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GRASWURZELREVOLUTION/1480: Ein Wald vor Gericht - Gerichtstermin zum Hambacher Forst


graswurzelrevolution Nr. 400, Sommer 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Ein Wald vor Gericht
Aachen: Gerichtstermin zum Hambacher Forst

von Rüdiger Haude


Am 21. Mai wurde vor dem Aachener Verwaltungsgericht über den Protest der WaldschützerInnen im Hambacher Forst verhandelt. Das Bauamt des Kreises Düren hatte dem Eigentümer der Wiese, auf der sich das Camp der Protestbewegung befindet, verboten, dieses Camp zu dulden. Das aus Zelten, Wohnwagen und kreativen selbstgebauten Behausungen bestehende Lager verstoße gegen das Baurecht und müsse geräumt werden. Der Wieseneigentümer hatte gegen diesen Bescheid geklagt; über seine Klage wurde nun verhandelt.


Ich fand mich zum angesetzten Prozessbeginn, um 9 Uhr früh, beim Gericht ein. Etwa hundert UnterstützerInnen waren schon dort, darunter viele BewohnerInnen des fraglichen Camps. Um in das Gebäude zu kommen, muss man eine von zwei Metalldetektor-Schleusen passieren. Wie am Flughafen. Nur dass es bei Gericht zehnmal so lange dauert. Wegen Unvermögen? Oder um die Öffentlichkeit der Verhandlung einzuschränken? Man weiß es nicht.

Um 10 Uhr konnte ich den Verhandlungssaal betreten, wo der Kläger gerade dabei war, den gerichtlichen Sachstandsbericht zu korrigieren. Nein, der ökologisch einzigartige Hambacher Forst habe vor dem Braunkohletagebau nicht 5500 Hektar, sondern sogar 8900 Hektar umfasst (ca. 1000 Hektar sind heute noch übrig und sollen in den nächsten Jahren dem Braunkohletagebau zu Opfer fallen). Nein, nicht "teilweise" sei der Restbestand bedroht, sondern vollständig. Nein, die Protestbewegung sei nicht ausschließlich durch die Bedrohung des Waldes motiviert, sondern auch durch die verheerenden Klimaeffekte der Braunkohleverstromung, durch die Art der Entscheidungsfindung und durch einige Dinge mehr. Er, der Kläger, zähle sich ebenfalls zur Protestbewegung und vertrete die Maxime "Change System, Not Climate". Diese Klarstellungen zogen sich bis 11:15 Uhr hin. Der Kläger betonte, das Protestcamp der WaldschützerInnen müsse nach dem Versammlungsrecht behandelt werden, nicht nach Baurecht.

Das ist der springende Punkt, der zu entscheiden war: Gegen ein versammlungsrechtlich relevantes Camp gäbe es keine Räumungshandhabe. Vertreter der beklagten Partei - des Kreises Düren - waren wesentlich einsilbiger: Ihr ganzer Redebeitrag bestand in den drei Worten des Appells, "die Klage abzuweisen".

Das Gericht zog sich zu einer halbstündigen Besprechung zurück, um anschließend den Urteilsspruch zu verkünden, von dem man den Eindruck hatte, dass er nicht erst in diesen 30 Minuten entstanden war: Die Klage wurde abgewiesen, alle Gerichtskosten dem Kläger auferlegt. Die Vorsitzende Richterin verkündete noch eine Kurzfassung der Begründung: Die Behausungen des Camps besäßen "keinerlei funktionale Bedeutung für die Ziele der Protestbewegung". Und deswegen sei das Camp eben nicht versammlungsrechtlich, sondern baurechtlich zu beurteilen.

Mit solchen zynischen Sätzen schafft man natürlich immenses Vertrauen in den Rechtsstaat. Ein Englisch sprechender Camp-Bewohner im Zuschauerraum sprang auf und rief erregt: "This is not a court - this is an auction! - Shame on you!"

Frau Richterin hat selbstverständlich nicht nur den aktuellen Fall im Auge gehabt. Gerade weil Camps zentraler Bestandteil heutiger Protestformen sind, ist dieser Urteilsspruch gegen den Protest als solchen gerichtet. Gerade im rheinischen Braunkohlerevier steht das Klimacamp 2015 bereits vor der Tür (7. bis 17. August). Dort werden Grundstücksbesitzer unter Druck gesetzt, kein Gelände für die Zeltlager der Protestierenden zur Verfügung zu stellen. Der jetzige Urteilsspruch reiht sich in diese Angriffe auf das Versammlungsrecht ein.

Mit einer baldigen Räumung des Camps am Hambacher Forst ist aber noch nicht zu rechnen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, weil eine Berufung zugelassen wurde. Und wer weiß: Vielleicht gibt es ja in der nächsten Instanz eine Richterin, die sich nicht so leicht von den Kohle-Fans eRWEichen lässt.

Das erste Mal

Am Sonntag vor dem Gerichtstermin hatte ich den Rest des Hambacher Forsts zum ersten Mal besucht, im Rahmen einer Waldführung, die dort monatlich stattfindet. 120 Leute waren diesmal dabei.

Dieser uralte, naturnahe Wald ist faszinierend. Er ist schön, vielfältig, er beherbergt seltene Spezies. Barrikaden aus Altholz über viele der alten Waldwege lassen nur Fußgänger passieren. An einigen Stellen haben polizeiliche Räumungen und Zerstörungen besetzter Bäume hässliche Wunden geschlagen. Aber im Ganzen ist er intakt. Man gewinnt fast den Eindruck, dass der Wald die Übermacht aus RWE und deren dienstbaren Verwaltungen und PolitikerInnen verspottet, wenn er, trotz massiver Grundwasserabsenkung durch den nahen Tagebau, sumpfige Biotope bewahrt.

Dieses Widerständige, das jeder Verwertungslogik hohnlacht, macht ihn seinen BeschützerInnen, die teils im fraglichen Camp, teils in schwindelerregend hohen Baumhäusern leben, irgendwie ähnlich.

Und dagegen soll ein perfide instrumentalisiertes "Baurecht" obsiegen? Es lohnt sich jedenfalls, diese lebendige (einerseits ökologische, andererseits kulturelle) Alternative zur schlechten Wirklichkeit solidarisch zu unterstützen.


Weitere Infos

Blog der WaldschützerInnen:
http://hambacherforst.blogsport.de

Waldführungen:
hambach@zobel-natur.de

Termin

Ende Gelände! Kohlebagger stoppen - Klima schützen!
14. - 16.8.2015 im Rheinland.

Infos:
www.ende-gelände.org
ende-gelaende@riseup.net

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Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 400, Sommer 2015, S. 13
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
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Internet: www.graswurzel.net
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2015

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