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GRASWURZELREVOLUTION/1083: Die Auseinandersetzung um die Gentechnik geht weiter


graswurzelrevolution 347, März 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Die Auseinandersetzung um die Gentechnik geht weiter

Diskussion über Zivilen Ungehorsam 2010


Es wird immer wahrscheinlicher, dass auch 2010 kein kommerzieller Anbau von Genmais oder Genkartoffeln in Deutschland stattfindet. Aber die BASF-Kartoffel Amflora hat einen Ehrenplatz im Koalitionsvertrag erhalten, in China gibt es grünes Licht für Genreis und Monsanto kündigte jüngst an, doch wieder in die Entwicklung von Genweizen einsteigen zu wollen. Angesichts des zunehmenden Hungers in der Welt haben die Gentechnikkonzerne ihre Propagandamaschinen angeworfen. Und der Widerstand gegen Gentechnik in der Landwirtschaft sucht neue Wege.


Ziviler Ungehorsam gegen Gentechnik
Kann weitere Eskalation mehr erreichen oder schadet sie?

Die Initiative Gendreck-weg organisiert seit 2005 jährlich öffentlich angekündigte "Freiwillige Feldbefreiungen" kommerzieller Genmaisfelder. Holger Isabelle Jänicke begleitet das Projekt in der Rechtshilfegruppe. Obwohl der Anbau von Mon 810 seit Frühjahr 2009 gestoppt ist, gibt es etliche Genversuchsfelder in der Republik. Jörg Bergstedt ist einer von über 200 UnterzeichnerInnen eines Aufrufs, 2010 alle Gentechnik-Versuchsfelder "mit eigenen Händen" zu verhindern, und fordert dazu auf, Genversuchsfelder direkt anzugreifen. Ein Streitgespräch, für die GWR geführt und aufgezeichnet von Jutta Sundermann.


Jutta: Was soll dieser Aufruf erreichen?

Jörg: Ich meine, dass es zu wenig ist, nur einen Teil der Felder in den Fokus zu nehmen. Gerade die Versuchsfelder mit mehrfach gentechnisch veränderten Pflanzen sind besonders gefährlich bezüglich Ausgrenzung. Dafür gibt es Belege, die Verseuchung mit dem LL601-Reis, die nur von einem Versuch kam und weltweit festgestellt wurde, ist ein Beispiel. Wir erreichen Gentechnikfreiheit nur, wenn wir alle Quellen stoppen.

Holger: Die These, dass alle gentechnisch veränderten Pflanzen, egal ob kommerziell oder auf Versuchsfeldern, eine Gefahr sind, teile ich. Aber der nächste Schritt ist mir nicht reflektiert genug. Wir können diesen Kampf nicht "militärisch" gewinnen. Nur, wenn es uns gelingt, mit vielen Aktiven eine öffentliche, eine gesellschaftliche Stimmung zu schaffen, die die weitere Durchsetzung der Gentechnik unmöglich macht, erreichen wir unser Ziel. Ich habe die Befürchtung, dass Zerstörung um jeden Preis eher isoliert. Vom eigentlichen Ziel bringt so etwas eher weg. Wir können auf einer solchen Ebene ja nicht öffentlich arbeiten. In der Nacht, wo der Großteil solcher Aktionen stattfinden muss, fehlt der Zuspruch.

Jörg: Da hast Du mich falsch verstanden. Ich will nicht um jeden Preis zerstören.

Wichtig ist viel Kreativität. Ich war gerade in Ulm. Da waren RentnerInnen, die haben die Blockaden von Mutlangen als Vorbild. Es entstand die Idee, im Frühling in Üplingen wie in Mutlangen das Eingangstor zu der Gentechnik-Anlage zu blockieren. Entscheidend ist, die Köpfe zu erreichen. Zerstörung ist einer von vielen Wegen. Die Aktionen müssen aber das klare Ziel haben: Dieses Feld darf es nicht geben.

Holger: Da sehe ich aber eine Schwäche des Aufrufs. Das Ziel ist klar benannt, aber der Weg dahin wird nicht beschrieben. Ich lese aus dem Text: "Möglichst viele Gruppen sollen losziehen und viel platt machen." Andere Möglichkeiten werden nicht näher beschrieben.

Jörg: Da hast Du recht.

Jutta: Was soll jetzt geschehen, was ist Dein Wunsch-Szenario?

Jörg: Um die Versuchsfelder gibt es viele widerstandsarme Regionen. Es geht darum, zu politisieren und um die klare Botschaft: 'Wir wollen das hier beenden'. Wichtiger als der Aufruf sind mir Treffen, bei denen über Aktionsformen nachgedacht wird. Da finden gerade besonders viele im süddeutschen Raum statt. Viele Landwirte kommen, schöne Treffen sind das, z.B. mit den Bauern, die gerade für faire Milchpreise gestritten haben. Wenn es dann auch erfolgreiche Feldzerstörungen gibt, bin ich glücklich.

Holger: Ich bin dann spontan oft auch froh. Aber leider kommt das Erschrecken oft kurz danach. Ich erlebe, dass sich Leute auf Aktionen nicht besonders gut vorbereitet haben und die Folgen nicht überschauen. Gendreck-weg hat deshalb bisher - bis auf einmal: mit einer kleinen Gruppe - immer kommerzielle Felder zum Ziel gemacht. Bei Versuchsfeldern ist das schnell unüberschaubar. Was die Summen angeht und die verschiedensten Zivil- und Strafverfahren. Ich will nicht, dass Leute ins Messer rennen.

Jörg: Kein Widerspruch. Es braucht Trainings, Vorbereitungstreffen, Transparenz hinsichtlich möglicher Folgen usw.

Holger: Damit kannst Du das Risiko, die Folgen nicht abschätzen zu können, reduzieren. Aber nicht ausreichend. Das klingt vielleicht etwas destruktiv, aber ich habe für die Bewältigung der Folgen für die Einzelnen keine schlüssige, spritzige Idee.

Jutta: Gendreck-weg wusste von vornherein, dass die Befreiung eines Teils eines Feldes stark symbolischen Charakter hat. Reicht Dir das nicht? Ist für Dich direkte Aktion mehr, effektiver?

Jörg: Direkte und symbolische Aktionen stehen sich nicht gegenüber. Wichtig ist, dass direkte Aktionen keinen Appell an Herrschende darstellen. Sie müssen nicht alle so vollständig sein, dass hinterher alles weg ist. Direkt und symbolisch geht zusammen. Ich liebe offene Aktionen, die dann von der Polizei unterbrochen werden, ebenso wie effektive nächtliche Aktionen und genauso wie gute Störaktionen, die eine Aussaat verhindern oder die Ausführenden behindern. Das ist alles direkte Aktion.

Holger: Das stimmt, die Gegenüberstellung hilft nur begrenzt. Wo symbolische Aktionen enden, ist nicht so klar. Wichtig ist aber hier die Frage: Symbolisch oder effektiv bezogen auf was? Auf ein einzelnes Feld? Im Grunde sind einzelne Felder nicht das eigentliche Problem. Die Politik muss sich ändern. Bezogen darauf ist auch die Zerstörung eines ganzen Feldes nur symbolisch.

Jörg: ... ja, aber nicht nur. Das Feld ist dann weg.

Holger: Wir stoßen bei Gendreck-weg an Grenzen bei der Mobilisierung. Ich überlege derzeit, ob wir nicht auch noch ein Stück weg müssen vom Effektivitäts-Anspruch - auf das Feld bezogen.

Das Ziel ist nicht ein größtmöglicher Schaden, sondern klar zu machen, worum es hier geht. Da reicht gegebenenfalls sogar eine einzige Pflanze. Auch eine solche Aktion hat juristische Folgen, aber das bleibt auf einer anderen Ebene. Ich möchte, dass auch Leute mitmachen können, die nicht 2 Kilometer im Dauerlauf durch viele Felder zum Genmais rennen können. Vielleicht rückt dann die Herausforderung, die Polizei zu übertölpeln, sogar mehr in den Hintergrund.

Jörg: Widerspruch. Das Ziel ist anders. Ich will nicht in erster Linie die PolitikerInnen überzeugen, höchstens mittelbar: Ich will Verhältnisse schaffen, in denen Gentechnik nicht durchsetzbar ist. Dafür suche ich Leute. Und ich sehe, wie die sich freuen, wenn sie von erfolgreichen Aktionen wie der Feldbesetzung in Groß-Gerau oder der Feldbefreiung in Gatersleben hören. Ich will auch nicht zurückfallen hinter diese Aussage des Gießener Richters. Der legte uns nahe, wenn wir mit dem Paragraphen 34 kommen wollen (rechtfertigender Notstand), dann müssen wir alle Felder wegmachen. Dazu passt eine symbolische Pflanze überhaupt nicht.

Holger: Ich glaube nicht, dass bei Aktionen gegen alle Felder auf rechtfertigenden Notstand erkannt wird. Die Richter fragen dann nach der Erforderlichkeit und nach der Angemessenheit. "Alles platt machen" passt nur zu einem Aspekt und sichert nicht die Anwendung des Paragraphen.

Klar freuen sich die Leute über erfolgreiche Aktionen. Allerdings denken viele dann nicht ernsthaft über eigene Aktionen nach. Schön wäre es. Ich will Leuten, die noch etwas zu verlieren haben, Aktionen mit überschaubarer Perspektive bieten. Ich will transparent machen, was geschehen kann. Wer auf nächtliche Aktionen setzt, kann schnell in einer militanten Ecke landen, ohne dagegen noch wirksam argumentieren zu können.

Jörg: Das Risiko gibt es immer.

Holger: Das Risiko für den Einzelnen zu verringern, sehe ich aber auch als meine Aufgabe.

Jörg: Richtig, aber Tatsache ist doch, dass es eine dieser eher happening-artigen Aktionen von Gendreck-weg war, nach der der Monsanto-Anwalt Stiebler bei der Staatsanwaltschaft versuchte, die kriminelle Vereinigung ins Spiel zu bringen.

Holger: Womit er aus vielen Gründen keine Chance hatte. Wir müssen Ideen entwickeln, wo Menschen sich beteiligen können oder die sie aufgreifen können. Ich schreibe auch niemandem vor, wie er oder sie sich auf dem Feld zu bewegen hat. Aber Du hast Leute im Kopf, die darauf bestehen, jeden Schritt selbst zu entscheiden und sich selbst vorzubereiten oder auch nicht.

Ich erlebe bei unseren Aktionen viele Menschen, die mit ihrem Alltag oder ihren anderen politischen Aktionen schon viel um die Ohren haben und froh sind, wenn es Mitmach-Möglichkeiten gibt, die funktionieren und etwas erreichen.

Wir haben ein Problem, dass der Kreis der Aktiven nicht groß ist. Wenn er schrumpft und dann noch vonseiten der Strafermittlung unter Druck gerät, ist es schnell ein ganz kleiner Kreis. Ich erlebe, dass bürgerliche Kreise nicht nur gegen Gentechnik sind, sondern auch schon von den Feldbefreiungen gehört haben und viele finden sie gut. Diese Anerkennung ist am Ende auch unser bester Schutz.


Was tut sich gerade?
Für die Freiwilligen FeldbefreierInnen von Gendreck-weg stehen noch mehrere Prozesse ins Haus. In Kitzingen für die große öffentliche Aktion 2008, in Sachsen-Anhalt für die nicht zuvor angekündigte Feldbefreiung gegen den Genweizen. Mehr dazu unter
www.gendreck-weg.de
Die Aktionen von diversen unabhängigen Kleingruppen vor, an und auf Feldern sind zusammen mit weiteren Aktionsideen und dem Aufruf zu finden unter
www.gentech-weg.de

Vortrags-Termine zu Gentechnik-Seilschaften u.a. am 20. März in Bayern unter:
www.biotech-seilschaften.de.vu
Immer einen Besuch wert sind auch:
www.keine-gentechnik.de
www.campact.de/gentec/home
www.greenpeace.de/themen/gentechnik


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Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, GWR 347, März 2010, S. 6
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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Internet: www.graswurzel.net

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2010