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IMI/1073: Ukrainekrieg verschlimmert Klimakatastrophe


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Standpunkt 2022/053 vom 15. Dezember 2022

Ukrainekrieg verschlimmert Klimakatastrophe

Umweltschäden und Emissionen durch den Ukrainekrieg

von Margot Melis


Seit bald zehn Monaten tobt der Krieg in der Ukraine. Rund zwei Dutzend Beamt*innen schickte die ukrainische Regierung zur COP27 in Ägypten, um dort u.a. die Umweltschädlichkeit des russischen Angriffskrieges in der Ukraine aufzuzeigen. Die stellvertretende Umweltministerin der Ukraine hob hervor: "Dies ist nicht nur ein Krieg, sondern Staatsterrorismus und Ökozid. [...] Die Invasion hat Wildtiere getötet, Umweltverschmutzung verursacht und soziale Instabilität hervorgerufen. Der terroristische Staat schickt weiterhin Raketen auf unsere Kraftwerke."[1] In einem Bericht des ukrainischen Umweltministeriums wurde der ukrainische Pavillon bei der COP27 als Erfolg gewertet: "Über 4.500 Teilnehmer besuchten den ukrainischen Pavillon während der zwei Wochen der Konferenz." Dies schlage sich auch in der Medienlandschaft nieder: "Als Ergebnis der Arbeit des Pavillons wurden mehr als 50 Artikel über die Ukraine sowohl in den führenden internationalen Medien (CNN, BBC, Reuters, TIME, Washington Post, Euronews usw.) als auch in den nationalen Medien verschiedener Länder - von Argentinien bis Marokko, Ägypten und Japan - veröffentlicht."[2] Tatsächlich liegen zu keinem anderem Krieg so viele Artikel in den internationalen Medien vor, die die Umweltzerstörung durch Kriegshandlungen hervorheben - obwohl u.a. die Kriege in Syrien und Jemen sich ebenfalls desaströs auf die Umwelt auswirken.

Der ukrainische Präsident Selenskyj betonte in seiner Videoansprache an die Delegierten, dass es ohne Frieden keine wirksame Klimapolitik geben könne und dass wir uns keinen einzigen Schuss mehr leisten könnten. Zudem forderte er angesichts der Umweltzerstörung in der Ukraine durch Russland eine weltweite Plattform zur Auswertung der Auswirkungen militärischer Aktionen auf das Klima und die Umwelt. Das klingt zunächst vernünftig und löblich. Selenskyi hat Recht: Wir können uns angesichts der globalen Erderwärmung keinen weiteren Schuss leisten. Weder in der Ukraine, noch in Jemen, noch in Syrien, Libyen und allen weiteren Orten, an denen bewaffnete Konflikte geführt werden. Doch die Lehre aus diesen Aussagen besteht eigentlich darin, auf Verhandlungen zu drängen und allen weiteren Waffenlieferungen und Kriegshandlungen zu entsagen - doch das geschieht bislang leider nicht. In einem Artikel des staatlichen ukrainischen Zentrums für strategische Kommunikation und Informationssicherheit wird die Argumentationslinie klar: "Warum der Sieg in der Ukraine im Interesse des Umweltschutzes ist".[3] Die Schlussfolgerung lautet: "Die Wiederherstellung der Delfinpopulation [im Schwarzen Meer], die Überwindung des Hungers in Afrika, die Stärkung des Glaubens der Menschen an die Gerechtigkeit durch die Bestrafung unprovozierter Aggression gegen einen souveränen Staat - all das hängt vom Sieg der Ukraine ab." So klingt keine konsequente Kritik an der Umweltschädlichkeit von Kriegen, die nur Verhandlungen und Waffenstillstand als Forderung haben kann, sondern eher die Instrumentalisierung einer solchen zur Legitimation des Kriegszieles der NATO: Sieg in der Ukraine.

Selenskyi fordert weitere umwelt- und klimaschädliche Waffenlieferungen und erst am 16. November 2022 betonte der NATO-Generalsekretär Stoltenberg im Rahmen der Ukraine Defense Contact Group u.a. die Notwendigkeit, mehr Luftabwehrsysteme und Treibstoff an die Ukraine zu liefern und hob hervor, dass die - energieintensive - industrielle Rüstungsproduktion beschleunigt werden müsse und die eigenen Bestände der NATO-Mitgliedstaaten zügig wieder zu füllen seien.[4]

Es ist schwierig, in Kriegssituationen Daten zu erheben und Aussagen wie die des ukrainischen Umweltministeriums zu überprüfen. Daher sind die Angaben in diesem Artikel mit Vorsicht zu betrachten. Dennoch bleibt eine Tatsache klar erwiesen: Der Krieg verschärft die Klimakrise und lässt die dringend erforderliche drastische Reduzierung von Treibhausgasemissionen in noch weitere Ferne rücken.

Kriegsbedingte Emissionen

Bei der COP27 betonte der ukrainische Umweltminister Ruslan Strilets: "Wir haben mehr als 2.200 Umweltverbrechen Russlands auf dem Gebiet der Ukraine registriert. Der Schaden an unserer Umwelt beläuft sich bereits auf mehr als 38 Milliarden Euro, und mit jedem Tag des Krieges steigt diese Zahl. Der direkte Schaden für das Klima als Folge der russischen Aggression beläuft sich auf mindestens 33 Millionen Tonnen CO2-Emissionen in die Atmosphäre".[5] Der Großteil dieser Emissionen entsteht durch Waldbrände (23 Mio. Tonnen CO2), die durch Kampfhandlungen ausgelöst werden.[6] Schätzungen des ukrainischen zivilgesellschaftlichen Center for Environmental Initiatives Ecoaction teilt diese Einschätzung: "Unabhängige Forscher schätzen, dass bereits mindestens 34 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen durch Kämpfe, Waldbrände und den Transport von Vertriebenen verursacht wurden", und fügt hinzu: "Weitere 14 Millionen sind Emissionen durch Lecks in Nord Stream 1 und 2. Und man darf nicht vergessen, dass nach dem Krieg ganze Städte wieder aufgebaut werden müssen, was zu weiteren 50 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen führen könnte."[7] Demzufolge setzten die Kriegshandlungen in der Ukraine und ihre Auswirkungen seit Februar 2022 mindestens 100 Millionen Tonnen CO2 frei, also das Äquivalent der Emissionen, die ein Staat wie die Niederlande im gleichen Zeitraum verursacht, so Ecoaction.

Die Schätzungen des deutschen Umweltbundesamts bezüglich des durch die Lecks entwichenen Methans liegen bei 300.000 Tonnen - äquivalent zu 7,5 Mio. Tonnen CO2, da Methan weitaus klimaschädlicher ist als CO2.[8] Mads Flarup von Greenpeace Nordic geht von 30 Mio. Tonnen CO2 an ausgetretenem Gas aus: "Nach unseren Berechnungen kann das Gasleck acht Monate der CO2-Emissionen von Dänemark entsprechen".[9] Seit Ende September 2022 ist die Informationslage zu den Lecks äußerst dünn - abgesehen davon, dass unbekannt ist, wer die Lecks verursacht hat, bleibt sogar unklar, ob weiterhin Methan austritt.

Doch neben den emissionslastigen Militäraktivitäten des russischen und ukrainischen Militärs in der Ukraine nehmen auch die Militäraktivitäten anderer Streitkräfte durch den Ukrainekrieg zu. So sind seit Mai 2022 laut der NATO ständig rund 30 Militärflugzeuge in Osteuropa im Einsatz, um, so der Stabschef des Hauptquartiers des Alliierten Luftkommandos, Generalmajor Jörg Lebert, "die NATO gegen jegliche Aggression zu schützen". Zu ihnen zählen Kampfflugzeuge, Luftbetankungs- und Transportflugzeuge sowie das fliegende Radarsystem AWACS.[10] Allein der Treibstoffverbrauch des AWACS ist erheblich: Zehn Stunden kann der von der NATO genutzte Typ E-3A mit einer Betankung von rund 90.000 Litern Treibstoff in der Luft bleiben.[11]

Umweltzerstörung

Laut dem ukrainischen Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen wurden während des Krieges etwa 30% der Naturschutzgebiete mit einer Größe von 3 Millionen Hektar durch Bomben, Brände und Verschmutzung beschädigt. In den ersten vier Kriegsmonaten wüteten 37.000 Brände auf einer Gesamtfläche von etwa 250.000 Hektar Land - ein Drittel des verbrannten Landes liegt laut der NGO Ukraine Nature Conservation Group in Naturschutzgebieten.[12]

Zudem hat das ukrainische Parlament im März 2022 - kurz nach Beginn des Krieges - die Naturschutzvorschriften gelockert. So ist seither z.B. die Rodung von Wäldern auch in der Brutzeit erlaubt.[13] Bereits vor dem Krieg stellte illegale Raubrodung ein von staatlichen Stellen größtenteils toleriertes Problem in der Ukraine dar, besonders in den Karpaten. Laut der britischen Umweltorganisation Earthsight seien die - von Korruption geprägten - Holzeinfuhren in die EU aus der Ukraine im Jahr 2022 vergleichbar mit denen des Vorjahres. Doch Yehor Hrynyk, Aktivist der Ukrainian Nature Conservation Group, geht davon aus, dass die Abholzung mit dem Krieg zunehmen könnte, da die Regierung im Holzhandel eine wichtige Quelle der Exporteinnahmen sieht und Geschäftsleute versuchen würden, während des Krieges Profit zu machen.[14] Es ist davon auszugehen, dass der Krieg darüber hinaus noch viele weitere Umweltstandards in Frage stellt bzw. deren Überwachung verunmöglicht und damit in mehrfacher Hinsicht "schmutzige" Geschäfte begünstigt. Zudem rückt durch den Krieg die essentielle Wichtigkeit des Klimaschutzes in den Hintergrund, der auch ein Lossagen von fossilen Energieträgern und eine Wirtschaftsform erfordert, die die Umwelt schützt und nicht ausbeutet und zerstört. Das zeigt sich auch in der großen Politik: Führende Politiker*innen weltweit schieben ihr Versagen bei der Umsetzung der Klimaziele auf den Krieg in der Ukraine - und damit auf Russland. So erklärt z.B. Bundeskanzler Scholz, dass wegen des Krieges im Interesse der Energiesicherheit neue Flüssiggas-Terminals errichtet werden müssen und Kohlekraftwerke wieder ans Netz geschlossen werden.


Anmerkungen

[1] Milman, Oliver: Ukraine uses Cop27 to highlight environmental cost of Russia's war, theguardian.com, 13.11.2022.
https://www.theguardian.com/world/2022/nov/13/ukraine-cop27-highlight-environmental-cost-russia-war

[2] Briefing on the environmental damage caused by the Russia's war of aggression against Ukraine (November 3-23, 2022), mepr.gov.ua, 25.11.2022.
https://mepr.gov.ua/en/news/40575.html

[3] Why Ukraine's Victory Is in the Interest of Environmental Protection, spravdi.gov.ua, 10.11.2022.
https://spravdi.gov.ua/en/why-ukraines-victory-is-in-the-interest-of-environmental-protection/

[4] NATO Secretary General takes part in Ukraine Defense Contact Group meeting, nato.int, 16.11.2022.
https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_209112.htm

[5] Briefing on the environmental damage caused by the Russia's war of aggression against Ukraine (November 3-23, 2022), mepr.gov.ua, 25.11.2022.
https://mepr.gov.ua/en/news/40575.html

[6] A climate office will be created in Ukraine with the support of Germany and the EU, odessa-journal.com, 15.11.2022.
https://odessa-journal.com/a-climate-office-will-be-created-in-ukraine-with-the-support-of-germany-and-the-eu/

[7] War also harms the climate, but this damage is still not accounted, en.ecoaction.org.ua, 10.11.2022.
https://en.ecoaction.org.ua/war-harms-the-climate.html

[8] Lecks in Nord Stream 1 und 2 führen zu erheblichem Klimaschaden, umweltbundesamt.de, 28.9.2022.
https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/lecks-in-nord-stream-1-2-fuehren-zu-erheblichem

[9] So schwer könnten die Klimaschäden durch die Nord-Stream-Lecks sein, rnd.de, 28.9.2022.
https://www.rnd.de/wirtschaft/nord-stream-so-schwer-koennten-die-klimaschaeden-durch-die-lecks-sein-YMGCUEBH5FDYPO7APJDCQ3D4EI.html

[10] Allies stand together to bolster NATO's eastern flank, ac.nato.int, 10.5.2022.
https://ac.nato.int/archive/2022/nato_eAV_air

[11] E-3A, awacs.nato.int.
https://awacs.nato.int/organisation/awacs-fleet/e3a

[12] Pearce, Fred: Collateral Damage: The Environmental Cost of the Ukraine War, e360.yale.edu, 29.8.2022.
https://e360.yale.edu/features/ukraine-russia-war-environmental-impact

[13] Krawinkel, Moritz: Krieg als Katalysator, medico.de, 9.5.2022.
https://www.medico.de/blog/krieg-als-katalysator-18620

[14] Pearce, Fred: Collateral Damage: The Environmental Cost of the Ukraine War, e360.yale.edu, 29.8.2022.
https://e360.yale.edu/features/ukraine-russia-war-environmental-impact

*

Quelle:
IMI-Standpunkt 2022/053 vom 15. Dezember 2022
Ukrainekrieg verschlimmert Klimakatastrophe
https://www.imi-online.de/2022/12/15/ukrainekrieg-verschlimmert-
klimakatastrophe/
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Internet: www.imi-online.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 20. Dezember 2022

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