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IZ3W/162: Rezension zu "Ablasshandel gegen Klimawandel?"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 310 - Januar/Februar 2009

Rezension zu Ablasshandel gegen Klimawandel?
The Making of ... A Market

Von Christian Stock


Eines der wichtigsten Instrumente hegemonialer Klimapolitik sind die Emissionshandelssysteme, die auf Grundlage des Kyoto-Protokolls und im Rahmen der EU installiert wurden. Stark vereinfacht lautet deren Grundidee so: Ein Unternehmen oder ein Staat muss das Recht, Treibhausgase zu emittieren, auf einem politisch geschaffenen Zertifikate-Markt erwerben. Diese Zertifikate sind handelbar. Das heißt, wer mehr emittiert als politisch festgelegt wurde, muss zahlen. Wer weniger emittiert, kann seine ungenutzten 'Verschmutzungsrechte' verkaufen. Herauskommen soll dabei die Reduzierung der Emissionen. Das heutige Marktvolumen von Emissionshandelsystemen liegt bei etwa 30 Mrd. US-Dollar, ein erhebliches Wachstum wird erwartet. Der Markt verspricht also lukrativ zu werden.

Grund genug für den Wissenschaftlichen Beirat von Attac, einen Reader zur Kritik dieser Spielart von Klimapolitik zu publizieren. In ihrer Einführung zeigen die Herausgeber Elmar Altvater und Achim Brunnengräber, warum die marktmäßigen Instrumente des Klimaschutzes auf so viel Akzeptanz stoßen: Sie "passen in das Weltbild einer globalen liberalen Ordnung, in der Markt vor Planung, Wirtschaft vor Politik und privater Sektor vor öffentlichen Gütern und Staat rangieren". Durch die Emissionszertifikate wird ein verbrieftes Recht auf eine bestimmte Menge an Emissionen geschaffen. Preissignale und Gewinnanreize sollen dabei so gesetzt werden, dass die Verfolgung individueller Interessen zu einem für alle Menschen optimalen Ergebnis führt: zur Reduktion der Emissionen. Altvater/ Brunnengräber bezeichnen das als "Machen eines Marktes": Es wird mit Kohlendioxid ein "Unwert" zur Handelsware gemacht, der eigentlich nicht handelbar ist. Dieser "grüne Klimakapitalismus" sei deshalb so attraktiv für manche UmweltschützerInnen und GlobalisierungskritikerInnen, weil er "durch und durch politisiert ist". Altvater/ Brunnengräber bleiben hingegen skeptisch: "Auf einem geschichtslosen Markt schwanken die Preise der Zertifikate wie Schilfrohr im Winde". Ihr Urteil: der Emissionshandel ist "umweltpolitisch eher kontraproduktiv".

Nicht in allen Beiträgen fällt die Ablehnung des Emissionshandels so deutlich aus, Ralf Schäfer/ Felix Creutzig befürworten ihn sogar mit gewissen Einschränkungen. Dass die Kritik am "Klimakapitalismus" im Attac-Umfeld ohnehin nicht kategorisch ist, zeigt sich auch an den vorgeschlagenen Alternativen zum Emissionshandel. Mohssen Massarat bevorzugt eine Obergrenze nicht für Emissionen, sondern für die Ölförderung: "Leave the oil in the soil". Er fordert einen Paradigmenwechsel weg von einem nachfrage- zu einem angebotsregulierten Klimaschutzregime, etwa durch die politisch herbeigeführte Verknappung der Ölförderung. Mittel zu diesem Zweck soll laut Massarat die Einführung einer UN-Klimaagentur sein, welche die verschiedenen Mechanismen zur Marktregulierung koordiniert. Dieser Vorschlag läuft allerdings auf dasselbe wie Emissionshandel in grün hinaus, denn auch hier wird die Marktorientierung als Königsweg ausgegeben, so denn nur die politischen Rahmenbedingen stimmen.

Ähnliches gilt für das Plädoyer von Lutz Mez/ Achim Brunnengräber für "erneuerbare Energien" - als ob die Industrie dieses Betätigungsfeld nicht längst entdeckt und die Politik nicht zahlreiche, selbstverständlich marktkonforme Förderprogramme aufgelegt hätte. Abgesehen davon sind erneuerbare Energien keineswegs immer umweltfreundlich. Doch auch wenn einiges an dem Reader nicht überzeugt, hilfreiches Material gegen den Klimakapitalismus liefert er allemal.


Elmar Altvater/ Achim Brunnengräber (Hg.):
Ablasshandel gegen Klimawandel?
Marktbasierte Instrumente in der globalen Klimapolitik und ihre Alternativen
VSA-Verlag, Hamburg 2008. 240 Seiten, 15,80 Euro


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 310 - Januar/Februar 2009


Die Politik des Hungers - Ernährung in der Krise

Produktionssteigerung, Grüne Revolution, Saatgutverbesserung, Brot für die Welt, Ökolandbau in den Tropen, Ernährungssouveränität: Die Konzepte gegen den Hunger sind so widersprüchlich wie die Interessen ihrer jeweiligen AkteurInnen.

Dabei haben sie alle dazu beigetragen, dass fast doppelt so viel Nahrung produziert wird, als für die Abschaffung des Hungers nötig wäre. Trotzdem ist der Hunger in der Welt ein Leiden, das rund ein Sechstel der Weltbevölkerung betrifft. Der aktuelle Themenschwerpunkt der iz3w fragt: Wo liegt das Problem?


Heft - Editorial: Beredtes Verschweigen

Politik und Ökonomie

Kongo: Nachwachsende Warlords
Die Rebellen von der CNDP stellen sich als Opposition dar
von Alex Veit

Gender: Gegen sexualisierte Gewalt
Der Frauenrechtsgipfel in Kapstadt
von Rita Schäfer

Welthandel I: Globales Europa
"WTO plus"-Politik für europäische Konzerne
von Peter Fuchs, Manuel Melzer und Michael Reckordt
No Gender in Global Europe
von Judith Krane

Welthandel II: "Eine neue Form der Plünderung"
Interview mit Raúl Moreno über das EU-Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika

(Post-)Kolonialismus: "Eine perfekte Brücke"
Portugal vermischt postkoloniale Identität mit Geostrategie
von Nikolai Brandes

Grenzen I: Im Grenzbereich
Eine Reise nach Costa Rica und Nicaragua führt an die Ränder des amerikanischen Kontinents
von Stefanie Kron und Pablo Hernández

Grenzen II: Umkämpfte Territorien
Die Politisierung von Grenzräumen in Nicaragua, Costa Rica und der Karibik
von Pauline Bachmann, Sophie Esch und Jan Wörlein

Grenzen III: Nica-Ticos
Geschichten aus dem transnationalen Alltag
von Claudia Jaekel, Lisanne Kindermann und Matthias Schreiber


Schwerpunkt: Politik des Hungers

Editorial zum Themenschwerpunkt

Es ist angerichtet
Vorerst behält die Hungerpolitik die Oberhand über Strategien gegen den Hunger
von Martina Backes

Aufplustern am Leid
Die Agrarindustrie festigt mit der Ernährungskrise ihre Stellung
von Rudolf Buntzel

Aus dem Elfenbeinturm
Der UN-Rahmenaktionsplan zur globalen Hungerbekämpfung
von Roman Herre

Ausdauernd und resistent
Agrarkonzerne wollen den Hunger mit Gentechnologie bekämpfen
von Christof Potthof

Europa global - Hunger egal
Warum die Agrarpolitik der EU Nahrungskrisen verschärft
von Armin Paasch

Schöne neue Warenwelt
Die Ausbreitung von Supermärkten in Tunesien und Marokko
von Annalena Edler

Gerissene Spekulanten, arglose Bauern?
Über Terminbörsen für Agrarrohstoffe zirkulieren einige Mythen
von Stefan Frank

Boom, Bust und Biosprit
Die Sorge um den Weltmarkt ist größer als die Kritik an der Agrarproduktion
von Thomas Fritz


Kultur und Debatte

(Post-)Kolonialismus I: Geschichte der Gewalt
Eine Diskussion über Genozide, Kolonialkriege und den Nationalsozialismus
von Birthe Kundrus, Jürgen Zimmerer u.v.m

(Post-)Kolonialismus II: Die Vergangenheit stets präsent
Eine Begegnung mit den Herero in Mahalapye
von Johann Müller

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 310, 310 - Januar/Februar 2009, S. 46
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2009