Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

LICHTBLICK/168: Geschichte des Strafens - Teil 5


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel - 2/2010

VollzugsVisionen
Geschichte des Strafens
Teil 5: von Beginn der Moderne bis Heute


In der letzten Ausgabe haben wir die Geschichte des Strafens im europäischen Raum bis zum Ende der Frühen Neuzeit, dem 18. Jahrhundert, dargestellt.

Schwerpunkt war die Hexenverfolgung im Mittelalter und die Entstehung der Gefängnisse. Damit sind wir am Beginn des 19. Jahrhunderts. Zur Erinnerung: Als eine der ersten theoretischen Abhandlung über Strafe gilt der Sachsenspiegel aus dem 13. Jahrhundert. Er war eine Rechtssammlung in deutscher Sprache. Darin befanden sich biblisch überlieferte Strafregeln der Vergeltung und der Abschreckung. Später wurden die darin enthaltenen rechtlichen Anwendungen von Philosophen und Gelehrten verfeinert. So forderte zum Beispiel schon John Locke im 17. Jahrhundert, der Staat dürfe nur strafen, wenn es unbedingt notwendig sei. Strafe soll gerade nicht Rache sein, sondern wichtiger sei, Schaden von der Allgemeinheit fernzuhalten. Ein Jahrhundert später fordert Immanuel Kant, ein Strafzweck soll sein, die Rechtsordnung wieder herzustellen.

In der Moderne, die der Frühen Neuzeit folgt, gelten die Strafzwecke der Vergeltung und der Abschreckung fort. Doch zeigt sich über die Jahrhunderte ein Trend, zuerst Todesstrafen nicht mehr öffentlich, etwa auf den Marktplätzen wie im Mittelalter, zu vollziehen, sondern das Töten selbst vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Später wurde die Todesstrafe in den meisten Ländern der Welt abgeschafft, ersetzt durch lebenslängliche Haftstrafen.

Als einer der Begründer des modernen deutschen Strafrechtsverständnisses, gilt Feuerbach (1775 - 1833). Bereits die Androhung von Strafe soll abschreckend wirken. Um Willkür zu vermeiden, forderte er nicht nur den Grundsatz, keine Strafe ohne Gesetz, sondern auch dass die Gesetze allgemein bekannt und Tatbestände klar formuliert sein müssen. Feuerbach setzte sich darüber hinaus für die Abschaffung der Folter ein. Und er arbeitete auch an Entwürfen zu einem Strafgesetzbuch, das vor allem zuerst in Bayern umgesetzt wurde.

In Preußen galt hingegen der Sachsenspiegel als Gesetzesgrundlage uneingeschränkt noch bis 1794. Ein Jahrhundert später, 1871, wurde der Sachsenspiegel unter anderem von Franz von Liszt aufgegriffen und umgestaltet. Dessen Abhandlung gilt als eines der ersten Rechtslehrbücher überhaupt für das deutsche Strafrecht. Es enthält Erklärungen über die Strafzwecke der Sicherung, der Besserung und der Abschreckung. Vorgebeugt werden soll nicht nur durch die Abschreckungswirkung der Haftstrafe, sondern während des Vollzugs von Strafe soll ein Täter vergesellschaftet werden, damit er als nützliches Mitglied in die Gesellschaft zurückgeführt werden kann.

In dieser Abhandlung ging es nicht nur um Straftheorien, sondern auch um die Praxis im Gefängniswesen, um die Ausübung, um den Vollzug von Strafen. Von Liszt sieht die Freiheitsstrafe zwar als Möglichkeit des Besserns an, will aber einen Großteil der Gefangenen, die er für unverbesserlich hält, wenn auch in Milde und Fürsorge, für immer in den Gefängnissen einsperren. All das zu einer Zeit als Gefängnisse noch muffige Löcher waren.

Gefängnisse wurden schon zum Ende des 18. Jahrhunderts "panoptisch" konstruiert: Von einem zentralen Punkt aus kann ein einzelner Aufseher alle Zellen übersehen.

Diese Bauweise war ursprünglich für das Beaufsichtigen von Fabrikarbeitern entworfen worden. Kein Wunder also, dass die Verhältnisse auf das Gefängniswesen in aller Welt übertragen wurden. Diese Bauten sind typisch für das Zeitalter der "industriellen Revolution".

Durch den panoptischen Aufbau ließen sich nun die Insassen nicht nur optimal beobachten, sondern es wurde ihnen darüber hinaus das Gefühl einer ständigen Überwachung vermittelt. Dazu dienten noch zusätzlich die Gucklöcher in den verschlossenen Türen. Sie sind wie in einem Panoptikum da, um zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Die Gefangenen erlitten dadurch unentwegt negative Aufmerksamkeit, die zur Einschüchterung und damit zu einer besonderen Form von Anpassung und zur Reue führen sollte.

Spielte im Mittelalter der Erziehungsgedanke noch keine Rolle, so entdeckt man spätestens mit dem Industriezeitalter zunehmend die wirtschaftliche Verwertung des Gefangenen als Arbeitskraft, die es zu erhalten galt. Die Menschen leben in einer Disziplinargesellschaft, behauptete der Philosoph Michel Foucault.

Das Gängeln der Menschen geschieht nicht nur in den Gefängnissen, sondern auch in Schulen, Kasernen, psychiatrischen Anstalten und Fabriken.

Die Insassen wurden zu diesem Zweck in den Anstalten von der Außenwelt gänzlich abgeschottet. Michel Foucault sprach von der Anstalt als "totale Institution".

Die Bewegung zwischen dem inneren Bereich eines Gefängnisses und der äußeren Welt wurde durch Schleusen und ein Regelwerk von Vorschriften zweckdienlich kontrolliert. Jeder Insasse erhielt einen engen Bewegungsspielraum durch vorwiegenden Einschluss in ein Kabuff, in dem das Fenster noch möglich klein und hoch oben angeordnet war. Der Mensch erhielt wurde als Sache eingeordnet, die bürokratisch verwaltet wurde. Eigeninitiative war den Insassen genommen. Der Gefangene versuchte in solchen Verhältnissen, sich jener Norm, welche der Einordnung zugrunde liegt, anzupassen.

Der Soziologe Erving Goffman hat später die schädlichen Mechanismen einer derartigen Behandlung von Gefangenen aufzeigen können. Die Menschen erlangten durch die Einengung und die Reizarmut kuriose Verhaltensweisen: sie wurden ungewollt entsozialisiert.

In den Haftanstalten bestand die Anpassung des Gefangenen nun darin, sich gut zu führen. Er suchte sich, wenn er nicht zur Zwangsarbeit eingesetzt wurde, eine möglichst angemessene Arbeit oder vermied sie, um sich selbst zu beschäftigen. Der Einzelne befand sich in einer Zwickmühle: Er wurde kontinuierlich beobachtet und diszipliniert. Das führte zu Kriechertum.

In allen Gefängnissen, und das noch heute, gab es zur Abschreckung Bunker und Sicherheitsstationen. Hierdurch wurde normgerechtes Verhalten innerhalb der Mauern erzwungen. Die Abgesonderten wurden dort isoliert, auf sich allein gestellt in kleine Räume als Dauerstubenarrest verbracht. Gleichzeitig dienten sie als exemplarische Beispiele der Bedrohung an alle: Das führte zu Ängsten und zu Gehorsamkeit.

Die hier angerissenen Machttechniken der Betreiber von Gefängnissen wurden im 17. Jahrhundert erst langsam entwickelt und setzten sich in immer einfallsreicheren Formen durch. Veränderungen gab es vor allem in der Unterbringung. Herrschte im Mittelalter noch die Sammelverwahrung von Insassen vor, ging man später immer mehr zur Einzelverwahrung über.

Mindestens zwei Gründe lassen sich anführen, weshalb das aus der Frühen Neuzeit stammende Sammelverwahren von Menschen aufgehoben wurde (vgl. lichtblick 1/10, S. 11f). Der eine Grund ist, dass man schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts festgestellt hatte, dass das Zusammenleben vieler Menschen auf engstem Raum Epidemien begünstigt. Fleckfieber, Typhus und Ruhr rafften nicht nur die Insassen dahin, sondern auch deren Bewacher. Deshalb begannen die Betreiber von Gefängnissen, die Insassen mit ansteckenden Krankheiten zu isolieren.

Ein anderer Grund ist, dass man Ideen einer besonderen Form von Askese zur Besserung des Menschen umsetzten wollte. Das Mönchtum diente als Vorbild. Denn Mönche, von der Wortbedeutung her "Einsiedler", entsagen weltlichen Zielen, isolieren sich freiwillig und gelten durch ihre Haltung als gute Menschen.

Die Gefangenen sollten sich nun im Zwangsverfahren der Entsagung durch verschärfte Einzelhaft verändern. Der Trend, der aus Amerika hinüber schwappte, hielt im deutschen Raum Einzug. So begann im 19. Jahrhundert die planmäßige sittlich-religiöse Erziehung in Deutschland als eine inhaltliche Aufgabe des Strafvollzugs. Die Berliner Verhältnisse stehen hier beispielhaft für alle anderen Gefängnisse in Deutschland und Europa.

Die strengen sittlich-religiösen Ideen der Vereinzelung wurden in Berlin eifrig von dem Theologen J. H. Wichern aufgegriffen und auf das Zellengefängnis im Stadtteil Moabit umgesetzt. Es wurde 1849 erbaut. Strenge Isolierung wurde damals und aus heutiger Sicht beschönigend als Reform bejubelt.

Die Einzelhaft, die neue Vollzugsart, war die vollständige Trennung der Straftäter untereinander. Die Konzeption sah einen Tagesablauf durch Arbeit von 5.30 bis 19.00 Uhr vor, begleitet von Gebeten, biblischen Lesungen und Gesängen. Einmal wöchentlich gab es fünf Unterrichtsstunden, und die waren ebenso auf Bibellektüre ausgelegt. Selbst beim Gottesdienst wurden die Häftlinge mit seitlichen Sichtblenden voneinander isoliert. Auf dem Weg in die Kirche mussten zuweilen Mützen mit Sichtschirmen getragen werden, um eine optimale Trennung zu gewährleisten. Durch vertiefte Frömmigkeit und harte, ermüdende Arbeit sollte sich tätige Nächstenliebe bei den Missetätern einstellen.

Lange Arbeitszeiten von 80 Stunden in der Woche waren für alle Menschen zu jenen Zeiten keine Seltenheit. Es gab darüber hinaus noch die Kinderarbeit. Um 1858 haben in Preußischen Fabriken mehr als 12.000 Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren bis zu 16 Stunden täglich geschuftet. Etwa in der Textilindustrie oder im Bergbau.

Neben dem Zellengefängnis Lehrter Straße 1855, das als Mustergefängnis galt, wurden im Berliner Raum, aber auch andernorts, zur Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jhdt. viele weitere Anstalten gebaut. Für Berlin das "Neue Stadtgefängnis Plötzensee" im Jahre 1876, die heutige U-Haftanstalt Moabit und die heutige JVA Tegel, die 1898 fertiggestellt wurde. Zu sehen ist in Tegel noch immer das panoptische System der Häuser II und III.

Weil es zum Ende des 19. Jahrhunderts zu immer mehr Verurteilungen kam, hielt das Preußische Justizministerium den Bau neuer Anstalten für notwendig. In der Tegeler Anstalt trugen die Beamten noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Uniform und Seitengewehr. Am Rand des Geländes gab es einen Schießstand. Die Gewehre wurden von den Aufsehern bei der Freistunde getragen. Die Gefangenen liefen paarweise, in übersichtlichen Abständen. Wecken war gegen 5.45 Uhr, gearbeitet wurde bis 17.45 Uhr mit einer dreiviertelstündigen Mittagspause. Nur sonntags war arbeitsfrei. Die Gelegenheit zum Kirchgang innerhalb der Anstalt. Es gab schon die Bäckerei, die Druckerei und eine Möbeltischlerei und eine Schlosserei, aber auch einen Unternehmerschuppen. Später wurde die Buchbinderei, die Polsterei und die Korbflechterei eingerichtet. Die Zellenarbeit war weit verbreitet, etwa mit Papierfaltarbeiten oder Kugelschreiberdrehen. Ursprünglich gab es in den Räumen Petroleum- und Gasbeleuchtung. Das Klosett hatte noch keine Spülung. Die Fäkalien, die meist feste und mehr oder weniger stark riechende Ausscheidung des Darmes, wurden durch ein Kübelsystem entsorgt. Es galt die Arbeitspflicht, die Gehorsamkeit, die Ordnung und die Sauberkeit. Damals bestand die Hälfte der Insassen aus sogenannten Obdachlosen, Arbeitsscheuen und Landstreichern. Später zunehmend aus Verurteilten wegen krimineller Vergehen.

Zur nationalsozialistischen Zeit ab 1933 kam es erstmals zu Belegungsdruck wegen der vielen Menschen, die aus politischen Gründen eingesperrt wurden. Viele wurden wegen "Heimtücke" verurteilt. Dieser bizarre Straftatbestand wurde 1934 eingeführt. Damit konnte der NS-Unrechtstaat die harmlosesten Kritiker an dem Hitlerregime 3 Jahre lang einsperren.

In der Haftanstalt Tegel wurden im Übrigen zu jenen Zeiten auch Guillotinen gebaut. Und zum Zweiten Weltkrieg hin wurden immer mehr Freidenker eingesperrt und einige von ihnen mit dem Tod durch den Strang bestraft. Berühmtes Beispiel ist der Pfarrer Dietrich Bonhoefer. Dessen Kritik führte ihn erst nach Tegel, dann in den Tod. Ein anderes Beispiel ist der Jurist Hans Litten, der als "Arbeiteranwalt" erst verhaftet wurde und später im Konzentrationslager umkam.

Schaurig mit Wirkung bis in die heutige Zeit ist aber auch, dass die Nazis die Sicherungsverwahrung einführten. Dadurch konnten die Gegner des Naziregimes und einige kriminell handelnde Menschen als "Volksschädlinge" beschrieben, etikettiert und auf unbestimmte Zeit weggesperrt werden.

Nach dem Krieg wurde die JVA Tegel erweitert, und zwar in den 1970er Jahren um die sozialtherapeutische Abteilung (SothA, Haus IV). Ein Schulgebäude wurde errichtet und die Aufstockung der psychoneurologischen Abteilung vorangetrieben, die gegenwärtig zur SothA gehört. Das existierende Haus V E wurde an das Haus III angebaut. Es folgten in den 1980er Jahren die Häuser V und VI.

Bei den Neubauten seit den 1970er Jahren wurde das baulich zentral überwachende System zur andauernden Beobachtung abgeschafft, die Gucklochmentalität aufgehoben. Der Wohngruppenvollzug wurde eingeführt. Darüber hinaus trat 1977 ein reformiertes Vollzugsstrafrecht in Kraft, das den Gefangenen mehr Rechte einräumen sollte und der offene Vollzug wurde auf den Weg gebracht.

Der Alltag in den Gefängnissen soll nun in der heutigen Zeit so gestaltet sein, dass er weit gehend den Lebensverhältnissen von draußen entspricht. Das Entsozialisieren soll dadurch verhindert und der Mensch besser vorbereitet werden, nach der Haft ein Leben ohne Straftaten zu führen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden auch die Rechte des Gefangenen gestärkt. Es wurden auch die sozialtherapeutischen Maßnahmen intensiviert.

Der Gefangene erfährt mehr Achtung und Aufmerksamkeit. Die Kommunikation mit der Außenwelt ist verbessert, zum Beispiel durch die Möglichkeit, täglich nach draußen zu telefonieren. Es wurde der offene Vollzug besonders in Berlin und Nordrhein-Westfalen ausgebaut. Diese Bundesländer sind Vorreiter für einen humanen Strafvollzug. Schließlich wurde der Zugang von auswärtigen Mitarbeitern erleichtert, erweitert und die Langzeitsprechstunde für Paare eingeführt.

Doch wer mutmaßt, dass die Geschichte des Strafens eine Entwicklung sei vom Schlechten zum Guten, der irrt ebenso wie derjenige, der befürchtet, man bereite dem Straftäter den Hotelvollzug. Eine Prüfung der Praxis wird ergeben, dass eine große Lücke klafft zwischen dem Ideal der humanen Straftechnik (dem Sollen) und der Wirklichkeit (dem Sein). Davon wird in den weiteren Ausgaben der Reihe Strafvollzugsvisionen die Rede sein.


*


Hier eine kleine Auswahl von Gefängnistypen:

Das Arbeitslager:
ist ein abgesonderter Bereich, in dem Menschen zur Arbeit verpflichtet sind. Geschichtliche Beispiele sind die sowjetischen Verbannungsarbeitslager (Gulag), Arbeitserziehungsanlagen und Konzentrationslager im Dritten Reich oder die Umerziehungslager in China und bestimmte Gefängnisse in den USA.

Die Festungshaft:
war z. B. bis 1945 eine Haftform für Menschen mit ehrenhafter Gesinnung, vorwiegend für Angehörige höherer Stände.

Eine Gefängnisinsel:
ist eine Insel, die vollständig als Ausgrenzung der Delinquenten dient. Berühmtes Beispiel: Alcatraz vor San Francisco (USA).

Ein Gefängnisschiff:
dient allein zur Unterbringung von Gefangenen. Es gab sie vor allem während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1775-1783).

Das Konzentrationslager:
ist eine Sammelbezeichnung für Lager, die internieren. "KZ" war das Kürzel für die Arbeits-, aber vor allem Vernichtungslager während der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945), von denen es mehr als 500 gab.

Das Zuchthaus:
ist eine Strafanstalt, in der übermäßige Strenge und Arbeitszwang herrscht. Hier mussten sich Menschen oft bis zur Erschöpfung in Steinbrüchen oder beim Torfstechen plagen. In Deutschland (BRD) wurde 1969 das Zuchthaus abgeschafft.

Das "geheime Gefängnis":
ist ein illegales Gefängnis und wird meist von totalitären Staaten betrieben. Zur Beurteilung ist man oft auf Vermutungen angewiesen. Bekannt wurden allerdings geheime Gefängnis- und Folterzentren aus den 1970er Jahren in Argentinien zu Zeiten der Militärdiktatur. Oder aus China wurde bekannt, dass Provinzbehörden Menschen einsperren, um sie an Bittschreiben zu hindern.

Besonders berüchtigt sind die "black Sites", die vom US-Militär errichtet wurden und offiziell nicht existieren. Es dürfte ein weltweites Netz dieser Einrichtungen geben. Enthüllt wurde von der "Washington Post" beispielsweise, dass der US-Geheimdienst CIA mehrere Geheimgefängnisse für Terrorverdächtige in Osteuropa und Asien unterhält (nach Wikipedia). Vermutet wurde ferner, dass auf Diego Garcia (Insel im Indischen Ozean), im Irak und auf Flugzeugträgern "Geisterhäftlinge" untergebracht wurden. Und auch das in Kuba liegende Guantànamo gilt als illegal, obwohl das Lager selbst bekannt ist.

Als schönster Knast:
gilt optisch der Glaspalast "Leoben Gerechtigkeit" in der Steiermark (Österreich). Das Gebäude besteht nahezu aus Glas. Die Räumlichkeiten sind anmutig, großzügig und lichtdurchflutet.

Das kleinste Gefängnis:
befindet sich offenbar auf Sark, einer der englischen Kanalinseln. Die Kapazität: Zwei Gefangene.

Ein seltsames Gefängnis:
liegt in San Pedro, Bolivien. Die Häftlinge müssen für eine Zelle Miete bezahlen. Touristen dürfen gegen eine kleine Gebühr übernachten. Die meisten überfüllten Knäste: dürfte es in Thailand geben. In Russland, das "Kresty"-Gefängnis, soll dreifach überbelegt sein mit 10.000 Menschen.

Ein äußerst krudes Gefängnislager:
ist eine Hüttensiedlung in Bolivien. Es kommt ohne Gitter aus. Palmasola, die Gefangenenstadt ist umgeben von Mauern und Stacheldraht mit Wachtürmen und Scharfschützen. Ein Leben zählt hier nicht viel. Die Gefangenen sind sich selbst überlassen. Sie können sich innerhalb der Siedlung frei bewegen. Es gibt Restaurants, Fitnessstudio, Friseur und einen Fußballplatz. Auch Angehörige können hinein und dort verbleiben. Die Versorgungslage gilt als allgemein schlecht, denn die reguläre Verpflegung erfolgt mit Schlacht- und Lebensmittelabfällen. Für die meisten Gefangenen soll wenig geeignete Nahrung zur Verfügung stehen. Der Handel blüht und wenn es zu Streitigkeiten komme, herrsche das Recht des Stärkeren, heißt es. Bandenartige Strukturen sollen einer organisierten Selbstverwaltung ähneln. Tötungsdelikte innerhalb dieser Siedlung werden staatlicherseits nicht untersucht oder geahndet.

Das größte Gefängnis:
befindet sich wie so manches Gigantische in Amerika. Auf der Insel Rikers Island nahe der Stad New York an der Ostküste leben 15.000 Insassen hinter Stacheldraht und Beton. Winzig war hingegen das an der Westküste gelegene, berühmt-berüchtigte Alcatraz in der Bucht von San Francisco. Hier wurden bis zu 300 Gefangene zeitgleich untergebracht.

Die USA haben mit 750 pro 100.000 Einwohner, abgesehen von China, die höchste Inhaftierungsrate der Welt. Insgesamt über zwei Millionen Menschen führen im gelobten Land ein dürftiges Dasein hinter Gittern.


Makabere Gefängnisvergleiche

Der Belgier Jan de Cook hat vor einiger Zeit 66 Haftanstalten getestet und dabei einige Gegensätze vorgestellt. Es sei besser, in Afrika mit 30 Häftlingen in einer Großraumzelle zu sitzen als in Einzelhaft in Japan. Bilderschriftzeichen geben vor, wie man zu schlafen hat oder sich beim Warten aufs Duschen hinzuhocken hat. Beim Hofgang in Stechschritt ist es totenstill.

In Asien habe er gelernt, dass Ratte nicht gleich Ratte ist, sondern dass manche ganz ordentlich schmecken. Auf seinem Weg durch die Anstalten habe er erkannt, dass manche Häftlinge nie die Sonne sehen würden und auch keine Angehörigen. Riesige Mauern und Elektrozäune würden das Bild abrunden. So wie in Florence, Colorado. Es sei der perfekte Ort, um wahnsinnig zu werden. Man bezeichne die Haftbedingungen im Supermax Florence häufig als Isolationshaft, weil die Gefangenen nur wenig Kontakt zur Außenwelt und zu ihren Angehörigen unterhalten dürfen. Eine Standardzelle im Supermax Florence sei ausgestattet mit einem im Boden verankerten Stuhl, einem unverrückbaren Betontisch und einem Spiegel aus poliertem Stahl. Alle Möbel bestehen aus Stahlbeton. Persönlicher Besitz sei verboten und das Fenster befinde sich an der Decke der Gefängniszelle, so dass die Häftlinge nur den Himmel sehen würden. Es gebe aber auch viele Zellen, die kein Fenster besäßen. Für Häftlinge und deren Besucher gelte eine strenge Kleiderordnung. Scheinbar obszöne Kleidungsstücke, Shorts und Tops, sowie solche mit provozierenden Aufschriften oder Abzeichen, seien verboten. Auf der Kleidung der Besucher dürften keine Buchstaben und keine Abbildungen von Menschen, Tieren oder Pflanzen zu sehen sein. Die Inhaftierten würden pro Tag 23 ½ Stunden in ihrer Einzelzelle verbringen. Das Essen werde in den Zellen ausgegeben, um Häftlingskontakte zu vermeiden.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Früher, Ende des 18. Jahrhunderts, ... muffige Löcher
Mitte des 19. Jahrhunderts, bevorzugt in Amerika: ... statt dem Spion in der Tür, total einsichtige Zellen.
Zelle in der JVA Tegel - TA II,
Bj: Ende des 19. Jahrhunderts, bis heute fast unverändert.
Zelle in der JVA Tegel - TA V,
Bj: 1982.

Die vorangehenden Teile dieser Serie sind zu finden unter:
www.schattenblick.de - Infopool - Medien - Alternativ-Presse:
LICHTBLICK/158: Eine Geschichte des Strafens - Teil 1
LICHTBLICK/159: Eine Geschichte des Strafens - Teil 2
LICHTBLICK/161: Eine Geschichte des Strafens - Teil 3
LICHTBLICK/165: Eine Geschichte des Strafens - Teil 4


*


Quelle:
der lichtblick, 42. Jahrgang, 2/2010, Heft Nr. 343, S. 6-13
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
Seidelstraße 39, 13507 Berlin
Telefon/Fax: 030/90 147-23 29
Internet: www.lichtblick-zeitung.de

"der lichtblick" erscheint sechsmal im Jahr.
Der Bezug ist kostenfrei. Spenden zu Gunsten
des Gefangenenmagazins "der lichtblick" sind als
gemeinnützig anerkannt und steuerlich absetzbar.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2010