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GLEICHHEIT/6344: Bundeswehr will Tornados von Incirlik nach Jordanien verlegen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Bundeswehr will Tornados von Incirlik nach Jordanien verlegen

Von Johannes Stern
8. Juni 2017


Das Bundeskabinett hat beschlossen, die "Tornado"-Aufklärungsflugzeuge, das Tankflugzeug und die rund 260 Soldaten der Bundeswehr vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik nach Jordanien zu verlegen.

"Angesichts der Tatsache, dass sich die Türkei derzeit außer Stande sieht, den deutschen Parlamentariern Besuchsmöglichkeiten in Incirlik einzuräumen, hat das Kabinett heute beraten, dass wir die Bundeswehr von Incirlik nach Jordanien verlegen werden", erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nach der Kabinettssitzung am Mittwoch.

Eine parlamentarische Abstimmung über die Fortsetzung des Einsatzes gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS), an dem die Bundeswehr seit Ende 2015 beteiligt ist und der sich in Wirklichkeit auch gegen die syrische Regierung von Baschar al-Assad richtet, sei nicht notwendig. "Es ist die einhellige Meinung, dass es kein neues Mandat braucht, denn im Mandat selber ist auch nicht Incirlik als Ort festgeschrieben sondern der Einsatzraum - der betrifft Syrien und Irak und die Anrainerstaaten, soweit die Regierungen damit einverstanden sind."

Von der Leyen versicherte, den deutschen Militäreinsatz in Syrien und im Irak auch von Jordanien aus fortzusetzen. "Der Grund weshalb wir mit der Bundeswehr in Incirlik sind, ist unser deutscher Beitrag im Kampf gegen den IS. Konkret sind das zwei Fähigkeiten, nämlich die Luft-zu-Luft Betankung und die Aufklärung durch Tornado-Flüge." Beides seien "sehr wichtige Fähigkeiten und eine knappe Ressource in der Koalition gegen den Terror."

Da die geplante Verlegung auf die Muwaffaq Salti Air Base in Jordanien Zeit koste - die Tornados werden von der Leyen zufolge mindestens zwei bis drei Monate ausfallen und die Tankflugzeuge etwa zwei bis drei Wochen - werde sie "umgehend das Gespräch mit der Koalition gegen den Terror suchen", um zu besprechen, "wie die Lücken gefüllt werden können, damit keine Nachteile entstehen".

Trotzdem ist die Truppenverlegung eine außenpolitische Zäsur. Es ist das erste Mal, dass ein Mitglied der Nato seine Soldaten aufgrund von heftigen politischen Konflikten vom Stützpunk eines anderen Mitgliedsstaats abzieht.

Das US-geführte Militärbündnis äußerte sich kritisch über den geplanten Abzug der Bundeswehr. Generalsekretär Jens Stoltenberg sei "in dieser Frage in regelmäßigem Kontakt mit der türkischen und deutschen Regierung gewesen", und es sei zu "bedauern, dass diese Angelegenheit nicht anders gelöst werden konnte", sagte ein Nato-Sprecher der Tageszeitung Die Welt.

Der offizielle Grund für den deutschen Abzug ist ein von der türkischen Regierung verhängtes Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete in Incirlik, das auch nach dem Besuch von Außenminister Sigmar Gabriel in der Türkei am Montag nicht aufgehoben wurde.

Die türkische Regierung begründet ihre Haltung damit, dass Deutschland türkischen Offizieren Asyl gewähre, die am gescheiterten Putsch im Juli 2016 beteiligt gewesen sein sollen. Insgesamt haben bis Anfang Mai 414 türkische Soldaten, Diplomaten, Richter und Regierungsmitarbeiter Asylanträge in Deutschland gestellt, die von der türkischen Regierung als Putschisten verdächtigt werden. Bei dem in der Türkei inhaftierten Welt-Korrespondenten Deniz Yücel, dessen Freilassung die Bundesregierung fordert, gehe es ebenfalls um "Terror" und "Spionage".

Bereits vor dem gescheiterten Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Erdogan - der zumindest die stillschweigende Unterstützung von Teilen der herrschenden Kreise in den USA und Deutschland genoss - waren die deutsch-türkischen Beziehungen in eine tiefe Krise geraten.

Im Juni 2016 hatte der Bundestag eine Resolution [1] verabschiedet, die den Massenmord an bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich als "Völkermord" bezeichnete. Erdogan hatte bereits damals gewarnt, dies könne zu "einer Beschädigung der diplomatischen, wirtschaftlichen, politischen, und militärischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern führen", und Bundestagsabgeordneten den Besuch der in Incirlik stationierten deutschen Soldaten untersagt.

In den vergangenen Monaten haben sich die politischen Konflikte zwischen Deutschland und der Türkei weiter verschärft. Vor dem türkischen Verfassungsreferendum verhängten Deutsche Behörden in mehreren Städten Auftrittsverbote [2] für türkische Regierungsmitglieder. Deutsche Politiker und Medien veranstalteten eine Hetzkampagne [3] gegen Türken. Neben der rechtsextremen AfD und der CSU taten sie sich dabei auch Teile der Grünen und der Linkspartei hervor.

Auch jetzt unterstützen die nominellen Oppositionsparteien die Entscheidung der Regierung. Der Obmann der Linkspartei im Verteidigungsausschuss des Bundestags, Alexander Neu, bezeichnete die Ankündigung der Bundesregierung im Linkspartei-Blatt junge Welt als "längst überfälligen Schritt". Er schrieb: "Nach ewigem Hin und Her scheint nun auch die Bundesregierung eingesehen zu haben, dass es im Konflikt um das Besuchsrecht von Bundestagsabgeordneten bei deutschen Soldaten in Incirlik keine andere Konsequenz gibt, als die Bundeswehr von dort abzuziehen."

Grünen-Chef Cem Özdemir verlangte in der ARD zusätzlich auch die Rüstungslieferungen in die Türkei zu stoppen: "Die einzig mögliche Antwort muss jetzt sein, dass man deutlich macht: Wir ziehen die Soldaten wirklich zurück. Ich glaube das dieser Bundesregierung erst, wenn sie weg sind. Keine Unterstützung für Incirlik mehr, und sofortiger Stopp der Rüstungslieferungen an die Türkei."

Hinter dem Abzug der Bundeswehr stecken auch geopolitische Fragen. Unter Bedingungen des Zusammenbruchs der Nachkriegsordnung und wachsender Konflikte zwischen den Großmächten, versucht der deutsche Imperialismus fieberhaft, seine eigene, unabhängige Großmachtpolitik zu entwickeln und auch seine Strategie für den Nahen und Mittleren Osten neu auszurichten.

Vor allem Vertreter der Grünen und der Linkspartei sind dabei seit längerem der Ansicht, dass eine zu enge Zusammenarbeit mit Ankara den deutschen Imperialismus zu stark einschränke. Sie plädieren für eine offenere Zusammenarbeit mit kurdischen Milizen wie der PYD, die zwar mit der in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) verbunden sind, aber eine wichtige Rolle als Stellvertretertruppen beim Regimewechsel-Krieg in Syrien spielen.

Die Linksparteivorsitzende Katja Kipping warnte in diesem Zusammenhang in der Welt: "Auch wenn die Tornados von Jordanien aus starten, kann niemand ausschließen, dass deren Aufklärungsergebnisse im Rahmen der Nato auch an die türkische Armee weitergegeben und von dieser genutzt werden, um die kurdischen Einheiten in Syrien, die ein wirkliches Bollwerk gegen den Terror des IS sind, gezielt anzugreifen."

Gleichzeitig forderte Kipping, über einen Ausschluss der Türkei aus der Nato nachzudenken, die sich in einer "tiefen politischen Krise" befinde. "Wir sollten ernsthaft diskutieren, ob die Türkei weiter Mitglied in der Nato bleiben kann." Erdogan stelle ein "eklatantes Sicherheitsrisiko" dar und zerstöre "nicht nur die Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in der Türkei, sondern er verschärft mit seinen Expansionsplänen die militärische Krise in Syrien und dem Irak".

Der Versuch der Linkspartei, den deutschen Imperialismus und die Nato als pazifistische Alternativen zu Erdogan zu verkaufen, ist ein Hohn. Deutschland hat sich in den vergangenen 25 Jahren immer wieder an den völkerrechtswidrigen Angriffskriegen der Nato und der USA beteiligt und ist nun zunehmend bereit, auch gegen seinen amerikanischen "Verbündeten" aufzutreten, was die Kriegsgefahr weiter erhöht.

Bereits bei seinem letzten Besuch in Washington hatte Gabriel damit gedroht, nicht nur die in Incirlik stationierten "Tornado"-Aufklärungsflugzeuge abzuziehen, sondern auch die deutsche Besatzung der "Awacs"-Aufklärungsflieger der Nato im türkischen Konya. Für ihn sei der Konflikt weit "mehr als ein bilaterales Problem". Den Amerikanern sei "klar, welche schwerwiegenden Konsequenzen es auch für den Kampf gegen den IS hätte, wenn die deutsche Bundeswehr dort abgezogen werden müsste".

Gestern folgte ein scharfes Statement von Gabriel gegen die von US-Präsident Donald Trump unterstützte saudische Offensive gegen Katar, die letztlich auf den Iran zielt. Gabriel verteidigt das Emirat und warnt vor einer "Trumpisierung des Umgangs miteinander". Die "jüngsten gigantischen Rüstungsdeals des amerikanischen Präsidenten Trump mit den Golfmonarchien" würden "das Risiko einer neuen Aufrüstungsspirale" verschärfen. Das sei "eine völlig falsche Politik, und sicher nicht die Politik Deutschlands".

Während Trump und die Saudis auf Konfrontationskurs mit Teheran gehen, setzt die Bundesregierung auf eine Öffnung des Landes, um im Nahen und Mittleren Osten neue Energiequellen und Absatzmärkte für die deutsche Exportwirtschaft zu erschließen. Um seine Interessen durchzusetzen, ist Berlin zunehmend bereit, seine eigenen militärischen Allianzen in der Region zu schmieden. Der Umzug der Bundeswehr von Incirlik nach Jordanien ist Bestandteil davon.


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2016/06/03/arme-j03.html
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2017/03/07/erdo-m07.html
[3] http://www.wsws.org/de/articles/2017/04/20/tuer-a20.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.06.2017
Bundeswehr will Tornados von Incirlik nach Jordanien verlegen
http://www.wsws.org/de/articles/2017/06/08/bund-j08.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2017

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