945 voreilig abgerissene historische Bauten?

Die Beseitigung des Palasts der Republik läßt selbst ehemals DDR-kritisch eingestellte Intellektuelle den Kopf schütteln. Vielleicht erlebt Archie ja noch die Mogelpackung des Schloßneubaus als "Humboldt-Forum". Aber sicherlich wird es in der globalen Krise schwer sein, Geld für solcherlei Unsinn aufzutreiben. Doch gemach: Wenn es um Prestigebauten geht, muß man mit allem rechnen.

Keiner will dem Berliner Schloß Unrecht tun, und so nimmt Archie das 2008 erschienene Buch Hartmut Ellrichs über dieses Bauwerk noch einmal zur Hand. Es dokumentiert akribisch, was nach 1945 von ihm noch übrig war: sehr wenig im Verhältnis zum Gesamtgebäude. Immer wieder werden die Nord-West-Ecke mit dem Weißen Saal erwähnt, das Schlüter-Portal und die Schlüter-Figuren, die als Rudimente existierten ... Im Vorwort wird die Borniertheit des Autors deutlich: "Der 1973 bis 1976 auf dem Baugrund des ältesten Teils des einstigen Berliner Schlosses erbaute 'Palast der Republik' konnte auf Dauer nicht befriedigen. Zudem hatte das DDR-Parteiforum aus Volkskammer und Staatsrat nach 1989 seinen Sinn verloren ... war dem Ort doch ... mit der Sprengung des Schloßgebäudes 1950 sprichwörtlich die Seele abhanden gekommen."

Welche Seele, fragt Archie. Etwa die zweier Weltkriege? Darauf kann man getrost verzichten. Um so angenehmer aber ist die Erinnerung an den Palast - das "Haus des Volkes" -, wie er von vielen seiner Besucher genannt wurde.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Seit gut drei Jahren lebe ich, eine DDR-Rentnerin, auf der zu Frankreich gehörenden und im Indischen Ozean liegenden Insel La Réunion. Durch eine freundliche Geste habe ich aus Deutschland den "RotFuchs" Nr. 130/08 bekommen und mit Interesse gelesen. Eine Wohltat!

Wenn Sie mir die Höhe der Versandkosten des Heftes von Berlin aus mitteilen würden und diese erschwinglich sind, würde ich der Zeitschrift eine Spende zukommen lassen.

Ich habe auf Réunion mit etwa 20 Deutschen und zahlreichen deutschsprechenden Franzosen Kontakt, die alle politisch interessiert sind. Der "RotFuchs" wäre eine Bereicherung für unsere Gespräche.

Marianne Hoffmann, Piton Saint-Leu, Réunion


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Rasch ein Gruß aus dem Nordwesten - und ein Dank für beschlagene Recherche, klare Fundierung und deutliche Kommentierung! Dank auch für Eure "Bleiwüsten"-Artikel: Denn nur mit bunten Bildchen und "News"-Häppchen macht man keine anständige Zeitung. Dazu bedarf es der Argumentation und des Sachverstandes. Den habt Ihr.

Alles Gute weiterhin, viel Kraft und "holtje munter".

Lübbertus Rehwinkel, Die Rote Spindel, Nordhorn


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Ich war zur Hüft-OP im Krankenhaus und anschließend in einer Reha. In beiden Einrichtungen beschäftigte man auch "Zivis". Ich beglückwünschte sie zu ihrer Entscheidung. Zu den Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverhältnissen, die als Hilfsschwestern galten, sagte ich, daß wir ständig für ihre Interessen auf die Straße gingen. Sie glaubten allerdings nicht, daß ihnen noch jemand helfen könne, ihre Situation zu verbessern. Als ich zu dem "Zivi" in der Reha sagte, seine Haltung trage dazu bei, daß Frauen keine Kriegerwitwen und Kinder keine Kriegswaisen würden, verstand er mich sehr gut.

Deshalb: Wir dürfen nicht still sein, müssen - wo immer möglich - das Gespräch suchen und andere zum Nachdenken anregen.

Elisabeth Monsig, Friedrichsthal


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Schon eine recht lange Zeit lese ich den "RotFuchs" - oder darf ich sagen, unsere Zeitschrift? Er stellt genau das Forum dar, das mir in meinem Leben Kraft gibt und hilft, auf viele Fragen richtige Antworten zu finden oder sie mit meinen Gedanken abzugleichen.

Ein Vorschlag: Ist es nicht an der Zeit, eine "einheitliche" Geschichte der beiden deutschen Staaten nach der Zerschlagung des Faschismus zu erarbeiten? Es liegen ja bereits ausgezeichnete Werke vor. Könnte man nicht ein Buch "Deutschland im Kalten Krieg" herausbringen? Es geht mir nicht um den Titel. Man sollte unsere bisherigen Erkenntnisse zusammen mit neuen Einsichten der letzten Jahre verbinden. Eine Geschichte der DDR oder einzelne Abhandlungen zur Geschichte Westdeutschlands gibt es ja schon. Mir geht es um die grundsätzliche Zusammenfassung dieser Ereignisse, ihre wechselseitigen Abhängigkeiten und Einflüsse. Wir sollten dieses Feld nicht dem Gegner überlassen. Ich selbst habe keine Ausbildung als Historiker und noch kein Buch geschrieben, bin also schlicht und einfach ein Laie.

Peter Fritsch, Lviv


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Ulrich Guhl fragt im RF 135, wo die Bürgerrechtler vom Herbst 1989 geblieben seien. Er nennt den Kreis um Bohley und Eppelmann. Waren das aber die wahren Bürgerrechtler jener Zeit, oder sind sie nicht jene, welche erst durch die Westmedien zu Helden gemacht wurden? Waren nicht die Millionen Staatsbürger der DDR (einschließlich der SED-Mitglieder) die wahren Bürgerrechtler, als sie nicht die Abschaffung ihres Staates, sondern einen besseren Sozialismus forderten?

Am Zentralen Runden Tisch wurde eine Arbeitsgruppe "Neue Verfassung der DDR" gebildet, die in dessen Auftrag einen entsprechenden Entwurf vorlegte. Nach 20 Jahren wird es doch endlich Zeit, aus den Verfassungen der DDR von 1949/1968/1974, dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches und dem Grundgesetz für die alte BRD eine Gesamtdeutsche Verfassung (Entwurf) zu erarbeiten. Diese tritt in Kraft, wenn sie "von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist" (Art. 146, Geltungsdauer des Grundgesetzes für die BRD, letzter Halbsatz des GG).

Übrigens war ich vor 20 Jahren Sekretär der AG Neue Verfassung der DDR des Zentralen Runden Tisches.

Dr. Klaus Emmerich, Kassel


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Die "Väter" des Grundgesetzes waren der Meinung, daß nach der Vereinigung beider durch die UNO anerkannter Staaten BRD und DDR eine neue Verfassung notwendig sei. Diese Empfehlung wurde später von den bundesdeutschen Machthabern verworfen. Statt dessen stützt man sich auf einen Passus über den "Beitritt zum Bundesgebiet". Der Vereinigung mit der "Zoffjett-Zone", wie Adenauer die verhaßte DDR nannte, war somit ein Riegel vorgeschoben. Der sogenannten Wende folgte also konsequent der "Beitritt". Die Vokabel Wiedervereinigung war von Anfang an eine Lüge.

Joachim Loeb, Berlin


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Zu dem Artikel von Bernd Graupner "Nichts Genaues weiß man nicht" (RF 135) folgende Anmerkungen: Herr Graupner schreibt, daß das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu einer Zeit in Kraft getreten sei (24. Mai 1949), zu der es diese noch gar nicht gegeben habe. Hier irrt Herr Graupner. Das Bestehen der Bundesrepublik, also ihre Existenz als Rechtsordnungssubjekt, datiert mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, also mit dem 24. Mai 1949 (s. Art. 145 Abs. 2 GG).

Weiter schreibt Herr Graupner, daß das GG gem. Art. 144 (1) "dem deutschen Volke zur Ratifizierung unterbreitet werde". Art. 144 aber besagt in Abs. 1: "Dieses Grundgesetz bedarf der Annahme durch die Volksvertretungen in zwei Dritteln der deutschen Länder, in denen es zunächst gelten soll."

Ich möchte Herrn Graupner für seinen Beitrag danken. Die Verfassungsdiskussion muß weitergeführt werden.

Günter Finke, Bramsche


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Carl Friedrich von Weizsäcker hat sich, in der DDR an Tagungen teilnehmend, als angenehmer, sachkundiger Diskussionspartner erwiesen. Wenn wir - was selten geschah - über Politik debattierten, ging es um Fragen des Friedens, der Abrüstung, der Raketenrüstung und dergl. Da gab es keinen Dissens, und auch in den reinen Fachfragen ging man respektvoll miteinander um. Es überraschte uns, daß er den Kapitalismus völlig verstand und durchschaute, ohne auf eine SED-Parteischule gegangen zu sein. Man vergleiche das mit dem Wirken einstiger SED-Zöglinge - schaue ich in deren auch heute noch lesbare Bücher (etwa jene Dieter Kleins) -, die sich unterdessen als demokratisch-sozialistische Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus üben.

Im Darwin-Jahr darf man vermuten: Lebte Weizsäcker noch, würde er der Entdeckung der Abstammung der Menschen vom Affen hinzufügen, daß es auch eine Umkehr der Evolution gibt.

Dr. Robert Steigerwald, Eschborn


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2007 bot mir ein Freund den "RotFuchs" zur Lektüre an. Die mir bis dahin unbekannte Zeitschrift wurde von Anfang an zu meiner geistig-politischen Heimat.

Inzwischen bin ich Mitglied des Fördervereins. Ich verfolge alle Beiträge, insbesondere jene zu unserer Geschichte, zu unserem Tun und Lassen, zu unseren Erfolgen und Niederlagen mit großem Interesse. Dazu gehören auch diese Fragen: Wie steht man zu seiner Vergangenheit, wie hat man sich nach 1990 eingerichtet, was ist aus den politischen Standpunkten geworden?

Dabei stößt man manchmal, selbst bei Personen in ehemals exponierter Führungsverantwortung, auf Verhaltensweisen, die mir unverständlich sind und mich ratlos machen. Das betrifft u. a. die Mitgliedschaft von Generalen und Offizieren der NVA und der Grenztruppen der DDR im Bundeswehrverband, der weder von seiner Verfaßtheit noch von seiner Aufgabenstellung her die geistige und politische Heimat ehemaliger Berufssoldaten der DDR sein kann. In den Jahren 1989/90 und in der Folgezeit war dieser Verband das effektivste Instrument, um sie ruhigzustellen und problemlos in die BRD einzugliedern. Diesem Anliegen dienten sowohl monetäre Hilfen in den Strafprozessen als auch das Wecken von Hoffnungen auf eine gerechte Behandlung, die nie ernsthaft zu erwarten war. Wer das vorab nicht gesehen hat bzw. nicht sehen wollte, hatte offensichtlich seinen politischen Instinkt verloren oder handelte aus opportunistischen Gründen.

Doch begangene Fehler können korrigiert werden. Besser spät als nie.

Oberstleutnant a. D. Roland Potstawa, Königs Wusterhausen


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Meine Achtung und Anerkennung gelten dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Sellering. Er hatte den Mut, sich als Sozialdemokrat objektiv in Sachen DDR zu äußern. Er besaß sogar die Courage, gegen andere Wortführer seiner Partei und "Systemopfer" wie Frau Lengsfeld aufzutreten.

Die Tatsachen sind ja auch eindeutig. Weltweit anerkannt, gab der kleine Staat DDR enorme Mittel zum Wohle der Gesellschaft und jedes einzelnen aus. Die große Mehrheit der Bürger nutzte das und akzeptierte z. B. die besondere Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Natürlich kam es auch zu Härtefällen oder Fehlentscheidungen. Doch es ist längst an der Zeit, daß die sogenannten Opfer nicht länger in der öffentlichen Meinung den Ton angeben. Man sollte lieber die Biographien engagierter DDR-Bürger lesen. Sie vermitteln ein anschauliches Bild vom Leben in ihrer Republik.

Ilse Konrad, Damerow


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Die Bemerkung über "Mord, Terror und Repression" in der DDR war schlimmer, als bei Peter Lorf (Lichtgestalt, RF 135) angeführt. Helmut Holter bezeichnete dem "Stern" (5.9.2008) gegenüber "Terror, Mord, Repression" als "das, was das SED-Regime ausgemacht hat". Das heißt doch, nichts anderes habe die DDR ausgemacht. Holter hätte es beim Interview nicht entgehen können, daß im 20. Jahr nach dem Ende der DDR ein beispielloser Verleumdungsfeldzug stattfinden würde. Ob gewollt oder nicht - mit seinen Äußerungen hat er die gegenwärtige Anti-DDR-Propaganda bedient. Daran ändert die spätere Relativierung durch das Wörtchen "auch" nichts.

Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD, meinte dazu gönnerhaft: "Irgendwie kam mir der Name bekannt vor, aber nur ganz dunkel. Daß es dunkelrot ist, was da tief verborgen im Gedächtnis schlummerte, war mir nicht präsent. Aber so dunkelrot ist er gar nicht, wie ich gerade lese. ... Hoffentlich ist seine politische Karriere damit nicht beendet."

Der Feldzug gegen die DDR erfolgt bundesweit und wird wohl seinen Höhepunkt noch nicht erreicht haben. Mit Genugtuung wird jede entsprechende Äußerung aus der Partei Die Linke aufgenommen. Ein besonders krasses Beispiel des Einschwenkens auf die andere Seite bot Ende März eine Arbeitsgruppe "Herbst 89" beim Landesvorstand der sächsischen Linken. Es wurden 20 Thesen "zum Zusammenbruch der DDR" vorgestellt und auf einer Konferenz in Dresden behandelt, dann aber glücklicherweise nicht so, wie von den Autoren gewünscht, beschlossen.

Botschafter a. D. Günther Scharfenberg, Kühlungsborn


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Man glaubt, einige der 20 sächsischen Thesen zum Herbst 1989 könnten direkt aus der Feder von Hubertus Knabe geflossen sein. Das "Dokument" sollte offensichtlich ein Beitrag zur 20. Wiederkehr jenes Tages sein, an dem uns Ostdeutschen das BRD-Grundgesetz übergestülpt wurde. Viele Formulierungen entsprechen völlig dem Sprachgebrauch der jetzt bei uns Herrschenden. Die 20 Thesen enthalten dieselben Verunglimpfungen der DDR, die wir nun schon seit zwei Jahrzehnten zur Genüge kennen.

Natürlich darf die Gleichsetzung von "Nationalsozialismus" und "Stalinismus" nicht fehlen. Wider besseres Wissen wird empörenderweise behauptet, der Antifaschismus sei zur Legitimierung der DDR mißbraucht worden. Diese aber wird als Diktatur mit "Zwang, Angst, Hilflosigkeit und Unterdrückung" charakterisiert. Andererseits bescheinigt man der BRD bis zu Schröders Amtszeit, "sozialstaatlich verfaßt" gewesen zu sein. Überdies ist in dem Papier von einem "neuen demokratischen System" die Rede, das nun im östlichen Deutschland Einzug gehalten habe. Was für ein seltsames Verständnis von Demokratie!

Übrigens findet man nicht einen einzigen Satz in den 20 Thesen, deren Verfasser dann auf der Dresdner Konferenz der Linkspartei auf Widerstand stießen, zur grundgesetzwidrigen Kriegspolitik der "großen Koalition" aus CDU/CSU und SPD. So scheinen die Verbrechen der NATO unter aktiver bundesdeutscher Beteiligung im früheren Jugoslawien (1999) den Verfassern ebenso unbekannt zu sein wie die wachsende Zahl für eine schlechte Sache gefallener Bundeswehrangehöriger, die Merkels Kriegsminister nach Afghanistan geschickt hatte.

Heinz Behrendt, Plauen/V.


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Die RF-Beiträge zu Holters "Stern"-Interview habe ich mit Freude gelesen, zumal Schweriner Führungskräfte der Partei Die Linke versuchen, die öffentliche Äußerung kritischer Meinungen dazu durch Tricks und Festlegungen auszuschalten. Holters inzwischen erfolgreiche Kandidatur für das Amt des Fraktionsvorsitzenden im Landtag (4 Gegenstimmen) spielte dabei keine unerhebliche Rolle.

Dennoch gehen die Diskussionen um seine ideologischen Auffassungen an der Parteibasis weiter. Damit meine ich das ganze "Stern"-Interview, und nicht nur das, was ihm zufolge das "SED-Regime" ausgemacht haben soll. Aus der Führung des Gesprächs und den Fragestellungen des Interviewers kann man leicht ersehen, wie genau diese Leute Holters ideologische Bereitschaft kannten, unsere Partei in eine ihr wesensfremde Richtung zu drängen. Was der "Stern" mit dem Interview bezweckte, ist klar - was Helmut Holter ...? Er wußte, mit wem er sich einließ. Er wird sich vorher beraten haben, aber mit wem?

Zumindest objektiv hat er sich instrumentalisieren lassen. Dabei erzielt konservatives Gedankengut, das von rechten Politikern vorgetragen wird, natürlich längst nicht die Wirkung bei Linken und Schwankenden wie Äußerungen eines Mannes, der einen gewissen Vertrauensvorschuß besitzt, weil er der eigenen Partei angehört. Dessen waren sich beide bewußt - "Stern" und Holter.

Auch wenn Holter "die reine Lehre" nicht mag und damit Marxisten verächtlich machen will, sage ich es ihm mit den Klassikern: "Wie die Individuen ihr Leben äußern, so sind sie." (Die deutsche Ideologie) Karl Scheffsky, Die Linke, Schwerin


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"Die Großgrundbesitzer sind zurück ..." Das sagte mir kein Gleichaltriger, auch kein Linker, kein Bürgerbewegter vergangener Tage - nein, eine engagierte "verrückte" junge Unternehmerin auf dem Lande, in einem kleinen Ort des Klützer Winkels, als ich sie nach der Entwicklung des Tourismus an der Ostseeküste im Mecklenburgischen Nordwesten fragte. Die klaren Worte der jungen Frau kontrastierten zu dem, was ich in letzter Zeit erlebt hatte. Die "drei bösen Worte" Helmut Holters sind für mich abgehakt, denn Andiener gibt es genug. Warum sollte ein Parteihochschüler wie er einem abgewrackten Günter Schabowski in dieser Hinsicht nachstehen, warum sollten sich nicht Offiziere der NVA mit dem ehemaligen Feind im Bundeswehrverband vereinen? Doch solche Tendenzen auch und gerade bei Gregor Gysi, dem ich in der Rückwendezeit mein politisch nichtgesenktes Haupt wie viele meiner Gleichgesinnten zu verdanken habe, zu finden, hat mich tief getroffen und verständnislos gemacht.

Hans Jürgen Grebin, Rostock


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Bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung in unserer Partei geht es im Prinzip um einen internen Richtungsstreit, dessen Ausgang total offen ist. Der Erstentwurf des Bundeswahlprogramms von Bartsch und Gysi machte deutlich, wohin der "rechte Flügel" die Partei treiben will. Er war ein Rückschritt gegenüber dem Europa-Wahlprogramm. Allein die Reaktion von Bartsch auf die im ND wiedergegebene Kritik Sahra Wagenknechts und anderer Genossen bestätigt meine Aussage sehr deutlich.

Carsten Hanke, Lambrechtshagen


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Der aussagekräftige Beitrag zur "Geschichtsaufarbeitung" in Bernau von Oberst a. D. Karl Rehbaum veranlaßt mich, Aussagen des ehemaligen Lehrers für Psychologie an der MfS-Hochschule in Potsdam-Eiche, Dr. Gierke, zu kommentieren. Er behauptet, die Nutzung von Erkenntnissen der Psychologie durch Mitarbeiter des MfS seien dem Wesen nach "psychologische Folter" und "Mißbrauch der Psychologie" gewesen. Diese böswillige Denunziation ist auch wissenschaftlich unhaltbar.

Herrn Dr. Gierke ist offensichtlich wesentliches entgangen. So scheint er nicht zu wissen, daß es in der BRD wie in der DDR eine forensische Psychologie gab bzw. noch gibt. Dazu gehört - in der bürgerlichen Fachliteratur nachlesbar - die Aussage-Psychologie. Wissen auf diesem Fachgebiet und die Fähigkeit, es bei der Klärung von Problemstellungen in den Bereichen Rechtspflege, Kriminologie, Gerichtswesen, Strafvollzug etc. nutzbar zu machen, ist unter Fachleuten unbestritten. Das gilt ohne Vorbehalte auch für die Geheimdienste in Ost und West. Darauf haben z. B. der damalige Leiter der Verfassungsschutz-Schule, G. Semmt, und der Pressesprecher des BfV, Hans-Peter Lange, schon vor über 20 Jahren in der "Frankfurter Rundschau" verwiesen. Beide betonten, daß den Studenten während ihrer Ausbildung u. a. speziell geschulte "Gesprächsführungslehrer" und einschlägige Technik zur Verfügung stünden.

Am Rande sei erwähnt, daß die für den Verfassungsschutz verantwortlichen Innenminister der BRD wegen der nachrichtendienstlichen Bedeutung dieses Faches schon vor mehr als 20 Jahren "Hauspsychologen" zur Betreuung ihrer Beamten eingestellt haben.

Prof. Dr. Manfred Naundorf, Rangsdorf


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Ich arbeite jetzt bei einem Musiker, wo ich sehr freundlich behandelt werde. Es ist wiederum nur ein 1-Euro-Job. Ich gebe Daten in den Computer ein, verpacke die CDs des Künstlers, putze sein Silber, kaufe für ihn ein. Dort sind mehrere 1-Euro-Kräfte tätig, auch mein "Platz" war vorher bereits besetzt. Die Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis ist nicht vorgesehen.

Ich würde ja gerne zum Boykott all jener aufrufen, die 1-Euro-Kräfte einstellen. Das tun vor allem die christlichen Kirchen. Sie besitzen auf diesem Gebiet bereits Erfahrung: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Kinder und Jugendlichen in manchen christlichen Heimen nicht nur gedemütigt und gequält, sondern mußten auch Zwangsarbeit verrichten, ohne Lohn und Rentenversicherung. Die Opfer klagen jetzt auf Entschädigung.

Mein Sohn hat mir erklärt, in der Betriebswirtschaft gelte es als Unsinn, wenn ein Bäcker auf eine Metzgerstelle gesetzt wird und umgekehrt. Jeder soll das machen, was er kann und gelernt hat. Aber bei den 1-Euro-Jobs ist das anders: Da mußt du alles können und wirst niedergemacht, wenn das nicht sofort klappt.

Gesine Birgitt Unger, Düsseldorf


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Es gibt kaum eine linke Zeitschrift, die wie der "RotFuchs" kommunistische Ideale hochhält. Die Frage, warum die DDR scheiterte, wird offen und ehrlich diskutiert. Bei aller Kritik habe ich mich niemals als Feind der DDR gezeigt.

Trotz der Erstarrung, besonders in der Honecker-Zeit, war die DDR kein Unrechtsstaat. Der Siegerstaat BRD läßt nichts unversucht, immer wieder die DDR als unmenschlich hinzustellen, ja, scheut sich nicht, sie mit Nazi-Deutschland zu vergleichen. Historische Wahrheiten werden weggelogen, und die BRD wird als demokratischer Musterstaat gepriesen. Doch die "Mauer" wurde von Bonn mitgebaut, die westdeutsche Regierung tat alles, um die DDR auszubluten und in ein Land von Rentnern umzuwandeln.

Der "RotFuchs" vereint ehrliche Sozialisten und Kommunisten mit und ohne Parteibuch. "Der Funke", dessen Herausgeber ich bin, will die DDR weder verherrlichen noch verdammen und wirft der Linkspartei vor, nicht genügend deren positive Seiten hervorzuheben.

Der Kapitalismus gebiert den Sozialismus, und es wird die Zeit kommen, wo die schwarz-rot-goldene Fahne mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz wieder auf den Straßen zu sehen ist.

Dieter Schütt, Hamburg


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Herr Westerwelle attackierte in einem Interview mit der "Super-Illu" (15/09) jene, welche die DDR nicht als Unrechtsstaat zu charakterisieren bereit seien. Gnädigerweise bemerkte er in diesem Zusammenhang, nicht alle seine Bürger seien Täter gewesen.

Das Ziel ist einzig und allein die Ablenkung von massenhaftem Unrecht der BRD.

Nehmen wir ein einziges Beispiel: den Jugoslawienkrieg. Das Grundgesetz gestattet bekanntlich nur den Einsatz der Bundeswehr im Verteidigungsfall. Damals - vor zehn Jahren - erfolgte der erste Tabubruch: Bundesdeutsche Truppen beteiligten sich an Kampfhandlungen gegen den von der NATO angegriffenen Balkanstaat. Fatalerweise richtete sich der Angriff gegen ein Land, dessen Volk im Zweiten Weltkrieg durch den Terror der deutschen Faschisten Hunderttausende Tote zu beklagen hatte. Die Folgen: Serbien wurde gedemütigt. In Kosovo gab es massenhaft Opfer, obwohl man vorgab, mit dem Eingreifen imperialistischer Armeen die Albaner vor den Serben schützen zu wollen. Nach dem Sieg (?) kam es zu Massenvertreibungen von Serben. Die UCK, auf die man sich stützte, wurde der Begehung von Kriegsverbrechen überführt. Serben, die geblieben sind, können oft nur unter ausländischer Bewachung ihre Kirchen besuchen. Kosovo ist wirtschaftlich nicht lebensfähig und hat die höchste Arbeitslosenquote Europas.

Die Angehörigen der im jugoslawischen Städtchen Varvarin bei einem NATO-Luftangriff Hingemordeten prozessieren bis heute vergeblich gegen die BRD wegen Verletzung der Haager Landkriegsordnung.

Die Frage, ob Bundesdeutschland ein Rechts- oder ein Unrechtsstaat ist, möge sich bei dieser Faktenlage jeder selbst beantworten.

Johanna Jawinsky, Roggentin


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Seit dem Verschwinden der DDR kenne ich keinen Sozialstaat auf deutschem Boden mehr, nur noch einen militaristischen Überwachungsstaat, der seine Soldaten in möglichst viele Regionen der Welt entsendet, um dort Einfluß zu gewinnen, während die eigenen Bürger immer neuen Durchleuchtungsmethoden ausgesetzt werden. Ich sah bisher kein Foto, auf dem bundesdeutsche Soldaten in fremden Ländern mit Beifall oder Blumen begrüßt worden wären. Statt dessen stehen mir die Bilder mit den Särgen Gefallener vor Augen, die in die Heimat zurückgebracht wurden. Ich kann die tiefe Trauer der Angehörigen mitempfinden.

Rudolf Janert, Berlin


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Der politisch verfälschte Begriff "Vertriebene" ist eine Form des vorsätzlichen Revanchismus. Die Deutschen, die 1945 die Rache des "Iwan", der Polen und Tschechoslowaken für von ihnen oder in ihrem Namen begangene bestialische Verbrechen berechtigterweise zu fürchten hatten, waren gut beraten, dieser durch die eigene Flucht zuvorzukommen. Die Bilder endloser Flüchtlingszüge sind bekannt. Sie strömten schon gen Westen, obwohl noch kein "Russe" die alte Reichsgrenze überschritten hatte. Nach der Sprachregelung von Frau Steinbach fallen auch sie in die Kategorie "Vertriebene".

Zwar sind die Umarmungen der Präsidentin des Bundesverbandes der Vertriebenen durch Frau Merkel von Frau zu Frau tolerierbar, als Bundeskanzlerin gegenüber einer Revanchistenführerin aber unerträglich. Im Falle Polens und der Tschechoslowakei gab es 1945 die besiegten Okkupanten. Für das niedergeworfene faschistische Deutschland fanden die Siegermächte damals nur eine Lösung. Die Aussiedlung war die Antwort auf die Verbrechen, die Deutschland über ganz Europa gebracht hatte. Wenn sich im 21. Jahrhundert Steinbachs Stiftung einzig und allein der Vertreibung des 20. Jahrhunderts annimmt, bedeutet das nichts anderes als die Proklamierung einer Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs. Das aber ist 60 Jahre nach Kriegsende bewußt provozierter Völkerrechtsbruch. Daraus leitet sich die Zielstellung aller Landsmannschafts- und Vertriebenenverbände ab, die in Frau Steinbach die aggressivste und reaktionärste Vertreterin revanchistischer Pläne in der Gegenwart gefunden haben. Die CDU-Politikerin will die verlorenen Ostgebiete, die einst Friedrich II. den Polen entriß, mit offizieller Staatsabsegnung heimholen.

Peter Skrabania, Strausberg


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BRD-Innenminister Schäuble äußerte sich unlängst zu sich häufenden Meldungen über das Schicksal von Schwarzafrikanern und Arabern, die auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen suchten. Derartige Verzweiflungsschritte armer Menschen enden oft mit dem Tod. Schäuble ließ dazu vermelden, man müsse den kriminellen Schleuserbanden das Handwerk legen.

Zu DDR-Zeiten hatte Herr Schäuble eine ganz konträre Meinung zur Existenz jener kriminellen Schleuserbanden, die von der BRD und Westberlin aus operierten. Sie trieben bekanntlich einen schwunghaften und einträglichen Menschenhandel zum Nachteil der DDR. Nicht selten kassierten sie für eine einzige Fluchthilfe 30.000-40.000 Mark. Seinerzeit war von Herrn Schäuble nichts davon zu hören, daß man diesen Kriminellen den Boden entziehen müsse, handelte es sich doch um Retter der vom Unrechtsstaat DDR unterdrückten Freiheitshungrigen.

Bekanntlich wurden auch die von DDR-Gerichten verurteilten Schleuser nach dem Anschluß vom 3. Oktober 1990 durch die BRD-Justiz rehabilitiert. Sie bezogen Haftentschädigungen oder erhalten eine sogenannte Opferrente.

Mit anderen Worten: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe.

Generalmajor a.D. Dr. Dieter Lehmann, Dresden


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Wer da glaubte, mit seiner Wahl zum US-Präsidenten würde die Welt friedlicher und weniger imperialistisch werden, hat sich gewaltig geirrt. Am Führungsanspruch der USA läßt auch Obama nicht rütteln. Die kapitalistische Krise ist für ihn Anlaß, den Oberbefehl über die Krisenbewältiger zu übernehmen, um das System zu retten. Seine Auftritte in London, Baden-Baden und Prag zeigten seine Linie: Er will Washingtons Strategie modernisieren und flexibler gestalten, die NATO schneller und beweglicher machen, damit sie überall in der Welt unter Umgehung der UNO jederzeit eingreifen kann.

Zunächst stehen Afghanistan und Pakistan im Vordergrund. Dazu schickt Obama Tausende weitere GIs an den Hindukusch, die Verbündeten mögen bitte folgen.

Vorerst gibt es nicht wenig Sympathie für Barack Obama. Nach Bush ist das verständlich. Aber wie lange wird sie bestehen bleiben?

Egon Eismann, Wernigerode


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Als die DDR noch existierte - waren wir da auch schon ein "Unrechtsstaat"?

Damals salutierte der Kommandeur der Ehrenformation der Bundeswehr, Major Schäfer, vor Erich Honecker, der sich als offizieller Staatsgast in der BRD befand. "Exzellenz, ich melde Ihnen, die Ehrenformation der Bundeswehr ist angetreten." Dann erklang die Hymne der DDR. Gemeinsam mit Helmut Kohl begab man sich zur Villa Hammerschmidt ... Und das alles für den obersten Repräsentanten eines "Unrechtsstaates"?

Die "Leipziger", besser gesagt deren Führungsschicht, beschäftigt derzeit nur noch der Gedanke, wie die knapp fünf Millionen Euro für ein "Heldenstadt"-Denkmal, von dem man noch nicht weiß, wo es hinkommt, verwandt werden sollen. Im Kulturradio des MDR "Figaro" bemerkte ein Kommentator, viele Leipziger hätten ganz andere Sorgen. Mir fehlen z. B. 1300 Euro für Zahnersatz. Doch anderen geht es da besser: Der Vorstandsvorsitzende der BARMER Ersatzkasse bezieht monatlich rund 18.000 Euro.

Klaus Pinkau, Leipzig


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Als eifriger Leser des RF, Genosse, der bereits 1945 der KPD beitrat, und Geschichtsinteressierter ist mir manches nicht neu. Dennoch muß ich dem "RotFuchs" ein großes Dankeschön sagen. Warum? Viele Ereignisse und Fakten aus der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, von denen man vorher nie oder kaum etwas gehört hat, werden behandelt und erläutert. Diese Veröffentlichungen machen immer wieder Mut. Denn man erkennt, daß auch in anderen Ländern für die Arbeiterrechte gekämpft wird. Manche Parteien tun das unter unsagbar schweren Bedingungen. Dabei freut es mich besonders, daß in etlichen Ländern Lateinamerikas nach und nach Linkskräfte an die Macht kommen. Hier strahlt besonders Kuba aus, das trotz Blockade nicht kleinzukriegen ist.

Wolfgang Ritter, Bautzen


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Nach der Ankündigung durch Yorck Maecke, Fotograf der "Super-Illu", die "Gefängnisnotizen" von Egon Krenz, welche dieser im ND-Gebäude vorstellte, seien "das überflüssigste Buch der Welt", wollte ich wissen, warum. Ich las - entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten - den entsprechenden Artikel. Allerdings ohne Ergebnis. Es ist wohl einmalig, daß das genannte Buch außer im Titel mit keiner Silbe mehr erwähnt wird. Dagegen schreibt Maecke über seine eigenen Befindlichkeiten.

In der Veranstaltung rief er Egon Krenz zu: "... wenn Sie hier jammern, was glauben Sie eigentlich, wie ich im DDR-Knast gesessen habe!" Nun war ich nicht unter den rund 600 Zuhörern der Krenz-Lesung und verlasse mich nur auf die Aussagen der Illustrierten, aber ich würde Maecke geantwortet haben: "... sicher etwas hart". Ganz bestimmt hätte ich mich nicht für das Urteil vor 29 Jahren bei ihm entschuldigt. Er hatte für versuchte Republikflucht zweieinhalb Jahre erhalten.

Egon Krenz war an diesem Abend sicher mit Wichtigerem beschäftigt, als nachzufragen, welchem Umstand es Maecke zu verdanken hatte, von der BRD nach 18 Monaten freigekauft zu werden.

Hier verlasse ich meine Bemerkungen zu den Artikeln der "Super-Illu". Mich interessiert weit mehr, warum unsere verantwortlichen Genossen damals lieber das Geld des Feindes angenommen haben, als sich konsequent hinter die im Namen des Volkes gefällten Urteile zu stellen.

Horst Birkholz, Berlin


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Für Eure Mühe möchte ich Euch nicht nur Dank sagen, sondern Euch auch wissen lassen, daß wir "RotFuchs"-Leser, die der Partei Die Linke angehören, im uns möglichen Rahmen helfen, die sozialistischen Ideale zu verbreiten und unsere DDR objektiv-kritisch zu verteidigen. Über für die Mehrheit der Menschen im Osten Nachteiliges und Entwürdigendes schreibe ich z. B. regelmäßig Protestbriefe an den Bundespräsidenten, die Kanzlerin und die Gesundheitsministerin. Verschiedentlich vorgetragene Bedenken, das habe doch sowieso keinen Zweck, beantworte ich stets mit den Worten: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!

Günter Löschner, Zwickau


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Wissen ist nicht gleichzusetzen mit Bewußtsein. Das Bewußtsein ist jedoch die Voraussetzung für jede soziale Veränderung. Es fehlt nicht an Menschen, die das Gefühl haben, es gehe ihnen schlecht. Das erfahre ich in Gesprächen mit vielen Leuten, denen ich begegne. So ist ihr subjektives Empfinden. Sie sind sich dessen jedoch nicht wirklich bewußt und verharren in Lethargie, haben sich wohl nicht selten selbst aufgegeben. Das Erkennen der eigenen Situation ist aber eine der beiden Voraussetzungen einer Revolution. Diese ist - nach Lenin - "unmöglich ohne eine gesamtnationale (Ausgebeutete wie Ausbeuter erfassende) Krise". Zwei Vorbedingungen müssen erfüllt sein: "Die Mehrheit der Arbeiter (oder jedenfalls die Mehrheit der klassenbewußten, denkenden, politisch aktiven Arbeiter)" muß die Notwendigkeit der Umwälzung völlig begreifen und sich rückhaltlos für sie einsetzen. Andererseits müssen die herrschenden Klassen eine tiefe Systemkrise durchmachen, die sogar die rückständigsten Massen in die Politik hineinzieht.

Ich bin der Meinung, daß es dazu einer proletarischen Partei bedarf, die zu führen in der Lage ist.

Camillo Menzel, Strausberg


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Jetzt, da wieder Wahlen vor der Tür stehen, müssen wir RF-Leser und Mitglieder des Fördervereins die Menschen dafür gewinnen, eine Entscheidung zugunsten geradliniger und prinzipienfester linker Kandidaten zu treffen. Wer nicht zur Wahl geht, hilft damit den Reaktionären Deutschlands und der EU.

Günter Bauch, Fraureuth


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Bei den bevorstehenden Wahlen sollten folgende Antworten auf Petitionen bedacht werden:

1. "Der Petitionsausschuß des Bundestages ist der Auffassung, daß das politische Urteilsvermögen der Wähler nicht unterschätzt werden darf. Die meisten Bürger wissen die Wahlaussagen der Parteien bzw. einzelnen Politikrichtungen richtig einzuschätzen und sind sich dessen bewußt, daß nicht jede Wahlaussage wörtlich genommen werden kann." (Pet 1-14-06-112-044788) Lügen ist damit von hoher Stelle sanktioniert!

2. "... die Bundeskanzlerin (hat) die politische Garantieerklärung über die Einlagensicherung aller privaten Sparer in Deutschland ... für die Bundesregierung abgegeben. Diese politische Erklärung bindet die derzeitige (!!!) Bundesregierung sowie die Politiker, die diese Erklärung abgeben ..." (Pet 2-16-08-7601-045603)

Mit anderen Worten: Nach den Wahlen ist alles Schall und Rauch.

Hans Schneider, Erfurt


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Als unsere DDR gegründet wurde, war ich 15. Unter der Fahne der FDJ nutzten wir jede freie Stunde, um auf dem Leipziger Augustusplatz - dem späteren Karl-Marx-Platz - die Feldbahnloren mit Trümmerschutt zu füllen und Steine abzuputzen. Im Unterschied zu den heute 15jährigen hatten wir ein klares Ziel vor Augen.

Nachdem die Trümmerberge vom Augustusplatz und aus der Innenstadt verschwunden waren, entstanden die Oper, das Gewandhaus, der Uni-Riese, Wohnblocks und Hotels.

Viele Menschen werden sicher wie ich den 7. Oktober d. J. im Gedenken an unseren Arbeiter-und-Bauern-Staat begehen. Und nicht wenige von uns sind der Meinung, wir sollten zum Jubiläumstag - im durchaus wörtlichen Sinne - Flagge zeigen.

Wolfgang Müller, Bad Düben

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IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
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E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

SEKRÄTERIN: Karin Mory

LAYOUT: Rüdiger Metzler

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

Redaktionsschluß ist jeweils der 10. des Monats.

AUTORENKREIS:
Dr. Matin Baraki
Rolf Berthold
Dr. Manfred Böttcher
Dr. Vera Butler (Melbourne)
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Prof. Dr. Götz Dieckmann
Dr. Rudolf Dix
Ralph Dobrawa
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Dr. Peter Fisch
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Dr. Ernst Heinz
Dr. Dieter Hillebrenner
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Prof. Dr. Hans Heinz Holz
Hans Horn
Dr. Klaus Huhn
Dr. Hans-Dieter Krüger
Rudi Kurz
Wolfgang Mäder
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Wolfgang Metzger
Prof. Dr. Harry Milke
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Sokrates Papadopoulos (Thessaloniki)
Richard Georg Richter
Prof. Dr. Werner Roß
Walter Ruge
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Prof. Dr. Horst Schneider
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Dr.-Ing. Peter Tichauer

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
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UND AKUSTISCHE AUSGABE (für Sehbehinderte):
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2009