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IMI/250: Kanonenboote und Piraten - Die EU am Horn von Afrika


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.

Broschüre "Militärmacht EUropa: Eine Zwischenbilanz"

Kanonenboote und Piraten
Die EU am Horn von Afrika

Von Claudia Haydt


In den letzten Monaten ist es voll geworden im Meer vor dem Horn von Afrika. Mittlerweile kreuzen dort 20 Kriegsschiffe sowie etliche Versorgungsschiffe. Der Indische Ozean ist offensichtlich zum neuen Schauplatz globaler Machtpolitik geworden. Militärbündnisse wie die NATO oder die europäische Union (EU) als auch Einzelstaaten wie Russland, Indien und die USA mit ihrer 5. Flotte setzen im Kampf gegen Piraten voll auf die militärische Karte.

Neben den genannten Akteuren haben weitere wie China, Frankreich, Großbritannien, Südkorea und Malaysia nationale maritime Kontingente entsandt. Selbst der Iran, dessen Schiffe ebenfalls Opfer der Piraterie wurden, kündigte seine Präsenz an. Dass innerhalb dieser bunten Anti-Piraten-Koalition einiges an Eskalationspotential liegt, ist nicht zu übersehen.


EU als Seemacht?

Am 10. November beschloss der Rat der Europäischen Union eine gemeinsame Anti-Piraterie-Mission unter dem Namen ATALANTA. Die "Gemeinsame Aktion" ermöglicht einen ersten Einsatz von Kriegsschiffen unter EU-Flagge. Ihr Auftrag: "Durchführung der erforderlichen Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes von Gewalt, zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten Raubüberfällen, die in den Gebieten, in denen sie präsent ist, begangen werden könnten".

Insgesamt besteht ATALANTA aus sechs Kriegsschiffen, drei Aufklärungsflugzeugen, Hubschraubern und Versorgungsschiffen. Der deutsche Beitrag dazu, die Fregatte Karlsruhe, nimmt seit dem 19. Dezember 2008 an der Mission ATALANTA teil. Der Bundestag stimmte in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten im Schnellverfahren diesem Vorgehen zu.

Viele Details der EU-Mission ATALANTA sind ungeklärt. So ist völlig unklar, was mit gefangenen Piraten geschehen soll. Wie etwa soll der Richtervorbehalt des Art. 104 GG am Horn von Afrika umgesetzt werden? Sollen Beamte der Bundespolizei für eventuelle Verhaftungen mit an Bord genommen werden?

Offensichtlich will besonders die CDU/CSU das Piratenproblem als Türöffner für die Aushebelung der Aufgabentrennung von Polizei und Militär und Änderung der Art. 35 und 87a GG nutzen. Auch der Einsatzraum der EU-Mission lässt einige Fragen offen. Auf 500 Seemeilen entlang der somalischen Küste und deren "Nachbarstaaten" sollen die EU-Kriegsschiffe eingesetzt werden. Also auch in den Küstengewässern von Kenia und Dschibouti?

Es besteht die konkrete Gefahr, dass hier rechtliche Grauzonen etabliert werden. Das Ziel ist eindeutig: die Bevölkerung soll daran gewöhnt werden, dass der Schutz von ökonomisch und strategisch wichtigen Seetransporten eine Aufgabe der Bundeswehr und der Europäischen Union ist.


Kein Präzedenzfall

Formal stützt sich die EU-Mission auf das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) und die UN-Resolution 1816. Art. 105 des SRÜ ermöglicht außerhalb der 12-Seemeilenzone die Piratenbekämpfung. Aktive Pirateriebekämpfung ist dadurch möglich - jedoch keine Verpflichtung. Verpflichtend ist allein die direkte Nothilfe. Mit der UN-Resolution 1816 vom 2.6.2008 wird das Recht zur Pirateriebekämpfung auf die Küstengewässer vor Somalia ausgeweitet. Voraussetzung für eine "robuste" Mission nach Kapitel VII der UN-Charta ist eine Bedrohung des internationalen Friedens. Piraterie ist jedoch nicht mehr und nicht weniger als gewöhnliche Kriminalität. Der Sicherheitsrat hat durch seine Entscheidung einen weiteren Beitrag zur Aushöhlung des Völkerrechts geleistet.[1]

Insgesamt kann die Bundeswehr bis zu 1.400 Soldaten für die EU-Mission ATALANTA stellen. Mit dieser Größenordnung schafft sich die Regierung viel Spielraum. Es geht dabei auch darum, ein kurzfristiges Mandate-Switching zu ermöglichen. Momentan (14.1.2009) ist die Bundesmarine im Rahmen der Mission ATALANTA mit 227 Soldaten vor dem Horn von Afrika im Einsatz. Dazu können jedoch ganz schnell die 277 Soldaten auf der im Rahmen von OEF eingesetzten "Anti-Terror- Fregatte" MECKLENBURG-VORPOMMERN hinzukommen, wenn sie gerade in der Nähe eines Piratenschiffs sind.

In einem Phoenix-Interview erklärte Verteidigungsminister Franz Joseph Jung am 2.12.08, dass Deutschland als Exportweltmeister Seesicherheit brauche: "Wir sind auf freien Seehandel angewiesen". Mit mehr als 3.200 Schiffen liegt die Deutsche Handelsflotte bei der verfügbaren Transportkapazität hinter Griechenland und Japan auf Platz drei. Bei der Containerschifffahrt belegt Deutschland den ersten Platz. Der aktuelle Jahresbericht des Flottenkommandos der Deutschen Marine stellt fest: "Die maritime Wirtschaft zählt mit mehr als 380.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 48 Milliarden Euro zu den wirtschaftlich wichtigsten und fortschrittlichsten Wirtschaftszweigen in Deutschland."

Die Seeroute vor Somalia wird jährlich von etwa 50.000 Schiffen passiert. 24.000 davon nehmen pro Jahr die Route durch den Golf von Aden zum Suezkanal, einen Weg den auch 30 Prozent des Rohöls für Europa nimmt.


Die somalischen Piraten

Im Jahr 2008 hat die Anzahl der Übergriffe gegenüber dem Vorjahr weltweit um 11% zugenommen. Es wurden 293 Angriffe registriert. Am Horn von Afrika fanden mit 111 Meldungen mehr als ein Drittel aller Zwischenfälle statt. Nigeria liegt in der Statistik des International Maritime Bureaus (IMB) auf Platz 2 mit 41 gemeldeten Vorkommnissen. Zur Zeit befinden sich vor Somalia 14 Schiffe und etwa 175 Seeleute in der Hand von Piraten.

Als den Piraten im September 2008 der ukrainische Frachter MS Faina mit 33 russischen T-72-Kampfpanzern in die Hand fiel, wurde klar, dass die Kriminalität im Indischen Ozean nur zu einem kleinen Teil auf das Konto der Piraten geht. Die Panzerlieferung war vermutlich Teil eines größeren und illegalen Rüstungsgeschäftes mit mindestens vier Lieferungen zwischen der Ukraine und der südsudanesischen Regierung, die damit die Abspaltung vom Norden des Landes vorbereitet. Dazu gehörte im November 2007 auch ein Schiff einer deutschen Reederei - ebenfalls mit Panzern aus der Ukraine. Der legale und illegale globale Waffenhandel wird damit auf jeden Fall längst nicht beendet sein. Nicht zufällig sind die Häfen, über die der illegale Waffenhandel nach Somalia abgewickelt wird, gleichzeitig die Häfen, die als Basis für die Piraten dienen. Eine bessere internationale Kontrolle, besser noch ein Verbot des Waffenhandels wäre deswegen sowohl ein Schritt gegen die Piraterie als auch zur Eindämmung des Bürgerkrieges in Somalia.

Die somalischen Piraten sind maritime Profis, nicht wenige begannen ihre "Karriere" als Fischer oder Angehöriger der somalischen Küstenwache. Aus Frustration über die leergefischten Fanggründe begannen Mitte der 1990er Jahre einzelne Somalis von den Eindringlingen "Steuern" und "Fanglizenzen" zu kassieren. Einige der Piratengruppierungen nennen sich auch heute noch "Somali Marines" oder "National Volunteer Coast Guard". Der Zugang zum Piratengewerbe ist relativ barrierefrei. Die notwendige Grundausstattung besteht in zwei bis drei Schnellbooten, sechs bis acht Bewaffneten, und ein paar AK-47. Ebenfalls notwendig sind Kommunikationsmittel und meist 4-6 Meter lange selbstgebaute Leitern. Da viele Handelsschiffe vollbeladen tief im Wasser liegen und dabei nur sehr langsam fahren, fällt es den kleinen Piratenbooten mit starkem Motor leicht, ihre Beute im Radarschatten einzuholen und an Bord zu kommen. Die meisten Aktionen gehen auf das Konto von vier bis fünf Gruppen mit unterschiedlichen Fähigkeitsprofilen. Insgesamt sind wahrscheinlich circa tausend Personen mehr oder weniger direkt ins Piratengeschäft involviert. Von den Geldern, die durch die Aktivitäten der Piraten in die arme Küstenregion fließen, profitieren jedoch ganze Städte und Dörfer. Eine politische Agenda haben die Piraten nicht. Ebenso gibt es keine Verbindungen zu Islamisten in Somalia. Im Gegenteil, diese bekämpfen Piraten am härtesten. Als von Juni bis Dezember 2006 die Union der Islamischen Gerichtshöfe (UIC) an der Macht war, rückten diese den Piratennestern so entschlossen zu Leibe, dass die Piraterie zum Erliegen kam. Allerdings nur bis dann im Dezember 2006 die äthiopische Armee mit Hilfe der USA in Somalia einmarschierte.


Was tun gegen Piraterie?

Es gibt eine Reihe ganz banaler aber sehr effektiver passiver Schutzmöglichkeiten von Schiffen vor Piratenüberfällen. Die wichtigste ist, wie vom IMO empfohlen, eine durchgehende Anti-Piraten-Wache. Wenn Piraten rechtzeitig entdeckt werden, dann können sie etwa mit Hochdrucklöschwasserkanonen am Entern gehindert werden. Ebenso ist es äußerst effektiv, Bordwände mit Schmierfett zu bestreichen. Da diese Lösungen aber sehr personalintensiv sind, sind sie bei Reedereien nicht sehr beliebt.

Der Ursprung von Piraterie liegt nicht auf dem Meer, sondern auf dem Land. Eine effektive militärische Lösung kann es schon allein deswegen nicht geben. In einer Präsentation der European Union Naval Coordination Cell (NAVCO) vom 15.10.2008 wird deutlich, wie groß dieser Aufwand ist: "Wenn wir alle Schiffe, die das Gebiet durchfahren, effektiv schützen wollten, dann wären alle Armeen dieser Welt nicht ausreichend."

Es ist deswegen völlig unverständlich, warum die Europäische Union zwar eine Militäraktion startet, nicht jedoch einen Plan zur präventiven Bekämpfung der Ursachen von Piraterie entwickelt. Nur eine politische und ökonomische Perspektive für die Menschen in Somalia kann die Pirateriegefahr dauerhaft senken. Eine politische Lösung in Somalia wird es jedoch nur dann geben, wenn alle relevanten politischen Akteure einbezogen werden - auch die Union der islamischen Gerichtshöfe.

Die Industriestaaten können viel zur Seesicherheit beitragen, wenn sie für die Strafverfolgung ihrer eigenen Flotten in Fragen der illegalen Müllentsorgung und Überfischung am Horn von Afrika sorgen. Genauso könnten sie zusammen mit den somalischen Nachbarstaaten den Stopp der Rüstungsexporte in Angriff nehmen. Wer den indischen Ozean jedoch zum Aufmarschgebiet für eine neue Runde globaler Machtpolitik macht, der trägt massiv zur sicherheitspolitischen Eskalation bei.


Anmerkung:

[1] Am 2.12.2008 hat der Sicherheitsrat (Resolution 1846) die Piratenbekämpfung in somalischen Hoheitsgewässern um ein Jahr verlängert.


Die Broschüre "Militärmacht EUropa: Eine Zwischenbilanz" wurde von der Informationsstelle Militarisierung e.V. und der DFG-VK herausgegeben. Sie kann direkt heruntergeladen werden unter:
http://imi-online.de/download/bilanz2009-web.pdf


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Quelle:
Broschüre "Militärmacht EUropa: Eine Zwischenbilanz", S. 32 - 33
April 2009
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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E-Mail: imi@imi-online.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2009