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GLEICHHEIT/6433: Weltkriegsgefahr wegen Korea erschüttert Europa


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Weltkriegsgefahr wegen Korea erschüttert Europa

Von Alex Lantier
7. September 2017


Die martialische Reaktion der US-Regierung auf den Atomtest in Nordkorea hat die Menschheit an den Rand eines Weltkriegs gebracht, der auch Europa sehr schnell verschlingen könnte.

Während die europäischen Regierungen die Schuld am Konflikt dem nordkoreanischen Regime in Pjöngjang zuweisen, drängt Washington auf aggressive Maßnahmen, die auf einen Regimewechsel in Nordkorea und auf militärische Konfrontation mit dessen Nachbarn, Russland und China, abzielen. Dies könnte Europa schnell in einen Atomkrieg verwickeln.

Die US-Botschafterin bei der Uno, Nikki Haley, erklärte, Pjöngjang "bettelt um Krieg", und forderte Russland und China auf, den Handel mit Nordkorea einzustellen, einschließlich der Ölexporte. Das würde Nordkoreas Wirtschaft umgehend lahmlegen. Wenn China und Russland diesen Forderungen nachgeben, oder wenn Washington auf die voraussichtliche chinesische und russische Weigerung mit einem Krieg gegen Nordkorea reagiert, dann könnten sowohl chinesische und russische Streitkräfte als auch die US-Truppen in Südkorea in Nordkorea eingreifen.

Bezeichnenderweise hat der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Geng Shuang auf die offene Frage, ob China im Fall eines amerikanischen Angriffs militärisch in Nordkorea eingreifen würde, dies bewusst nicht dementiert. Geng nannte es eine "hypothetische Frage, die schwer zu beantworten ist", und sagte nur, militärische Gewalt "steht nicht auf der Liste" der Mittel, die China einsetzen möchte, um die koreanische Krise zu lösen.

Europa wäre zwangsläufig ein Schauplatz für jeden daraus entstehenden Konflikt. Schon der Putsch in der Ukraine hat in ganz Europa zu explosiven Spannungen zwischen Russland und der Nato geführt. Nachdem sie 2014 den Putsch gegen die pro-russische Regierung in Kiew unterstützt hatte, hat die Nato Zehntausende von Soldaten in die Nähe der russischen Grenze geführt. Darüber hinaus

berichtet die Süddeutsche Zeitung von einem Plan Washingtons, den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate-Range Nuclear Forces) von 1987 aufzukündigen, damit die USA überall in Europa gegen Russland gerichtete Atomraketen aufstellen kann.

Am 5. September hat Russland mit groß angelegten Manövern seiner wichtigsten strategischen Nuklearstreitkräfte begonnen, und zwar von Tver, in der Nähe der russischen Grenze zu Europa, bis Irkutsk, nahe der Mongolei und China. Das russische Verteidigungsministerium erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur TASS: "Elf Raketenregimenter, ausgerüstet mit Topol-, Topol-M- und Yars-Raketen, befinden sich zur Zeit auf Patrouille-Einsätzen in Gebieten von Tver bis Irkutsk. Ein Drittel von ihnen führt intensive Manöver durch. In die Übungen sind 20 Regionen des Landes einbezogen."

Bei einer Rede auf dem BRICS-Gipfel (BRICS = Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) in Xiamen, China, warnte Wladimir Putin vor aggressiven Maßnahmen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gegen Nordkorea. Diese könnten zu einem Weltkrieg führen, so der russische Präsident. Er sagte: "Es ist sinnlos, unter solchen Bedingungen die militärische Hysterie weiter anzuheizen. Das ist eine Sackgasse. Das könnte zu einer globalen, planetaren Katastrophe und einem gewaltigen Verlust an Menschenleben führen. Um die nordkoreanische Atomfrage zu lösen, gibt es keinen anderen Weg als den friedlichen Dialog."

Putin machte deutlich, dass Pjöngjangs rücksichtsloses Atomwaffenprogramm ein verzweifelter Versuch sei, einen Angriff wie den Aggressionskrieg der USA 2003 gegen den Irak oder den Nato-Krieg 2011 in Libyen abzuwenden. In Libyen hatten die europäischen Mächte, darunter Frankreich und Großbritannien, eine führende Rolle gespielt.

Er erklärte: "Wir erinnern uns alle, was mit dem Irak und Saddam Hussein passiert ist. Seine Kinder sind umgebracht worden. Ich meine, sein Enkel wurde erschossen. Das ganze Land wurde zerstört, und Saddam Hussein wurde erhängt ... Wir wissen alle, wie das passiert ist. Und die Menschen in Nordkorea erinnern sich sehr gut daran, was im Irak passiert ist. Sie werden eher Gras essen, als ihr Programm beenden, wenn sie sich nicht sicher fühlen."

Die Koreakrise ist das Ergebnis eines Vierteljahrhunderts von unablässigen imperialistischen Kriegen, die Washington und seine europäischen Verbündeten führen, seitdem die stalinistische Bürokratie die Sowjetunion im Jahr 1991 aufgelöst hat. Damals haben sich die europäischen Mächte dem Golfkrieg gegen den Irak angeschlossen. Sie gaben damit zu verstehen, dass auch sie den Zusammenbruch des militärischen Gegengewichts der Sowjetunion für neokoloniale Kriege ausnutzen würden. Auf diesem Hintergrund ist das bankrotte Regime in Pjöngjang offensichtlich zu der Ansicht gelangt, dass nur der Besitz von Atomwaffen es davor schützt, dasselbe Schicksal wie Hussein zu erleiden.

Die hysterischen Drohungen der Trump-Regierung gegen Nordkorea enthüllen darüber hinaus den tiefen Graben, der sich zwischen Washington und seinen angeblichen europäischen Verbündeten aufgetan hat. Obwohl sie die Atomtests des Regimes in Pjöngjang verurteilen, weigern sich die europäischen Regierungen, die Drohungen der Trump-Regierung mit einer Eskalation gegen Nordkorea zu unterstützen. Sie bleiben bei ihrer Opposition gegen die amerikanische Politik in Asien, die mit dem "Pivot to Asia" der Obama-Regierung begonnen hat. Schon 2015 haben sie sich der Forderung der USA widersetzt, Chinas Asian Infrastructure Investment Bank zu boykottieren.

Gegenwärtig verurteilen die europäischen Mächte Pjöngjang, fordern aber Gespräche, um die Koreakrise zu entschärfen. Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron haben in einer gemeinsamen Erklärung Sanktionen gefordert: "Die jüngste Provokation des Machthabers in Pjöngjang hat eine neue Dimension erreicht ... Neben dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist auch die Europäische Union gefragt." Die Bundeskanzlerin und der Präsident sprachen sich für eine Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Nordkorea aus. Merkel erklärte jedoch am Dienstag vor dem deutschen Parlament, es könne nur eine "friedliche, diplomatische Lösung" der Krise geben.

Auch die britische Regierung forderte "schärfere Maßnahmen, damit Nordkorea seine gefährlichen und destabilisierenden Unternehmungen beendet". Der Sprecher der britischen Premierministerin Theresa May forderte jedoch auch Maßnahmen, um "den Druck zu erhöhen, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen ... In Großbritannien sind wir überwiegend der Meinung, dass friedliche diplomatische Mittel am besten sind."

Die europäischen Länder, darunter auch die Schweiz, wo der nordkoreanische Präsident Kim Jong-un in Bern studiert hat, versuchen in der Krise zu vermitteln. Die Präsidentin der Schweiz, Doris Leuthard, spottete über Trumps Twitter-Nachrichten. Diese seien kein "angemessenes Instrument" der Weltdiplomatie. Sie sagte: "Wir sind bereit, uns als Mediator anzubieten. Ich denke, in den kommenden Wochen wird eine Menge davon abhängen, wie die USA und China diese Krise beeinflussen können. Deshalb glaube ich, dass die Schweiz und Schweden eine Rolle hinter den Kulissen spielen können."

Dies spiegelt keineswegs den Wunsch nach Frieden aufseiten der europäischen Mächte wider, sondern die wachsenden Rivalitäten zwischen dem amerikanischen und europäischen Imperialismus. Die herrschenden Eliten in Europa drängen auf eine massive Erhöhung der Militärausgaben. Seit Trumps Wahl und seinen Drohungen mit einem Handelskrieg gegen deutsche Automobilexporte kontaktiert Merkel regelmäßig den chinesischen Präsidenten Xi Jinping, ehe sie sich mit dem US-Präsidenten trifft.

Diese Spannungen finden ihr Echo in einer Welle von Kommentaren in den europäischen Medien, die sich kritisch mit der amerikanischen Politik in Nordkorea auseinandersetzen und eine umfassende Neuorientierung der europäischen Außenpolitik fordern.

Das ZDF hat Professor Rüdiger Frank interviewt, einen ehemaligen DDR-Bürger, der in Pjöngjang studiert hat. Der Professor sagte, zu Nordkorea müsse man "wirklich radikal umdenken". Frank erklärte, "härteste Sanktionen können nicht verhindern", dass Nordkorea aufrüste. Er fügte hinzu, Pjöngjang habe eine "strategische Entscheidung" getroffen, sein Atomprogramm weiterzuführen, um die Trump-Regierung zu veranlassen, mit ihm zu verhandeln.

Frank forderte Gespräche mit Pjöngjang und erklärte, andernfalls seien konkrete Vorhersagen über das, was passieren könnte, nur "Kaffeesatz-Leserei". Er wies Behauptungen zurück, Nordkorea verschärfe den Konflikt, und erklärte: "Sie sagen, wenn ihr uns angreift, wenn ihr z.B. einen Schlag

gegen unsern Führer führt, dann werden wir mit allem, was wir haben, zurückschlagen, und dazu gehören auch die Kernwaffen, weil man in Nordkorea relativ gut weiß, dass wir vor einer Million Kalaschnikows keine Angst haben."

Als Le Monde Antoine Bondaz von der Denkfabrik "Fondation pour la recherche stratégique" (FRS) über Trumps Twitter-Kommentare befragte, erklärte Bondaz: "Seine Ausbrüche sind völlig kontraproduktiv. Gegenüber Nordkorea zu erklären, wir können euch mit Atomwaffen von der Landkarte radieren, dient nur dazu, ihr Atomprogramm im Land zu legitimieren." Bondaz rief Europa dazu auf, "als Vermittler zu fungieren, um einen Dialog zu erleichtern und eine militärische Eskalation zu vermeiden, die dramatische Auswirkungen auf die europäischen Interessen in Asien hätten".

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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.09.2017
Weltkriegsgefahr wegen Korea erschüttert Europa
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2017

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