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LICHTBLICK/207: 23 Stunden in der Zelle sind nicht gut!


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 363 - 2/2015

23 Stunden in der Zelle sind nicht gut!

von Mario Steiner


26.910 Stunden, auf 2,3 Quadratmeter Bewegungsfläche, sind gleich 900 Euro. Also eine Stunde rasender Langeweile, in menschenunwürdigen Verhältnissen, ist 3 Cent wert. Das ist Mathematik bei der Justiz.

Eiskalt erwischt:

Leute in Untersuchungshaft, in dubio Unschuldige, einfach schmoren zu lassen, bis dann der Tag der Verhandlung da ist, ist bis jetzt gängige Praxis.

Abgesehen von den paar Glücklichen, deren Anwälte sie tatsächlich auf Haftprüfung raushauen können, diese also nicht nur für eine schnellere Akteneinsicht beantragt haben. Und das ist selten, weil aus jedem Eierdiebstahl gerne schnell eine Haftsache gemacht wird. Die hohe Fluchtgefahr bei der zu erwartenden hohen Strafe wird großzügig unterstellt, was zwar ein anderes Thema ist aber dennoch ein erwähnenswertes Kuriosum darstellt.

Hier sitzt nämlich ein Haftrichter über den aufbereiteten Ermittlungsakten und entscheidet aufgrund dieser, ob die Haft fortbestehen muss. Die Sache ist die, dass derjenige, der die Akten aufbereitet, in der Regel der Mensch ist, der die Verhaftung vorgenommen hat. Dieser tut per se alles um seinen Fall im Knast zu halten, schon allein um seine selbst vorgenommene Inhaftierung nicht zu konterkarieren.


Gefangen in der Menschenmühle:

Für die meisten heißt es demnach: nicht über Los gehen, keine 1000 Euro einziehen, sondern Schüssel waschen und auf's Essen warten. Mehr passiert nämlich im Großen und Ganzen an so einem U-Haft Tag nicht.

Arbeitsplätze gibt es kaum, Aufschluss auch nicht; die winzige Zelle und der Mietfernseher sind alles was bleibt. Wenn man sich schon soweit durchgeboxt hat und nicht aus Mangel den ganzen Tag mit zerlesenen Romanen und Anstaltsbrot für Entertainment sorgen muss. Das ist das Letzte.

Eine Stunde auf einem betongrauen Hof im Kreis zu laufen, ist dafür kaum ein Ausgleich. Viele resignieren in diesem Brei aus Nichts und nochmal Nichts nach ein Paar Wochen und gehen nicht einmal mehr in diese Freistunde, die dafür sorgt, dass die Langeweile danach um so nervtötender ist.


Doch irgendwie zu unzivilisiert:

Dass das alles zu hardcore für das Jahr 2015 im Zentrum Europas ist, hat nun auch das Kammergericht in Berlin erkannt. Und festgestellt, dass die Bedingungen, die in der Untersuchungshaft in Berlin Moabit herrschen, weitgehend denen der Einzelhaft im Strafvollzug entsprechen.

Was Einzelhaft heißt, kann jeder im Bericht über Suizide in Haft in unserer vorletzten Ausgabe nochmals nachlesen. Eine Einrichtung, die definitiv auch zu durchgeknallt für das Jahr 2015 ist. Wie gut durchdacht sie auch immer seien und angewandt werden, immerhin haben hierfür bestimmte Vorraussetzungen gegeben zu sein, sonst dürfen sie das mit einem Häftling nicht anstellen.

In U-Haft ist die Vorraussetzung für diese Tortur eine Schuldvermutung, die der gerne von unseren Gerichten propagierten Unschuldsvermutung bis zur vollständigen Beweisaufnahme diametral entgegensteht.


Vorschützen und Herauswinden:

Ach ja, die Theorie klingt immer so schön, aber in der Praxis haben wir mit Personalmangel, Tätertrennung und Schwerverbrechern zu tun, stellen sie sich das bloß alles nicht so einfach vor!

Genau so wird sicherlich irgendeiner von den Menschenfreunden argumentieren, die dafür sorgen, dass es solche mittelalterlichen Probleme mit der Würde hierzulande noch immer gibt.

Und so wird die Justiz wieder versuchen, sich um die von diesem Gerichtsurteil ausgehenden Konsequenzen herumzuschlängeln, mit allem was dazu gehört: Lippenbekenntnissen, Billigmaßnahmen und dem Ignorieren der Kernaussage, die dieses Urteil in sich trägt. Denn in Wahrheit können viele die, die sie da verwahren, nur als Menschenmaterial betrachten. Und mitunter peitscht man in diesen Kreisen auch die Öffentlichkeit zweckhaft gegen alle Inhaftierten auf, indem in der Tagespresse besonders abstoßende Verbrechen, die unangenehmerweise auch noch ein Kläger gegen die Haftbedingungen begangen hat, ausgewalzt werden. Dieses Tier gibt jetzt die Opferrolle, wird skandiert.

Was das eine mit dem anderen zu tun hat und dass unter den unwürdigen Verhältnissen vom Ladendieb bis zum Steuerhinterzieher alle zu leiden haben, bleibt unberührt. Leute nehmen sich deswegen das Leben und das sind eben meist nicht die ganz üblen Typen, die der Bürger nicht am Gartenzaun stehen haben will. Warum sollte aber dieser Bürger auch ersthaft politisch gebildet werden und eine differenziertere Meinung zu Delinquenz und dem Umgang damit erhalten?

Dem Senat und dem Großteil der höheren Bediensteten der Justiz sowie einem bedeutenden Teil der Medien kann es logischerweise nur genehm sein, wenn den Mann auf der Straße beim Thema Straftaten und Gefängnis, aufgrund mangelnder Kenntnis der prekären Gegebenheiten, nur ein Angstblitz durchzuckt und er dann hofft, dass die ganzen Bösen da für immer bei Brot und Wasser darben.

Dann muss auch nicht wirklich in einen zeitgemäßen Vollzug investiert werden. Weil's außer für empörte Titelseiten-Skandale einfach nicht interessiert. Der Delinquent wird vorgeführt und dann heißt es: "Geht mal spielen, wir machen den Rest schon für euch."

Und so kann man weiter sparen bis im buchstäblichen Sinne der Arzt kommt. Und natürlich auch weiterhin allmächtig und korrupt sein eigenes Süppchen kochen.


Der Stolperstein

Aber wie kommt es dann zu solchen Urteilen? Na, es geht ja hier nicht um eine große Verschwörung in der Justiz. Höchstens um viele kleine, aber hier und da will ein Richter lieber möglichst glaubwürdig seiner Profession nachgehen, anstatt den Hampelmann für die Justiz zu geben und alles über Bescheide und Rechtsmittel auf die lange Bank schieben zu lassen.

Das ist schön für uns, denn es heißt, dass wenigstens im Ansatz nach dem Buch verfahren wird, auch wenn das den Herrschaften mal Unannehmlichkeiten bringt. Dabei geht es lediglich um so etwas, wie die auf der Hand liegende Feststellung, dass es nicht okay ist, jemanden über Jahre hinweg grundlos in Isolationshaft zu belassen. Und die daraus resultierende Feststellung, dass man den U-Haft-Knast, der das praktiziert, generell so nicht führen kann. Einfache Tatsachen festzustellen, ist im deutschen Vollzug jedoch schon folgenschwer genug.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Einfach mal Fünfe gerade lassen. Nach ein paar Stunden nervt's, nach ein paar Wochen ärgert's und nach ein paar Monaten ist etwas in einem Menschen für immer verloren.

- Das Gericht kam zu der Erkenntnis, dass dem gesetzlich verankerten Ziel des Resozialisierens Straffällig gewordener mit andauerndem Einschluss nicht Rechnung getragen wird. Darf man unverurteilte Gefangene also wie Vieh halten, da das Resozialisierungsziel (noch) nicht gilt?

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Quelle:
der lichtblick, 47. Jahrgang, Heft Nr. 363, 2/2015, Seite 26-27
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
Seidelstraße 39, 13507 Berlin
Telefon/Fax: 030/90 147-23 29
E-Mail: gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
Internet: www.lichtblick-zeitung.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2015

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