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IMI/629: Gabriels Rüstungsstrategie - Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Standpunkt 2014/049 vom 16. September 2014

Gabriels Rüstungsstrategie: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral

von Jürgen Wagner



"Rheinmetall plant Aufstieg zum Rüstungsriesen", titelte die Welt [1] am 15. September 2014, ein weiteres Zeichen dafür, dass die Branche vor einer einschneidenden Fusions- und Übernahmewelle steht. Gleichzeitig freuen sich die Waffenbauer, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach anfänglichen Irritationen inzwischen einen gezielten "Kümmerkurs" eingeschlagen hat (Handelsblatt, 08.09.2014). In Kürze will Gabriel eine rüstungspolitische Grundsatzrede halten, deren Kernelemente jedoch bereits jetzt zutage treten: Um den staatlichen Einfluss zu wahren, sollen nationale Fusionsprozesse befördert und hierüber zugleich die Exportchancen der Rüstungsunternehmen auf dem Weltmarkt verbessert werden. Entgegen der landläufigen Meinung steht hinter dieser Strategie allerdings weniger die Sorge um wirtschaftliche Einbußen oder um den Verlust von Arbeitsplätzen, vielmehr sind machtpolitische Erwägungen hierfür ausschlaggebend.


Export- und Konsolidierungsdruck

Um überleben zu können sind deutsche Rüstungskonzerne heutzutage zwingend auf Rüstungsexporte angewiesen - bei einem tendenziell abnehmenden einheimischen Markt nimmt dieser Druck sogar immer weiter zu. Um hier aber "erfolgreich" auf dem Weltmarkt bestehen, also dort genug Waffen absetzen zu können, ist jedoch eine kritische Größe erforderlich. Nur sie garantiert hohe Stückzahlen und damit niedrige und für ausländische Kunden attraktive Preise. Obwohl sich diese Idealvorstellung in der Praxis häufig nicht realisiert, gelten Konzentrationsprozesse in der Rüstungsindustrie auch in der Politik als Königsweg, um die Exportchancen zu steigern, hierdurch auch den Preis für die eigenen Einkäufe zu senken und damit generell den machtpolitisch wichtigen Erhalt einer schlagkräftigen einheimischen Rüstungsindustrie zu sichern.

So besehen existiert ein beiderseitiges Interesse von Politik und Rüstungsunternehmen (zumindest von denjenigen, die hoffen, aus dem Hauen und Stechen als Sieger hervorzugehen). Vor diesem Hintergrund deutete sich bereits vor einiger Zeit an, dass es in Deutschland bald zu beachtlichen Konzentrationsprozessen kommen wird. Ein Vorgeschmack waren die Fusionspläne von Bae Systems und EADS (heute Airbus-Group) im September 2012, mit denen der mit Abstand weltgrößte Rüstungskonzern entstanden wäre. Doch hier zeigte sich schnell, dass es mit der trauten Einigkeit von Politik und Industrie schnell vorbei sein kann, nämlich dann, wenn ein Land befürchtet, durch eine transnationale Fusion den Einfluss auf "seinen" Rüstungskonzern zu verlieren. Dies war im Falle der geplanten Fusion zwischen Bae Systems und EADS der Fall, weshalb die Bundesregierung sie zum großen Ärger der beiden Unternehmen platzen ließ (siehe IMI-Analyse 2012/018 [2]).


Nationale vs. transnationale Konsolidierung

Dasselbe Spiel scheint sich nun noch einmal zu wiederholen: Vor wenigen Wochen kündigte der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffai-Wegmann (KMW) an, der Zusammenschluss mit dem französischen Staatsunternehmen Nexter sei unter Dach und Fach: "Es ist eine der größten Rüstungsfusionen in der jüngeren Vergangenheit. Angesichts schrumpfender Wehretats steht die Branche in Europa seit Jahren unter Konsolidierungsdruck, um sich gegen Großkonzerne etwa aus den USA zu behaupten. [...] Die Eigentümer des deutschen Konzerns Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und des französischen Staatsbetriebs Nexter hätten am Dienstag in Paris eine Grundsatzerklärung für einen Zusammenschluss bis 2015 unterzeichnet, teilten die Firmen mit." (Focus Online, 02.07.2014 [3])

Doch da hatte KMW die Rechnung ohne den Wirt bzw. die Bundesregierung gemacht, denn diese muss den Deal abknicken. Wie nun zu hören ist, spricht sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gegen die Fusion aus, und zwar aus primär aus machtpolitischen Erwägungen: "Angeblich hat Wirtschaftsminister Gabriel Vorbehalte gegen das Bündnis. Er sähe lieber eine Fusion mit Rheinmetall - auch wenn das offiziell dementiert wird. Gabriel traf jüngst [KMW-Eigentümer] Bode zum Geheimgespräch. KMW teilte umgehend mit, es gäbe eine Exklusivvereinbarung mit Nexter, also kein deutsch-deutsches Bündnis. Dabei sind Rheinmetall und KMW durch Zulieferungen voneinander abhängig. 'Kein KMW-Panzer fährt, wenn es Rheinmetall nicht will', sagt ein Insider. 'In Berlin gibt es ein strategisches Interesse, den Panzerbau und das U-Boot-Geschäft in der Hand zu behalten.' Daher würde alles für eine Konsolidierung unter dem Rheinmetall-Dach sprechen." (Welt Online, 15.09.2014 [4])

Gabriel scheint aber weiterhin den Zusammenschluss mit Nexter blockieren zu wollen, was KMW-Chef Frank Haun kürzlich fürchterlich auf die Palme brachte: "In Berlin werden wir wie die Mätresse der Politik behandelt: Jeder braucht, was wir zu bieten haben, aber niemand möchte mit uns in der Öffentlichkeit gesehen werden, und einige wünschen uns sogar den Tod, ohne dass man sie dafür verantwortlich machen kann. Paris hat eine entspannte Haltung zu Mätressen wie uns - wir würden dort mit offenen Armen empfangen." (Augengeradaus, 09.09.2014 [5])

Angesichts der neuen Konstellation hat Rheinmetall nun Oberwasser und holt zum ganz großen Schlag aus. Augenscheinlich will man sich nicht nur als nationaler Champion beim Panzerbau, sondern auch im Marinesektor etablieren: "Beim Rüstungskonzern Rheinmetall zeichnen sich wieder Umrisse und die Chance für einen Großumbau ab. In der Branche wird erwartet, dass der Düsseldorfer Konzern den Marineschiffbau samt U-Booten von ThyssenKrupp übernimmt. Gleichzeitig könnte EADS, inzwischen in Airbus-Group umbenannt, seinen Anteil bei Atlas Elektronik, also Torpedos und Marineelektronik und weitere Rüstungsrandbereiche, beisteuern. Rheinmetall könnte somit ein Marine-Gesamtpaket erwerben." (Welt Online, 15.09.2014 [6])

Dies passt in das sich abzeichnende Bild: In Kürze will Gabriel eine Grundsatzstrategie für den Rüstungssektor vorstellen, deren Konturen bereits ersichtlich werden. Abseits des Unmuts von KMW, das augenscheinlich Nexter als Partner bevorzugt, scheint der Wirtschaftsminister sehr zur Freude der restlichen Branche auf eine aktive Förderung nationaler Fusionsprozesse zu setzen - zumindest solange, bis eine Größe erreicht wurde, um sich ausländische Konkurrenten schlicht einverleiben zu können. Nachdem sich Gabriel zunächst in der Branche und bei einem kleinen Teil seiner Wählerschaft aus der IG Metall mit seiner - ohnehin bestenfalls halbherzigen - Ankündigung, die deutschen Rüstungsexporte künftig restriktiver handhaben zu wollen, nicht gerade Freunde gemacht hatte, bescheinigte ihm nun das Handelsblatt wohlwollend, einen "erfolgreichen" Kurswechsel eingeleitet zu haben: "Der Kümmerkurs des SPD-Chefs kommt nicht von ungefähr. Die IG Metall und die Betriebsräte der Wehrfirmen haben ihm klargemacht, dass eine striktere Exportpolitik Arbeitsplätze kosten würde." (Handelsblatt, 08.09.2014)


Volkswirtschaftliche vs. machtpolitische Bedeutung

Allerdings ist die Behauptung, es würde hier primär um Wirtschaftsinteressen oder Arbeitsplätze gehen, quatsch, auch wenn dies nahezu überall so zu lesen ist. Die diesbezügliche Bedeutung der Branche ist gelinde gesagt überschaubar. So heißt es in einer Publikation [7] der bestimmt nicht rüstungsfeindlichen "Stiftung Wissenschaft und Politik" vom Juni 2014: "Volkswirtschaftlich betrachtet hat die Rüstungsindustrie nur geringes Gewicht. [I]n der klassischen Rüstungsindustrie (Waffensysteme, Waffen und Munition) [existieren] sogar weniger als 20 000 direkt Beschäftigte. Dem stehen etwa in der Automobilindustrie 740 000 Beschäftigte gegenüber [...] Der Anteil der Verteidigungs- und Sicherheitsbranche am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt, großzügig berechnet, bei 1 Prozent (22 Mrd. 2011). Die Automobilbranche kommt auf 7 Prozent. Die klassische Rüstungsindustrie wird vollständig staatlich finanziert oder subventioniert. Rund 90 Prozent der 10 Milliarden Euro, die im Haushalt des Verteidigungsministeriums für Investitionen eingestellt sind, gehen an deutsche Unternehmen."

Die ganze Übung hat also vor allem machtpolitische Hintergründe, der Erhalt von Arbeitsplätzen und ähnlichem ist dabei nur ein willkommenes, aber nicht ausschlaggebendes Zubrot: Die deutsche Rüstungsbranche soll entlang nationaler Linien zusammengefasst werden, um so zu gewährleisten, dass die Bundesregierung beim Ankauf strategisch wichtiger Waffen künftig nicht von Wohl und Wehe irgendeines ausländischen Staates abhängig ist. Darum geht es, um nichts anders! Doch genau hierfür ist die Ausweitung der deutschen Rüstungsexporte zwingend erforderlich und genau diesem Ziel dient die Konzentration der Branche - nur wird sich Gabriel, der ja vollmundig hinausposaunte, die deutschen Waffenverkäufe einschränken zu wollen, davor hüten, dies offen zu sagen.

Betrachtet man die Vorgänge unter diesen Gesichtspunkten, so lassen sie sich mit Bert Brecht zusammenfassen: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral."


Anmerkungen:

[1] http://www.welt.de/wirtschaft/article132244535/Rheinmetall-plant-deutschen-Ruestungsriesen.html

[2] http://www.imi-online.de/2012/09/17/fusionsplane-von-eads-und-bae-systems/

[3] http://www.focus.de/finanzen/news/unternehmen/zusammenschluss-mit-staatskonzern-krauss-maffei-fusioniert-mit-franzoesischer-panzerschmiede_id_3961262.html

[4] http://www.welt.de/wirtschaft/article132244535/Rheinmetall-plant-deutschen-Ruestungsriesen.html

[5] http://augengeradeaus.net/2014/09/in-berlin-werden-wir-wie-eine-maetresse-behandelt-kmw-chef-ueber-kooperation-mit-nexter/

[6] http://www.welt.de/wirtschaft/article132244535/Rheinmetall-plant-deutschen-Ruestungsriesen.html

[7] http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2014A45_lnk_mlg.pdf

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Quelle:
IMI-Standpunkt 2014/049 vom 16. September 2014
Gabriels Rüstungsstrategie: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral
http://www.imi-online.de/2014/09/16/gabriels-ruestungsstrategie-erst-kommt-das-fressen-dann-kommt-die-moral/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2014