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KAZ/312: Israels Strategiewechsel von der Okkupation zur Annexion


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, Dezember 2019
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Israels Strategiewechsel von der Okkupation zur Annexion - oder wie Israel der Zweistaatenlösung den endgültigen Todesstoß versetzt


Der Nahostkonflikt besteht seit über hundert Jahren. Er begann spätestens mit der Balfour-Deklaration[1] im Jahre 1917 (siehe KAZ 367, S. 16), in der, wie es der Schriftsteller Arthur Koestler ausdrückte "eine Nation einer anderen Nation das Land einer dritten Nation anbot", ohne diese zu fragen, versteht sich. Der sogenannte "Friedensprozess von Oslo" (s. Kasten am Ende), längst nur noch Schatten eines Friedensprozesses, hat daran nicht nur grundsätzlich nichts geändert, sondern sollte das gar nicht.[2]

Aber die Geschichte geht weiter. Deshalb soll hier beschrieben werden, was gegenwärtig in der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern passiert und welche neuen Entwicklungen und Perspektiven sich gerade auftun. Sie haben das Potential, den gesamten Konflikt und seine Ausdrucksformen in neue Bahnen zu lenken und neue Widersprüche hervor zu rufen. Denn das, was sich gerade vor aller Welt Augen, genauer, vor den fest verschlossenen Augen unserer Politiker aller Couleur und der bürgerlichen Presse abspielt, kommt einer grundlegenden Wende gleich.

Historischer Blick zurück

Um den Kontext herzustellen, muss zunächst kurz zurückgegriffen werden auf die Ursprünge und Grundlagen des Nahostkonflikts und damit auf die Frage des Zionismus.

Der Zionismus und das Projekt eines jüdischen Staates haben zentraleuropäische Wurzeln. Ende des 19. Jahrhunderts entstand der politische Zionismus als säkulare Ideologie und Bewegung, als rechtmäßiger Erbe zentraleuropäischen Nationalstaatsdenkens und nicht zuletzt auch als ein Kind des europäischen Kolonialismus. Das machte bereits der Begründer des politischen Zionismus, Theodor Herzl, in seinem Buch "Der Judenstaat" deutlich, als er von Palästina als einem "Vorposten gegen die Barbaren Asiens" sprach. Das Wort vom "Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" wurde zum höchst erfolgreichen Verkaufsschlager.[3] Über das höchst lebendige, Palästina bewohnende arabische Volk wurde dabei ebenso bewusst wie 'großzügig' hinweggesehen. (s. Kasten)

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Dabei kabelte schon 1905 die zionistische, sich sozusagen auf Brautschau befindliche Erkundungsmission aus dem damals osmanisch beherrschten Palästina zurück an den zionistischen Kongress in Europa: "Die Braut [also das Land Palästina] ist schön, aber sie ist schon verheiratet [bevölkert]."
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In seinen verschiedenen Phasen versuchte der Zionismus immer wieder auf unterschiedliche Weise, die schlichte Existenz der Palästinenser zu ignorieren oder aber real zu verändern und zu bekämpfen. Nur eines hat der Zionismus nie geschafft: die einfache Tatsache zu akzeptieren, dass Palästina von Palästinensern bewohnt wird.

Seit nunmehr mehr als einem Vierteljahrhundert verkünden unsere Politiker ungebrochen, der Oslo-Friedensprozess mit der sogenannten Zweistaatenregelung sei alternativlos, er stecke nur leider etwas fest. Je mehr sich das Mantra an der Wirklichkeit vor Ort blamiert, je weniger Argumente für die gewagte These zu finden sind, mit umso mehr moralischer Verve muss die Position postuliert werden. Aus Argument, Befund und Analyse wird die moralische Pose geheuchelter Staatsräson. Jeder, der eine andere Auffassung vertritt, oder störenderweise auf die Wirklichkeit hinweist, wird als Feind des Friedens und der Aussöhnung, wenn nicht gar als Antisemit verunglimpft. Mit dem Verzicht auf die Wahrnehmung einfacher Tatsachen gerät auch der politische Inhalt des palästinensischen Kampfes mehr und mehr in Vergessenheit, begraben von tausenderlei Varianten bewusst entpolitisierter, technischer Lösungsvorschläge wie Landaustausch, damit die großen Siedlungsblöcke bestehen bleiben können.

Dabei ist der grundlegende Inhalt des Konflikts aus palästinensischer Sicht denkbar einfach: Vollständige demokratische Rechte, politische Selbstbestimmung[4] - in welcher (formalstaatlichen) Form auch immer!

Naksa ungleich Nakba - oder von der Okkupation zur Annexion

Die Vertreibung der Palästinenser ist am besten bekannt unter dem arabischen Namen "Nakba", die Katastrophe, die die Palästinenser 1947 bis 1949 befiel, als das sich gerade gründende Israel in mehreren Wellen fast 750.000 Palästinenser vertrieb, während es das vom UN-Teilungsbeschluss vorgesehene Staatsgebiet um 70 % erweiterte.[5] Die zweite grundlegende historische Umwälzung war die Eroberung und nachfolgende Besetzung ausgedehnter arabischer Gebiete durch Israel. Erobert wurden Gebiete nicht nur von "Historisch Palästina"[6] sondern auch von sämtlichen Nachbarstaaten, wie Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten in einem von Israel begonnenen und gewonnen Blitzkrieg im Juni 1967.[7] Seither herrscht Israel mit Militärrecht (also offener, in Paragraphen gegossener Gewalt) über die besetzten Gebiete. Nur mit zwei Ländern hat Israel seitdem Frieden geschlossen: mit Ägypten (1977-1984) und mit Jordanien (1994),[8] und nur einem Land, Ägypten, eroberte Gebiete zurückgegeben.

Anders ausgedrückt: das macht den grundlegenden Unterschied zwischen Nakba (1947-49) und Naksa[9] (1967) aus - es ist der Unterschied zwischen Annexion und Okkupation. 1947-49 annektierte Israel weite Teile des von der UN vorgesehenen arabischen Staates Palästina; 1967 unterwarf es hingegen die restlichen noch nicht annektierten Teile "Historisch Palästinas"[10], lediglich und angeblich zur "temporären Militärherrschaft"[11]. Anders ausgedrückt: Bei der Annexion wurde das Staatsgebiet offiziell erweitert, die dortige Bevölkerung größtenteils gewaltsam vertrieben, der verbliebene Rest jedoch zu israelischen Staatsbürgern erklärt. Im Gegensatz dazu wird unter der Besatzung das eroberte Land - die West Bank und der Gazastreifen - de-facto militärisch beherrscht, aber nicht offiziell de-jure angegliedert, was völkerrechtlich einen großen Unterschied macht. In "Groß-Israel" herrschen seitdem zwei gegensätzliche Rechtssysteme, wenngleich unter einem Dach: Bürgerliches Recht innerhalb Israels und Militärrecht, vollständige Militärdiktatur für die Palästinenser in den besetzten Gebieten[12] (s.a. KAZ Nr. 367).

Wie kam es zu diesem Strategiewechsel?

Bisher fokussierte der palästinensische Kampf und die internationale Solidarität auf die Besatzung. Nun aber tritt eine neue Strategie Israels ins politische Rampenlicht, die radikal Schluss macht mit den alten Spielregeln des Oslo-Prozesses: Die Annexion. Das ist als Hauptstrategie etwas qualitativ Neues.

Dabei ist die Entwicklung in diese Richtung natürlich gar nicht so neu: In kleinerem Maßstab, lokal geht nämlich die Annexion von Land, ob de-jure oder de-facto scheibchenweise Tag um Tag vonstatten. In Deutschland besprochen werden davon allenfalls die krebsartig um sich greifenden jüdischen Siedlungen und ihre Metastasen auf palästinensischem Gebiet (mittlerweile über 200 Kolonien im Westjordanland mit über 600.000 bewaffneten jüdischen Siedlern). Dabei ist die Liste der Annexionen viel länger, ob de-facto oder de-jure, aber immer offen völkerrechtswidrig: So z.B. der Bau der Mauer mitten in der West Bank, die Ausweisung von Planungszonen, exklusiv für jüdische (israelische) Nutzung und Besiedlung, die Einrichtung von sog. Naturschutzgebieten, die eigentlich nur den einen Zweck erfüllen, nämlich große Gebiete palästinensischem Zugriff (in der Folge dann sogar Zutritt) zu entziehen. Fast zweihundert palästinensische Gemeinden sind derzeit von Zwangsumsiedlungen bedroht.[13] Dazu kommen die stetig erweiterten "Pufferzonen" um und im Gazastreifen, sowie die zeitweise auf wenige hundert Meter zusammengeschmolzenen "Hoheits"-Zonen vor der Küste Gazas, etc.[14] Sofort nach dem Krieg 1967 hat Israel ganz Ost-Jerusalem offiziell annektiert, die syrischen Golanhöhen folgten 1981. Schlagzeilen machte dies allerdings erst Anfang 2019, als die USA unter Trump diese Annexionen offiziell bestätigte.

Besonders hervorzuheben wäre an dieser Stelle auch die ebenso offene wie unbekannte Annexion der gesamten Wasserressourcen der besetzten West Bank (ebenfalls gleich 1967)[15] in einem Land mit regenreichen Wintern, aber langen, trockenen Sommern und ohne andere Flüsse und Seen und mit den entsprechenden einschneidenden Folgen für das Leben und die Landwirtschaft der Palästinenser unter anhaltendem Brunnenbohrverbot!

Die stückweise Annexion palästinensischen Landes ist de-facto also längst grausamer Alltag, wenngleich bisher nie als Hauptlinie offiziell ausgegeben. (siehe
www.btselem.org/btselem/no_to_forcible_transfer/de/ ) Meist wurde sie in leicht verschleierter Form durchgeführt, ohne als Plan für das gesamte besetzte Gebiet zu gelten. Genau das hat sich mittlerweile geändert. Schlagzeilen in Deutschland machte das Thema aber erst, als im Wahlkampf Netanyahu lauthals die Annexion des fruchtbaren Jordantals in der Westbank ankündigte. Keine der zionistischen Parteien Israels wies das inhaltlich zurück; sein Herausforderer, Benny Gantz mit seiner Blau-Weiß-Partei, reagierte stattdessen mit den Worten: "Wir freuen uns, dass Netanyahu den Plan von Blau-Weiß zur Annexion des Jordantals übernommen hat", und warf Netanyahu vor, dass er dies nicht ernst meine und nicht schon längst umgesetzt habe.

Dieser offizielle Strategiewechsel ist also nicht Wahlkampfgetöse eines durch Korruptionsvorwürfe bedrängten Netanyahu, sondern inzwischen allgemeine israelische Staatsraison. "Make Israel great!"

Als Hauptlinie, als offizielle Hauptstoßrichtung ist das Vorhaben der Annexion qualitativ etwas völlig Neues und widerspricht der Logik der bisherigen israelischen Militärbesatzung seit 1967. Das hat einen guten Grund, denn mit der Annexion von großen Teilen oder gar der ganzen Westbank würde das zu ticken beginnen, was Israel oft die "Demographische Bombe" nennt.[16] Die beiden Gruppen der Palästinenser - in Israel und in den besetzten Gebieten zusammengenommen - könnten dann nämlich bald die Mehrheit Großisraels darstellen, ein Szenario, das allerdings erst durch rassistische Feinderklärung (nicht unähnlich dem Stile eines AFD-Höcke) zu einer Bedrohung ("Bombe") stilisiert werden kann.

Leider jedoch verfügt Israel bei der Behandlung solcher 'Bedrohung' - also der schieren Anwesenheit unerwünschter Bewohner - über reichlich historische und aktuelle Erfahrung. Die Planung, Vorbereitung und Umsetzung systematischer Vertreibung reicht bis lange vor das Jahr 1947 zurück und erreicht während der Nakba einen traurigen Höhepunkt; die palästinensische Nation wurde gewaltsam in alle Winde zerstreut. Heute finden wir solche Maßnahmen zwar in kleinerem Maßstab aber allerorten, vor allem in den C-Gebieten,[17] im Jordangraben und in Ostjerusalem. In den 52 Jahren der israelischen Militärherrschaft über die besetzten Gebiete wurden inzwischen - wenngleich sukzessive - mehr Häuser abgerissen, als während der Nakba 1947-49[18] Vor allem seit dem Oslo "Friedens"-Prozess gleicht das Westjordanland einem Flickenteppich aus 168 A- und B-Zonen, also kleinen und kleinsten Enklaven, die durch illegale Siedlerstraßen, Mauern, Zäune, Checkpoints, Militäranlagen, jüdische Siedlungen unter israelischer Militärkontrolle und "Naturreservate" etc. voneinander getrennt sind. (Siehe die Landkarte in KAZ 367 S. 17)

Eines der tiefen Missverständnisse von Oslo ist, dass Israel die Palästinenser nie als Nation anerkannt hat - auch wenn zu Beginn von Oslo alle das glaubten (und Merkel noch heute so tut, als würde sie es glauben). Man kommt zwar nicht mehr, wie vor Oslo, dafür ins Gefängnis, dass man eine palästinensische Flagge auf der Straße trägt.[19] Es wird zwar heute in Israel durchaus von "den Palästinensern" gesprochen, aber die gängige politische Praxis Israels tut de-facto weiter so, als gäbe es Palästinenser nicht. Das neue Nationalstaatsgesetz der Knesset definiert Israel seit 2018 auch de-jure exklusiv als "den Nationalstaat der Juden" und hebräisch als einzige Nationalsprache.[20] Damit werden selbst die palästinensischen Israelis[21] und ihre Sprache zunehmend ganz offen, de-jure diskriminiert und bürokratisch eliminiert; de-facto, waren sie schon immer Bürger 2. Klasse, obwohl sie immerhin ein Fünftel der Bevölkerung innerhalb des Staates Israel ausmachen!

Israel nimmt für sich in Anspruch "die einzige Demokratie im Nahen Osten" zu sein. Doch "Demokratie" ohne gleiche demokratische Rechte für alle Staatsbürger, für jüdische wie arabische Israelis? Und von den Palästinensern unter nackter israelischer Militärherrschaft ist dabei gar nicht die Rede! Richtigerweise müsste es im Hinblick auf die besetzten Gebiete lauten: "Israel ist die einzige Demokratie, nicht nur im Nahen Osten, die seit 52 Jahren eine stabile Militärdiktatur unterhält".

Die Frage der nun einsetzenden Umorientierung auf offene Annexion wirft hingegen ganz neue Dynamiken auf: Nicht nur, dass die eigentlich längst scheintote sogenannte Zweistaatenlösung endgültig beerdigt wäre, sondern damit stellt sich auch unausweichlich die alte, von der Frage nach Staatsformalien begrabene Frage nach politischen Rechten mit ganz neuer Schärfe. Im Grunde gibt es bei der Annexion nur eine Alternative. Entweder volle Staatsbürgerrechte für die annektierten Bewohner des Westjordanlands (und Jerusalems), oder offene Apartheid (nun auch de-jure)! Allerdings denken immer mehr Israelis am rechten Rand immer offener über eine schreckliche dritte Alternative nach: Die massenhafte Vertreibung aus den besetzten Gebieten, also eine Fortsetzung und Vervollständigung der Nakba! Dieses Schreckensszenario ist nicht mehr reine Theorie, sondern längst fester Bestandteil des politischen Diskurses unter den Zionisten Israels; Gegenstand von Planspielen an höchster Stelle und natürlich auch tägliche Umsetzung (wenn auch bislang im Kleinen). Alle jüdischen politischen Parteien in Israel (also außer den arabischen Parteien von der "Vereinigten Liste"), und das sind etwa 9/10 des israelischen Parlaments, setzen in der einen oder anderen Form bereits auf die Annexion als neuer Strategie ihrer Politik. Voriges Jahr beschloss der Parteitag der Regierungspartei Likud die Annexion der West Bank, und zwar einstimmig (ohne, dass dies den deutschen bürgerlichen Zeitungen eine Zeile wert gewesen wäre). Unterschiede zwischen den Parteien, so konnte man im jüngsten Wahlkampf studieren, bestehen lediglich im Tempo, in der Reichweite, den Stufen und technischen Details der Umsetzung.

Abschließend muss hier noch betont werden: All diese Pläne gelten nur für das Westjordanland und Jerusalem. Nur diese Gebiete sollen annektiert werden (bzw. wurden es wie im Falle Jerusalems längst). Ganz anders, Gaza. Niemand unter den Zionisten Israels möchte den kleinen Landstreifen von der Größe Münchens, ohne Ressourcen und Wasser, aber mit zwei Millionen Einwohner der falschen Nationalität wieder zurückbekommen oder gar einverleiben. Gaza soll amputiert werden, ohne Verbindung nach außen, nach Historisch Palästina (heute Israel und die besetzte West Bank). Am besten, Gaza würde einfach im Meer versinken!! Genauso formulierte es schon 1992 Y. Rabin "Ich wünschte mir, dass ich eines Tages aufwachen und feststellen könnte, dass Gaza im Meer versunken ist ..."

Und was sagt die Bundesregierung zu diesen Angriffen auf das Völkerrecht und den Menschenrechten?

Auf eine kleine Anfrage der Partei Die Grünen (Drucksache 19/12718) zur politischen und menschenrechtlichen Lage der Palästinenserinnen und Palästinenser im Westjordanland antwortete die Bundesregierung: "Die Bundesregierung hat Äußerungen ... hinsichtlich einer möglichen Annexion von Teilen des besetzten Westjordanlands mit großer Sorge zur Kenntnis genommen ..." Hört, hört!!!

Auch auf die Frage: "Welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung angesichts der vom ... UN-Menschenrechtsrat ... konstatierten De facto-Annexion von Teilen der Westbank durch Israel zu unternehmen?" kommt die gleiche Antwort: "... mit großer Sorge zur Kenntnis genommen."

Und auf die Frage "Zieht die Bundesregierung ... Konsequenzen aus den Stimmen in der palästinensischen Gesellschaft, die in der Zweistaatenregelung keine politische Perspektive mehr sehen und Einsatz für die international anerkannten Rechte der Palästinenser unabhängig von einer Zweistaatenregelung fordern?" kommt prompt die Antwort, alles bleibt beim Alten: "Die Bundesregierung ... betrachtet einseitige Maßnahmen, die die Realisierbarkeit einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung einschränken, als Hindernisse auf dem Weg zu einer friedlichen Konflikt-Lösung." Augen zu und nur keine Schritte gegen die völkerrechtswidrige Politik Israels unternehmen!

Die deutsche Regierung ist fest entschlossen, einfach weiter Realitätsverweigerung zu betreiben, "... weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf." (Christian Morgenstern: Die unmögliche Tatsache).

Je stärker sich diese Politik an der Wirklichkeit blamiert, umso schärfer muss gegen kritische Stimmen vorgegangen werden, die die deutsche Staatsräson stören könnten. Landauf landab, werden derzeit in Deutschland immer mehr, fast schon automatisch Aktivitäten in Solidarität mit Palästina mit Verboten belegt, straf- und ausländerrechtlich verfolgt und unter die schlimmste Form der Schmähkritik gestellt, den Antisemitismusvorwurf! Nur ein Beispiel von vielen, aber an höchster Stelle, war dabei der Bundestagsbeschluss zur Sanktionierung der BDS-Bewegung, welche konsequent auf gewaltlosen Widerstand gegen die Politik Israels setzt.[22] Wer diese Bewegung unterstützt oder überhaupt irgendeine Form der Solidarität mit Palästina übt, oder die Maßnahmen der derzeitigen Regierung Israels kritisiert, wird damit quasi mit einer "Bannbulle" wie im Mittelalter belegt. Die Inquisition lässt grüßen!

Gerade die deutsche Geschichte verpflichtet uns als Antifaschisten und Antiimperialisten gegen jegliche Form von Kolonialismus und Krieg, von Rassismus, Militärdiktatur und Landraub einzustehen. Die offizielle "deutsche Staatsräson" verrät das Erbe und den Schwur von Buchenwald!

Das Völkerrecht muss auch für die Palästinenser gelten!

Volle uneingeschränkte Bürger- und Menschenrechte für die Palästinenser in Israel, Jerusalem, der Westbank und Gaza!

AK-Palästina

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"Friedensprozess" von Oslo

In der am 19. August 1993 in Oslo unterzeichneten "Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung" erkannten die Palästinenser Israel als Staat an. Israel hingegen erkannte nicht einmal die zukünftige Möglichkeit eines palästinensischen Staates an, sondern lediglich die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO als seinen Gesprächspartner. In den Interim-Abkommen von 1995 (Oslo-II) wurde eine vierjährige Übergangsphase bis 1999 in Form einer "Autonomie"(1) für die Palästinenser, sowie Verhandlungen über eine endgültige Konfliktlösung vereinbart. In den Abkommen blieb die Katastrophe ("Nakba") der zionistischen Landnahme und massenhaften Vertreibung 1948 vollständig ausgeklammert. Mögliche Lösungen bezogen sich allein auf die eventuelle Räumung der im Juni-Krieg 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebiete (welche sich wiederum längst als trügerisches Wunschdenken herausgestellt hat). Weder der Status des von Israel besetzten und bereits 1967 annektierten Jerusalem, noch die Flüchtlingsfrage oder die völkerrechtswidrigen Siedlungen im Westjordanland standen zur Debatte. Unverändert gelten auch weiterhin die tausenden skandalösen Militärerlasse, mit denen Israel über die besetzten Gebiete und ihre palästinensischen Bewohnerinnen herrscht.(2) In dem am 24. September 1995 zwischen Ministerpräsident Rabin und dem PLO-Vorsitzenden Arafat unterzeichneten "Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gaza-Streifen" (Oslo-II) erhielten die Palästinenser durch die Aufteilung des Westjordanlands in A-, B- und C-Zonen und in Gaza lediglich begrenzte Autonomiekompetenzen über die isolierten A-Gebiete zugesprochen. Dort wurde eine palästinensische Autonomiebehörde (PA) eingerichtet - sie durfte sich fortan "Regierung" nennen.(3)

Auf Druck der USA kamen im Juli 2000 die Konfliktparteien ohne jede Vorabsprachen und gegen die ausdrücklichen Vorwarnungen Arafats in Camp David zusammen; die Verhandlungen zwischen Barak und Arafat scheiterten jedoch grandios, u.a. am unverminderten Landhunger Israels (siehe unten). Wenige Monate später brach die zweite "Intifada" aus, ein spontaner und praktisch ebenso wie ideologisch unorganisierter Aufstand der palästinensischen Massen. Sie war Ausdruck der tiefen Enttäuschung über den gescheiterten "Friedensprozess". Der Widerstand entwickelte sich nicht nur gegenüber dem galoppierenden israelischen Siedlungsbau sondern auch gegenüber der Unfähigkeit und den falschen Versprechen der Scheinregierung Arafats. Die Intifada wurde von Israel in den Folgejahren mit äußerster Brutalität niedergeschlagen.(4) Für Millionen Palästinenser ist längst offensichtlich, dass sich auch die minimalen Hoffnungen auf die Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates in Luft aufgelöst haben. Gleichwohl war, ist und bleibt "Stop the Occupation!" ihre Losung. Konkret war "Oslo" keineswegs zur Beendigung, sondern lediglich zu einem update, einer effizienteren Umformung und Modernisierung der seit 1967 herrschenden israelischen "Apartheid" über die besetzten Gebiete geworden (vgl. KAZ Nr. 367).

De facto hat "Oslo" das neokolonialistische Regime Israels über die Palästinenser perfektioniert, die von unserer Bundesregierung weiterhin beschworene sog. "Zweitstaatenlösung" atomisiert. Am Ende verhalf "Oslo" einer neuen, weitaus aggressiveren zionistischen Staatsräson nach und nach zum Sieg. Die Geschichte macht nicht halt; Israel hat längst neue Pläne.

Anmerkungen

1) Diese Autonomie war von vornherein etwas völlig anderes als Souveränität oder Selbstbestimmung. Längst betrachtet Israel sie jedoch als dauerhaften Ersatz für diese.

2) Nicht jedoch über die illegalen Siedler der West Bank; diese unterstehen nämlich dem bürgerlichen Recht des Staates Israel.

3) Sie sollte die Verantwortung für das Gros der Palästinenser übernehmen, ohne zugleich irgendeine Souveränität zu erhalten - Quadratur des Kreises.

4) Allein in den ersten Wochen, noch bevor der erste palästinensische Schuss fiel, hatten israelische Soldaten über 3,5 Millionen Patronen "live ammunition" auf die bis dahin noch unbewaffneten Demonstranten abgefeuert - rein rechnerisch mehr als eine Kugel für jeden palästinensischen Mann, jede Frau, jedes Kind.
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Anmerkungen

[1] Der britische Imperialismus richtete sich nach der Eroberung Palästinas vom Osmanischen Reich an die Führer der zionistischen Weltorganisation und garantierte ihnen erstmals, dass sie in Palästina eine "nationale Heimstätte für das jüdische Volk" errichten dürfen.

[2] Vielmehr war er von Anfang an ein "Befriedungsprojekt" gegen die Aufstände der Palästinenser, insbesondere der ersten Intifada, Ende der 80er Anfang der 90er Jahre.

[3] Dabei war der Slogan gar keine Erfindung der europäischen Juden, sondern gehörte bereits über ein halbes Jahrhundert zum Arsenal evangelikaler Kolonialisten aus Großbritannien. Einer der ersten, die das Bild bemühten, war Lord Shaftsbury, der in einem Brief an Außenminister Hamilton 1853 von einem "Land ohne Nation" sprach, welches jedoch dingend "... eine Nation ohne Land braucht. Gibt es so etwas? Sicherlich gibt es das: die alten und rechtmäßigen Herren des Bodens, die Juden!". Bei diesem Land für die neuen alten rechtmäßigen Herren handelte es sich allerdings um ... "Großsyrien"!! Zitiert in: Adam M. Garfinkle: On the Origin, Meaning, Use, and Abuse of a Phrase. Middle Eastern Studies, Okt. 1991, S. 543., siehe auch
haolam.de/Israel-ost/2012-artikel_10652.html

[4] Die Forderung nach Selbstbestimmung hatten auch schon die fortschrittlichen Kräfte vor über 100 Jahren in den arabischen Aufständen gegen das Osmanische Reich während des Ersten Weltkriegs. Diese wurden vom Britischen Imperialismus in Palästina zunächst unterstützt, aber sofort nach dem Krieg, in Versailles und Rapallo, umstandslos entsorgt und verraten. Großbritannien heuchelte als Mandatsmacht, sie wolle Palästina zur Unabhängigkeit führen - die Palästinenser seien aber noch nicht reif dafür ... Der Inhalt bleibt, die Formen wechseln.

[5] Bei der ersten israelischen Volkszählung 1949 waren weniger als einhunderttausend Palästinenser im Land (bzw. wurden als 'anwesend' erfasst), eine "ethnische Säuberung" unerhörten Ausmaßes.

[6] In den Grenzen des Britischen Mandatsgebietes nach dem Ersten Weltkrieg.

[7] Der Blitzkrieg ist in Deutschland bekannt unter dem irreführenden Namen "6-Tage-Krieg". Angemessener wäre eigentlich der Name "6-Stunden-Krieg", denn tatsächlich war der Krieg bereits am ersten Vormittag gewonnen, nachdem Israel frühmorgens in einem überfallartigen Luftangriff die gesamte ägyptische Luftwaffe auf dem Boden zerstört hatte.

[8] Diese Rezeptur ist auch bekannt unter der Formel "Land for Peace", welche anfangs auch als Generalrezept für die Oslo-Abkommen diente, bzw. von der Welt so rezipiert wurde. Israel hat sich von dieser Formel längst verabschiedet, z.B. Premierminister Netanyahu, der ziemlich unverfroren stattdessen die Formel anbot: "land for land and peace for peace", gerade so, als hätten die Palästinenser irgendwelches israelisches Land unter Besatzung, das sie zurückgeben oder eintauschen könnten.

[9] Naksa - arabisch, auf deutsch etwa der Rückschlag.

[10] Historisch Palästina entspricht seit dem Ende des osmanischen Reiches völkerrechtlich in ungefähr dem darauffolgenden Britischen Mandatsgebiet - vom Libanon und dem Fuße des Golan-Berglandes im Norden bis zur Sinaihalbinsel im Süden, und vom Jordanfluss im Osten bis zur Mittelmeerküste im Westen.

[11] So der offizielle Terminus auf Hebräisch.

[12] Die israelischen Siedlerkolonisten in der West Bank genießen hingegen vollständige israelische Bürgerrechte, obwohl sie außerhalb des offiziellen Staatsgebiets residieren und immer weiter Land rauben, bzw. vom Staat und seiner Armee geraubt bekommen. Zweierlei Recht in einem Gebiet unter einem Dach, das kommt der UN-Definition von Apartheid ziemlich nahe.

[13] Lesenswert: www.btselem.org/btselem/no_to_forcible_transfer/de/

[14] Eine vollständige Liste der Maßnahmen würde Bücher füllen, bzw. hat bereits Bücher gefüllt, wie z.B. "Sperrgebiete" (Nautilus-Verlag).

[15] Die de-facto Annexion des Jordangrabens, und des gesamten Westufers des Jordanflusses war dabei die allererste militär-administrative Maßnahme Israels, unmittelbar im Juni 1967, noch vor dem Erlass der ersten (chronologisch durchnummerierten) "military order".

[16] Die Wahl des Begriffs "Bombe" für ein neugeborenes Kind in der israelischen Presse macht allerdings bereits den rassistischen politischen Inhalt deutlich.

[17] So z.B. die Beduinen von Khan Al-Ahmar, die just in dem Moment gewaltsam geräumt werden sollten, als Merkel zu ihrem letzten Staatsbesuch in Israel (und den besetzten Gebieten) weilte. In wie immer "großer Sorge" bat sie deshalb Netanyahu um ein Gentleman Agreement - nämlich mit der Räumung zu warten, bis sie wieder abgereist ist. Dem Ansinnen wurde erfreut stattgegeben.

[18] Allein 60.000 Palästinenser aus Ost-Jerusalem wurden auf meist administrativem Wege 'entsorgt' ...

[19] Selbst Melonen waren in der ersten Intifada bei Demos verboten, da sie aufgeschnitten die Farben Grün, Rot, Weiß und Schwarz zeigen!

[20] Bislang, und gemäß den Vorgaben des UN-Teilungsplans 1947, war Israel offiziell zweisprachig (wenngleich das in Wirklichkeit oft nur auf dem Papier stand).

[21] Mit Pass und Staatsbürgerschaft, wenngleich zweiter Klasse

[22] BDS bezieht sich dabei auf das Vorbild der internationalen Solidaritätsbewegung mit dem ANC in Südafrika, der in den 1980er Jahren sowohl Sanktionen, als auch Boykott und Investitionsabzug aus Südafrika forderte.

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 369, Dezember 2019, S. 16-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2019

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