Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


KAZ/267: Überlegungen anlässlich der Bundestagswahl 2017


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 359, Juni 2017
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Überlegungen anlässlich der Bundestagswahl 2017


In der vorigen Ausgabe der KAZ hatten wir angesichts der offensichtlichen Rechtsentwicklung in diesem Land die Frage aufgeworfen: "Wie ernst ist die faschistische Gefahr?"[1] Dort wurde untersucht, wohin die Widersprüche innerhalb des deutschen Finanzkapitals (des mit dem Bankkapital verschmolzenen monopolistischen Industriekapitals) und mit den anderen imperialistischen Mächten treiben. Wieweit ist schon eine Bereitschaft im Monopolkapital sichtbar, die Sozialdemokratie als soziale Hauptstütze auszutauschen gegen eine faschistische Massenbewegung? Wieweit sind überhaupt schon Vorbereitungsschritte in Richtung Faschismus zu sehen (staatlicherseits und in der kleinbürgerlichen sozialen Basis des Faschismus)? Mit der umstrittenen Frage, welche der zurzeit agierenden rechten Parteien als faschistisch zu kennzeichnen sind, haben wir uns in einem weiteren Artikel in der vorigen Ausgabe der KAZ beschäftigt.[2] Dort kamen wir zu dem Schluss: Nach den von uns untersuchten Kriterien - "Zerstörung der bürgerlichen Demokratie von rechts, Sammlung der zur Reaktion neigenden kleinbürgerlichen und lumpenproletarischen Massen, Ziel der Herstellung der 'Volksgemeinschaft' gegen innere und äußere 'Feinde' -, wird man nicht umhin können, CSU und AfD zu den faschistischen Parteien - den beiden wichtigsten zurzeit - zu zählen".[3] Dabei ist nach wie vor die CSU Zentrum und Schwergewicht der faschistischen Sammlungsbewegung in der BRD.

Unsere Schlussfolgerung zur Untersuchung der Frage "Wie ernst ist die faschistische Gefahr": "... wir wissen so wenig wie jeder andere, wann die Monopolbourgeoisie die Sozialdemokratie als ihre soziale Hauptstütze verabschiedet, wann sie geraden Kurs auf den Faschismus nimmt. Ohne Zweifel geht aber die Tendenz sehr stark in diese Richtung und wir müssen uns jetzt darauf vorbereiten. Sich vorbereiten heißt, sich so in Stellung zu bringen, dass es uns doch noch gelingen kann, diesen kommenden faschistischen Angriff zu verhindern - was gleichzeitig der bestmögliche Kampf gegen die Weltkriegsgefahr wäre. Die Abwehr eines faschistischen Angriffs gemeinsam mit den sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern würde im schlechtesten Fall die Sozialdemokratie als soziale Hauptstütze des Monopolkapitals retten (was immer noch günstiger für die Möglichkeiten der Arbeiterklasse wäre als dem Faschismus ausgeliefert zu sein). Im besten Fall würde dieser Kampf zur Revolutionierung der sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter, zur Einheit der Arbeiterklasse führen - und damit hätten wir einen großen Schritt getan, dem Kapitalismus endlich sein verdientes Ende zu bereiten."[4]

Wie das hier und heute praktisch aussehen kann, wollen wir anhand der Bundestagswahl bzw. der darauf folgenden Regierungsbildung auf Bundesebene erläutern und zu denken geben. Dabei wenden wir als westdeutsche Kommunisten uns an die westdeutschen Kommunisten, da die Kampfbedingungen in Westdeutschland und der einverleibten DDR nun mal verschiedene sind. Nur wenn wir das berücksichtigen, können wir gemeinsam in Ost und West gegen die faschistische Gefahr, gegen die Kriegsgefahr, gegen den deutschen Imperialismus kämpfen.


Wer wird und wer soll uns nach der Bundestagswahl regieren? Wir wollen hier versuchen darzustellen, wie die verschiedenen Klassen und Schichten zu dieser Frage stehen.

Die Bourgeoisie, deren ökonomisches Schwergewicht und politischer Befehlshaber die Monopolbourgeoisie ist, hat ein weitreichendes Interesse an der Stärkung der faschistischen Reserven. Dies wurde in unserem Artikel in der vorigen Ausgabe der KAZ erläutert. Der wütende Rassismus der CSU bzw. der bayerischen Staatsregierung stört zwar hin und wieder kurzfristige Interessen des Kapitals (Arbeitskräftebedarf), ebenso der mörderische faschistische Mob, der bei Parteien wie AfD oder NPD Unterschlupf findet. Aber das sind nur kleine Störfaktoren, für den Krieg, um die deutsche "Leitkultur" in alle Welt zu tragen, müssen diese Reserven aufgepäppelt werden, muss der Faschismus sich sammeln und organisieren können. Auf die Regierungsbildung im Herbst 2017 hat das sicherlich noch keinen unmittelbaren Einfluss - außer dass vielleicht unbeliebte Koalitionen wie z.B. die "Große Koalition" herhalten müssen, um die AfD noch in der Opposition zu halten. Dann würde die altbekannte Schmierenkomödie zum x-ten Mal wiederholt: "Wir Demokraten" Arm in Arm mit Reaktionären aller Couleur bis hin zur CSU gegen die rechte AfD.

Welche Regierung hätte denn die Monopolbourgeoisie nach der Wahl am liebsten? Das weiß schon aufgrund der offensichtlichen Zerwürfnisse innerhalb dieser Schicht niemand so genau. Es spricht aber sehr viel dafür, dass zumindest Teile der Monopolbourgeoisie sich mit einer (vielleicht nur kurzfristigen) Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei anfreunden könnten. Das liegt hauptsächlich an außenpolitischen Gründen, es geht dabei aufgrund der Änderungen im internationalen Kräfteverhältnis um eine Politik des geschickteren Lavierens gegenüber Russland, wo man einer solchen Regierung mehr Kompetenz und Flexibilität zutraut als einer Großen Koalition oder einer Bürgerblockregierung (CDU/CSU/FDP).

Wobei eine solche Konstellation auch Nebenwirkungen haben kann (und in Länderregierungen bisher auch hat), die äußerst günstig für die Monopolbourgeoisie sein können. Wir haben es hier zu tun mit zwei aus Westdeutschland kommenden Parteien (SPD und Grünen) und einer hauptsächlich aus der DDR entstandenen Partei (der Linkspartei).

Die DDR ist - trotz des Meuchelmords an ihr vor vielen Jahren - immer noch nicht tot. So wurde auf einer Konferenz der Linkspartei die Existenz einer speziell ostdeutschen Identität - auch bei Jüngeren - festgestellt. Die feministische Bloggerin Nadine Lantzsch äußerte dort, dass sie sich "im Westen immer noch wie im Ausland" fühle. Nicht ohne Grund trägt der Artikel im ND über diese Konferenz die Überschrift "Östlich der SPD".[5] Das deutsche Finanzkapital stört sich an diesen Tatsachen. Dabei geht es nicht nur um die mangelnde vaterländische Bindung vieler Ostdeutscher an das imperialistische Deutschland. Sondern es geht vor allem darum, dass die Linkspartei immer noch Träger der antifaschistischen und antimilitaristischen Traditionen der DDR ist, Traditionen, die auf der Enteignung der monopolistischen deutschen Kriegsverbrecher beruhten. Sehr deutlich hat Ellen Brombacher (Kommunistische Plattform der Partei Die Linke) dazu Stellung genommen: "Für die in der DDR Sozialisierten ist die Überzeugung, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf, bis 1990 Staatsräson gewesen. So etwas prägt. Es dürfte also alles in allem schwer sein, Genossinnen und Genossen davon zu überzeugen, dass es gute Gründe gäbe, unsere friedenspolitischen Grundsätze über Bord zu werfen. Auf dieses Vertrauen in die Basis unserer Partei bauen wir."[6]

Für die gesamte Bourgeoisie wäre es ein großer Sieg, wenn die Linke genau in dieser Frage "umkippen" würde. Wobei es eben nicht nur um diese Frage geht. Bei der DDR geht es immer um Antifaschismus, Antimilitarismus und die Eigentumsfrage. Und deshalb sind die Westparteien SPD und Grüne dazu ausersehen, als Kettenhunde gegenüber der Linkspartei zu verlangen: Abschwören! Abschwören! Abschwören! Demokratie? Frieden? Bezahlbare Mieten? Reformen zur Milderung der Verelendung? Nichts da! Abschwören ist die Devise, sonst könnte ja noch wer auf die Idee kommen, diesen verrotteten und aggressiven deutschen Imperialismus genauer unter die Lupe zu nehmen!

So könnte die herrschende Klasse vermittels einer Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei die Linkspartei vernichten (was bei einem "Umkippen" in der Frage der Auslandseinsätze der Bundeswehr sehr zu befürchten wäre) und damit die im "vereinigten" Deutschland zahlenmäßig bedeutendste Kraft des Antimilitarismus, Antifaschismus und DDR-Erinnerung löschen. Was zweifellos die Entwicklung hin zum Faschismus sehr begünstigen und beschleunigen würde.

So könnte es kommen.

Zum Beispiel Berlin
Der neue Senat bringt einen zarten Hauch von Demokratie in die Stadt. Der alte Senat aus SPD und CDU ist abgewählt, er bekam keine parlamentarische Mehrheit mehr zustande. Vorbei ist es mit tollwütigen CDU-Senatoren, die Flüchtlinge bis aufs Blut schikanieren und die Polizei zu illegalen Räumungsaktionen losschicken (auch wenn leider immer noch die Polizei nicht zu knapp zu legalen Räumungsaktionen losgeschickt wird). Auch für die Bourgeoisie ist das eine Erleichterung - die skandalösen Zustände bei der Desorganisierung der Flüchtlingsangelegenheiten, die hauptsächlich der CDU zuzuschreiben waren, hatten es bis in die Schlagzeilen der New York Times geschafft. Die SPD - obwohl im Senat in der Mehrheit - war dem dumm-rassistischen und unfähigen Mob der CDU nicht gewachsen gewesen.

Im jetzigen Senat ist die SPD in einer Rolle, die sie seit Urzeiten kennt: Als gelernte Frontstadtpartei auf die DDR draufhauen, selbst wenn diese gar nicht mehr existiert. Gleichzeitig kann das in die BRD eingegliederte und als Hauptstadt deklarierte Berlin jetzt besser als weltoffene Metropole aufgeplustert werden.

Die Repräsentanten der Linkspartei haben das so verstanden, dass nun Reformen zum Wohle der Bewohner Berlins angesagt sind. Dazu wurde Andrej Holm, Stadtsoziologe, Dozent an der Humboldt-Universität und aktiv in demokratischen Stadtinitiativen, zum Staatssekretär ernannt. Den Berliner Immobilienkapitalisten gefiel das nicht so besonders. "Von 'Sozialismus' ist die Rede in der Branche", heißt es im Westberliner "Tagesspiegel" (19.1.), "und genau dafür steht Holm: mit seiner DDR-Vita als Stasi-Sozialist. Und als Hausbesetzer und linker Soziologe im Westen, Schüler von Hartmut Häußermann, Vordenker in Sachen sozialer Spaltung und Gentrifizierung. Auch als 'Sympathisant' radikaler Aktivisten steht er 'links'. Und mit sozialkritischem Blick kartografiert der akribische Empirist den sozialen Wandel der Stadt. Holms Ernennung zum Staatssekretär ist damit eine Chiffre für eine neue soziale Wohnungspolitik, die die Immobilienbranche in Angst und Schrecken versetzt."

Da haben wir's: Stasi-Sozialist (was auch immer das sein mag) versetzt die billionenenschwere Immobilienbranche in Angst und Schrecken. Wochenlang ging die Hetze, die Fakten dazu bewegten sich auf dünnem Eis: Holm war als 18-Jähriger im Jahr 1989 Offiziersschüler gewesen und hatte nicht in Erinnerung gehabt, dass er damit beim Ministerium für Staatssicherheit angestellt war. Er gab das deshalb auf dem Fragebogen zu seiner Anstellung bei der Humboldt-Universität nicht an, und das wird ihm nun, 27 Jahre später, angekreidet. Selbst Menschen, die mit der DDR und deren Staatssicherheit überhaupt nichts am Hut haben, schüttelten über die Lächerlichkeit dieses Vorwurfs nur den Kopf (so z.B. auch die bildungsbürgerliche Zeitschrift ZEIT).

Wir kommen weiter unten zu den Auseinandersetzungen um diese Hetzkampagne. Zunächst nur so viel: Die SPD im Senat erwies sich als zuverlässig und sprach ein "Machtwort" zu seiner Entlassung als Staatssekretär. Wenige Tage später folgte dem "Regierenden Bürgermeister" dessen SPD-Parteifreundin, die Rektorin der Humboldt-Universität und entließ den dort noch angestellten Holm ebenfalls (er war bis dahin wegen seiner Ernennung zum Staatssekretär nur beurlaubt).

Aber all das heißt nicht, dass es genauso ablief, wie sich das die Kapitalisten vorstellten. Dazu kommen wir noch ...

Die kleinbürgerlichen Zwischenschichten haben keinen einheitlichen und keinen eigenen Standpunkt. Sie schwanken zwischen den beiden Klassen Bourgeoisie und Proletariat. So wurden diese Schichten schon im Kommunistischen Manifest beschrieben: "Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern. Sie sind also nicht revolutionär, sondern konservativ. Noch mehr, sie sind reaktionär, sie suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sind sie revolutionär, so sind sie es im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat, so verteidigen sie nicht ihre gegenwärtigen, sondern ihre zukünftigen Interessen, so verlassen sie ihren eigenen Standpunkt, um sich auf den des Proletariats zu stellen."[7] An anderer Stelle im Kommunistischen Manifest heißt es: "Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt."[8] Diese Entwicklungen treten im Stadium des Imperialismus noch stärker hervor, aus ihnen erwachsen - im Zusammenhang mit der Verschärfung des Klassenkampfes von oben - die aktuellen Widersprüche in diesen Zwischenschichten. Der Arbeiterklasse steht also keine einheitliche "reaktionäre Masse" gegenüber.

Im reaktionären Kleinbürgertum zeigen sich schon seit Jahren keine bestimmten Bestrebungen oder Perspektiven, was die Regierungsbildung angeht. Der rückwärtsgewandte antimonopolistische und chauvinistische Groll großer Teile dieser Schicht richtet sich zunehmend gegen alles, gegen jede Regierung, gegen die Presse, gegen Wissenschaften, gegen "Gutmenschentum". Bei den Regierungsparteien wird das als willkommener Anlass genommen, sich als vorbildliche Demokraten zu präsentieren, während schamlos ein erzreaktionäres Gesetz nach dem anderen durchgepeitscht wird - gegen Asylsuchende, gegen "Gefährder", gegen die Arbeiter. Die perspektivlose Anti-Haltung im reaktionären Kleinbürgertum wird in Bayern - zumindest bisher - auf besondere Weise kanalisiert - dort bildet die CSU, Zentrum und Schwergewicht der faschistischen Sammlungsbewegung, selber die Landesregierung, und sie war und ist viele Jahre Bestandteil der Bundesregierung. Auf der derzeitigen reaktionären Woge reitend erlaubt sich die CSU-Regierung in Bayern Gesetze, die man nur in faschistischen Diktaturen vermuten würde, und übt massiven Druck auf die Bundesregierung aus, der auch wirksam ist. Und sie steht als Drohung da, sich organisatorisch nicht auf Bayern zu beschränken. Viele AfD-Wähler haben geäußert, dass sie die CSU gewählt hätten, wenn sie in ihrem Bundesland kandidiert hätte. Was allerdings das einverleibte DDR-Gebiet betrifft, da weiß die CSU noch sehr gut, dass sie 1989/mit dem Versuch einer Zweigstelle in der DDR ("DSU") elend gescheitert ist, und dass Stoiber bei seiner Kanzlerkandidatur 2002 sogar die Reaktionäre im einverleibten DDR-Gebiet gegen sich aufgebracht hat. Heute geht die CSU vorsichtiger vor, auf leisen Pfoten, wie z.B. mit dem gemeinsamen Papier mit der CDU Sachsen zur "Leitkultur".[9] Das Potenzial, auf einer faschistischen DDR-Nostalgie bzw., DDR-"Solidarität" (DDR ohne Antifaschismus) zu reiten, wie sie von allen erfolgreichen Faschisten in der DDR praktiziert wird, hat die CSU durchaus in sich - siehe Peter Gauweiler und die Strömung, die er in der CSU vertritt.

Eine einheitliche Haltung zur Frage der Wahlen und der Regierungsbildung ist im demokratischen Kleinbürgertum auch nicht zu sehen. Grund dafür dürfte sein, dass es zurzeit sehr viel Verwirrung und sehr wenig Übereinstimmung zur Frage der faschistischen Gefahr gibt. Es gibt viele demokratische Einzelbestrebungen - so z.B. bei der Flüchtlingshilfe, oder bei der Abwehr faschistischer, rassistischer Aufmärsche und Veranstaltungen. Von der Bourgeoisie und ihrem Staat wird dies schamlos ausgenutzt, weil sie damit kostenlose Dienstleistungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Anspruch nehmen kann (diese öffentliche Ordnung wäre gefährdet, wenn die Flüchtlinge einfach so auf der Straße liegen würden, krank und sterbend, oder wenn die Nazigruppen spontan völlig aus dem Ruder laufen würden). Das wird so sein, solange die Arbeiterklasse kaum als eigenständige, Zukunft bringende Kraft erkennbar ist und deshalb auch keine Anziehungskraft für das demokratische Kleinbürgertum hat, geschweige denn die Führung in diesen Kämpfen übernehmen kann. Es gibt aber auch noch anderes: Ein entschiedener, radikalerer aber auch kleinerer Teil dieser Kräfte zum Beispiel versucht, Abschiebungen zu verhindern, ohne sich von den Willkürgesetzen dieses Staates einschüchtern zu lassen.

Ein wirklich breites antifaschistisches Bündnis kam im vorigen Jahr zustande: Mehrere Tausend demonstrierten im Oktober 2016 gegen das geplante bayerische "Integrationsgesetz". Über 60 Organisationen und Initiativen aus der Arbeiter- und demokratischen Bewegung hatten dazu aufgerufen, darunter auch die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen, der ver.di-Landesbezirk und weitere gewerkschaftliche Unterstützer (leider weniger aus dem Industriebereich). Die Verabschiedung dieses Leitkultur-Gesetzes konnte dennoch nicht verhindert werden. So breit dieses Bündnis war, es reichte nur wenig über Bayern hinaus. Die CSU wird als Zentrum der faschistischen Sammlungsbewegung unterschätzt - auch von den vielen Initiativen, die sich gegen die AfD, gegen Rassenwahn, für Asylrecht einsetzen. All diese antifaschistischen Bemühungen bräuchten eine Zentralisierung, um ihre Kraft richtig entfalten zu können und ein demokratisches Klima zu schaffen, das den Kampf um die Einheitsfront in Betrieb und Gewerkschaft unterstützen könnte.

Man kann an Wahlergebnissen beobachten, an welcher Stelle Demokraten und Antifaschisten vage Hoffnungen sehen. So hat in Berlin die Linke vor allem im Westen Stimmen auf Kosten der Grünen gewonnen. Bei den Grünen entwickeln sich die Widersprüche zwischen Demokratie und Reaktion - im Zusammenhang mit der Verschärfung des Klassenkampfes von oben - sehr ungünstig. Das wurde bereits 1999 offensichtlich beim Krieg gegen Jugoslawien, wo es heftige Kämpfe innerhalb der Grünen gab und die friedliebende Seite unterlag, oder bei der immer erfolgreicheren Annäherung von Teilen der Grünen an die CDU, die ebenfalls von anderen Teilen der Grünen bekämpft wird. Für die gesellschaftliche Entwicklung und damit für die Arbeiterbewegung in diesem Land ist es wichtig, den Teil der Grünen durch gemeinsamen Kampf für antifaschistische Ziele zu stärken, der demokratisches Kleinbürgertum repräsentiert und deshalb für antifaschistische Volkskämpfe eine wichtige Kraft sein kann.

Wie kann es überhaupt im Zuge der derzeitigen Rechtsentwicklung einen Aufschwung der demokratischen Bewegung geben? Der Faschismus bekämpft die bürgerliche Gleichheit - das schlägt dem demokratischen Kleinbürgertum, das für seine noch verbliebenen kleinen Freiheiten kämpft, den Boden unter den Füßen weg. Wenn die bürgerliche Demokratie angegriffen wird, vertiefen sich deshalb die Differenzen innerhalb der immer noch sehr bunt gemischten Grünen, und insgesamt bei demokratisch gesinnten Menschen. Die Funktion, das demokratische Kleinbürgertum zu bändigen, kann z.B. Kretschmann als Ministerpräsident von Baden-Württemberg schon kaum mehr erfüllen - er hat nur noch die Funktion, die Grünen der CDU zuzutreiben und sie damit funktionslos zu machen. Dies treibt einen Keil in die Grünen, von der Spitze bis zur Basis, der ausnutzbar für ein Bündnis gegen den Faschismus ist.

Unter diesen Teilen der demokratischen Bewegung - dem linkeren Teil der Grünen und denen, die ihre Hoffnung eher auf die Linkspartei setzen - ist der Wunsch nach einer Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei vorhanden, wie realistisch oder illusorisch die damit verbundenen Erwartungen auch immer sein mögen.

Die Frage ist, wieweit sich diese Teile der demokratischen Bewegung durch die antikommunistischen Angriffe aus SPD und Grünen (Distanzierung von der DDR als "Unrechtsstaat" usw.) - die ja bisher bei diesen Regierungsbildungen Standard sind - auf die Dauer einschüchtern lassen.

Zum Beispiel Berlin
Von Anbeginn der Kampagne gegen Linkspartei und Holm (wegen "Stasivergangenheit", siehe oben) gab es demokratische Proteste. Jusos und Grüne Jugend stellten sich auf die Seite des Staatssekretärs. Und die vielen Mühseligen und Beladenen, Mieter- und Stadtinitiativen, die auf den neuen Senat große Hoffnung gesetzt hatten, waren empört - aber nicht über den neuen Mitarbeiter im Berliner Senat. In kürzester Zeit unterschrieben über 16.000 Menschen eine Petition für den Verbleib von Holm als Staatssekretär. Und dann kam das "Machtwort" des Regierende Bürgermeister Müller (SPD): Er verlangte von der zuständigen Senatorin (Linkspartei), dass sie Holm entlässt. Der trat daraufhin zurück - nach seiner eigenen Aussage, um das Projekt dieser Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei nicht zu gefährden. Gegen den faktischen Rausschmiss Holms aus dem Senat gab es in der Stadt mehrere Protestdemonstrationen. Als Holm auch von der Humboldt-Universität entlassen wurde, besetzten Studenten das Institut für Sozialwissenschaft für mehrere Wochen. Und das mit Erfolg: Die Rektorin der Humboldt-Universität musste die Kündigung zurücknehmen. Und die Linksfraktion im Berliner Senat stellte Holm als Berater ein.

Nun zur Stellung der Arbeiteraristokratie, über die Lenin einmal gesagt hat: "Die Bourgeoisie braucht solche Handlanger, denen ein Teil der Arbeiterklasse vertraut und die die Bourgeoisie mit Redereien über die Möglichkeit des reformistischen Wegs aufputzen und herausstreichen, dem Volk mit solchen Redereien Sand in die Augen streuen, das Volk durch Ausmalen der Reize und Möglichkeiten des reformistischen Wegs von der Revolution ablenken."[10] Diese Arbeiteraristokratie hat ihre politische Heimat in der Sozialdemokratie, d.h. hauptsächlich in der SPD, und zu einem wesentlich kleineren Teil in der Linkspartei. (Eine Anmerkung: Die Linkspartei als Gesamtes kann man nicht als sozialdemokratisch bezeichnen, da es die Sozialdemokratie auszeichnet, in der Arbeiterklasse verankert zu sein - so wie es das obige Zitat von Lenin schildert. Der aus der DDR entstandene Teil der Linkspartei hat sich bewusst 1989 aus den Betrieben verabschiedet. Man sollte die Linkspartei im Osten lieber als "Volkspartei" sehen - wobei hier Volkspartei etwas Anderes und Besseres meint als die gleiche Bezeichnung von westdeutschen Parteien. Linke Sozialdemokratie ist hauptsächlich deshalb in der Linkspartei vertreten, weil sich 2007 die westdeutsche WASG mit der ostdeutschen PDS zur Partei DIE LINKE vereinigt hat).

Die Sozialdemokratie übt ihren Einfluss in der Arbeiterklasse hauptsächlich über die Gewerkschaften aus.

Uns soll deshalb hier weniger der Wahlkampf der SPD interessieren, der inhaltslos, mal grundlos euphorisch, mal zurückweichend und schwankend ist, aber kaum eine politisch diskutierbare Aussage enthält. Sehen wir uns eher die Gewerkschaften an. Zunächst mal der Zustand: Gekämpft, gestreikt wird sehr viel mehr im Bereich von ver.di als im Bereich der Industriegewerkschaften. Seit etlichen Jahren predigen die Gewerkschaftsführungen der Industriegewerkschaften, an vorderster Front der IG Metall, dass "wir" wettbewerbsfähig bleiben müssen. Leiharbeit, Arbeitszeitverlängerung, Lohnverlust, Verelendung, Streikbruch gegenüber den Kollegen in den Nachbarländern - all das ist mit dem Kuschen der Gewerkschaftsführung vor dem Kapital verbunden. Der letzte hochrangige IG-Metaller in einer Bundesregierung trug den Namen Riester. Und sehr viele Arbeiter, die inzwischen 16 Jahre älter geworden sind, verfluchen diesen Namen, weil die Riester-Rente nur für die Versicherungen gut war.

Es ist nicht uninteressant, was nun aus der obersten Etage der IG Metall zum Thema Bundestagswahlen und Regierungsbildung kommt. Hans-Jürgen Urban, seit 2007 Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall, sprach sich Mitte Januar 2017 bei einer Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht für eine Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei aus.[11] "Es ist ein großes Problem, dass viele in den Gewerkschaften die Klassenfrage nicht mehr begreifen", erklärte er. Das hört sich erstmal ziemlich sensationell an, nachdem wir vom IGM-Vorstand doch über Jahre nichts weiter gehört haben als "Wettbewerbsfähigkeit", "Gute Arbeit", "Fair gestalten" etc. Was soll nun diese Regierungskoalition nach seiner Auffassung bewirken? In dem Bericht heißt es: "Die Eigentumsverhältnisse müssten neu sortiert und neue Spielregeln entworfen werden. Und ganz konkret: Privateigentum soll es neben genossenschaftlichem und staatlichem Eigentum zwar weiterhin geben, aber nur unter der Kontrolle der Belegschaften. Der Staat müsse zudem Gesetze entwickeln, die garantierten, dass 'all der Unsinn, den wir in der kapitalistischen Krise erlebt haben, nicht mehr geht'. Den begeisterten Linken im Saal ruft Urban zu: 'Das ist noch nicht Sozialismus, aber eine Zwischenetappe.'"[12]

Fazit: Klassenkampfrethorik statt Klassenkampf, denn kein Streik der Arbeiter, keine internationale Solidarität, kein Kampf um einen endlich wieder geregelten und verkürzten Arbeitstag, kein Zusammenschluss gegen Faschismus und Krieg trübt dieses von Urban vorgestellte idyllische reformistische Projekt, in dem sich Hyänen, Haifische und Reptilien an neue Spielregeln halten, damit wir uns alle vertragen in dieser "Zwischenetappe" zum Sozialismus. Das sind so die Träumereien, über die man in den Konzernetagen Tränen lacht.

Für uns ist es allerdings sehr interessant, dass es in der IG Metall offenbar eine Strömung (sogar im geschäftsführenden Vorstand) gibt, die die sozialdemokratische Klassenkampfrethorik aus sehr viel früheren Jahren wieder aufgreift. Offenbar begreifen manche doch, dass die Arbeiteraristokratie, die Sozialdemokratie sich selber das Grab gräbt, wenn sie sich allzu offen als Dienstbote der Bourgeoisie betätigt. Wenn sie über Jahre und Jahrzehnte den Klassenkampf leugnet, wie soll sie dann auf Dauer die Klassen versöhnen, was doch ihre Aufgabe ist?

Ernst Thälmann, Vorsitzender der KPD, formulierte 1927 den Grundwiderspruch in der Politik der Sozialdemokratie: "Einerseits darf sie, um die Politik der Bourgeoisie zu unterstützen, ihren Einfluß auf die Massen nicht verlieren, und andererseits, um den Einfluß auf die Massen nicht zu verlieren, darf sie nicht offen unter der Flagge der Bourgeoisie auftreten. Je schärfer die Klassengegensätze in Deutschland werden, desto tiefer wird sich auch dieser Grundwiderspruch in der sozialdemokratischen Politik zeigen, und die Entscheidung wird davon abhängen, wieweit es uns gelingt, die sozialdemokratischen Arbeiter von der Führung der Sozialdemokratie loszulösen."[13] Ein wesentliches Mittel dafür ist die Politik der Einheitsfront der sozialdemokratischen, parteilosen und kommunistischen Arbeiter.

Aber wo ist denn die Brücke zu den sozialdemokratischen Arbeitern, die geneigt sind, solchen klassenversöhnlerischen Projekten zu folgen?

Die Brücke ist der Antifaschismus, hier können sogar Gewerkschaftsführer, wie wir sie heute kennen, Bündnispartner sein (auch wenn sie zurzeit gar nichts davon wissen wollen). Warum: Der Faschismus bekämpft den Status des freien Lohnarbeiters, er setzt Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft auf die Tagesordnung - das entzieht der Sozialdemokratie die Basis. Die Sozialdemokratie kann als Sozialdemokratie nur über ihren Einfluss bei den Arbeitern, in den Gewerkschaften, existieren - es ist ihre Aufgabe, den freien Lohnarbeiter zu verewigen, statt das Ziel der Befreiung von Lohnarbeit und Kapital zu verfolgen. Wird die jämmerliche Freiheit des Lohnarbeiters im Faschismus vom Kapital selber angegriffen, dann wird die Sozialdemokratie funktionslos. Deshalb stehen auch die SPD- und Gewerkschaftsführer objektiv im Widerspruch zum Faschismus.

Das wollen sie zum größten Teil nicht wahrhaben, aber solchen Leute wie Urban wird es doch langsam unbehaglich, wenn die Arbeiter in einem Ausmaß vom Kampf abgehalten und demoralisiert werden, dass die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführungen letztlich als Klassenversöhnler gar keinen Wert mehr haben. Deshalb bietet er uns - und gleichzeitig dem Monopolkapital - dieses idyllische Projekt voller versöhnlicher Illusionen an, so dass es möglichst keine größeren Explosionen gibt, man sich friedlich einigt und so als Gewerkschaftsführer und Sozialdemokrat der beste Arzt am Krankenbett des Kapitalismus ist.

Was sollte die Arbeiterklasse, was sollten die Kommunisten in dieser Situation tun?

Jeder Kommunist weiß: Der Faschismus hat seine Ursache im Imperialismus, dem höchsten und letzten Stadium des Kapitalismus. Und natürlich kann der Faschismus nur mit der Wurzel ausgerissen werden, wenn der Kapitalismus gestürzt wird.

Womit sich die Frage erhebt: Wie kann sich denn die Arbeiterbewegung so weit wieder von ihren Niederlagen erholen, dass die Arbeiterklasse sich tatsächlich wieder erheben und die Ausbeuter stürzen kann?

Es gibt die Lehre der Oktoberrevolution, die Lehren Lenins, die entgegen allen anderslautenden Gerüchten überhaupt nicht veraltet sind:

"Die Marxisten aber wissen, dass die Demokratie die Klassenunterdrückung nicht beseitigt, sondern lediglich den Klassenkampf reiner, breiter, offener, schärfer gestaltet, und das ist es, was wir brauchen. (...) Je demokratischer die Staatsordnung, um so klarer ist es den Arbeitern, dass die Wurzel des Übels der Kapitalismus ist und nicht die Rechtlosigkeit."[14]

Und:

"Der Sozialismus ist in zweifachem Sinne ohne die Demokratie unmöglich: 1. das Proletariat wird die sozialistische Revolution nicht durchführen können, wenn es sich nicht durch den Kampf für die Demokratie auf die Revolution vorbereitet; 2. Ohne restlose Verwirklichung der Demokratie kann der siegreiche Sozialismus seinen Sieg nicht behaupten und das Absterben des Staates für die Menschheit nicht Wirklichkeit werden lassen."[15]

Kampf um Demokratie heißt heute konkret: Sich auf den drohenden faschistischen Angriff vorbereiten, Aufklärung der Arbeiter darüber, dies mit der betrieblichen und Gewerkschaftsarbeit verbinden. Sich um die Einheitsfront der sozialdemokratischen, parteilosen und kommunistischen Arbeiter aller Nationalitäten bemühen. Die Kämpfe des demokratischen Kleinbürgertums unterstützen, soweit sie sich gegen die faschistische Gefahr, den permanenten Abbau der Demokratie, die faschistische Sammlungsbewegung richten.

Wie sind nun die Perspektiven von Regierungsbildungen in diesen Kampf um Demokratie heute einzuordnen?

Die Regierung wird in der bürgerlichen Demokratie nicht vom Volk gewählt. Diese Tatsache wurde uns in den letzten Jahrzehnten sehr eindrucksvoll vorgeführt. Und wenn die Bourgeoisie mit einem Wahlergebnis absolut nichts anfangen kann, dann kann man mit allerlei Intrigen eine Wiederholung der Wahl erzwingen (wie es bei mehreren Landtagswahlen schon vorgekommen ist). Wenn aber dem Monopolkapital selbst dieser läppische Parlamentarismus allzu lästig wird, dann hat es immer noch die faschistische Bewegung als Reserve im Hintergrund (im Moment mit der sehr kraftvoll agierenden bayerischen Staatspartei CSU, und mit der zeitweise schwächelnden und dann wieder doch aus dem Gully kriechenden AfD, sowie den mörderischen faschistischen Hilfstruppen).

Da also die bürgerlichen Regierungen nicht vom Volk gewählt werden, sind sie Ausdruck des Kräfteverhältnisses sowohl innerhalb der Monopolbourgeoisie, als auch im Verhältnis zu imperialistischen Konkurrenten als auch im Verhältnis zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse. Das hört sich erstmal kompliziert an, aber gerade diese unterschiedlichen Widersprüche können für die Arbeiterklasse ausnutzbar sein. Voraussetzung dafür wäre allerdings ein gemeinsames Vorgehen der Kommunisten, von dem wir zurzeit sehr weit entfernt sind, obwohl die objektive Situation immer drängender nach solch einer gemeinsamen praktischen Politik verlangt.

Fassen wir mal kurz (wie oben ausgeführt) zusammen, welche Kräfte (außerhalb des östlichen, des früheren PDS-Bereichs der Linkspartei) sich um eine Regierung von SPD, Grünen und Linkspartei bemühen oder zumindest mit ihr liebäugeln.

Die Monopolbourgeoisie könnte sich damit aus außenpolitischen Gründen anfreunden, und könnte gleichzeitig spekulieren, dass die Linkspartei von SPD und Grünen erpresst wird dazu, ein weiteres Mal der DDR abzuschwören und erstmals ihre friedenspolitischen Grundsätze (z.B. Gegnerschaft zu Auslandseinsätze der Bundeswehr) aufzugeben.

Bei Teilen des demokratischen Kleinbürgertum wächst die Furcht vor Überwachung und Vernichtung von Freiräumen, vor Krieg und Naziterror, vor wachsender moralischer Verkommenheit der herrschenden Klasse und ihrer politischen Sachwalter, bei einem Teil der demokratischen Kleinbürger auch vor Verarmung z.B. durch unbezahlbare Mieten in den Großstädten. Daraus wächst eine gewisse Hoffnung auf eine Regierung von SPD, Grünen und Linkspartei.

Bei der Arbeiteraristokratie - in Gewerkschaftsführungen, linkeren SPD-Kreisen und aus der WASG kommenden linken Sozialdemokraten in der Linkspartei sind ebenfalls Strömungen sichtbar, die sich eine solche Koalition wünschen und für sie werben - verbunden auch - wie im Fall Urban (IG Metall) - mit ungewohnten klassenkämpferischen Phrasen und ausformulierten reformistischen Projekten ("Zwischenetappe zum Sozialismus").

Und welche Optionen hätte und hat eigentlich die Linkspartei in dieser Situation:

Es ist kein Zufall, sondern entspricht objektiven Entwicklungen, dass die Partei Die Linke sich wieder mehr auf ihre DDR-Basis besinnt (siehe der oben erwähnte Artikel "Östlich der SPD"). Die Linkspartei könnte mit vollem Recht sagen: Wir vertreten die Interessen der Menschen aus der DDR, wir verteidigen Frieden und Antifaschismus, die besten Traditionen der DDR, wir werden einer annexionistischen Bundesregierung nicht beitreten. Eine solche Haltung wäre eine Kampfansage an den deutschen Imperialismus, die für die Arbeiterklasse in West und Ost nützlich und ausnutzbar wäre. Bekanntlich macht sich eine solche Option überhaupt nicht bemerkbar, in Berlin - bestehend aus dem westlichen Frontstadtteil und der einverleibten Hauptstadt der DDR - wurde der Regierungsbeteiligung mit großer Mehrheit zugestimmt.

Die Linkspartei könnte sagen: Wir gehen in keine Bundesregierung mit Parteien, die Kriege führen - d.h. also SPD und Grüne, die 1999 das seit 1945 bestehende Tabu gebrochen, Krieg gegen Jugoslawien geführt haben und die Tür zur Ausbreitung der Bundeswehr in alle Welt geöffnet haben. Eine solche Haltung (die in der Konsequenz dem entspricht, was die Kommunistische Plattform der Linkspartei fordert) wäre ebenfalls nützlich für die gesamte Arbeiterklasse. Sich als in der einverleibten DDR äußerst einflussreiche Partei dem Militarismus ohne Wenn und Aber verweigern, heißt: Sich dem deutschen Imperialismus verweigern, ihn grundsätzlich bekämpfen. Es heißt nichts anderes als so zu sein, wie es wahrscheinlich nur eine kommunistische Partei sein könnte. Aber die Linkspartei ist keine kommunistische Partei, erklärtermaßen nicht. Sie ist eine pluralistische Partei hauptsächlich des Ostens, in der eine kommunistische Plattform und darüber hinausgehend kommunistisch denkende und handelnde Mitglieder ihren Platz haben.

Die dritte Option ist die, die zur Zeit vom Parteivorstand der LINKEN favorisiert wird: Man will sich einer Bundesregierung mit SPD und Grünen nicht versagen, hat aber "Haltelinien", darunter die Ablehnung von Kampfeinsätzen der Bundeswehr (Kampfeinsätzen, nicht generell Auslandseinsätzen - ein schon sehr "weicher" Antimilitarismus). Das der Linkspartei sehr nahestehende Neue Deutschland (wenn auch nicht mehr "Zentralorgan") kommentiert besorgt: "Die Frage ist am Ende nicht, wie teuer sich die LINKE in einer Koalition verkauft. Sondern ob."[16]

Und nun zur Frage: Wie verhalten sich westdeutsche Kommunisten, und wie sollten oder könnten sie sich verhalten?

Das übliche, typische Verhalten ist: Man schaut (je nach Standort) besorgt bis schadenfroh den Qualen der Linkspartei zu und weiß auch immer, was sie nun zu tun hätte. Dieses Verhalten ist verständlich, aber nicht revolutionär.

Zum Beispiel Berlin
Aus dem Berlin-Beispiel lässt sich einiges lernen: Stasi-Hetze, maßloser Hass gegen die DDR und die Verelendung in den Städten durch die Immobilienkapitalisten - das gehört zusammen, das ist ein und dasselbe Profitinteresse. Der zarte Hauch von Demokratie durch den neuen Senat hat diese Aufklärung bewirkt. Auch die obigen Zeilen aus dem stockreaktionären Tagesspiegel ("Stasi-Sozialist", Schrecken der Immobilienbranche) lassen ja nichts an Klarheit zu wünschen übrig. Und gleichzeitig gerät ein Teil der Stadt in Bewegung.

Was sich da in Berlin vollzogen hat, ist geradezu ein Lehrbuch-Beispiel für den Satz von Lenin, dass Demokratie "den Klassenkampf reiner, breiter, offener, schärfer gestaltet, und das ist es, was wir brauchen. (...) Je demokratischer die Staatsordnung, um so klarer ist es den Arbeitern, dass die Wurzel des Übels der Kapitalismus ist und nicht die Rechtlosigkeit." Und das gilt selbst für so einfache, auf den ersten Blick unscheinbare demokratische Erfolge wie bei der Auseinandersetzung um die Entlassung Holms als Staatssekretär in Berlin.

Viele Genossen meinten nun, die Linke hätte den Berliner Senat platzen lassen müssen. Dieser Ansicht sind aber offenbar sehr viele der protestierenden Menschen und Initiativen nicht gewesen. D.h. sie sehen inzwischen sicherlich manches klarer, sind aber noch lange nicht auf dem Stand, dass sie ihre parlamentarischen Illusionen gegen eine revolutionäre Praxis eintauschen würden. Es ist doch eigentlich nicht die wichtigste Frage, ob die Linke im Senat bleibt oder nicht. Sondern wichtig ist, dass die Massen, die den Kapitalismus noch für reformierbar halten, immer wieder durch den Kampf um Demokratie, also auch durch den Kampf um "ihre" Regierung, sich selbst überzeugen können, dass Reformen uns eben letztlich nicht aus dem Elend erlösen können, dass wir dafür die Kapitalsherrschaft stürzen müssen, und dass wir dafür aber auch geschlossen der faschistischen Gefahr entgegentreten müssen.

Kommunisten sollten sich doch zwei Fragen als erstes stellen:

- Wie können die Arbeiter und ihre Bündnispartner anhand ihrer eigenen Erfahrungen lernen, dass Reformen allerhöchstens kurzfristig unser Elend lindern können, dass aber der Kapitalismus, der Imperialismus ohne Verelendung, faschistische und Kriegsgefahr nicht zu haben ist?

- Wie können die Arbeiter und ihre Bündnispartner insbesondere in Westdeutschland gemeinsame Schritte gehen, um die Linkspartei vor feindlichen (westlichen) Umarmungen zu schützen, das Erbe der DDR - insbesondere Antifaschismus und Antimilitarismus - zu nutzen und dadurch zu bewahren, eine gemeinsame Front gegen Verelendung, Faschismus und Krieg zu schaffen?

Für beide Fragen gibt es eine gemeinsame Antwort: Gerade wir im Westen müssen uns die Sozialdemokratie (insbesondere in den Gewerkschaften) und die Grünen (insbesondere wo sie sich in antifaschistischen und Stadtinitiativen zeigen) zur Brust nehmen und auf dieser Linie kämpfen: Wenn ihr eine Regierung gemeinsam mit der Linkspartei wollt, dann unterstützen wir euch in der Weise, dass wir verlangen: Schluss mit dem reaktionären Druck auf die Linkspartei, Schluss damit, dass man ihr reaktionäre Schwüre abverlangt gegen die DDR. Schluss mit der Anti-Stasi-Hetze, die besonders perfide ist angesichts eines im wahrsten Sinne des Wortes mörderischen "Verfassungsschutzes". Schluss mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr! Weg mit den Verelendungsgesetzen der Agenda 2010! Kampf gegen rechts, gegen AfD, NPD usw., und gegen die CSU! Schluss damit, dass einfach zugesehen wird, wie die CSU die bürgerliche Demokratie zertrampelt! Rückkehr zum Asylrecht, keine Abschiebungen! (Und das wäre noch lange nicht alles...) Reaktionäre Kriegskoalition oder Anti-Rechts-Regierung - so steht die Frage, oder anders ausgedrückt: Nutzen wir die Widersprüche in dieser Konstellation, bevor es das Kapital tut! Sozialdemokratie und Grünen und deren Umkreis anhand dieser Forderungen Beine machen und die Linkspartei schützen, das ist unsere Aufgabe, das Vernünftigste, wofür wir Kommunisten im Westen zurzeit kämpfen sollten.

All das müssten wir jetzt schon tun, und erst recht, wenn es ein Wahlergebnis gibt, bei dem diese Option überhaupt besteht. Ist es überhaupt realistisch, dass die Führungen von SPD und Grünen sich auf solche Bedingungen einlassen? Natürlich nicht, wenn wir nichts dafür tun, wenn wir als Kommunisten im Westen nicht endlich mal die Verantwortung für die Aufgaben wahrnehmen, vor die uns der Klassenkampf in Westdeutschland stellt: bei der Sozialdemokratie, bei den Grünen (d.h. vor allem in der Gewerkschaften, in demokratischen Kämpfen) die Widersprüche zu nutzen, um klar zu sagen: Auf dem Rücken der Linkspartei, auf der Basis der Zerstörung der Linkspartei wird die faschistische und Kriegsgefahr, die Verelendung, der Rassismus stärker und nicht schwächer. Darin besteht der Unterschied zwischen einer Kriegskoalition mit linkem Mäntelchen und eine Anti-Rechts-Regierung, für die wir kämpfen sollten.

Dabei geht es gar nicht darum, eine astreine Anti-Rechts-Regierung zu schaffen, der wir dann jahrelang unsere Sorgen und Nöte anvertrauen können. So etwas gibt es gar nicht. Sondern dass die Arbeiter selbst ihre Erfahrungen in diesen Kämpfen machen können, dass der Klassenkampf endlich von Seiten der Arbeiter verschärft wird (die Kapitalisten tun das ständig), darauf kommt es an.

Was sonst sollten Kommunisten in Westdeutschland tun? Sich gleichgültig gegenüber der Regierungsbildung verhalten? Das wäre nichts weiter als sich der Resignation hinzugeben, der wütendsten Reaktion freie Bahn zu lassen, statt die vorhandenen Widersprüche auszunutzen. Die Sozialdemokratie bei der Regierungsbildung und in der Regierung so stützen, wie sie es auf keinen Fall will (so wie "der Strick den Gehenkten stützt",[17] wie es Lenin einmal gesagt hat) - das würde uns aus der "Meckerecke" gegenüber der Linkspartei herausbringen und in den gemeinsamen Kampf in Ost und West gegen die faschistische Gefahr, gegen die Kriegsgefahr bringen.

Die Frage, wen man wählen soll, ist bei diesem Kampf nicht die Wichtigste. Sie hat eine Bedeutung, über die Friedrich Engels gesagt hat: "Das allgemeine Stimmrecht ist so der Gradmesser der Reife der Arbeiterklasse. Mehr kann und wird es nie sein im heutigen Staat; aber das genügt auch. An dem Tage, wo das Thermometer des allgemeinen Stimmrechts den Siedepunkt bei den Arbeitern anzeigt, wissen sie sowohl wie die Kapitalisten, woran sie sind."[18] Das Wahlergebnis wird zeigen, ob bei den Arbeitern und ihren Bündnispartnern der Wunsch nach einer Regierung links von CDU/CSU/FDP/AfD usw. vorhanden ist. Und dann wird sich zeigen, wie das Kapital um dieses Wahlergebnis kämpft, und was wir Kommunisten tun, damit die Arbeiter um dieses Wahlergebnis kämpfen können.

Wir werden bei dieser Bundestagswahl die Linkspartei wählen, aus Solidarität und weil sie den bösartigen reaktionären Umarmungen besser standhalten kann, je mehr Stimmen sie hat. Arbeiter und Demokraten rufen wir auf, gegen rechts zu wählen (das heißt nicht nur gegen CSU, AfD, NPD etc., sondern natürlich auch gegen CDU, FDP usw., die in keiner Weise Bündnispartner gegen Faschismus und Krieg sein können) und vor allem gegen rechts zu kämpfen! Denn das ist die einzige Wahl, die wir angesichts der derzeitigen Entwicklung wirklich haben.

KAZ-Fraktion
"Für Dialektik in Organisationsfragen"


Anmerkungen:

[1] KAZ 358, S. 10-15

[2] KAZ 358, S. 16-18

[3] KAZ 358, S. 18

[4] KAZ 358, S. 15

[5] Neues Deutschland, 01.04.2017

[6] Ellen Brombacher, (K)ein Problem mit der Staatsräson, in: junge Welt, 04.12.2015

[7] Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW Bd. 4, S. 472

[8] Manifest der Kommunistischen Partei, a.a.O., S. 465

[9] Zur Unberechenbarkeit der Ostverbände der CDU siehe KAZ 358, S, 14 bis 15

[10] Über die Aufgaben der III. Internationale, LW Bd. 29, S. 500

[11] www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/ig-metall-buhlt-bei-wagenknecht-um-linkskoalition/ar-AAlTec0?srcref=rss

[12] ebenda

[13] Ernst Thälmann, Die politische Lage und die Aufgaben der Partei, Referat auf dem XI.Parteitag der KPD 1927, in: Ernst Thälmann, Reden und Aufsätze 1919-1928, Nachdruck Frankfurt/Main 1972, 1. Auflage Berlin 1955

[14] Lenin, Über eine Karikatur auf den Marxismus, LW Bd. 23, S. 68

[15] Ebenda, S. 69

[16] Neues Deutschland, 03.04.2017

[17] Lenin, Der "linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus, LW Bd. 31, S. 75

[18] Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW Bd. 21, S. 168

*

Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 359, Juni 2017, S. 33 - 41
Herausgeber und Verlag:
Gruppe Kommunistische Arbeiterzeitung, Selbstverlag
Anschrift: KAZ-Redaktion, Reichstraße 8, 90408 Nürnberg
Tel. und Fax: 0911/356 913
E-Mail: gruppeKAZ@kaz-online.com
Internet: www.kaz-online.de
 
KAZ erscheint viermal jährlich.
Einzelpreis: 1,50 Euro
Normalabo: 10,00 Euro, Sozialabo: 7,70 Euro.
Förderabo: mindestens 20,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang