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LICHTBLICK/212: Buchvorstellung - Die Schwere der Schuld


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 367 - 2/2016

Die Schwere der Schuld


Der Anstaltsleiter Thomas Galli hat ein Buch geschrieben und geistert nun damit durch Deutschlands Medienlandschaft. Er kritisiert den geschlossenen Strafvollzug nicht nur, sondern entfacht eine Kontroverse um den eigentlichen Sinn der Verwahrknäste, die er am liebsten abschaffen würde.


Das Buch beginnt, wie jede ordentliche Abhandlung, mit einer knackigen These. Der Knast ist ein überholtes Symbol für Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit. Direkt nachgeschoben wird, es handle sich um eine "Manifestation ungerechter, unvernünftiger und oft unmenschlicher Verteilung der Schuld". Es wird angedeutet, wie wir als Gesellschaft mit dem Gefängnis die Bösen von den Guten trennen und uns auch noch das Feigenblatt der Resozialisierung vorhalten, mit dem die Bösen dann gut werden sollen.

Schwere Kost für so manchen Normbürger, der zur Zeit doch mit der Illusion der totalen Sicherheit durch einen funktionierenden Rechtsstaat gesegnet ist. Beschwichtigend wirkt in diesem Abschnitt die Betonung der Vernunft. Galli sagt ganz klar, das System müsse auf deren Prüfstand. Und trifft damit vielleicht den Nerv der Zeit. Nicht zu vorsichtig, ein bisschen ironisch, ein bisschen wirkt es wie Post-Punk-Schlipsträger-Attitude. Alles fast ohne Bildungsbürgerpathos oder Sozialarbeitergeschnörkel. Man kann ihn sich vorstellen, den lesegeneigten Durchschnittsstädter, einen E-Reader in der Hand, sich mit der anderen durch den shampoonierten Hipsterbart fahrend. Kein Bildungsbürger oder Sozialheini sondern ein crosstrainierender Paläoveganer mit Fitnesstracker am Handgelenk, aufgeklärt-einfühlsamer Bevölkerer dieses neuen Jahrtausends. Fruchtbarer Boden für eine neue Idee.

Was dann folgt, fordert dem Leser jedoch mehr als reine Aufgeschlossenheit ab. Eher Leidensfähig sollte er nun sein. Achtung, es gibt Knast/Justizgeschichten, heiß und fettig. Und was für welche. Also, die Redakteure hier haben davon schon einige gelesen, gehört und erlebt und sind nicht für besondere Zimperlichkeit bekannt, aber die Sache mit dem Katzenkopf sorgte dann doch für ein in der Magengegend spürbares Unwohlsein. Das Feigenblatt, das Galli von der Resozialisierung genommen hat, legt er jedenfalls nicht vor seine schriftlichen Ausführungen.

Galli schildert hier ein Verbrechen, das in jedem Leser eine Emotion auslösen wird und nutzt dies dann um darauf hinzuweisen, dass derjenige, der für das Verbrechen verurteilt wurde, 26 Jahre lang an seiner Aussage, er sei unschuldig, festgehalten hat, obwohl längst kein Hahn mehr danach krähte, die Behauptung also nur noch schadete. War es so, man weiß es nicht, der Leser bleibt mit Zweifeln und Ekel allein zurück. Und das macht Galli mehrmals ziemlich gut, er zieht den Leser emotional in eine Richtung, die sich dann als falsch oder zumindest zweifelhaft herausstellt. Den enstandenen Raum im Leserkopf, nutzt er um die Methoden der Justiz anzuführen, mit denen eben jene Leere derzeit gefüllt wird.

Das Schlimme ist, man kann dem Autor keine ausufernde Manipulativität oder Sensationsmacherei vorwerfen, denn es ist einfach so. Es ist so, er hat's gesehen und war dabei, und das waren mit Sicherheit kathartische 15 Jahre als Mitarbeiter und Knastboss, die Illusionen, die jeden Außenstehenden umfangen sind aber sowas von verflogen. Tyler Durden vom örtlichen Fight Club sagt: Thomas Galli ist am Nullpunkt. Oder doch nur vorzeitige Erleuchtung? Sind wir, ist die Gesellschaft bereit das Lenkrad loszulassen? Wohl eher nicht, Lösungen sind Galli's Sache nicht, er nuschelt im Nachwort irgendwas von mehr Geldstrafen und Sozialstunden, im TV sagte er seinerzeit gar etwas von Inseln für ganz gefährliche Täter. Wahrscheinlich möchte er nur eine Sache ansprechen, die bereit für die Diskussion in breiter Öffentlichkeit ist. Vielleicht auch nebenbei ein paar Euro Entschädigung für den in fünfzehn Jahren entstandenen Knastschaden mitnehmen.

Also: ein Buch, das gut ist, weil es irgendwie neu daher kommt, nicht zuletzt, weil der 42-Jährige Bayer zum Zeitpunkt der Veröffenlichung Anstaltsleiter war. Kein langweiliges Buch. Real-Crime-Entertainment mit Post-revolutionärer Post-Aufgeklärtheit verlangt die Post-Knast-Ära. Postkorrekt. Lesen!    (MS)


Thomas Galli
Die Schwere der Schuld
Ein Gefängnisdirektor erzählt
12.99 Euro, Broschiert: 192 Seiten
Auflage: 1 (21. März 2016)
ISBN-10: 3360013077
ISBN-13: 978-3360013071

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Quelle:
der lichtblick, 48. Jahrgang, Heft Nr. 367, 2/2016, Seite 7
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2016

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