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LICHTBLICK/194: Gefangenentransporte stehen unter weniger gesetzlichem Schutz als Tiertransporte


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 351 - 2/2012

Sie buchen, wir fluchen

von Dieter Wurm



Gefangene verreisen nicht, sondern gehen auf Transport, werden "verschubt". Menschen verpackt in Boxen auf Rädern, wie eine rollende Sardinenbüchse. Aber halt: Tiertransporte stehen unter gesetzlichem Schutz; selbst für die Beförderung von filetierten Sardinen gibt es mehr Schutz-Vorschriften, als für die Knacki-Verschubung, bei der der Knacki nur Transportgut ist.

Ein Bericht über den Skandal von Dieter Wurm


Der Gefangene erfährt wohl grundsätzlich, dass eine Verschubung auf ihn zukommt. Ladung zum Gerichtstermin, oder auch eine Verlegung in eine andere Haftanstalt. Das "Wann" soll er vorab nicht erfahren. Hier haben die Bürohengste mit ihren Transportvorschriften vorgebaut. Alles um Flucht oder Befreiung zu verhindern. Deswegen wird der Transport meist erst am Vorabend bekannt gemacht. Also keine Zeit und Möglichkeit, Angehörige über die Verschubung, die Wochen dauern kann, zu informieren. Geflüchtet ist übrigens noch keiner - dass das ein Verdienst dieser Geheimhaltungspolitik ist, darf aber bezweifelt werden.

Zum Schub darf dann jeder Gefangene eine kleine Tasche mit Briefpapier, Unterhose, Kaffee und Rauchutensilien mit sich führen.

Es wird gründlich gefilzt, bevor es dann losgeht - oft mehrmals.

Der Transporter selbst - ein rollendes Unfallrisiko - hat es in sich: Verschließbare Einzelkabinen mit knapp 2 Kubikmeter Rauminhalt, Doppel- und Viermannboxen und ganz hinten, fünf Sitzplätze nebeneinander. Die Wände und Türen mit kleinen Klappen und Riegeln. Ein "Zellengang," lang durch den Bus, erscheint in grauer Farbgebung gleich wie ein Miniknast. Winzig kleine Sichtluken ermöglichen einen Blick nach draußen.

Mobiler Knast, durchfährt dieser die doch so heiß ersehnte freie Welt wie ein Unterseeboot einen Ozean und parkt sich, wie auftauchend, nur in Knästen ein. Eine rollende Sardinenbüchse, in der das Frachtgut gänzlich ungesichert dem Fahrer und Straßenverkehr ausgeliefert ist - Ladungssicherung gleich Null. Passiert ein Unfall, verbrennt halt das Transportgut in seinen verschlossenen Kabinen - Sardinen gegrillt.

Nächste Haltestelle, nächster Knast: Namen werden aufgerufen, Listen und Fotos verglichen - das große Umladen beginnt. Wer muss mal, in der Schlange anstehen zum Wasser lassen. Beim Ein- oder Aussteigen fällt mancher Blick schon mal auf die verplombte Maschinenpistole hinter dem Fahrersitz und die Hand- und Fußfesseln und Schlagstöcke.

An Knotenpunkt-Knästen, fest eingeplant nach Fahrplan, Mittagessen in überfüllten und verschmutzten Transportzellen. Manchmal hundert Gefangene sitzen oder stehen dicht gedrängt. Lunchpakete und Plastik-Geschirr für die dargereichte Mampfe. So sitzen sie wartend eingehüllt in Lärm und Zigarettenqualm, vielleicht einen Teebecher vor sich. Im Blick und Nase die viel benutzten Toiletten, mit der Frage im Herzen, wann geht es denn weiter? Transportzellen müssen wohl immer total verdreckt sein, die Wände übersät mit Sprüchen und Zeichnungen von Generationen an menschlichem Frachtgut. Uniformierte Listenableser weisen den Weg aufrufend, zum nächsten Bus, denn die Fracht muss verteilt werden - natürlich nicht, ohne die Ladung erneut zu inspizieren (Filze).

Abends erreichen die letzten Transporte ihr Tagesziel - das oft nur 100 Kilometer vom morgendlichen Ausgangsknast entfernt liegt. Auch beim Transport ist die Justiz gemächlich unterwegs.

Mit "Bündeln" verteilt man diese menschliche Fracht auf versiffte Gemeinschaftstransportzellen. Dort werden sie dann mit mehr oder wenigeren Mitreisenden die Nacht verbringen. Die Bündel enthalten nur das, was dem Menschen zum Übernachten und für das kommende Frühstück zugestanden wird. Muckefuck oder Tee aus dem Picknapf, Brot und Marmelade.

Telefonate mit Angehörigen, Postempfang oder Verteidigergespräche - auch während wochenlanger Transporte nicht vorgesehn. Einkauf: ebenso Fehlanzeige; saubere Wäsche: nix da; Besuch: träum weiter Knacki.

Am nächsten Morgen: die gleichen entwürdigenden Prozeduren - und dies über Wochen, denn wo der Bürger in Freiheit mit seinem Auto unser Land an einem Tag zu durchqueren mag, braucht das Reiseunternehmen "Justitia" schon mal zwei Monate. Selbst jede eingebüchste Sardine wäre während eines solchen Transportes verschimmelt.

Mein Fazit: Die Art und Weise, wie Justiz Gefangene transportiert, ist lebensgefährlich und menschenunwürdig und das seit Jahrzehnten, weg damit!

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Quelle:
der lichtblick, 45. Jahrgang, Heft Nr. 351, 2/2012, Seite 27
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2012