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IMI/254: Eskalation am Golf von Aden


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
Ausdruck - IMI-Magazin - August 2009, 3.8.2009

Schuss vor den Bug oder Schlag ins Wasser? - Eskalation am Golf von Aden

Von Christoph Marischka


Das International Maritime Bureau (IMB) wurde 1981 von der internationalen Handelskammer (ICC) gegründet mit dem Ziel, die Kriminalität auf See zu beobachten und ihre Verfolgung zu erleichtern. Hierzu unterhält sie u.a. Kontakt zu Interpol und zur Weltzollorganisation (WCO) sowie den mittlerweile im Rahmen der Pirateriebekämpfung patrouillierenden Marineverbänden. Zugleich macht sie sich für eine umfassende Definition der Piraterie stark, nach der fast jede kriminelle Handlung auf See unter diese fällt. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit besteht darin, Meldungen über diesbezügliche Vorfälle zu sammeln und entsprechende Lagebilder zu erstellen. Das IMB stellt auf der Homepage der Internationalen Handelskammer eine stets aktualisierte "Live Piracy Map" zur Verfügung, in der auch die Koordinaten "verdächtiger Schiffe" eingetragen sind, gibt Warnmeldungen für bestimmte Regionen aus und erstellt regelmäßige Berichte über die Piraterie auf den Weltmeeren. Diese Berichte gelten als anerkannte Quellen über Vorfälle von Seeräuberei sowie deren Häufigkeit und geografische Verteilung, obwohl sie nicht im eigentlichen Sinne veröffentlicht werden, sondern nur für die "interne Nutzung der Empfänger" bestimmt sind. Finanziert werden die Berichte neben der zypriotischen Regierung v.a. von großen Versicherungsunternehmen und nationalen Werftverbänden, also von Institutionen, die tendenziell ein Interesse an sicheren Handelsrouten auf See haben.

Insofern erscheint der Halbjahresbericht 2009 des IMB, den die Handelskammer Mitte Juli zirkulieren ließ, widersprüchlich. Einerseits wird in diesem unter "Danksagungen" das Engagement der internationalen Seestreitkräfte am Golf von Aden ausdrücklich "begrüßt und unterstützt", andererseits zeigt der Bericht aber anhand seiner statistischen Daten, dass eben dieses Engagement keineswegs zu einem Rückgang der Piraterie in dieser Region geführt, sondern diese im Gegenteil in Umfang und Brutalität enorm zugenommen hat, seit die internationalen Kriegsschiffe dort präsent sind.


Eskalation seit Juli 2008

So zeigt schon der Jahresbericht 2008 des IMB einen zaghaften Anstieg der weltweit versuchten und erfolgten Piratenangriffe (nach IMB-Definition) von 263 im Jahre 2007 auf 293 im Jahre 2008, wobei die Zahlen in den meisten Regionen sogar rückläufig waren. Nur vor Malaysia, Myanmar, den Philippinen, Singapur, Vietnam, Ecuador, Venezuela, Angola, Kamerun, der Republik Kongo, Äquatorialguinea und Ghana nahmen die Meldungen gegenüber dem Vorjahr marginal um insgesamt 28 Fälle zu. Ohne den Golf von Aden und das Rote Meer - beide werden in den Berichten des IMB zusammengefasst - bliebe insgesamt ein Rückgang. Doch am Golf von Aden und dem Roten Meer stieg die Anzahl der gemeldeten Piratenangriffe von 13 im Jahr 2007 auf 92 im Jahr 2008. Damit wurde die Region 2008 zum absoluten Hot Spot der Piraterie und zwar mit weitem Abstand vor Nigeria und Indonesien, wo 2008 40 bzw. 28 Fälle gemeldet wurden.

Der Halbjahresbericht 2009 lässt nun den Zeitpunkt, an dem der rasante Anstieg begann, genauer eingrenzen, denn er vergleicht die Zahl der Überfälle im ersten Halbjahr 2009 mit denen im ersten Halbjahr 2008. Zwischen Januar und Juni 2008 waren am Golf von Aden und im Roten Meer erst 19 Vorfälle gemeldet worden, gerade einmal einer mehr als vor Nigeria. Im ersten halben Jahr 2009 hingegen waren es genau 100. Die Zahl der gemeldeten Vorfälle stieg demnach von 10 bzw. 13 2006 und 2007 im ersten Halbjahr 2008 auf 19 und dann sprunghaft auf 73 im zweiten Halbjahr 2008 bzw. 100 im ersten Halbjahr 2009. Angriffe in somalischen Küstengewässern wurden gesondert erfasst und stiegen von 10 im Jahre 2006 auf 31 im Jahre 2007. Im ersten Halbjahr 2008 wurden hier 5 Vorfälle gemeldet, im zweiten Halbjahr 2008 14 und im ersten Halbjahr 2009 44. Vor diesem Hintergrund von einem erfolgreichen Vorgehen der internationalen Seestreitkräfte zu sprechen, ist blanker Hohn.


UN-Mandat für die Piratenjagd

Bereits am 21. April 2008 war die deutsche Fregatte Emden einem japanischen Handelsschiff, das 240 Seemeilen östlich von Aden von Piraten angegriffen worden war, mit einem Hubschrauber zur Hilfe gekommen. Das deutsche Kriegsschiff war zu dieser Zeit im Rahmen der Operation Enduring Freedom in den Gewässern unterwegs. Innerhalb der japanischen Regierung begann damit eine Debatte, ob die Piratenbekämpfung Teil des Kriegs gegen den Terror sei und das japanische Sondergesetz, das die Beteiligung der Streitkräfte an diesem im offenen Widerspruch zur Verfassung begründet, entsprechend ausgeweitet werden sollte, damit Handelsschiffe zukünftig von japanischen Zerstörern begleitet werden könnten. Ähnliche Debatten begannen gerade auch in Deutschland, als der UN-Sicherheitsrat am 2. Juni 2008 einstimmig die Resolution 1816 zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias verabschiedete, welche die Staaten autorisierte, in somalische Küstengewässer einzudringen und dort Piraterie "mit allen erforderlichen Mitteln" zu verhindern. Die in der Region aktiven Kriegsschiffe und Militärflugzeuge wurden darin explizit aufgefordert, aufmerksam zu sein und zu kooperieren, um Angriffe auf Handelsschiffe zu unterbinden. Die Resolution basierte auf einer Vorlage, welche sieben europäische Küstenstaaten, die USA, Japan, Kanada und Australien gemeinsam mit Panama und Südkorea eingereicht hatten und entsprach einer entsprechenden Anfrage der somalischen Regierung, die zwar von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird und insbesondere von Äthiopien und den USA militärisch unterstützt wird, tatsächlich aber nur kleine Teile des Staatsgebietes kontrolliert und über keine innenpolitische Legitimität verfügt. Genau hierin wurde letztlich die Begründung für die außergewöhnliche UN-Resolution gesucht, dass die Regierung eben selbst nicht für Sicherheit und Ordnung sorgen könne und deshalb diese Funktion in ihren Küstengewässern an die internationale Gemeinschaft überträgt. Explizit und mehrfach wurde in der Resolution und bei ihrer Verabschiedung festgehalten, dass es sich hierbei um eine Ausnahme handele, die nur die Küstengewässer Somalias betreffe und sich hieraus keinerlei Neudefinition des Völkerrechts ergeben dürfe.

In der Folge stiegen plötzlich sowohl die Meldungen über Piratenangriffe als auch die Berichterstattung über diese.


Humanitärer Auftrag?

Am 25. September 2008 bat der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf der Grundlage von Resolution 1816 offiziell die NATO, den Schutz von Schiffen im Auftrag des UN-World Food Program in der Region zu übernehmen, woraufhin die NATO sehr schnell ihre 2. Mittelmeerflotte (Standing NATO Maritime Group, SNMG 2) entsandte. Innerhalb eines Monats waren die ersten NATO-Schiffe vor Ort und übernahmen ihren neuen Auftrag, die Bekämpfung der Piraterie. Als Begründung für diese Anfrage der UN um militärischen Schutz durch die NATO galten die zuvor erfolgten Piratenangriffe auf Schiffe, die Güter im Auftrag des WFP transportieren und dass 90% der Nahrungsmittellieferungen nach Somalia über den Seeweg erfolgten. Würde dieser unterbrochen, drohten sich Hunger und Unterernährung in Ostafrika weiter zu verschlimmern. Tatsächlich wurden 2007 drei Schiffe mit Gütern des WFP von Piraten angegriffen,[1] von etwa dreißig, die täglich im Auftrag des WFP unterwegs sind.[2] Das WFP ging deshalb bereits im November desselben Jahres dazu über, seine Ladung im kenianischen Mombasa auf kleinere Schiffe zu verladen, die dann bis nach Mogadischu eskortiert wurden. Danach gab es keine Übergriffe mehr auf Schiffe des WFP, bis im April 2009 - mittlerweile wurde der zwischenzeitlich unterbrochene NATO-Einsatz von der EU-Operation ATALANTA ergänzt - die unter US-amerikanischer Flagge stehende "Maersk Alabama" auf dem Weg nach Mombasa geentert wurde. Deren Kapitän bot sich im Austausch für Schiff und Crew als Geisel an und die Alabama konnte mit zweitägiger Verspätung in Mombasa einlaufen. Der Kapitän wurde später in einer spektakulären Aktion durch US-Spezialeinheiten, bei der drei Piraten erschossen und einer festgenommen wurde, befreit.

Nur wenige Tage später wurden zwei weitere Schiffe, die Ladungen des WFP an Bord hatten, von Piraten angegriffen: die "Sea Horse" 700km vor der somalischen Küste auf dem Rückweg nach Indien und die "Liberty Sun" auf dem Weg von Port Sudan nach Mombasa.[3] Während die unter togolesischer Flagge fahrende Sea Horse gekapert und nach drei Tagen gegen ein Lösegeld von etwa 100.000 US$ wieder von den Piraten freigegeben wurde, verlief der Angriff auf die Liberty Sun unter US-Flagge ungewöhnlich: Die Piraten feuerten mit Raketenwerfern und Maschinengewehren auf das Schiff und beschädigten dessen Rumpf. Obwohl es fünf Stunden dauerte, bis ein herbeigerufenes Boot der US-Marine eintraf, enterten die Piraten die Liberty Sun nicht. Deren Besatzung, die sich im Maschinenraum verbarrikadiert hatte und unverletzt blieb, und die internationalen Medien führen dies auf ein erfolgreiches Ausweichmanöver zurück. Einzig ein Bericht von BBC verweist darauf, dass die Piraten nach der gewaltsamen Befreiung des Kapitäns der Alabama Vergeltungsmaßnahmen angekündigt hätten.[4] Tatsächlich schien es eher die Absicht der Angreifer, das Schiff zu beschädigen als es zu kapern. Das nächstgelegene Kriegsschiff, das von der Liberty Sun zur Hilfe gerufen wurde, war denn auch die USS Bainbridge, von der die US-Kommandoaktion ausging und an deren Bord sich nach wie vor der Kapitän der Alabama befand. Dieser wurde von den internationalen Medien zwischenzeitlich als Held gefeiert und sollte am Tag nach dem Angriff in Mombasa seine Crew wieder treffen, um mit dieser gemeinsam und feierlich in die USA zurückzufliegen. Dieses durchaus als Medienereignis geplante Treffen fiel aufgrund des Angriffs auf die Liberty Sun buchstäblich ins Wasser.[5]

Tatsächlich müssen die US-amerikanische Aktion zur Befreiung der Geisel ebenso wie die kurz zuvor, aber weniger erfolgreich mit Unterstützung der deutschen Fregatte Mecklenburg-Vorpommern erfolgte französische Kommandoaktion (hier wurde die Geisel gleich mitgetötet) auch abgesehen von den absehbaren Vergeltungsmaßnahmen kritisch betrachtet werden. Zukünftig werden sich Piraten nicht mehr auf eine Freigabe der Schiffe mitsamt Crew im Austausch gegen den Kapitän einlassen, die Geiseln eher ins Hinterland verschleppen, einsperren und auch töten. Tatsächlich weisen zahlreiche Medienberichte seither darauf hin, dass der Umgang der Piraten mit den Geiseln deutlich rauer geworden ist.

Von Kritik an dem Vorgehen der internationalen Truppen sind aber IMB und auch das WFP weit entfernt. Das WFP hatte bereits zum Abschluss des ersten NATO-Einsatzes zur Piratenbekämpfung im Dezember 2008 erklärt, dass "ohne diesen Schutz zwei Mio. Somalis eventuell Hunger hätten leiden müssen", obwohl die Operation "Allied Provider" erst im Oktober begann und bereits seit Ende 2007 keine Angriffe mehr auf Schiffe im Auftrag des WFP stattfanden, da diese ihre Route über Mombasa änderten.[6] Dass diese Route nun auch in Gefahr ist und Schiffe zunehmend auch weit vor der Küste angegriffen werden, gilt allgemein als Folge der internationalen, militärischen Piratenjagd und der UN-Resolution 1816. Anstatt diese aber zu kritisieren oder über einen Zusammenhang zwischen der US-amerikanischen Kommandoaktion und den Angriffen auf die Liberty Sun und die Sea Horse auch nur zu spekulieren, stellt das WFP im Einklang mit den Regierungen der USA und Somalias die Piratenangriffe weiterhin als primäres Hindernis der Versorgung Ostafrikas dar und fordert es ein entschiedeneres militärisches Vorgehen: "Wenn Nahrungsmittelhilfe Somalia, Kenia, den Südsudan und den Ostkongo nicht über Mombasa erreichen kann, werden Millionen Menschen hungern und die bereits hohe Verbreitung von Unterernährung wird weiter zunehmen. Piraterie in den Gewässern Somalias bereitet dem WFP, dessen Schiffe 2007 in drei Fällen angegriffen oder geentert wurden, bereits länger Sorgen. Da 90% der Nahrungsmittelhilfe Somalia über das Meer erreicht, fahren wir somalische Häfen nur noch mit Eskorten an..."[7]


Die Piraten rüsten auf

Obwohl sowohl die räumliche Ausdehnung als auch die reine Summe der Piratenüberfälle mit dem internationalen militärischen Engagement zunahmen, lässt sich jedoch evtl. ein weiterer Grund für dieses finden, der nicht in geopolitischen Interessen begründet ist, für die sich UN und deren WFP einspannen lassen. So macht bereits der IMB-Bericht für das Jahr 2008 deutlich, dass sich die Art der Piraterie vor Somalia und am Golf von Aden vor allem qualitativ deutlich von der in anderen von Piraterie betroffenen Gebieten unterschied: Während vor Asien und Afrika Schiffe überwiegend und vor Lateinamerika fast ausschließlich angegriffen werden, während sie vor Anker oder im Hafen liegen, wurden bereits 2008 44 Schiffe vor Somalia und im Golf von Aden während der Fahrt geentert. Damit wurden von weltweit insgesamt 87 Schiffen, die nicht vor Anker Lagen, als sie überfallen wurden, etwa die Hälfte in dieser Region geentert - hinzu kommen 58 von weltweit 82 Versuchen, die fehlschlugen. Im ersten Halbjahr 2009 waren es 30 von 49 erfolgreichen Enterungen bei Fahrt und 114 von 120 missglückten Versuchen weltweit.

Solche Angriffe auf fahrende Schiffe verlaufen naturgemäß anders. So waren die Piraten 2008 bei 68 der 293 Angriffe weltweit lediglich mit Messern bewaffnet. Von den 139 Angriffen, bei denen sicher Schusswaffen im Spiel waren, erfolgten 85 im Golf von Aden und 17 in somalischen Gewässern, wobei auch von diesen die meisten auf das 2. Halbjahr entfallen. Auf hoher See geenterte Schiffe wurden meist mitsamt der Crew an die Küste Somalias gebracht. Daher gehen 2008 von den insgesamt 889 als Geiseln genommen Seeleuten 629 auf Überfälle am Golf von Aden und 186 auf solche vor Somalia zurück, wobei bis Juni 2008 insgesamt erst 190 Geiseln genommen wurden. Anstatt wie in anderen Regionen nur Teile der Fracht und Eigentum von der Besatzung zu rauben, verlangten die Piraten in dieser Region also überwiegend Lösegeld für die Schiffe und deren Besatzung von den Reedereien. Wurde dieses Lösegeld bezahlt, liefen die Überfälle jedoch meist recht glimpflich ab. Verletzte oder getötete Seeleute gab es 2008 weltweit 43, davon zwei vor Somalia und vier im Golf von Aden. Die meisten der 2008 betroffenen Schiffe wurden von deutschen Reedereien betrieben (41) gefolgt von Reedereien aus Singapur (31), Griechenland (23) und Japan (16) sowie Norwegen, dem Vereinigten Königreich und China mit jeweils 12 Schiffen.

Insofern ist durchaus ein starkes Interesse der betroffenen Staaten und ihrer Verbündeten an einer Bekämpfung der Piraterie anzunehmen, wenn auch nicht aus humanitären Gründen. Doch auch vor dem Hintergrund dieses Interesses können die bislang erfolgten Einsätze schwerlich als Erfolg gewertet werden. Denn im ersten Halbjahr 2009 ist eben keinerlei Rückgang der Piraterie zu verzeichnen. Im Gegenteil scheinen die Piraten ihrerseits aufzurüsten und brutaler vorzugehen. Von den 240 in diesem Zeitraum erfolgten Angriffen weltweit wurden 151 nachweislich mit Schusswaffen ausgeführt und damit mehr, als im ganzen Jahr 2008. Davon entfallen alleine 78 auf den Golf von Aden und auf Somalia 41, womit insbesondere in somalischen Gewässern der Einsatz von Schusswaffen deutlich zugenommen hat. Der starke Anstieg an Geiselnahmen zwischen dem ersten Halbjahr 2008 und dem ersten Halbjahr 2009 von 190 Fällen auf 561 geht ausschließlich auf Somalia und den Golf von Aden zurück, wo zwischen Januar und Juni 2009 287 bzw. 198 Crewmitglieder (von mutmaßlichen Piraten abgesehen) verschleppt wurden - insgesamt 295 mehr als im ersten Halbjahr 2008 weltweit und 193 mehr als im gesamten Jahr 2007. Im gleichen Zeitraum wurden vor Somalia und am Golf von Aden insgesamt 10 Seeleute verletzt und getötet, fast doppelt so viele, wie im gesamten Vorjahr. 38 der angegriffenen Schiffe im ersten Halbjahr 2009 fuhren im Auftrag von Reedereien aus Deutschland, 33 aus Griechenland und 17 aus Singapur.


(Real-)Satire am Golf von Aden

Dass die militärische Piratenjagd dennoch von den meisten Beteiligten als Erfolg bewertet wird und ihre Weiterführung außer Frage steht (allenfalls wird die Frage gestellt, ob sie noch "robuster" durchgeführt werden soll), mag also Erstaunen hervorrufen. Vielleicht geht es ja doch darum, einen völkerrechtlichen Präzedenzfall zu schaffen, sich die Herrschaft über einen sog. gescheiterten Staat stückchenweise und gemeinschaftlich anzueignen. Vielleicht geht es auch darum, insofern einen Präzedenzfall zu schaffen, als vor der Küste Somalias ganz offensichtlich Kapitalinteressen gegen eine verarmte und kriminalisierte Bevölkerung militärisch verteidigt werden sollen, auch wenn dies bislang erfolglos bleibt. Vielleicht kann auch keine der weltweiten Mächte nach dem frühen NATO-Engagement mehr darauf verzichten, vor der rohstoffreichen Küste Somalias an einem der Highways des Welthandels Präsenz zu zeigen. Vielleicht geht es aber auch oder noch dazu um die pure "Lust am Einsatz" der führenden und aufstrebenden Seemächte in einem der internationalen Gewalt Preis gegebenen Gebiet. Diese scheint mittlerweile - profitträchtig - auch Privatpersonen erfasst zu haben. So meldete das österreichische "Wirtschaftsblatt" am 22.6.2009:

"Ein russischer Kreuzfahrtunternehmer dreht den Spieß jetzt um und lädt reiche Russen zur Jagd auf Piraten vor Somalias Küste ein, der gefährlichsten Wasserstraße der Welt. Seine Geschäftsidee ist einfach: Sein Kreuzfahrtschiff ist der Köder für die Piraten. Versuchen die echten Piraten das scheinbar harmlose Schiff zu entern, erleben die Afrikaner ihr blaues Wunder. Statt wehrlosen Handelsmatrosen stehen ihnen bis an die Zähne bewaffnete russische Touristen gegenüber. Ein makabrer Touristenspaß. Ein Tag an Bord des gecharterten Kreuzfahrschiffes kostet 5.790 Dollar. Es wird solange geschippert, bis die echten Piraten auch wirklich angreifen. Mindestens ein Piratenüberfall mit Kaperungsversuch wird vom Reiseunternehmer garantiert. Die Route geht von Djibouti nach Mombasa in Kenia. Das Schiff fährt dafür möglichst nahe der somalischen Küste mit einer Geschwindigkeit von nur fünf nautischen Meilen entlang. Die Touristen können sich nach Belieben und Geldbeutel mit Waffen eindecken. Eine Maschinenpistole des Typs AK-47 kann von den russischen Kreuzfahrtpassagieren an Bord für 9 Dollar am Tag gemietet werden. 100 Schuss Munition kosten 12 Dollar. Ein Granatwerfer kostet 175 Dollar am Tag. Dazu gehören drei Granaten, die im Mietpreis enthalten sind. Die Benutzung eines an der Reeling fest installierten Maschinengewehres soll 475 Dollar kosten."

Wie die Verleger später bekannt gaben, handelte es sich dabei (höchstwahrscheinlich) um eine Satire. Noch!


Anmerkungen

[1] "Two New Piracy Incidents Underline Threat to WFP Shipments", Pressemitteilung des WFP vom 15.4.2009

[2] "Pirate Attacks Delay Food Sent to Africans - Millions in East, Central Africa could go hungry if delays continue", www.america.gov, 1.6.2009

[3] Ebd.

[4] "Pirates attack second US vessel", BBC, 15.4.2009

[5] "U.S. Cargo Ship Evades Somali Pirate Attack", Associated Press, 15.4.2009

[6] "Successful completion of NATO mission Operation Allied Provider", Pressemitteilung des NATO-Hauptquartiers in Europa (SHAPE) vom 12.12.2009

[7] Two New Piracy Incidents Underline Threat to WFP Shipments, Pressemitteilung des WFP vom 15.4.2009


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Quelle:
IMI-Analyse 2009/032, 3.8.2009
Ausdruck - IMI-Magazin - August 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2009