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IZ3W/302: Ausgabe 337 - Editorial zum Themenschwerpunkt "Frauenbewegungen in der arabischen Welt"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 337 - Juli/August 2013

Editorial zum Themenschwerpunkt
Frauenbewegungen in der arabischen Welt



»Obwohl ich das bin, was man eine arabische Frau nennt, bin ich und sind viele andere Frauen wie ich nicht verschleiert, gefügig, ungebildet, unterdrückt und schon gar nicht unterwürfig. [...] Zwar bin ich das, was man eine arabische Frau nennt, doch sehe ich und sehen viele arabische Frauen wie ich fast genau so aus wie ... Sie!«

So leitet die libanesische Schriftstellerin Joumana Haddad ihre »Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau« ein (siehe auch Seite 36/37). Noch vor einer Kritik an Patriarchat und Sexismus muss sie erst mit westlichen Mythen über 'die' arabische Frau aufräumen. Exotischer Bauchtanz und Haremsfantasien auf der einen Seite, Kopftuch, Zwangsehe und Unmündigkeit auf der anderen - wen wundert's angesichts derart wirkungsmächtiger Klischees, dass sich arabische Feministinnen lange Zeit am (post-)kolonialen Blick abarbeiten mussten. Doch wie Hannah Wettig im Einleitungsartikel zu diesem Schwerpunkt zeigt, findet derzeit ein Perspektivenwechsel statt. Nach den Umbrüchen des Arabischen Frühlings wird Okzidentalismus zur Nebensache. Im Hier und Jetzt müssen Frauen in den arabischen Ländern vehement ihre Rechte verteidigen oder einfordern.

Sie können dabei auf eine lange Tradition feministischer Kämpfe und Debatten zurückgreifen, die man hierzulande kaum wahrnimmt. Bereits im 19. Jahrhundert wurden reformerische Ideen und Schriften um den Status der Frau verbreitet. Und anders als von vielen Medien dargestellt, sind Frauen nicht erst mit der Arabellion 'plötzlich' auf der Straße erschienen. Ihre aktive Beteiligung an den antikolonialen Bewegungen war schon in den 1930er und 40er Jahren begleitet von den Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung. Nach der Unabhängigkeit folgten Kämpfe um den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt, der in den sozialistischen Ländern der Arabischen Welt dank eines Staatsfeminismus rechtlich garantiert wurde.

In Anbetracht so mancher Erfolge der arabischen Frauenbewegungen macht der Verlust des Status Quo umso wütender. Die nun an die Macht gekommenen IslamistInnen drohen eine radikale Geschlechtersegregation mit festen Rollenzuschreibungen zu etablieren. Hemmungslos debattiert man über Beschneidung von Frauen und stellt Feministinnen wie die 19-jährige Femen-Aktivistin Amina in Tunesien unter absurde Anklagen mit drakonischen Strafandrohungen. Wegen »Sittlichkeitsvergehen und Beteiligung an einer kriminellen Verschwörung« könnte sie zu 18 Jahren Haft verurteilt werden. Und während die PolitikerInnen 'moderat-islamistischer' Parteien Grundrechte abschaffen wollen, was in Tunesien gerade noch verhindert werden konnte, wird auf der Straße die Aggression und Gewalt gegen Frauen ganz offen ausgeübt, wie Hoda Salah im Interview von Ägypten erzählt.

Liegt das Problem also in der Religion begründet? Renate Kreile betont, dass es bei der Frage nach der Stellung der Frau nicht um den Wortlaut von Koran oder Sunna geht, sondern um soziale, politische und ökonomische Strukturen. Das Soziale bestimmt, welche Interpretationen des Islam entwickelt und gelebt werden. So ist in den letzten Jahren auch eine akademische Strömung entstanden, die Feminismus und Islam explizit verbunden sehen will, wie Zarah Ali darlegt. Das Konzept des so genannten islamischen Feminismus wird jedoch von vielen säkularen AktivistInnen der arabischen Länder scharf kritisiert. Die Gründe ihrer Kritik nennt Hannes Bode.

'Die' arabische Frauenbewegung ist lebendig und damit auch heterogen und widersprüchlich. Deshalb fällt es schwer, die unterschiedlichen Länder der arabischen Welt auf einen Nenner zu bringen. Deutlich zeigt sich dies im Vergleich Tunesiens mit Saudi Arabien. Während sich tunesische Frauen, bestens ausgebildet und fest im Berufsleben stehend, am Mittelmeer im Bikini sonnen, ist es für die voll verschleierten Aktivistinnen in Saudi Arabien bereits ein Erfolg, eine Viertelstunde lang heimlich mit dem Auto zu fahren, wie Julia Gerlach berichtet. Gerade wegen ihrer Vielschichtigkeit lohnt ein Blick auf 'die' arabischen Länder und ihre Frauenbewegungen. Denn der nächste Frühling könnte ein feministischer sein, wünscht sich...

die redaktion


Wir danken der Rosa Luxemburg Stiftung und der Gerda Weiler Stiftung e.V. für feministische Frauenforschung für die Förderung des Themenschwerpunktes.

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 337 - Juli/August 2013


Arabische Frauenbewegungen
Yala! Yala!

Die Umbrüche durch den Arabischen Frühling brachten nicht überall und für jede Emanzipation mit sich. Im Zuge des islamistischen Backlashs müssen Frauen in den arabischen Ländern ihre Rechte vehement verteidigen.

Sie können dabei auf eine lange Tradition feministischer Kämpfe und Debatten zurückgreifen, die hierzulande kaum wahrgenommen werden. Bereits im 19. Jahrhundert wurden reformerische Ideen und Schriften zum Status der Frauen verbreitet. Und Frauen sind nicht erst mit der Arabellion 'plötzlich' auf der Straße erschienen. Ihre aktive Beteiligung an den antikolonialen Bewegungen war schon in den 1930er und 40er Jahren begleitet von Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung.

'Die' arabische Frauenbewegung ist lebendig und damit auch heterogen und widersprüchlich. Deshalb fällt es schwer, die unterschiedlichen Länder der arabischen Welt auf einen Nenner zu bringen. Gerade wegen ihrer Vielschichtigkeit lohnt jedoch ein Blick auf 'die' arabischen Länder und ihre Frauenbewegungen. Denn der nächste Frühling könnte ein feministischer sein.


HEFTEDITORIAL


Schwerpunkt: Frauenbewegungen in der arabischen Welt

Editorial zum Themenschwerpunkt

Selbstbewusst zwischen den Welten
Über 100 Jahre arabischer Feminismus zwischen Moderne und Tradition
von Hannah Wettig

»Die ägyptische Kultur ist auch frauenfeindlich«
Interview mit der Politologin Hoda Salah

»I am not a feminist!«
Frauenrechtsaktivistinnen in Ägypten
von Johanna Block

Zähes Ringen
In Tunesien kämpfen Frauen für den Erhalt feministischer Errungenschaften
von Katrin Dietrich

»Weibliche Sexualität wird nicht wahrgenommen«
Interview mit der Autorin Naha Sano

Ungleichheit per Gesetz
Algerische Frauen kämpfen um ein egalitäres Familienrecht
von Zahia Boudiaf

Mit dem Koran gegen Sexismus
Plädoyer für einen Feminismus ohne Grenzen
von Zahra Ali

Politisch, nicht kulturell!
Zur Kritik von »islamischem Feminismus« und Kulturalismus
von Hannes Bode

Empowerment und Ausschluss
Islamistische Frauen und die Politik der Frömmigkeit in Ägypten (Langfassung)
von Renate Kreile

Ein kurzer Moment von Freiheit
Saudi Arabiens Gesellschaft öffnet sich nur allmählich für Frauenrechte
von Julia Gerlach

»Den Verstand entschleiern«
Rezensionen zum Thema


POLITIK UND ÖKONOMIE

Atomkraft: »Eine brisante Angelegenheit«
In Tansania formiert sich Widerstand gegen den Uranabbau
Interview mit Anthony Lyamunda

Syrien: Selbst Brot ist knapp
Die Binnenvertriebenen in Kurdisch-Syrien bekommen keine internationale Unterstützung
von Thomas Schmidinger

Asyl: Wer ist eigentlich Flüchtling?
Proteste im tunesischen UNHCR-Flüchtlingslager Choucha
von Mareike Kessler und Marvin Lüdemann

Mali: In den Augen der anderen
Die transnationale Debatte über die Krise in Mali
von Olaf Bernau

Migration: Ethnisierung der Unterschicht
Rassistisches und neoliberales Denken gegen Sozialleistungen
von Sebastian Friedrich

Mexiko: Kampf gegen Windmühlen
Ein Windenergieprojekt in Mexiko stößt auf Widerstand
von Moritz Binzer und Jonathan Welker

Ostafrika I: Eigennützige Integration
Südafrika, Kenia und Äthiopien wollen Ostafrika nach ihren Interessen gestalten
von Sören Scholvin

Ostafrika II: Ein Hafen voller gemischter Gefühle Das Lamu-Projekt in Kenia von David John Bwakali


KULTUR UND DEBATTE

Cultural Studies: »Nicht auf Radical Chic reduzieren«
Interview mit Philipp Dorestal über afroamerikanische Style Politics

Oper: Schlingensiefs weißer Elefant
Das Operndorf in Burkina Faso wirft kritische Fragen auf
von Christa Aretz und Karl Rössel

Film I: Filmisch eingefangen
Das Internationale Frauenfilmfestival über Auswüchse der Globalisierung
von Wolfgang Kienast

Film II: Unter Strom
Das freiburger film forum zeigte neue internationale Produktionen
von Frederik Skorzinski

Rezensionen

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Quelle:
iz3w Nr. 337 - Juli/August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2013