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GRASWURZELREVOLUTION/968: Umweltbewegung in Bulgarien 1989-2008


graswurzelrevolution 335, Januar 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Umweltbewegung in Bulgarien 1989-2008

Ein Bericht der bulgarischen Gruppe "AnarchoResistance"


Vor 1989

Die Besessenheit des kommunistischen Regimes in Bulgarien für "Industrialisierung" hat gravierende ökologische Probleme hinterlassen, die bis heute nicht geregelt sind. Mithilfe der Sowjetunion wurden damals Megaprojekte auf den Gebieten Metallurgie, Öl verarbeitende Industrie, Erzbau, Atomenergie, chemische Industrie, Maschinenbau, militärisch-industrieller Komplex usw. in die Wege geleitet.

Das Thema Umwelt war in jenen Jahren ein Tabu gewesen. Ein charakteristisches Beispiel dafür war die Reaktion der Regierung auf die Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986. Öffentlich wurde propagiert, dass es keine Gefahr für die Bevölkerung gegeben hätte. Gleichzeitig wurden geheime Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheit der herrschenden Elite getroffen.

Mit der Einleitung der "Perestrojka" durch Gorbatschow in der Sowjetunion in der zweiten Hälfte der 80er Jahre wurden einige ökologische Organisationen in Bulgarien gegründet. Im Rahmen des Juli-Konzepts (verabschiedet während des Plenums des Zentralkomitees der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) im Juli 1987) wurde das Recht der Bürger auf "informelle Organisationen" anerkannt.

Die erste Aktion fand in der Donaustadt Ruse im Herbst 1987 statt und richtete sich gegen die Verstärkung der Chloremissionen durch den Chemiebetrieb in der gegenüber liegenden rumänischen Stadt Giurgiu. 1988 wurde in Sofia das "Öffentliche Komitee zur ökologischen Verteidigung von Ruse" ins Leben gerufen, dessen Aktivitäten durch die BKP und die Sicherheitsdienste bald zum Stillstand gebracht wurden.

Es folgte die Gründung der Grünen Partei (28.12.1989) sowie des Politischen Klubs "Ekoglasnost" (März 1990).

Unter den damaligen politischen Umständen ergab sich für die GegnerInnen des Regimes auf diese Art und Weise erst überhaupt die Möglichkeit aktiv zu werden. Bis zu diesem Moment hat kein organisierter innerer Widerstand im Lande existiert. Als viel gefährlicher galt, sich für Menschenrechte einzusetzen als sich mit der Umweltproblematik zu befassen. Die politische Liberalisierung in Bulgarien folgte damit der Logik "von oben nach unten". Noch in den Anfangsjahren haben sich zwei Lager im Rahmen der bulgarischen Dissidenz herauskristallisiert.

Im Ersten schlossen sich die IdeengegnerInnen des Systems zusammen viele unter ihnen ehemalige politische Gefangene. Dem Zweiten waren KommunistInnen und ihnen nahe stehende OpponentInnen des alten Regimes zuzuordnen, die die Reformierung und Demokratisierung des Systems anstrebten, ohne es grundsätzlich zu hinterfragen. Nach dem 10. November 1989 (die "Wende" in Bulgarien (1)) konnten die (Umwelt-)DissidentInnen ihre Position nicht breit in der Gesellschaft bekannt machen. Ihre Anschauungen blieben geschlossen in engen intellektuellen Kreisen.


Die "Übergangsjahre" 1990 - 2000

Während der sog. "Übergangszeit" ist es der bulgarischen Bevölkerung nicht gelungen, die totalitäre Vergangenheit zu überwinden.

Die Umweltproblematik wurde in jenen Jahren vom politischen Tisch gewischt. Die Grüne Partei und "Ekoglasnost" konnten keine Sitze im Parlament (selbständig) gewinnen und haben schrittweise an Popularität verloren. In dem Moment richtete die Gesellschaft ihre ganze. Aufmerksamkeit auf die eingetretene allumfassende wirtschaftliche und soziale Krise.

Einer ihrer Aspekte äußerte sich in der massenhaften Schließung von Betrieben der Schwerindustrie, die die Bürger und Bürgerinnen in verschiedenen Regionen jahrzehntelang traumatisiert hatten ("natürliche Deindustrialisierung") - darunter die Einstellung des Uranabbaus. Der Staat hat eine aktive Kampagne zur Beibehaltung der einzelnen. Blöcke des Atomkraftwerkes bei Kosloduj (2) (in der Donauebene) gestartet, die mit nationalistischen und populistischen Parolen geführt wurde.

In dieser Atmosphäre wurde die Idee für ein zweites Atomkraftwerk bei Belene an der Donau in die Öffentlichkeit lanciert. Der Standort Belene liegt in einem Erdbebengebiet. Der deutsche Energiekonzern RWE wurde im Oktober 2008 zum Investor von Bulgarien bestimmt.

Wegen massiver Proteste gegen das Projekt in und außerhalb Bulgariens steht seine Entscheidung zur Beteiligung zurzeit offen. (3)


2000-2008

Die "Umweltidylle" der Übergangsjahre ist in der nachfolgenden Periode schnell verschwunden, und Natur wurde wieder ein politisches Thema. Folgende Faktoren sind hier zu nennen: die beschleunigte wirtschaftliche Entwicklung, die daraus resultierenden Kohlendioxidausstöße, die damit verbundenen Urbanisierungsprobleme in einigen Großstädten, die Spekulationen im Zusammenhang mit den Atomkraftwerken bei Kosloduj und Belene, die geopolitischen und ökologischen Aspekte der Burgas-Alexandroupolis-Ölpipeline (4), der Bauboom an der Schwarzmeerküste, der Skandal mit "Natura 2000" (Vgl. unten), die Aggression gegen die Naturschutzgebiete.

Die schönsten Orte Bulgariens, die Berge und die Schwarzmeerküste, wurden erobert durch private Investoren, deren Kapital häufig dunklen Ursprungs ist und durch Offshorefirmen bewegt wird. Es gibt Beweise für direkte Verbindungen zwischen den gegenwärtigen mafiotischen Strukturen, den Regierungsangestellten, der ehemaligen Nomenklatura und den Sicherheitsdiensten. Das, was in den Naturparks vollzogen wird, ist nicht nur eine Bauinvasion, sondern auch eine Geldwäsche. Andererseits zeigen mehrere soziologische Umfragen, dass die bulgarische Bevölkerung sehr wenig in ihrem Alltag für den Umweltschutz tut.

Seit 2006 nimmt der Umweltaktivismus zu. Viele Medien berichten über die Problematik (Ressourcen - und Energiesparen, umweltfreundliches Leben usw.) - nicht zuletzt als Widerhall auf die "globale grüne Welle". Der größte Protest fand anlässlich der Zögerung der Regierung statt, alle ursprünglich als Natura 2000 ausgewiesenen Gebiete in Bulgarien mit diesem Status zu versehen.

Nachdem der Hohe Administrative Gerichtshof die Entscheidung zur Erklärung des Strandja-Gebirges im Südosten Bulgariens zum nationalen Naturpark am 29.06.2007 zurückgewiesen hatte, blockierten am 2.07.2007 ca. 400 Menschen nacheinander zwei der Hauptverkehrsknoten in Sofia. Demonstrationen und spontane Blockaden wurden auch in der Provinz organisiert (Jambol, Burgas, Warna).

Als Folge dieser Kampagne gab das Parlament den Naturpark-Status des Strandja-Gebirges zurück. Der Maßstab und die Vielfalt der Proteste, einschließlich der Mobilisierung per Internet, waren etwas Neues für die neueste Zivilkultur im Lande.

Viele Menschen, die bis dahin zu keiner Umweltpartei oder Assoziation gehört haben, äußerten offen ihre Meinung gegen die Vernichtung der Natur im Namen von korporativen Interessen.

Trotzdem bleiben viele Probleme ungelöst. Keines der rechtswidrigen Bauprojekte ist eingestellt. Die Reaktion der Polizeikräfte bei Demonstrationen wird arroganter. Die Euphorie der AktivistInnen trat hinter den Herausforderungen zurück.


Kommerzialisierung der "grünen Welle"

Nach dem Motto "Wir stehen weder links, noch rechts, sondern wir sind grün!" verwandelten sich unternehmerische PolitikerInnen allmählich in NaturschützerInnen.

Nach einer Umstrukturierung waren drei Spieler zu unterscheiden, die verschiedene Geschäftsinteressen vertraten. Die "Grüne Partei" wurde infolge ihrer Koalitionsbeteiligung im Parlament 1990-91 unter den jungen Leuten diskreditiert.

Die Partei "Grünes Bulgarien" entstand 2006 unter dem Namen "Grüne Allianz", zeigte bald danach Appetit auf die europäischen Umweltfonds und griff die Nichtregierungsorganisationen an, die für die ursprüngliche Natura 2000-Liste mit Naturschutzobjekten in Bulgarien eintraten.

Der Umweltminister Djewdjet Tschakarow gab zu: "Neben wissenschaftlichen werden auch politische Überlegungen bei der Entscheidung für Natura 2000 eine Rolle spielen."

Später verschmolzen die beiden Parteien zur "Grünes Bulgarien/Bulgarische Grüne", die sich u. a. Ihr eine Steueramnestie Ihr die aus Bulgarien exportierten Kapitalien einsetzte.

Nicht zuletzt ist die pseudoökologische Organisation "Grüne Patrouillen" zu erwähnen, die der kanadischen Firma "Dundee Precious Metals" nah und für Goldanbau steht.

Die Firma operiert schon in der Goldmine bei Tschelopetsch im Westen (die Tschelopetsch-Grube ist die größte und reichste Kupfer-Goldlagerstätte Europas) mit Zyanidtechnologie und versucht, die Bodenschätze von Krumovgrad im Süden unter ihre Kontrolle zu bringen.

Im Oktober 2008 wurde die Partei "Die Grünen" registriert, in der sich Nichtregierungsorganisationen und StraßenaktivistInnen zusammengeschlossen haben - ein liberales und im Vergleich zu den früheren grünen Parteistrukturen neues Projekt.


Kritik an der "grünen Bewegung"

Nach 1989 waren die Umweltaktiven überzeugt, dass der Sturz des kommunistischen Regimes den Weg für eine soziale und umweltfreundliche Wirtschaft frei machen wird.

Heutzutage erleben wir eine dubiöse Symbiose zwischen den formellen Ökoorganisationen, lokalen Herrschern und Parteivertretern, die die Einführung von modernen Technologien und die Entfaltung von progressiven Denkweisen verhindern oder mindestens verlangsamen wollen.

Den Medien fehlen noch die Kapazitäten für eine selbständige Analyse und häufig wird der offiziellen politischen Linie gefolgt. Viele Bürger und Bürgerinnen haben gehofft, dass die EU-Mitgliedschaft Bulgariens Druck auf die Regierenden nach sich ziehen würde. Das letzte Jahr hat gezeigt, dass dies nicht oder nicht schnell genug passieren wird.

Der informelle Sektor muss betteln, um sein Recht auf Protest auszuüben. Offensichtlich werden seine Initiativen nicht als ein wichtiges gesellschaftliches Signal aufgefasst, sondern als eine Gefahr. Selbst in seinen Reihen sind nicht nur überzeugte NaturschützerInnen zu treffen, sondern auch Teenager, die bereit sind gegen alles zu protestieren - von der Vernichtung von Waldflächen bis zur Legalisierung der Leichtdrogen, und eine Demonstration mit einer Street Parade verbinden. Unter den jungen Leuten ist außerdem der Trend zum Konsumieren von Bioprodukten ziemlich ausgeprägt - eine zusätzliche PR- und Geschäftsnische Ihr Medien und Firmen. Das Gute ist, dass neben dem Assoziieren der Umweltproblematik mit einem Lifestyle viele BulgarInnen anfangen, "grün" zu denken.

Trotz alledem hat der "Umweltaufruhr" gezeigt, dass es in der Gesellschaft eine unbeherrschte Zivilcourage gibt, die zu einer unumkehrbaren Demokratisierung, Transparenz des Regierungsapparates und Stärkung des informellen BürgerInnensektors führen kann - wenn weiter entwickelt von ihren Trägern und nicht ausgenutzt von erfahrenen Politikern. Das soll für die neue Partei "Die Grünen" auch eine Herausforderung sein.


Autonom-antiautoritäre Gruppe "AnarchoResistance", Sofia

Übersetzung: Boryana Aleksandrova


Anmerkungen:

(1) An diesem Datum wurde der Staatschef Todor Schiwkow in der nach 33 Jahren Regierungszeit durch den Plenum den Zentralkomitees der BKP von Petar Mladenov abgelöst.

(2) 2004 wurden die Blöcke 1 und 2 und 2006 die Blöcke 3 und 4 abgeschaltet. Zurzeit sind nur die Blöcke 5 und 6 in Betrieb (Vgl. wikipedia: Kosloduj)

(3) Vgl. www.finanzen.net: News, 06.11.2000

(4) Die Burgas-Alexandroupolis-Pipeline soll die bulgarische Stadt Burgen am Schwarzen Meer mit der griechischen Hafenstadt Alexandroupolis an der Agäis verbinden. Sie wird dem Transport nun Öl aus Russland, Kasachstan und den Kaukasusrupubliken dienen. (Vgl. wikipedia: Burgas-Alexandroupolis-Ölpipeline)

(5) Als Natura 2000 wird ein länderübergreifendes Schutzgebietssystem innerhalb der EU bezeichnet. Natura 2000-Gebiete werden von den EU-Mitgliedstaaten ausgewiesen. (Vgl. wikipedia: Natura 2000)

Kontakt: www.aresistance.net


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Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 335, Januar 2009, S. 6
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2009