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LICHTBLICK/198: Fuß-Fessel-Fetischismus


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 353 - 4/2012

Fuß-Fessel-Fetischismus

von Dieter Wurm



Das moderne Europa hat sich aus vorgeblichen Sicherheitsbedürfnissen zum Schnüffelsystem gewandelt, überall Telefonüberwachung, Datenklau und Kameraausspähung. Alles im Namen der Sicherheit und Ordnung - vorgeblich wird der Bürger durch ausufernde Kriminalität und Terrorismus bedroht.

Deutschland ist auf diesen Big-Brother-Zug aufgesprungen und hat ein Überwachungsinstrument importiert, welches unsere bundesrepublikanische Welt ein klein wenig sicherer machen soll, und von der Bürgerfreiheit wieder mal ein klein wenig abknappst. Hurra, jetzt ist sie da - eine US-amerikanische, undemokratische Machart ist in Deutschland angekommen, die elektronische Fußfessel.


Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) eröffnete die G.Ü.L, die gemeinsame Überwachungsstelle der Länder. Im Rahmen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung können nun entlassene Gefangene durch die Führungsaufsicht gerichtlich angewiesen werden, ein elektrisches Knöchel­ band zur Feststellung des Aufenthaltsortes zu tragen und die in Hessen angesiedelte G.Ü.L., mit Sitz in Bad Vilbel bei Frankfurt, hat die Aufgabe übernommen, die eingehenden Beobachtungsmeldungen aus der elektronischen Überwachung zu bewerten.

Diese Fußfessel stellt einen Mix aus satellitengestützter GPS-Technik, ergänzt mit Mobilfunktechnologie dar, welche der Überwachungsbehörde Einblicke über alle Wege des Überwachten, selbst in der U-Bahn, gewährt. Dieses Gerät gibt dauerhaft ein Signal an die Überwachungszentrale ab, die die gewonnenen Geodaten mit Erlaubs- und Verbotszonen vergleicht.

Die rechtliche Grundlage ist hier der § 463a Abs. 4 Satz 1 Hs. 2 der StPO und § 68 Abs. 1 StGB.

Der Überwachte und Gegängelte ist verpflichtet, die Fußfessel jederzeit umgeschnallt am Knöchel zu tragen. Verlässt der Gefesselte seine ihm gewährte Zone löst er einen Alarm aus und die Fessel vibriert. Über ein mitzuführendes Handy kontaktiert der Überwacher den Gefesselten und verweist ihn auf den richtigen Weg. Schlägt der Kontakt fehl ergreift die Behörde Maßnahmen: Sie verständigt die zuständigen Stellen bei der Bewährungshilfe und der Polizei.

Alarm wird auch ausgelöst, wenn der Überwachte seine Routenbindung (erlaubte Gebiete) verlässt und sich einer Verbotszone, beispielsweise einem Kindergarten oder einer Schule (bei Sexualstraftätern), oder einer Sparkasse (bei Räubern) annähert.


Warum dieser Fußfesselaktionismus?

Im Rahmen einer fast hysterischen Kriminalitätsangst wurde eine 'Waffe' importiert, die unser Land sicherer machen soll. Die Anordnung der Fußfessel basiert auf Prognosen, in denen dem Fußfesselträger eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit unterstellt wird und die es, durch die Beobachtung, zu vermindern gilt.

der lichtblick hat sich ausführlich mit der Thematik der Prognosen befasst und ein düsteres Bild aufgezeigt. Diese Prognosen sind nicht selten nur Hellseherei.

Trotzdem wird dem freien Bürger - denn genau darum handelt es sich bei den zum Tragen der Fußfessel gezwungenen Menschen - eine Fessel angelegt.

Die Begründung für dieses 'moderne Sklaventum' lautet: mehr Sicherheit für den Rest der Welt, wenn das 'frei herumlaufende, potenzielle Böse' universal überwacht wird.


Wirksamkeit

Sorgt die Fußfessel also für mehr Sicherheit der Bevölkerung ? Natürlich nicht - denn selbst der dümmste Ganove wird seine Fessel die Toilette runterspülen, wenn er sein Ding drehen oder auf Flucht gehen will. Einen Triebtäter hindert nun gar nichts daran, seine finsteren Triebe auszuleben - die Triebe vielmehr machen gesunden Menschenverstand zunichte.

Zudem bieten sich rückfälligen Tätern natürlich auch in erlaubten Zonen Möglichkeiten für Straftaten: in erlaubten Zonen können ebenso Überfälle und Übergriffe begangen werden.

Es geht also nur darum: Schöner Schein ! Das Versprechen von mehr Sicherheit kann die Fußfessel nicht erfüllen.

Im Gegenteil: mit dem Versprechen einer vermeintlichen Sicherheit werden Risiken schön und klein geredet, und nicht anderweitig - besser - behandelt !

Die Fußfessel könnte wirksam jedoch zur Untersuchungshaftvermeidung eingesetzt werden, dies wäre auch die prädestinierte Anwendungsmöglichkeit für die Fußfessel, da Vorteile erreicht werden bei gleichzeitiger Minimierung der Nachteile - leider geschieht genau dies aber nicht!

Im Kern liegt es den Innen- und Justizministern mit ihrem Fußfesselfetischismus wohl eher daran, dem ewigen Polizeiwunsche Geltung zu verschaffen, vorbeugend die gesamte Menschheit zu beobachten und die in der Bevölkerung von den Medien geschürte Angst vor Kriminalität zu beruhigen.

Die bayrische Justizministerin Beate Merk (CSU) setzt stramm auf die G.Ü.L. und erklärte in der Presse dazu: "Die Fußfessel hinterlässt Spuren. Die Gewissheit, gefasst zu werden, ist einfach da und das hilft, Straftaten zu verhindern".


Nebenfolgen

Staatliche Zwangsmaßnahmen werden angedroht und durchgeführt, wenn sich der derart überwachte Mensch weigert, eine Fessel zu tragen oder nicht auf den Handykontrollanruf des Überwachers reagiert. Geht er Irrwege drohen die Verhaftung und die Vorführung vor ein Gericht.

Der mittels Fußfessel Gebrandmarkte erlebt eine öffentliche Stigmatisierung: Fußfessel gleich Sexualstraftäter, ist die marktschreierische Botschaft. Nur mal ein Hosenbein verrutscht, schon hat der Träger die 'Arschkarte' gezogen. Kurze Hosen oder Schwimmbadbesuche oder selbst ein Arztbesuch führen zu einer schamvollen Demaskierung.

Die mit dem möglicherweise jahrelangen Tragen verbundenen Stigmatisierungen und freiheitlichen Einschränkungen stehen der Resozialisierung diametral entgegen.

Kritiker dieses Überwachungssystems behaupten, dass sich hiermit die Büchse der Pandora öffnen könnte, denn dieses Projekt hat ungeheure Ausbaumöglichkeiten. Unbenommen ließe sich dieses System auf alle Haftentlassenen und polizeilich verdächtigen Bürger, vom Atomkraftgegner bis zum politisch Unliebsamen, ausdehnen.

So denkt beispielsweise der Generalbundesanwalt Harald Range öffentlich darüber nach, auch bei notorischen Hooligans die elektronische Fußfessel anzuwenden, "damit die Polizei auch hier die Kontrolle hat!"


Besteht noch Hoffnung, die Einführung dieser modernen Sklaverei zu verhindern?

Nein - sie ist schon da. Und den betroffenen Sklaven wird ihr grundrechtlich geschütztes Recht auf Freizügigkeit in Südstaaten-Manier genommen.

Das Bundesverfassungsgericht wird nun aber die Rechtmäßigkeit elektronischer Fußfesseln bei Haftentlassungen überprüfen müssen: Wie Helfried Roubicek, der Anwalt des damit erstbetroffenen Haftentlassenen mitteilte, hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Fußfesselträgers angenommen (2 BvR 916/11).

Das Landgericht Rostock hatte nach Angaben des Anwaltes als erstes Gericht bundesweit das Tragen der elektronischen Fußfessel angeordnet (1 Ws 62/11). Als Reaktion auf die Beschwerde des Anwalts, 'segnete' das OLG Rostock diesen Beschluss ab, wogegen Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde.

Dr. Gero Meinen, Abteilungsleiter der Berliner Justizverwaltung, und dazu ein ausgewiesener Praktiker des Strafvollzuges und der Wiedereingliederung, lehnt diese Fußfesseln rundweg ab: "Insbesondere wird die Untote der Justizvollzugspolitik - die elektronische Fußfessel - hier nicht weiterhelfen. Sie eignet sich allenfalls dazu, Pressemitteilungen zu generieren, ist aber nach allen Erfahrungen der vergangenen 15 Jahre, als vermeintlich wünschenswerte Ergänzung des Rechtsfolgekataloges des Strafgesetzbuches ungeeignet." (Forum Strafvollzug 2/2010, S. 77)

Protest ist angezeigt, weil es zukünftig alle Verdächtigten treffen kann, die man immer schon verdächtigen wollte.

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Quelle:
der lichtblick, 45. Jahrgang, Heft Nr. 353, 4/2012, Seite 12-13
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2013