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GLEICHHEIT/6062: Deutschland und Frankreich schlagen europäisches Militärbündnis vor


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Vor dem Post-Brexit-Gipfel:
Deutschland und Frankreich schlagen europäisches Militärbündnis vor

Von Alex Lantier
14. September 2016


Im Vorfeld des EU-Gipfels in Bratislava am Freitag drängen Berlin und Paris auf die Weiterentwicklung der EU zu einem Militärbündnis, das zu umfangreichen Operationen innerhalb und außerhalb Europas fähig ist.

Die Süddeutsche Zeitung und Le Figaro berichteten über einen sechsseitigen Vorschlag der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ihres französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian. Er zielt darauf ab, den Austritt Großbritanniens aus der EU zum Anlass zu nehmen, die Streitkräfte der verbliebenen EU-Staaten enger miteinander zu vernetzen. Großbritannien hatte, ebenso wie die USA, von der Nato getrennte europäische Militärbündnisse immer abgelehnt. Da die verbliebenen EU-Staaten Großbritannien von dem Treffen in Bratislava ausgeladen haben, gilt es technisch als "informeller" EU-Gipfel.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande begannen bereits kurz nach dem Brexit Anfang Juli, mit Diskussionen über diesen Vorschlag. Laut Le Figaro heißt es in dem Dokument, es sei "höchste Zeit, unsere Solidarität und die Europäischen Verteidigungsfähigkeiten zu stärken, um unsere Grenzen und die Bürger der EU effektiver zu schützen [...]. Unter der Prämisse der Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die Europäische Union zu verlassen, ist es nun unser Ziel, mit den verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten weiter voranzuschreiten."

Stefan Kornelius schrieb in der Süddeutschen: "Viele Jahre lang scheiterte die Kooperation am Widerstand der USA, die eine Konkurrenz zur Nato befürchteten [...]. Der Brexit hat die Situation nun schlagartig geändert. Britischen Widerstand wird es nicht mehr geben, auch wenn London formell noch der EU angehört. In Windeseile haben deshalb zwei Staaten ihre Chance erkannt: Deutschland und Frankreich lassen ihren europäischen Gründergeist aufblitzen und spielen Avantgarde."

Berlin und Paris verfolgen völlig reaktionäre Ziele. Weil der Brexit und die enorme Unpopularität des EU-Sparkurses innerhalb der Arbeiterklasse die europäische herrschende Klasse verschreckt hat, versucht sie die EU zusammenzuhalten, indem sie die EU bis an die Zähne gegen äußere Feinde und die Arbeiterklasse im Inneren bewaffnet.

Laut dem Dokument von Le Drian und von der Leyen sollen die Militäroperationen der EU vom Eurocorps geplant werden, einer gemeinsamen Einheit von deutschen, belgischen, französischen, italienischen, luxemburgischen und polnischen Truppen, deren Hauptquartier in Straßburg liegt. Es sieht außerdem eine gemeinsame medizinische Leitung, Logistikeinrichtungen und Ausbildungsprogramme für Offiziere sowie die Schaffung eines vereinten militärischen Hauptquartiers vor.

Es strebt ferner die Vereinheitlichung der europäischen Rüstungsindustrien mit der Entwicklung wichtiger Technologien im Zentrum an. Le Figaro schreibt: "Das Ziel ist es, die europäischen Partner davon abzuhalten, Systeme 'von der Stange' zu kaufen - d.h. hauptsächlich von den USA - und so die strategische Autonomie der EU zu schwächen. Die Anstrengungen sollten sich auf vier wichtige Bereiche konzentrieren: Luftbetankung, Satellitenkommunikation, Cybersicherheit und Drohnen."

Das führt von der Leyens und Le Drians Behauptung ad absurdum, bei ihrem Vorschlag ginge es nur um Grenzsicherung. Die genannten Technologien ermöglichen militärische Optionen wie strategische Bombenangriffe, Langstreckenaufklärung, Cyberkriegsführung und Drohnenmorde, die für einfache Grenzschutzaufgaben unnötig sind. Allerdings sind sie von entscheidender Bedeutung für Angriffskriege und koloniale Eroberungskriege wie den völkerrechtswidrigen Einmarsch der USA im Irak 2003, oder für Kriege mit anderen internationalen Großmächten.

Bereits die letzten zwei Jahrzehnte, in denen Washington und seine Verbündeten Billionen Dollar für neokoloniale Kriege von Afghanistan über den Irak bis nach Afrika ausgegeben haben, in denen Millionen von Menschen gestorben sind, haben gezeigt, dass Arbeiter in Europa und weltweit nichts von einer solchen Politik haben. Europa ist bereits durch fast ein Jahrzehnt tiefgreifender Sparmaßnahmen verwüstet worden; jetzt auch noch Billionen Dollar zu verschwenden, um dem US-Imperialismus militärisch Konkurrenz zu machen, würde den Kontinent völlig ruinieren. Angesichts der eskalierenden Spannungen zwischen der Nato und Russland in Syrien, der Ukraine und in ganz Osteuropa würde es außerdem die Bedingungen für einen Krieg schaffen, der das Überleben der Menschheit gefährdet.

In herrschenden Kreisen wird offen über die Gefahr eines neuen Weltkriegs zwischen Atommächten diskutiert. Im britischen Telegraph erschien im April ein Artikel mit dem Titel "So könnte der Dritte Weltkrieg morgen beginnen."

Darin war zu lesen: "Genau wie in der Vergangenheit wäre es auch heute möglich, dass ein kleines Ereignis, oder vielleicht sogar ein Unfall, einen dritten Weltkrieg auslöst. Tatsächlich ist der Himmel über Syrien gefährlich überfüllt. Russische und amerikanische Flugzeuge fliegen nebeneinander Bombenangriffe, im Nachbarstaat Türkei werden die Luftabwehrsysteme ausgetestet. Es könnte auf See passieren, wenn ein amerikanisches oder japanisches Schiff zwischen den Riffen im Pazifik, die im Rahmen des derzeitigen Wettrüstens in Asien militarisiert werden, mit einem chinesischen Schiff zusammenstößt."

Von der Leyens und Le Drians Vorschläge zeigen, dass sich auch die übrigen EU-Staaten auf einen solchen Krieg vorbereiten - und auf die gewaltsame Unterdrückung von Widerstand der Arbeiterklasse im eigenen Land.

Auch die europäischen Arbeiter sind im Visier der winzigen Verschwörergruppe, die die Politik der EU aushandelt und die Wut der Massen fürchtet. Das Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien erklärte in einer Studie mit dem Titel "Perspektiven für die Verteidigung Europas 2020" offen, eine Hauptaufgabe europäischer Militäraktionen sei es, "die Reichen dieser Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen" zu schützen.

Darin stand: "Da der Anteil der armen, frustrierten Weltbevölkerung weiterhin sehr hoch sein wird, werden sich die Spannungen zwischen dieser Welt und der Welt der Reichen weiter verschärfen - mit entsprechenden Konsequenzen". Und weiter: "Durch die Technologie schrumpft die Welt zu einem globalen Dorf, das sich allerdings am Rande einer Revolution befindet. Während wir es mit einer immer stärker integrierten Oberschicht zu tun haben, sind wir gleichzeitig mit wachsenden explosiven Spannungen in den ärmsten Unterschichten konfrontiert."

In Frankreich fand das bereits Ausdruck in der Praxis. Seit nach den Terroranschlägen am 13. November 2015 der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, sind in den Straßen des Landes zehntausende Soldaten und Bereitschaftspolizisten unterwegs. Die PS hat diesen Notstand als Vorwand genutzt, um mit Gewalt die Proteste gegen ihr zutiefst unpopuläres Arbeitsgesetz zu unterdrücken, das Arbeitern drakonische Sozialkürzungen zumutet.

Während die Nato-Großmächte versuchen, sich bis an die Zähne zu bewaffnen, verschärfen sie die Spannungen zwischen einander auf ein hochgefährliches Niveau. Nach der Auflösung der Sowjetunion versuchte die EU bereits In den 1990ern und frühen 2000ern unter dem Schlagwort einer "multipolaren Welt" von den USA unabhängige militärische Fähigkeiten aufzubauen. Damals kam es zu erbitterten Konflikten mit Washington.

Als Frankreich und Deutschland den amerikanischen Einmarsch im Irak ablehnten, brach eine historische Krise in den Beziehungen mit Washington aus. Die damalige nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice schlug vor: "Frankreich bestrafen, Deutschland ignorieren, Russland verzeihen".

Bezeichnenderweise vollzieht sich der derzeitige Kurswechsel auf eine unabhängige EU-Militärpolitik vor dem Hintergrund tiefer Spannungen zwischen Washington und Europa. Vor zwei Wochen forderten hochrangige deutsche und französische Regierungsvertreter die unbefristete Aussetzung der Handelsgespräche mit den USA. Am Montag nahm der französische Präsident Francois Hollande den fünfzehnten Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September zum Anlass für einen ungewöhnlichen Angriff auf die Kriegspolitik der USA.

Er schrieb auf seiner Facebook-Seite: "Die Reaktion der amerikanischen Regierung auf diese innerhalb des Landes geplanten und methodisch ausgeführten Anschläge hat die Terrorbedrohung nicht eliminiert, sondern sie über ein größeres Gebiet verteilt, vor allem im Irak." Weiter schrieb er, Frankreich habe sich zu Recht geweigert, sich an dieser Intervention zu beteiligen und sie sogar verurteilt, musste aber "trotzdem die Folgen des Chaos tragen, das sie verursacht hat."

Abgesehen von den Spannungen zwischen der EU und den USA wäre auch das geplante EU-Militärbündnis selbst von explosiven Widersprüchen geprägt. Deutschland und Frankreich haben in den letzten 150 Jahren drei große Kriege gegeneinander geführt und Berlins Entwicklung zum "Zuchtmeister" Europas, der eine führende Rolle bei der Formulierung des EU-Sparkurses in ganz Europa einnimmt, hat die Spannungen zwischen den EU-Mächten auf ein beispielloses Niveau erhöht.

Dass die EU gemeinsam über die Durchführung von Militäraktionen entscheiden könnte, schloss die Süddeutsche aus: "Beim Einsatz vom Militär, mithin bei Fragen von Leben und Tod, ist die nationale Souveränität allen Staaten in der EU heilig, gerade auch Deutschland und seinem Parlament."

Der pensionierte italienische General Vincenzo Camporini erklärte gegenüber Defense News, er bezweifle, dass Frankreich seine Streitkräfte vollständig der EU unterstellen würde - vor allem nicht seine Atomwaffen, die das einzig offizielle Atomarsenal in einer EU ohne Großbritannien darstellen würden. Er erklärte, der Widerstand Großbritanniens gegen eine EU-Armee hätte es auch anderen europäischen Staaten erlaubt, die Sache zu verzögern. "Jetzt funktioniert diese Ausrede nicht mehr; wer ist bereit voranzuschreiten? Ich glaube, die Deutschen sind bereit, aber bei Frankreich habe ich Zweifel wegen seines nuklearen Abschreckungspotenzials. Wird es das teilen? Das ist ein sehr delikates politisches Thema."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.09.2016
Vor dem Post-Brexit-Gipfel:
Deutschland und Frankreich schlagen europäisches Militärbündnis vor
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2016

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