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OSSIETZKY/592: Zwangsarbeit


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 4 vom 20. Februar 2010

Zwangsarbeit

Von Hannelis Schulte


Über die Forderung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, die Langzeitarbeitslosen nach dem Grundsatz "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" zu behandeln, kann man eigentlich nur den Kopf schütteln. Denn es steht doch längst im Hartz-IV-Gesetz, daß jeder Hartz-IV-Empfänger, der eine zugewiesene Arbeit verweigert, mit einem Abzug am Monatsgeld bestraft werden muß. Beim ersten Mal 30 Prozent, beim zweiten Mal 60 Prozent und so weiter. Wer mit den 359 Euro schon nicht zurechtkommt, der überlegt es sich sehr wohl, ob er auf 115 Euro im Monat verzichtet oder nicht lieber doch den Platz vor dem Rathaus kehrt. Die Arbeit, für die er sich entscheidet, nenne ich Zwangsarbeit.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) definiert Zwangsarbeit als "eine unfreiwillige Arbeit, die unter Androhung einer Strafe ausgeübt wird". Das Grundgesetz der BRD verbietet Zwangsarbeit: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen, allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht." Ausnahmen sind: die Wehrpflicht (für Männer), Schöffe bei Gericht und Schneekehren auf dem Gehweg vor dem Grundstück. Absatz 4 des Artikels 12 lautet: "Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig."

Unsere Politiker und Journalisten vermeiden sorgfältig den Begriff Zwangsarbeit. Lieber sprechen oder schreiben sie von "Arbeitspflicht" oder "Jobpflicht". Die Süddeutsche Zeitung erklärte das neulich so: "Die millionenfache Versklavung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich hat den Begriff (gemeint ist "Zwangsarbeit"; H. Sch.) für mögliche Pflichten von Hartz-IV-Empfängern quasi unbrauchbar gemacht". Wer statt Zwangsarbeit lieber Arbeitspflicht sagt, verschleiert den Bruch mit dem Grundgesetz, der hier geschieht.

Hat Koch wohl bewußt die Blamage auf sich genommen, etwas zu fordern, was im Hartz-IV-Gesetz bereits steht? War er nicht naiv, sondern raffiniert? Wohl möglich, daß er sich für seine Partei, die CDU, einen Gewinn versprach, auch im Blick auf die Landtagswahl im Mai in Nordrhein-Westfalen. Vielleicht hat er an die Diskussionen an den Stammtischen gedacht, wo die allerwenigsten je das Hartz-VI-Gesetz gelesen haben oder was im GG steht oder wie die ILO Zwangsarbeit definiert. Da weiß man stattdessen, was Bild schreibt, zum Beispiel, daß Hartz IV einer Hängematte gleicht, in der sich die Langzeitarbeitslosen bequem ausruhen. Die üble Masche, die Hartz-IV-Empfänger generell als Drückeberger und Faulpelze zu verurteilen, soll offenbar Kürzungen populär machen. Was aber jetzt zu geschehen hat, ist die Aufstockung des Monatsgeldes oder des Miet- und Stromzuschusses, keine Kürzungen. Hartz IV muß abgeschafft werden.

Zum fünfjährigen Bestehen von Hartz IV schrieb Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) im Januar, das Gesetz "über die Grundsicherung für Arbeitsuchende" sei "ein Gesetz der Grundverunsicherung. Es ist ein kleinliches, ein schikanöses Gesetz, das die Behörden zu Verwaltungsexzessen zwingt und das auch die Lebensleistung von Menschen mißachtet, die fast ihr Leben lang gearbeitet haben." Wir hätten uns gewünscht, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wäre so klar und deutlich ausgefallen und allgemein so verstanden worden, wie Prantl es erwartet hatte.

Daß Hartz IV unsozial ist, haben wir in Heidelberg bei unseren allwöchentlichen Montagsdemonstrationen schon in all den fünf Jahren gesagt - ähnlich wie in mehr als hundert anderen Städten. Nur wenige standen auf unserer Seite. Linke Parteien, Teile der Gewerkschaften und der Wohlfahrtsverbände erhoben ihre Stimme gegen Hartz IV; tapfer stritten sie die ganzen Jahre für das Grundgesetz, für Gerechtigkeit und Solidarität mit den Ärmsten in unserem Land, den Langzeitarbeitslosen, und erwiesen sich damit als Hüter der Demokratie. Aber die Parteien der "Mitte" hörten nicht auf sie. Die Kirchen hätten wegen der unvorstellbaren Härten, die auch Todesopfer forderten, schreien müssen. Aber sie haben nur Suppenküchen für die Hungernden eingerichtet, statt die Ursache, das ungerechte Gesetz, anzugreifen.

Jetzt heißt es wieder: "Es ist kein Geld da" oder "Wir dürfen keine Schulden machen, sonst belasten wir die künftigen Generationen." Redensarten, die nur noch ein höhnisches Lachen hervorrufen dürften, seit man im vorigen Jahr den Banken und den Wirtschaftsbossen die Milliarden zugeworfen hat.


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Dreizehnter Jahrgang, Nr. 4 vom 20. Februar 2010, Seite 18-20
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Eckart Spoo (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2010