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MARXISTISCHE BLÄTTER/558: Zwölf Thesen zur Sozialismus-Diskussion


Marxistische Blätter Heft 5-13

Zwölf Thesen
Zur Sozialismus-Diskussion

Von Lucas Zeise



Was Kommunisten und eigentlich dem Wortsinne nach auch Sozialisten gemeinsam auszeichnet, ist, dass sie den Kapitalismus überwinden wollen. An seine Stelle soll Sozialismus treten. Es ist eigentlich erstaunlich, dass wir uns so selten theoretisch, spekulativ und/oder wissenschaftlich damit befassen, was für ein Sozialismus das ist, wie er funktionieren kann oder soll. ...

Es bleibt uns aber gar nichts anderes übrig, als uns von neuem mit diesem zentralen Thema zu befassen. Das heißt nichts anderes, als die alten Antworten, die die sozialistische Theorie und Praxis uns geliefert hatten, unter den neuen historischen Bedingungen einer Prüfung zu unterziehen. Es wäre erstaunlich, wenn wir dabei sofort und ohne Umschweife Einigkeit erzielen könnten. Strittig sind die Fragen, wie die sozialistisch organisierten Gesellschaften funktioniert haben, was ihren Erfolg und was ihr Scheitern ausmachte. Strittig ist selbstverständlich auch, was daraus zu lernen ist.

Die Überschrift für diese Konferenz lautet "Ökonomie des Sozialismus". Wir wollen den Sozialismus als Produktionsweise untersuchen. Der Begriff der Produktionsweise schließt den Begriff der Herrschaftsform mit ein. Bestimmte Herrschaftsformen sind bestimmten Produktionsweisen angemessen und eng mit einer bestimmten Produktionsweise verknüpft. ­...

Welches ist die dem Sozialismus als Produktionsweise adäquate Form der Herrschaft? Wir wissen es nicht genau. Wir vermuten aber, dass es die tatsächliche Demokratie ist. Wir vermuten, dass die sozialistische Form zu produzieren nicht möglich ist ohne reale demokratische Macht-Teilhabe und -Ausübung der Massen. Wir wissen allerdings, dass der Übergang zum Sozialismus und die Phase, in der der Sozialismus noch schwach, unausgereift und den Angriffen seiner Gegner ausgesetzt ist, von der Diktatur der arbeitenden Klassen gekennzeichnet sein wird. Diese Fragen der Herrschaftsform, so wichtig sie sind und so eng verknüpft mit den ökonomischen Fragen im engeren Sinne, sollen in der Diskussion zunächst so weit wie möglich ausgeklammert werden. So wurde diese Tagung geplant.

Bei so viel strittigen Fragen scheint es mir sinnvoll, zunächst zu sichten, welche nicht strittig sind. Ich habe deshalb versucht, diese zu formulieren, um damit die Möglichkeit zu eröffnen, sich auf die strittigen Fragen zu konzentrieren. Der Nachteil dieser Methode ist die fehlende Systematik. Das liegt daran, dass wir es mit Geschichte zu tun haben, die fortwährend Zwischenfragen produziert. Dass meine Auflistung dieser Thesen nicht vollständig ist, wird die Diskussion erweisen.(1) Zu meinen acht unstrittigen und vier strittigen Thesen will ich im weiteren sehr unterschiedlich ausführliche Anmerkungen machen und sie versuchen zu begründen.

Sehr kurz will ich mich mit These 1 aufhalten: Der Sozialismus ist die den Kapitalismus ablösende Produktionsweise.

Das ist die Kernthese, die uns hier zusammenführt. Gesellschaftlich ist sie hochkontrovers und (leider) alles andere als akzeptiert. Wir haben gute Gründe für diese These. Darüber haben sehr bedeutende Leute sehr kluge und richtige Bücher geschrieben. Wir beschränken uns hier auf die Feststellung, dass wir uns mit dem Thema "Ökonomie des Sozialismus" befassen, weil wir den Sozialismus für die Produktionsweise der Zukunft halten.

Auch These 2 In der Sowjetunion und einigen osteuropäischen Ländern wurde diese Produktionsweise im 20. Jahrhundert vorübergehend praktiziert soll nicht wirklich begründet werden. Die These wird nur angeführt, um klar zu machen, dass wir auf dieser Basis diskutieren. Wir sind keine Trotzkisten, Maoisten oder Idealsozialisten, für die Sozialismus nur etwas ist, was man als perfekte Form des Sozialismus bezeichnen kann. Man sollte also in diesem Zusammenhang ausführlicher formulieren: Es gibt viele verschieden entwickelte Formen des Sozialismus. Es gibt vermutlich auch Übergangsgesellschaften - um den trotzkistischen Ausdruck zu gebrauchen - vom Kapitalismus zum Sozialismus.(2)

Mit These 3 Dieser Versuch war erfolgreich, weil er unternommen worden ist und weil er 70 bzw. 40 Jahre lang unter schwierigen Bedingungen betrieben wurde. Dieser Versuch ist auch gescheitert, denn er hat nicht auf Dauer die kapitalistische Produktionsweise abzulösen vermocht soll ausgedrückt werden, dass das Verhältnis zur historischen Realität des Sozialismus notwendig zwiespältig sein muss. Einerseits ist sie die größte soziale Errungenschaft der Menschheitsgeschichte. Andererseits belegt sein Scheitern katastrophale Mängel. Aus beidem muss gelernt werden.

These 4 Der Sozialismus ist nur dann die den Kapitalismus ablösende Produktionsweise, wenn er sich ihm ökonomisch als überlegen erweist dient als eine Erinnerung an die Grundthese des historischen Materialismus von der Priorität der materiellen Verhältnisse. Die These dient auch als korrigierender Hinweis an eine auch unter Kommunisten verbreitete Vorstellung, sozialistische Gesellschaften könnten sich auf irgendeine Weise aus dem Systemstreit verabschieden. Das geht weder politisch, ideologisch noch militärisch und schon gar nicht ökonomisch. Anders formuliert: Die ökonomische Überlegenheit des Sozialismus ist der Grund dafür, dass er den Kapitalismus dauerhaft ablöst. Dies ist nichts weiter als die Feststellung Lenins, derzufolge der endgültige Sieg einer neuen Gesellschaftsordnung letztlich nur dadurch zu gewährleisten ist, dass sie eine höhere Arbeitsproduktivität als die vorangegangene erreicht. Es gilt auf diesem Hauptsatz des historischen Materialismus auch jetzt zu bestehen, nicht nur weil er von Lenin kommt.

These 5 Der Sozialismus der Sowjetunion und Osteuropas ist ökonomisch gescheitert ist trotzdem mehr als eine sich aus dem Vorigen ergebende Schlussfolgerung. Der reale Sozialismus hat sich historisch konkret dem Imperialismus, den am höchsten entwickelten kapitalistischen Gesellschaften und Herrschaftssystemen unterlegen erwiesen. Die Produktivität (Produktion je Arbeitsstunde) in den realsozialistischen Ländern war nicht nur niedriger als in den kapitalistischen Kernländern, auch ihre Steigerung blieb (zumindest zuletzt) hinter dem Produktivitätsfortschritt im Westen zurück.

Mit dieser These weisen wir eine Vielzahl von Erklärungsansätzen für das Scheitern des Sozialismus zurück, die einen Teilaspekt, ein Ereignis oder einen Teil der Vorgeschichte der sozialistischen Gesellschaften herausgreifen und dies zur eigentlichen Ursache für das Scheitern erklären. Beispielhaft sei hier Peter Hacks herangezogen, der eine bestimmte Entscheidung Winston Churchills zum Grund für die Niederlage des Sozialismus hochstilisiert. (nachzulesen in junge welt vom 20.4.2013). ... Beliebt ist bei manchen Genossen, die in der DDR mit der Wirtschaftslenkung befasst waren, die Feststellung, dass die sozialistische Ökonomie (der DDR) nicht zusammengebrochen war, als die Republik politisch schon abgewickelt wurde, und die implizite Schlussfolgerung daraus, dass der Sozialismus politisch aufgegeben wurde, nicht aber ökonomisch gescheitert sei. Eine solche Schlussfolgerung ist unzulässig. Selbstverständlich ist die Konterrevolution, ganz wie die Revolution, ein politisches Ereignis. Die Bedingungen dafür, dass die Konterrevolution siegen konnte, wurden aber ökonomisch, gesamtgesellschaftlich gelegt ...

Thesen 4 und 5 wenden den Hauptsatz des Historischen Materialismus an. Ökonomie ist die Gesamtheit der gesellschaftlichen Arbeit, also ein sehr umfassender Begriff. Die Produktivität der Arbeit ist das entscheidende Maß für die "Leistungsfähigkeit" auch der neuen Produktionsweise, wenn auch nicht das einzige. Unter Produktivität lässt sich diejenige Menge an (materiellen und nicht unmittelbar materiellen) Gütern verstehen, die eine Gesellschaft, ein Betrieb, ein individueller Arbeiter binnen einer Arbeitsstunde erzeugt. Nun ist eine Gütermenge natürlich nur in einer Waren produzierenden und tauschenden Gesellschaft mit einer anderen quantitativ vergleichbar. Die Gütermengen, die eine Waren produzierende Gesellschaft erzeugt, mit der einer anderen, nicht Waren produzierenden Gesellschaft zu vergleichen, wäre demzufolge ein Ding der Unmöglichkeit. Mit der Vergleichbarkeit von Produktivitäten zweier Gesellschaftsformationen, die historisch gleichzeitig nebeneinander bestehen, wird man deshalb auch wohl kaum auf die Ergebnisse nur der in Geld-, also Wareneinheiten gerechneten Zahlen des Brutto- oder Nettogesamtprodukts zurückgreifen können. Derlei Zahlen können nur ein Indiz für Wachstum und Stand der Produktivität darstellen - ein Indiz aber sehr wohl.

Wie der Mensch als Gattung in der Arbeit sich selbst schafft, so schafft auch eine Gesellschaft ihrer (gesellschaftlichen) Arbeit sich selbst. Das Gesamtprodukt einer Gesellschaft besteht ... natürlich nicht nur aus der materiellen Güterproduktion, es umfasst den gesamten Vorgang des Stoffwechsels mit der Natur, die Gesamtheit der Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Mitglieder der Gesellschaft. Und in der Tat ist ein solchermaßen umfassend definiertes "Gesamtprodukt" mit dem "Gesamtprodukt" einer in anderen Produktionsverhältnissen lebenden Gesellschaft nur als jeweilige Gesamtheit und damit nur qualitativ vergleichbar. Ein Vergleich der Dynamik der Arbeitsproduktivität wäre dagegen der Versuch, die zwar qualitativ verschiedenen Gesellschaften ihrer zeitlichen Entwicklungsgeschwindigkeit gegeneinanderzustellen. Es wäre damit der umfassendste Vergleich zwischen zwei unterschiedlichen und getrennten (wenn aber auch über den Weltmarkt durchaus auch quantitativ verbunden) Gesellschaftsformationen. Die Aussage, eine Gesellschaftsformation bleibe hinsichtlich ihrer Arbeitsproduktivität hinter einer anderen zurück, ist hinsichtlich der unterschiedlichen Dynamik der Entwicklung des Arbeitsprozesses der Gesellschaften also ein quantitatives - das umfassende "Gesetz" von der "Ökonomie der Zeit" betreffendes - Urteil, obwohl zwei verschiedene Qualitäten verglichen werden.

Zu konstatieren, dass die Dynamik der Entwicklung der Arbeitsproduktivität in den uns bisher bekannten sozialistischen Gesellschaften hinter der der hochentwickelten kapitalistischen zurückblieb, heißt aber, noch nichts über die Ursachen für dieses Zurückbleiben auszusagen. Kommt man auf diese Ursachen zu sprechen, so machen es sich diejenigen zu leicht, die einzelne politische Fehler oder Fehlentwicklungen als die wesentlichen Ursachen benennen. Solche Art Antworten für das Scheitern des Sozialismus stellen, obwohl sie im einzelnen durchaus historisch plausibel klingen mögen, aber doch ein Ausweichen vor der Frage dar, was die politökonomisch neue Gesellschaftsformation Sozialismus für grundlegende Mängel gehabt haben könnte, die sozusagen durch anderes politisch-historisches Verhalten auch nicht behebbar gewesen sein könnten... Wir stehen mit der praktischen Erfahrung da, dass sozialistische Gesellschaften zwar aufgebaut wurden, sich aber den am meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften als ökonomisch unterlegen erwiesen haben. Der Nachweis, dass dies nicht unbedingt so sein muss, muss demnach heute von uns theoretisch wieder geführt werden. Das heißt, es müsste eine Theorie des Sozialismus entwickelt werden, die nicht nur Negation ist - entwickelt aus der Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus - sondern die zumindest die theoretische Möglichkeit für sozialistisches Wirtschaften und dessen potentielle Überlegenheit gegenüber dem entwickelten Kapitalismus nachweist.

Damit ist ein Grund für These 6 Der Sozialismus wird, anders als andere Produktionsweisen, nicht spontan entstehen, sondern geplant aufgebaut werden. Es bedarf schon deshalb einer Theorie des Sozialismus bereits angeführt. Eine solche Theorie des Sozialismus muss grundrissartig angeben können, wie Interessenwidersprüche gelöst werden, und zwar so gelöst werden, dass effiziente Entscheidungen (im Sinne einer Ökonomie der Zeit) resultieren.

Ohne eine Sozialismuskonzeption, die schlüssig ist, wird man nicht in der Lage sein, diejenigen zu überzeugen, die handeln wollen und sogar bereit sind, die kapitalistischen Verhältnisse hinter sich zulassen und sie umzustülpen. Nur eine schlüssige Konzeption kann massenwirksam sein, weil sie überzeugt und weil sie Anleitung zum Handeln sein kann. Wenn man den Menschen eine Handlungsaltemative vorschlägt, also ein neues Ziel für das gemeinsame und individuelle Handeln, muss diese Alternative zumindest realistisch und machbar erscheinen. Man kann nicht alles möglich Wünschbare im gesellschaftlichen Leben als Zielvorstellung postulieren (Demokratie, nicht-entfremdetes Arbeiten, Wohlstand, sinnvoller Umgang mit der Natur etc.). Man muss auch zeigen und argumentativ überzeugen können, dass es eine Gesellschaft dieser Art geben kann ...

Eine Theorie des Sozialismus ist erforderlich, weil es gerade zum Kerngedanken dieser neuen Gesellschaftsformation gehört, dass die arbeitenden Menschen sie bewusst aufbauen. Der Sozialismus, wenn er denn je geschaffen wird, entsteht nicht spontan - hinter dem Rücken der Produzenten - wie alle früheren Gesellschaftsformationen vor ihm. Er soll nicht im Rückblick analysiert werden - das muss er sicher auch. Vielmehr braucht der handelnde Mensch zum Aufbau des Sozialismus einen "Plan" über das, eine Theorie von dem, was er da aufbauen will.

Es gehört zum Selbstverständnis von Marxisten, dass sie meinen, dass die Gesetzmäßigkeiten gesellschaftlicher Entwicklung erkennbar sind. Das bezieht sich in erster Linie auf die Gesetzmäßigkeiten, die in bisherigen Gesellschaftsformationen galten. Insofern wird eine Sozialismustheorie auf einer genauen Analyse der historischen Wirklichkeit des aktuellen Global-Kapitalismus fußen. Aber zusätzlich welcher Vorteil für uns im Vergleich zu den Sozialisten/Kommunisten der Jahre vor 1917! Wir können auch auf einer Analyse des ersten sozialistischen Großversuchs aufbauen. Wenn wir die wesentlichen Gründe für sein Scheitern erkannt haben, wissen wir genauer, welche Probleme wir zu lösen haben.

Anders als ich erwartet hatte, erwies sich auf der Konferenz meine These 7 Ökonomische Gesetze (wie das Wertgesetz) im Kapitalismus unterscheiden sich grundlegend von ökonomischen Gesetzen im Sozialismus als durchaus umstritten. Erstere setzen sich, wie ich das sehe, ähnlich wie Naturgesetze durch das Verhalten der Menschen ohne deren Absichten oder Plan durch. Letztere sind Regeln des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit, die bewusst befolgt oder verletzt werden.

Die Kategorien von Wert und Ware sind in der Marx'schen Analyse Kategorien der Tausch- bzw. Marktwirtschaft, die die Vergesellschaftung der Produktion hinter dem Rücken der Produzenten vollzieht. Diese Vergesellschaftung geschieht nach objektiv und unabhängig vom Bewusstsein der Produzenten bestehenden Gesetzen der Tauschwirtschaft, von der der Kapitalismus ein Sonderfall ist. Die Bestimmung der Preise fußt auf der Grundlage des Warentausches zu äquivalenten Werten. Sie vollzieht sich im Kapitalismus (oder jeder Warenwirtschaft) durch den Zwang des Marktes.

In der Begriffsbestimmung der politischen Ökonomie des Sozialismus (zumindest der in der DDR gängigen deutschen Lehrbücher) nehmen die Kategorien Ware und Wert einen anderen Charakter an. Die unter sozialistischen Bedingungen produzierten Waren werden nicht deshalb auf Basis der Wertäquivalenz getauscht, weil der vergesellschaftende Markt es gesetzmäßig erzwingt, sondern weil das planende Subjekt (im aktuellen Fall der Staat bzw. die staatliche Planbehörde) die Preise gemäß der in den "Waren" enthaltenen gesellschaftlich notwendigen Arbeit festzulegen versucht. Es handelt sich dabei also um ein Imitat der Wirkungen des Marktes in der ungeplanten Tauschwirtschaft. Die Preise werden nicht vorgefunden, sondern sie werden auf Basis der Informationen über die Produzenten kalkuliert, um mit ihrer Hilfe den sozialistischen Vergesellschaftungsprozess zustandezubringen. "Das Wertgesetz ist ein objektives ökonomisches Gesetz auch im Sozialismus" heißt es - besser, hieß es - in den Lehrbüchern. Zu vermuteten oder kalkulierten Werten wurde im Sozialismus deswegen getauscht, um anderen ökonomischen Erfordernissen, die absurderweise auch als "Gesetze" bezeichnet wurden, gerecht zu werden. Eines dieser "Gesetze" sei die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts nach Leistung. Auch das ist wohl kein Gesetz, sondern eher ein Postulat. Im Sozialismus sollte gelten, dass jeder gemäß seiner Leistung am gesellschaftlichen Produkt beteiligt wird.

Ein solcher Zustand - was auch immer er im einzelnen bedeuten mag - muss im Sozialismus bewusst hergestellt werden. Er stellt sich nicht von selbst ein, etwa durch das Bestehen sozialistischer Eigentumsformen. Kurz und gut: die angeblichen ökonomischen Gesetze wie zum Beispiel das Wertgesetz oder das Leistungsprinzip sind eben - zumindest im Sozialismus bisheriger realer Prägung - keine Gesetze objektiver Art, sondern Prinzipien, nach denen gewirtschaftet werden sollte - sie sind demnach eher ähnlich juristischen Gesetzen. D. h. es sind - im besten Falle - von der Gesellschaft bewusst eingesetzte Formen der Vergesellschaftung der Produktion.

Von einem ökonomischen Grundgesetz im Sozialismus zu sprechen, wie wir mit Recht vom Wertgesetz als dem Grundgesetz des Kapitalismus sprechen, erscheint somit als von vornherein irrige Betrachtungsweise. Im Kapitalismus hat das Wertgesetz den Quasi-Charakter eines Naturgesetzes. Es regelt den Warentausch, die Verteilung des Arbeitsprodukts und die Verteilung der Arbeit, ohne dass die Produzenten zuvor eine Vereinbarung über den Charakter dieser Verteilung getroffen hätten. Das Gesetz ist ohne eine solche Vereinbarung da und wirksam. Die planende Tätigkeit des Kapitalisten und seiner Hilfskräfte und Stäbe findet auf der Grundlage und der Voraussetzung des funktionierenden Wertgesetzes statt. Daran muss er seine Planung anpassen, will er nicht untergehen. Ein so (ohne Bewusstsein und Vereinbarung der Produzenten) zustande gekommenes Grundgesetz kann es im Sozialismus nicht geben. Die Umwälzung der Produktionsverhältnisse vom Kapitalismus zum Sozialismus geschieht - wenn sie denn je wieder geschieht - gerade deshalb, um dem blind wirkenden Wertgesetz (und seinen Kindern, dem Mehrwertgesetz und der Profitlogik) das bewusste Handeln der Arbeitenden entgegenzustellen. Der Sozialismus ist Sozialismus nur dann, wenn die Menschen "Natur"-Gesetzen wirklich nur in ihrer Beziehung zur Natur unterworfen sind, nicht aber dann, wenn es um die Beziehung der Menschen untereinander geht. Der Mensch im Sozialismus muss sich seine ökonomischen Gesetze (besser seine Regeln) selbst schaffen. Diese Regeln mögen, wenn sie "Gültigkeit" erreicht haben, ähnlich wie juristische Gesetze und Regeln im kapitalistischen Arbeitsprozess von den Produzenten angeeignet und verinnerlicht werden, sie werden dennoch damit nicht zu objektiven Gesetzen, sondern sie bleiben (durch politische Entscheidungen) zustande gekommene Verhaltensmaßregeln, denen sich die Produzenten unterwerfen, weil sie einsichtig sind. Sie entsprechen den Regeln des Straßenverkehrs. Sie sind die Regeln des ökonomischen Verkehrs der Menschen untereinander.

These 8 Sozialistisch organisierte Gesellschaften unterscheiden sich von kapitalistischen dadurch, dass das bestimmende ökonomische Moment nicht (mehr) das Kapital ist. Diese These ist möglicherweise deshalb wenig kontrovers, weil sie ein wenig vage formuliert ist. Sie dient als Erinnerung daran, dass es nicht immer eindeutig ist, wo Sozialismus und wo Kapitalismus herrscht. Sie dient also als eine Art Sozialismusdefinition. Es ist keine positive Definition, sondern die Formulierung grenzt den Sozialismus gegen den Kapitalismus, nicht jedoch gegen andere Produktionsweisen ab. Die These soll dazu dienen, wie man eine Gesellschaft erkennt, die sozialistisch organisiert ist. Das Kapitalverhältnis als bestimmende ökonomische Dynamik erscheint als das geeignete Kriterium, um diese Unterscheidung treffen zu können ...



Die strittigen Thesen

Unter den kontroversen Thesen ist These 1 Die Volkswirtschaften der Sowjetunion und die der meisten RGW-Staaten und Chinas bis zur Wende unter Deng Xiaoping waren keine Waren-produzierenden Gesellschaften. Das Wertgesetz hatte keine Geltung schon deshalb strittig, weil sie dem Selbstverständnis der Ökonomen in den sozialistischen Ländern Europas, also auch der DDR widersprach. Zur kurzen Begründung für meine These konstatiere ich, dass es im Realsozialismus keine private Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel gab. Es gab kein privates Kapital und deshalb auch keinen Kapitalmarkt. Wie wir wissen (Marx, Kapital Band 3) setzt sich das Wertgesetz im Kapitalismus über den Fluss des Kapitals in Richtung eines Ausgleichs der Profitraten durch. Dieser Markt fehlt im Sozialismus. Es wäre natürlich möglich, dass die Planbehörde einen solchen Ausgleich der Profitraten simuliert und entsprechend die Preise gemäß den so festgestellten oder besser vermuteten "Werten" festlegt ... Über den Kapitalmarkt regelt sich im Kapitalismus, in welche Richtung er sich entwickelt, welche Branchen wachsen, welche stagnieren und welche schrumpfen. Im Sozialismus ist gerade diese Entscheidung eine politische. Wo investiert wird, diese Frage soll im Sozialismus nicht von den Bewegungen des Kapitalmarktes und der Suche nach der höchsten Profitrate entschieden werden. Und das war auch nicht der Fall. Es fehlten damit im Sozialismus alle Voraussetzungen dafür, dass das Wertgesetz funktionieren konnte. Preise (und zu produzierende Mengen) wurden von der Planbehörde politisch bestimmt.

In allen sozialistischen Gesellschaften (vielleicht mit Ausnahme Albaniens) hat es Versuche gegeben, Elemente der zunächst als systemwidrig geltenden Vergesellschaftungsform des Marktes zur der als ungenügend empfundenen Effizienz- oder besser Produktivitätssteigerung zu nutzen. Einzureihen sind hier eine Vielzahl von ökonomischen Reformdebatten und Reformen, wie sie in den ca. 70 Jahren Sozialismusversuch stattfanden. Reformer verschiedener Generationen haben an dem Problem hin- und heroperiert, Marktelemente im Sozialismus einzuführen, begleitet, gefördert oder gehemmt von politischen Entwicklungen in der Staats- und Parteiführung. ...

Als Forderung vorgetragen wurden dabei zum Beispiel "mehr Anreize für die Produzenten", "leistungsgerechtere Entlohnung", "größerer Handlungsspielraum für die Betriebe oder Kombinate gegenüber der zentralen Planung", "Schaffung von Nischen für die (landwirtschaftliche) Kleinproduktion und ihre Vermarktung", "Flexibilisierung der Preise" usw. In marxistischer Terminologie liefen Diskussionen hierzu unter dem Oberbegriff, es sei auch im Sozialismus "dem Wertgesetz Geltung zu verschaffen".

Die kontroverse These 2 Die "Reformen" in diesen Ländern, die erklärtermaßen das Ziel hatten, dem Wertgesetz größere Geltung zu verschaffen, haben das nicht erreicht, sondern einigen gesellschaftlichen Gruppen auf Kosten anderer mehr politische und ökonomische Handlungsspielräume verschafft fasst kurz zusammen, dass das Ziel der Reformer nicht erreicht wurde und nicht erreicht werden konnte. Ökonomische "Reformen" im Sozialismus sind auch unter dem Banner der Dezentralisierung gefordert und gelegentlich auch durchgeführt worden. Dabei ist Zentralisierung versus Dezentralisierung nur eine Dimension der möglichen Veränderung der Entscheidungsfindung. Wichtiger als die Dezentralisierung selber erscheint bei den Reformen, wer anstelle der Zentralbehörde/Regierung an Entscheidungsfreiheit gewinnt. Das waren in der Regel die Betriebs- oder Kombinatsleitungen. Ihnen wurde mehr Entscheidungsbefugnis über Investitionen aus im Betrieb/Kombinat erwirtschafteten Mitteln (Überschüssen) zugestanden, nicht jedoch die Preissetzungsfreiheit. Das mag an der einen oder anderen Stelle höhere Produktivität gebracht haben. Das Wertgesetz wurde aber so nicht ansatzweise durchgesetzt. Vielmehr wurde einer Gruppe von Funktionären mehr Macht gegeben, um im Umfeld des Planes und der zentralen Planungsbehörde Vorteile für diese oder jene Institution oder Branchen herauszuholen.

Zur kontroversen These 3 Gehen die Reformen allerdings so weit wie die Deng Xiaopings in China, dann ist die Rückentwicklung zum Kapitalismus die Folge einige Anmerkungen: Die Entwicklung Chinas von einem armen Entwicklungsland zum, gemessen an der Wirtschaftsleistung, zweitgrößten Industrieland der Erde ist eine weltgeschichtlich bedeutsame und sehr positive Entwicklung. Dem widerspricht nicht die Aussage, dass sich die VR China mittlerweile durch die von der KP Chinas durchgeführten Reformen zu einem kapitalistischen Land entwickelt hat, zu einem Land, wo gemäß These 8 oben das Kapital ökonomisch (und soweit sich das von außen beurteilen lässt, auch politisch) dominiert.

Unbestritten ist, dass die Dengschen Reformen das Ziel hatten, Privatkapital zu schaffen. Lars Mörking zeichnet diese Entwicklung in "Markt statt Armut" (junge welt, 27.3.2013) liebevoll nach. Diese ursprüngliche Akkumulation (bei Mörking ulkigerweise als "Freisetzung von Kapital" bezeichnet, der dabei vermutlich der chinesischen Sprachregelung folgt) erfolgt durch "die Einführung eines Kreditwesens" (Mörking) und die Freisetzung der Ware Arbeitskraft. (Im Fall der Arbeitskraft hat der Begriff Freisetzung berechtigte Tradition.) Die ursprüngliche Akkumulation chinesischer Art entstand durch die freizügige Kreditvergabe staatlicher Banken. Kredit zu unter der Inflations- und Wachstumsrate liegenden Zinsen garantierte Klein- und Großunternehmen eine gute Rendite, selbst wenn die Geschäfte nicht gut liefen. Die mehrfachen Rekapitalisierungen der Banken durch den Staat zeigen, dass auch die Risiken der Kredite von den Banken (dem Staat), nicht aber von den überall entstehenden Industrie- und Handelskapitalisten getragen wurden. Großzügiger Kredit und billige, verfügbare Arbeitskraft sind die Grundbedingungen für den Aufbau des Kapitalismus in China. Es entstanden ein Arbeitsmarkt, ein funktionierender Kapitalmarkt und vor allem eine schnell wachsende und schnell reich werdende Kapitalistenklasse, die im Realsozialismus Europas und im China vor Deng vollkommen fehlten.

Die kontroverse These 4 Der Markt kann als Methode der Vergesellschaftung der Arbeit im Sozialismus nur sehr begrenzt effizient eingesetzt werden kann auch anders formuliert werden. Etwa so: Es bleibt unklar und umstritten, wie der Markt im Sozialismus so genutzt werden kann, dass er die Arbeitsproduktivität erhöht, aber die sozialistische Vergesellschaftung der Arbeit nicht unterhöhlt.

Als Formen, mittels derer sich die notwendige Vergesellschaftung der Arbeit auch im Sozialismus vollzieht, bieten sich die auch im Kapitalismus gängigen Vergesellschaftungsformen an, nämlich der Markt (oder anders ausgedrückt die Warenproduktion) und der Plan (oder anders ausgedrückt die Kooperation). Der Hinweis, Plan und Markt müssten keine einander ausschließenden Vergesellschaftungsformen sein, denn sie bestünden auch im Kapitalismus nebeneinander, hat, was den Kapitalismus betrifft, seine Berechtigung. Ob im Sozialismus eine gegenseitige Ergänzung der beiden Formen gefunden werden kann, muss nach den Erfahrungen der Jahre seit 1917 zumindest bezweifelt werden.

Kooperation heißt "die Form der Arbeit vieler, die in demselben Produktionsprozess oder in verschiedenen, aber zusammenhängenden Produktionsprozessen planmäßig neben- und miteinander arbeiten" (MEW 23, S. 344). Kooperation heißt im Kapitalismus, dass ein Kapital die gekauften Arbeitskräfte gleichzeitig anwendet (MEW 23, S. 349) unter der Zielsetzung der Herstellung einer größtmöglichen Produktmenge. Diese Form der Vergesellschaftung unterwirft den Lohnarbeiter (nachdem der seine Arbeitskraft verkauft hat) der Planung des Kapitalisten. Das Individuum wird dem Willen des Kapitalisten unterworfen und zu einer in der Fabrik oder im Konzern koordinierten, zweckmäßigen, produktiven, Wert schaffenden Tätigkeit angeleitet. Vom Kapital eingekauft, herrschen nicht mehr der Schein der Gleichheit des Marktes und der demokratischen Gleichheit. Die Koordination kann mittels direktem hierarchischem Zwang erfolgen, sie kann aber auch mittels einer Vielzahl von psychologischen, rechtlichen, sozialen Anreizen und Sanktionen erfolgen, die das Kapital zur Bewältigung dieses Problems in seiner mehrhundertjährigen Geschichte bis heute entwickelt hat. Welche Formen im Einzelnen angewendet werden, um der eingekauften Arbeitskraft die größtmögliche Produkt- und damit in der Regel auch Wertmasse abzupressen, ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig. Entscheidend ist, dass das Einzelkapital als planendes Subjekt auftritt, während die Arbeit der Lohnarbeiter von diesem planenden Subjekt passiv vergesellschaftet wird. Diese Vergesellschaftungsform koordiniert planerisch unterschiedliche konkrete Arbeiten, fasst sie zusammen, die als Kräfte zur Verausgabung abstrakter Arbeit eingekauft wurden.

Mit dem Entstehen multinationaler Konzerne hat die durch Planung und Zwang der Kapitale hergestellte Vergesellschaftung der Produktion ebenfalls multinationale oder besser globale Dimensionen erreicht. Von den Vorständen der Multis werden heute völlig unterschiedliche Produktionseinheiten, im Einkaufspreis völlig unterschiedliche Arbeitskräfte unter völlig unterschiedlichen natürlichen und sozialen Umweltbedingungen zusammengezwungen unter dem einheitlichen Gesichtspunkt der größtmöglichen Plusmacherei. Die Planungstechniken beziehen alle Künste der Sozialwissenschaften mit ein. Die größten Warenproduzenten gebieten heute über ein Geflecht miteinander kooperierender Arbeitskräfte, das an Umfang und Komplexität dem kleinerer sozialistischer Länder (wie früher die DDR oder heute vielleicht noch Kuba) nicht nachsteht, im Umfang der geschaffenen Werte es zuweilen wohl auch locker übertrifft. Der Zeithorizont der Planung großer und mittelgroßer Konzerne übertrifft ebenfalls ein Vielfaches der uns von früher her so geläufigen Fünfjahrespläne.

Das Ausmaß der Vergesellschaftung der Arbeit im Kapitalismus durch die erzwungene Kooperation wird bisweilen unterschätzt, weil sie eindeutig die nicht bestimmende Form der Vergesellschaftung ist. Die Planung auch der größten Konzerne ist an nichts anderem als an der größten Plusmacherei orientiert, die nur über Warenproduktion erreichbar ist. Das Einzelkapital muss sich rentieren und an diesem Ziel richtet sich die Planung aus. Der Markt - besser die miteinander verflochtenen Märkte für Konsumgüter und Produktionsmittel, für Arbeitskräfte, für Geld und für Kapital selbst - ist der entscheidende Ort der Vergesellschaftung der Arbeit und deshalb auch das eigentliche Thema der Politischen Ökonomie wie auch der bürgerlichen Volkswirtschaft. Die "unsichtbare Hand" des Marktes formt "hinter dem Rücken der Produzenten" die von Einzelkapitalen koordinierte Einzelarbeit zu einem gesamtgesellschaftlichen - heute wohl im Weltmaßstab gesamtgesellschaftlichen - Arbeitszusammenhang. Der Markt, oder marxistisch gesprochen das Wertgesetz, ist das objektive Regulativ, das die Privatarbeiten zueinander in Beziehung setzt.

Kooperation der Produzierenden ist demgegenüber die bestimmende Vergesellschaftungsform der Arbeit im Sozialismus. Die Kooperation ist dabei keine vom Kapital erzwungene Kooperation; sie findet vielmehr durch die Produzenten selbst statt. Sie werden nicht durch das Kapital kooperativ angewendet, um eine gemeinschaftliche Arbeitsleistung zu erbringen, sondern sie wenden ihre Arbeitskraft selbst - und damit nicht entfremdet - selbst an. Das Instrument der gemeinschaftlichen Selbstverfügung der Produzenten über ihre Arbeitskraft ist der Plan. Dies ist allerdings nur die theoretische Betrachtung der Dinge, denn es stellt sich zum einen die Frage der Bestimmung der Ziele des Planes. (Für das Kapital als planendes Subjekt ist die Zielvorgabe klar und eindeutig: seine Selbstverwertung mit höchstmöglicher Profitabilität.) Es stellt sich ferner die Frage der optimalen Umsetzung der Planziele, das heißt die technische und gesellschaftliche Kombination konkreter potentieller Arbeiten zur gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Auch das ist ein Problem, dem sich das Kapital bei der Anwendung der eingekauften Arbeitskraft gegenübersieht und das es mit Hilfe des Ingenieurwesens, der Organisationswissenschaften, der Betriebswirtschaft etc. (aber auch den Erfahrungen des Klassenkampfes) zu lösen versucht.

Marx hat bekanntlich das Kapital historisch und logisch-begrifflich aus der Warenproduktion und dem Warentausch (das heißt dem Markt) abgeleitet und das Geheimnis der Plusmacherei des Mehrwerts als Warenproduktion mittels Waren (Arbeitskraft) entschlüsselt. Die Jagd nach dem größtmöglichen Profit ist Triebkraft und Steuerungsprinzip in der zum Kapitalismus gewordenen Marktwirtschaft. Dies kann aber nur funktionieren, wenn der mehr oder weniger freie Fluss des Kapitals in die profitabelste Anlage in der Tendenz zur Angleichung der Profitraten führt, damit der den Arbeitern abgepresste Mehrwert entsprechend dem Kapitaleinsatz (nicht etwa gemäß der vom Kapitalisten eingesetzten Zahl der Arbeitskräfte) verteilt und über diesen Umweg dem Wertgesetz - dem Warentausch entsprechend der in den Waren vorausgabten Arbeit zum Durchbruch verhilft. Dass Kapital in die profitabelste Anlage oder Branche strömen kann, ist daher Voraussetzung dafür, dass der Markt insgesamt seine Effizienz spendende Wirkung entfalten kann. Deshalb auch ist "Marktwirtschaft" aufs engste mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln verbunden. Nur wenn Private über Produktionsmittel verfügen, kann das darin gebundene Kapital - meist in Geld- bzw. Kreditform - von einem Sektor der gesellschaftlichen Arbeit in den anderen fließen. Marktwirtschaft muss bei dem heute erreichten Stand der Produktivkräfte und dem erreichten Grad der Vergesellschaftung der Arbeit (weil nach dem Aufkommen des Kapitalismus Warenproduktion immer als bestimmendes gesellschaftliches Moment Warenproduktion mittels Waren ist) auch immer Kapitalismus heißen.

Die Versuche, im Sozialismus (das heißt in Gesellschaften, in denen nicht-private Eigentumsformen an den Produktionsmitteln dominieren) Elemente der Marktwirtschaft einzuführen, sind daher immer Stückwerk geblieben. Als in die gesellschaftliche Planung eingebettete Inseln, auf deren Territorium Preise für Schweinefleisch oder die Gebühren für das Haareschneiden "frei" vereinbart werden können, mögen sie ihre Berechtigung haben. Sie setzen aber eine funktionierende Wirtschaft (per Planung) voraus und werden ihr kaum richtungsweisende Impulse geben können. Ohne einen Kapitalmarkt (= freie Verfügbarkeit von Privaten über Produktionsmittel) kann sich auf Warenmärkten das Wertgesetz nur unzureichend durchsetzen - jedenfalls nicht ohne Zeichen seiner Verletztheit zu zeigen. Es bleibt damit die Lenkungsfunktion des Marktes unvollständig, verzerrt und ineffizient.

Das Nebeneinander der Vergesellschaftungsformen Kooperation und Warenproduktion (Markt), das im Kapitalismus - bei eindeutiger (Dominanz letzterer - so ausgezeichnet funktioniert, gelingt im Sozialismus - bei definitionsgemäß erforderlicher Dominanz der Kooperation - weder praktisch noch theoretisch. Das klingt vielleicht zu drastisch formuliert. Es soll ja nicht geleugnet werden, dass es sowohl im Kapitalismus als auch im Sozialismus Planung und Markt nebeneinander geben kann und gegeben hat. Aber die Zuordnung der beiden Vergesellschaftungsformen der Arbeit zueinander unterscheidet sich eben wesentlich. Während im Kapitalismus die Warenproduktion das dominierende Element ist und die Planungen einzelner Kapitale (und die des Staates ebenfalls) an den Zielvorgaben des Marktes, den Zwängen des Wertgesetzes ausgerichtet sind, funktioniert eine umgekehrte Einbettung von Marktelementen in sozialistische Planwirtschaft nicht.


Lucas Zeise, Frankfurt, Wirtschaftsjournalist, MB-Mitherausgeber



Anmerkungen

(1) Tatsächlich hat sich im Konferenzverlauf herausgestellt, dass zumindest die von mir als unstrittig qualifizierten Thesen 7 und 8 durchaus kontrovers waren.

(2) Das ist allerdings äußerst strittig. Meine Meinung ist, dass es solche Übergänge nur über sehr kurze Perioden gibt, weil die Machtfrage zwischen den beiden Hauptklassen zur Lösung drängt.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 5-13, 51. Jahrgang, S. 43-51
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2014