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GRASWURZELREVOLUTION/1552: "Unser Feminismus ist antirassistisch"


graswurzelrevolution 408, April 2016
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Unser Feminismus ist antirassistisch"
Ein Bericht von der bundesweiten Weltfrauen*tags-Demo in Köln

Von G. Akratis


Viel ist seit Jahresbeginn darüber geredet und geschrieben worden, wie nach den massenhaften Angriffen auf Frauen* am Kölner Hauptbahnhof rechte Gruppierungen versuchen, feministische Positionen für ihren Rassismus zu vereinnahmen (siehe GWR 406). Um auf der Straße eine Antwort darauf zu geben, fanden in der Domstadt mehrere gemeinsame Proteste aus dem queer-/feministischen und antirassistischen Spektrum statt. Die überregionale Demo am 12. März 2016 war ein vorläufiger Höhepunkt dieser Gegenbewegung.


Bereits in der Woche nach Silvester hatten verschiedene linksradikale und demokratische Organisationen gemeinsam demonstriert: Spontan nach einem vergeblichen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Köln-Mülheim. Dann auf einer Kundgebung am Dom gegen die sexistischen Überfälle und deren rassistische Instrumentalisierung. Und einige Tage später gegen einen erneuten Pegida-HoGeSa-Aufmarsch am Breslauer Platz, den die Polizei mit Wasserwerfern stoppte.

Gegen die Hetzkampagne

Feministische Zusammenhänge reagierten ebenfalls auf die allgegenwärtige Hetzkampagne infolge der Silvesterüberfälle, sprachen sich gegen eine rechtspopulistische Vereinnahmung aus und organisierten u.a. einen Flashmob auf der Domtreppe.

Ende Februar machte dann die neu gegründete Initiative "Dignity for refugees" auf sexistische Belästigungen durch das Sicherheitspersonal einer Notunterkunft in Köln-Kalk aufmerksam.

Obwohl zwei geflüchtete Frauen Anzeige erstatteten, wurden die Übergriffe von offizieller Seite als übertrieben dargestellt und als "linksradikale Instrumentalisierung" heruntergespielt.

Während in zahlreichen Städten Geflüchtete beschimpft und Flüchtlingsheime belagert und angezündet wurden, wollte man in Köln keinen weiteren Skandal zulassen.

Reclaim feminism

Aus einer Kölner Frauen*-Vollversammlung heraus bildete sich schließlich ein lokales Bündnis für eine überregionale Demonstration. Bewusst wurde dafür der Samstag nach dem Internationalen Frauentag als Termin gewählt, da für den 8. März bereits dezentrale Aktionen in verschiedenen Städten geplant waren. Der Aufruf des linken Bündnisses "reclaim feminism" verknüpfte unterschiedliche, sich überschneidende Diskriminierungen unter dem intersektionalen Motto "Unser Feminismus ist antirassistisch".

"Es lebe die Verschiedenheit!"

Schon bald schlossen sich bundesweit dutzende weitere Organisationen an und verfassten teilweise eigene Mobilisierungstexte. Zu den überregionalen Unterzeichner*innen zählten Frauen*-Projekte, FLTI-Gruppen, antifaschistische und antirassistische Organisationen, anarchistisch/anarchofeministische Gruppen, die Graswurzelrevolution sowie mehrere Parteien samt ihrer Jugendorganisationen.

Solch eine Vielfalt auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, fällt nicht leicht und geschieht selten ohne Reibungsverluste. Doch der Bündnisaufruf fasste schließlich die unterschiedlichen Forderungen zusammen. Dort hieß es beispielsweise: "Sexismus ist nicht nach Deutschland eingewandert, Sexismus ist hausgemacht. Er findet statt - schon immer, ständig und überall. Sexismus findet sich strukturell in unterschiedlich hoher Entlohnung, Benachteiligung aller Frauen*, speziell von Transfrauen und Frauen* of colour, am Arbeitsmarkt oder in unterschiedlichen Belastungen, bspw. durch Kinderbetreuung wieder."

Zudem forderte das Bündnis eine Verschärfung des Sexual-Strafrechts und mehr staatliche Fördergelder für Frauen*-Häuser. Darüber hinaus hieß es: "Wir wollen eine herrschaftsfreie Gesellschaft ohne Ausbeutung, ohne Ausgrenzung, ohne den sexistischen und rassistischen Normalzustand. Wir wollen Solidarität und Respekt untereinander. Es lebe die Verschiedenheit!"

Leider wurden dort keine praktischen Aufrufe zur Selbstermächtigung gemacht, wie die Besetzung leerstehender Häuser zur Schaffung von Wohnraum für Geflüchtete oder gemeinsame Blockaden von Behörden und Abschiebungen.

An der medialen Auseinandersetzung um "Köln" wurde von feministischer Seite kritisiert, dass zwar viel über die vermeintlichen Herkunftsländer der Tatverdächtigen spekuliert wurde, aber über die alltägliche sexualisierte, häusliche Gewalt meist Schweigen herrschte.

Schließlich finden mehr als zwei Drittel aller Vergewaltigungen im direkten persönlichen Umfeld statt, also durch männliche Bekannte, Verwandte und (Ex-)Partner. Aber auch über die allgegenwärtige rassistische Gewalt, wie Brandanschläge, Überfälle und systematische Ausgrenzung sollte mehr berichtet werden.

Ebenso kommt in den bürgerlichen Medien eine Untersuchung der Fluchtursachen kriegerischer Militarismus und patriarchale Unterdrückung nur oberflächlich zur Sprache. Zudem gilt es, einen Zusammenhang herzustellen zwischen Waffenexporten, Interventionskriegen, (post-)kolonialer Globalisierung, Freihandelsabkommen und industriellen Krisen.

Doch das Demobündnis für den 12. März hatte nicht nur die Kritik der herrschenden Verhältnisse im Blick, sondern rief auch dazu auf, gemeinsam alle Frauen*Lesben, Inter- und Transgender zu feiern, die sich der hierarchischen Geschlechterordnung widersetzen - vor allem die kämpferischen Frauen* in Kurdistan. Ebenso wurden alle freudig gewürdigt, die in Frauen*-Häusern arbeiten, Geflüchtete unterstützen oder selbst die Grenzzäune der Festung Europa überwunden haben.

Ebenso bunt wie der Forderungskatalog war dann auch der Demonstrationszug selbst, zu dem sich mittags etwa 4.000 Teilnehmer*innen unter massiver Polizeipräsenz auf der Domplatte versammelten. Bei schönstem Sonnenschein lauschte die Menge den ersten von insgesamt 13 Redebeiträgen und wippte fröhlich zum Auftritt der Rapperinnen Sookee und Cheru.

Danach ging es auf einer vierstündigen Route quer durch die Kölner Innenstadt, aber immer strikt getrennt nach identitären Polit-Schubladen: vorneweg ein großer Frauen-Lesben-Trans-Intersex*-Block (FLTI) mit kämpferischen Seitentransparenten, gefolgt von zahlreichen kurdischen Aktivist*innen mit Flaggen der Frauenorganisation "Komalên Jinên Kurdistan" (KJK: Kurdische Frauengemeinschaften). Danach hatten sich die Interventionistische Linke und das Ums-Ganze-Bündnis zu einem ebenfalls großen "queerfeministischen und linksradikalen Block" versammelt. Dahinter liefen etwa 200 Leute im antiautoritären Block mit einem schwarz-lila Hochtransparent. Den hinteren Teil der Demo bildete ein antirassistischer Block von "Kein Mensch ist illegal", an dem sich u.a. syrische und afghanische Flüchtlingsinitiativen beteiligten. Und den Schluss bildeten eine Handvoll marxistisch-leninistischer Organisationen mit ihren Parteifahnen.

Durchbrochen wurde die Routine des Fußmarsches jedoch von einigen Showeinlagen: Direkt am Bahnhofsvorplatz, auf dem die Polizei eine Kundgebung "aus Sicherheitsgründen" verweigert hatte, wurde unter Konfettiregen ein riesiges Banner ("My body - my choice") von der Dombrüstung heruntergelassen. Irgendjemand zündete dann noch rosa und lila Rauchfackeln, was zusammen mit übergroßen Schaumstoff-Schlagringen einen recht martialischen Eindruck hinterließ. Zwar hatte das Bündnis darum gebeten - aus Rücksicht auf möglicherweise traumatisierte Personen - auf Böllerwürfe zu verzichten, aber die mediale Selbstinszenierung einiger Antifas scheint ohne Pyrotechnik unvollständig zu sein. Erfreulich hingegen war ein kreativ umgestaltetes Herrendenkmal, das nun mit Putzeimer und Staubwedel zum Pflege-Streik aufrief.

Nachdem an einer Polizeiwache und der Bezirksregierung dann farbige Impressionen an der Hausfassade hinterlassen wurden, ließ die Staatsmacht ihre Muskeln spielen. Mit bis zu vier Reihen Polizeispalier wurde vor allem der antiautoritäre Block massiv bedrängt, angeblich wegen Vermummung. Provokationen, Rangeleien und Personalienfeststellungen waren die Folgen, wobei die Einsatzleitung mehrfach versuchte, die Demo aufzuspalten. Aber viele solidarische Teilnehmer*innen stellten sich zwischen die Polizeireihen und versuchten, die bedrängten Mitdemonstrant*innen vor einem Angriff zu schützen. Trotz einer Abkürzung der angemeldeten Route erreichte der Demozug die Abschlusskundgebung in der Altstadt erst bei Sonnenuntergang. Behelmte Polizist*innen mit Sturmhauben hatten den Altermarkt umstellt, setzten auch Pfefferspray ein und rannten sogar noch Gruppen hinterher, die schon auf dem Heimweg waren.

In einer Presseerklärung zog das Bündnis jedoch eine durchweg positive Bilanz und wertete die Veranstaltung als historisches "Zeichen einer wachsenden intersektionalen und inklusiven FLTI*-Bewegung". Außerdem wurde der aggressive Polizeieinsatz kritisiert und bedauert, dass er einige Geflüchtete sehr eingeschüchtert habe. Gegenüber den aufdringlichen Beamt*innen war es nämlich leider nicht möglich, "eine Armlänge Abstand" zu halten, wie es die Kölner OB Reker allen bedrängten Frauen* empfohlen hat.

Leider wurden einige abreisende Demonstrant*innen im Stadtteil Kalk noch von einer christlichen Männergruppe auf deren "traditionellem Schweigegang" provoziert und beleidigt - unter den Augen einiger aggressiver Polizist*innen, die abschätzige Bemerkungen machten und Abreisende herumschubsten.

Erfreulich hingegen war, dass am gleichen Tag in Leipzig etwa 800 Leute ebenfalls lautstark gegen Sexismus und Rassismus protestiert haben. Vielleicht geht ja vom 12. März in Köln ein neues intersektionales Zeichen aus, die sich überschneidenden Herrschaftsverhältnisse gemeinsam zu bekämpfen und unterschiedliche soziale Kämpfe zu vernetzen.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 45. Jahrgang, Nr. 408, April 2016, S. 12
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3,80 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 38 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2016

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