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GRASWURZELREVOLUTION/1630: Solidarität mit den KiK-Arbeiterinnen in Pakistan!


graswurzelrevolution 415, Januar 2017
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Solidarität mit den KiK-ArbeiterInnen in Pakistan!
Prozess beim Landgericht in Dortmund

Von Horst Blume


Am 11. September 2012 kamen bei einem Brand in einer Textilfabrik in Karachi (Pakistan) 260 Menschen ums Leben und 55 wurden verletzt. Im Juni 2016 waren drei VertreterInnen der Angehörigen auf Veranstaltungen in Lünen und Bönen zu Gast, um für eine angemessene Entschädigung der Opfer zu werben. In Bönen bei Hamm befindet sich der Firmensitz des Textildiscounters KiK (Kunde ist König), der mit mindestens 75 Prozent Hauptabnehmer der Firma Ali Enterprise ist. in der das Unglück vor fünf Jahren passierte.


Nach der beachtlichen medialen Aufmerksamkeit, die diese von medico international und dem Forum für Umwelt und Gerechtigkeit (FugE) organisierten Veranstaltungen bewirkten, hat sich am 30. August 2016 das Landgericht Dortmund in dieser Angelegenheit für zuständig erklärt und gewährt sogar vier pakistanischen KlägerInnen Prozesskostenhilfe. - Erhält jetzt die Gerechtigkeit einen Kick?

Die Hintergründe des Unglücks

In Bönen und Lünen berichteten Saeeda Khatoon und Abdul Aziz Khan über das Unglück. Beide haben ihre 18 bzw. 17 Jahre alten Söhne verloren, die bereits mehrere Jahre bei Ali Enterprise arbeiteten und mit ihren Löhnen zum Überleben der beiden Familien beitrugen. Am 11. September 2012 hörte Saeeda von dem Brand, eilte zur Fabrik und musste machtlos zusehen, wie ihr Sohn zusammen mit 259 anderen ArbeiterInnen in dem Gebäude verbrannte. Fluchtwege waren mit großen Warenmengen zugestellt und die Fenster vergittert. Es gab kein Entkommen. Tage später mussten die verkohlten Leichen ihrer Söhne identifiziert werden.

Der KiK-Zulieferer zahlte den Söhnen 70 Euro monatlich für zehn bis vierzehn Stunden Arbeit täglich. Das war auch für pakistanische Verhältnisse sehr wenig. Der Durchschnittslohn liegt bei etwa 100 Euro in diesem Land. Schriftliche Arbeitsverträge gibt es in diesen Textilfabriken in der Regel nicht, sondern lediglich mündliche Zusagen, die jederzeit zurückgezogen werden können und die prekäre Lage der ArbeiterInnen noch verstärken. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad beträgt gerade einmal fünf Prozent.

Zertifikate als Feigenblatt

KiK berief sich in den nun folgenden Auseinandersetzungen auf ein Brandschutzzertifikat, dass drei Wochen vor der Katastrophe von dem italienischen Unternehmen RINA ausgestellt worden ist. Dieses privatwirtschaftliche Unternehmen verdient allerdings sein Geld, mit dem Abstempeln freiwilliger, rechtlich unverbindlicher Selbstverpflichtungen der FabrikbesitzerInnen. Solche Zertifikate sind ein Feigenblatt.

KiK hat nach dem Unglück eine Soforthilfe von einer Million Euro gewährt, allerdings eine Haftung nach deutschem oder pakistanischem Recht zurückgewiesen. Diese Summe ist lächerlich. Es geht hier nicht nur um das große entstandene Leid durch den Tod von vielen Menschen. Hunderte Familien haben ihre wichtigsten ErnährerInnen verloren, sind traumatisiert und wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll.

Als die zunächst inhaftierten FabrikbesitzerInnen wieder freigelassen worden sind und KiK die Entschädigungsverhandlungen verschleppte, gründeten Saeeda und Abdul die "Vereinigung der Überlebenden und Hinterbliebenen", in der sich die betroffenen Familien selbst organisiert haben. Unterstützt von der pakistanischen Gewerkschaft NTUF, von medico international und den AnwältInnen des "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR) aus Berlin reichten sie 2015 stellvertretend für alle anderen Betroffenen beim für die KiK-Zentrale in Bönen zuständigen Dortmunder Landgericht Klage gegen den Discounter ein. Sie fordern eine Entschädigung von 30.000 Euro pro Person.

Zusammen mit dem pakistanischen Gewerkschafter Nasir Mansoor nahmen Saeeda und Abdul nicht nur an zahllosen informellen Treffen mit vielen gesellschaftlichen Gruppen sowie Pressekonferenzen teil, sondern sie besuchten auch 300 SchülerInnen der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Lünen. Selbstbewusst und unmissverständlich machten sie deutlich, dass, sie kein Mitleid oder vage Selbstverpflichtungen der großen Textilunternehmen wollen. Sie fordern hingegen rechtlich verbindliche Regelungen der Arbeitsbedingungen, der Löhne und der Sicherheit. Sie hinterließen einen nachhaltigen Eindruck bei den SchülerInnen.

Beschämendes Verhalten

Bei der Veranstaltung in Bönen, dem Hauptsitz von KiK, war leider keine/r der dort arbeitenden 400 KiK-ArbeiterInnen anwesend. Die drei Pakistanis reisten 7.000 Kilometer um den halben Erdball zu den ebenfalls stark unter Konzerndruck stehenden KiK-MitarbeiterInnen und niemand von ihnen konnte sich zu einer noch so bescheidenen solidarischen Geste entschließen. - Was für ein Armutszeugnis! Dieses Verhalten zeigt überdeutlich, wie gering die internationale Solidarität im Bewusstsein der ArbeiterInnen in der BRD entwickelt ist.

Immerhin gibt es mit medico international und der Juristenvereinigung ECCHR Organisationen, die den pakistanischen ArbeiterInnen bei dem komplizierten Prozess vor dem Dortmunder Landgericht helfen. Dies ist auch notwendig, da er nach pakistanischem Recht durchgeführt werden muss und hierfür zahlreiche Gesetzestexte und Verordnungen übersetzt und in der Rechtsprechung angewandt werden müssen. Unterstützung erhalten die KlägerInnen ebenfalls durch WissenschaftlerInnen, die durch die Auswertung einer Vielzahl von Datenspuren und Handyaufnahmen den Tathergang rekonstruiert und mit ihren Videoanalysen, Raummodellen und Simulationen von Abläufen (Forensic Architecture) den Zeugenaussagen mehr Gewicht gibt.

Gesetzliche Regelungen sind notwendig

Bei diesen Auseinandersetzungen geht es den KlägerInnen nicht darum, dass sich die verantwortlichen Textilkonzerne mit freiwilligen Zahlungen aus der Verantwortung kaufen. Und hierbei die Opfer der Katastrophen zu Bittstellern degradiert werden und die Täter sich als gütige Gönner darstellen können. medico international betont: "Textilunternehmen wie KiK spekulieren darauf, dass die Unglücke schnell in Vergessenheit geraten und die Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter nicht die Kraft haben, sich gegen die Textilmultis zu wehren".

Es wird Zeit, dass die Textilunternehmen Verantwortung für die gesamte Lieferkette ihrer Produkte übernehmen. Das deutsche Zivilrecht stammt noch aus dem 19. Jahrhundert und wird der heutigen Situation mit zahlreichen internationalen Verflechtungen nicht gerecht. Deswegen muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen, Rechtsvorschriften erlassen und einkaufende Unternehmen zur Verantwortung und Sorgfalt für die vollständige internationale Lieferkette verpflichten. Mehr Transparenz über die Bedingungen der Warenproduktion ist dringend geboten. - Und selbstverständlich müssen die KonsumentInnen aktiver werden und alternative Produktionsweisen viel mehr unterstützen. Auch auf diesem Gebiet ist noch sehr viel zu tun.


Weitere Infos:
https://www.medico.de/sie-klagen-gegen-kik-15954/

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Quelle:
graswurzelrevolution, 46. Jahrgang, Nr. 415, Januar 2017, S. 14
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2017

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