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GRASWURZELREVOLUTION/1823: Die weithin ignorierte Tradition gewaltfreier Kampfformen der Native Americans


graswurzelrevolution Nr. 434, Dezember 2018
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Nonviolent Warriors" und "Peacemakers"
Die weithin ignorierte Tradition gewaltfreier Kampfformen der Native Americans

von N.O. Fear


In den herrschenden Medien und auch innerhalb der linken Solidarität mit indigenen Kämpfen der "Native Americans" wird indigener Widerstand oft genug als hauptsächlich gewaltsamer oder bewaffneter Widerstand dargestellt. Das wird vor allem vermittelt durch die anti-gewaltfreien Veröffentlichungen von Ward Churchill(1), der allerdings auch im "American Indian Movement" (AIM) seit langem umstritten ist(2).


Prägend für diesen Eindruck war schon in den 1990er-Jahren die sogenannte "Oka Crisis", als sich einzelne "Mohawk-Stammesgruppierungen" (im Englischen "Bands" genannt - im Gegensatz zum Gesamt-"Stamm", in der Regel "Nation" genannt) in Oka, Provinz Québec/Kanada, bewaffnet gegen die Ausweitung eines Golfplatzes wehrten, der über von ihnen für heilig betrachtete Grabstätten hinweg geplant wurde. Übersehen wird bei diesen medialen Darstellungen, dass gerade in den USA indigene Gemeinschaften oft gerade auf gewaltfreie Kampfmittel zurückgreifen, um für ihre Rechte zu kämpfen.

So ist unerwähnt geblieben, dass sogar dieser Golfplatz-Widerstand in Oka als gewaltfreier Barrikadenbau der örtlichen "Kanesatake"-Band der Mohawk begann und von den Aktivistinnen unbewaffnet verteidigt wurde. Erst als dann "Krieger" aus anderen Bands, vor allem der Akwesasne und Kahnawake, mit Waffen, hinzukamen, dominierten sie die Proteste und die "Gewaltfreien" zogen sich zurück. Fest steht, dass die Mohawk-Nation in der Frage der Kampfmittel damals gespalten war.(3)


Gewaltfreie Krieger und "Peacemaker"

In Oka trugen jugendliche Unterstützer*innen gern Jacken. oder T-Shirts mit dem Symbol des indigenen "Warriors" (Kriegers). Auch hierbei wurde ignoriert, dass das "Krieger"-Symbol weitaus komplexer zu betrachten wäre. Einerseits wurde es von Indigenen keineswegs nur zum Zwecke der Selbstverteidigung benutzt, sondern ebenfalls, um die eigene Beteiligung bzw. den Beitritt zur US-Armee zu legitimieren und darüber Status sowie Anerkennung zu gewinnen -also eine durchaus zwiespältige Bedeutung -; andererseits gab es auch eine ausgeprägte Widerstandstradition des "Nonviolent Warrior"!(4)

Schon 1996 erklärte dazu der "Grand Chief" (höchster Häuptling), also der Vorsitzende des Parlaments der "First Nations" ("Erste Nationen", Synonym für "Native Americans": gemeint sind die indigenen Gemeinschaften in den 48 Alt-Bundesstaaten, die lange vor den "Weißen" Amerika besiedelten), Ovide Mercredi, er habe eine Indienreise unternommen, um die Ideen Gandhis zu studieren.

Er müsse aber darauf hinweisen, dass seine gewaltfreie Herangehensweise tief in seiner eigenen indigenen Kultur wurzele:

"In der Tat bekam ich meine ursprüngliche Anregung für Gewaltfreiheit nicht von Gandhi, sondern aus meiner eigenen Kultur, von meinen Eltern. Mein Held in dieser Hinsicht hängt da drüben an der Wand - Chief Poundmaker, ein Häuptling der Cree, ein großer Praktiker der Gewaltfreiheit."(5)

Schon den Irokesen gelang es, noch vor Ankunft der Europäer*innen, die fünf verfeindeten und sich bitter bekriegenden "Nationen" auf ihrem Gebiet, die Seneca, Cayuga, Oneida, Mohawk und Onondaga durch einen "Peacemaker" (Friedensstifter) von weiteren bewaffneten Kämpfen gegeneinander abzuhalten.

Das war die Voraussetzung für die "Konföderation der Irokesen", die sogar Formulierungen zur demokratischen Fundierung der US-Verfassung beeinflusst hat und über die vor einigen Jahren Thomas Wagner umfassend publiziert hat.(6)


Eine Geschichte vergessener gewaltfreier Kämpfe der First Nations

Es gibt also eine lange Tradition explizit gewaltfreier Kämpfe und von Kampagnen zivilen Ungehorsams bei den indigenen Gemeinschaften Nord-Amerikas. Die wichtigsten unter ihnen, kurz benannt:

Der Kampf der "Cree" am Lake Lubicon in Alberta/Kanada ist bereits einhundert Jahre alt. 1940 erlangten die Cree die Anerkennung als "Band". Aber sie kämpften und kämpfen noch immer um Land, denn sie haben noch immer kein eigenes Territorium und leben in Elendsbehausungen (Little Buffalo) unter prekären Bedingungen. Im Widerstand gegen einen japanischen Konzern, Daishowa, der mit Erlaubnis der Bundesregierung von Alberta eine Papierfabrik auf ihrem angestammten Land bauen konnte, agierten die Crew mit Straßenblockaden und Roadblocks, die 1988 zu einem Abkommen führten, in dem ihr Recht auf Land und eine finanzielle Entschädigung gesetzlich festgeschrieben wurde.

Bereits seit den Achtzigerjahren kämpfen die Innu mit gewaltfreien Kampagnen gegen militärische Tiefflug-Manöver auf ihrem Siedlungs- und Jagdgebiet in der Goose Bay/Kanada (die GWR berichtete damals mehrfach dazu). Ebenfalls in den Achtzigerjahren gewannen die Haida Gwai eine klassisch angelegte gewaltfreie Kampagne gegen das Holzfällen von Jungbäumen und für eine indigene Rechtssprechung auf ihrem eigenen Territorium. Die Kampagne hatte drei Teile, eine Phase reiner Vorbereitung, eine Phase direkter gewaltfreier Aktionen und eine Phase der Nachbereitung. 1992 wurde die Kampagne in einer CBC-Radiosendung als Erfolgsbeispiel dargestellt: "Gwai Hannas: How Non-Violence Works".

Weitere aktuelle Kämpfe werden von den Algonquins im Barrier Lake, Québec/Kanada, sowie den James Bay Cree geführt. So haben gewaltfreie Aktionen in den Kämpfen der First Nations in Nord-Amerika sowohl eine lange Tradition, aber auch aufgrund des Dakota Access Pipeline-Widerstands auch aktuelle Bedeutung und Ermutigung erhalten. Für die Native Americans heute ist Trump und dessen brachiale Politik der Rohstoffausbeutung der auserkorene Feind.(7)


Anmerkungen:

(1) Vgl. N.O. Fear: "Das Schwert, das heilt". Zur Kritik des Insurrektionalismus. Teil 2: Ward Churchill gegen George Lakey, in GWR, Nr. 423, Nov. 2017.

(2) Vgl. dazu eine Distanzierung des AIM von Churchill z.B.:
https://www.pipelinenews.org/2005/mar/17/american-indian-movement-outs-ward-churchill-agent-provocateur.html.

(3) Vgl. "Nonviolence and the people of the First Nations",
www.thefreelibrary.com/Nonviolence+and+the+people+of+the+First+Nations.-a030455286.

(4) Zum Nonviolent Warrior vgl. Molly Wallace: "Why indigenous civil resistance has a unique power", in: Website Waging Non-Violence, 8. Juli 2017, S. 2.

(5) Ovide Mercredi, zit. nach: "Nonviolence and the people of the First Nations", siehe Anm. 1.

(6) Thomas Wagner: Irokesen und Demokratie. Ein Beitrag zur Soziologie interkultureller Kommunikation, LIT-Verlag, 2. Aufl., Münster 2006; Thomas Wagner: Der Irokesenbund als egalitäre Konsensdemokratie", in: GWR, Nr. 297, März 2005.

(7) Diese Beispiele werden genannt in: "Nonviolence and the people of the First Nations", siehe Anm. 1.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 47. Jahrgang, Nr. 434, Dezember 2018, S. 5
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2019

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