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GRASWURZELREVOLUTION/1905: Deutschland - Lagerland


graswurzelrevolution 441, September 2019
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Deutschland - Lagerland
Massenunterkünfte für Geflüchtete

von Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin


Die Hoffnung vieler, dass die Zeit der Lager in Deutschland zu Ende geht, schutzsuchende Menschen in Wohnungen ziehen können und selbstbestimmt leben dürfen, schwindet mit jeder neuen rassistischen Propaganda-Welle und mit jedem daraus folgendem Gesetzentwurf der Bürokrat*innen und Politiker*innen. Erklärtes Ziel der Rechts-Propagandist*innen: Die Menschen sollen möglichst schnell wieder "freiwillig" ausreisen - wohin auch immer. Und wenn sie nicht wollen, dann werden sie gezwungen.


Um dies zu erreichen, wurde schon vor langer Zeit die Zwangskasernierung von Tausenden Flüchtlingen auf engem Raum in Lagern erdacht und gesetzlich festgelegt.

In diesen, oft weit von Ortschaften entfernt liegenden, geschlossenen Gebäude-Komplexen sind Geflüchtete der Hetze, der Diskriminierung, Entrechtung, Kriminalisierung, Entmenschlichung, der Willkür von Mitarbeiter*innen des Sicherheitsdienstes - und der staatlichen Gewalt schutzlos ausgeliefert. Sie sollen einsehen, dass sie in diesem Deutschland nicht sicher leben können.

Nachdem sich Sonderlager für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern, die Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen (ARE) oder Transitlager für Menschen mit geringer Bleiberechtsperspektive für die Staatsmacht scheinbar als "effizient" erwiesen haben, gibt es seit Anfang August 2018 die sogenannten AnkER-Zentren. AnkER steht für Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung.

Bayern richtete flächendeckend in jedem Regierungsbezirk diese Zentren ein (Schweinfurt, Bamberg, Zirndorf, Donauwörth, Manching, Regensburg, "Deggendorf), Sachsen begann mit einem AnkERzentrum in Dresden und das Saarland in Lebach. Das Bundesinnenministerium spricht heute von 14 AnkERzentren, weil es "funktionsgleiche Einrichtungen" in anderen Bundesländern hinzuzählt: z.B. in Chemnitz, Leipzig, Nostorf-Horst, Stern-Buchholz, Neumünster und Eisenhüttenstadt.

AnkER-Zentren. Vom Sonderlager zum Standard

Alle asylsuchenden Menschen kommen nach ihrer Ankunft direkt dorthin. Sie müssen die gesamte Zeit des Asylverfahrens bis zur endgültigen Entscheidung in einem dieser Lager leben. Menschen, die bereits in Unterkünften oder Wohnungen lebten, mußten diese teilweise verlassen und in ein AnkER-Zentrum umziehen.

Entscheidend ist, dass das gefängnisähnliche Leben im Lager für den Großteil der Geflüchteten kein Übergang ist, sondern die Endstation in Deutschland bedeutet. Denn das Recht, nach dem Asylverfahren auf die Kommunen umverteilt zu werden und anderen Wohnraum zu beziehen, wird in AnkER-Zentren nur noch Menschen gewährt, die einen positiven Asylentscheid erhalten.

Entrechtung durch Minimierung juristischer Chancen

Die Asylverfahren sollen unmittelbar nach der Ankunft eingeleitet werden und finden häufig schon innerhalb der ersten zwei Tage statt. In dieser Zeit ist für Geflüchtete keine fundierte Vorbereitung darauf möglich. Das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Recht auf unabhängige Asylberatung wird verhindert, da Beratungsstellen der Zugang zu den AnkER-Zentren verweigert wird: So berichtet zum Beispiel der Flüchtlingsrat Bayern über ein Hausverbot. Besuche einer unabhängigen Rechtsberatung scheitern oft allein an den finanziellen Mitteln.

In den AnkER-Zentren herrscht das Sachleistungsprinzip: Bis auf 90 Euro Taschengeld erhalten die Bewohner*innen kein Geld. Die Rechtsberatung in den Lagern betreibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Diese Beratung kann nicht unabhängig sein, sie ist durch die Interessen des BAMF geleitet: "freiwillige" Ausreise oder Abschiebung. Klagewege werden oft nicht aufgezeigt, es verstreichen Fristen, wodurch Rechtswege gegen die Asylablehnung unmöglich werden.

Diejenigen, die Klage gegen einen abgelehnten Asylantrag erheben wollen, müssen die Summe von 1000 Euro aufbringen und zwei bis drei Jahre weiterhin in dem Lager bleiben, denn solange dauert der Klageweg, so die Münchner Anwältin Anna Fröhlich am 31. Juli 2019 in der taz.

Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag geht hervor, dass das Spektrum der Anerkennungsquoten der Asylanträge breit ist. Es fallen aber immer wieder einzelne Standorte des BAMFs durch besonders niedrige Anerkennungsquoten auf - insbesondere auch einige AnkER-Zentren. Die Schutzquoten im Jahre 2018 für Geflüchtete aus dem Iran lagen zum Beispiel im AnkER-Zentrum Bamberg bei 6,7 % im Vergleich zum Bundesdurchschnitt von 34,3 %, und Asylanträge von Schutzsuchenden aus Somalia wurden im AnkER-Zentrum Bamberg bei 6,7 % im Vergleich zum Bundesdurchschnitt von 34,3 %, und Asylanträge von Schutzsuchenden aus Somalia wurden im AnkER-Zentrum Zirndorf zu 24,4 % positiv entschieden - im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt von 65,8 %. (BT DS 19/8701)

Dem Zugriff ausgeliefert - Tag und Nacht

Die Bewohner*innen der AnkER-Zentren sind in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, sie dürfen den Landkreis nicht ohne Erlaubnis verlassen. Die Lager sind abseits von Ortschaften gelegen, es ist schwer dort hin- und von dort wegzukommen.

Durch diese dauerhafte Festsetzung der Geflüchteten wird Überwachung, Kontrolle und ein permanenter Zugriff möglich. Abschiebungen werden in der Regel gegen drei oder vier Uhr nachts mithilfe massiver Polizeieinsätze durchgeführt.

Die oft traumatisierten Männer, Frauen und Kinder werden also häufig und in unregelmäßigen Abständen durch bewaffnete Polizei, lautes Gebrüll oder Hilferufe aus dem Schlaf gerissen und müssen die Menschenjagd in dem Lager, die Angst und Panik der Betroffenen miterleben.

Lebensbedingungen, die zerstören

Von Beginn an wird den Asylsuchenden behördlicherseits immer wieder nahe gelegt, das Land "freiwillig" zu verlassen und ihnen der irrwitzige Vorschlag schmackhaft gemacht, vom Herkunftsland aus mit einem Arbeitsvisum wieder einzureisen. Die Möglichkeit dieser sogenannten freiwilligen Ausreise als Alternative zu der gewaltvollen Abschiebung wird mit zunehmender Intensität und erhöhtem behördlichen Druck gegenüber allen Schutzsuchenden vorgeschlagen - auch denen, die gute Bleibe-Perspektiven haben.

Wie in anderen Sammelunterkünften auch, sind die Lebensverhältnisse in den AnkER-Zentren menschenunwürdig. In den überfüllten Mehrbettzimmern sind bis zu 16 Personen, Frauen, Männer und Familien untergebracht. Das Fehlen jeglicher Rückzugsorte verursacht zwangsläufig Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen den Menschen, die ihr Leben nebeneinander auf engstem Raum führen müssen.

Es gibt keine Privatsphäre. Die Zimmer, auch die Gemeinschaftswaschräume, sind nicht abschließbar. Vor allem Frauen fehlt der Schutz vor sexuellen Übergriffen. Frauen aus dem AnkER-Zentrum Manching/Ingolstadt berichten, dass männliche Securitymitarbeiter immer wieder die Duschräume der Frauen betreten. Der Bayerische Rundfunk zitiert am 15. Mai 2019 die Statistik des Innenministeriums, die belegt, dass sexuelle Übergriffe und andere Formen brutaler Gewalt Alltag für Frauen in den bayerischen Unterkünften sind. 2018 gab es, demnach 219 Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung sowie weitere 534 Fälle von Gewaltkriminalität gegen Frauen, wozu u.a. Vergewaltigungen, sexuelle Nötigung und gefährliche Körperverletzung gehören. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer sehr viel höher ist, als diese zur Anzeige gebrachten Taten.

Zugänge zum Lager werden rund um die Uhr vom Sicherheitsdienst überwacht. Einlasskontrollen sind mit ständigen Durchsuchungen - z.T. Ganzkörper-Durchsuchungen - verbunden. Besuch, auch von Familienangehörigen, ist nicht zulässig. Es kommt immer wieder zu überfallartigen Zimmerkontrollen durch den Sicherheitsdienst. Es bestehen Arbeits-, Ausbildungs- und Studienverbote, die die Isolation verstärken und zum Nichtstun verdammen, sowie ein struktureller Ausschluß von Deutschkursen. Die medizinische Versorgung der Bewohner*innen ist stark eingeschränkt.

Das Essen-Kochen im Lager ist verboten, dreimal am Tag wird den Bewohner*innen Kantinenessen vorgesetzt.

Für Kinder und Jugendliche ist die Lagerunterbringung entwicklungsgefährdend: Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Erholung, Rückzug und geistiger Förderung werden nicht erfüllt. Ihnen stehen kaum Spielräume zur Verfügung. Auch sie sind von regulären Kita- und Schulbesuchen ausgeschlossen.

Die Öffentlichkeit soll von diesen Lebensbedingungen abgeschirmt bleiben. Besucher*innen erhalten keinen Zugang, Journalist*innen können zu festgelegten Terminen, circa einmal im Jahr, an Lagerführungen teilnehmen.

Zu diesen miserablen Lebensbedingungen kommt eine strukturelle Gewalt hinzu, die Bewohner*innen zur Ausreise drängen soll. Wie Geflüchtete, Aktivist*innen und Unterstützer*innen immer wieder sichtbar machen, ist diese Gewalt sytem-immanent - durch das Zusammenspiel verschiedener Institutionen wie Lagerleitung, Security, Polizei, Strafjustiz und Medien.

Hand in Hand - private Sicherheitsfirmen und Polizei

In den Lagern kommt es immer wieder zu systematischen brutalen Übergriffen durch Mitarbeitende privater Sicherheitsfirmen, z.B. im Lager Bamberg, dokumentiert unter Herbst 2017*; 5.9.17*; 28.9.17* oder 11.12.18*. Auch berichteten ehemalige Securitys von einer Sondereinheit innerhalb des Sicherheitsdienstes, die Nahkampf-Techniken trainierte und von ihrer Leitung zu rassistischen Übergriffen gegen Bewohner*innen motiviert wurde. In dieser Einheit gab es eine Whats-App-Gruppe mit dem Namen "Sons of Odin", deren Chats aus Sätzen bestanden wie: "Und gerade habe ich einen Senegalesen gelegt" oder "Wir sind uns einig, der 'Nigga' hat keine Rechte".

Zwischen dem Wachdienst und der Polizei findet eine enge Kooperation statt. Nach Übergriffen durch den Sicherheitsdienst wird regelmäßig die Polizei gerufen. Die Securitys haben die Deutungshoheit, die Perspektive der mißhandelten Geflüchteten auf das Geschehen wird in der Regel nicht festgehalten. Die Polizei führt die Gewalt zum Teil auf der Wache weiter, nachdem sie die Geflüchteten oft gefesselt übergeben bekommt.

Nach Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten und Mitarbeitenden des Sicherheitsdienstes folgen regelmäßig große Polizeirazzien in den Lagern. (11.12.18*)

In Gegenwart dieser im privaten Umfeld ständig existierenden, in Wort und Tat scheinbar allmächtigen Willkür und Gewalt wird das Leben von oft traumatisierten Schutzsuchenden unerträglich. Auch dies kein Zufall in diesen Massenlagern, sondern durchaus mitgeplant, um Asylbewerber*innen zu brechen und zur "freiwilligen" Ausreise zu zwingen.

Kriminalisierung und Repression des Widerstands

Im Januar 2017 wurden in Bayern Flüchtlingsunterkünfte per Gesetz zu "gefährlichen Orten" erklärt. Dies räumt der Polizei das Recht ein, die Zimmer der Bewohner*innen jederzeit ohne Begründung zu betreten, zu kontrollieren und zu durchsuchen.

Wie auch in Massenunterkünften anderer Bundesländer kommt es in den bayerischen Lagern immer wieder zu massiven Polizeieinsätzen; Hundertschaften und Sondereinsatz-Kommandos - schwer bewaffnet, vermummt und gewalttätig - stürmten immer wieder die Einrichtungen. Dies geschah in den meisten Fällen nach nicht gelungenen Abschiebeversuchen Einzelner. Und es geschah einerseits als Repression gegen Protest und Kritik und andererseits zur Abschreckung gegen Solidaritätsäußerungen und -aktionen der Bewohner*innen.

Die Vorkommnisse in Donauwörth sind dazu beispielhaft: Dort organisierten sich gambische Geflüchtete ab 2017, in einem Komitee: Unter anderem versuchten sie mit der Regierung Schwabens zu verhandeln - kurz darauf folgte ein Polizeieinsatz mit 32 Verhaftungen und anschließender, teils monatelanger Untersuchungshaft, sowie Strafbefehlen. Der Sprecher des Komitees, David Jassey, weist darauf hin, dass das Ziel und die Botschaft dieses Vorgehens ist, Geflüchtete in anderen Lagern von ähnlichen Protesten gegen die bayerische Lagerpolitik abzuschrecken (14.3.18*).

Ein weiteres Beispiel: In Fürstenfeldbruck organisierten Asylsuchende eine Demonstration und forderten bessere Lebensbedingungen und ein Ende der Security-Gewalt und der unangemessenen Polizeieinsätze. Drei Tage später wurden drei Demo-Teilnehmende in ein anderes AnkER-Zentrum strafverlegt. Auch dort kam es eine Woche später zu einem Großeinsatz der Polizei. (13.11.18*)

Legitimierung der Gewalt

Der Kooperation zwischen Lager und Polizei schließt sich später eine Zusammenarbeit mit der Strafjustiz an. Aktivist*innen warnen vor dem rechtsfreien Raum, der sich durch das Ineinandergreifen von Institutionen auf verschiedenen staatlichen Ebenen auftut.

Der immer wieder als Grund für die polizeilichen Großeinsätze genannte Vorwurf, Bewohner*innen hätten versucht, Abschiebungen zu verhindern, ließ sich vor Gericht in keinem der Fälle beweisen. Die Polizeieinsätze selbst waren jedoch kein Gegenstand der Ermittlung, ebensowenig wie die Gewalt der Sicherheitsdienste gegen Bewohner*innen.

Erst nachdem Geflüchtete und Unterstützer*innen das Ausmaß an Gewalt durch Security-Übergriffe an die Öffentlichkeit brachten, wurden gegen Mitarbeiter des Bamberger Lagers Ermittlungen wegen versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung eingeleitet (28.9.17*). Sie wurden nach einigen Monaten durch die Staatsanwaltschaft wieder eingestellt, da sie die Beweislage als nicht eindeutig einstufte. Dass kein wirklicher Aufklärungswillen vorhanden ist, wird auch darin deutlich, wenn Opfer oder Zeug*innen von Gewalt, unmittelbar vor ihrer Gerichtsaussage abgeschoben werden. (11.12.18*)

Auf der anderen Seite werden "Straftäter*innen" produziert: Auf oft willkürliche Vorwürfe folgen Anklagen. Die Polizeigewalt wird durch die Justiz nachträglich legitimiert, Opfer werden zu Täter*innen gemacht. Die Verhaftungen von 30 gambischen Geflüchteten in Donauwörth und deren Untersuchungshaft, zynischerweise mit der "Fluchtgefahr" begründet, basierte lediglich auf den Aussagen von drei Sicherheitsmitarbeitern, die diese Bewohner als Rädelsführer erkannt haben wollen.

Schutz- oder Abwehrbewegungen bei Verhaftungen während der Razzien werden als Tatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt juristisch verfolgt. Ein Sich-Versammeln vor dem Gebäude der durch die Polizei-Überfälle in Panik versetzten Bewohner*innen, wird als Landfriedensbruch definiert und bestraft.

In vielen der Verfahren ist erkennbar, dass die Rechtsprechung politisch motiviert ist. Manchmal wird die Gesinnung auch ganz unverblümt in der Urteilsbegründung dargelegt, wie am Amtsgericht Augsburg, wo die Richterin die Verurteilung wegen Landfriedensbruch folgendermaßen begründete: "Das Urteil ist generalpräventiv zu sehen, weil es immer mehr Probleme in den Unterkünften gibt. Sie sind Gäste in unserem Land und sollten sich auch so benehmen." (14.3.18*)

Die zu Straftäter*innen gemachten Asylsuchenden lassen sich aufgrund ihrer Kriminalisierung leichter abschieben.

Es gibt allerdings noch andere Möglichkeiten, die Schutzsuchenden zu kriminalisieren: Laut bayerischem Flüchtlingsrat entziehen die Mitarbeiter*innen des neu gegründeten Landesamtes für Asyl und Rückführungen den Flüchtlingen die Legalität, indem sie nach Ablehnung von Asylanträgen lediglich die Aufenthaltsgestattungen als ungültig stempeln, anstatt den Betroffenen entsprechend ihrem Status ordentliche Papiere der BRD auszuhändigen. Damit können sich die Betroffenen nicht mehr ausweisen und werden serienweise mit Strafverfahren wegen illegalen Aufenthalts überzogen.

Angesichts dieser Ereignisse sind die Aussagen des bayerischen Innenministers Herrmann und Ministerpräsidenten Söder, die zum ersten Jahrestag der Zentren mit den "Erfolgen" dieser neuen Politik protzten, durchschaubar.

Herrmann: "Besonders wichtig ist mir, bei den Abschiebungen eine klare Priorität auf Straftäter und Gefährder zu legen. So waren letztes Jahr über 40 Prozent der Abgeschobenen vorher mit Straftaten polizeilich in Erscheinung getreten." oder Söder: "Wir setzen die Ausreisepflicht konsequent durch, vor allem bei Straftätern."

Berichterstattung - rechte Hetze und Täter-Opfer-Umkehr

Die Gewalt des Systems gegen Asylsuchende wird in den Medien, bis auf wenige Ausnahmen, nicht thematisiert. Die Berichterstattungen geben in der Regel nur die Polizeiberichte wieder. In der Presse findet meist, wie vor Gericht, eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Es wird das Bild von gewaltbereiten, gefährlichen Geflüchteten entworfen, oft mit rassistischen Stereotypen unterlegt. Spontane solidarische Handlungen zwischen den Geflüchteten bei Abschiebungen werden in Delinquenz umgedeutet, so wird etwa von Randalen, Tumulten oder "Gambiaaufständen" berichtet.

Die martialischen Polizeieinsätze, die Verhaftungen und Verurteilungen von Geflüchteten sollen deren "Gefährlichkeit" belegen, und stellen somit die "notwendige" Reaktion des Staates dar um den "Schutz der Gesellschaft" durchzusetzen.

Die Kriminalisierung von Geflüchteten soll gesellschaftliche Solidarität mit ihnen verhindern und die systematische Entrechtung und die unmenschlichen Lager legitimieren. Lager, deren Tore sich für den Großteil der Geflüchteten nur durch eine gewaltvolle Abschiebung oder durch ein Abtauchen in die komplette Illegalität öffnen.

Nachtrag

Am 22. Juli protestierten ab 11 Uhr circa 50 Flüchtlinge aus dem Ankerzentrum Deggendorf vor der Einrichtung - auch mit einer Sitzblockade - gegen die üblen Lebensbedingungen und die vielen Negativ-Bescheide der Asylanträge, so zunächst die Polizei. Danach, so schreibt die Deggendorfer Zeitung, kam "es zu einer handfesten Auseinandersetzung vor dem Haupteingang des Ankerzentrums" lautes Geschrei, einige Bewohner klopften gegen den Bauzaun, etliche seien betrunken, andere riefen aus den Fenstern, und wieder andere griffen schließlich Securities und auch Polizist*innen an. Die Situation "eskalierte". Zwei Flüchtlinge wurden festgenommen, zwei Frauen brachen zusammen. Die anschließenden Personenkontrollen dauerten dann noch bis 17.15 Uhr.

"Weil die Gefahr einer Eskalation dauerhaft bestehe", erscheine die Polizei nur noch in Mannschaftsstärke zu Einsätzen im Zentrum.

Erst nach diesen Schlagzeilen und zwei Tage später wurde bekannt, dass der eigentliche Anlass für die Demonstration der Suizid einer 36-jährigen Bewohnerin aus Aserbaidschan war. Die Mutter einer kleinen Tochter hatte sich am 20. Juli nach der Ablehnung ihres Asylantrags und aus Angst vor der Abschiebung mit Tabletten vergiftet.

Diese wichtige Information hatte die Polizei der Presse gegenüber nicht genannt. Auf Nachfragen beruft sich der Polizei-Sprecher auf "ethische Gründe", zudem sei die "Rolle, die der Selbstmord für die Demonstration gespielt habe", fraglich - man sehe auch künftig keine Veranlassung, bei derartigen Vorfällen die Medien zu informieren.

Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin


Kontakt:
www.ari-dok.org


Anmerkung:
Sämtliche Beispiele sind der gerade erschienenen 26. Auflage der Einzelfall-Dokumentation "Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen" (1993 bis 2018) entnommen.
https://www.ari-dok.org/uploads/mini_cms/publications/ARI-DOKU_26_Auflage_qOkJoVt.pdf

Einen Auszug aus der aktuellen Neuauflage findet Ihr auf www.graswurzel.net

*

Quelle:
graswurzelrevolution, 48. Jahrgang, Nr. 441, September 2019, S. 6-7
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2019

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